DER TAGESSPIEGEL DER BERLINER SCHLOSSPLATZ Nr. 15835/SONNABEND, 14. DEZEMBER 1996

Was wird aus dem Berliner Schloßplatz? In der fünfzehnten Folge unserer Serie wird die Aufgabe des nen von Axel Schuttes (8.9.), Hinrich Baller (14.9.), Krüger, Schuberth, Vandreike (21.9.), Leon und Phantasie-Wettstreits weiter gefaßt und auf das Gebiet jenseits der ausgeweitet. In der Vision von Wohlhage (28.9.), Wolf-Rüdiger Borchardt (5.10.), Frei Otto (12.10.), Klaus Theo Brenner (19.10.), Stef- Stephan Braunfels bekommen die berühmten Linden der Straße Unter den Linden östlich des Wassers fen Lehmann (26.10.), Bernd Kühn (2.11.), Rob Krier (9.1 h), Gernot Nalbach (16.11.), Christoph LanghoJ ein Pendant im Lindenforum. Zwischen Linden und Lindenforum liegt quasi als Scharnier das Schlüter- (23.11.), Heide, von Beckerath, Alberts (30.11.), Eckert, Negwer, Sommer, Suselbeek (7.12.). Sämtliche sche Schloß. Stephan Braunfels schafft damit eine stadträumliche Verbindung zwischen Schloßplatz Arbeiten der Tagesspiegel-Serie werden im Januar in einer Ausstellung im Kunstforum der Grundkredit- und und entdeckt tatsächlich so etwas wie eine neue . - Bisher erschienen Visio- bank gezeigt. MZ Eine Brücke zwischen Ost und West

endete, liegt die einzigartige Chance, eine STEPHAN BRAUNFELS angemessene Mitte für die Viermillionen- ÜBER SEINE VISION stadt zu gestalten. Deutschlands Hauptstadt hegt zwar den Anspruch, sich mit London oder Paris zu vergleichen, doch haben schon Mailand, Lyon oder einer, der auch nur etwas Gespür Barcelona großstädterische Zentren als für städtebauliche Kompositionen Berlin. hat, konnte sich der Faszination Berlin fehlt es an großen schönen Plät- entziehen, die die verblüffende stadt- zen, ja mehr noch: Es fehlt neuer räumliche Wirkung der „schräg" daste- Mitte am großen städtebaulichen Gedan- henden Attrappe der Schloßfassade in den ken. Fünfzig Jahre Teilung haben die hi- vergangenen Jahren ausübte. Plötzlich storisch bedingte Westlastigkeit und die hatten die „Linden" einen Abschluß, ja polyzentrische Struktur Berlins noch ver- noch mehr: sie zielten auf einen neuen stärkt. Gewiß, Berlin sind viele Orte, Berlin Anfang, auf etwas, das über sich selbst hat viele wunderbare Stadtviertel. Doch hinauszuweisen schien, nicht nur zurück es fehlt die Mitte, es fehlt das Herz, bei nach Westen, sondern weiter nach Osten. dem man den Puls der vielen schönen Die stadträumliche Sensation der Schloß- Glieder pochen spürt. Die Mitte ist leer. fassade ist die Winkelverdrehung zur Doch die Leere ist eine Chance, sie sollte Achse „Unter den Linden", die einen neu- nicht - wie es Stimmanns „Masterplan" en Auftakt in die andere, vielen fremd- vorschlägt - kleinkariert wiederaufgebaut gewordene östliche Hälfte der Stadt werden. Ein großer Platzraum voll städti- ankündigt. schen Grüns könnte zugleich die Stadt als Hier hört bisher für die meisten West- Ganzes versammeln, wie auch dem völlig Berliner das „schöne" Berlin auf, sie fühlen zerstörten Alt-Berlin eine parkartige Mitte sich in städtebaulicher Ödnis und Leere schenken. Aber auch dieses große Forum entlassen. Genau hier aber liegt die Chan- - es wäre der größte Platz der Stadt - blie- ce für das notwendige städtebauliche be isoliert ohne das Schloß als Gelenk. Erst Scharnier, mit dem die zwei immer noch durch dieses Scharnier, durch die verblüf- getrennten Hälften Berlins wieder zusam- fende Richtungsänderung der Schloßfas- mengefügt werden können: es ist das sade wird aus dem neuen Schloßforum Schloß. Nicht die alte Hohenzollernburg, die notwendige, nicht mehr abtrennbare nein, die Schloßfassade von Schlüter östliche Hälfte einer Gesamtstruktur, ein bildet das Gelenk. Als großartigstes Bei- östliches „Lindenforum" als Pendant zu spiel europäischen Barockklassizismus in den westlichen „Linden". Neue östliche Deutschland war es schon zu seiner Ent- „Linden" also könnten es werden, und der stehungszeit Ummantelung des älteren Alexanderplatz