Analyse der medikamentösen Versorgung
von Asthma-Patienten im
Erwachsenenalter mit Routinedaten
Dissertation
zur Erlangung des „Doktor Public Health“ (Dr. P.H.)
Universität Bremen Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung
vorgelegt von Roland Windt
Bremen, Mai 2010 - 2 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Gutachter
1. Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske 2. Prof. Dr. med. Dieter Ukena
Datum der Disputation: 14. Juli 2010
Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 3 -
Danksagung
Diese Dissertation sowie die hiermit in Verbindung stehenden Publikationen wären ohne die Anregungen und Unterstützung durch viele Kollegen und Freunden nicht möglich gewesen. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danken.
Großer Dank gebührt im Besonderen meinem Doktorvater Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, der diese Arbeit in vielerlei Hinsicht erst ermöglichte. Er nahm mich in seine Arbeitsgruppe auf und unterstützte mich mit wichtigen Hinweisen bei der Anfertigung dieser Dissertation. Von seiner Erfahrung konnte ich sehr profitieren. Ich möchte mich zudem bei Herrn Prof. Dr. med. Dieter Ukena sehr für die Bereitschaft zur Erstellung des Zweitgutachtens bedanken. Für das Korrekturlesen der Arbeit und die vielen wertvollen Anmerkungen danke ich Dr. P.H. Falk Hoffmann. Ich konnte von ihm eine Menge lernen, nicht nur, wo es wohlschmeckendes Mittagessen in der näheren Umgebung gab. An dieser Stelle gebührt auch meiner lieben Mutter großer Dank dafür, dass sie mich so oft mit Speis' und Trank versorgte. Danken möchte ich auch meinem „Büro- Gegenüber“ und Fremdsprachen-Talent Dipl. Geogr. Daniela Koller für das Korrekturlesen mehrerer englischsprachiger Texte. Herzlicher Dank gilt weiterhin der gesamten und überaus netten Arbeitsgruppe sowie den Projektbeteiligten Krankenkassen, insbesondere der GEK, die mir durch den Zugriff auf ihre Daten erst viele Analysen möglich machte. Für einige „handwerkliche“ Tipps zur Anfertigung einer Doktorarbeit möchte ich zudem Dr. rer. nat. Martin Werner von der Firma Nordmark Arzneimittel GmbH danken.
Hinweise zu den Bildquellen:
Abbildung 3 wurde von Christian Schalauka gestaltet. - 4 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ...... 6
1 Einführung ...... 7
2 Asthma bronchiale in Deutschland ...... 11
2.1 Epidemiologie ...... 11
2.2 Ökonomische Aspekte ...... 17
2.3 Definition, Ätiologie und Pathomechanismus ...... 20 2.3.1 Definition/ Krankheitsbeschreibung ...... 20
2.3.2 Ätiologie ...... 23
2.3.3 Anatomie, Pathophysiologie und Pathomechanismus ...... 24
2.3.4 Mit Asthma assoziierte Syndrome ...... 29
2.3.5 Differenzialdiagnostisch wichtige Erkrankungen ...... 31
2.4 Diagnostik ...... 34
2.5 Leitlinien und Therapieempfehlungen ...... 41
2.6 Arzneimittel ...... 50 2.6.1 Inhalative kurzwirksame Beta-2-Sympathomimetika ...... 52
2.6.2 Inhalative langwirksame Beta-2-Sympathomimetika ...... 55
2.6.3 ICS/LABA –Kombinationen ...... 59
2.6.4 Inhalative Glucocorticoide ...... 62
2.6.5 Anticholinergika ...... 67
2.6.6 Cromone ...... 69
2.6.7 Antileukotriene ...... 71
2.6.8 Xanthin-Derivate ...... 74
2.6.9 Sonstige Arzneimittel ...... 76
2.6.10 Inhalationssysteme ...... 79
2.7 Prävention ...... 83
2.8 Patientenschulung und Rehabilitation ...... 85
2.9 Disease Management Programme ...... 89
2.10 Zwischenfazit ...... 93 Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 5 -
3 Asthma-Versorgungsforschung mit Arzneimittelroutinedaten - Review zur MEDLINE-gelisteten Literatur ...... 96
4 Empirische Arbeit ...... 104
4.1 Zur Nutzung von Routinedaten ...... 104
4.2 Methodik & Datengrundlage ...... 106
4.3 Untersuchungen zur Epidemiologie ...... 120
4.4 Untersuchungen zur medikamentösen Therapie ...... 136 4.4.1 Analyse der Versorgungssituation ...... 136
4.4.2 Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Arzneitherapie des Asthma bronchiale ...... 154
4.4.3 Einfluss von Rabattverträgen auf die Antiasthmatika-Langzeitmedikation161
4.4.4 Betablocker und Asthma bronchiale ...... 172
4.4.5 Substitution von Kombinations- durch Monopräparate – Untersuchung auf mögliche Einsparpotenziale ...... 180
4.5 Analyse von Effekten eines DMP Asthma mit Routinedaten ...... 184
5 Fazit und Ausblick ...... 196
6 Rolle von Ärzten und Apothekern in der Versorgung von Asthma- Patienten ...... 200
7 Abbildungsverzeichnis ...... 209
8 Tabellenverzeichnis ...... 212
9 Literaturverzeichnis ...... 215
10 Anhang ...... 249
10.1 Lebenslauf……………………… ...... ……………………...248
10.2 Publikationsverzeichnis ...... 251
10.3 Abstract ...... 252 - 6 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Abkürzungsverzeichnis
ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apotheker- ICD-10 International Classification of Diseases, verbände Revision No. 10 (Internationale Klassifi- kation der Krankheiten, 10. Revision) ATC-Code Anatomisch-therapeutisch-chemischer Code ICS Inhalative Glucocortico(stero)ide
AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft- IgE Immunglobulin E lichen Medizinischen Fachgesellschaften IQWiG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im BA Beta-2-Agonisten/ -Sympathomimetika Gesundheitswesen
BÄK Bundesärztekammer ISAAC International Study of Asthma and Allergies in Childhood BGS Bundesgesundheitssurvey IV Integrierte Versorgung BMV-Ä Bundesmantelvertrag-Ärzte KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung COPD Chronic Obstructive Pulmonary Disease (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung) KHK Koronare Herzkrankheit
DDD Defined Daily Doses (definierte KI Konfidenzintervall Tagesdosen) KiGGS Kinder- und Jugendgesundheitssurvey DIMDI Deutsches Institut für Medizinische KV Kassenärztliche Vereinigung Dokumentation und Information LABA Long-acting beta-2-agonists DGP Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (langwirksame Beta-2-Agonisten) DMP Disease Management Programm NNH Number needed to harm DNCG Dinatriumcromoglycat NSAR Nichtsteroidale Antirheumatika EbM Evidenzbasierte Medizin NVL Nationale VersorgungsLeitlinie ECRHS European Community Respiratory Health OCS Orale Glucocortico(stero)ide Survey OR Odds Ratio ESP Einsparpotenzial PEF Peak Exspiratory Flow (exspiratorischer FEV1 Forciertes Exspiratorisches Volumen in der Spitzenfluss) 1.Sekunde Q Quartal FDA Food and Drug Administration (Arzneimittel- zulassungsbehörde in den Vereinigten RR Relatives Risiko Staaten) RSA Risikostruktur-Ausgleich G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss RSAV Risikostruktur-Ausgleichsverordnung GEK Gmünder ErsatzKasse SABA Short-acting beta-2-agonists GINA Global Initiative For Asthma (kurzwirksame Beta-2-Agonisten)
GKV Gesetzliche Krankenversicherung SGB V 5.Sozialgesetzbuch
GMG GKV-Modernisierungsgesetz SVR Sachverständigenrat (zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen) GSTel Telefonischer Gesundheitssurvey UAW Unerwünschte Arzneimittelwirkung HTA Health Technology Assessment VK Vitalkapazität HZK Hamburgische Zimmererkrankenkasse Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 7 -
1 Einführung
Asthma bronchiale wird als Erkrankung beschrieben, die durch eine chronisch- entzündliche Erkrankung der Atemwege mit bronchialer Hyperreagibilität und variabler Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist (GINA, 2008). Es handelt sich um eine Volkskrankheit mit entsprechend hoher sozioökonomischer und Public-Health Relevanz. Dies äußert sich beispielsweise darin, dass für Asthma neben COPD, Brustkrebs, Koronarer Herzkrankheit (KHK) sowie Typ-1- und Typ-2-Diabetes ein an den GKV-Risikostrukturausgleich gekoppeltes Disease Management Programm (DMP) eingeführt wurde. Etwa 5 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland leiden an Asthma, bei Kindern ist es die häufigste chronische Erkrankung überhaupt (Fabel & Konietzko, 2005). Weltweit ist in den letzten Jahrzehnten eine steigende Inzidenz und Prävalenz auszumachen. Aktuell wird die Zahl der Erkrankten auf 300 Millionen geschätzt, im Jahr 2025 werden es vermutlich weitere 100 Millionen auf der ganzen Welt sein (Masoli et al., 2004).
