SWR2 MusikGlobal - die Seele der Volksmusik Okinawa's auf drei Saiten Von Johannes S. Sistermanns

Sendung: Dienstag, 15. Januar 2019 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2019

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Autor Heute: Sanshin – die Seele der Volksmusik Okinawa’s auf drei Saiten Am Mikrofon begrüßt Johannes S. Sistermanns

Musik 1 Yutakara-bushi 4’22 Sanshin, Stimme (männl.): Nakasone, Hajime Traditionell

Autor Das ist der Klang der Sanshin. Ein Saiteninstrument, welches auf der im Süden vorgelagerten Insel Okinawa gespielt wird. Im restlichen kennt man dieses dreisaitige Saiteninstrument unter dem Namen . Und vor allem gilt die Sanshin auf Okinawa als die Seele der Volksmusik. Technik: Autor 1 über Musik 1 blenden bei

Autor Neben traditioneller Spielweise mit herkömmlichen Solo-Kompositionen für dieses Instrument wird die Sanshin als Begleitinstrument der Gesangsstimme gespielt. Zusätzlich hat sie sowohl Eingang gefunden in Chormusik- Kompositionen wie auch in gegenwärtige Popmusik zusammen mit Genre überschreitenden Klangkonzepten. In Vorbereitung zu dieser Sendung habe ich mich auch in CD-Läden in Kyoto nach Sanshin Aufnahmen umgesehen und urplötzlich entpuppt sich der Ladeninhaber selbst als Sanshin-Spieler und ich konnte seinen Gesang aufnehmen. Zudem konnte ich Texte von zwei Liedern in der Originalsprache Okinawa’s von der Japanerin Mika Mochizuki gesprochen aufnehmen. Hiervon werden wir in der Sendung einige Beispiele hören.

Okinawa liegt südlich von Japan im ostchinesischen Meer, Okinawa besteht aus 161 kleinen Inseln und ist ca. 1300 km von Tokyo entfernt.

Die nächste Musik trägt den Titel ‚Tooshin do-i und führt uns in den Naturraum Okinawa’s und in die hierin verklingenden Stimmen, Trommeln und . Denn es ist auch das Klima dieser Insel, welches einlädt, die Musikdarbietungen nach draußen zu verlegen. Da Okinawa ein subtropischer Inselverbund ist, hat man das ganze Jahr über relativ mildes Klima und eine immer-grüne Vegetation. Im Winter wird es kaum kälter als 15° C und im Sommer steigen die Temperaturen auf knapp über 30° C an. Die gemessene Temperatur ist also nicht so extrem hoch wie vergleichsweise auf dem Festland, doch die hohe Luftfeuchtigkeit macht die Hitze dafür umso drückender.

‚Tooshin do-i’ ist der Titel der nächsten Musik, ein bewegter Chorgesang, gemischt mit dem spröden Klang der mit einem Plektron angerissenen Sanshin-Saiten

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Musik 2 Tooshin do-i 4:07 Sanshin, Chor Traditionell

Autor Die dreisaitige Sanshin ist so etwas wie die Quintessenz okinawischer Musikinstrumente. Das Instrument ist bereits seit einigen Jahrhunderten von zentraler Bedeutung für das Volk der Ryukyuans auf Okinawa. „Die Ryūkyūans sind eine Gruppe indigener Völker, die im Ryūkyū-Archipel leben, das sich südwestlich der japanischen Hauptinsel Kyūshū in Richtung Taiwan erstreckt. Die größte und bevölkerungsreichste Insel der Inselgruppe, die Okinawa-Insel, liegt tatsächlich näher an Manila, Taipei, Shanghai und Seoul als an Tokio. Obwohl von den Japanern dort ein Dialekt gesprochen wird, sprechen die Ryūkyūans verschiedene Sprachen wie Okinawan, auch bekannt als Uchinaguchi. Diese Sprache ist auch Teil der japanischen Sprachfamilie und von der UNESCO als gefährdete Sprache anerkannt.“ Quelle: https://minorityrights.org/minorities/ryukyuans-okinawans/ Die auf Okinawa als Langhalslaute bezeichnete Sanshin wird auf der japanischen Haupt-Insel, auf der Tokyo, Kyoto und Osaka liegen, Shamisen genannt. Die Shamisen gehört neben der Nōkan, der , der , der Biwa und dem zu den traditionellen Musikinstrumenten Japans. Die Sanshin basiert auf der chinesischen dreisaitigen Laute ‚’, die Ende des 16. Jahrhunderts von auf die Ryūkyū-Inseln kam, von denen Okinawa nur eine Insel ist. Ihr Weg führte dann weiter auf die japanische Insel. Hier entwickelte sich das Instrument unter der Bezeichnung Shamisen weiter. Der Korpus ist immer aus Holz und wird von beiden Saiten mit einer Haut überspannt. Auf Okinawa ist der Korpus noch mit einer Schlangenhaut überspannt, während er in Japan dann wahlweise mit einer Katzen- bzw. Hundehaut bespannt wird, das erzeugt einen brillanteren Ton.

