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FUSSBALL Gaberln und Gurkerl Mit methodischer Arbeit bringt Teamchef Schwung in Österreichs Nationalteam, am Dienstag Gegner der DFB-Auswahl. Doch für Traditionalisten in Wien bleibt der neue Coach eine Reizfigur – er ist Schweizer. Von Walter Mayr O G A M I

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R O O T P O E F R E A S N S N E E R I V P Österreichs Coach Koller (o.), Fans, C órdoba-Helden Prohaska, Krankl 2011: „Was hat er, was unsere Trainer nicht haben?“

116 & '%! # 37/2012 reht Österreichs Teamchef am mischer Auftritt. In der Wiener Society- wiegend in Österreich lebt, am Spielfeld - Schreibtisch den Kopf nach links, Presse wird er schon unter die fescheren rand steht und Schweizer ist. Ddann sieht er den Zuckerhut. Das Promis der Walzer-Metropole gerechnet. Koller war Spieler und Trainer bei Wahrzeichen Rio de Janeiros haben sie Aber das, so sagt er, interessiere ihn nicht. Grasshopper Zürich, ehe er das Ruder in ihm im Posterformat an die Wand ge - Koller redet mehr mit Spielern und Ver - Köln und später in Bochum übernahm. nagelt. So, dass er nun sogar sitzend sein einstrainern als mit den Berichterstattern Er kennt die Liga, in der seine Schlüssel - Fernziel vor Augen hat: Brasilien, Fuß - vom Boulevard. Er hat eine Facebook- spieler unter Vertrag sind: Prödl und Ar - ball-WM 2014. Seite, wo nachzulesen ist, was er als nautovic in Bremen, Harnik in Stuttgart, Dreht der Teamchef den Kopf nach Teamchef so macht. Auf detaillierte Geg - Ivanschitz in Mainz, Pogatetz in Wolfs - rechts und schaut aus dem Fenster, dann neranalyse und systematisches Arbeiten burg oder Fuchs auf Schalke. sieht er den Innenraum des Wiener Ernst- wird Wert gelegt; mit dem von Traditio - Wenn Koller sich sonntags pflichtbe - Happel-Stadions. Hier, im Allerheiligsten nalisten als „PowerPoint-Willi“ verspot - wusst aufmacht ins abgelegene Wolfsberg des rot-weiß-roten Fußballs, soll an die - teten Sportdirektor steht ein taktisch ge - im Kärntner Lavanttal, zum Spiel der sem Dienstag der erste Schritt Richtung schulter Fachmann zur Seite. Gastgeber gegen Rapid Wien, dann sieht Brasilien getan werden. Zum Auftaktspiel Während Vorgänger Didi Constantini er dort bestenfalls Spieler aus der zweiten der WM-Qualifikation reist die deutsche Taktik noch für „überbewertet“ hielt, Reihe des Nationalkaders. Mit Wohnsitz Nationalelf an. werde nun „weniger unfreiwilliges Kaba - Deutschland wären die Dienstwege kür - Dann wird es ernst für ihn. Für Marcel rett und mehr Inhalt“ geboten, sagt der zer. Doch Koller hat sich, auch auf Drän - Koller, den Teamchef. vielgelesene Kolumnist Gerald Gossmann gen des Verbands, für Wien entschieden. 5:0 hat Österreich die Deutschen in die - von 90minuten.at. Tatsächlich geht es mit So ist er, wenn schon nicht seinen Spie - sem Stadion schon geschlagen, auch 4:1. der verunsicherten Auswahl Österreichs lern, zumindest seinen Kritikern nahe. Die Triumphe liegen Jahrzehnte zurück, inzwischen wieder bergauf. Zuletzt ge - Zu deren Lieblingslokalen zählt eine aus - sind aber im nationalen Fußballgedächt - langen Siege über die Ukraine und die gerechnet „Schweizerhaus“ getaufte Tra - nis stabil verankert. So wie – „I wer’ nar - Türkei. In der neuen Fifa-Rangliste wird ditionsgaststätte beim Happel-Stadion. risch, Krankl schießt ein“ – der als Ohr - Kollers Truppe, um elf Plätze verbessert, Sie wirbt mit böhmischem Bier, reschen wurm allgegenwärtige 3:2-Sieg gegen den vor Panama auf Position 49 geführt. Die Stelzen – Schweinshaxen – und reichlich amtierenden Weltmeister Deutschland „Kronen Zeitung“ titelte im August: „Im Prominenten, darunter . 1978 im argentinischen Córdoba. Prater blüh’n wieder die Träume.