Lionel Loueke, Jazz
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PORTRAIT verwende ich in meinen Songs gerne ”ono- matopées” [Lautmalerei, natürliche Geräusche in Worten, bspw. murmeln, zischen], die ganz LIONEL LOUEKE ohne Worte funktionieren. JNM: Eine Frage, die ich immer wieder den AUF DREI KONTINENTEN Chansoniers stelle: Was kommt zuerst, der Text oder die Melodie? ZU HAUSE LL: Meistens kommt die Melodie zuerst, dann der Text und zuletzt der Titel. Und manchmal, Lionel Loueke bewegt sich zwischen drei Kontinenten und drei wenn keine Wörter kommen, gibt es halt auch verschiedenen Musik-Traditionen, die er nun auf seinem Album keinen Text. ”The Journey” ideal vereint. Jazz, klassische Musik und west- JNM: Wovon handelt ”Vi Grin”? afrikanische Traditionen prägen das Album dieses originellen LL: Hier ist die Sprache Mina. ”Vi Grin” heisst Gitarristen. Von Ruedi Ankli ”mein Kind” und ist für ein Kind geschrieben, das seine Mutter im Krieg verloren hat: ”Wei- Ursprünglich spielte der 1973 geborene Lou- JNM: Während sich andere Musiker – ich ne nicht, mein Kind, der Krieg hat deine Mut- eke Perkussion, sang und tanzte mit seinen denke an die Italiener Stefano Bollani und ter mitgenommen wie der Wind die Rosen ...” Altersgenossen in den Strassen von Cotonou Gabriele Mirabassi – in Brasilien inspirie- JNM: Wohin führt ”Mandé” mit dem fast in der ehemaligen französischen Kolonie Be- ren lassen, findest du die brasilianischen obsessiven Refrain? nin (früher Dahomey), bevor er mit 17 Jahren Rhythmen sozusagen in ihrer rohen Urge- LL: (Lacht.) Das ist ein Lied mit einem Augen- Gitarre lernte. Das war ein chinesisches Im- walt vor der eigenen Haustüre. zwinkern auf jenen Stamm in Westafrika, aus portprodukt aus Nigeria mit schlechten Sai- LL: Exakt. Natürlich ist der Sound in Ouidah dem die Griots, diese Poeten und Sänger, ten, die er in Essig tränkte, um sie zu entfet- leicht anders, wenn auch ähnlich. Die Rhyth- herkommen, die einst, wenn eine Botschaft ten, oder ins heisse Wasser legte, um ihre men sind ja von Afrika nach Brasilien gekom- des Königs überbracht war, daraus ein Lied Lebensdauer zu verlängern. Dieses Bild eines men und nun kommen sie leicht verändert machten, so in Mali, Senegal, Guinea. Das begabten Jungen in einer weltvergessenen zurück. Die Leute von Ouidah singen übrigens sind heute noch grosse Redner und Improvi- Gegend sollte man nicht vergessen, wenn auch oft auf Portugiesisch. satoren. man den Gitarristen heute mit einem Unikat JNM: Der zweite Song hat das Zeug zu ei- JNM: ”Kàba”? und raffinierten Accessoires auf der Bühne nem populären Erfolg. Was bedeutet ”Moli- LL: Das ist der Himmel, der die Erde heizt, sieht, mit seiner Band oder an der Seite von ka”? aber auch in der Klarheit der Nacht über- Musikern, die Jazz-Geschichte geschrieben ha- LL: ”Molika” habe ich für meine Kinder ge- wältigend sein kann. Ob etwas Gutes oder ben, wie Herbie Hancock, Chick Corea oder schrieben: Mo für Moisha, Li für Lida, Ka für Schlechtes kommt, oft schaut man nach Dave Holland. Nika. oben, unabhängig davon, ob man gläubig ist Wir haben mit dem Musiker über seine neue JNM: ”Bawo”? oder nicht. Wenn ich in Afrika bin, schaue ich CD ”The Journey” gesprochen und wollten LL: Das Lied hat mit der modernen Sklaverei sehr oft zum Himmel. von ihm vor allem Näheres zu den fünfzehn und der