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Sendung vom 16.09.2002

Stephan Braunfels Architekt der in München im Gespräch mit Dr. Michael Schramm

Schramm: Willkommen beim Alpha-Forum. Zu Gast ist heute der Architekt Stephan Braunfels. Herr Braunfels, seit 1978 sind Sie Architekt, der Schwerpunkt Ihres Schaffens liegt in München, aber auch in Dresden und Berlin haben Sie Ihre Spuren hinterlassen. Sie genießen so etwas wie Berühmtheit, was für Architekten nicht gerade üblich ist, weil Sie sich immer wieder öffentlich zu Planungen von Großbauten geäußert haben und – jetzt natürlich ganz aktuell – weil Münchens wichtigster Neubau von Ihnen entworfen wurde, die Pinakothek der Moderne. Am 13. September soll sie nun eröffnet werden. Wird dieser Termin gehalten? Braunfels: Er ist jetzt soeben auf den 16. September verschoben worden. Das sind nur ein paar Tage, aber es ist nun Montag statt Freitag. Schramm: Wie lange haben Sie sich denn mit dieser Pinakothek beschäftigt? Das ist ja schon so etwas wie eine Art Lebenswerk. Wann ging das denn los? Braunfels: Na ja, ob es ein Lebenswerk ist, weiß ich nicht. Aber zehn Jahre habe ich mich doch damit beschäftigt. Das ist eigentlich noch eine Rekordzeit, denn andere Museen dieser Größe haben noch länger gedauert hinsichtlich ihrer Planungs- und Bauzeit. Vor zehn Jahren war jedenfalls der Wettbewerb. Ich hatte das große Glück, unter 165 Teilnehmern – und es waren damals wirklich viele internationale Stars eingeladen – den ersten Preis zu machen. Ich glaube, man war damals ziemlich enttäuscht, dass "nur" ein Münchner Architekt und kein internationaler Star gewonnen hat – und dass dann ausgerechnet auch noch ich gewonnen habe. Aber ich hoffe, dass diese Enttäuschung jetzt, wenn es zur Eröffnung kommt, einer Begeisterung weicht. (Herr Braunfels lacht.) Falls es nicht jetzt bereits so ist. Schramm: Ist denn so etwas ein zähes Ringen, bei dem man sich von Überlegung zu Überlegung hangelt? Oder bekommt man, wenn man sich das betreffende Gelände ansieht, doch sehr schnell eine Vorstellung, wie der Bau ungefähr aussehen muss und dass man in dieser Richtung planen will? Braunfels: Nun ja, es gab damals ja 165 völlig verschiedene Ansätze. Ich hatte mich mit diesem Gelände bereits Jahre vorher beschäftigt. Ich habe überhaupt die Erfahrung gemacht, dass man, wenn man sich mit einem Thema bereits lange davor beschäftigt hat – ich hatte mich z. B. auch mit dem Thema "Museen des 20. Jahrhunderts in München" bereits Jahrzehnte vorher beschäftigt –, manchmal sehr schnell zu grundsätzlichen Lösungen kommt, wenn es dann so weit ist. Die grundsätzlichen Hauptgedanken waren also in der Tat dann sehr schnell vorhanden. Allerdings habe ich jahrelang weiter daran gefeilt. Es ist ja immer so: Die große Idee muss zunächst einmal stimmen, aber dann muss man immer noch daran arbeiten. Und das kann wirklich viele Jahre dauern. Schramm: Kann man denn in diesem Fall sagen: Was lange währt, wird endlich gut? Sind Sie jetzt zufrieden mit dem, was da nun entstanden ist? Braunfels: Zu 90 Prozent. Das ist allerdings schon eine ziemlich gute Quote. Ich bin inzwischen sehr zufrieden mit dem Entwurf, ich habe ihn immer wieder verfeinert und verfeinert. Ich konnte hinsichtlich des Entwurfs letztlich auch fast alle meine Gedanken durchsetzen. Nicht glücklich bin ich über die Ausführung. Die Ausführungsqualität ist wegen des viel zu geringen Budgets einfach nicht perfekt. Es ist schade, dass ein so großes und weltbedeutendes Museum, für das am Schluss letztlich doch ein sehr guter Entwurf gelungen ist, nicht im gleichen Standard perfekt ausgeführt wird. Das hat man einfach verschenkt. Schramm: Darüber werden wir später sicherlich noch ein bisschen sprechen. Zunächst aber die ganz schlichte Frage, was denn diese Pinakothek letztlich insgesamt kostet. Braunfels: Oh, das ist schwer zu sagen. Beim Wettbewerb standen ja noch gar keine Baukosten fest, das muss man mal ganz klar sagen: Wir wussten nicht, was es kosten sollte. Nach dem Wettbewerb erfuhren wir dann plötzlich, es dürfe nur 200 Millionen kosten. Das war etwa die Hälfte dessen, was ein vergleichbares Museum woanders in der Welt ansonsten gekostet hat. Die "Tate Modern" z. B., die genau so groß ist, hat mehr als das Doppelte gekostet. Jetzt liegen wir so ungefähr bei 240 Millionen Mark, das sind also ungefähr 120 Millionen Euro. Ich rechne persönlich immer mit beiden Währungen, denn sonst verschätzt man sich nicht nur beim Einkaufen jedes Mal völlig. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das die letztgültige Zahl ist, wenn alle Abrechnungen dann da sein werden. Ich habe schon damals gesagt, dass dieses Museum eigentlich 400 Millionen Mark kosten müsste, dass man es unter 300 Millionen Mark kaum bauen könne und unter 250 überhaupt nicht. Ich denke, ich werde Recht behalten. Schramm: Ihr Weg zur Architektur, wie sah der aus? Braunfels: Nun, der begann schon sehr, sehr früh. Eigentlich begann er schon mit meiner Geburt, denn mein Vater und meine Mutter waren Kunsthistoriker. Mein Vater hat sich vor allem mit Städtebau und Architektur beschäftigt. Er hat in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, sein wichtigstes Buch geschrieben, das auch für mich ein Leitfaden durch mein Leben geworden ist: "Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana". Dieses Buch hat mich also geprägt, was alleine schon daran lag, dass wir in meiner Kindheit den ganzen Sommer über immer in der Toskana gewesen sind. Die italienischen Städte sind daher architektonisch gesehen meine geistige Heimat. Aber dann kam noch etwas anderes, ganz Entscheidendes hinzu: 1958, da war ich acht Jahre alt – mein Vater war damals Professor für Kunstgeschichte an der Architekturfakultät und musste sich daher viel mit zeitgenössischen Architekten und zeitgenössischer Architektur beschäftigen, was ihn sehr begeisterte –, fuhr er mit mir nach Ronchamp. Die Kirche von Le Corbusier war dort gerade fertiggestellt worden. Ich stand nun als achtjähriger Knabe vor diesem Ding und war so hingerissen und so weg, dass ich in diesem Moment beschlossen habe, selbst auch Architekt werden zu wollen. Dieser Konflikt, der dann entstand, zwischen der Moderne und der europäischen Stadt, wurde während meines Berufslebens – ich bin jetzt über 50 Jahre alt – auch tatsächlich zum eigentlichen Thema meiner Arbeit. Schramm: Stichwort Vorbilder: Haben Sie Vorbilder? Wer kann das sein? Braunfels: Ja, damals war natürlich mein großer Held Le Corbusier, das war klar. Nach einigen Jahren gab es aber in dieser Hinsicht bei mir eine ziemliche Krise, denn ein sehr wichtiger Architekt fragte mich eines Tages – ich war inzwischen zwölf Jahre alt –, welches ich für das bedeutendste Bauwerk hielt. Ich fand immer noch Ronchamp das bedeutendste Bauwerk, das ich kannte. Er war daraufhin etwas entsetzt und meinte daher zu mir, ob ich denn noch nie französische Kathedralen gesehen hätte. Damit wurde mir klar, dass die toskanischen Städte das eine sind, aber die große Architektur wie z. B. die Gotik in Frankreich eben das andere. Auf einmal war klar, dass die Welt der Architektur doch sehr reich ist. Im weiteren Verlauf der Jahre gab es dann sehr viele Vorbilder für mich. Corbusier war also das erste Vorbild. Ich bin ja in Aachen aufgewachsen, dort spielte selbstverständlich Mies van der Rohe eine große Rolle. Später dann war Louis Kahn eigentlich für mich das wichtigste Vorbild. Corbusier, Mies van der Rohe und Louis Kahn waren also meine drei Vorbilder: Corbusier für das Skulpturale und Plastische, Mies van der Rohe für die klare Struktur und die saubere Klarheit und Kahn für die ganz neue und für mich wirklich beglückende Weise, mit historischer Architektur umzugehen, ohne historisierend zu werden. Das wurde nämlich später in den Zeiten der Postmoderne ein großes Thema und Problem. So wurde also am Ende Kahn neben Corbusier und Mies das wichtigste Vorbild für mich. Aber es gab zwischendurch auch – und das hat halt eben mit meiner "Zerrissenheit" zu tun – immer wieder große Vorbilder in der historischen Architektur wie z. B. Brunelleschi, Bramante, Schinkel, Karl von Fischer in München usw. Es gab also immer wieder Krisen und Phasen, in denen ich mich sehr stark der historischen Architektur zuwandte. Ich tat dies aber doch eigentlich mehr forschend. Ich hatte also nie die Idee, man müsste heute wieder so bauen, wie Schinkel oder Brunelleschi gebaut haben. Ich sah dagegen immer den Konflikt, dem etwas Adäquates, Zeitgenössisches entgegensetzen zu können. Hier sah ich als einzigen Vertreter nur Louis Kahn. Aber unter den zeitgenössischen Architekten meiner Umgebung sah ich in dieser Richtung nur wenige bis gar niemanden. Aus diesem