“ Stellvertretend für andere Altstars mit Die Helden von damals sind heute Mei - Trainerschein und Lust auf höhere Auf - nungsmacher. Sie bewiesen es zuletzt im gaben hat Österreichs Rekordtorschütze vergangenen Herbst. Die Stelle des Team - Wie die ortsübliche Spezl - schon im vergangenen Herbst zu Proto - chefs war vakant, es wurden prominente wirtschaft funktioniere, koll gegeben, er halte die Berufung Kol - Namen gehandelt, und lers zum Teamchef für eine „unglückliche Thomas Tuchel darunter. Die Wahl des habe ihn nie interessiert, Entscheidung“ – weil der Schweizer zwar Verbands aber fiel auf Marcel Koller. Ausländer, aber leider kein richtiger „Ka - Koller ist keiner aus der Córdoba-Trup - behauptet Koller. pazunder“ sei wie etwa pe. Er ist, schlimmer noch, Schweizer. oder Rafael Benítez. Und sein letzter Arbeitsnachweis war: der In Wahrheit blüht im Happel-Stadion, „Na ja“, sagt und Klassenerhalt 2008 mit dem VfL Bochum. unweit von Prater-Ringelspiel und Stra - macht ein möglichst unschuldiges Gesicht, Bochum. ßenstrich, derzeit nicht einmal der Flachs, „das bisher beste Spiel vom Koller war Stellvertretend für Millionen fragte also denn der karge Schweizer Koller besticht sein erstes für uns – da haben wir verlo - , der „zwaa Goal“ in Córdo - vor allem durch calvinistische Arbeits - ren gegen die Ukraine.“ Prohaska, groß ba auf dem Konto hat, dazu den Titel als ethik. Er ist ein ernsthafter, jedes Wort geworden bei der Wiener , später Europas Top-Torjäger 1978 und drei Jahre wägender Fußballlehrer, der Realitätssinn ein Star bei Inter und der Roma, ist dem als Teamchef: „Was hat Marcel Koller, einfordert. Wer Heldentaten erwarte, wer - Wesen nach ein freundlicher Mensch. Die was unsere Trainer nicht haben?“ de sich leider gedulden müssen, sagt er. in Wien verbreitete Kunstform des ver - Und Herbert Prohaska, Held von Cór - Bis seine Handschrift erkennbar sei, kön - gifteten Kompliments beherrscht er doba auch er, dazu „Österreichs Fußballer ne das „Jahre dauern“. gleichwohl. des 20. Jahrhunderts“? Sprang dem alten Koller ist der 34. Coach der Österrei - Ein wenig fülliger geworden, mit ge - Kameraden Krankl bei und verkündete cher seit dem Zweiten Weltkrieg. Für sei - lichtetem Haupthaar, so sitzt er da im hörbar beleidigt, solche Trainer wie Kol - ne Vorgänger war im Schnitt nach zwei ORF-Sendezentrum am Küniglberg: der, ler „haben wir bei uns genügend“. Jahren Schluss. den sie einst „Schneckerl“ tauften, seiner Krankl macht im Sender Sky und im Der Schweizer Fußballlehrer aber ist Kopfkrause wegen. Ins Schriftdeutsche Kleinformat „Österreich“ Meinung. Pro - durch Hochrechnungen nicht zu beirren. übersetzt und gerafft sagt Prohaska: Da haska kommentiert im ORF und im meist - Zuerst hat er sich Respekt verschafft, im kommt einer aus dem Ausland namens gelesenen Boulevardblatt, der „Kronen Bauch des Stadions hinter Bürotür 107, „Koller, der vorher zwei Jahre lang nichts Zeitung“. Das Urteil der beiden erzeugt nun versucht er die Erwartungen ans gemacht hat“, schnappt sich ein Amt, das millionenfaches Echo zwischen Neusied - Match gegen die DFB-Auswahl zu dämp - vorher Männer wie Krankl oder Prohaska ler und Bodensee. fen: „Alle reden nur noch vom Spiel des ausfüllten, und schert sich wenig um die Auch Marcel Koller spitzte die Ohren, Jahres“, klagt Koller. Fast vergessen Meinung Alteingesessener. „Bisher haben doch er schwieg. Wer mit wem in Wien werde dabei, „welch schwieriges Los wir uns zu einer WM immer nur mit „verhabert“ sei, wie also die ortsübliche Deutschland ist“. Österreichern als Trainer qualifiziert“, Spezlwirtschaft funktioniere und wem er Gut möglich, dass es deshalb am Diens - sagt Prohaska und fügt, ohne eine Miene da gegebenenfalls in die Quere gekom - tagabend im Happel-Stadion zu einer Pre - zu verziehen, hinzu: „Aber das ist natür - men sei, das habe ihn nie interessiert, be - miere kommt: dass nämlich erstmals elf lich Zufall.“ hauptet er heute: „Ich dachte mir, ich fan - Legionäre, größtenteils rekrutiert aus der Abschließend noch ein Ratschlag in Sa - ge jetzt am besten mal an zu arbeiten.“ deutschen , in der Startforma - chen Mannschaftsaufstellung: „Mit Leu - So wie er spricht, so sieht er aus. Drah - tion der Gastgeber auflaufen werden. ten wie Arnautovic gewinnst du nix. Der tige Figur in kurzärmligem Hemd, dyna - Während der einzige Beteiligte, der über - ist leider nicht gescheit genug. Selbst bei

