HIV/Aids und Kunst

Ross Bleckner – Malerei zwischen Abstraktion und Symbolismus

Ross Bleckner, 1949 in New York geboren, zählt seit den 80er Jahren zu den erfolg- reichsten US-amerikanischen Malern der Gegenwart. Bereits 1979 hatte er seine erste Einzelausstellung bei , und 1995 wurde eine Restrospektive seines Werks im Solomon R. Guggenheim Museum gezeigt. Der amerikanische Künstler evoziert in seinen Bildern Trauer und Melancholie als kollektive Erfahrung. Ross Bleckner in Uganda, 2009

Ross Bleckner lebt und arbeitet in Sago- handelten von der Unmöglichkeit, etwas napack, Long Island, im ehemaligen Haus zu lokalisieren. Ihre optische Erscheinung von . Zu seinen Nachbarn erzeugte den Eindruck von etwas, das völ- zählen bekannte Künstlerkollegen wie lig aufgelöst war. Es war wie eine Illumi- , und David nation, ein Pulsieren. Und die Unmöglich- Salle. In vielen seiner großformatigen Bil- keit, eine bestimmte Identität zu haben.“ der setzt er sich in einer Bildsprache, die sich zwischen Abstraktion, Symbolismus Symbolismus und Melancholie und Gegenständlichkeit bewegt – mit dem Die Thematik der Auflösung und damit Thema Aids und der Art und Weise, wie die von Bleckner assoziierte Themen wie Tod, Krankheit die Gesellschaft verändert hat, Jenseits, Trauer wird auch in den Titeln auseinander. seiner Bilder deutlich: In der Serie „Memo- Daneben engagiert sich Bleckner seit lan- rial Paintings“ machen Bezeichnungen wie gem auch direkt im Kampf gegen die Hospital Room, Memoriam, X-Friends, Krankheit. So unterstützte er 1987 den 8,122+ as of January 1986 (= die offizielle Sammler Christoph bei einer Versteige- Zahl der Aids-Toten in New York) seine in- rung zur Unterstützung eines Aids-Care tensive Beschäftigung mit der Bedrohung Programms im St. Vincent’s Hospital in Abb. 1: Circle of Us, 1987, Öl auf Leinwand, durch HIV deutlich. Greenwich Village – der Beginn seines 274,3 x 182,9 cm In der darauf folgenden Werkphase wer- lange währenden Engagements im Kampf den die Bilder zunehmend allegorischer gegen die Immunschwäche. Er ist Mitbe- Riley bekannt sind. Anstelle harter und zeigen eine Bildsprache, die sich stark gründer und Präsident der Community Schwarzweiß-Kontraste, die optische In- an den Symbolismus und Morbidität – bis Research Initiative on AIDS (CRIA), eine terferenzmuster erzeugten, setzte er un- hin zum Kitsch – des 19. Jahrhunderts an- Nonprofit-Organisation zur Erforschung scharfe Konturen, und die perfektionisti- lehnt: Sie zeigen düstere, schwer fassbare der Behandlung der in Verbindung mit HIV sche Geometrie durchbrach er mit bunten Bildräume, die sich im Dunkeln verlieren, auftretenden Krankheiten. Farbschlieren, Flecken und gegenständli- möbliert von ausladenden Kronleuchtern, 2009 reiste er als erster UN Goodwill Bot- chen Bildelementen wie zum Beispiel Ko- überquellenden welken Blumenbuketts schafter im Kampf gegen Menschenhandel libris und löste sie auf. Der ursprüngliche und Urnen (Abb. 2). Andere erzeugen den nach Uganda, und gab dort Kindern 10 Purismus und Idealismus der Op-Art ver- Eindruck kuppelartiger, sakraler Räume, Tage Malunterricht, um ihnen dabei zu hel- wandelte sich in einen Ausdruck von Ver- wie das Innere eines Mausoleums – all fen, die psychischen und physischen Folgen letzlichkeit und die Bilder wurden zum diese Malerei strahlt eine große Schwer- des Krieges verarbeiten zu können. Zerrspiegel der politischen und gesell- mut aus. Bleckner bediente sich dabei be- schaftlichen Ängste der 80er, inbesondere wusst einer kollektiven, bis ins Klischee Streifenbilder der Angst vor Aids. reichenden Bildsprache, um einen doppel- Bekannt wurde Ross Bleckner durch seine Bleckner selbst wollte damit die Unmög- ten Verlust auszudrücken: den Tod von großformatigen Streifenbilder (Abb. 1), die lichkeit ausdrücken, einen konkreten Freunden und das Fehlen einer individu- die Bildsprache der Op-Art aufgriffen, wie Punkt zu lokalisieren – und damit eine be- ellen, persönlichen Sprache, um der Trauer sie vor allem durch die Malerin Bridget stimmte Identität zu finden. „Die Bilder darüber Gestalt geben zu können.

