431_47_52_Peters 29.09.2005 9:01 Uhr Seite 47

Zur Geschichte Vom Beitrittstermin des 3. Oktober 1990 zum Nationalfeiertag

Gunnar Peters

Am 3. November 2004 einigten sich Spit- sagend, inhaltsleer, nicht überhöhungs- zenvertreter der SPD darauf, den 3. Okto- fähig“. Kaum jemand wisse, weshalb ber als gesetzlichen Feiertag abzuschaffen. man gerade diesen Tag feiere. „Wer her- Der Tag der Deutschen Einheit sollte künf- umfragt, wird selten eine richtige Ant- tig am ersten Sonntag im Oktober began- wort hören.“ Baring kennt sie hoffentlich gen werden. und erliegt nicht dem Irrtum von Wil- Das Ansinnen erhielt mehr Kritik als helm Hennis, der zum „Er- Beifall. Selbst der Juniorpartner der rot- finder“ erhob (Frankfurter Allgemeine Zei- grünen Koalition versagte seine Unter- tung am 28. September 2000): Am 29. Au- stützung, weil er sich übergangen fühlte. gust 1990 habe der Bundeskanzler den Bundespräsident Horst Köhler setzte sich Gedanken in die Welt gesetzt, den 3. Ok- in einem Brief an den Bundeskanzler tober zum neuen Nationalfeiertag zu er- nachdrücklich dafür ein, den 3. Oktober heben. als Feiertag zu erhalten. Die Idee erwies Helmut Kohl hat sich vielerlei Ver- sich als Rohrkrepierer: am Mittwoch ge- dienste um die deutsche Einheit erwor- boren, am Donnerstag verkündet, am ben. Doch der 3. Oktober geht nicht auf Freitag zurückgezogen. Trotzdem nannte ihn zurück, sondern auf die 10. Volks- der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering kammer. Dieses erste demokratisch legi- den Vorstoß „sinnvoll und mutig“. timierte Parlament der DDR beschloss in Politikwissenschaftler mögen die wah- der Nacht vom 22. auf den 23. August ren Hintergründe des Vorschlags disku- 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik zum tieren, Ökonomen seine wirtschaftlichen 3. Oktober 1990. Effekte, Philosophen den Mut seiner Ein- Nach den freien und geheimen Volks- bringer. Der Historiker soll der Ge- kammerwahlen vom 18. März 1990 hatte schichte des 3. Oktober nachspüren: Wa- die CDU zusammen mit ihren Partnern rum begehen wir den Nationalfeiertag der „Allianz für Deutschland“, dem De- gerade am 3. Oktober? Was bedeutet uns mokratischen Aufbruch (DA) und der dieses Datum? Deutschen Sozialen Union (DSU), sowie Seit Jahren sind in den Feuilletons im- mit den liberalen Parteien und mit der mer wieder „bessere“ Nationalfeiertage SPD eine große Koalition unter Minister- eingebracht worden, etwa der 9. Novem- präsident Lothar de Maizière gebildet. ber oder der 17. Juni, der in der alten Die Regierungspartner strebten laut Koa- Bundesrepublik zwischen 1953 und 1990 litionsvereinbarung an, die deutsche Ein- Nationalfeiertag war. Die Kritik am 3. heit im Wege des Beitritts der DDR zur Oktober bleibt meist oberflächlich. So be- Bundesrepublik nach Artikel 23 des Bon- klagte Arnulf Baring 1999 in der Zeit- ner Grundgesetzes „zügig“ zu verwirk- schrift Aus Politik und Zeitgeschichte, der 3. lichen. Dies verlangte früher oder später Oktober sei als Nationalfeiertag „nichts- eine Terminfindung.

