Schett erkannte die Bedeutung der Entdeckung Neukirchen am Großvenediger der Landschaft und die zunehmende Popularität in der Zeit vor der Gründung des Alpin-Tourismus für Neukirchen und für die 1 Region Oberpinzgau und versuchte, das Interesse der Spar- und Darlehenskasse in- und ausländischer Gäste an der schönen Gegend durch die Einrichtung touristischer Attraktionen Voraussetzungen - Rahmenbedingungen (z. B. Errichtung der 1871 zerstörten Kürsingerhütte als zeitgemäßes Schutzhaus für Alpinisten 1875, Seit vielen Jahrzehnten ist die Raiffeisenbank Beteiligung am Bau des Krimmler Wasserfallweges, Markt Neukirchen ein unverzichtbarer, starker Bau eines Weges ins Obersulzbachtal, Bau des 1 und verantwortungsbewusster Partner in Wildkogelhauses 1898, u. v. m. ) zu fördern. einer der wirtschaftlich stärksten Gemeinden Der Bau der von des Oberpinzgaus – im Markt Neukirchen am bis Krimml 1898 beschleunigte diese Entwicklung Großvenediger. Sie trägt den Aufschwung im und rückte den bis dahin von Zell am See aus nur Tourismus, im Handel und Gewerbe mit, der die zu Fuß oder mit dem Pferdewagen erreichbaren Marktgemeinde und seine Bewohner ins Dritte Sommerurlaubsort mit einer Eisenbahnstation in Jahrtausend begleitet hat. räumliche und zeitliche Nähe bergbegeisterter Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war Neukirchen Alpinisten und bald auch Natur liebender ein kleiner, relativ unbekannter und von der Touristen. Die Regionalwirtschaft profi tierte von Landwirtschaft geprägter Ort im oberen Salzachtal, der zusätzlichen Nachfrage, die von außen in den dessen Name erstmals im Hochmittelalter Eingang Ort hinein getragen wurde und so manchem zu in die Urkunden fand. Ab den Siebziger Jahren des einem bescheidenen Wohlstand verhalf. Im Ort 19. Jahrhunderts begann sich ein langsam aber konnte sich dadurch bis zur Jahrhundertwende kontinuierlich voranschreitender Aufschwung ein blühendes Gemeinwesen und eine rege zu vollziehen, der zu einem großen Teil dem Gewerbetätigkeit entwickeln. Engagement des Postmeisters von Neukirchen, Albert Schett, zu verdanken war. Gemeindearchiv (GA) Neukirchen a. Grv.; S. Unterwurzacher / F. Brunner S. Unterwurzacher / F. Gemeindearchiv (GA) Neukirchen a. Grv.; 1 - Neukirchen am Großvenediger in der Zeit vor der Gründung der Spar- und Darlehenskasse 1 - Neukirchen am Großvenediger in der Zeit vor Gründung Spar- Neukirchen am Großvenediger im Jahr 1903

8 Auf rund 1140 Einwohner um 1900 kamen acht Für Neukirchen war das erste Jahrzehnt Gasthöfe, fünf Krämer, zwei Bäcker, zwei Metzger, des 20. Jahrhunderts eine gute Zeit, in der ge- ein Weber, drei Schneider, vier Schuhmacher, schickte Geschäftsleute zielstrebig die Bekanntheit ein Lederer, drei Schmiede, zwei Tischler u. v. des Großvenedigers und der Sulzbachtäler zu m., die Einheimische und Gäste mit Nahrung, nutzen wussten, um eine kleine Kapital- und Unterkunft und selbst produzierten Waren Vermögensbasis zu bilden. Die Eröffnung einer versorgten.2 Eine Freiwillige Feuerwehr und eine Spar- und Darlehensgenossenschaft war unter Musikkapelle belebten das Gemeinschaftsleben, diesen Umständen nur mehr eine Frage der Zeit. ein Verschönerungsverein bemühte sich um Nach einer ersten Gründungswelle von Raiffeisen ein ansprechendes Ortsbild und um eine gute - Genossenschaften besonders im gebirgigen touristische Infrastruktur (Wander- und Reitwege, Landesteil des Kronlandes im letzten Bänke), und eine moderne Hochdruckleitung Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts hatten sich auch in versorgte die Häuser im Ort mit frischem den Nachbarorten Neukirchens – in Bramberg und Quellwasser. (1894), Wald (1906) und Krimml (1910) Spar- und Darlehenskassen-Vereine gebildet. Diese ehrenamtlichen Genossenschaften orientierten sich an den Grundsätzen Friedrich Wilhelm Raiffeisens (1818 – 1888), der die Idee der genossenschaftlichen Selbsthilfe entwickelte und verwirklichte, um der einkommensschwachen Bevölkerung einen Ausweg aus der bedrückenden Armut zu weisen, der aus eigener Kraft bewältigbar war.