Grund war für mich zuletzt Axel Schultes sehr wichtig. Denn Axel Schultes wurde mir dann wieder ein Vorbild, wie man sich mit Louis Kahn auseinander setzen kann. Schramm: Sie haben einmal gesagt, Sie seien ein bekennender Eklektizist. Braunfels: Ja, das sagt man so leichthin. Das ist natürlich schon auch ein bisschen selbstironisch gemeint. Ich meine jedenfalls damit, dass ich es wichtig finde zuzugeben, dass alles irgendwoher kommt, dass es alles schon gibt, dass man alles, was man meint, selbst zu erfinden, lediglich irgendwo gefunden hat. Man kann also kaum etwas erfinden, man kann hingegen viel finden. Dessen muss man sich einfach bewusst sein. Man darf sich nicht einbilden, nur deshalb, weil man das nicht zugeben will oder weil man es sich nicht bewusst macht, dass man ständig aus dem eigenen Inneren, aus der ausschließlich eigenen Fantasie schöpft. Nein, man schöpft eigentlich immer aus der Architekturgeschichte und auch aus den Beispielen der Gegenwart. All das, was man richtig toll findet, hat also Einfluss auf einen. Schramm: Sie haben sich nie nur als Häuserbauer verstanden, sondern Sie haben immer gesagt, dass man auch den Kontext sehen müsse, dass man ganze Stadtfluchten und Lebensräume schaffen müsse. Dies gilt nun auch wieder für diese Pinakothek der Moderne. Braunfels: Ich deutete es schon an: Das hing natürlich mit diesem Konflikt zusammen zwischen der modernen Architektur einerseits, die teilweise wunderbare und ganz einzigartige Gebäude im 20. Jahrhundert geschaffen hat – dies gilt auch, wenn man das in der Architekturgeschichte mit anderen Epochen vergleicht –, und andererseits der Tatsache, dass diese Gebäude selten in den Kontext ihrer Umgebung eingebettet waren. Stattdessen waren das so gut wie immer skulpturale Einzelgebilde. Ronchamp steht hierfür nur als einzelnes Beispiel, denn das reicht sogar noch bis zum Guggenheim Museum in Bilbao von Gehry oder den wunderbaren Bauten von Zaha Hadid. Demgegenüber steht aber die europäische Stadt, die in Straßen, Plätzen und Räumen dachte, die wunderbare Zusammenhänge schuf, bei denen dann aber das einzelne Bauwerk nicht so im Mittelpunkt stand, sondern sich eher einfügte und einen Rahmen bildete. Ich habe mich halt, vielleicht geleitet durch meinen Vater und durch die Kindheitserfahrung der toskanischen Städte, immer mehr für den städtischen Raum interessiert als für die plastische Einzelskulpturarchitektur – so sehr ich sie anerkenne, wenn sie gelingt. Sie gelingt aber nicht so oft, wie manche denken. Deswegen war es mir immer wichtig, dass zuerst einmal der städtische Raum kommt, dass man zuerst an die Stadt denkt und natürlich auch an die Funktion und an alle anderen Dinge, die bei einem Gebäude entscheidend sind. Mir war jedenfalls immer klar, dass die Einbindung eines Gebäudes in den gesamten Kontext, in den städtebaulichen Zusammenhang eigentlich das Allerwichtigste ist und noch vor der Originalität steht. So wurden jetzt auch meine ersten großen Bauten – da gibt es ja neben der Pinakothek noch die Bundestagsbauten in Berlin –, wie ich hoffe, Beispiele dafür, wie man große und durchaus auch kraftvolle und skulpturale – wenn auch bei mir nicht frei, sondern geometrisch skulpturale – Gebäude aus dem städtebaulichen Kontext heraus, aus der Geschichte der Stadt heraus entwickeln kann. Dass man sie nicht nur in die Stadt irgendwie einfügen kann, sondern mit ihnen auch einen Impuls für die weitere Binnenentwicklung der Stadt geben kann. Schramm: Die "Binnenentwicklung der Stadt" soll gleich unser nächstes Stichwort sein. München ist ja im Grunde Ihre Stadt: Sie haben hier studiert und Sie haben hier auch viele, viele Vorschläge gemacht. Die Stadt hat es Ihnen aber nicht unbedingt leicht gemacht. Sie haben lange und oft Vorschläge für alle möglichen Plätze, Räumlichkeiten und Häuser gemacht und dennoch gab es nie ein großes Projekt hier in München für Sie – bis eben zu dieser Pinakothek der Moderne. Braunfels: Nun, man kann nicht erwarten, dass alle Vorschläge, die man macht – und es ist ja auch nicht üblich, dass ein Architekt ständig Vorschläge macht –, tatsächlich realisiert werden oder auch nur z. T. realisiert werden. Das war auch gar nicht der Sinn dieser Vorschläge. Das waren ganz einfach Diskussionsbeiträge, um den städtebaulichen Disput in der Stadt zu fördern, der in den siebziger und achtziger