Rainer Mennel

Anzio und 1944 Raum und Gelände eines amphibischen Kampfraumes

Die Landung der Alliierten bei und Nettuno im Januar 1944 wird im deutschen kriegsgeschichtlichen Schrifttum mit Recht im strategischen Zusammenhang mit den schweren Abwehrkämpfen an der -Front gesehen. Sie wird damit allerdings fast nur als eine Nebenoperation gewertet. Auf alliierter Seite waren dagegen mit dem Landungsvorhaben schlachten-, ja kriegsentscheidende Vorstellungen im Mittelmeer- raum verknüpft^. Zwar sollte diese Operation a priori zur Entlastung der verlustrei- chen amerikanischen Angriffe gegen den Cassino-Riegel dienen, im Hintergrund standen aber Erwartungen, den gesamten deutschen Wehrmachtsverbänden im Raum Cassino »ein neues Stalingrad« ^ zu bereiten und darüber hinaus in einem raschen Ver- folgungskrieg Rom zu gewinnen und mit der Besetzung Mittel- und NorditaUens die wirtschaftlichen Zentren in Italien aus der Kriegsproduktion der Achsenmächte aus- zuschalten. Auch das Fesseln deutscher Kräfte in Italien, um ein Abziehen nach Frankreich zu verhindern, dürfte eine Rolle gespielt haben; denn anders sind Eisen- howers Worte »On the other hand, the move undoubtedly convinced Hitler that we intended to push the Italian campaign as a major Operation and he reinforced his armies there with eight divisions. This was a great advantage to the Allies elsewhere«^, nicht zu erklären. Mit einer Zurücknahme der deutschen Front - Anzio liegt rund 100 km vom Garigliano entfernt — konnten die Alliierten allerdings nicht rechnen. Eine Be- drohung der für den deutschen Nachschub wichtigen Straße Nr. 6 stellte das Unter- nehmen auf alle Fälle dar. Das Landungsunternehmen stand von Anfang an unter Zeitdruck, da für die Invasion in Nordfrankreich Transportraum benötigt wurde. Die für die Landung vorgesehenen zwei Divisionen der Alliierten wurden aus der Front herausgezogen und in kleinen Häfen bei Neapel bereitgestellt. Offenbar verfügte die deutsche Abwehr unter der Lei- tung von Admiral Canaris im Januar 1944 nur über unzureichende Informationen über eventuelle alliierte Landevorhaben. Daher kam der Schlag der Alliierten gegen Anzio für die deutsche Führung auch völlig überraschend*, was u. a. aus dem Vorhan- densein von nur zwei Bataillonen an deutschen Abwehrkräften deutlich wird. Daß die alliierten Ziele nicht erreicht worden sind, hat, wie wir heute wissen, ver- schiedene Ursachen. Neben alliierten Fehlplanungen, der zögernden Haltung der Führung des Expeditionskorps im Landekopf, den anerkannten Abwehrleistungen der anfänglich schwachen deutschen Verteidigungskräfte und der Beweglichkeit der deutschen militärischen Führung in Italien nehmen dabei die Bedeutung und die Aus- nutzung von Raum und Gelände dieses Kampfraumes einen hohen Rang ein. Mit welchem Gelände haben wir es im Raum Anzio-Nettuno zu tun? Die Albaner- berge und die von diesen durch die Valmontonesenke getrennten Lepinerberge, die bei Terracina das Meer erreichen, bilden den Hintergrund des Tieflandes im Brücken- kopfbereich. Der Eindruck der Ebene entsteht nur, wenn man von den Albanerbergen in Richtung Meer blickt. Der Kampfraum wird von der Via Anziate und einer Eisen- ^ bahnlinie, die fast gerade von Albano nach Anzio-Nettuno verläuft, geteilt. Im 2 Ostabschnitt erstrecken sich Höhenzüge und tief eingeschnittene Bachläufe in Nord- ^ Süd-Richtung zum Meer hin, während sie im Westabschnitt von Osten nach Westen ^ verlaufen. Die als Fossi bezeichneten Bäche oder auch kleinen Flußläufe bilden mit ih- 67 S ren bis zu 40 m tief abfallenden Rändern schwer zu querende Hindernisse. Im Sommer Alliierte Strategie im Januar 1944

