Zur Wortkunde der Vogesischen Mundarten. Bratte, brotte. Bratte, brotte f. (phon. brät, brut) als Bezeichnung für allium schoenoprasum, Schnittlauch (nach Haillant ail civette, vosg. vulgaire ciboule, civette) findet sich auf engumgrenzten Gebiete, in mehreren Ortschaften der in meinen Ostfranzös. Grenzdialekt mit E be- zeichneten Gruppe. In Haillants Flore Populaire des S. 172 ist es nachgewiesen aus , , St. Ame, , Le Tholy, Urimonil (hier auch als fern. plur. brotfes). Nach X. Thiriat, Vallee de Cleurie (, 1869), S. 133 sagt man in St. Ame brätle, in Tholy brotte ,ciboule'. Auf elsafs-lothringischem Boden ist bratte ,ciboule4 bezeugt für la Poutroye (Schnierlach) bei S.Simon Grammaire du Patois du Canton de la Poutroye S. 409 und 4H.1 Dasselbe Wort bezeichnet aber auch nardus stricta L. (nard roide), vulg. poii de chien. Nach Haillant, S. 194, sagt man in Cleurie, St. Ame, St. Etienne, Le Tholy, La Forge bratte> resp. brotte de diale (= Teufel). Thiriat, 1. c. S. 420 gibt brate de diale ,nard raide, fotuque, carex, enfin toutes les graminees et cyperacoes träs dures*. Von kundiger Seite werde ich belehrt, dafs zwischen allium und nardus botanisch gar keine Verwandtschaft oder Ähnlichkeit besteht — ein neuer Beweis dafür, wie willkührlich die romanischen Mund- arten mit Pflanzennamen umspringen. Brät ist m. E. das Thesaur. Glossarum aus Handschriften des 10. und n.Jahrh. überlieferte brittola ,cepa minuta, cepulas*. In den Pflanzenverzeichnissen der Kapitularien Karls des Grofsen »Beneficiorum Fiscorumque' und ,De VilhV (aus d. J. 812) findet sich brittolos und britlas (s. Monum. German. Hist. T. I S. 180 und 186), das von allen Erklärern2 mit Schnittlauch übersetzt wird; dafür spricht insbesondere, dafs brittolos zwischen scalonias und alia, britlas zwischen uniones und porros steht. Des Weiteren ist das Wort häufig bezeugt in den Althochdeutschen Glossen, z. B. brittula ,snitelouch' 3, 486 (u. Jahrh.), britula ,snidilouch'

1 Im Frühjahr 1907 habe ich bratf in La Baroche (Gruppe £) im Elsafs gehört. 1 Z.B. in E. H. F. Meyers Geschichte der Botanik (Königsberg 1856), Bd. , 8.403. Zeitschr. f. rom. Phil. XXXII. * 2

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3, 494b ( ·—12. Jahrb.), öfters auch pretula 3,108. 172 wo = durch die deutsche Aussprache verschuldet ist; e ist da- gegen die richtige Wiedergabe des / von brlttola, denn nur / kann vogesisch zu a, resp. o werden: ein Substrat mit betontem a hätte brW(e) ergeben. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dafs brät nicht *britta, sondern brittula selbst wiedergibt und dafs / schwand wie in säk circulus, ink ungula (s. Ostfranz. Grenzdial. § 173). Auf *britta + onem liefse sich zurückführen sp. Ireton m. nach der Akademie ,variedad de la col, cuyo tronco ... echa muchos tallos; — il renuevo o tallo de la planta*. Das älteste Zeugnis für unser Wort ist brittoni in den Reichenauer Glossen (7.— 8. Jahrhundert). Stalzer, Die Reichenauer Glossen der Hs. Karlsruhe 115, S. 113, emendiert ,porrus cromium sive brittola': doch mufs vielleicht brittoni beibehalten oder brittoli gelesen werden. Brittula ist unbekannter Herkunft; doch verdient Beachtung, dafs noch heute an vielen Orten Deutschlands der Schnittlauch Brisslauch oder Brieslauch heifst und dafs auch prieslauch bei der heiligen Hildegard so gedeutet wird (s. v. Fischer-Benzon, Alt- deutsche Gartenflora, S. 141. 206).