Vor etwa 10 Jahren wurde in mehreren multizentrischen Interviewstudien untersucht, wie es um die Versorgung von Asthma-Patienten in Europa bestellt ist. Lagerlöv et al. (2000) befragten Ärzte1 in fünf europäischen Ländern zu ihrem Wissen und praktischen Vorgehen in der Asthmatherapie. Hiernach waren die Empfehlungen aus Leitlinien zwar weitgehend bekannt, in der Praxis zeigte sich jedoch vor allem für Deutschland eine Vernachlässigung der antientzündlichen Therapie (Lagerlöv et al., 2000). Eine sozialmedizinische Befragung in vier europäischen Ländern (Deutschland, Niederlande, Norwegen und Schweden) ging den persönlichen Schwerpunkten des Arztes in der Beurteilung des Asthmas nach. Es offenbarte sich eine medizinisch- naturwissenschaftlich geprägte Krankheitsbeurteilung. Psychologische oder patientenbezogene Aspekte wurden dagegen als weniger oder nicht bedeutungsvoll erachtet (Wahlström et al., 2001). Mit der AIRE-Studie („Asthma Insights and Reality in Europe“) sollte der tatsächliche klinische Zustand von Asthmapatienten in Europa beschrieben werden (Rabe et al., 2000).
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im folgenden Text durchgängig die männliche Form beibehalten (so z.B. Arzt, Patient, Versicherter usw.). Frauen sind in dieser Formulierung selbstverständlich ebenso gemeint und angesprochen. - 8 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Eine möglichst vollständige Symptomunterdrückung wird von der international relevanten GINA-Leitlinie („Global INitiative for Asthma management and prevention“) als zentrales Therapieziel genannt (GINA, 2008).
Anhand der Antworten von 2.803 Asthmapatienten konnte gezeigt werden, dass die Wirklichkeit mit den Forderungen der GINA-Guidelines wenig zu tun hat. Bei nur 5 % der Befragten waren die GINA-Ziele voll erreicht. Hingegen berichteten 46 % der Patienten von beeinträchtigenden Asthmasymptomen während des Tages und 30 % von nächtlichen Beschwerden, die zumindest einmal pro Woche auftraten. In Deutschland wurden signifikant mehr Patienten stationär behandelt als in den Vergleichsländern. 25 % der Patienten hatten in den vorangegangenen zwölf Monaten einmal eine dringliche, ungeplante ärztliche Konsultation benötigt, 10 % waren in eine Notaufnahme gekommen und 7 % zumindest eine Nacht lang hospitalisiert worden (Rabe et al., 2000).
Nur 23 % der untersuchten Personen wendeten regelmäßig die von Leitlinien als First-Line-Dauermedikation empfohlenen entzündungshemmenden inhalativen Glucocorticoide (ICS) an. Trotz zum Teil schwerer Symptomatik stuften über 50 % der Patienten ihr Asthma dennoch als kontrolliert ein (Rabe et al., 2000). Ein ähnliches Bild zeichnete sich bei einer Befragung von 256 Asthma-Patienten aus 43 Arztpraxen in Sachsen-Anhalt ab. Hier litten 43,4 % an moderatem bis schwerem Asthma. Ein höherer Schweregrad führte zu einer geringeren Lebensqualität der Betroffenen. Bei 34,3 % der Befragten war die Dosierung inhalativer Glucocorticoide zu gering und nur 29,1 % erhielten in der Vergangenheit Asthma-Schulungen. In nur 36,9 % der Fälle wurde die Therapie als leitlinienkonform eingestuft (Schneider et al., 2007). In einer Routine- datenanalyse mit Daten der KV Bayerns wurden immerhin 52,8 % der identifizierten Asthmatiker als nach Leitlinienempfehlungen behandelt, eingestuft (Hasford et al., 2009). Die Mehrheit der Patienten erhielt allerdings nicht mehr als 90 definierte Tagesdosen (DDD) Regelmedikation für einen Zeitraum von 365 Tagen. Außerdem wurden auch hier Beta-2-Sympatho- mimetika im Vergleich zu den ICS häufiger genutzt.
Ob mit einer leitliniengerechten Asthmatherapie das Erreichen einer vollständigen Asthmakontrolle überhaupt realisierbar ist, wurde in einer randomisierten Parallelgruppenstudie untersucht, die ein Jahr lang Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 9 -
multizentrisch durchgeführt wurde. Die Vorgaben der GINA-Guideline, eine vollständige Kontrolle ohne typische Asthma-Symptomatik, konnte mit einem intensiven Kombinationsregime, bestehend aus inhalativen Glucocorticoiden (Fluticason) und langwirkenden Beta-2-Sympathomimetika (Salmeterol) bei 41 % (n=690) über 1 Jahr der Patienten erreicht werden. In der Kontrollgruppe (nur Fluticason) war dies nur in 28 % (n=468) der Fälle möglich. Bei 71 % (n=1.204) vs. 988 (n=988) der Patienten war die Kontrolle der Erkrankung zumindest gut (Bateman et al., 2004). Die Ergebnisse kamen allerdings unter klinischen Studienbedingungen zustande.
In seinem Gutachten von 2000/2001 thematisierte auch der Sachverständigen- rat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen1 die Versorgungssituation und konstatierte ein Nebeneinander von Unter-, Über- und Fehlversorgung in der Pharmakotherapie von Asthma-Patienten. Asthmatiker sind demnach unterversorgt mit inhalativen Glucocorticoiden, über- und/oder fehlversorgt mit kurzwirksamen Beta-2-Sympathomimetika bzw. Theophyllin-Präparaten (SVR, 2001). Im Jahr 1998 lag der Theophyllin-Verordnungsanteil in Deutschland beispielsweise bei rund 43 %, in Großbritannien und den USA im gleichen Jahr hingegen bei lediglich 3,5 % bzw. 4,2 % (von der Schulenburg & Greiner, 1998). Zudem wurde nach Meinung des Rates die medikamentöse Behandlung dem (wechselnden) Schweregrad der Erkrankung nicht ausreichend angepasst, was zum Teil zu schwerwiegender Fehlversorgung der Patienten führte. Beklagt wurde eine generelle Unterdiagnostik chronisch obstruktiver Atemwegs- erkrankungen und die unzureichende Etablierung von Asthmaschulungen (SVR, 2001).