Die Sanshin gilt als die Seele der Volksmusik Okinawas, das "Herz" der Ryukyu-Leute. Es ist für Okinawa, was die Gitarre für die westliche Welt ist, die Ukulele für Hawaii oder das 5-saitige für den amerikanischen Süden. Gespielt von jungen Leuten im Alter von zwei Jahren bis zu den Ältesten mit 100 Jahren oder mehr gibt es in den meisten Häusern in Okinawa eine Sanshin. Das Instrument steht bei kleinen Familienfeiern, Hochzeiten, Geburtstagen, Gemeinschaftsfeiern und Festen immer im Mittelpunkt. Die Sanshin genießt in der Ryukyu-Kultur ein hohes Ansehen. In der Überlieferung heißt es, dass man das Instrument oft als ein Fahrzeug betrachtet, welches die Stimme der Gottheiten trägt. Und es wird häufig selbst als eine Gottheit betrachtet. Die Sanshin hat im Allgemeinen eine Lebensdauer von mehr als einem Menschenleben - sie ist ein Instrument des Vermächtnisses - und die Instrumente werden oft von Generation zu Generation in einer Familie weitergegeben.

Sie steht dort fast in jedem Haushalt. Nur drei Saiten werden gespielt. In den Aufnahmen hören Sie häufig den Meereswind, eine weite Strandatmosphäre, das Atmen eines verehrten Naturraumes. All das sind akustische Lebensräume, die sowohl das Instrument als auch die Menschen miteinander teilen. Eine

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Haltung, die auch im restlichen Japan bereits im Shintoismus anzutreffen ist: den Menschen gilt ALLES als beseelt, demzufolge verehrungswürdig und es wird mit großem Respekt von der Sanshin gesprochen, wie überhaupt die Schöpfung und das menschlichen Handeln Respekt verdienen.

So ist der nächste Song – ‚Amakaa’ – von einer CD, die den Titel ‚Uchina’ trägt, was soviel heißt wie ‚zu Hause’ oder auch ‚Heim’. Der Titel ‚Amakaa’ ist weitläufig mit ‚Sommersonnenwende, südlicher Wind’ zu übersetzen.

Musik 3 Amakaa 3:38 Sanshin Traditionelle Musik Traditionell

Autor Ich befinde mich weiter auf der Suche nach ausgefallenen Musikproduktionen mit dem Saiteninstrument Sanshin und neuen instrumentalen Mischungen sowie Formaten. In Kyoto gehe ich in einen hierfür angeblich prädestinierten CD Laden. Noch Während mir der Verkäufer einige CDs und eine Schallplatte auf den Verkaufstisch legt, ich mich stöbernd hierin versenke, erklingt auf einmal eine originale Sanshin hinter der Ladentheke. Es ist der Verkäufer selbst, der sich als Besitzer entpuppt und selbst die Sanshin an jedem Wochenende auf einem anderen Musikfest mit Kollegen spielt. Hier gibt mir Akio Sakamoto auf seiner Sanshin mit dem Titel ‚Ashibi Nakafu’ eine Kostprobe seines Spiels.

Musik 4 Ashibi Nakafu (Privataufn. Akio Sakamoto) 1:46 Akio Sakamoto, Sanshin Traditionell

O-Ton 1 Gespräch Akio Sakamoto – Sistermanns 0:15 ‚Wonderful . . . Okinawa too’

Autor English gehört nicht zu seiner zweiten Sprache, erklärt mir Akio Sakamoto, dem Interpreten des Titels Ashibi Nakafu, dem er hier Stimme und Sanshin geliehen hat. Es ist ein Liebessong von Okinawa. Der Liebe und der häufig zelebrierten Lebensfreude scheinen viele der Sanshin- Songs gewidmet zu sein. Parallel dazu, dass angeblich die Männer auf Okinawa nicht soviel und hart arbeiten wie die Frauen, strahlen die Menschen in ihren Liedern häufig ein persönliches LebensGlück aus. Das Klima tut das Seine dazu, dass die Songs positiv und lebensbejahend swingen, wie mir die japanische Sängerin Mika Mochizuki sagt:

O-Ton 2 Gespräch Mika Mochizuki - Sistermanns 1:09 ‚Okinawa people feel happy . . . I don’t know.’