Klimaerwärmung zu tun und mit der JNM: In ”Dark Lightning” spielst du auf Songs mit den magischen Titeln erfahren. Migration: Niemand verlässt sein Land, aus- Gegensätzliches an. ser Krieg oder Hunger zwingen ihn dazu. Der LL: Richtig. Es geht mir darum, wie man in JAZZ'N'MORE: Du hast schon früher, ins- ganze Titel stellt die Frage: ”Wie sind wir so gewissen Momenten die Schwierigkeiten des besondere auf ”Heritage” (2012), Jazz und weit gekommen!?” Lebens angeht. Es ist, übertragen gespro- INDMÜLLER deine afrikanischen Wurzeln verbunden. J NM: Aus welchem Grund bist du weg aus chen, wie wenn man hinter einer löchrigen W Was ist neu auf ”The Journey”? Benin? Leinwand steht und ein wenig Licht schim- Lionel Loueke: Ich bringe für mich zum ersten LL: Ich wollte dazulernen. In Benin gab es da- mert durch die Löcher. Es ist der Effekt des Mal afrikanische Traditionen, Jazz und Klassik mals kein Internet, keine Buchhandlung, rein Spiels meiner Gitarre, der mich zu diesem Ti- zusammen. Ich habe die Musiker gefunden, gar nichts, das dich weiterbringen konnte. tel inspiriert hat. PEEWEE FOTO: die dazu passen. Es ist mein bisher persön- JNM: Du bist gewissermassen zu Hause lichstes Projekt, eine Art Zusammenfassung auf drei Kontinenten. Ist Afrika prädomi- Lionel Loueke wird am 27. April 1973 in Cotonou in all dessen, was ich bisher gemacht habe. nant in deiner Musik? Benin geboren. Mit 19 bricht er auf, um in Abidjan JNM: Der erste Eindruck ist der eines Ge- LL: Gute Frage, denn auch ich stelle sie mir (Elfenbeinküste) klassische Musik zu studieren. 1994 studiert er an der American School of Mo- genmodells zur gegenwärtigen Konfusion oft. Afrika ist natürlich sehr präsent, durch die dern Music in Paris, gewinnt 1999 ein Stipendium der Welt. Sprachen meines Landes, die Rhythmen, mei- für das Berklee College in Boston. 2001 wird er LL: Es ereignet sich zurzeit tatsächlich sehr nen Akzent im Französischen ... Auf dieser CD als Bewerber für das Thelonious Monk Institute of Jazz Performance in Los Angeles angenommen. In vieles, das mich zum Nachdenken anregt, vor wollte ich verschiedene Einflüsse miteinander der Jury sitzen Wayne Shorter, Terence Blanchard allem die Migrationen oder die Umweltzer- verbinden, auf natürliche Art. und Herbie Hancock. Letzterer ist so begeistert, störung. Ich suchte eine ideale Atmosphäre, JNM: Du meinst, dass bei aller Varietät der dass er den begabten Gitarristen gleich in seine Band integriert. um das Projekt so zu gestalten und in aller Rhythmen die eigene Persönlichkeit hinter 2003 Album-Debut mit Terence Blanchard auf Ruhe eine gewaltlose, aber starke Botschaft diesen Songs vorgeht. ”Bouce”, 2004 erstes persönliches Album ”Incan- zu senden. LL: Ja, danke, darum geht es. Bei allem, was tation”, 2005 ”In A Trance” sowie ”Gilfema” mit Ferenc Nemeth und Massimo Biolcati, dem Trio, JNM: Der Einstieg in die ”Reise” ist das ich tue, trotz aller Einflüsse, will ich immer ich mit dem Loueke bis heute unterwegs ist. 2007 mit rhythmisch vertrackte Stück ”Bouriyan”. selbst bleiben, ob ich mit Hancock, Corea Herbie Hancock: ”River: The Joni Letters”, 2008 LL: ”Bouriyan” ist in etwa der Karneval von oder Sting spiele. ”Karibu”, erstes Album auf Blue Note, notabene mit Hancock und Shorter als Gästen. 