Jahren lange Zeit wirklich danieder lag hier in München. Dies hat sich aber in der Zwischenzeit doch wesentlich gebessert. Natürlich bin ich traurig, dass an vielen Stellen in der Stadt im Nachhinein sehr viel schlechtere Lösungen realisiert worden sind als diejenigen, die wir bereits diskutiert hatten. Aber das ist sozusagen die Demokratie, das ist auch das Wettbewerbswesen. Es werden für die meisten Projekte heute Wettbewerbe gemacht, wenn auch leider oft nicht in diesem größeren Zusammenhang, der eigentlich erforderlich wäre. Stattdessen wird für jedes Grundstück ein Einzelwettbewerb gemacht. Der große Masterplangedanke fehlt dabei leider sehr oft. Bei der Pinakothek hatte ich allerdings sehr, sehr großes Glück: Wer gewinnt denn schon in seinem Leben wenigstens einmal ein solches Projekt? Das ist das größte Kunstmuseum, das je in Deutschland gebaut worden ist, das ist eines der größten Museen der Welt. Und das nun ausgerechnet in München zu gewinnen, ist höchstens noch mit zehn Sechsern im Lotto zu vergleichen. Schramm: Sie haben ja auch mal einen Anlauf genommen, in München Stadtbaurat zu werden. Sind Sie heute froh darüber, dass daraus nichts geworden ist? Braunfels: Ja, sehr. Denn wenn ich das geworden wäre, dann hätte ich ja an diesem Wettbewerb und auch an vielen anderen Wettbewerben gar nicht teilnehmen können. Ich hätte also diesen Weg als Architekt nicht gehen können, den ich nun gegangen bin. Ich habe mich damals auch nicht deshalb beworben, weil ich das unbedingt werden wollte, wie ich sagen muss, sondern weil ich mich stellen wollte für den Fall, dass – wie schon einmal vorher – kein guter Kandidat zur Verfügung steht. Was ich damals erkennen konnte, waren nur Kandidaten aus der dritten und vierten Reihe. So etwas war 20 Jahre davor schon einmal passiert: Dieser Stadtbaurat ist dann in der Tat 20 Jahre in München geblieben und hat in dieser Zeit der Stadt schweren Schaden zugefügt. Ich wollte also einfach bereitstehen. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sich auch Frau Thalgott gleichzeitig bewerben würde. Ich bin sehr froh, dass ich es nicht geworden bin, sondern sie. Und sie hat das ja auch sehr viel besser gemacht als ihr Vorgänger. Schramm: Wie sehen Sie denn München als Architekt? Das ist ja eine etwas konservative Stadt in ihrer Architektur. Ist sie denn langweilig? Wie würden Sie sie denn bewerten? Braunfels: Nein, überhaupt nicht. Sie ist konservativ in vielerlei Hinsicht: Sie ist natürlich vor allem auch gesellschaftlich konservativ. Aber sie wirkt auch deshalb konservativ, weil sie so gut erhalten bzw. so gut wieder aufgebaut worden ist. Dass man so viel wieder aufgebaut hat, gilt einfach als konservativ. Das ist ja auch im wahrsten Wortsinne konservativ. Aber das finde ich eigentlich sehr, sehr schön. Denn viele Städte leiden ja gerade darunter, dass sie nicht wieder so schön aufgebaut worden sind nach dem Krieg. Aber gleichzeitig hat München schon auch – und das muss man einfach sehen – eine Fülle von modernen und interessanten Architekten und auch eine Fülle von spektakulären und guten modernen Bauten. Und dies immer wieder. Das Olympiastadion, eines der bedeutendsten Bauwerke des 20. Jahrhunderts steht eben nicht in Berlin, in der deutschen Architekturhauptstadt des 20. Jahrhunderts, sondern in München. In Berlin steht dafür ein Stadion aus dem Dritten Reich. Solche Beispiele gibt es in München viele. Ich muss ja nur mal an Bauten von Uwe Kiessler, Thomas Herzog oder Peter C. von Seidlein und vielen anderen denken: Es gibt in München sehr wohl eine Menge toller moderner Architektur. Das sind allerdings wie bei der modernen Architektur leider fast immer nur Einzelbeispiele, die sich in der Stadt verteilen. Die Stadt ist nicht wie Berlin durch die Moderne geprägt, aber das ist ja nicht nur ein Nachteil. Schramm: Es gibt momentan speziell hier in München eine große Diskussion darüber, ob die Stadt Hochhäuser braucht, ob es so etwas in dieser Stadt geben darf. Braunfels: Ich bin ein Hochhausbefürworter, seit ich über Architektur in München nachdenke. Ich bin auch sehr traurig darüber, dass ich in München noch kein Hochhaus gebaut habe. Das wäre für mich eigentlich nach der Pinakothek ein ganz wichtiger Wunsch. Ich habe vor zehn Jahren sogar einmal einen Hochhauswettbewerb gewonnen. Aber dieser Preis wurde mir im Nachhinein durch