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Autor Futami Yiowa Neben dem Ausdruck in der Musik von großer Lebenslust gibt es auch eine Tragödie, die vielfach besungen wird. Darin erweist sich die Sanshin als Musikinstrument als die standhafte Konstante, die am Ende dieser Tragödie die Trennung eines Paares voneinander im Zweiten Weltkrieg überlebt und das Leid überwinden hilft. Es ist eine Geschichte vom "Herrn und Frau Sanshin“. Das Liebespaar wird hier symbolisiert von zwei Sanshin-Instrumenten, aus demselben Kern des okinawischen Ebenholzbaumes hergestellt. Sie waren bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs ein Paar. Zum Kriegsbeginn wurde der Ehemann zum Militärdienst gezwungen und musste daher seine Frau und sein Zuhause verlassen. Das Ehepaar ‚Sanshin’, die Seele des Paares selbst, war während der Kriegshandlungen in großer Gefahr, einander zu verlieren. Ein Großteil der bewohnten Hauptinseln wurde zerstört und fast die Hälfte der einheimischen Bevölkerung ausgelöscht. Noch bevor er zum Militär ging, wickelte der Mann die Sanshin ein, in der Absicht, sowohl die Sanshin unverletzt nach dem Krieg weiterspielen zu können wie auch sich als Ehepaar nicht zu verlieren. Er steckte sie in eine Holzkiste und begrub sie tief im okinawanischen Wald. Später wurde die Sanshin ausgegraben und in ihre rechtmäßige Wohnung zurückgebracht, nachdem sie den gewaltsamen Krieg überstanden hatte. Sie wird derzeit vom Sohn des Paares bewahrt. Mika Mochizuki spricht den okinawischen Originaltext dieser gesungenen Tragödie, die den Titel ‚Futami Jowa’ trägt.

O-Ton 3 ‚Futami Jowa’ Mika Mochizuki 1:38 ‚Futami yarabia . . . Futami yo’ + Titel ‚Futami Jowa’ Technik: von 0:42 – 2:33

Musik 5 Futami Jowa 4:24 Horiuchi Kanako, Sanshin Misako Oshiro, Gesang Traditional CD: Chimu Churasa – connect with people Big Mouth Records 007 (http://aikanaumui.ti-da.net/)

Autor Als nächstes kommen wir zur Rinken Band, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass der Sound der Musik von Okinawa weltweit populär geworden ist. Die Rinken Band gründete sich bereits 1985. Der Gründer von Rinken Band, Rinken Teruya, ist der Sohn eines bereits bekannten Volksmusikkünstlers auf Okinawa gewesen. Seine Rinken Band ist ein Schmelztiegel aus Volksmusik und Pop in der Eisa Tradition und die Musiker agieren in Balladen und tanzbaren Sounds. Das jährlich stattfindende ‚All Okinawa Eisa Festival’ ist ein sehr bekanntes Sommerfestival auf Okinawa, in dem traditionelle Trommeln, Gesänge gespielt werden und sich die Straßen mit Tänzern und Trommlern füllen. Hier dominiert ein unaufhörlicher Gesang, der von Musikern und den Besuchern gemeinsam genossen wird.

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Das ausgewählte Musikstück von ihrer ‚Best of’ Cd heißt ‚Wâttâ tan-me’, übersetzt: ‚Unser Großvater ’ und besingt den feierlich begangenen Geburtstag des Großvaters als ein ausgelassenes Tanzfest.

O-Ton 4 ‚Watta tan-me’ Mika Mochizuki 1:27 ‚Wâttâ tan-me . . . oji san’ Technik: von 0:43 – 2:17

Musik 6 Watta tan-me 3:08 Rinken Band Traditionell CD: Rinken Band Eisa Special Label: Rinken 2025

Autor ‚Wâttâ tan-me’ heißt dieses Stück Chormusik mit traditionellen Trommeln. Auffallend ist, dass Musiker hierin nicht nur ihre Instrumente spielen, sondern häufig auch mittendrin Pfeifen. Ich frage Mika Mochizuki nach der Funktion des Pfeifens in der Musik.