US-ExpedItlons

100 km

HauptdurchgangsstraSen Armeegrenze

Entwurf: R. Mennel Kartographie: D. Engel Landungsgebiet der Alliierten bei Anzio/Nettuno

O'ij' II*-' Hauptangriffspunkte der Alliierten zur Unterbrechung des deutschen Nachschubs

12° 13° 13°3O' CSpoMo

41%'

m HOhenangibe in Mater Hauptstrae«n O Mehrfach angegriffene Orte

0 10 W 30 40 M lim

Entwurf: R. Mann«! Kirtographi«: D. EnQ«!

sind die Fossi größtenteils ausgetrocknet und im Winter infolge des Hochwassers nur mit Hilfe der Brücken zu überschreiten. Der im östlichen Abschnitt gelegene Musso- lini-Kanal hat an der Krone eine Breite von 36 m, seine Sohle führt auch im Hoch- sommer Wasser. Er fällt in zwei Terrassen zur Sohle ab und kann ebenfalls nur mit Hilfe der Brücken überschritten werden. Der Fosso della Moletta schließt den Kampf- raum nach Westen hin ab. Das sich zur Albanostraße hin immer weiter verzweigende Bachbett mit an einigen Stellen sogar senkrecht abfallenden Rändern ist ein sehr star- kes und für Panzer und Kraftfahrzeuge ohne Brücken nicht zu querendes Hindernis. Für Verteidiger und Angreifer ist der beiderseits der Albanostraße bis fast an An- zio-Nettuno heranreichende Padiglionewald zu beachten. Seine teilweise hohen Baumbestände und die von Gestrüpp und Krüppelholz bestandenen Lichtungen ver- wehren die Einsicht von Beobachtern am Berghang und verdecken sogar die Hafenan- lagen. Weingärten und Olivenkulturen bedecken die Hänge bis zur Höhe der Bahn- linie Rom-Neapel. Von der Straße Nr. 148 bis zum Padiglionewald beherrschen Weide- und Ackerflächen das Terrain. Die meisten der durch ihre hohen Strohhaufen schon weithin sichtbaren, an den Straßen gelegenen Siedlungsgehöfte eignen sich gut zum Ausbau von Stützpunkten, da das Anlegen von Stellungen infolge des Grundwas- sers selbst bei intakten Pumpanlagen bis Juni nicht möglich ist®. Bis weit in das Früh- jahr hinein ist das Gelände abseits der Straßen und Wege nur in einzelnen Abschnitten zu befahren. Der schon erwähnte Mussolini-Kanal stellt für Artillerie, Sturmge- 69 schütze und Panzer ein natürliches Hindernis dar. Das Uberwinden der Kanaldämme ist bedeutend schwieriger als das der Fossi (der kleinen Wasserrinnen)Schwere Kraftfahrzeuge und Panzer werden von dem weichen vulkanischen Boden meistens nicht getragen. Geringe Sonneneinstrahlung und etwas Wind genügen, um die Erde sehr trocken und staubig zu machen. An Siedlungen sind außer Anzio und Nettuno das auf einer rund 80 m über NN lie- genden Bodenwelle befindliche Aprilia und 15 km östlich davon das Tor zur Valmon- tonesenke Cisterna zu nennen. Der Ort liegt im Schnittpunkt der Via Appia mit der Eisenbahnlinie Rom-Neapel. Die meist aus Beton hergestellten Gebäude bieten gute Unterkunfts- und Deckungsmöglichkeiten. Der Raum Ardea, der nicht annähernd den amphibischen Charakter des Landungsraumes besitzt, wurde von den Alliierten nicht beachtet. Die anfangs schwachen deutschen Verbände fanden im Raum Aprilia bis zu den Orten Acciarella und Tre Cancelli relativ gute Verteidigungsmöglichkeiten vor. Das sich hinter dem Padiglionewald in Richtung Casale Campomorto und Tre Cancelli befindliche leicht bewegte Relief bot dem Infanteristen auch im Winter Dek- kungsmöglichkeiten. Der Einsatz von Panzerverbänden ist vor Juni/Juli kaum möglich, auch ist er von der Häufigkeit der Niederschläge abhängig: »Auf sumpfigem Grund bildet sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur eine trockene Schicht, die die Panzer vor allem bei Lenk- bewegungen nicht trägt und sie beim Einsinken auf der Wanne aufsitzen läßt^.