könnte mit Kollhoffs Renaissanceschlosses. Schon Schlüters Turmvisionen das Gegenstück zum Pari- Fassade suchte vor allem die städtebau- ser Platz sein: ein neuer Torpiatz nach liche Wirkung, wollte die neue Mitte für Osten. die zukünftigen, gerade erst angelegten Westliche „Linden" und östliches „Lin- Stadterweiterungen sein. denforum" müssen zu einer städtebauli- Doch nur nach Westen konnte sich die chen Gesamtkomposition werden, um die Stadt frei entfalten und zwischen Doro- Stadt Berlin und seine Teile als Ganzheit theenstadt und Friedrichstadt die stadtbe- wieder verstehen zu lernen. Keine noch so stimmende Achse „Unter den Linden" gute moderne Architektur kann dies vom Schloß aus entwickeln. Östlich des stadtbaukünstlerisch glaubwürdiger lei- Schlosses behinderte das mittelalterliche sten als Schlüters grandiose ScHioRfassa- Berlin eine Anbindung der Stadterweite- de - war sie doch als Stadttassade immer rungen - Königstadt und Stralauer Vor- schon mehr Innenwand des sie umgeben- stadt - an die Mitte. Nachdem die DDR die den Außenraums als Außenwand des in- vom Krieg verschonten Reste Alt-Berlins neren Altbaus. niedergerissen und eine riesige, klobig Dies ist keineswegs eine Bankrotter- verbaute Stadtwüste hinterlassen hat, be- klärung der modernen Architektur, son- steht nun die Jahrhundertchance, den dern nur das faire Eingeständnis, daß auch westlichen „Linden" ein östliches „Linden- die beste zeitgenössische Architektur in forum" gegenüberzustellen, der Stadter- Jahrhunderten gestaltete Stadtgeschichte weiterung nach Westen nun eine nach nicht darstellen kann. Deshalb bin ich der Osten folgen zu lassen. Meinung, daß es nur hier und nur aus Es sind also vor allem städtebauliche städtebaulichen Gründen gerechtfertigt, Argumente, die für den Wiederaufbau des ja notwendig ist, die Schloßfassade wie- Schlosses sprechen. Zunächst: Alle bedeu- der zu errichten: als Scharnier für eine Ge- tenden Bauwerke rings um das abgerisse- samtkonzeption der wiedervereinigten ne Schloß - Schlüters , Schinkels Mitte Berlins, als Auftakt für ein inneres und die Bauakademie - Wachstum des Stadtzentrums über die sind als Satelliten des Schlosses geplant Spree hinaus. und ohne dieses Kraftzentrum in ihrer ge- nial verwinkelten Freistellung überhaupt nicht verständlich. Den „Linden" mit Oper, 3»V Universität, Staatsbibliothek und Akade- mie der Künste - als bewußtes bürger- liches Gegengewicht zum Schloß entstan- den - fehlt die östliche Entsprechung. Doch wo sich einst die Stadt nur nach Westen entwickeln konnte, bietet der Schloßplatz heute die Keimzelle für eine neue Entwicklung nach Osten. Zwar nicht wie einst aufs freie Feld hinaus, sondern in die innere Leere hinein, die die völlige Zerstörung der Bürgerstadt hinterließ. Berlin muß zuerst nach innen wachsen, bevor es die Ränder weiter zersiedelt. Das innere Wachstum darf aber nicht in der „kritischen Rekonstruktion" des mittel- alterlichen Stadtgrundrisses verharren. DIE WIEDERAUFGEBAUTE SCHLOSSFASSADE von Andreas Schlüter bildet mit ihrer Winkelverdre-Achse des Lustgartens mit Schinkels Altem Museum aufnimmt. Das neue „Lindenforum" (oben: grün, Hier, wo die DDR meinte, „metropolitane hung zur Achse „Unter den Linden" das Gelenk und den Auftakt für die „östlichen Linden", dem zen- unten rosa umbaut) springt von Osten nach Westen über die Spree und reicht bis in die wieder- Räume" zu schaffen, tatsächlich aber die tralen Platzraum und Park in der Mitte Berlins. Das Innere des alten Schlosses kann nicht wiederauf- errichtete Schloßfassade hinein. Schlüters Schloßfassade wird so zum Scharnier zwischen Ost und größte deutsche Stadtzerstörung voll- gebaut werden. Hier sollte ein modernes Kulturzentrum entstehen, dessen zentraler Innenhof die West und zum Symbol für das wiedervereinigte, das ganze Berlin. compurersimuiation: Braunfeis