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war neben der Auseinandersetzung mit der Krebserkrankung seines Vaters auch die für alle HIV-Kranken wichtige und le- bensnotwendige Beschäftigung mit dem eigenen kranken Körper, speziell mit dem Blut. Bilder wie „Overexpression“ wirken wie eine Mikroskopaufnahme von kranken Zellen, andere wie „Mysticism for Begin- ners“ scheinen Modelle von Molekülen zum Ausgangspunkt zu nehmen. Tatsäch- lich beschäftigte sich Bleckner – nicht zu- letzt in seiner Eigenschaft als Präsident von CRIA – intensiv mit der medizinischen Seite dieser Thematik. Es war, so Bleckner, Abb. 2: Memory of Larry, 1984, Öl und Wachs „die Idee, dass der Körper so perfekt ist, bis Abb. 5: Overexpression, 1998, Öl auf Lein- auf Leinwand, 121,9 x 101,6 cm er nicht perfekt ist. Nur eine fragile wand, 213,4 x 182,9 cm Membran trennt uns vom Disaster.“ Die Den Kontrast und die Reduktion auf Licht Sterblichkeit des Menschen wird gewisser- Auflösung des Konkreten und Finsternis trieb Bleckner in manchen maßen in Nahaufnahme betrachtet, das Die neueren Arbeiten Bleckners zeigen Bildern bis ins Extrem, in „Falling Birds“ Wuchernde der Zellstrukturen lässt kein wieder die Unschärfe früherer Arbeiten, von 1994 (Abb. 3) schließlich liegt der Gefühl von Pathos aufkommen. die Zellstrukturen lösen sich auch und Raum vollkommen im blauschwarzen Dun- mutieren weiter – in Massen von schwe- kel und verwischt gemalte weiße Tauben benden Formen mit vieldeutiger Gestalt: flattern darin auf, von einem Licht fahl er- Knospen, die auch Muskeln sein könnten, leuchtet, dessen Quelle verborgen bleibt, oder Blutkörperchen (Abb. 5) – umgeben wie die verirrten Seelen der Toten, um in von einer Aura, die das Unwirkliche ihrer der Finsternis für immer zu verschwinden. Erscheinung noch erhöht. In anderen Bildern dieser Serie wird das In einem beinahe alchemistisch zu nen- Dunkel auch durch gleißend helle Licht- nenden Arbeitsprozess legt Bleckner dabei punkte durchbrochen, die auf einen jensei- aus einer schwarz überzogenen Bildfläche tigen, nicht vorstellbaren Raum verweisen diese Formen frei, die in einer Bildschicht – der Betrachter bleibt in der kaum fass- Abb. 3: Falling Birds, 1994, Öl auf Leinwand, darunter begraben sind und ans Licht ge- baren dunklen Wirklichkeit allein zurück. 240 x 300 cm holt werden. Ihrer Schönheit haftet da- durch etwas zweideutiges an. Dieser Ar- Von der Metapher zum Mikroskop beitsprozess definiert für Bleckner das Bild Mitte der 90er Jahre kehrte sich Bleckner als etwas, das abgelöst wurde – ebenso von der Melancholie des Fin de Siècle und wie das, was in diesem Prozess übrig bleibt. der Thematik des Chiaroscuro ab und Es ist diese Vergänglichkeit jeder Vorstel- wandte sich wieder einer konkreteren, lung, die Bleckner zum Malen treibt. „Folgt zeitbezogenen Formensprache zu. man dem Prozeß eines Gedankens – jedes Zunächst griff er das Motiv der Blüten wie- Gedankens, nicht nur über Kunst – so ver- der auf, die in ihrer Diffusität auf die Aqua- ändert sich der Gedanke. Dies hat damit relle Noldes verweisen – auch hier ist die zu tun, was man im Gedächtnis behalten Unschärfe als Zeichen für die Auflösung kann, und was man verliert. Das ist eine des Individuums in der Masse zu sehen, die interessante Sache, die man zu malen ver- gesamte Bildfläche überwucherten und suchen kann.“ sich von Bild zu Bild schließlich in zellför- Hans Brückner E-Mail: [email protected] mige Strukturen (Abb. 4) verwandeln. Abb. 4: All the Facts, 1996, Öl auf Leinwand, Bildverweis: Alle Abbildungen Courtesy Ross Bleckner Ein Anstoß zu den „Molecular Paintings“ 213,4 x 182,9 cm www.rbleckner.com

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