Cerceneux. Zeitschrift XVIII, 215 wurde &, yeuryeneux ,eclaircie dans le bois, defrichements', sürsenf, sfrscn? ,defrichage' zurückgeführt auf ci r ein us , Zirkel* (Diez I v. cercine), sp. cercenar, ringsum be- schneiden, eigentlich abzirkeln, abrunden, dann lichten, ausroden. Dazu bemerkt Baist, Ztschr. f. franz. Spr. u. Litter. XVIII, 80: „Die Bedeutung »ausroden' konnte nicht aus ,abrunden* wohl aber daher kommen, dafs der Ansiedler die Bäume ringelt und absterben läfst. Aber Laut und Sache sind sehr bedenklich". Diese Bedenken dürften durch folgende Bridels Glossaire du Patois de la Suisse Romande entnommene Stellen gehoben werden:

certrni, cerna, cerner, oter en rond l'ecorce du sapin pour en faire un cercle; faire un cercle magique autour d'une personne pour la de*sensorceler, pour la guerir ou la la forcer rester en place. cergniaula f. sapin dont on 6te l' 6corce pour en tirer la poix. cergniemcin m. lieu defricho dans une forfct (auch cürna £ portion d'une forfit mise en culture, lieu deTriche avec un petit feail) und cergncmein) id. cernei m., cernetta f. päturage, abatis dans une forfit. cerni, cernil m. grange de montagne, fenil. Circinus ist hier wohl als Etymon gesichert: zu argnz > circinare läfst sich fr. cygne > cicinus vergleichen. Die Aisdrucke

Brought to you by | Universität Osnabrück Authenticated Download Date | 5/27/15 11:21 AM ZUR WORTKUNDE ÖEfc VOGESlSCHEN MÜNDARTEN. I'9 der Vogesen zeigen abweichende Lautbehandlung, wohl weil sie erst spät als termini technici des Forstwesens Aufnahme fanden. Zweifelhaft ist, ob Baists Auffassung von der Bedeutungsentwickiung die einzig mögliche und ob schliefslich bei cergniemein ,lieu defriche* nicht doch von »abzirkeln, abrunden' auszugehen sei.1

mql(e), »Schwein*. Zeitschrift XXX, 460 glaubte ich in einigen ostfranzösischen und wallonischen Wortformen wie z. B. voges. mallo lat. maialis zu erkennen, wobei übersehen wurde, dafs bereits C. Merlo, Nomi Romanzi delle Stagioni 8.203, A. 2 wall, maiat, maieler auf dieselbe Weise gedeutet hatte. Heute bin ich der Überzeugung, dafs maialis hier überall nicht in Betracht kommt, sondern ausschliefs- lich masculus. Entscheidend ist das von mir erst im Herbst 1906 in Belmont (OGD mit d5 bezeichnet) gehörte mätfe} »kastriertes männliches Schwein und dann auch Schwein überhaupt*. Lautlich kann mal nicht maialis sein, woraus etwa & geworden wäre (vgl. meJM > maturus); mdscur masculus bezeichnet auch in der Bukowina das verschnittene männliche Schwein (s. Pu^cariu, Etym. Wörterb. der rumän. Sprache s. v.). Das männliche Tier wird eben in der Regel zum Zweck der Mast verschnitten; das nicht kastrierte, zur Aufzucht bestimmte, in Belmont vroe, bildet die Ausnahme. Malig in La Baroche bezeichnet ausschliefslich das männliche Tier (male + ett + on). Wallonisch wird masculus zu mai** maiai ist daher mai + ellus; maüt ,porc chätre* besitzt nach Lobet noch die ursprüngliche Bedeutung ,cochon male, jeune porc*. Beachtenswert ist hier die Übertragung des Wortes auf das weibliche Tier, mateler ,chätrer les porcs, et en goneral une femelle quelconque', mailleie ,truie chätroe'; denn auch das weibliche Tier setzt auf die Dauer kein Fett an, wenn ihm nicht die beiden Eierstöcke herausgenommen werden. Wie die in dem früheren Artikel erwähnten maquin, maiquin zu beurteilen sind, liefse sich nur auf Grund genauer Kenntnis der Lautverhältnisse der betreffenden Mundarten sagen: einstweilen ist man nicht berechtigt, sie auf maialis zurückzuführen. Für die Bedeutungsentwicklung masculus , Seh wein* fehlt es nicht an Analogien: rum. mdscur ,Eber* (s. Pus.cariu, 1. c. wo auf sard. mascu, mastSu ,ariete', vicent. mastfo ,verro* hingewiesen wird);

1 Nach Chabrand, Pat. du Queyras, S. 166, findet sich sarcena^ cerctna ,coteaux cultivos* auch ,prfcs de Grenoble, dans les vailoes vaudoises et dans le Brianc,onnais'. Vgl. noch im Venezianischen die Ortsnamen Zcrgeno, Cercena (Studi Glottologici Ital. 3,163, v. circinus.) 1 In maslc wird s l zu li wie sn zu n in wall. a/2^^>asinus, indem sich aus s ein {'-Laut entwickelt; vgl. pik. meille. > mespilum, aus mesl* (s. Jouancouz, Pat. Picard).