Nr. 431 · Oktober 2005 Seite 47 431_47_52_Peters 29.09.2005 9:01 Uhr Seite 48

Gunnar Peters

In den ersten Wochen nach der Amts- dem Gebiet der DDR noch nicht gebildet, übernahme hatte sich die Koalition in der Prozess der Rechtsangleichung noch Ost- auf einen längeren Weg bis zur nicht vertraglich vereinbart. Zudem Vereinigung eingestellt. Am 18. Mai 1990 mussten internationale Irritationen ver- wurde der Staatsvertrag über die Wäh- mieden werden. In den Zwei-plus-vier- rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion Gesprächen war ein Konsens über die äu- unterzeichnet, mit dem beide deutsche ßeren Aspekte der deutschen Einheit Staaten laut Präambel „einen ersten be- noch nicht absehbar. Andererseits durfte deutsamen Schritt“ in Richtung Einheit die Bevölkerung nicht am Willen der Par- unternahmen. Zu diesem Zeitpunkt ging lamentarier zur schnellen Einheit zwei- die überwiegende Mehrheit noch davon feln. Vor allem in der CDU/DA-Fraktion aus, dass es bis zu deren Vollzug länger gab es einen nicht unerheblichen Teil von als ein Jahr dauern würde. Abgeordneten, der schnellstmöglich bei- treten wollte und nicht bereit war, sich in Schnelle Einheit? Fragen der deutschen Einheit von der Ein Paukenschlag eröffnete die schwie- DSU übertrumpfen zu lassen. rige Diskussion in der Volkskammer um Vor der Volkskammer resümierte der den „richtigen“ Termin. Am Sonntag, SPD-Fraktionsvorsitzende Richard Schrö- dem 17. Juni 1990, fand vormittags in Ost- der: „Das Gute zur Unzeit kann schlecht Berlin eine Feierstunde beider deutscher sein, und das wollen wir diesem Projekt Parlamente zum Gedenken an den Auf- der deutschen Einigung nicht antun, daß stand von 1953 statt. Am Nachmittag be- es eine Fahrt mit Achsbruch oder eine gann eine Sondersitzung der Volkskam- Fahrt mit Verstimmungen wird.“ Schrö- mer, auf der die DSU überraschend einen der warnte, dass bei sofortigem Beitritt Antrag einbrachte: Beitritt der DDR zur noch am selben Abend die 400 000 sowje- Bundesrepublik „mit dem heutigen Tag“. tischen Soldaten in der DDR plötzlich im Die DSU hatte sich von jeher der Geltungsbereich des Grundgesetzes sta- schnellstmöglichen Einheit verschrieben. tioniert wären. Man stimme „mit dem Mi- Da schien der 17. Juni gerade recht: „Die- nisterpräsidenten darin überein, daß diese ser Tag ist wie kein anderer geeignet, ein Regierung und auch dieses Parlament Zeichen zu setzen.“ Mit dieser Sicht stand zwar die Aufgabe haben, sich überflüssig Jürgen Schwarz (DSU) nicht allein. Auch zu machen […], aber bitte nach getaner Ar- eine Gruppe von Abgeordneten der Frak- beit“! tionen Bündnis 90/Grüne, SPD und Der Antrag wurde zur eingehenden CDU/DA hatte einen Antrag auf Beitritt Beratung in die Ausschüsse verwiesen. nach Artikel 23 Grundgesetz vorbereitet, Das war möglich, weil er auf Beitritt „mit den sie aber nicht stellen konnte, weil Be- dem heutigen Tag“ lautete, nicht „zum fürworter von CDU/DA und SPD nach 17. Juni 1990“. So konnte das Datum Fraktionssitzungen ihre Unterschriften einer späteren Beschlussfassung gelten. zurückgezogen hatten. Die Diskussion um Beitrittstermine war Da eine Zweidrittelmehrheit für seine damit nicht beendet, sondern ging erst Aufnahme votierte, kam der DSU-Antrag richtig los. auf die Tagesordnung. Ihn abzulehnen Der DSU-Antrag verschwand zu- war notwendig, wollte man die gerade nächst in der Versenkung. Als nach dem begonnene parlamentarische Arbeit fort- Treffen von Michail Gorbatschow und führen. Die Regierung war erst seit zwei Helmut Kohl Mitte Juli eine vertragliche Monaten im Amt. Der erste Staatsvertrag Regelung der äußeren Aspekte der Ein- war noch nicht ratifiziert, die Länder auf heit noch im selben Jahr wahrscheinlich