« Bei den Kanal- und Bachbetten konnte ebenfalls keine Festigkeit festgestellt werden. Stangen sanken mühelos bis 1V2 m in den Boden der Betten ein®. Der schon erwähnte Grundwasserstand ließ ein Eingraben höchstens bis zu einer Tiefe von 30 cm zu'. Für beide, Angreifer und Verteidiger, zeigte der Raum also Vor- und Nachteile. Der Padiglionewald gewährte den von See kommenden Verbänden gute Chancen zur Be- reitstellung für weitere Angriffe und entzog sie der Sicht der Beobachter auf den Ber- gen. Sofort nach Verlassen des Waldes befanden sich die Verbände wie auf einem Prä- sentierteller, und jede Bewegung konnte von den Bergen wahrgenommen werden. Der von den Bergen in Richtung See angreifende Verband stand vor den gleichen Schwierigkeiten, wenn er die Deckung gewährenden Weingärten verließ. Das zahlen- und leistungsmäßig nicht gerade gute Straßennetz und die mehrfach zitierten Fossi und Kanäle behinderten das Verschieben von Verbänden. Erschwerend kam für die Versorgung noch hinzu, daß beide Parteien nur über eine Nachschubstraße zur Front verfügten. Immer mußte es das Ziel eines Angreifers sein - sei es von Süden oder Norden - das offene, überhaupt keine Deckung bietende Gelände zwischen dem Padiglionewald und der Eisenbahn so schnell wie nur irgend möglich zu überwinden. Folgende Anmarschwege führen in den Brückenkopf hinein und konnten von den deutschen Truppen, unter den Bedingungen der alliierten Lufthoheit allerdings nur nachts, benutzt werden: 1. Von über Cisterna auf der Via Appia 2. Velletri - Cori - Littoria 3. - Montelamico - Sezze 4. Valmontone - Prossedi - südUch Sezze in den Raum von Littoria^". Von Anfang an fehlte den am 22. Januar 1944 gelandeten US-Truppen unter Führung von General Lucas der Schwung zu beweglichen Operationen, und besonders nachtei- lig wirkte sich für die Alliierten das Zögern, aus dem Landekopf heraus größere Vor- märsche zu entwickeln, aus. Nach 14 Tagen hatten die Amerikaner im Landekopf 18000 Fahrzeuge und 70000 Mann versammelt, denen auf deutscher Seite anfangs nur zwei Bataillone und einige Küstenbatterien gegenüberstanden. Erst am 24. Januar 1944 liefen die deutschen Gegenmaßnahmen zur Abriegelung bzw. Zerstörung des Landekopfes an, bis dahin hätten die Alliierten einen offenen Weg nach Rom vorge- 70 funden. Churchill spottete zu Recht, »man habe gehofft, eine Wildkatze an Land zu schleudern, nun liege dort ein gestrandeter Walfisch«". General Lucas wurde zwar abgelöst, aber der einmal gemachte Fehler ließ sich nicht so schnell wiedergutmachen, denn Ende Januar 1944 standen sechs deutsche Divisionen mit rund 70000 Mann zum Eindrücken der alliierten Front bereit. In dem engen und ungedeckten Raum mußten die Alliierten große Verluste hinnehmen, doch die Überlegenheit ihrer Marine und Luftwaffe verhinderte eine Aufgabe des Landekopfes: »Der Angriff auf den Lande- kopf steht immer vor zwei Übeln: L entweder sucht er die Landung im Keim zu er- sticken, dann verfällt er der Schiffsartillerie oder 2. er hält sich außerhalb ihres Berei- ches, dann braucht er gegen die ständig sich mehrende Truppenmasse des Landekopfes bald eine Armee Trotz dieser Schwierigkeiten und Mängel versuchte die deutsche Seite immer wieder, die feindlichen Landeplätze in den Bereich der eigenen Artillerie zu bringen^'. Gegen