Deutschland

registriert, dass die SPD das Thema Irak er- neut für eine Kampagne nutzen will. Wäre Deutschland, forschen die Genossen, jetzt mitverantwortlich für einen katastropha- len Krieg, wenn Merkel regierte? Diese Frage wird auch in der CDU gestellt. Mit Vertrauten hat Merkel beschlossen, der leidigen Diskussion über Vergangenes durch die Erörterung aktueller Fragen die Brisanz zu nehmen. Hat sie die Gefahr durch Saddam überschätzt? „Wir müssen darüber reden, wie es weitergehen soll“, sagt sie trotzig. In ihrer Umgebung hofft man, dass sich das Thema nach der Europawahl am 13. Juni schon deshalb erledigt haben könnte,

MICHAEL DALDER / REUTERS / E-LANCE MEDIA / REUTERS MICHAEL DALDER weil die Union nach allen Vorhersagen ein CDU-Vorsitzende Merkel, Parteifreunde*: Riskante Alternativen gutes Abschneiden erwarten darf. Die SPD werde dann einsehen, dass sich eine Irak- Debatte nicht lohne. UNION Dabei könnte eine ehrliche Lage-Analy- se Merkels Position sogar stärken. Viele CDU-Mitglieder erwarten, dass die Vorsit- Merkels Schweigen zende das Offenkundige endlich ausspricht. Einstweilen nahm ihr diese Aufgabe der Die SPD attackiert die Irak-Position der CDU-Chefin, Präsidentschaftskandidat Horst Köhler ab. Den Amerikanern sei „die Macht zu die Parteifreunde gehen auf Distanz. Doch die Oppositionsführerin Kopf gestiegen“, sagte der ziemlich unge- scheint entschlossen, das Thema auszusitzen. schminkt vor NRW-Landtagsabgeordne- ten, die dazu begeistert Beifall klatschten. m vergangenen Montag probierte mer klarer, dass die USA den Waffengang „Köhlers Position wird von der überwie- aus, wie mächtig sie unter allen Umständen wollten und bereit genden Mehrheit der Partei geteilt oder Awirklich ist. Nach den vielen Erfol- waren, die Weltöffentlichkeit zu täuschen. zumindest akzeptiert“, bekräftigt Bundes- gen im Kampf gegen die parteiinternen Aber Angela Merkel hält wie erstarrt an tagsvizepräsident . Gegner wollte sie wissen, ob es ihr auch ge- ihrer Position fest – und weil das angesichts Merkel hätte diese Vorlage nutzen kön- lingen würde, die Zeit zurückzudrehen. der Lage schwer zu verkaufen ist, windet nen, um sich behutsam von den Amerika- In der Sitzung des Parteivorstands ließ sie sich. „War der Krieg richtig oder nern zu distanzieren – doch sie schaltete sie ein Papier verteilen, das die Bundes- falsch?“, wurde sie vorigen Montag von auf stur: „Ich habe nicht die Absicht, Sät- tagsfraktion kurz vor dem Irak-Krieg Journalisten gefragt. „Es war falsch“, rea- ze zu bewerten, die in einer geschlossenen beschlossen hatte. Darin unterstützte die gierte die Oppositionschefin ausweichend, Sitzung gefallen sind“ –, und bestätigte da- Union die Haltung der Amerikaner. Dies, „dass der Westen und Europa keine ein- mit, was ihr Kritiker schon vor dem Kon- so die Botschaft der CDU-Vorsitzenden, heitliche Linie gefunden haben“. Der Rest flikt am Golf vorwarfen: Sie habe kein Ge- soll auch künftig gelten. ist Schweigen. spür für die internationale Diplomatie. In dem Text ist mehrfach von Saddam Nichts fürchtet sie mehr als eine Schlag- Auf Schröders rigides Nein zum Krieg Husseins „Massenvernichtungswaffen“ die zeile, die einen Kurswechsel bestätigen hatte die Oppositionsführerin damals mit Rede – damals der offizielle Kriegsgrund. würde. Die zwangsläufige Folge wäre, dass einem ebenso entschiedenen Ja zum Bra- Bislang wurden allerdings keine entdeckt, die alte Führungsfrage wieder aufbräche. chialkurs der Bush-Administration geant- weshalb nun einige Anwesende Merkels Derzeit ist Merkel unbestritten die Nummer wortet. Es sei klar, dass die Union „an der Aktion als nicht besonders hilfreich emp- eins der Union, und das will sie bleiben. Seite der USA und ihrer Verbündeten ste- fanden. Ob das Wort, fragte ein Partei- Doch auch ihre Beharrlichkeit könnte hen muss“, schrieb sie im April vorigen freund leise, jetzt gestrichen werde? ihr zu schaffen machen. Die Parteispitze Jahres in einem offenen Brief. Denn die Welt hat sich seit März 2003 Und als der amerikanische weitergedreht – aber Merkel versucht das Verteidigungsminister Donald zu ignorieren. Vor gut einem Jahr hatte sie Rumsfeld europäischen Kriegs- ihre widerstrebende Partei auf ein Ja zum gegnern und -befürwortern Feldzug eingeschworen. Sie wollte die höhnisch das Etikett „altes“ CDU an der Seite Amerikas halten und und „neues“ Europa anhefte- außerdem endlich Führungsstärke zeigen. te, fühlte sich Merkel beflissen Heute muss sie gegen den Eindruck kämp- dem modernen Teil des derart fen, sie habe die Christdemokraten in eine gespaltenen Kontinents zu- Sackgasse manövriert. gehörig. Vor einer Reise in die Wäre der Frieden so schnell gewonnen USA veröffentlichte sie im Fe- worden wie der Krieg, müsste die Vorsit- bruar 2003 in der „Washington zende nichts erklären. Doch statt der ver- Post“ einen kritischen Artikel sprochenen Demokratie brachte die Er- über die Politik der Bundesre- oberung dem Land Chaos. Zudem wird im- gierung. Der zaghafte Hinweis darauf, dass „keine Supermacht

* Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble und CDU- / AFP HAIDAR RAMZI auf Dauer ihre Politik al- Generalsekretär Laurenz Meyer. US-Panzer im Irak: Chaos statt Demokratie lein durchsetzen kann“, gilt ihr

32 der spiegel 19/2004 Deutschland WERNER SCHUERING / CHAPERON DPA Christdemokratische Amerika-Reisende, Gastgeber*: „Das hat sie toll gemacht“ noch immer als hinreichender Beleg für hinausschoss. Die Teilnahme von Bun- Einschätzungen „richtig gelegen“ habe. Kritikfähigkeit. destagspräsident (SPD) Am vergangenen Montag im CDU-Bun- Der entscheidenden Frage allerdings an Anti-Kriegs-Demonstrationen nannte desvorstand versuchte Pflüger dann aller- wich Merkel von Anfang an aus: Hielt (und er eine „Schande“ – den US-Präsidenten dings zu erklären, warum er den Irak-Krieg hält) sie den Krieg für richtig oder nicht? George W. Bush dagegen ehrfürchtig ei- trotzdem noch für gerechtfertigt hält. Die CDU-Vorsitzende sprach stattdessen nen „bemerkenswerten Staatsmann“. „Das war nicht sehr zielführend“, rügte über die Uno-Resolutionen, die Saddam In seiner Bewunderung für Amerika die Parteichefin den Schlingerkurs und ließ missachtet habe. Ließ sich der Waffenein- ließ sich der treue Adlatus Merkels von die nachgeschobenen Begründungen dafür satz damit rechtfertigen? „Sie werden mich niemandem übertreffen. Selbst das Be- nicht gelten: „Das eine ist, was man nicht dazu bringen, etwas anderes als bis- kenntnis des stellvertretenden US-Ver- meint“, zischte sie ihren Helfer an, „das an- her zu sagen“, versteifte sie sich kurz nach teidigungsministers Paul Wolfowitz, seine dere, was hinten ankommt.“ den ersten amerikanischen Bombarde- Regierung habe die Massenvernichtungs- Vielleicht hätte sie besser auf Wolfgang ments – um dann kühn zu behaupten, der waffen nur „aus bürokratischen Gründen“ Schäuble hören sollen. Der war schon früh Krieg sei „unvermeidbar“ gewesen. als Motiv für den Feldzug ins Gespräch der Auffassung, die Bundesregierung möge Dass die Union unbeirrt zu den Verei- gebracht, irritierte ihn nicht – im Gegen- sich die Option offen halten, im Welt- nigten Staaten stehen muss, glaubt Merkel teil. Die Union müsse sich hinter Wol- sicherheitsrat für den Krieg zu stimmen – spätestens seit dem 29. August 2001. Dieser fowitz stellen, forderte Pflüger von seinen oder auch dagegen. Von ihm hätte Merkel Tag, an dem in Berlin über den von Wa- Parteifreunden. lernen können, wie man Kritik formuliert, shington gewünschten Einsatz der Bun- Mit solchen Sprüchen sicherte er sich ohne die USA öffentlich zu schelten. deswehr in Mazedonien abgestimmt wur- den begehrten Platz neben Merkel auf dem „Ich glaube nicht, dass das ein Triumph de, markiert den Moment ihres außenpo- Flug nach Amerika und bedankte sich spä- amerikanischer Diplomatie gewesen ist“, litischen Erweckungserlebnisses. ter artig dafür: „Das hat sie toll gemacht“, hatte