die Stadtgestaltungskommission wieder weggenommen. Das hat mich wahnsinnig geärgert. Das war nämlich das erste Hochhaus innerhalb des Mittleren Rings. Damals gab es aber noch das Tabu, dass dort kein Hochhaus stehen dürfe. Ich fand aber genau diese Stelle zwingend für ein Hochhaus. Ich war daher auch der Einzige in diesem ganzen Wettbewerb, der das gewagt hat. Die Jury war dann so klug, das zu prämieren. Aber dann kam die Stadtgestaltungskommission und sagte: Innerhalb des Mittleren Rings darf einfach kein Hochhaus gebaut werden! Man veranlasste daher also einen neuen Wettbewerb. Während des Wettbewerbs wurde dieses Hochhausverbot dann aber aufgehoben. Es entstand dann fast ein Plagiat meines Entwurfs, bedauerlicherweise nicht von mir. Dieses Haus wird jetzt gebaut – im Detail aber leider sehr hässlich. Ich bin jedenfalls sehr für Hochhäuser in München, dies allerdings nur an den richtigen Stellen. Die Standorte sind nämlich nicht immer geeignet für Hochhäuser, das muss man durchaus sehen. Ich sehe die Standorte von Hochhäusern natürlich vor allem unter städtebaulichen Gesichtspunkten: zur Verschönerung der Stadt, zur Strukturierung, zur Akzentuierung an entscheidenden Stellen. So ist es z. B. ganz richtig, dieses so genannte Langenscheidt-Hochhaus am Eingang der Nürnberger Autobahn zu bauen. Aber das Hochhaus am Georg-Brauchle-Ring, das der Ingenhoven jetzt baut und das ja wegen seiner Höhe sehr umstritten war, steht dort einfach nur herum, das hat überhaupt keinen städtebaulichen Bezug. Das steht nur deshalb dort, weil der Investor dort sehr früh schon einmal ein Hochhaus bauen wollte. Für diesen Standort sind dann ja auch Hunderte von Hochhausentwürfen entstanden. Die waren meistens viel schöner als das Gebäude, das jetzt dort gebaut wird. Das, was Ingenhoven dort nun letztlich baut bzw. bauen muss – denn ich weiß gar nicht, ob er das gerne tut –, ist einfach potthässlich. Gegen solche Hochhäuser bin ich also durchaus. Aber grundsätzlich freue ich mich über jedes schöne Hochhaus, das in München zukünftig noch gebaut werden wird. Schramm: Die letzten Baulücken in der Innenstadt werden soeben geschlossen. Hierbei ist ja im Moment die Baumaßnahme am Marstallplatz sehr auffallend. Dort wird sehr dicht und sehr hochwertig, also sehr teuer gebaut. Tut das einer Stadt gut? Braunfels: Ich finde, dass am Marstallplatz die Dichte zu hoch ist. Der Marstallplatz wäre an sich eine enorme Chance gewesen. Das war ja eigentlich eine Planungsruine, ein grandioser Hinterhof der Münchner Residenz. Alle großen Architekten in München haben dort schon geplant: Cuvilliés, Klenze, Karl von Fischer, Semper usw. Herausgekommen sind aber lediglich ein paar Fragmente von Klenze. Danach dann ist es eine Planungsruine geblieben. Im Grunde war der Marstallplatz für mich der Ausgangspunkt für meine ganze Hofgartenplanung. Daraus ist ja leider nichts geworden. Jetzt hat man dieses Grundstück versilbert und vergoldet und hat es völlig zugebaut. Das, was dort jetzt geschieht, halte ich also deutlich für zu dicht. Das Ganze ist auch nur unter dem Druck von kommerziellen Gesichtspunkten so gemacht worden, obwohl dies ja öffentliche Gebäude sind wie Probengebäude für die Oper usw. Ich finde es schade. Aber ich gebe zu, dass es in München weit Schlimmeres gibt. Aber der Marstallplatz wäre eine noch viel größere Chance gewesen, nun nicht dieses dicht bebaute und geschlossene Gebilde zu werden, sondern ein wunderbarer leichter, offener Gelenkplatz zwischen der massiv bebauten Innenstadt und dem Hofgarten bzw. dem Englischen Garten. Das ist jetzt leider vertan. Aber in München ist schon so manches vertan worden. Schramm: Lassen Sie uns räumlich ganz vorsichtig wieder der Pinakothek der Moderne näherkommen. Sie hatten einmal den Vorschlag gemacht, das Odeon wieder zu beleben und das Innenministerium dort vielleicht umzuquartieren. Braunfels: Nun, ich hatte ja mal den Vorschlag gemacht, um den herum ein Regierungsviertel zu komplementieren: mit Staatskanzlei, Landwirtschaftsministerium usw. Dazu hätte ja sogar Siemens sein dortiges Areal, das nun Richard Meier bebaut hat, zur Verfügung gestellt. Dies hätte ich deswegen so gewollt, damit man am Hofgarten die Museumsstadt hätte errichten können. Daraus ist ja nichts geworden, weil dann am Hofgarten doch die Staatskanzlei gebaut wurde. Nachdem also dieser