den von Sizilien bzw. Tunesien nach Neapel und von dort über Ischia und Ponza zum Landekopf laufenden Nachschub wurde der Einsatz von deutschen U-Booten als er- folgversprechend angesehen und die deutsche Luftwaffe fügte der alliierten Marine einige Verluste zu. Dagegen verlief der Einsatz von kleinen ferngelenkten Panzern (Goliath) nicht so erfolgreich, wobei das häufige Versagen mehr auf Geländehinder- nisse als auf technische Mängel zurückzuführen war. Hitler benötigte Anfang 1944 endlich einen militärischen Erfolg, der auch weitrei- chende politische Folgen nach sich ziehen konnte. Deshalb sollte so schnell wie mög- lich ein großangelegter Angriff gegen Anzio erfolgen, bei dessen Vorbereitungen Hit- ler wider alle militärische Vernunft, seinen Gepflogenheiten entsprechend, bis in takti- sche Einzelheiten eingrifft®. Von Anfang an litten auch die deutschen Angriffsvorbe- reitungen nicht nur unter Zeitdruck, sondern, von Hitlers Eingriffen einmal abgese- hen, auch unter Gegebenheiten des Raumes, die einen Angriff nur entlang der Albano- straße direkt nach Anzio zuließen. Um den Landekopf aufzuspalten, befahl Hitler eine Konzentration der Truppen auf engsten Raum: drei Divisionen auf 3 km An- griffsbreite. Diese Zusammenballung von Kräften mußte angesichts der skizzierten geographischen Bedingungen den Einsatz- und Wirkungsmöglichkeiten der alliierten Artillerie und Luftwaffe entgegenkommen. Es kam hinzu, daß die deutsche Artillerie infolge Munitionsknappheit auf Grund ständiger Störungen des Nachschubs durch die alliierte Luftwaffe mit ihren 300 Rohren praktisch nur einen Feuerschlag ausführen konnte. Der erste deutsche Großangriff erfolgte in der Zeit vom 16. bis 20. Februar 1944. Da die Panzer, die die Infanterie unterstützten, wegen des aufgeweichten Bo- dens das Straßen- und Wegenetz nicht verlassen konnten, litten die deutschen Opera- tionen von Anfang an unter einer gewissen Bewegungsarmut. Im stark durchschnitte- nen Westteil des Kampfraumes erzielten die Fallschirmjäger bessere Erfolge als die Panzer und Panzergrenadiere auf der Ebene südlich von Aprilia. Trotz der hohen deutschen Verluste, die die Einsatzstärke bei einigen Divisionen auf 900-1000 Mann absinken ließen, befahl Hitler einen neuen Angriff. Er wurde in den Tagen vom 29. Februar bis 2. März 1944 durchgeführt und erreichte sein Ziel, den Landekopf einzu- drücken, ebenfalls nicht. Dieser zweite Angriff litt noch mehr als der erste unter den enormen Schwierigkeiten des Raumes: Abseits der Straßen und Wege besaßen die Panzer keine Operationsbasis, bei einem Schußhalt sanken sie rettungslos bis an die Wanne in den sumpfigen Boden und waren für die alliierte Abwehr markante Ziele Die sich sprungweise vorarbeitende Infanterie war binnen kurzer Zeit so verdreckt, daß die Handfeuerwaffen versagten'^. Das Ende des Angriffs, der nur einige hundert Meter Geländegewinne einbrachte, wurde durch alliierte Angriffe mit 1200 Flugzeu- 71 gen auf die deutschen Stellungen sowie auf Aprilia, Velletri, Cisterna, Rom und Vi- terbo besiegelt'®. Das Mißlingen der deutschen Maßnahmen und Unternehmen wurde nach Ansicht der deutschen Armeeführung vor allem von folgenden Faktoren beeinflußt: 1. Für einen durchschlagenden Angriff erwies sich nur eine Nacht als zu kurz. 2. Die alliierte Artillerie niederzukämpfen und niederzuhalten gelang nicht. 3. Der Flakschutz war unzureichend. 