Nur etwa 30 % der pädiatrischen Praxen boten beispielsweise dokumentierbare Lungenfunktionsmessungen an, die für eine korrekte Diagnose essenziell ist (Kenn, 2000). Vielfach werden inhalative Arzneimittel nicht korrekt angewendet, bei Dosieraerosolen liegt die Fehlerquote bei bis zu 80 % (Brocklebank et al., 2001; Crompton et al., 2006; Hämmerlein et al., 2010).
1 Mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) zum 1. Januar 2004 und der damit verbundenen Abschaffung der Konzertierten Aktion wurde der "Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen" umbenannt in "Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen". - 10 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Mit der vorliegenden Arbeit soll der Status quo in der medikamentösen Versorgung von erwachsenen Asthma-Patienten analysiert werden und untersucht werden, inwieweit Asthmatiker noch heute, 10 Jahre nach der Publikation des Gutachtens, unter-, über- oder fehlversorgt sind. Es gilt hierbei, patientenrelevante Konsequenzen, die sich aus einer möglicherweise suboptimalen Versorgung ergeben, darzustellen und morbiditätsspezifische Probleme und Lösungen aufzuzeigen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Untersuchung der medikamentösen Versorgung von Erwachsenen im ambulanten Bereich, wobei Kinder und Jugendliche nicht gänzlich ausgeblendet werden sollen. Es wird nur nicht im Detail auf die Besonderheiten in der Therapie bei Kindern eingegangen.
Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 11 -
2 Asthma bronchiale in Deutschland 2.1 Epidemiologie In der Literatur wird die Häufigkeit von Asthma in Deutschland oft mit etwa 5 % bei den Erwachsenen und 10 % bei den Kindern beziffert (Fabel & Konietzko, 2005; Buhl et al., 2006). Die Feststellung der Prävalenz ist stark von der verwendeten Methodik der Datenerhebung abhängig (Pekkanen & Pearce, 1999). Vielfach werden zur Prävalenzfeststellung Fragebögen eingesetzt. Hier ist vorauszusetzen, dass dem Befragten die Erkrankung bekannt ist. Recall- und Misklassifikations-Bias stellen folgerichtig limitierende Faktoren bei diesem Erhebungstyp dar. Ein wesentliches Problem vieler Studien zur Asthma- Epidemiologie ist darüber hinaus der fehlende Diagnose-Goldstandard. Die Definitionen schließen vor allem variable Atemwegsobstruktionen ein.
Zeitraum Erhebung Deutschland Westen Osten der (m / w) (m / w) (m / w) Erhebung GSTel041 (Alter: ab 18) 2003/04 (6,6 / 7,1) (6,9 / 7,2) (4,9 / 6,5) (Ellert et al., 2006) GSTel031 (Alter: ab 18) 2002/03 5,7 6,0 4,3 (Hoffmann, 2007) (5,3 / 6,1) BGS1 (Alter: 18 79) 1998 5,6 6,1 3,7 (Hermann Kunz, 1999) (5,0 / 6,2) (4,0 / 8,4) (2,1 / 4,4) ECRHS2 (Alter: 20 44) 1990/92, 4,4 2,1 (Janson et al., 1997) 1994/95 NGS1 (Alter: 25 69) 1991/92 (5,0 / 4,6) (5,5 / 4,0) (Hermann Kunz, 1999) 1=Lebenszeitprävalenz, 2= Jahresprävalenz Tabelle 1: Asthmaprävalenz in Deutschland bei Erwachsenen – Ergebnisse verschiedener Primärerhebungen (sortiert nach dem Zeitraum der Erhebung) Tabelle 1 gibt einen Überblick über bevölkerungsbezogene epidemiologische Untersuchungen zur Prävalenz des Asthma bronchiale in Deutschland bei Erwachsenen. Anhand der GSTel03-Studie des Robert Koch Instituts (Kohler & Ziese, 2004) wurde für die Erkrankung Asthma in Deutschland eine Lebenszeit- prävalenz von 5,7 Prozent (95 %-Konfidenzintervall 5,2-6,2) bei Erwachsenen ermittelt (Hoffmann, 2007). Im Rahmen dieses Surveys wurden von September 2002 bis März 2003 8.318 erwachsene Personen telefonisch befragt (Frage: - 12 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
„Wurde bei Ihnen jemals Asthma bronchiale von einem Arzt festgestellt?“). Sowohl im Bundesgesundheitssurvey 1998 als auch in der 2. Welle des telefonischen Gesundheitssurveys (GSTel04-Studie) zeigte sich, dass in den Neuen Bundesländern die Erkrankung Asthma weniger stark ausgeprägt als im Westen. Dies gilt insbesondere für Männer (4,9 % vs. 6,9 %) (Hermann-Kunz, 1999; Ellert et al., 2006). Deutliche Ost-West-Unterschiede wurden auch bereits in früheren Untersuchungen beobachtet (Wiesner et al., 1994). Mit Hilfe von Daten zur Sensibilisierung konnte gezeigt werden, dass dies nicht in einer mangelnden Aufmerksamkeit oder in einem unterschiedlichen Diagnose- verhalten begründet ist. Vielmehr fand man in der Subgruppe der unter 40jährigen in Westdeutschland eine starke Zunahme der Sensibilisierungsrate gegenüber Allergenen mit abnehmendem Lebensalter. In der ehemaligen DDR blieb diese Rate dagegen über alle Altersgruppen hinweg konstant (Nicolai et al., 1997). Interessante Ergebnisse im internationalen Prävalenzvergleich lieferte der multizentrische European Community Respiratory Health Survey (ECRHS), bei dem schwerpunktmäßig in westeuropäischen Ländern 20 – 44jährige Personen im Zeitraum 1990-1992 befragt wurden. In 41 europäischen und 7 außereuropäischen Ländern nahmen 150.000 Erwachsene an dieser Studie teil. Zwei deutsche Zentren waren beteiligt, Hamburg und Erfurt. Die Jahresprävalenz für Europa beträgt nach diesem Survey-Ergebnis 4,5 % (Median), wobei die Spitzenposition in Europa Großbritannien einnimmt (7,5- 8,4 %). Für den Westen Deutschlands wurde die Häufigkeit mit 4,4 % bestimmt, während sie in den Neuen Bundesländern bei nur 2,1 % lag (Janson et al., 1997; Pearce et al., 2000).
Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 13 -
Zeitraum Erhebung Deutschland Westen Osten der (m / w) (m / w) (m / w) Erhebung KiGGS1 (Alter: 0 18) 2003 2006 4,7 4,7 5,0 (Schlaud et al., 2007) (5,5 / 3,9) KiGGS2 (Alter: 0 18) 2003 2006 3,0 2,9 3,2 (Schlaud et al., 2007) (3,4 / 2,5) ISAAC1 (Phase III) 1999/2000 (Alter: 6 7) (5,2 / 3,6) (Maziak et al., 2003) ISAAC1 (Phase III) 1999/2000 (Alter: 13 14) (8,8 / 6,9) (Maziak et al., 2003) ISAAC1 (Phase I) 1994/95 3,6 (Alter: 6 7) 4,2 2,9 (4,9 / 2,7) (Maziak et al., 2003) ISAAC1 (Phase I) 1994/95 5,7 (Alter: 13 14) 7,0 4,2 (8,9 / 5,0) (Maziak et al., 2003) 1=Lebenszeitprävalenz, 2= Jahresprävalenz
Tabelle 2: Asthmaprävalenz in Deutschland bei Kindern und Jugendlichen – Ergebnisse verschiedener Primärerhebungen (sortiert nach dem Zeitraum der Erhebung) Tabelle 2 stellt die Ergebnisse wichtiger Primärerhebungen zur Asthma- prävalenz bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland dar. Auffallend ist hier eine recht große Spannbreite der Ergebnisse. Vom Robert-Koch-Insitut sind im Rahmen der KiGGS-Studie (Kinder- und Jugendgesundheitssurvey) während des Zeitraums 2003 bis 2006 Prävalenzdaten für Kinder und Jugendliche in Deutschland erhoben worden. Die Lebenszeitprävalenz für die Altersgruppe 0 bis unter 18 beträgt demzufolge 4,7 % (95 %-Konfidenzintervall 4,3-5,1). Es erhalten statistisch signifikant mehr Jungen (5,5 %) als Mädchen (3,9 %) die Arztdiagnose Asthma. Eine Ost-West-Differenz lässt sich nicht beobachten (siehe Tabelle 2). Die 12-Monats-Prävalenz lag den Ergebnissen des Surveys zufolge bei 3,0 % (95 %-Konfidenzintervall 2,7-3,3) (Schlaud et al., 2007). In Studien, die auf Symptomebene durchgeführt wurden bzw. in denen eigene klinische Untersuchungen durchgeführt wurden, konnten durchweg höhere Prävalenzwerte ermittelt werden (Maziak et al., 2003; Bjerg-Backlund et al., 2006). Es ist daher anzunehmen, dass ein höherer Anteil Kinder und Jugendlicher tatsächlich von der Erkrankung betroffen ist, als durch eine - 14 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Arztdiagnose festgestellt wurde. Nach Langen & Knopf (2007) zeigten die Ergebnisse der KiGGS-Studie, dass bei Kindern und Jugendlichen die Benennung der Erkrankung Asthma bronchiale häufig vermieden wird. Dies führt entsprechend dazu, dass die Krankheit durch die Frage nach der Diagnosestellung nicht ausreichend erfasst werden kann.
Stock et al. (2005) schätzten die Asthma-Jahresprävalenz auf der Basis von GKV-Arzneimittelverordnungsdaten (inhalative Beta-2-Sympathomimetika und inhalative Glucocorticoide) sowie stationärer Diagnosen (hiermit Ausschluss von COPD) auf 6,3 %. Es wurden im Kindesalter hohe Peaks (bis zu 25 % bei den männlichen und 17 % bei den weiblichen Versicherten) beobachtet, die in der KiGGS-Studie beispielsweise nicht gefunden wurden. Wie von anderen Autoren dargelegt, lassen sich die Differenzen dadurch erklären, dass die Asthmamedikation als Proxy für die Erkrankung aufgrund einer eher geringen Sensitivität und Spezifität1 nur wenig geeignet ist (Hoffmann & Glaeske, 2010). Hasford et al. (2009) errechneten ebenfalls mit Routinedaten Prävalenzwerte für die Erkrankung Asthma. Die Autoren nutzten die Datenbank der Kassen- ärztlichen Vereinigung Bayerns und ermittelten bei Frauen eine Häufigkeit von 4,8 % bzw. 4,5 % bei Männern.
Während bei Kindern die Jungen häufiger an Asthma erkrankt sind als Mädchen, verschwinden die Unterschiede in der Pubertät (Venn et al., 1998). Es existieren zudem Hinweise, dass Jungen nicht nur häufiger, sondern auch schwereres Asthma entwickeln (Burr, 1993). Im Erwachsenenalter leiden dann Frauen häufiger an Asthma als Männer, was auch anhand der GSTel- Studienergebnisse zu erkennen ist. Die Gründe für diese geschlechts- spezifische Prävalenzumkehr sind im Detail nicht bekannt. Diskutiert wird ein Zusammenspiel hormoneller und genetischer Faktoren zusammen mit Umwelt- einflüssen (Melgert et al., 2007). Eine Analyse des European Respiratory Health Surveys zeigte, dass in allen 16 Ländern, in denen Daten erhoben wurden, das Risiko Asthma zu entwickeln bei jungen Frauen höher ist als bei jungen Männern (de Marco et al., 2000).
1 Antiasthmatika-Medikation wäre als Indikator zu 100 Prozent sensitiv, wenn jeder Erkrankte mit diesen Arzneimitteln behandelt wird und zu 100 Prozent spezifisch, wenn diese Arzneimittel nicht zur Behandlung anderer Krankheiten eingesetzt werden bzw. kein Nicht-Erkrankter diese Mittel erhält. Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 15 -
In den westlichen Ländern beobachtet man über die letzten vier Jahrzehnte hinweg eine deutliche Zunahme der Asthma-Prävalenz. Der Anstieg ist bei Kindern stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen. Neuere Studien deuten auf einen Stillstand bei der Prävalenzzunahme in den westlichen Ländern hin, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen (Akinbami & Schoendorf, 2002; Weiland & Pearce, 2004). In den hoch entwickelten Ländern kann eine größere Krankheitshäufigkeit als in vielen osteuropäischen Ländern und Entwicklungs- ländern festgestellt werden.
Zur Inzidenz liegen derzeit keine aktuellen Angaben aus Deutschland vor. In Bezug auf Asthma hängt sie wie die Prävalenz davon ab, für welche Altersgruppen die Inzidenzdaten erhoben werden. In den USA betragen die Neuerkrankungsraten bei Erwachsenen 0,2 bis 0,5 % pro Jahr (Burr, 1993). Für das Erwachsenen-Asthma wurde nach den Ergebnissen einer schwedischen Studie die höchste Inzidenzrate bei Frauen im Alter von über 20 Jahren gefunden (1,3 je 1.000 Personenjahre) (Toren & Hermansson, 1999). In einer finnischen prospektiven Kohortenstudie zeigte sich keine Zunahme der Inzidenz bei den 18-45jährigen innerhalb des Zeitraums 1982 bis 1990 (Huovinen et al., 1999). Zur Ermittlung des Trends der Asthmaprävalenz bei Kindern wurden international in mehreren Studien mit identischen Methoden nach einem Zeitraum von mindestens zehn Jahren wiederholte Untersuchungen durchgeführt. Danach hat sich in Europa die Prävalenz in den achtziger Jahren nahezu verdoppelt (Aas et al., 1997).
