LSH-Newsletter vom 19.2.2021

Herzlich willkommen zum Newsletter „Die PALTEI“. Prüfen Sie selbst, ob auch wir lang- sam den Platz am Raclette-Tisch der PARTEI-Familie räumen sollten, weil unsere Witze nicht nur alt, sondern auch veraltet sind.

I. Eilmeldung

< Desperately seeking … >

In den letzten Monaten haben wir so einige und Rolle seines Lebens nicht einmal vor den ganz einiges vermisst: Großonkel Karl zum Beispiel, Großen der Nation zurückschreckt. für den sich immer wieder stark ge- macht hat und der wie Kevin allein zu Haus saß. Nur was ist mit , wir meinten in sei- Den Studierenden wiederum hingen die Lehrkon- nem Sektor der Arbeit durchaus kleinere Prob- serven irgendwann dann doch zum Halse raus, leme ausgemacht zu haben? Hätte sich eigentlich auch wenn man sie konsumieren konnte, wann nicht auch Entwicklungsminister Gerd Müller man denn wollte. Man wollte eben nicht mehr einmal zum immer wieder aufflammenden Impf- und endlich wieder in den Hörsaal. Die Lehren- nationalismus zum Nachteil derjenigen Staaten den wiederum gaben vor, ihnen fehle einfach der positionieren können, denen es nur deshalb vor- inspirierende Austausch ebendort, das müsse sich dergründig gar nicht mal so schlecht geht, weil Se- aber auch nicht so schnell ändern, erst einmal quenzierungen oder auch nur Tests weitgehend gelte die ganze Kraft dem bahnbrechenden Ar- unbekannt sind und die Lebenserwartung ohne- chivaufsatz. hin dramatisch unter derjenigen in Europa liegt?

Von der sog. Riege der Ministerinnen und Minis- Wie steht es schließlich mit unserer Ministerin für ter wiederum sind in unserer Wahrnehmung ir- Bildung und Forschung, wie heißt sie gleich, Anja gendwie auch ein paar abgetaucht. Wir meinen Karliczek? Für uns ist sie fast Kult, geradezu die natürlich weder Gesundheitsminister Antithese ihres Ressorts. noch den in Pandemiezeiten geradezu aufgeblüh- ten Wirtschaftsminister Peter Altmeier, geschwei- https://strafrecht-online.org/zdf-karliczek ge denn Superminister Karl Lauterbach, der in der

NL vom 19.2.2021

II. Law & Politics

< Die Todeszone des Strafbaren >

HochschullehrerInnen lassen sich ihre Gutachten mit dem folgenden Hinweis als ein allzeit bereiter in aller Regel fürstlich entlohnen. Es gibt unter Profi sogar mit einer Art Pressesprecher erweist: ihnen einige, bei denen man sich sogar ein wenig unsicher ist, ob sie eigentlich nebenher auch ir- „Zur Vermittlung eines Interviews, O-Tons oder gendetwas an der Universität machen, Lehre zum Hintergrundgesprächs mit Professor Ogorek Beispiel. Gewinner der Digitalisierung sind sie al- wenden sich bitte, auch kurzfristig, an Herrn Luca lemal. Manns. Ein Pressefoto des Institutsdirektors fin- den Sie hier.“ Volker Erb gehört nicht zu ihnen. Er ist im guten Sinne ein klassischer Hochschullehrer, für den so- https://strafrecht-online.org/koeln-ogorek gar die neue Rechtschreibung etwas Bedrohliches hat, deren Einführung ein sattes Vierteljahrhun- Egal, versuchen wir uns eben an der Frage, was dert zurückliegt. von der Warnung vor manifesten strafrechtlichen Risiken zu halten ist. Ganz so sicher sind wir uns Vielleicht ist er im sympathischen Sinne auch bei einer zunächst einmal allein der Logik des nicht ganz von dieser Welt, wenn er sich betrübt Gutachtens folgenden Betrachtung nicht, warum darüber zeigt, dass seine im Dienst der Gesell- der Impfstoffexport in die EU und die Schweiz schaft entwickelten wissenschaftlichen Erkennt- hinzunehmen sei. Schadet dies einer maximalen nisse, die er an das Kanzleramt und das Bundes- Beschleunigung nicht doch ein wenig? ministerium für Gesundheit geschickt hatte, doch tatsächlich unbeantwortet geblieben seien. Dabei Der Knackpunkt der Argumentation scheint hatte er doch nur freundlich darauf hinweisen dann aber doch eher der durchaus thematisierte wollen, die derzeitige Praxis der Impfstoffbe- zu sein, nämlich ob es nicht ein politischer Gestal- schaffung könne für und Jens tungsspielraum der Entscheidungsträger verbiete, Spahn als (versuchter) Totschlag durch Unterlas- den strafrechtlichen Knüppel zumindest drohend sen oder jedenfalls als (versuchte) Körperverlet- aus dem Sack zu holen. Dieser Gestaltungsspiel- zung durch Unterlassen zu bewerten sein. raum ist zudem in der EU normativ vorstruktu- riert. Das sei nicht der Fall, so Erb, und er wieder- Und so entschloss er sich, sein Gutachten zu Er- holt sein Argument trotz gedrängter Kürze des folg, Kausalität, Abwendungsmöglichkeit, Garan- Gutachtens gleich mehrfach: Wer es in der Coro- tenstellung und Vorsatz ganz modern sogar, näm- napandemie als alternativlos ansehe, über viele lich open source, auf seiner Webpräsenz zu Ver- Monate hinweg Grundrechte flächendeckend ein- fügung zu stellen, auf dass ein jeder Rechtschaf- zuschränken, der müsse umgekehrt zur erwähn- fene sich sein Urteil bilden möge. ten maximalen Beschleunigung bei den Impfun- gen verpflichtet sein. „Hiernach muß die Bundes- https://strafrecht-online.org/erb-gutachten regierung bei der Beschaffung eines lebensretten- den Impfstoffs notfalls in vergleichbar robuster In diesem Kontext lesen wir des Weiteren voller Weise agieren, wie sie das beim „Lockdown“ tut.“ Empörung, Professor Ogorek habe eine medien- [S. 3] öffentliche Diskussion „über die Frage einer straf- bewehrten Pflicht von Regierungspolitikern zur Solche reziproken Argumentationsspiele haben maximalen Beschleunigung der COVID-19- auch in der Rechtswissenschaft etwas durchaus Impfungen in Deutschland“ verweigert. Hiernach Faszinierendes, sie sollten aber schon stimmen: sollte sich doch jeder zum Duell Aufgeforderte Und wir vermögen einer bereichsweise verfas- die Finger schlecken. Und wir reden hier von sungsrechtlich bedenklichen Einschränkung der Markus Ogorek, der sich auf seiner Webpräsenz Freiheitsrechte nun definitiv nicht abzuringen,