4. Die feindlichen Artillerieflieger konnten nicht ausgeschaltet werden. Sie leiteten das gegnerische Abwehrfeuer vielmehr gut in die deutschen Stellungen und Bereitstel- lungsräume. 5. Es mangelte an Nebelmunition zum Blenden der feindlichen B-Stellen. 6. Bei Tage mußte der Angriff westlich des Mussolini-Kanals und ein Vorführen der schweren Waffen angesichts des überragenden Höhengeländes westlich der Astura zu großen Ausfällen führen. 7. Die Übergangsstellen über den Mussolini-Kanal lagen im beobachteten feindlichen Artilleriefeuer, so daß Verstärkungen und Versorgungsgüter nur bei Nacht unter gro- ßen Schwierigkeiten zugeführt werden konnten^'. Führungsfehler auf alliierter Seite wirkten sich bei der Materialüberlegenheit aller- dings niemals so verheerend aus wie auf der deutschen. So verstieß die US-Führung u. a. bei der Landung und noch zwei Tage danach gegen den elementaren Grundsatz, einen taktischen Erfolg sofort auszunutzen. Das Sicherheitsdenken der Alliierten er- reichte bei Anzio in der Tat einen Höhepunkt. Mit dem Landekopf besaßen die Alli- ierten die Basis für eine operative Verfolgung, wenn der Durchbruch bei Cassino ge- lang. Die totale Luft- und Seeherrschaft, über die die Alliierten seit Beginn der Italien- kämpfe verfügten, gab ihnen auch die Freiheit des strategischen Handelns. Der nicht abgesicherte Küstenabschnitt nordwestlich von Anzio konnte geradezu als ideal für Landungsunternehmen in Bataillons- bzw. Regimentsstärke angesehen werden. Sie hätten zwangsläufig eine weitere Verzettelung der ohnehin schwachen deutschen Kräfte bewirkt und eine eventuelle Bedrohung von Rom zum Ziele haben können. Eine solche Landung unterblieb aber. Man kämpfte weiter in einem ausgesprochen amphibischen Raum. Statt mehrere Landeköpfe an der tyrrhenischen Küste zu bilden, war man gezwungen, auf den Durchbruch bei Cassino zu warten. Am 13. Mai 1944 mußte das XIV. Panzerkorps ins Lirital ausweichen, und das 2. US-Korps konnte sich nach einem Vorstoß an der Küste mit den von Anzio aus antretenden US-Truppen vereinigen. Das CEF - Corps Expeditionnaire Fran9aise - befand sich im Vormarsch auf Valmontone, während britische Kräfte auf Frosinone vorstießen. Hätten die Alli- ierten die durch Rieti nach Norden führende Straße rechtzeitig erreicht, so wäre bei gleichzeitiger Besetzung der Tiberübergänge bei Orte eine Trennung der 10. von der 14. Armee möglich und eine totale Niederlage der gesamten deutschen Kräfte nicht mehr auszuschließen gewesen. Das XIV. Panzerkorps konnte sich aber vom Gegner lösen und die Tiberübergänge nach Norden bis Orvieto sichern, um einen Durch- bruch der Alliierten zu verhindern. Da ein Abschnitt von 200 km von Frosinone-Or- vieto gesichert werden sollte, konnte es sich allerdings nur um Verzögerungskämpfe handeln. Die Verfolgung aus dem Landekopf führte schließlich zum schnellen Fall von Rom, das zur »Offenen Stadt« erklärt wurde. Hitler hatte befohlen, daß Rom nicht zum Kampfplatz werden dürfe, so daß eine Verteidigung des panzersicheren Ab- schnittes -Tivoli-Subiaco und von hier aus im Verlauf der C-Stellung nicht mög- lich wurde. Daher mußten sich die deutschen Truppen aus mehreren Zwischenlinien auf die Dora-Stellung in Linie Südrand des Berggeländes ostwärts Orbetello - Südrand Lago di Bolsena - Terni - Rieti - Antrodoco - Aquila - Südrand Gran-Sasso - Torre und von 72 hier aus in die C-Stellung absetzen^". Um die Wasserversorgung Roms zu sichern, durften Quellgebiete