meiner Vorschläge nicht zu realisieren war, schien es mir doch überlegenswert, dieses nicht entstandene Regierungsviertel eventuell doch etwas zu lichten und öffentlich zu beleben. Das alte Odeon steht ja immerhin an einer genialen stadtdramaturgischen Stelle. Heute ist diese Stelle aber ziemlich tot. Wenn dort jedoch ein Konzertsaal wäre, dann wäre diese Stelle am Abend immer belebt. Und diese wunderschöne Komposition von Klenze, die heute eigentlich niemand so richtig erlebt, würde dann zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Treibens am Abend werden. Das würde ich wichtig finden. Ich würde auch wichtig finden, die Gelenkfunktion dieser Gebäudegruppe um das Odeon herum hinüber zu den Pinakotheken zu beleben. Ich bin mit meinen Vorschlägen da ja sehr weit gegangen. Meine Diagonale der Pinakothek, über die wir sicher noch sprechen werden, kommt übrigens genau daher. Ich habe schon vor 20 Jahren vom Odeonsplatz eine Diagonale durch das Siemensgelände geschlagen – das ist dann aber leider nicht realisiert worden –, um einfach eine Verbindung vom Odeonsplatz zu den Pinakotheken zu schaffen. Man muss allerdings sagen, dass das Odeon inzwischen zu klein ist, um der fällige, notwendige und bessere Konzertsaal in München zu werden. Der ist ja nix, das war ja von Anfang ein Murks. Ich habe unter der Planung und dem Bau des Gasteigs wirklich sehr gelitten. Ich selbst bin ein großer Musikfreund: Ich wäre Musiker geworden, wenn ich nicht Architekt geworden wäre. Ich gehe wirklich sehr ungern in den Gasteig, er ist hässlich. Aber gut, das sieht man nicht, wenn man drin ist. Obwohl, innen drin ist er eben auch hässlich. Die Foyers dort sind einfach eine Katastrophe. Und er hat eine schlechte Akustik, eine miserable Akustik sogar. Das ist wirklich schade für eine Musik-Welthauptstadt, wie das München nun einmal ist. Vor allem der Bayerische Rundfunk hat ja mit dem Rundfunk-Symphonieorchester das einzige Weltklasseorchester in Deutschland neben den Berliner Philharmonikern. Dieses Orchester ist dort seit Jahren nur zu Gast und braucht eigentlich einen neuen Konzertsaal. Ich habe dazu jetzt auch bereits Vorschläge gemacht. Ich bin halt zuständig für solche Vorschläge, aber ich bin in diesem Fall auch tatsächlich dazu gefragt worden. Aber das Odeon kommt dafür leider nicht mehr in Frage, weil es zu klein ist. Inzwischen gäbe das einen wunderbaren Kammermusiksaal ab. Seinerzeit ist im Odeon natürlich Bruckner uraufgeführt worden und Mahler usw. Aber das waren damals ganz andere Verhältnisse. Ich bedauere es jetzt schon, dass man das Innenministerium dort nun doch renoviert und diesen Konzertsaal nicht wieder offen legt bzw. baut, denn in der Hülle ist er dort ja noch erhalten. Ich denke, dass ein Innenministerium nicht zwingend dort verortet sein muss. Dies vor allem dann nicht, da ja jetzt die gesamte Konzeption von Museumsstadt und Regierungsviertel nicht zum Zuge gekommen ist. Es gibt nämlich auch noch andere sehr gute Bürostandorte in München. Denken Sie nur einmal daran, dass die Bayerische Rückversicherung hier heraußen in Oberföhring ein grandioses Bauwerk gebaut hat. Das wird in München in Zukunft die Tendenz sein: Die großen Firmen mit ihren spektakulären Bauten werden an den Stadtrand gehen. Warum kann ein Innenministerium das nicht auch machen? Man hat ja bei der Pinakothek der Moderne schon die kluge Kehrtwendung gemacht, dort auf diesem Gelände nun nicht Universitätsinstitute zu bauen. Man will dort die Universität nicht weiter in die Innenstadt wuchern lassen, wo sie irgendwann doch nicht mehr weiter wachsen kann, wo sie nur erst einmal alles kaputtmacht, um dann letztlich selbst am eigenen Erfolg zu ersticken. Nein, man hat damals diese Kehrtwendung ganz bewusst gemacht. Das war und ist das große Verdienst von Kultusminister Zehetmair: Er hat damals diesen gordischen Knoten durchgeschlagen und gesagt, dass die Universitäten an den Stadtrand gehen sollen, während die Innenstadt wieder belebt werden soll durch Kunst und Kultur. Nun, man hätte das am Odeon eigentlich fortsetzen müssen mit diesem wunderbaren Kammermusiksaal, der dort entstehen könnte. Vielleicht kommt es ja eines Tages doch noch so weit. Schramm: Als Sie 1992 den Zuschlag für den Bau der Pinakothek der Moderne erhielten, waren Sie eine Art Außenseiter, denn es gab damals eine ganze Reihe von