O-Ton 5 Pfeifen in der Musik - Mika Mochizuki 0:17 ‚I guess happy, feel happy . . . something old fashion’

Autor Mika Mochizuki sagt, dass dies ein Ausdruck von Glück und guter Energie sei. Zu pfeifen, wenn man Glück empfindet, ist schon sehr verbreitet, aber doch gleichzeitig auch eine alte Verhaltensweise. Nach soviel traditionellen Spielarten kann man neugierig werden auf neue musikalische Sphären und Ensemblekombinationen mit Stimme, Saxophon und elektroakustischer Musik. Dem möchte ich den Rest der Sendung widmen. Denn in der Wandlungsfähigkeit eines Instrumentes ist auch immer seine vielfältige Bedeutung und Assimilation auf unser aktuelles Leben und Wahrnehmen ablesbar.

Mit dem nächsten Stück ‚Musume Jintoyo’ hören wir Yoriko Ganeko als eine bekannte Sängerin des Okinawa-Stils. Aufgewachsen auf der Insel Okinawa, lernt sie diesen als Minyo bezeichneten Gesang von ihrem Vater. Der Gitarrist Chuei Yoshikawa hat mit vielen japanischen Pop-Künstlern gearbeitet und zahlreiche Soloalbern herausgebracht. Die beiden trafen sich zum ersten Mal 1995 für Aufnahmen und treten seither immer wieder zusammen auf. Dabei steht ihre Musik in der Okinawa-Tradition und öffnet sich westlichen Einflüssen wie in ‚Musume Jintoyo’ der Akustikgitarre.

Musik 7 Musume Jintoyo 2:54 Yoriko Ganeko, Stimme, Sanshin Chuei Yoshikawa Gitarre Traditionell

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Autor Gesampelte Rhythmen, Fieldrecordings, Noise Music, verhallte Gesangsstimme. Das sind die Ingredienzien dieses aktuellen und für viele sicher auch zeitgenössischen Okinawa Sounds in ‚Haimuru Bushi’.

Musik 8 Haimuru Bushi 6:27 Churashima Navigator Traditional CD: Life is treasure Budryukyu Label 2017 br-003

Autor Die nächste zeitgenössische Klangproduktion der Gruppe CHURASHIMA NAVIGATOR aus Okinawa könnte der Anfang eines Hörspiels sein, wenn dann nicht hieraus langsam doch wieder ein tanzbarer 4/4 Rhythmus inklusive Pfeifen wird. Dazu: rückwärts ablaufenden Instrumental-Sounds plus aufwendiger elektronischer Rhythmus-Maschinerie, die sich über diesen akustisch zunächst vielversprechenden Anfang zu legen beginnt. So trommelt und grooved es sich dann in den Schluss hinein, einzelne Sanshinanklänge tauchen noch auf. Hier wird die Sanshin schlicht zum Rhythmusgeber degradiert und rauht den Raum in halliger Entfernung noch einige Male auf.

Musik 9 Mo’Ashibi 4:28 Churashima Navigator Traditional CD: Life is treasure Budryukyu Label 2017 br-003

Autor Wenn die Sanshin seelischer Ausdruck der Volksmusik Okinawa’s ist, wie hört sich dann die Klangsprache des nächsten Gesangsstückes an? Der Sanshin Spieler Akio Sakamoto spricht diesen Text in Auszügen über die letzte Musik dieser Sendung mit dem Titel ‚Nudi Ashibama’.

Musik 10 Nudi Ashibama 5:18 Traditional CD: Chimu Churasa – connect with people Big Mouth Records 00http://aikanaumui.ti-da.net/

Technik: O-Ton 6 ab 3’30 – 4’10 Absage über letztem Titel O-Ton 6 (parallel über Musik 10 einblenden) Text-Auszüge Nudi Ashibama - Akio Sakamoto 0:42 ‚Nudi Ashibama . . . aowa ’ Technik: von 0:27 – 1:12

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Autor In SWR 2 MusikGlobal hörten Sie heute: Sanshin – die Seele der Volksmusik Okinawa’s auf drei Saiten

Ton und Technik: Ester Zoller Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Interview und am Mikrofon: Johannes S. Sistermanns

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