- 2 - NL vom 19.2.2021 dass im Gegenzug (gerechterweise?) das Straf- auch der Bundeskanzlerin anlasten? Denn immer- recht eben zu intensivieren sei. Ganz davon abge- hin hatte ihr Brinkmann Mitte Oktober in einem sehen, dass die von Erb geforderte robuste Vor- Telefonat persönlich mitgeteilt, es sei bereits gehensweise offensichtlich verlangt, rechtliche zwölf Uhr und nicht fünf vor. Hürden einer maximalen Beschleunigung im Dienste der Gesundheit einfach mal ohne viel Fe- https://strafrecht-online.org/focus-brinkmann-zwoelf derlesen einzureißen. Schließlich würde einmal mehr und durchaus typischerweise die Rolle des Aber wie ist es zu bewerten, dass die mahnende Strafrechts als ultima ratio verkannt. Stimme von Merkel offensichtlich unter den Mi- nisterpräsidentinnen und -präsidenten nicht ge- Aber wenn wir schon uns schon einmal in einer hört wurde? Ein wahres weiteres Fest für die Art Strafrechtsrausch befinden: Könnten wir Strafrechtsdogmatik. Volker Erb, bitte überneh- nicht die von Melanie Brinkmann („Der Wettlauf men Sie! ist längst verloren!“) wegen des zögerlichen Herbst-Lockdowns errechneten 30.000 Toten https://strafrecht-online.org/fr-erb

III. Forschung & Gesellschaft

< Die unfreiwillige Selbstveröffentlichung – nicht mit uns >

Das Herumhacken auf der „Generation unsicht- Aber ist dies nicht ohnehin ein leichtes Unterfan- bar“ ist noch längst nicht vorbei. Sie soll sich ge- gen, weil junge Menschen jederzeit und überall fälligst endlich demaskieren und in den Zoom-Sit- bereitwillig ihre Daten preiszugeben bereit sind? zungen zu erkennen geben. Stefanie Diekmann räumt in einem Interview zur Soziologie der Videokonferenzen mit diesem Wir haben uns mit deren Motiven bereits befasst Vorurteil auf: Social-Media-Aktivitäten erfolgten und den Universitäten hierüber ein ernüchterndes weitaus dosierter und auch kontrollierter, als dies Zeugnis ausgestellt. Die digitalen Vorlesungen ha- auf einer Videokonferenz möglich sei, die man ben das Desinteresse der Studierenden an Kom- nur bereichsweise im Griff habe. Denn eine sol- munikation nur optisch unmissverständlich auf che gehört zur Kategorie der unfreiwilligen den schwarzen Punkt gebracht, das natürlich be- Selbstveröffentlichung, die die jungen Menschen reits davor existierte. Dabei ist ihre Bereitschaft nicht sonderlich schätzen. Deren Domäne ist die zu kritischer gesellschaftlicher Reflexion und Dis- teilweise überaus aufwendige Selbstinszenierung, kussion durchaus vorhanden, nur eben nicht an wir ein wenig süffisant ergänzen dürfen. der Uni und schon gar nicht in der Vorlesung. Junge Menschen haben sich über ihre durchaus https://strafrecht-online.org/nl-2020-06-26 [S. 5] intensive Social-Media-Nutzung eine Kompetenz aufgebaut, die sie reservierter macht. Die Genera- Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter des Lan- tion der häufig nicht mehr ganz taufrischen Leh- des Baden-Württemberg, wiederum war auf einer renden wiederum, die sich bereits wie ein Schnee- vom LSH mitveranstalteten Tachelesveranstal- könig freut, irgendwie mit der Hilfe junger Men- tung geradezu entsetzt, wie die Lehrenden biswei- schen in die Zoom-Sitzung gelangt zu sein, schert len versuchten, fast nötigend die Studierenden im sich in ihrer Euphorie zunächst einmal nicht groß Rahmen der Zoom-Vorlesungen zur Preisgabe um ihre Daten. ihrer (Bild-)Daten zu veranlassen. https://strafrecht-online.org/tacheles-brink-2021