und Pumpwerke nicht mit Truppen belegt werden, damit Be- schädigungen von vornherein vermieden wurden^^. Bis zum Fall von Rom verliefen die Kämpfe für die Alliierten allerdings nur sehr unbefriedigend, nicht zu reden von den versäumten Chancen von See her. Für die deutsche Seite stellten die überlangen italienischen Küsten, die plötzlich angegriffen werden konnten, ständig einen großen Unsicherheitsfaktor dar. Die bedeutenden Seestreitkräfte der USA, die laufend zu sol- chen Überraschungsschlägen gegen die Küste eingesetzt werden konnten, blieben aber ungenutzt. Der mittelitalienische Raum bot in einigen Abschnitten den Panzerkräften gute Ope- rationsmöglichkeiten, so daß die deutsche Führung besonders darauf bedacht war, Panzerdurchbrüche unter allen Umständen zu vermeiden. Für die Panzerabwehr mußte dabei besonders beachtet werden jede Gefechtsvorpostenstellung - vor al- lem an Hauptstraßen - durch Verminung zu sichern, und die für den feindlichen Pan- zervormarsch geeigneten Straßen an ausgewählten Stellen durch Minen, quergelegte Bäume und ähnliche Hindernisse in größerer Tiefe sowie gesprengte Häuser in Stra- ßenengen und Siedlungen, schließlich durch Absprengungen von Paßstraßen zu sper- ren. Bei den weniger panzersicheren Abschnitten mußte sich der Kampf zur Blockie- rung des Vormarsches stärker auf die natürlichen Engen konzentrieren. Schnelle Pan- zerbewegungen konnten sich nur auf oder im Zuge der Straßen vollziehen. Die Pan- zerabwehr mußte sich in erheblichem Maße auf die Mitwirkung der Pioniere stützen, da das gebirgige Gelände Mittelitaliens zu hohen technischen Marschausfällen bei den Panzern sowie den Sturmgeschützen und Panzerabwehrgeschützen auf Selbstfahrla- fetten führte. Für die Infanterie und die Pioniere kam es dabei darauf an, nicht nur Brücken, Pässe und andere Kunstbauten zu sprengen, sondern diese Sperren auch durch überraschende Feuerschläge sichern zu können. Die Überlegenheit der Alliierten läßt sich an einigen Zahlen deutlich machen: - eine alliierte Armee war einer deutschen in der Personalstärke und in der Mate- rialausstattung etwa um das 3- bis 4fache überlegen; die Kampfstärken der deut- schen Divisionen betrugen in der Regel nur noch 300-400 Mann; - die alliierte Panzerüberlegenheit wurde auf das zehn- bis fünfzehnfache ge- schätzt; - das Verhältnis der alliierten zu den deutschen Kampfflugzeugen wurde sogar mit 200 zu 1 angenommen". Bemühungen der deutschen Luftwaffe, den Nachschub der Alliierten zu gefährden, blieben praktisch ohne nennenswerte Auswirkungen^'*. Die Siegesfrüchte, die den Alliierten aus dem Landevorhaben im Mai 1944 endlich er- wuchsen, waren im Grunde von zweitrangiger strategischer Bedeutung. Zwar mußten die deutschen Verteidiger der Cassino-Front die Stellungen räumen, ohne daß sie ein- gekesselt worden wären, zwar fiel Rom als »Offene Stadt« den Amerikanern in die Hände, drang die 8. britische Armee längs der Adriaküste nach Norden vor, aber der von Churchill erhoffte Durchbruch nach Norditalien oder zumindest in den Bereich der Arnoebenen blieb aus. Churchill bemerkt dazu, daß das Scheitern des alliierten Angriffs einen Stillsund des alliierten Vormarsches in Richtung Norden von zwei Monaten nach sich zog^®, wobei der Zeitraum von zwei Monaten offensichtlich zu ge- ring bemessen ist. Nach viermonatigen Rückzugsgefechten der Deutschen in Mittelitalien standen die Alliierten erneut vor einer schwer überwindbaren neuen deutschen Abwehrstellung im unwegsamen nördlichen Apennin, der »Grün-Linie«. Ihre Überwindung kostete 73 die Alliierten weitere acht Monate schwere Kämpfe und hohe Verluste. Anmerkungen ' Als wichtigste Darstellungen von deutscher Seite sind zu nennen: W. Görlitz: Der Zweite Weltkrieg 1939-1945. Bd 1.2. Stuttgart 1952; H.