Der am 30. März 1818 in Hamm an der Sieg im Westerwald geborene Bürgermeister mehrerer Westerwald-Gemeinden fand die Lösung in einem genossenschaftlichen Finanzierungssystem, das Bauern und dörflichen Gewerbetreibenden aus der Verschuldung half, indem es zinsgünstigen GA Neukirchen a. Grv.; S. Unterwurzacher / F. Brunner S. Unterwurzacher / F. GA Neukirchen a. Grv.; Wien. Wagner, Fotografie von Ing. Franz Pinzgauer Lokalbahn - Bahnhof Neukirchen Personalkredit zur betrieblichen Existenzsicherung und für dringend nötige Investitionen bereitstellte. So konnte der aus den Umständen der Aus den für die Armenversorgung eingerichteten Zeit heraus bedingte negative Trend in Hilfsvereinen entwickelte der Pionier einer der Landwirtschaft und im Bergwesen (in modernen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Neukirchen Schließung des Kupferbergwerkes eine Vereinsstruktur, bei der das Aufbringen im Untersulzbachtal 1864) des habsburgischen der Kapitalbasis durch die Betroffenen selbst Kronlandes Salzburg durch den Aufschwung im erfolgte. Das Kapital des Vereins bildeten die Fremdenverkehr kompensiert werden. Einlagen der Mitglieder. Aus ihrem gemeinsamen Sparaufkommen konnten Kredite und Darlehen vergeben werden.

Das Prinzip dieser auf Gegenseitigkeit be- gründeten Selbsthilfe, das auch vom persönlichen Interesse des Einzelnen getragen wurde, war eine wirksame Alternative zur Unterstützung Hilfsbedürftiger mit Spenden, die ohne Gegenleistung zu keiner nachhaltigen Änderung der Situation führte. Die Institution der Genossenschaft hingegen war ideal, um eine ganzheitliche Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen zu erreichen. GA Neukirchen a. Grv.; S. Unterwurzacher / F. Brunner S. Unterwurzacher / F. GA Neukirchen a. Grv.; Die Hausmeister der Neukirchner Hotels v. l.n.r. Nikolaus Wechselberger, 1 - Neukirchen am Großvenediger in der Zeit vor der Gründung der Spar- und Darlehenskasse 1 - Neukirchen am Großvenediger in der Zeit vor Gründung Spar- unbekannt, Fritz Gandler und Alois Hölzl erwarten die Gäste am Bahnhof