Die Asthmamortalität ist hierzulande in den letzten 10-15 Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen (Fabel & Konietzko, 2005). Im Jahre 2004 wurde bei 2.141 Personen Asthma (J45) bzw. Status asthmaticus (J46) als Todesursache genannt (Schelhase & Rübenach, 2006). Dies entspricht einer Mortalitätsrate von etwa 2,6 je 100.000 Einwohner. Nach einer anderen Studie lag die Rate in der männlichen Bevölkerung Deutschlands im Jahr 2004 sogar bei nur 1,31/100.000, und in der weiblichen Bevölkerung bei nur 0,97/100.000, womit die Mortalität gegenüber 1994 (Männer: 4,65/100.000; Frauen: 2,65/100.000) stark abnahm (Chatenoud et al., 2009). Die Abnahme der Mortalität kann möglicherweise der stärkeren Etablierung von Therapieregimes mit inhalativen Glucocorticoiden zugeschrieben werden (Suissa & Ernst, 2001). Mortalitäts- - 16 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten daten zum Asthma sind in der Regel jedoch von begrenzter Aussagekraft, da die Todesursachenstatistik monokausal aufgebaut ist. Viele Personen mit Asthma versterben nicht aufgrund von Asthma. Ein Vergleich der Mortalitätsdaten aus verschiedenen Ländern ist ebenso problematisch, da diese stark von diagnostischem Verhalten sowie Codierungsgewohnheiten im jeweiligen Land abhängen. Wird ein Patient leitliniengerecht therapiert, ist die Lebenserwartung von Asthmatikern mit der von Gesunden vergleichbar. Bei inadäquater Therapie oder therapierefraktären Erkrankungsformen ist Asthma weiterhin mit einem hohen Mortalitätsrisiko behaftet. Während einer 17 Jahre dauernden Beobachtungszeit hatten Frauen ein 1,7-faches und Männer ein 1,5- faches Sterberisiko im Vergleich zu Menschen ohne Asthma bronchiale (Vestbo et al., 1996). Allerdings ist bei dieser zitierten Studie die nicht saubere Abtrennung von COPD-Erkrankten zu bemängeln.
Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 17 -
2.2 Ökonomische Aspekte Chronische Lungenerkrankungen stellen nach wie vor einen enormen Kostenfaktor im deutschen Gesundheitssystem dar. Neben einer höheren Prävalenz bei den Über40jährigen sind auch die Gesamtausgaben aufgrund von COPD derzeit ungefähr doppelt so hoch wie bei Asthma (Buist et al., 2007; Fabel & Konietzko, 2005). Langfristig wird die COPD Asthma möglicherweise noch mehr in den Schatten stellen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Erkrankung Asthma bronchiale sozioökonomisch weiterhin bedeutsam bleibt. Die gesamten Krankheitskosten für Asthma betrugen 1992 in Deutschland 2,55 Mrd. €. Diese Aufwendungen konnten bis 2002 auf 2,07 Mrd. € gesenkt werden, mit Verschiebung der Kostenanteile in den ambulanten Sektor, weil offen- sichtlich stationär zu behandelnde Notfälle immer seltener vorkommen (Fabel & Konietzko, 2005).1 Insgesamt entfallen zwei Drittel der Gesamtkosten auf Arzneimittel und die ambulante Behandlungen (siehe Abbildung 1).
Eine andere Krankheitskostenstudie ermittelte für das Referenzjahr 1999 volkswirtschaftliche Gesamtkosten in Höhe von 2,74 Mrd. € (Stock et al., 2005). Der Einsatz der Antiasthmatika-Verordnungen als Proxy für die Asthma- diagnose schmälert jedoch die Aussagekraft, da viele der Arzneimittel zur Behandlung obstruktiver Atemwegserkrankungen beispielsweise auch bei der COPD eingesetzt werden (siehe Kapitel 2.1).
1 Die Gesamtkosten berücksichtigen direkte und indirekte Kosten. Unter direkten Kosten fasst man die Ausgaben für medizinische Leistungen in den Bereichen Prävention, Diagnostik, Behandlung, Rehabilitation und Palliativmedizin zusammen. Indirekte Kosten schlagen sich in den Folgekosten einer Erkrankung nieder. Durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung und plötzliche Todesfälle kommt es zum Produktivitätsverlust. Intangible Kosten sind in den, im Text zitierten „Cost-of-illness“-Analysen nicht gesondert berücksichtigt worden. Die intangiblen Kosten spiegeln sich zum Teil in den direkten und indirekten Kosten wider. Sie kommen durch Verschlechterungen in der Lebensqualität zustande und sind nur schwierig abzuschätzen und in monetären Einheiten auszudrücken. Insgesamt kann eine Nicht- berücksichtigung jedoch zu einer Effektunterschätzung bei Erkrankungen führen (Schöffski, 2008). - 18 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Abbildung 1: Direkte und indirekte Kosten durch die Erkrankung Asthma in Deutschland und ihr Anteil an den Gesamtkosten von 2,1 Mrd. € (nach Fabel & Konietzko, 2005)
Vor allem die indirekten Kosten konnten bei Asthma durch eine Verminderung von krankheitsbedingter Frühberentung, Arbeitsunfähigkeit sowie von plötz- lichen Todesfällen gesenkt werden. Diese positive Entwicklung ist wahr- scheinlich in einer konsequenteren ambulanten Therapie begründet. Bei der medikamentösen Therapie im ambulanten Bereich wurde daher, konsequenter- weise, ein stärkerer Kostenanstieg verzeichnet (Fabel & Konietzko, 2005). Dies ist eine oft notwendige Voraussetzung, wenn Krankenhausbehandlungen wegen Unterversorgung vermieden werden sollen.
Für die Versorgung eines einzelnen Asthma-Patienten waren in Deutschland im Jahre 1999 im Durchschnitt 2.745 € aufzuwenden. Bei schwerem Asthma und einer begleitenden allergischen Rhinitis stiegen die durchschnittlichen Kosten auf 9.286 € (Schramm et al., 2003). Eine Korrelation von Krankheitskosten mit dem Asthma-Schweregrad wurde auch in einer empirischen Untersuchung des Jahres 1996 gezeigt (von der Schulenburg et al., 1996). Dagegen ließen sich nach den Ergebnissen einer schwedischen Studie nur 23 % der Ausgaben für Arzneimittel durch die Schwere der Asthmaerkrankung erklären (Arnlind et al., 2006). Kosten können durch zahlreiche weitere Faktoren beeinflusst werden: Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 19 -
z.B. „Fehlverordnungen“, Therapieadhärenz, Arzt-Patienten-Verhältnis, Generika- und Me-too-Verordnungen. Außerdem ist bei solchen Betrachtungen auch die Art und Weise, wie der Schweregrad definiert bzw. operationalisiert wird, relevant.
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2.3 Definition, Ätiologie und Pathomechanismus 2.3.1 Definition/ Krankheitsbeschreibung
Asthma bronchiale ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des Respirationstraktes, verbunden mit einer variablen Atemwegsobstruktion und einer Hyperreagibilität des Bronchialsystems gegenüber exogenen oder endogenen Stimuli. Typische Krankheitssymptome sind Atemnot, Giemen, Brustengegefühl und Husten, die häufig anfallweise und oft nachts oder in den frühen Morgenstunden auftreten. Man unterscheidet allergisches Asthma, nicht- allergisches Asthma und Mischformen. Begriffe wie Belastungsasthma, saisonales, Analgetika-assoziiertes oder nächtliches Asthma sowie das Husten- Asthma („Cough Variant-Asthma“) stellen keine eigenständigen Erkrankungs- formen dar (Buhl et al., 2006).