-A. Jacobsen: 1939/1945. Der Zweite Weltkrieg in Chronik und Dokumenten. Darmstadt 1961; A. Kesselring: Soldat bis zum letzten Tag. Bonn 1953; ders.: Gedanken zum Zweiten Weltkrieg. Bonn 1955; F. M. v. Senger und Etterlin: Krieg in Europa (1940-45). Köln, Berlin 1960; J. Staiger: Anzio-Nettuno. Eine Schlacht der Führungsfehler. Neckargemünd 1962 (= Die Wehrmacht im Kampf. Bd 32.) - zit. Staiger; K. v. Tippeiskirch: Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Bonn 1959 (zit. Tippeiskirch). Siehe ferner für die Seite der Alliierten Martin Blumenson: Command Decisions. New York 1959; Omar Nelson Bradley: A soldier's story of the AUied Campaigns from Tu- nis to the Elbe. London 1951; Marcel Carpentier: Les forces alliees en Italie. Preface du general Juin. Pa- ris 1949; Lea James Gate and Frank Wesley Craven: The Army Air Force in World War IL Vol. 3. Eu- rope: January 1944 to May 1945. Chicago 1951; Winston Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Bd 6. Triumph und Tragödie. 1. Buch: Dem Sieg entgegen. Stuttgart 1954; Robert A. Divine: Roosevelt and World War IL Baltimore 1969; Dwight D. Eisenhower: Grusade in Europe. New York 1948 (zit. Ei- senhower); John Ehrmann: Grand strategy. Vol. 5. August 1943-September 1944. (= History of the Second World War. Military Series.) London 1956; Robert Jars: La campagne d'Italie 1943-1945. Preface du Marechal A. Juin. Paris 1954; Alphonse Juin: La Campagne d'Italie. Paris 1962; Jaques Mordal: Le debarquement d'Anzio. La guerre amphibie. Nancy 1953 (zit. Mordal); Forrest C. Pogue: The Supreme Command. Washington 1954 (= United States Army in World War IL The Euro- pean Theater of Operations); ehester Starr: From Salerno to the Alps. Washington 1948 (zit. Starr). ^ G. Dieckhoff: 3. Infanterie-Division. 3. Infanterie-Division (mot.). 3. Panzergrenadier-Division. Göt- tingen 1960, S. 285. ' Eisenhower, S. 227f. " Mordal, S. 690. ' AOK 14, Anl. zum KTB Nr. 2, Führungsabteilung, 7. 3.-31. 3. 44, BA-MA 52615/24, Anl. 247. * Ebd., Anl. 267. ' Ebd., Anl. 268, 268a. » Ebd. » Ebd. Ebd. " P. Cuni: Umfassung und Durchbruch. Frauenfeld 1955, S. 115. " Ebd., S. 116. " Seekriegsleitung (Ski), KTB TeU A, März 1944, BA-MA III M 1000/55, S. 4. " Ebd., S. 92. " Tippeiskirch, S. 367. " Staiger, S. 123. " Ebd. " Ski, KTB Teil A, März 1944, BA-MA III M 1000/55, S. 89. " AOK 14, KTB Nr. 2, Führungsabteilung, 7. 3. 44.-31. 3. 44, BA-MA 52615/24, Bl. 8. OB Südwest (ObKdo H. Gr. C) la Nr. 237/44 gKdos Chefs v. 4. 6. 44, Anl. zum KTB AOK 14, 1. 5.-31. 5. 44; BA-MA 59091/3. " AOK 14, Armee-Pionier-Führer 14, Anl. zum KTB v. 1. 2.-1. 7. 44, BA-MA 61548, ohne Seitenanga- be. " OB Südwest (ObKdo H. Gr. C) la v. 6. 6.44. Anl. zum KTB AOK 14, BA-MA 59091/4, Anl. Nr. 516. " Ebd., Anl. Nr. 573 v. 14. 6. 44. " Vgl. Starr, S. 174: »Between 22 January and 10 March 1043,8 tons of ammunition were destroyed by enemy bombing and 228,5 tons by artillery fire, an average of 27,7 tons per day. These losses, however, were at no time critical.« " Winston Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Bern 1954, S. 712.

74