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Stefanie Diekmann macht bei der Nutzung digi- irgendwann wieder einmal ein solches im Hörsaal taler Technologien drei Phasen aus: Panik, inte- werden sollte. Das Ende des „Emergency Remote ressierte Auseinandersetzung mit den Möglichkei- Teaching“ bedeutet eben nichts anderes als die ten sowie eine sicht- und hörbare Ermüdung. Fast Rückkehr zur ursprünglichen Misere. scheint es so, als hätten sich die Studierenden überaus rasch und routiniert in die dritte Phase https://strafrecht-online.org/ts-diekmann begeben. Daran wird sich auch nach der Pande- mie nichts ändern, wenn aus dem Digitalformat

IV. Die Kategorie, die man nicht braucht

< Satirepartei, Spaß vorbei >

Nico Semsrott gehörte 2017 bis 2019 zum En- geordneter, auf Twitter: „Was als Rassismus emp- semble der heute-show im ZDF. Er kandidierte funden wird, bestimmen vor allem die Betroffe- 2019 bei der Europawahl für die PARTEI, errang nen.“ ein Direktmandat und gab im Januar seinen Aus- tritt aus der PARTEI bekannt. Seinen Sitz als Eu- https://strafrecht-online.org/twitter-buelow ropaabgeordneter behielt er durchaus zur Überra- schung einiger. Er könne „das Leid nicht verant- Diese Eckdaten erden in unseren Augen Nico worten, das ein*e Nachrücker*in statt meiner er- Semsrott ein wenig. Er trägt die die PARTEI aus- tragen müsste“. machende Philosophie zu Grabe, indem er sich systemkonform verhält und Verantwortung über- https://strafrecht-online.org/semsrott nimmt. Er schafft es sogar in enttäuschender Weise, Martin Sonneborn zu einem ebenfalls im In seiner Auseinandersetzung mit Martin Sonne- System verharrenden Kotau zu veranlassen. Die born sekundierten ihm Vice sowie Marco Bülow Einbeziehung der bisweilen auch eher beiläufig nahezu wortgleich. Betroffenen in die Bewertung von Satire nimmt dieser die Luft. Nichts anderes war beim Oberbe- Vice, offensichtlich die wichtigste Informations- griff der Kunst der Fall, als deren Güte oder sogar quelle der Digital Natives mit Suchtfaktor und zu- Legitimität nach dem durchschnittlichen Betrach- gleich zuverlässiger Lieferant von „Geschichten ter definiert werden sollte. vom Rande des Abgrunds“: „Es spielt keine Rol- le, ob ein Absender seine Aussage diskriminierend Das Ergebnis ist jeweils systemerhaltender meint. Was zählt, ist ausschließlich, ob er damit Durchschnitt, über den natürlich auch heute- jemanden verletzt.“ show und Vice trotz „Provokation und Hang zur Rüpelhaftigkeit“ – Schraven zu Voice of Montreal https://berlinergazette.de/vice-journalismus-abgrund/ als dem Ausgangspunkt von Vice – nicht hinaus- kommen. https://strafrecht-online.org/vice-sonneborn https://www.faz.net/-gsb-a7i2z Und Bülow, seit November PARTEI-Mitglied und als ehemaliger SPD-Politiker Bundestagsab- https://strafrecht-online.org/ts-semsrott

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V. Das Beste zum Schluss

Uns gefällt die respektvolle Ernsthaftigkeit der Unterhaltung, bei der auch Jerry L. Phillips sein Nickerchen unterbricht und lächelt: I am not a cat. https://strafrecht-online.org/youtube-cat

Ihr LSH, uns interessiert wenig mehr als uns selbst.

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Roland Hefendehl & Team Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Tel.: +49 (0)761 / 203-2210 Mail: [email protected] Netz: https://strafrecht-online.org

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