Extrinsisches oder allergisches Asthma
Der stärkste prädisponierende Faktor für die Entstehung von Asthma ist die atopische Diathese. Damit ist die Bereitschaft zu einer verstärkten Produktion von Immunglobulin E (IgE)-Antikörpern nach Kontakt mit Umweltallergenen gemeint. Bei den expositionellen Faktoren handelt es sich meistens um Aero- Allergene. Dies sind im Allgemeinen Glycopeptide an typischen Allergenquellen wie Birken- und Gräserpollen, Hausstaubmilbenkot oder Katzenepithelien. Auch das saisonale Asthma ist ein extrinsisches Asthma. Hier kommt es während der „Allergensaison“ zu Auslösung oder Verstärkung des Asthmas. Häufig ist diese Form assoziiert mit einer allergischen Rhinitis.
Intrinsisches oder nicht-allergisches Asthma
Beim intrinsischen oder nicht-allergischen Asthma ist eine Allergie oder ein erhöhter IgE-Antikörper-Spiegel nicht nachweisbar. Diese Erkrankungsform kann durch Infektionen (i.d.R. virale Atemwegsinfekte) und diverse andere Noxen (z.B. chemische Irritanzien) ausgelöst werden. Eine pseudo-allergische Reaktion auf Acetylsalicylsäure kann sich ebenfalls in einer asthmatischen Reaktion äußern. Beim intrinsischen Asthma liegen eine Intoleranz gegen Acetylsalicylsäure oder nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), eine Sinusitis und eine nasale Polyposis häufig nebeneinander vor (NVL, 2009). Auch wenn keine allergische Diathese nachweisbar ist, kann es zur Chronifizierung Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 21 -
kommen. Bei Säuglingen und Kleinkindern spielen infektgesteuerte Atemwegsverengungen eine große Rolle. Hier sind neben dem Rhinovirus vor allem das Respiratory Syncytial Virus (RSV) als mögliche Auslöser zu nennen. Das Symptom Giemen („Wheezing") ist ein häufiges Phänomen im Kleinkindalter, bedeutet aber nicht zwangsläufig Asthma (Martinez et al., 1995). Im späteren Kindesalter sind dann Allergien der Hauptgrund für asthmatische Beschwerden.
Mischformen des Asthma bronchiale
Bei Mischformen ist eine klare Differenzierung zwischen intrinsischen und extrinsischen Faktoren nicht möglich. Ein Asthma, welches zunächst nur durch Allergene ausgelöst worden ist, kann irgendwann z.B. durch nicht-allergische Faktoren getriggert werden.
Belastungsasthma
Belastungsasthma oder „Anstrengungs-Asthma“ ist im Grunde genommen keine eigenständige Asthmaform. Die überwiegende Komponente ist eine durch körperliche Belastung ausgelöste Bronchokonstriktion auf der Basis einer entzündlichen Grunderkrankung der Atemwege. Der Abfall der Lungenfunktion (FEV1 und PEF) führt zu asthmatypischen Symptomen. Es ist beim leichten intermittierenden Asthma oft die einzige wahrnehmbare Erkrankungs- ausprägung (Buhl, 2006).
„Cough-variant Asthma“ (Husten als Asthma-Äquivalent)
Beim „Cough-variant Asthma“ (CVA) handelt es sich um eine besondere Form des intrinsischen Asthmas, das sich klinisch nur in einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität (positiver Metacholin-Provokationstest) manifestiert. Als Folge der Übererregbarkeit leidet der Patient an einem chronischen trockenen Husten. Die Lungenfunktion ist bei dieser Erkrankung normal. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist der trockene Husten als unerwünschte Wirkung z.B. der ACE-Hemmer-Therapie, als Teil einer Erkrankung der oberen Atemwege (z.B. chronische Rhinitis) und als Symptom einer gastroösophagealen Reflux-Krankheit. Patienten mit CVA sprechen sehr gut auf eine klassische antiasthmatische Therapie an. Insbesondere inhalative - 22 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Glucocorticoide können hier möglicherweise helfen, die Entwicklung eines klassischen Asthmas zu verhindern (Martinez et al., 1995).
Status asthmaticus
Beim Status asthmaticus handelt es sich um eine schwere Atemwegsobstruktion, die Stunden oder Tage anhält und lebensbedrohend ist. Aus diesem Grund macht dieser Zustand eine intensiv-medizinische Betreuung notwendig. Therapiemaßnahmen sind u.a. die Gabe von Sauerstoff per Nasensonde (2-4 l/min), die orale oder intravenöse Applikation von Glucocorticoiden und evtl. Theophyllin. Außerdem werden hier inhalative Betasympathomimetika extensiv als Bronchodilatatoren genutzt (Buhl et al., 2006, NVL, 2009).
Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 23 -
2.3.2 Ätiologie
Verschiedene Faktoren tragen zur Entstehung und Entwicklung von Asthma bei. Es lassen sich z.B. endogene (genetische Faktoren, Adipositas) und exogene Faktoren (Infektionen, Umweltfaktoren wie z.B. Allergene, Luftverschmutzung, Tabakrauch) unterscheiden. Die Ätiologie ist bislang nicht in ihrer vollen Bandbreite geklärt. Wenn beide Elternteile Atopiker sind, leidet rund ein Drittel von deren Kindern im Alter von zwei Jahren an einer allergischen Erkrankung. Dies ist das Ergebnis einer prospektiven Geburtskohortenstudie (Bergmann et al., 2002). Eine allergische Sensibilisierung mit daraus resultierender Atemwegsentzündung, die in den ersten drei Lebensjahren beginnt, bedeutet in der Regel eine Manifestation des Asthmas in den Schuljahren, verbunden mit einer verschlechterten Lungenfunktion. Sind die asthmatischen Beschwerden dagegen nicht atopischer Natur, so verschwinden die Krankheitssymptome (z.B. Giemen) im Schulalter später meist wieder (Illi et al., 2006). Der Einfluss einer Allergenreduzierung auf die Entstehung des kindlichen Asthma ist unklar (Bacharier et al., 2008).
Nach den Ergebnissen einer deutschen Kohortenstudie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Rzehak et al., 2008) und einem knapp 9 Jahre dauerndem Follow-up des ECRHS mit erwachsenen Asthmatikern (Shaaban et al., 2008) besteht zwischen einer vorbestehenden allergischen Rhinitis und der Entwicklung von Asthma ein kausaler Zusammenhang. Bei letztgenannter Studie zeigte sich ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entstehung von Asthma interessanterweise nur bei allergischer Rhinitis mit Hausstaubmilben- Sensibilisierung. In einer anderen Untersuchung wurde nachgewiesen, dass auch Tabakkonsum einen unabhängigen Risikofaktor für die Entwicklung von Asthma darstellt (Polosa et al., 2008).
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2.3.3 Anatomie, Pathophysiologie und Pathomechanismus
Anatomie der unteren Atemwege
Als Atemwege werden alle Anteile des respiratorischen Systems verstanden, die als Leitungsbahnen zwischen der Aussenwelt und den Lungenbläschen (Alveolen) dienen. Die oberen Atemwege verlaufen vom Nasenrachenraum (Nasopharynx) bis zum Kehlkopf (Larynx). Hier beginnen mit der Luftröhre (Trachea) die unteren Atemwege, die am unteren Ende in das Bronchialsystem der Lunge münden (Abbildung 2). Die Verästelung beginnt mit den linken und rechten Hauptbronchien, die in den linken bzw. rechten Lungenflügel führen und sich dann immer weiter bis zu den Endbronchiolen verzweigen. Letztere bilden mit den Lungenbläschen (Alveolen) eine funktionelle Einheit. Die Alveolen dienen dem Austausch der Atemgase (Mutschler et al., 2007).