Schäuble seinerzeit die Entscheidung Die CDU-Chefin war damals zunächst pries er seine Vorsitzende. des Weltsicherheitsrats gegen den Feldzug dem früheren Verteidigungsminister Volker Doch neuerdings wackelt der große Ex- kommentiert. Rühe gefolgt, der die Fraktion auf ein Nein perte. Erst kritisierte er den Bundesnach- Und anders als die CDU-Chefin grübel- festlegen wollte. Doch eine Ablehnung, das richtendienst, dass dieser vor dem Krieg te deren Vorgänger lange darüber nach, wurde rasch klar, hätte die Partei vor eine fälschlich über Biowaffenlabors im Irak be- wie das Ärgste noch abgewendet werden schwere Zerreißprobe gestellt. Wenige richtet habe. Zugleich stellte er erstmals könne. „Saddam Hussein gewähren zu las- Tage vor der Entscheidung zog Merkel die öffentlich die Frage, ob die CDU mit allen sen oder den Krieg zu beginnen – beides Notbremse. Am Ende stimmte die Mehr- sind äußerst riskante Alternativen“, ana- heit der Union mit Ja. UMFRAGE: Irak-Politik lysierte er damals. Deshalb müsse man al- Seither hält die Vorsitzende daran fest, les daran setzen, eine dritte Option zu ent- die CDU könne nicht gegen Amerika agie- „Sollte die CDU-Chefin wickeln. ren und müsse deshalb auch in der Irak- Warum die Parteichefin sich weiterhin Frage den Vereinigten Staaten die Stange Angela Merkel mehr auf weigert, offen über amerikanische Fehler halten. „Partnerschaft braucht Vertrauen“, Distanz zur Irak-Politik zu reden, versteht Schäuble so wenig wie heißt ihr Credo. der USA gehen?“ viele andere Mitglieder der CDU-Führung. Unterstützt wird Angela Merkel dabei Das ganze Thema ist ihm sichtlich un- von Friedbert Pflüger, dem vor Ehrgeiz all- GESAMT angenehm. Er war dabei, als am vergange- zeit lodernden außenpolitischen Experten JA 69% nen Freitag der Kanzler im die der Unionsfraktion, der nach Höherem kritischen Äußerungen des Präsident- TNS Infratest für den SPIEGEL strebt: Dafür suchte er die Nähe Merkels, vom 27. bis 29. April; rund 1000 schaftsaspiranten Köhler zum Thema Irak die froh war, einen Resonanzboden für ihre NEIN 21% Befragte; an 100 fehlende Pro- süffisant in die Debatte einführte: „Es gibt Position gefunden zu haben. zent: „weiß nicht“/keine Angabe mit Blick auf diese Auseinandersetzung ja Dabei störte es sie nicht, dass Pflüger in CDU/CSU-ANHÄNGER auch schon hoch interessante Beiträge aus seinem Eifer, es der Vorsitzenden recht Ihren Reihen“, sagte Gerhard Schröder zu machen, stets ein wenig über das Ziel JA 61% und schmunzelte. Da reckte Wolfgang Schäuble die Fäuste * Links: Parteivorsitzende Angela Merkel, Abgeordneter in die Luft und bemerkte bitter: „Wir woll- Friedbert Pflüger, US-Vizepräsident Richard Cheney im NEIN 31% Februar 2003; rechts: US-Präsident George Bush Sr., Bun- ten heute nicht darüber reden.“ deskanzler im Februar 1990. Ralf Neukirch, Christoph Schult

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