Brought to you by | Universität Osnabrück Authenticated Download Date | 5/27/15 11:21 AM 20 A. HORNINÖ, norman. maillard ,canard domestique male* (Delboulle, Vallee d'Y£res), afr. malart ,männliche Wildente'; makllo ,le taureau d'un troupeau* (Bridel, Gloss. Suisse Rom.); sp. macho ,Maulesel, Bock*.

Ovraige ist eine der Wortformen, die in den Vogesen dem französischen Pflanzennamen arroche entsprechen. Ovraige ist in Haillants Flore Populaire des Vosges S. 145 bezeugt aus La Bresse und Gerbamont, auvrtge masc. in Thiriats Vallee de Cleurie S. 131. 417 aus Cieurie und St. Ami. Den Ausgangspunkt der Untersuchung über das Wort mufs afr. arrace bilden (s. Godefr. Complem. v. arache), das nach Claussen Roman. Forschungen XV, 795. 816 ein aus griechischem hervorgegangenes vulgärlat. *atrapice wiedergibt (vgl. adrafax, andrafixin u. ä. Thesaur. Gloss. Emend. v. atriplex). Es fragt sich nun, ob nicht noch andere Formen des französischen Wortes auf ein Substrat mit betontem a zurückgehen. Arrosse (Jaubert, Gloss. d. Centre), wall, aürause (Bullet. Societ. Lieg, de Litteiat. Wall., 2. Ser. T. XVI, S. 110, wo auch arase verzeichnet ist) können atrav(i)ce, atravce, atrauce mit p, b = u (vgl. parolt, aurone) sein, — arroche atrapica, atrauca, — arräche bei Godefr. atra(v)ca\ denn dafs frz. arroche normannisch sei, wie das Dictionn. Gener, will, ist nicht ausgemacht; es steht bei Martelliere, Gloss. du Vendomois und Dottin, Gloss. Bas.-Maine. Sogar wallon. aripe liefse sich so deuten: als älteste Form ist arepe im Gloss. von Tours überliefert, dessen Vorlage nach W. Foerster pikardisch war: arepe hätte *arape als Vorstufe gehabt, und e wäre unter dem Einflufs des folgenden Labials zu geworden wie in weitverbreitetem sm (= ), das metzisch, wallonisch ist und auch bei Jaubert, Gloss. d. C. steht. Für wallon. aripe wurde ein auf -ica endigendes Sub- strat bereits vorausgesetzt in dem Programm: Die Behandlung der lat. Proparoxytona in den Mundarten der Vogesen (Strafsburg 1902), S. 20: diese Vermutung wird bestätigt durch das adripias im Capi- tulare de Villis (s. oben S. 17), das nach allen Auslegern atriplex hortensis ist: adripias^ ist aus adripicas entstanden wie scalonias (im Capitulare Beneficiorum Fiscorumque) aus ascalonicas (im Capitulare de Villis); zum Plural ist adtriplices, atriplices im Thesaur. Gloss. v. atriplex zu vergleichen. Ovraige erklärt sich ohne weiteres aus einem aus atrapicum umgestellten avraticum: -äticum wird lothring. zu -/£. — Ob bei Haillant mehrfach be- legtes arauye, Iroille atrapicula ist (arfvoj, aregoji, aroj), mufs ich unentschieden lassen.

1 Adripias als Vorstufe von wallon. aripe bestätigt die neuerdings ausgesprochene Ansicht, dafs wahrscheinlich Nordfrankreich als das Geltungs- gebiet des Capitulare de villis zu betrachten sei (s. v. Fischer-Benzon, Alt- deutsche Gartenflora, 8.3).