Seite 48 Nr. 431 · Oktober 2005 431_47_52_Peters 29.09.2005 9:01 Uhr Seite 49

Vom Beitrittstermin zum Nationalfeiertag

wurde, beantragten die Liberalen zur Die zeitlichen Eckpunkte waren Ideen Volkskammertagung am 20. Juli 1990 den von CDU und SPD entsprungen. Die so- Beitritt „mit Wirkung vom 1. Dezember zialdemokratische Volkskammerfraktion 1990“. Die SPD unterstützte den Antrag hatte sich eine Idee des saarländischen und konnte sich als Termin auch den 2. Ministerpräsidenten und SPD-Kanzler- Dezember 1990, 0.00 Uhr, vorstellen. kandidaten zu Eigen Dahinter lag die Absicht, für die erste gemacht, am 15. September beizutreten, gesamtdeutsche Bundestagswahl am 2. kurz nach der geplanten Unterzeichnung Dezember 1990 ein einheitliches Wahl- des Zwei-plus-vier-Vertrages. Das Ansin- recht und Wahlgebiet zu gewährleisten. nen, die Volkskammer möge den Beitritt Wenn der Beitritt vor Öffnung der Wahl- nach Artikel 23 Grundgesetz bis zum 15. lokale erfolgte, so das Kalkül, würde September 1990 vorsehen, wurde jedoch Bundeswahlrecht mit gesamtdeutscher in der Plenarsitzung am 8. August abge- Fünf-Prozent-Sperrklausel gelten. Damit lehnt. Zustimmung fand ein Antrag der wäre es für Parteien wie die PDS, die DSU CDU/DA-Fraktion, die Verfassungsor- und vor allem Bündnis 90/Grüne schwer gane der Bundesrepublik zu ersuchen, gewesen, in Fraktionsstärke in den Bun- Wahlen zum gesamtdeutschen Parla- destag einzuziehen. Ein dadurch beding- ment in Verbindung mit dem Beitritt der tes Erstarken der Liberalen und der So- DDR zur Bundesrepublik am 14. Oktober zialdemokraten wollte die CDU nicht 1990 zu ermöglichen. hinnehmen. Ihr Vertreter warb vor der De Maizière hatte am 1. August 1990 Volkskammer dafür, das Grundgesetz heimlich Bundeskanzler Kohl im Urlaub auf dem Gebiet der DDR am Tage der am Wolfgangsee besucht und angesichts Konstituierung eines gesamtdeutschen der ausufernden Probleme der DDR in Parlaments in Kraft zu setzen oder frü- den Bereichen Finanzen, Wirtschaft, Sozi- hestens am 3. Dezember 1990, 0.00 Uhr. ales und Landwirtschaft die Flucht nach vorn angetreten. Nach seinen Vorstellun- Beitrittsbedingungen gen sollte die erste gesamtdeutsche Bun- Wegen der Haltung der CDU in der destagswahl auf den 14. Oktober 1990, Wahlrechtsfrage verließen die Liberalen den Tag der ostdeutschen Landtagswah- am 24. Juli die Koalition. Am 8. August len, vorgezogen werden. Die Volkskam- legte der Ausschuss „Deutsche Einheit“ mer sollte auf einer Sondersitzung un- auf einer Sondersitzung, zu der die Abge- mittelbar vor der Wahl den Beitritt der ordneten aus der Sommerpause einberu- DDR zur Bundesrepublik erklären. Am 3. fen worden waren, seine Beschlussemp- August informierte de Maizière die Me- fehlung zum DSU-Antrag vom 17. Juni dien. Das Vorhaben hätte einer vorzeiti- vor. Sie nannte drei Bedingungen für ei- gen Auflösung des Bundestages bedurft. nen Beitritt: Ratifizierung des Einigungs- Da der Bundespräsident dafür nicht zu vertrages, Klärung der äußeren Aspekte gewinnen war und sich die westdeutsche der Vereinigung in den Zwei-plus-vier- SPD brüskiert zeigte über dieses Manöver Gesprächen, Länderbildung auf dem Ge- hinter ihrem Rücken, wurde der anvi- biet der DDR. „Sind diese Voraussetzun- sierte Wahltermin (2. Dezember 1990) bei- gen gegeben, so soll der Beitritt zum frü- behalten. hestmöglichen [sic] Zeitpunkt, in jedem Die Sozialdemokraten nahmen Mitte Falle aber zwischen dem 15. 9. 1990 und August 1990 die Entlassung zweier ihrer 14. 10. 1990 erfolgen.“ Bis auf diesen letz- Minister durch de Maizière zum Anlass, ten Satz, der knapp abgelehnt wurde, aus der großen Koalition auszutreten. Da- folgte das Plenum dem Ausschuss. raufhin traf sich de Maizière am 21. Au-