renommierten Mitbewerbern. Sie waren damals auch noch sehr jung, nämlich erst 41 Jahre alt. Gab es daraufhin auch viel Neid und Anfeindungen? Braunfels: Oh ja, ungeheuer viel. Aber das kann ich auch verstehen. Ärgerlich daran ist allerdings, dass ich nach diesem Wettbewerbserfolg, der ja auch triumphal hätte sein können, aufgrund dieser heftigen Neider in der Münchner Kollegenschaft in meinem Verhandlungs-Standing gegenüber dem Freistaat Bayern sehr geschwächt wurde. Bei Fragen der Baukosten, also bei der Forderung, dass das Museum zum halben Preis gebaut werden sollte und meiner Erwiderung, dass das keinesfalls funktionieren könne, hatte ich überhaupt keinen Rückhalt vonseiten der Kollegen. Es wurde mir im Gegenteil sofort bedeutet, dass da einige Kollegen bereits Gewehr bei Fuß vor der Tür stünden, wenn ich selbst hier irgendwelche Umstände machen würde. Das fand ich sehr, sehr schade. Das war z. B. in Berlin nach der Entscheidung für den Bundestagsbau ganz anders. Als ich das immerhin größte Bundestagsprojekt gewann, konnte ich aufgrund dieses Erfolgs sofort den Vorschlag machen, das Gebäude zu strecken, über die Spree zu verlagern und damit den Spreesprung jetzt bereits zu realisieren. Wir haben es also geschafft, dass der Bundestag bereits jetzt auf der West- wie auf der Osthälfte von Berlin baut. All diese Dinge waren in Berlin überhaupt kein Thema: In wenigen Monaten hatten wir dort das neue große Konzept mit dem Paul-Löbe-Haus und dem Marie-Elisabeth-Lüders- Haus samt verbindender Brücke. In München war das alles eng: Ich musste schrumpfen, ich musste Abstriche machen von meinem Entwurf, weil natürlich ringsherum überall mäkelnde Neider standen, die mit dem Finger auf den Entwurf zeigten und ihn niedermachten. Es gab da wirklich tolle Situationen. Es gab da z. B. diesen berühmten Kunstsammler und Galeristen Heiner Friedrich, der früher hier in München die berühmteste zeitgenössische Galerie betrieb, dann aber von München wegging, weil er hier keine Geschäfte mehr machen konnte. Er kam extra von New York nach München und hat sich einen Termin beim damaligen Innenminister Stoiber geben lassen, um zu intervenieren, dass ich diesen Auftrag für die Pinakothek nicht bekommen solle. Da standen natürlich interessierte Münchner Kreise dahinter. Aber ich habe das alles durchgestanden, auch wenn das, wie man es ja überall und immer nachlesen kann, eine schwere Geburt war. Letztlich ist nun dieses Gebäude – auch nach für mich bitteren Abstrichen – doch mehr geworden, als alle erwartet hatten. Schramm: Worin unterschied sich denn Ihr Vorschlag grundlegend von denen der Konkurrenz? Warum bekamen Sie damals den Zuschlag? Braunfels: Das war ganz einfach und das war übrigens auch völlig eindeutig. So etwas wird einem ja nicht offiziell gesagt, denn man darf so etwas ja nicht offiziell erfahren, aber ich habe im Nachhinein von mehreren Preisrichtern eben doch gehört, dass mein Entwurf vom ersten Moment an an der ersten Stelle gelegen ist und dies dann auch durch das ganze dreitätige Juryverfahren durchgehalten hat. Das lag an drei Dingen: Ich war der Einzige, der dieses riesige Programm, das ja drei Mal so groß ist wie die und das in zwei Bauabschnitten realisiert werden sollte – denn das, was wir jetzt hier haben, ist ja nur der erste Bauabschnitt; er ist zwar der größere, aber ist noch nicht das Ganze –, nicht in einem Gebäude unterbringen wollte. Denn das wäre dann ein gigantischer Klotz geworden, drei Mal so groß wie die Alte Pinakothek. Stattdessen habe ich das in mehrere Gebäude gegliedert: in Kern und Schale für ersten und zweiten Bauabschnitt. Das war mein Hauptgedanke. Hinzu kam, dass somit der erste Bauabschnitt kein Torso sein würde, sondern schon für sich stehen kann. So ist es ja jetzt gekommen. Denn ich hatte mir gleich schon gedacht, dass die den zweiten Bauabschnitt nicht so schnell bauen werden. Der zweite wichtige Gedanke war, dass dieses Gebäude eine öffentliche Durchwegung bekommt. Dieses Grundstück befindet sich ja genau zwischen den beiden alten Pinakotheken einerseits und der Innenstadt andererseits. Es war daher die Frage, ob man dieses Grundstück nun zubauen sollte, sodass man dann immer darum herumlaufen muss. Die Frage war also, ob da nun so eine Art Pfropfen entsteht. Oder sollte man nicht doch lieber einen Gelenkbaukörper machen, der eine Brücke schlägt