9 Kleine, lokale, wirtschaftlich unabhängige Struk- turen, gemeinschaftliches Handeln und der Die Gründung im Jahr 1911 individuelle Vorteil für das einzelne Mitglied 3 bildeten die Basis eines funktionierenden und das erste Geschäftsjahr 2 Geldkreislaufes, in dem regionale Wertschöpfung lokal wieder nutzbringender Verwendung zu- Am 14. Mai 1911 folgten die örtlichen Honoratioren geführt wurde. und Wirtschaftsträger dem Ruf des Bürgermeisters Die Einzahler und Kreditnehmer waren durch von Neukirchen, Peter Gaßner, Schütthofbauer ihre Mitgliedschaft bei der Genossenschaft und fanden sich im Gasthof Kammerlander, mit unbeschränkter Haftung Eigentümer dem heutigen Hotel Kammerlander im Ortskern und Haftungsträger zugleich. zusammen. Die Initiative zur Gründung einer genossen- Sechsunddreißig interessierte Bauern, Handwerker schaftlichen Spar- und Darlehenskasse erfolgte und Gewerbetreibende ließen sich vom in Neukirchen im direkten Vergleich mit den Bürgermeister für die Idee eines ehrenamtlich Nachbargemeinden verhältnismäßig spät. betriebenen Vereins begeistern, der Sparkapital Schon um 1900 existierten im Pinzgau fünfzehn mobilisieren und in Form zinsgünstiger Genossenschaften, die die Raiffeisen-Idee Personalkredite für die Mitglieder verfügbar aufgegriffen hatten, um den existenzbedrohenden machen sollte. Die Frage der Sinnhaftigkeit Druck zu lindern, der durch Absatzprobleme in einer derartigen Institution stellte sich den der Landwirtschaft und durch die Auswirkungen Versammlungsteilnehmern zu diesem Zeitpunkt der Industrialisierung auf der ländlichen nicht mehr, weil für sie die positive Wirkung von Bevölkerung lastete. Besonders bei den Raiffeisenkassen auf lokale Wirtschaftskreisläufe Bergbauern bestand eine Tendenz zur Verarmung. aus dem näheren regionalen Umfeld längst klar erkennbar war. In dieser ersten und Das traditionelle Gewerbe wiederum wurde vom Protokollführer Josef Ortner schriftlich durch die Transportleistung der Eisenbahn in festgehaltenen Vollversammlung unter dem seinen bisherigen Geschäftsfeldern eingeschränkt. Vorsitz von Peter Gaßner fassten die Versammelten Neukirchen war jedoch ein Fremdenverkehrsort den Beschluss zur Gründung einer Raiffeisen - 4 der ersten Stunde, der dadurch trotz zeitlich Genossenschaft für Neukirchen. begrenzter Sommersaison einen positiven wirt- schaftlichen Wachstumseffekt verspürte. Die fi nanzielle Lage der Dorfbewohner war weniger angespannt als die in Gemeinden ohne touristische Erschließung. So etablierte sich das Genossenschaftssystem Raiffeisens in Neukirchen nicht aufgrund einer aus großer Armut entstandenen dringenden Bedarfslage, sondern aufgrund der Effi zienz und Aktualität dieser modernen, genossenschaftlichen Institution, die Synergien zum Nutzen aller Beteiligten schuf und für die lokale Entwicklung Fortschritt bedeutete. Im Jahr 1911 sollte dieser Fortschritt mit der Gründung eines Spar- und Darlehenskassenvereines mit unbeschränkter Haftung in Neukirchen einziehen. Raiffeisenbank Markt Neukirchen a. Grv.; Markt Neukirchen a. Grv.; Raiffeisenbank

Bürgermeister Peter Gaßner - Schiedhofbauer, Initiator der Gründung einer Spar- und Darlehenskasse, erster Obmann des Spar- und 2 - Neukirchen in der Zeit vor der Gründung der Spar- und Darlehenskasse 2 - Neukirchen in der Zeit vor Gründung Spar- Darlehenskassen-Vereins für Neukirchen.

10 Dazu mussten zunächst die für die Geschäfts- Die Verwaltungsarbeit tätigkeit notwendigen Organe, ein Vorstand, ein und Kassenführung Aufsichtsrat und ein Zahlmeister, gewählt werden. übernahmen in der Während der Vorstand die geschäftspolitischen Anfangszeit der Raiff- Entscheidungen traf, fungierte der Aufsichtsrat eisen- Genossenschaften als internes Kontrollorgan, das nur dann im meist Pfarrer oder Geschäft mitentschied, wenn die durch die Lehrer. Vollversammlung festgelegten Befugnisse des In der Gründungsver- Vorstandes überschritten waren. Der Zahlmeister sammlung des Spar- war für die Buch- und Kassenführung des Vereins und Darlehenskassen- verantwortlich. Für seinen Aufwand sah man ein vereins für Neukirchen jährliches Entgelt als Entschädigung vor. Diese wurde der Kooperator