Nr. 431 · Oktober 2005 Seite 49 431_47_52_Peters 29.09.2005 9:01 Uhr Seite 50

Gunnar Peters

gust mit allen Fraktionsvorsitzenden und lissen einen Kompromiss zu schmieden: schlug vor, zum 14. Oktober 1990 der Beitritt zum 3. Oktober 1990. Die Fraktio- Bundesrepublik beizutreten. Die Erklä- nen wollten dieses Datum aber nur mit- rung über den Beitritt sollte die Volks- tragen, sofern zunächst ihre anderen Vor- kammer auf einer Sondersitzung einige schläge mehrheitlich verworfen würden. Tage vorher abgeben, am 7. Oktober (Jah- Drei Erwägungen haben die Wahl des restag der DDR) oder am 9. Oktober („Tag 3. Oktober 1990 als Beitrittstermin be- von Leipzig“ 1989). Die SPD-Fraktion stimmt: hielt jedoch am 15. September fest. Auf ei- Erstens: Man war sich unsicher, wie der nem Treffen vor der Volkskammertagung „41. Jahrestag der Republik“ begangen am 22. August sprach de Maizière mit den werden sollte; die Volkskammer hatte Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen den 7. Oktober als Feiertag bereits im Juni nochmals über Beitrittstermine, darunter 1990 durch Änderung des Arbeitsgesetz- den 6. Oktober 1990. buches abgeschafft; das Datum galt aber weiterhin als Symbol des SED-Staates. Ende der Diskussion Der Beitritt musste aus symbolischen Das Präsidium der Volkskammer hatte Gründen vor dem 7. Oktober 1990 erfol- alle Anträge auf Beitritt von der Tages- gen. ordnung der Plenarsitzung am 22. Au- Zweitens: Für den 1. Oktober 1990 war gust verbannt. Überraschend verlangte in New York ein KSZE-Außenminister- Ministerpräsident de Maizière am Ende treffen geplant, auf dem der Zwei-plus- der Tagung die Einberufung einer vier-Vertrag den KSZE-Staaten zur Sondersitzung für denselben Abend, um Kenntnis gebracht werden sollte. Das den „Fahrplan“ zur deutschen Einheit hatte keine völkerrechtliche Bedeutung, endgültig festzulegen. Unter Verweis auf wohl aber eine politische. Denn die äuße- sein Gespräch mit den Fraktionsvorsit- ren Aspekte der deutschen Einheit – die zenden vom Vortag sagte er, man müsse Einbettung des vereinten Deutschlands sich erneut um eine Lösung bemühen. Im in eine transatlantisch-europäische Frie- Zuge der Debatte um verschiedene Ter- densordnung – waren nicht auf einer mine habe das Ansehen der Volkskam- Friedenskonferenz erörtert worden, son- mer Schaden genommen. „Der Bevölke- dern im Forum der „Zwei plus vier“. Die rung ist meines Erachtens das Hin und Information über den Vertrag bildete den Her nicht länger zuzumuten. Ich habe Ersatz für die Nichtbeteiligung der meis- viele Anrufe, Briefe und ähnliches aus der ten europäischen Staaten am Zwei-plus- Bevölkerung erhalten. Es wird Zeit, die vier-Prozess. Wollte Bundesaußenminis- quälende Diskussion zu beenden.“ ter Hans-Dietrich Genscher an der Konfe- Um 21.10 Uhr begann die Sondersit- renz teilnehmen und rechtzeitig zur Ver- zung der Volkskammer, die erst gegen einigung wieder in Deutschland sein, 3.00 Uhr des folgenden Tages endete. Auf musste man wegen der Zeitverschiebung der Tagesordnung standen zwei Anträge. mindestens noch einen „Brückentag“ Die DSU beantragte wiederum den sofor- vorsehen. Die DDR konnte aus europapo- tigen Beitritt, am 22. August 1990. Mehr litischen Gründen erst nach dem 2. Okto- als zwanzig CDU-Abgeordnete wollten, ber 1990 beitreten. entsprechend de Maizières Vorschlag, Drittens: Der frühestmögliche Termin, die Volkskammer auf einer Tagung am 9. der 3. Oktober, war nicht „historisch vor- Oktober den Beitritt mit Wirkung vom belastet“. Einzig zwei Jahre zuvor war an 14. Oktober 1990 beschließen lassen. In diesem Tag Franz Josef Strauß verstor- drei Auszeiten gelang es, hinter den Ku- ben, was die tageszeitung (taz) zu der bissi-