Abbildung 2: Darstellung des Respirationstraktes (Wikimedia Commons, 2008) Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 25 -
Pathophysiologie
In der Sofortreaktion des allergischen Asthmas kommt es unter Mastzell- Beteiligung zum Bronchospasmus. Die Spätreaktion kann durch den Trias Bronchospasmus, Schleimhautödem und Mukostase charakterisiert werden. Die Entzündung der Bronchialschleimhaut begünstigt die Entstehung eines hyperreaktiven Bronchialsystems. Dies manifestiert sich durch eine überschießende Bronchokonstriktion, ausgelöst bei Kontakt mit verschiedenen Trigger-Faktoren.
Die Kontraktion der glatten Atemwegsmuskulatur, Ödeme und die Mucus- sekretion führen zu verengten Atemwegen (Abbildung 3). Diese Verengung äußert sich dann in Asthma-typischen Symptomen wie Luftnot und Giemen. Langfristig kann es insbesondere bei schwergradigen Asthmaformen zum „Remodeling“ der Atemwege kommen. Dies bedeutet eine nicht voll reversible strukturelle Veränderung in den Atemwegen. Der Atemwegsradius nimmt hierbei ab. Es resultiert eine funktionelle Verschlechterung (Mutschler et al., 2007).
Abbildung 3: Gesunder und asthmatisch-entzündeter Bronchus im Vergleich Pathogenese des allergischen Asthma
Beim allergischen Asthma kommt es zu einer immunologisch vermittelten Entzündungsreaktion. Im Gegensatz zu anderen Asthmaformen liegt hier eine eindeutig immunpathologische Ursache vor. Das Krankheitsgeschehen ist relativ komplex und heterogen. So sind über 100 verschiedene Entzündungsmediatoren bekannt, die innerhalb dieser Erkrankung eine Rolle spielen (Barnes, 1998). - 26 - Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten
Die Frühphase (Sofortreaktion) des allergischen Asthmas ist gekennzeichnet durch eine Interaktion von Antigenen mit spezifischen IgE-Antikörpern. Diese befinden sich beispielsweise an der Oberfläche von Mastzellen oder basophilen Granulozyten und werden von Plasmazellen produziert. Dendritische Zellen scheinen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle bei der Antigen- Präsentation und T-Helfer-2-(Th2)-Zell-Induktion einzunehmen. Die Antigen- Antikörper-Reaktion führt zunächst zur Freisetzung von bestimmten Mediatoren aus den Mastzellen. Solche Mediatoren sind z.B. Histamin, Bradykinin, PAF und diverse Leukotriene. Sie bewirken eine Entzündungsreaktion mit Bronchokonstriktion und Ödembildung. So ist unter anderem Leukotrien C4 für den Bronchospasmus in der Sofort-Reaktion (0-2 Stunden nach Allergen- Kontakt) verantwortlich. PAF ist an der Zerstörung der Epithelzellen und der Bildung zähen Schleims (Dyskrinie) beteiligt. Chemokin-vermittelt (z.B. über RANTES) kommt es zur Rekrutierung von eosinophilen Granulozyten und T- Lymphozyten. Dies sind die beiden wichtigsten Zelltypen in der Spätphase (Rang & Dale, 2008).
Etwa 6-8 Stunden nach Allergenkontakt kommt es zur Spätreaktion des allergischen Asthmas. Die Infiltration von eosinophilen Granulozyten in die Bronchialschleimhaut wird durch Adhäsionsmoleküle (ICAM-1,VCAM-1, E- Selektin) reguliert. Die eosinophilen Granulozyten können wiederum Entzündungsmediatoren wie das genannte Leukotrien C4 produzieren. Nach Degranulation werden zudem das „Major Basic Protein“ (MBP) und „Eosinophilic Cationic Protein“ (ECP) freigesetzt. Diese Proteine besitzen eine zytotoxische Wirkung und zerstören in der Spätphase Bronchialepithelzellen und Nervenendigungen (Rang & Dale, 2008). Wahrscheinlich spielen sie auch eine Rolle bei der Freisetzung von Wachstumsfaktoren (Kay et al., 2004). Dies wäre dann eine mögliche Erklärung für das „airway-remodeling“. Mit diesem Begriff werden strukturelle Veränderungen im Lungengewebe bezeichnet. Zu solchen Prozessen kann es bei langfristigem Entzündungsgeschehen in den Atemwegen kommen, möglicherweise gibt es hier aber auch Früh- manifestationen (Pohunek et al., 2005). Mit den Umbildungen ist eine weitere Verschlechterung der pulmonalen Funktion verbunden. Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 27 -
T-Lymphozyten spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle im Krankheits- geschehen des Asthmas. Beim allergischen Asthma differenzieren CD4+- Lymphozyten nach allgemeiner Lehrmeinung präferenziell zum Th2-Subtyp. Im Gegensatz dazu herrscht bei Patienten mit Autoimmun-Erkrankungen wie Diabetes und rheumatoider Arthritis eine Th1-Zell-begünstigende Immun- Dysbalance vor. Die lokal stark aktivierten Th2-Zellen produzieren bestimmte, Asthma-typische Interleukine wie IL-4, IL-5 und IL-13. Diese fördern die Aktivierung von Entzündungszellen, Freisetzung von Chemokinen und die Expression von Adhäsionsmolekülen. Damit sind die T-Lymphozyten stark involviert in der Aufrechterhaltung der chronischen Entzündung (John, 2002).
Nach neueren Veröffentlichungen könnten die regulatorischen T-Zellen (Treg) als Gegenspieler von Th2-Zellen fungieren oder allgemein das Th1/Th2- Gleichgewicht beeinflussen. Bei den Treg-Zellen handelt es sich um CD4+- Zellen, die von Th2-Zellen verschieden sind und unter anderem IL-10 und Transforming Growth Factor (TGF ) produzieren. Diese Zytokine besitzen eine stark immunsuppressive Wirkung. Möglicherweise ist die verringerte IL-10- Produktion asthmatischer Patienten für die Entzündung in den Atemwegen mitverantwortlich. Das gestörte Gleichgewicht zwischen Th2-Zellen und Treg- Zellen könnte einen Beitrag zum immer noch unvollständigen Wissen über die Beziehung zwischen allergischer Sensibilisierung und dem Entzündungsgeschehen leisten (Akdis & Blamer, 2004; Yssel et al., 2001).
Andere Publikationen sprechen auch den NK (Natürliche Killer)-T-Zellen eine wichtige Rolle im Krankheitsgeschehen zu. Über einen Kontakt eines invarianten T-Zell-Rezeptors mit Antigenen (Glykolipide von Pollen und anderen Allergenen) kommt es Studienergebnissen zufolge bei Asthmatikern zur Zell- Aktivierung. Als Folge werden Interleukine (z.B. IL-4) produziert, wie bei den Th2-Zellen, weshalb man diesem Zelltypus ebenso starke immunregulatorische Effekte zuschreibt (Akbari et al., 2006).