& '%! # 37/2012 117 Inter unter Mourinho war der nur das Maskottchen, ohne was dazuzulernen.“ Der Stürmer Marko Arnautovic von Werder Bremen, so begabt wie launisch, ist einer aus der Generation vielverspre - chender junger Österreicher. Einer, der dem Teamchef viel Fingerspitzengefühl abfordert. Arnautovic hat gerade erst, auf Heimaturlaub, wegen Beleidigung eines Polizeibeamten ein Verfahren kassiert. Bei O T

Länderspielen trägt er Serbiens Flagge auf O H P T dem rechten Schuh, zur Freude der Vor - R O P S fahren väterlicherseits. Zuletzt seien gute O R I

Ansätze erkennbar gewesen, sagt Koller F über sein Sorgenkind. Aber er erwarte Kölner Profi Pezzoni*: „Bundesliga und Vereine müssen Flagge zeigen“ mehr: „auf dem Feld wie außerhalb“. Das dürfte auch für andere gelten. Ver - teidiger Aleksandar Dragovic vom FC Ba - ULTRAS sel schlug im Mai nach dem Schweizer Cupfinale einen Bundesrat auf den Hin - terkopf; Salzburgs Abwehrspieler Franz „Jeder Spieler ist zu schützen“ Schiemer schwänzte gegen die Ukraine im Juni, um auf einem Landgut des Brau - sefabrikanten Dietrich Mateschitz Hoch - Martin Kind, 68, Präsident von Hannover 96, über aggressive zeit feiern zu können; Angreifer Guido Bundesligafans und Konsequenzen aus Gewalt und Pöbeleien Burgstaller wurde im Juli in Klagenfurt, randalierend, von der Polizei abgeführt. Innenverteidiger Paul Scharner vom SPIEGEL: Herr Kind, in SPIEGEL: Was hilft dagegen? Hamburger SV schließlich hat im August, Köln haben Rowdys Kind: Wir dürfen die Konflikte nicht um - A kurz vor seiner Verbannung aus dem P den Spieler Kevin Pez - gehen. Die Bundesliga und ihre Organi - D

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Team, dem Magazin „News“ erzählt, sein N zoni terrorisiert, bis er sation, die DFL, müssen viel konsequen - E F F als Neuerer angereister Teamchef aus der E entnervt den Verein ter handeln, etwa mit Stadionverboten. T S