Seite 50 Nr. 431 · Oktober 2005 431_47_52_Peters 29.09.2005 9:01 Uhr Seite 51

Vom Beitrittstermin zum Nationalfeiertag

gen, aber wohl nicht ganz ernst gemein- deutlich die erforderliche Zweidrittel- ten Feststellung veranlasste: Am 3. Okto- mehrheit. Die Fraktionen der CDU/DA, ber „wollen die Bayern trauern, nicht der DSU, der FDP und der Bauernpartei feiern“. (DBD/DFD) votierten geschlossen für In der Aussprache vor der Volkskam- den Antrag, ebenso – bis auf vier Ab- mer vertraten die Fraktionen nochmals weichler – die SPD. Die PDS und der ein- ihre Standpunkte. Als der PDS-Fraktions- zige Abgeordnete der Vereinigten Linken vorsitzende dafür plädierte, lehnten den Antrag ab. Gespalten zeigten die Beitrittsentscheidung bis zum 9. Ok- sich Bündnis 90/Grüne: Zwei Fraktions- tober 1990 zu Gunsten der Sacharbeit aus- mitglieder stimmten mit Ja (Joachim zusetzen, wies sein Kollege Rainer Ortleb Gauck, Konrad Weiß), acht mit Nein (da- (FDP) jeglichen Aufschub oder bloße Ab- runter , Jens Reich), sichtserklärungen zurück: „Wir sind ein- fünf enthielten sich (darunter Günter fach müde geworden, und wir machen Nooke, Vera Wollenberger). andere damit müde, daß wir keine Ent- scheidung finden können.“ Anschließend Jubelnder Beifall verwarf das Plenum einen Änderungsan- Nachdem Volkskammerpräsidentin Sa- trag der SPD auf Beitritt am 15. September bine Bergmann-Pohl (CDU) das Abstim- 1990, den DSU-Antrag auf sofortigen Bei- mungsergebnis verkündet hatte und dies tritt und einen Änderungsantrag von mit gebührendem Beifall aufgenommen Bündnis 90/Grüne, über den Beitritt auf worden war, bat Gregor Gysi um die Ab- einer Tagung am 3. Oktober 1990 zu ent- gabe einer persönlichen Erklärung. „Das scheiden. Parlament hat soeben nicht mehr und Gegen 0.45 Uhr wurde der gemein- nicht weniger als den Untergang der Deut- same Änderungsantrag von CDU/DA, schen Demokratischen Republik zum 3. DSU, FDP und SPD eingebracht: „Die Oktober 1990 …“ Weiter kam Gysi nicht; Volkskammer erklärt den Beitritt zum denn „jubelnder Beifall bei der CDU/DA, Geltungsbereich des Grundgesetzes der der DSU, teilweise bei der SPD“ unter- Bundesrepublik Deutschland gemäß Ar- brach ihn. Als er wieder einsetzen konnte, tikel 23 des Grundgesetzes mit Wirkung sagte er: „Ich bedaure, daß die Beschluß- vom 3. Oktober 1990. Sie geht dabei da- fassung im Hauruckverfahren über einen von aus, daß die Beratungen zum Ei- Änderungsantrag geschehen ist und keine nigungsvertrag zu diesem Termin abge- würdige Form ohne Wahlkampftaktik ge- schlossen sind, die Zwei-plus-vier-Ver- funden hat; denn die DDR, wie sie auch handlungen einen Stand erreicht haben, immer historisch beurteilt werden wird, der die außen- und sicherheitspolitischen war für jeden von uns – mit sehr unter- Bedingungen der deutschen Einheit re- schiedlichen Erfahrungen – das bisherige gelt, die Länderbildung so weit vorberei- Leben.“ tet ist, daß die Wahl in [sic] den Länder- Am Ende brachte sich sogar die PDS parlamenten am 14. Oktober 1990 durch- noch konstruktiv ein. In aller Hektik hat- geführt werden kann.“ ten die Abgeordneten nur den Beitritt ih- Der 3. Oktober war nicht das Datum ei- res Parlaments beschlossen. Im Beschluss- ner Partei, sondern der Nenner, auf den text erklärte die Volkskammer den Beitritt sich die einstigen Partner der großen Ko- zur Bundesrepublik, spezifizierte aber alition einigen konnten. Mit 294 gegen 62 nicht, wer beitrete. Als Gysi darauf auf- Stimmen bei sieben Enthaltungen bestä- merksam machte, ergänzte das Präsidium tigte die Volkskammer den verfassungs- der Volkskammer nachträglich die Proto- ändernden Beschluss und übertraf dabei kolle. Auch ohne diese Korrektur wäre die