ersten und für die Vereinsgründung entscheidenden Markt Neukirchen a. Grv.; Raiffeisenbank Anton Baumann zum Wahlen brachten folgendes Ergebnis: Vorsitzender des Aufsichtsrates ersten Zahlmeister Karl Brunnschmied, Pfarrer in Neukirchen gewählt. Vorstand: Er erhielt für seine nebenberufl iche Tätigkeit im Dienst des Vereins Obmann: Peter Gaßner, Schütthofbauer, Ortsteil eine jährliche Entschädigung von 120 Kronen(K), Sulzau; die nach dem ersten Geschäftsjahr seinem tatsächlichen Arbeitsaufwand angepasst wurde. Obmann-Stellvertreter: Matthias Fankhauser, Bamerbauer, Ortsteil Rossberg; Laut gesetzlicher Vorgabe war die Kasse der Rechnungskontrolle des Salzburger Landes- Vorstandsmitglieder: ausschusses (Landesregierung) unterstellt. Dieser Jakob Hotter, Sägewerksbesitzer, Ortsteil Rosental; förderte die Gründung von Raiffeisenkassen Anton Huber, Gastwirt Rosentalwirt, Ortsteil im Kronland Salzburg mit Subventionen, die Rosental; bei der Aufl ösung der Genossenschaft wieder Isidor Kammerlander, Gastwirt Gasthof zurückgezahlt werden mussten. Die Spar- und Kammerlander, Neukirchen Ort; Darlehenskasse für Neukirchen erhielt eine Subvention von 250 Kronen, die die Aufnahme Aufsichtsrat: des Geschäftsbetriebes in der schwierigen Anfangsphase erleichtern sollte.5 Die Mitgliedschaft Vorsitzender: Karl Brunnschmied, Pfarrer in in der Genossenschaft erhielt man durch die Neukirchen; Einzahlung von Geschäftsanteilen. Sie berechtigte jedes Mitglied zum Empfang von Darlehen und Stellvertreter: Josef Kaiser, Stockerbauer, Krediten. Gleichzeitig war mit der Mitgliedschaft Neukirchen Ort; aber auch das Prinzip der unbeschränkten Haftung verbunden, das heißt, dass jedes Mitglied mit Aufsichtsratsmitglieder: seinem Geschäftsanteil und mit seinem gesamten Peter Kaiser, Gastwirt Samerhofwirt, Neukirchen Vermögen unbeschränkt für die Genossenschaft Ort; haftete. Die Höhe eines Geschäftsanteils wurde Josef Kolmer, Gendarmerie Postenkommandant in in der Gründungsversammlung mit 20 Kronen Ruhe, Neukirchen Ort; festgelegt. Dieser Betrag konnte zur Gänze oder Kajetan Nußbaumer, Schustermeister, Neukirchen in monatlichen Teilzahlungsraten eingezahlt Ort; werden. Zum Vergleich betrug der Preis für 1 kg Thomas Scharler, Abelhofbauer, Ortsteil Rossberg; Brot in Österreich zwischen 1900 und 1920 ca. 0,26 Kronen = 26 Heller (h). Sparguthaben konnten Die gesellschaftliche Zusammensetzung der unabhängig von der Mitgliedschaft bei der Kasse Funktionäre entsprach der sozialen Struktur der eingelegt werden. führenden Persönlichkeiten in der Gemeinde. Die Inhaberschaft eines Sparbuchs berechtigte Die Entscheidungsträger im Ort und im Spar- allerdings nicht zur Inanspruchnahme von und Darlehenskassenverein waren Landwirte, Darlehen. Gastwirte, Gewerbetreibende und Beamte. 2 - Die Gründung und das erste Geschäftsjahr

11 2 - Die Gründung und das erste Geschäftsjahr

12 Der in der Gründungsversammlung fixierte Höchstbetrag für die Spareinlage eines Einlegers lag bei 20.000 Kronen, der Mindestbetrag bei einer Krone. Damit versuchte man, die Veranlagung von Großkapital oder von sehr kleinen Guthaben zu reglementieren. Je nach Höhe des Sparguthabens sah man für die Auszahlung bestimmte Kündigungsfristen vor, mit denen man für die Erhaltung der Liquidität der Kasse sorgte:6