Brought to you by | Universität Osnabrück Authenticated Download Date | 5/27/15 11:21 AM ZUR WORTKUNDE DER VOGESISCHEN MUNDARTEN. 21 sotre »Kobold*. Nach L. Sainean Ztschr. XXX, 312 soll sotre nicht afr. toterel^ sein, sondern von saltare kommen, also ,Springer' bedeuten. Dies ist jedoch lautlich unmöglich: in Belmont (OGD mit d5 be- zeichnet) lautet es stitre, dagegen sagt man sätrel »Heuschrecke*, säte »springen* (a + l wird dort durchweg zu a}. Haillant (Gloss. du Pat. d'Urimenil) unterscheidet zwischen geschlossenem o in sotre und o „resonnant ou aboyant" in so/e, sötou »Springer*. Labou- rasse, Gloss. de la Meuse, schreibt soutre, soutrait ,esprit follet', aber sauter, je saute, fsautons, usw.,; dazu metz. satrl ,Kobold1, aber sanier eile ,pi£ge a prendre les oiseaux*, saulu, sautoir ,barriere* (Lorrain, Gloss. messin). Ob in den aus Bridel beigebrachten Be- legen Einwirkung von chauta ,sauter' auf chauterai ,esprit follet* stattgefunden habe oder ob o und a -f- / in einem Laute zusammen- gefallen sind, liefse sich nur auf Grund genauer Kenntnis der Laut- verhältnisse der entsprechenden Mundarten entscheiden. Auch begrifflich ist soterel ,Tollköpfchen* ansprechender als ,Springer*. Der sotre kann unter Umständen bösartig werden, meist aber ist er ein harmloser Geselle, der seine Freude an lustigen Streichen und allerlei Schabernack hat: dies ist für ihn charakteristisch, nicht das ,Springen*.

tremfa m. In Belmont (OGD d5) ist tremfa allgemein gebräuchlich in der Bedeutung »Vogelscheuche*, wie ich dies während eines mehr- wöchentlichen Aufenthaltes in jener Ortschaft im Herbst 1906 fest- gestellt habe. Ältere Leute wissen zu erzählen, dafs man früher mit dem Namen tremfä auch Personen belegte, die am Weihnachts- feste als Nikolaus verkleidet in die Häuser drangen und unter dem Schütze der Maske Prügel austeilten — ein Brauch der heute ver- schwunden ist. Tremfä ist m. E. buchstäblich triumphale(m). Zur Endung ist fnä fenale(m) ,Heuernte* zu vergleichen und zur vokalischen Behandlung der ersten Silbe etwa d?n(e) donat (OGD § 100), obwohl in beiden Fällen die Lautverh'ältnisse nicht ganz gleich liegen. Begrifflich bildet den Ausgangspunkt das triumphare ,illudere* bei Du Gange. Die Vogelscheuche ver- spottet und trügt, sofern sie als ein mit Kleidern behangenes Gestell das Bild eines Menschen vortäuschen soll. Nach der begrifflichen Seite stützt und bestätigt tremfä das Settegastsche Etymon trium- phare > tromper. Freilich mufs tremfä des f wegen einer späteren Periode angehören als tromper: aber es lehrt immerhin, dafs tatsächlich triumph- in das Nordfranzösische Eingang fand. Ztschr. IX, 142 ist bereits auf das gleichfalls in den Vogesen be-

1 Sainean bemerkt, dafs wallen, sotai zuerst von Grandgagnage auf soterel zurückgeführt wurde, was von mir Ztschr. XVIII, 228 übersehen wurde.

Brought to you by | Universität Osnabrück Authenticated Download Date | 5/27/15 11:21 AM 22 A. BORNING, ZUR WORTKÜNDE DER VOGBS1SCHEN MUNDARTEN. zeugte xtrff/d »prahlen*, / / ?//1 , Prahler ' hingewiesen worden. Dazu bemerkte G. Paris Romania XV, 628: ,c'est sans doute un mot moderne forme" du fran9ais triompher*. Aber trfmfä kann nicht erst neueren Ursprungs und dem Französischen nachgebildet sein, und deshalb ist es wahrscheinlich, dafs auch das in demselben Gebiete auftretende xirdfa älteres Sprachgut ist. Schliefslich sei noch bemerkt, dafs auch die schweizerischen Mundarten trium- phare kennen. Bridel verzeichnet: trohnfä ,se rejouir bruyamment', trohnfa ,grande rejouissance dont la danse fait partie, obattement public*.

1 ist ein häufiger Vorschlag in den Vogesen; in ytrtifa ist es wohl durch Analogie hervorgerufen; man darf daraus kein extriumphare er- schliefsen, wie ich Ztschr. IX, 142 getan habe. A. HORNING.

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