Nr. 431 · Oktober 2005 Seite 51 431_47_52_Peters 29.09.2005 9:01 Uhr Seite 52

Gunnar Peters

DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesre- min zum neuen Nationalfeiertag zu ma- publik beigetreten. Die Absicht der Volks- chen lag auf der Hand, zumal 1990 nie- kammermehrheit war schließlich offen- mand dem 17. Juni nachgetrauert hat. kundig, und schon der Parlamentarische Für Deutschland hat der 3. Oktober Rat hatte 1948 „den Beitritt so wenig wie 1990 eine zweifache Bedeutung. Zum ei- möglich erschweren und so offen wie nen trat die DDR der Bundesrepublik bei möglich gestalten“ wollen. und hörte somit auf zu existieren. Zutref- Vom Beitrittstermin zum National- fend hat Lothar de Maizière damals von feiertag war es für den 3. Oktober ein klei- einem „Abschied ohne Tränen“ gespro- ner Schritt. Noch am 23. August 1990 chen. Zum anderen erhielt das vereinte sprach sich der Volkskammerabgeord- Deutschland die volle Souveränität über nete Conrad-Michael Lehment (FDP) da- seine inneren und äußeren Angelegenhei- für aus, das „Kompromissdatum“ 3. Ok- ten. Zwar konnte der Zwei-plus-vier-Ver- tober „als gesamtdeutschen Feiertag zu trag erst mit Hinterlegung der letzten verankern“. Vom 28. August datiert ein (sowjetischen) Ratifikationsurkunde im FDP-Antrag, wonach die Volkskammer März 1991 in Kraft treten, doch haben vorschlagen solle, den 3. Oktober „künf- Vertreter der vier alliierten Siegermächte tig in jedem Jahr als Nationalfeiertag – des Zweiten Weltkriegs am Rande des ‚Tag der Deutschen Einheit‘ – zu bege- KSZE-Treffens in New York (1. Oktober hen“. Der sollte hierzu die ge- 1990) eine Erklärung unterzeichnet, in der setzlichen Voraussetzungen schaffen. sie bereits zum 3. Oktober 1990 „die Wirk- Andere Tage wie der 17. Juni 1953, der 9. samkeit ihrer Rechte und Verantwortlich- Oktober 1989 und der 9. November 1989 keiten in bezug auf Berlin und Deutsch- „werden im Gedächtnis der Menschen land als Ganzes“ aussetzten. nicht verblassen, auch wenn sie keine ge- Mit dem Beitritt der DDR und der Er- setzlichen Feiertage sind“. Der Antrag langung der vollen Souveränität wurde, wurde im Volkskammerpräsidium am wie es in der Begründung des Einigungs- Abend des 29. August 1990 verhandelt vertrages heißt, „die Einheit Deutsch- und an den Ausschuss „Deutsche Ein- lands in Freiheit vollendet. Der 3. Okto- heit“ verwiesen. ber 1990 ist dadurch zum wichtigsten Bereits am Vormittag desselben Tages Tag der deutschen Nachkriegsgeschichte hatte sich Bundeskanzler Kohl in einer geworden.“ Dass sich die Prozesse auf Unterredung mit den Ministerpräsiden- dem Weg dahin friedlich und in Überein- ten der westdeutschen Bundesländer da- stimmung mit unseren Nachbarn voll- für ausgesprochen, den 3. Oktober „als zogen haben, zählt zu den seltenen ‚Tag der Deutschen Einheit‘ zum Natio- Glücksfällen der Geschichte. Nimmt nalfeiertag zu erklären und dafür den 17. man den Streit in der Volkskammer um Juni nicht mehr als Feiertag vorzusehen“. den „richtigen“ Beitrittstermin und die Die Länderchefs hatten Kohls Vorschlag Gründe für die Wahl des 3. Oktober, „grundsätzlich“ zugestimmt, eine ent- wäre es zumindest aus historischer Sicht sprechende Passage in den Einigungsver- absurd, den Nationalfeiertag am ersten trag aufzunehmen. Auch wenn dieses Sonntag im Oktober zu begehen – im Verfahren letztlich umgesetzt wurde, Jahre 2007 also am 7. Oktober! Die Deut- kann Kohl nicht als dessen „Erfinder“ gel- schen in Ost und West haben allen ten, wie Hennis meint. Den von der Grund, am 3. Oktober den Tag der Deut- Volkskammer beschlossenen Beitrittster- schen Einheit zu feiern.

Seite 52 Nr. 431 · Oktober 2005