Höhe des Sparguthabens in Kronen Kündigungsfrist für die Auszahlung Raiffeisenbank Markt Neukirchen a. Grv.; Markt Neukirchen a. Grv.; Raiffeisenbank Bis 500 Kronen fristlos Die Gemeindekanzlei beim Stockerbauer beherbergte das 500 - 1000 Kronen 8 Tage Geschäftslokal des Spar- und Darlehenskassen-Vereines Neukirchen 1000 - 2000 Kronen 14 Tage Dazu begab man sich in die Gemeindekanzlei beim 2000 - 5000 Kronen 1 Monat Stockerbauer (im Ortszentrum neben dem heutigen Über 5000 Kronen 2 Monate Bankgebäude), die in einer Doppelfunktion als öffentliche Einrichtung auch das Geschäftslokal Der Zinsfuß für Spareinlagen wurde mit 4 % per des Spar- und Darlehensvereins beherbergte. Dort anno festgelegt. fanden sich am Sonntag Vormittag der Zahlmeister, Entscheidend für das Aktivgeschäft war die der Obmann oder Obmann-Stellvertreter und ein Festlegung des Höchstbetrages für Darlehen. weiteres Vorstandsmitglied ein, um Mitglieder und Dabei setzte die Vollversammlung keine absolute Kunden ihren Dienst zu erweisen. Grenze fest, sondern definierte mit 4000 Kronen Im ersten Geschäftsjahr trat der Vorstand bereits jene maximale Darlehens- oder Kredithöhe, die zwölfmal zu Sitzungen zusammen, um alle der Vorstand autonom, also ohne Hinzuziehung für einen erfolgreichen Betrieb erforderlichen der Vereinsorgane des Aufsichtsrates und der Voraussetzungen (interne Vorschriften für die Vollversammlung, gewähren konnte. Der Zinsfuß Geschäftstätigkeit, Öffnungszeiten) zu regeln und für Darlehen wurde mit 4 ½ % per anno festgelegt. gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. Zu den Das ergab eine geringe Zinsspanne von ½ %, die grundsätzlichen Aufgaben des Vorstandes gehörte ganz der Unternehmensphilosophie der Raiffeisen- außerdem die Aufnahme neuer Mitglieder und die Genossenschaften jener Zeit entsprach. Behandlung von Darlehens-Ansuchen, während der Am 10. Juni 1911 erfolgte die Eintragung des Aufsichtsrat über diese Aktivitäten die Kontrolle neuen Vereins ins Genossenschaftsregister des durchführte. k.k. Landes- und Handelsgerichts in Salzburg. Am Ende des Jahres 2011 konnte der Spar- und Die offizielle Firmenbezeichnung lautete ab nun Darlehenskassen Verein Neukirchen mit Stolz auf Spar- und Darlehenskassen-Verein für Neukirchen einen erfolgreichen Geschäftsstart zurückblicken. im Pinzgau, registrierte Genossenschaft mit Die Mitgliederzahl war von sechsundreißig unbeschränkter Haftung. Im offiziellen Namen Gründungsmitgliedern auf dreiundvierzig Mit- waren auch Aufgaben und Zielsetzungen der glieder angewachsen. Jedes Mitglied zeichnete Geschäftstätigkeit sowie das Geschäftsgebiet mit einen Geschäftsanteil, sodass die Summe der einer konkreten Bindung an Neukirchen definiert. einliegenden Geschäftsanteile einen Betrag von Die grundsätzlichen Voraussetzungen für die 840 Kronen ergab. Zu Jahresende 2011 erreichten Eröffnung einer Spar- und Darlehenskasse waren die Spareinlagen einen Stand von 20.467 Kronen in der Theorie geschaffen – in der Praxis erforderte 58 Heller, die Summe aller Ausleihungen betrug die Aufnahme des Geschäftsbetriebes und die mit 11.800 Kronen etwas mehr als die Hälfte.7 Führung der Geschäfte von allen Beteiligten noch Dieser beachtliche Spareinlagenzufluss spiegelte sehr viel Einsatz und Engagement. das Vertrauen der Bevölkerung in die neue Institution wider und war Ausdruck der guten Wie zu jener Zeit üblich, richtete man die Spar- Wirtschaftslage in Neukirchen. Die Raiffeisen- und Darlehenskasse Neukirchen als Sonntagskasse Gemeinschaft verfügte nun über eine materielle ein. Am Sonntag nahmen sich die Menschen Zeit, Geschäftsgrundlage, auf deren Basis sie die nach dem Kirchgang und dem anschließenden genossenschaftliche Darlehens- und Kreditvergabe forcieren konnte. Gasthausbesuch ihre Geldgeschäfte zu erledigen. 2 - Die Gründung und das erste Geschäftsjahr