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Pathogenese des nicht-allergischen Asthma
Beim intrinsischen, nicht-allergischem Asthma werden durch unspezifische Noxen (chemische, mechanische, thermische Reize) sog. Irritant Receptors in der Bronchialwand stimuliert. Normalerweise sind diese Rezeptoren durch eine Epithelbarriere vor diesen Triggerfaktoren geschützt. Eine entsprechende Disposition kann dann aber beispielsweise eine Undichtigkeit bewirken (Öffnungen der „tight junctions“). Die Aktivierung der Irritant Receptors hat eine Erregung von Fasern des autonomen Nervensystems zur Folge. Der zugehörige Neurotransmitter Acetylcholin bewirkt nach Freisetzung eine Kontraktion der glatten Bronchialmuskulatur. Außerdem kann diese Substanz eine Mastzell-Degranulation auslösen. Die Konsequenzen entsprechen dann denen des allergischen Asthmas. Freigesetztes Histamin und auch Acetylcholin können im Sinne einer positiven Rückkopplung wiederum die Irritant Receptors aktivieren. Infolgedessen entwickeln sich auch beim intrinsischen Asthma Hyperreagibilität und chronische Inflammation (Mutschler et al., 2007).
Analyse der medikamentösen Versorgung von Asthma-Patienten im Erwachsenenalter mit Routinedaten - 29 -
2.3.4 Mit Asthma assoziierte Syndrome
Allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA)
Schimmelpilze der Schlauchpilz-Gattung Aspergillus können die allergische bronchopulmonale Aspergillose auslösen. Hierbei handelt es sich um eine gemischtförmige allergische Erkrankung der Lunge mit hohem Eosinophilen- Blutspiegel. In der Regel sind Personen betroffen, die bereits an Asthma oder Mukoviszidose leiden. Zur Behandlung ist oftmals der Einsatz von oralen Glucocorticoiden notwendig (Tattersfield et al., 2002; Kumar, 2003).
Analgetika-assoziiertes Asthma / „Aspirin“-induziertes Asthma (AIA)
Erstmals nach der Anwendung von Acetylsalicylsäure wurde ein Symptomkomplex entdeckt, der mitunter auch als Analgetika-Intoleranz oder in der englischsprachigen Literatur als „aspirin hypersensitivity“ oder „aspirin idiosyncrasy“ beschrieben wird. Es handelt sich hierbei um arzneimittel- induzierte pseudoallergische Reaktionen. Die Intoleranz ist nicht genetisch bedingt, sondern wird erworben. In der Regel entwickelt sie sich nach einer chronischen Entzündung der Atemwege. Analgetika-assoziiertes Asthma kann durch fast alle nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) ausgelöst werden. Neben der symptomatischen Behandlung ist eine NSAR-Karenz anzustreben. Alternativ gibt es spezielle Desensibilisierungsmaßnahmen. Nach dem Entdecker wurde die Trias Rhinitis mit Nasenpolypen, Asthma und Analgetika- Intoleranz auch Samter-Syndrom genannt. Wichtige Manifestationen sind neben den asthmatischen Symptomen insbesondere Rhinitis, Urtikaria und/oder Quincke-Ödem und auch Kreislaufversagen. Die wichtigste Theorie zur Pathogenese ist ein Cyclooxygenase-Lipoxygenase-Ungleichgewicht. Durch die NSAR-bedingte Cyclooxygenase-Hemmung stehen vermehrt Arachidonsäure- Metaboliten für den Lipoxygenase-Weg zur Verfügung. Entsprechend werden vermehrt Leukotriene gebildet, die dann unter anderem die Bronchokonstriktion auslösen (Szczeklik et al., 2000; Jäger & Merk, 1996). Die Prävalenz unter Asthmatikern ist unklar, die Schätzungen zur Häufigkeit von Überempfindlich- keitsreaktion nach Einnahme von ASS oder NSAR bei Asthmatikern liegen zwischen 4,3-21 % (Jenkins et al., 2004).
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Churg-Strauss-Syndrom
Beim Churg-Strauss-Syndrom handelt es sich um eine nekrotisierende Vaskulitis kleiner und mittelgroßer Gefäße, die mit Asthma bronchiale sowie einer Blut- und/ oder Gewebs-Eosinophilie assoziiert ist (Keogh & Specks, 2006). Es ist eine sehr seltene Erkrankung, die bei Patienten mit vorbestehendem Asthma mit 64 Fällen pro 1 Mio. Patienten im Jahr allerdings häufiger auftritt. Die Ätiologie ist unklar, Fallberichte deuteten in der Vergangen- heit auf eine Häufung dieses Syndroms unter Montelukast-Therapie hin. Es wird vermutet, dass zumindest bei einigen dieser Patienten subklinische Zeichen eines Churg-Strauss-Syndroms durch hohe Dosen von Glucocorticoiden unterdrückt wurden und die Vaskulitis sich erst entwickelte, nachdem im Rahmen einer Antileukotrien-Zusatzbehandlung eine Dosisreduktion bei Glucocorticoiden erfolgte (Hellmich et al, 2006). Allerdings konnte nach den Ergebnissen eines kürzlich publizierten Review einer FDA-Datenbank in den meisten Fällen weder ein Hinweis auf ein vorbestehendes Syndrom gefunden werden, noch fand eine Reduktion der ICS-Medikation statt (Bibby et al., 2010). Therapiert wird das Churg-Strauss-Syndrom mit Glucocorticoiden und Immun- suppressiva wie Cyclophosphamid oder Methotrexat (Hellmich et al., 2006).
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2.3.5 Differenzialdiagnostisch wichtige Erkrankungen
COPD
Als COPD (Chronic obstructive pulmonary disease) wird eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung bezeichnet, deren Ursache in einer chronischen Bronchitis und/oder einem Lungenemphysem zu finden ist. In Deutschland sind ca. 13 % der Über40jährigen betroffen (Geldmacher et al., 2008). Rauchen ist der bedeutendste Risikofaktor für die Entwicklung einer COPD und Einstellen des Tabakkonsums stellt auch die wichtigste Maßnahme dar, um eine Fortschreiten der Erkrankung zu vermeiden. Zu den typischen Symptomen einer COPD gehören Auswurf von zähem Schleim, chronischer Husten und eine Atemnot, die im Anfangsstadium nur bei Belastungen auftritt. Für die medikamentöse Therapie der COPD existiert ein Stufenschema, das sich nach dem spirometrisch ermittelten Schweregrad richtet (Vogelmeier et al., 2007). COPD-Patienten weisen im Gegensatz zu Asthmatikern keine oder eine nur geringe Reversibilität der Atemwegsobstruktion auf. Eine bronchiale Hyperreagibilität ist kaum vorhanden. Ausreichend diskriminatorische Merkmale, die zum Ausschluss von COPD führen, sind mit Ausnahme des Nachweises einer vollständigen Obstruktionsreversibilität nicht vorhanden. Auch im Entzündungsgeschehen gibt es Überlappungen. So sind Eosinophile auch während einer COPD-Exazerbation nachweisbar und bei schwerem Asthma besteht auch die Möglichkeit einer Neutrophilen-Inflammation, die sonst nur für die COPD typisch ist (Kardos et al., 2006). Grobe Unterscheidungs- möglichkeiten sind in Tabelle 3 dargestellt. Beide Erkrankungen entstehen unabhängig voneinander. Jedoch ist es vorstellbar, dass langanhaltendes Asthma durch Remodeling-Vorgänge in ein COPD mit irreversibler Obstruktion und veränderter Hyperreagibilität übergeht. Da auch COPD-Patienten im Krankheitsverlauf ein überempfindliches Bronchialsystem entwickeln können und auf ICS gut ansprechen, macht es durchaus Sinn bei bestimmten Fällen von Mischformen zu sprechen. Rauchende Asthmatiker haben im Übrigen ein höheres COPD-Risiko als rauchende Nichtasthmatiker (Vonk et al., 2003).
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