München und Berlin sich als Kunsthistoriker vor allem mit histori- angefangen habe zu studieren, sei die Architektur Der Architekt Stephan Braunfels, scher Stadtbaukunst: befaßt. In dieser Gedanken- der Moderne, die er seit frühester Jugend verehrt Es ist gar nicht so leicht, in dem Großraumbüro tun und in Berlin gerade auf einer Fabriketage in welt sei er, zunächst in Mannheim und dann in hat, gerade auf dem Tiefpunkt gewesen. Erst auj mit den vielen Computern einen Zollstock aufzu- der Kochstraße ein Büro für dreißig Leuten ein- München, aufgewachsen. Außerdem habe es da dem Umweg über die zerplatzte Seifenblase Post- treiben. Der wird aber gebraucht, denn mit dem gerichtet. Auch wenn zehn davon aus München noch den Großvater, den Komponisten Walter moderne habe er wieder zu seinen Idolen Le Cor- kurzen Lineal ist das lange Modell nicht zu mes- mit ihm mitgekommen sind, so bleiben dort noch Braunfels, und den Urgroßvater, den Bildhauer bousier und Mies van der Rohe zurückgefunden. sen. Auch Stephan Braunfels möchte gern genau fünfzehn zurück. München und Berlin - das sind Adolf von Hildebrand, in seinem geistigen Mehr noch als diesen fühle er sich allerdings dem wissen, wie lang das Bauwerk ist, das er in den nun seine beiden Lebensmittelpunkte. Dabei Umfeld gegeben. Diese Familientradition mag jeweiligen genius bei und deswegen wohl am Spreebogen stellt: knapp 400 Meter lang sind schmerzt ihn nur, daß Dresden zu kurz kommt, erklären, warum der 1946 geborene Stephan meisten dem Vorbild Louis Kahn verpflichtet. Die Alsen- und Luisenblock zusammengenommen. die Stadt, für die er nach der Wende ein Leitbild Braunfels zwar mit 26 Jahren sein eigenes Archi- Begeisterung für Kahn verbinde ihn mit Axel Rund 900 Millionen Mark wird diese, die Spree für den Wiederaufbau der Innenstadt erarbeitet tekturbüro gründete, aber das Gewerbe zunächst Schuttes. Daß Braunfels diesen wenig älteren überspringende Gebäudereihe kosten, in der ein- hat. Dies sei so etwas ähnliches wie der Master- theoretisch betrieb. Bekannt geworden ist er als Kollegen für ein Vorbild, ja, momentan sogar für mal die Bundestagsabgeordneten ihre Büros plan, den Stimmann für Berlin gemacht habe, erbitterter Gegner des Neubaus der bayrischen den besten deutschen Architekten hält, und des- haben werden und das Parlament seine Aus- nur sei er in Dresden geschickter vorgegangen Staatskanzlei im Münchner Hofgarten. Damit sen Bonner Kunstmuseum für den besten zeit- schußarbeit machen will. Stellte man den Bau und habe den Plan im Vorfeld mit vielen abge- habe er sich zwar viel Ehr', aber auch viel Feind' genössischen Museumsbau, wird manchen wun- hochkant in die Luft, er wäre mehrfach höher als stimmt. Überhaupt Stimmann und das steinerne gemacht. An Aufträge sei danach erst einmal dern. Braunfels jedenfalls sieht sich in guter der „Lange Eugen" am Rhein. Berlin - was hält Braunfels davon? Gmndsätz- nicht zu denken gewesen. Mit 36 Jahren ging es Nachbarschaft: schließlich baut er gleich neben Lange Zeit war Stephan Braunfels dafür lich könne er den Ideen etwas abgewinnen, nicht langsam los: Wettbewerbsgewinnen folgten erste Schuttes im Spreebogen. „Er ist erfinderischer, ich bekannt, wenig zu bauen. Jetzt ist er der Archi- aber der Rigorosität, mit der sie durchgesetzt Wohn- und Bürobauten in München. Ein ein- bin strenger", so beschreibt Braunfels den Unter- tekt in Deutschland, der das größte Bauvolumen werden sollen. hundert Millionen Mark teuerer Verwaltungsbau schied zwischen beiden. Und warum hat der bewältigt. Neben den Bundestagsbauten in Berlin „Mein Thema ist die Stadtbaukunst", sagt Step- direkt an der Elbe in Dresden war dann das erste Vielbeschäftigte am Schloßlatz-Wettstreit des baut er noch die 200 Millionen Mark teure Pina- han Braunfels und kommt damit schnell auf sei- ganz große Gebäude von Braunfels. Tagesspiegels teilgenommen? Er stürze sich eben kothek der Moderne in München. Er hat also zu nen Vater zu sprechen: Wolfgang Braunfels hat Vorbilder? Als er Anfang der siebziger Jahre gern „auf wichtigste Themen". MZ