13 Das erste Geschäftsjahr schloss mit einem war ein erfolgreicher Geschäftsstart gelungen, erfreulichen Reingewinn von 154 Kronen 90 Heller, der auf eine professionelle Vorbereitung, eine der statutengemäß einem Reservefond bei der konsequente Umsetzung und vor allem auf das Marktsparkasse Mittersill zugewiesen wurde.8 Der gemeinnützige Engagement der Funktionäre und jungen Raiffeisen-Genossenschaft in Neukirchen Gründungsmitglieder zurückzuführen war. Raiffeisenbank Markt Neukirchen a. Grv.; Markt Neukirchen a. Grv.; Raiffeisenbank Rechnungsabschluss des Spar- und Darlehenskassen-Vereines für Neukirchen im Jahr 1911 2 - Die Gründung und das erste Geschäftsjahr

14 Da der Stand der Einlagen schon nach wenigen Der Geschäftsbetrieb wird zur Geschäftsmonaten auf über 20.000 Kronen angestiegen war und sich im zweiten Geschäftsjahr 3 Routine mit rund 75.000 Kronen fast vervierfachte, setzte Die guten Jahre vor dem Ausbruch des die Vollversammlung einen Höchstbetrag von 200.000 Kronen für Einlagen bei der Spar- und Ersten Weltkrieges Darlehenskasse Neukirchen fest. Dieses deutliche Wachstum auf der Einlagenseite In den wenigen friedlichen Jahren, die nach der setzte sich in den Jahren bis um Ausbruch des Gründung noch vor dem Spar- und Darlehenskassen- Ersten Weltkrieges ungebrochen fort: Verein Neukirchen liegen sollten, versuchte die engagierte Genossenschaft, eine gute Basis für ihre weitere Entfaltung zu schaffen. Die Umstände Jahresende Stand der Spareinlagen in Kronen dafür waren ausgesprochen gut. Neukirchen 1911 20.467 K 58 h profi tierte von den frühen Erfahrungen im 1912 74.938 K 66 h Tourismus und durchlief eine rege wirtschaftliche 1913 107.606 K 67 h Entwicklung. 1914 115.285 K 89 h

Dadurch bildete der Spar- und Darlehenskassen- Verein eine monetäre Substanz, mit der das junge Institut seinen geschäftlichen Handlungsspielraum erweitern konnte. Die Auszahlung von Sparguthaben wurde für Einleger durch fl exiblere Kündigungsfristen erleichtert. Wurde der Betrag auf Wunsch des Kunden vor der vereinbarten Kündigungsfrist ausbezahlt, hob die Spar- und Darlehenskasse eine Gebühr ein, die sich aus der Höhe des abgehobenen Sparguthabens errechnete:

Höhe des Sparguthabens Kündigungsfrist für Diskontgebühr bei in Kronen (K) die Auszahlung fristloser Auszahlung in Kronen (K) u. Heller (h) bis 200 K fristlos -

GA Neukirchen a. Grv.; S. Unterwurzacher / F. Brunner S. Unterwurzacher / F. GA Neukirchen a. Grv.; bis 500 K fristlos oder wenn - Der Dorfplatz von Neukirchen zur Jahrhundertwende das Geld in der Kasse vorrätig ist Zunächst versuchte man, die geltenden Richtlinien 500 K - 1000 K 8 Tage oder fristlos, pro 100 K - für die Geschäftsführung aufgrund der selbst wenn das Geld in der 20 h Diskontgebühr gesammelten Erfahrungen genauer zu justieren Kasse vorrätig ist und zu optimieren. 1000 K - 2000 K 14 Tage oder fristlos, pro 1000 K - Der tatsächliche Geschäftsumfang ermöglichte wenn das Geld in der 1 K Diskontgebühr Kasse vorrätig ist und erforderte eine Anpassung der Entschädigung 2000 K– 5000 K 1 Monat oder fristlos, pro 1000 K - des Zahlmeisters. 1912 erhielt Kooperator Anton wenn das Geld in der 1 K Diskontgebühr Baumann daher einen Pauschalbetrag von 200 Kasse vorrätig ist Kronen jährlich, der 1913 auf 250 Kronen und 1914 über 5000 K 2 Monate oder pro 1000 K - 9 auf 300 Kronen erhöht wurde. fristlos, wenn das 1 K Diskontgebühr Um eine vorschriftsmäßige Abwicklung des Geld in der Kasse Kasse-Betriebs am Sonntag zu gewährleisten, vorrätig ist entschied man sich zu einer strafferen Regelung des Dienstes. Kam ein Funktionär aus dem Vorstand seiner Amtspfl icht als Beisitzer nicht nach, musste er seinem Vertreter eine Krone als Entschädigung zahlen. 3 - Der Geschäftsbetrieb wird zur Routine