2008 und Ouidah, einer Stadt in Benin, die durch die JNM: In Benin spricht man über 50 Spra- 2009 von Down Beat zum Rising Star gekürt. Drei Rückkehr von Sklaven einen starken brasilia- chen und Dialekte. Welche verwendest du weitere Alben für Blue Note, ”Mwaliko” (2010), nischen Einfluss erhielt. Meine Mutter – ur- auf dieser CD? ”Heritage” (2012) und ”Gaïa” (2015) sowie ”Virgin Forest” (Obliqsound). Unzählige Zusammenarbei- sprünglich eine Monteiro – kommt aus dieser LL: Meine Muttersprache ist Fon, dann spre- ten, von Angélique Kidjo über Joe Lovano bis Dave Stadt, in der es Namen wie Santos und San- che ich Mina als zweite Sprache und verste- Holland. Allein 2017 und 2018 sind über ein Dut- zend CDs mit Beteiligung des Gitarristen erschie- tana gibt und wo die Leute eine eigene Samba he ein wenig Yoruba. Manchmal schreibe ich nen, darunter auch das Doppelalbum ”Chinese spielen. Man trägt Masken und spielt brasi- einen Text, den ich dann weglassen muss, Butterfly” mit Chick Corea & Steve Gadd. Seit lianische Proto-Rhythmen. Über diese Rück- weil er nicht mit der Melodie zusammenpasst. 2018 unterrichtet Lionel Loueke am Jazzcampus in Basel. kehr der widerspenstigen Sklaven im 18. und Der Fon ist weniger flexibel als andere Spra- www.lionelloueke.com 19. Jahrhundert redet man zu wenig. chen Afrikas wie etwa das Swahili. Deshalb 32 JAZZ JNM_01_19_32-33_Loueke.indd 32 26.12.18 18:37 PORTRAIT tions on Vi Gnin“, wo ich nur mit der Lautstär- ke spiele. J NM: Auf der Seite der afrikanischen Ein- flüsse sind es wohl die immer wieder ande- ren Rhythmen. LL: Ja, es hat ganz verschiedene darunter. Ich habe einen guten persönlichen Freund aus Benin geholt, den Perkussionisten Christi Joza Orisha, der auf ”Mandé” beginnt, und in der Mitte kommt der Peul-Flötenspieler Dramane Dembélé. Solche Musiker findet man nur in Afrika. ”Bouriyan” ist übrigens kein geschrie- benes Stück, sondern wurde im Studio impro- visiert. JNM: Du unterrichtest seit gut einem Jahr am Jazzcampus Basel. Hast du dort Aufla- gen? LL: Nein, gar nicht. Mein Fokus ist der, das Maximum zu geben. Ich unterrichte die Schü- ler einzeln, damit sie eine individuelle Ent- wicklung machen können. Ich unterrichte auch in zwei Ateliers Gruppen zu je fünf Schülern. Mit ihnen teile ich die Basis des Jazz, Har- monien und so weiter, dann bringe ich ihnen viele Rhythmen bei. Dabei bringe ich meine Recherchen ein, in Europa, Afrika. Es ist ein Glück, gleichzeitig zu experimentieren, zu un- terrichten und zu lernen. Alles ist offen, wie der Jazz. JNM: Deine Recherchen sind dank einer App auch für ein breiteres Publikum zu- gänglich. LL: Ich habe die App ”GuitAfrica” gegründet. Dabei konzentriere ich mich auf jedes ein- zelne der rund 50 Länder Afrikas. Bisher habe ich 23 erarbeitet. Dabei recherchiere ich in jedem Land, studiere die Rhythmen und die Stilarten, um sie auf die Gitarre zu übertragen. JNM: Was macht das Besondere dieser Re- cherchen aus? INDMÜLLER W LL: Die Schwierigkeit ist, dass die afrikani- schen Musiker meist keine Noten lesen kön- nen und andererseits die Transkriptionen der wenigen Spezialisten aus Europa und Ame - FOTO: PEEWEE FOTO: rika oft nicht der Wirklichkeit entsprechen. Ausserdem gibt es keine Bibliothek, keinen JNM: ”Vivi” ist wieder in Fon? träume davon, eine Gitarre und eine Cora Ort, wo man sich über afrikanische Musiktra- LL: Ja. Das ist nicht ganz einfach zu beschrei- (westafrikanische Stegharfe) zu vereinen.