Schweiz sei in Österreich binnen kurzem R verließ. Der Profi Ema - Ich empfehle, dass die Vereine ihre Straf - E T E weichgeklopft worden wie ein Schnitzel: P nuel Pogatetz war von maßnahmen untereinander abstimmen, „Jetzt müssen sie ihn nur noch panieren.“ Hannover nach Wolfs - damit das gleiche Fehlverhalten nicht un - „Scharner erzählt Unsinn, mir redet im burg gewechselt und wurde von Anhän - terschiedlich geahndet wird. sportlichen Bereich keiner drein“, sagt lä - gern Ihres Clubs als „Sohn einer Hure“ SPIEGEL: Lohnt es sich, dass Clubs und chelnd Koller und widerspricht grundsätz - beschimpft. Hängen die Fälle zusammen? Fans mehr miteinander reden? lich dem Eindruck, er habe da eine Horde Kind: Die Konflikte erreichen eine neue Kind: Ich bin für Dialog, aber die Spiel - Rotzbuben unter sich versammelt. Die Dimension. Menschen werden herabge - regeln müssen klar definiert sein. Grund - meisten seiner Schützlinge taugten zum würdigt, bedroht. Das geht gar nicht. Bun - sätzlich gilt: Die Vereine sind Unterneh - Schwiegersohn. Entscheidend sei für ihn desliga und Clubs müssen Flagge zeigen. men mit hohen Umsätzen, professionell ohnedies „die Arbeit auf dem Platz“. SPIEGEL: Das versuchen Sie – auf Ihre Art. geführt. Da darf es keine Einflüsse von Was allerdings dort, auf dem Platz, in Sie haben diejenigen, die Pogatetz belei - außen geben. Wien noch als hohe Schule gilt, das „Ga - digten, als „Arschlöcher“ bezeichnet. Ist SPIEGEL: Das ist aus Sicht mancher Fans, berln“ wie das „Gurkerl“, das Jonglieren Ihnen der Kragen geplatzt? vor allem der Ultras, ein Problem. Sie und der Beinschuss, das ist Koller nicht Kind: Nein, das habe ich bewusst so pla - fürchten, dass ihr Verein ihnen entgleitet. nur sprachlich fremd; die ganzen alten kativ gesagt. Wenn ich mich diplomati - Kind: Ich schließe nicht aus, dass einige Geschichten über begnadete Stehgeiger scher ausgedrückt hätte, dann hätte sich da eine andere Philosophie haben. Sie und große Virtuosen des österreichischen das gut angehört, wäre aber bei diesen erwarten aber auch moderne Arenen, at - Fußballs, über das „Wunderteam“ in den Leuten nicht angekommen. Ich wollte traktiven Fußball und gute Spieler. Dieser Dreißigern und die Córdoba-Helden, er klarstellen: Der Rubikon ist überschritten. Widerspruch lässt sich nicht auflösen. rechnet das eher unter Folklore. „Für SPIEGEL: Die Aggression im deutschen SPIEGEL: Der FC Bayern hat vorigen Som - mich ist das weit weg“, sagt Koller. Profi-Fußball nimmt zu, in den Stadien mer Manuel Neuer aus Schalke verpflich - Für ihn: ja. Er ist Schweizer. Aber am und außerhalb. Fan-Busse werden abge - tet, trotz massiver Fan-Proteste. Köln da - Dienstag, vor dem Anpfiff im Happel-Sta - drängt, Plätze gestürmt, Spieler atta - gegen ließ Pezzoni ziehen. Hat Bayern dion, werden sie wieder „Volk, begnadet ckiert. Warum eskaliert das so? richtig gehandelt – und Köln falsch? für das Schöne, vielgerühmtes Österreich“ Kind: Gewalt ist sicherlich auch ein gesell - Kind: Ich möchte so antworten: Die Ver - singen – zentrale Zeilen der Bundeshym - schaftliches Phänomen. Aber im Fußball antwortlichen der Vereine sollten aus ne. Auf den Fußball bezogen bedeutet gibt es spezifische Mechanismen. Manche Überzeugung entscheiden. Es gehört zur das: Verlieren ist erlaubt, auch gegen Fans haben hier eine Plattform in der Öf - Führungsstärke, diese Entscheidungen Deutschland. Entscheidend ist das Wie. fentlichkeit gefunden, sie überhöhen ihre dann ohne Wenn und Aber umzusetzen. Dass Ergebnisse nicht alles sind, haben Identität mit dem Verein und ihre An - SPIEGEL: Also hätte Köln Pezzoni den Rü - hier schon andere erfahren müssen. Die sprüche. Und versuchen dabei, einen cken stärken und ihn halten sollen? ruhmreiche Wiener Austria etwa feuerte rechtsfreien Raum zu schaffen. Kind: Ich hätte es so gemacht. Jeder Spieler, 2004, an der Tabellenspitze liegend, kur - ob Leistungsträger der Mannschaft oder zerhand ihren Übungsleiter. nicht, ist zu schützen. Ich bin dagegen, den * Am 25. Februar mit gebrochenem Nasenbein nach Der damals vom Hof Gejagte hieß Joa - einer Attacke eines Unbekannten bei einer Karnevals - vermeintlich bequemen Weg zu gehen. chim Löw. feier in Köln. I$(&)!*: D(# H"

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