15 Den Zinsfuß für Spareinlagen (4%) und Darlehen und Kredite in laufender Rechnung (4 ½%) behielt Jahresende Anzahl der Mitglieder Anzahl der Geschäftsanteile man nach einer kurzen Diskussion bei, auch wenn er in einigen benachbarten Geldinstituten 1911 42 42 um ½% erhöht worden war, nachdem die 1912 52 52 von der Österreichisch-Ungarischen Bank, also 1913 58 58 der gesamtstaatlichen Notenbank, Anfang 1914 60 60 1912 durchgeführte Erhöhung der Bankrate zu einem Anstieg des Kreditzinssatzes bei der Der sich in allen angesprochenen Bereichen deut- Genossenschaftlichen Zentralbank in Salzburg auf lich abzeichnende Aufwärtstrend manifestierte sich 4 ¾ % geführt hatte.10 in einer fortschreitenden Konsolidierung im Ort. Die Vergabe von Darlehen zu diesem vergleichs- Trotz aller Komplexität, die die Inbetriebnahme weise günstigen Zinssatz war nur möglich, einer Spar- und Darlehenskasse in der Anlaufzeit weil die gute Einlagenentwicklung von Beginn an barg, verzeichnete der Verein schon in seinen ersten keine Inanspruchnahme von Refi nanzierungen bei Wirtschaftsjahren einen Unternehmenserfolg:14 der seit 1905 bestehenden Genossenschaftlichen Zentralbank erforderte. Am expandierenden Darlehensgeschäft ver- Jahr Ertrag in Kronen (K) Zahlmeister- Reingewinn in Kronen (K) deutlicht sich die wachsende Bedeutung der u. Heller (h) Entschädigung u. Heller (h) - Reservefond Spar- und Darlehenskasse in der Finanzierung 1911 keine Angabe 120 K 154 K 90 h der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung 1912 219 K 54 h 200 K 19 K 54 h Neukirchens: in der kurzen Periode vor dem 1913 367 K 93 h 250 K 117 k 93 h Ausbruch des Ersten Weltkrieges vervielfachte sich 1914 570 K 09 h 300 K 270 K 09 h der Stand der Ausleihungen, wie die Übersicht 11 verdeutlicht: Damit schuf die Spar- und Darlehenskasse eine solide Basis, die die Verantwortlichen in ihrem Jahresende Stand der Ausleihungen in Kronen (K) Handeln bestärkte. u. Heller (h) 1911 11.800 K 1912 21.150 K 1913 54.490 K 1914 79.312 K 1 h

Die Darlehensnehmer stammten überwiegend aus Gewerbe und Landwirtschaft oder waren Hausbesitzer. Sie fi nanzierten damit Immobilienankäufe, ge- schäftliche Aktivitäten oder die Rückzahlung von höher verzinsten Schulden bei privaten Geldgebern. Üblicherweise erfolgte die Sicherung durch Bürgschaft, in seltenen Fällen durch eine Hypothek.12 Ab 1914 vergab die Spar- und Darlehenskasse auch Kredite in laufender Rechnung (Kontokorrentkredite) bis zu einer festgesetzten Höchstgrenze von 10.000 Kronen.

Parallel zum Anstieg der Einlagen und Aus- leihungen durchlief auch die Mitgliederzahl eine erfreuliche Entwicklung, die zeigt, wie gut die neue Institution in der Bevölkerung angenommen wurde:13 Raiffeisenbank Markt Neukirchen a. Grv.; Markt Neukirchen a. Grv.; Raiffeisenbank

Blick vom heutigen Standort der Raiffeisenbank Markt Neukirchen auf

3 - Der Geschäftsbetrieb wird zur Routine das Dorfzentrum.

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