und verbindet. Ich fand das eigentlich ganz evident, aber es gab gar nicht so viele Arbeiten, die das beherzigt hatten. Viele Arbeiten haben z. B. der Innenstadt den Rücken zugekehrt. Ich wollte das auf gar keinen Fall so haben. Andererseits musste man sich natürlich mit dem Haupteingang zur Alten Pinakothek hin öffnen. So entstand dann meine Idee der diagonalen Erschließung von beiden Seiten, die dann in der Mitte in eine große zentrale Rotunde führt. Das ist der dritte Gedanke gewesen. Es handelt sich bei diesem Haus um ein Vielspartenhaus, wenn Sie so wollen. Das ist ja nicht nur die Staatsgalerie Moderner Kunst. Das ist auch die Neue Sammlung, das ist das Architekturmuseum der Technischen Universität und die Graphische Sammlung. Und damals sollte in den zweiten Bauabschnitt auch noch die Sammlung Buchheim hinein. Das war auch mit ein Grund dafür, warum ich den zweiten Bauabschnitt separiert hatte, denn ich wusste schon, dass die nicht unter ein Dach wollen: Buchheim wollte noch nicht einmal mit auf dieses Areal bzw. die Staatsgemäldesammlung wollte ihn nicht. In Bernried gibt es ja jetzt eine sehr schöne Lösung für die Sammlung Buchheim. Das Ganze ist also ein Multimuseum. Mir ging es darum, dies alles nun nicht additiv aufzureihen, sondern zu sagen, dass das eine Ganzheit werden solle: Alle Gattungen, alle Künste bilden vor allem im 20. Jahrhundert, wo sich die Gattungsgrenzen ohnehin verwischen und vermischen, eine Einheit. Deswegen habe ich mir gedacht, es wäre schön, diese vier Museen um eine zentrale Rotunde herum zu versammeln und sie nicht separiert zu erschließen, wie das viele andere Entwürfe so angelegt hatten. Denn die Addition, die Reihung schien ja moderner. Eine Reihung wirkt immer moderner als eine Konzentration, denn die hat immer so etwas von klassischer Mitte an sich, für die es ja auch berühmte klassische Vorbilder gibt. Gut, die Vorbilder habe ich auch durchaus selbst gesehen: Die Alte Pinakothek ist ja eines der berühmtesten und sogar eines der Gründungsmuseen der Welt. Ich wollte also bereits aufgrund der städtebaulichen Gliederung der Alten Pinakothek die Dominanz lassen. Andererseits wollte ich aber auch ein Pendant machen und den anderen Typus, den Typus des Museums um die Rotunde herum realisieren. Dieser Typus war ja in München schon einmal für die entworfen worden: Dieser Entwurf ist dann aber von Klenzes Entwurf verdrängt worden. So war mein Entwurf also immer eine Mischung aus vielen historischen Bezügen und aus funktionalen Ansätzen, die ich mir eben so vorgestellt habe. Damit hat sich dieser Entwurf doch von den meisten anderen Entwürfen unterschieden. Es gab aber damals in diesem Wettbewerb schon auch noch andere sehr gute Entwürfe. Nehmen Sie als Beispiel dafür den Entwurf von Hilmer & Sattler, der den zweiten Preis gemacht hat. Meines Erachtens ist das der beste Entwurf, den sie je gemacht haben, noch viel besser als ihre Berliner Gemäldegalerie. Insofern war es also für sie tragisch, dass sie diesen Münchner Wettbewerb nicht gewonnen haben. Ich kann daher auch verstehen, dass sie deswegen nach diesem Wettbewerb sehr verbittert waren. Aber ich habe die Sache nicht entschieden, das war die Jury. Und so ein Wettbewerb ist ja anonym. Schramm: Das heißt, die Jury weiß nicht, welcher Vorschlag, welcher Entwurf von wem stammt. Braunfels: Ja, das ist ganz wichtig bei Wettbewerben. Dies wissen aber viele Leute nicht. Es stehen unter den Entwürfen jedenfalls keine Namen drunter. Jeder hat damit die gleiche Chance und damit eben auch jüngere und unbekannte Architekten. Aber am meisten Unrecht hat man vielleicht dem Entwurf von Herzog & de Meuron getan, die jetzt das Fußballstadion in München bauen. Sie haben in München auch schon mal eine wunderbare kleine Galerie für die Sammlung Götz gebaut. Sie haben damals bei diesem Wettbewerb einen grandiosen Entwurf gemacht, der freilich noch nicht einmal in die Endrunde gekommen ist. Die Jury hat also auch manches nicht richtig gesehen. Es gab allerdings auch grandiose Fehlplanungen von weltberühmten Architekten. Isozaki hatte z. B. vorgeschlagen, auf dem ganzen Areal eine riesige Rotunde zu bauen, die drei Mal so groß wie die Alte Pinakothek geworden wäre. Die Alte Pinakothek hätte daneben ausgesehen wie der Reichstag neben der großen Speer'schen Kuppel. So ähnlich wäre das geworden. Solche Sachen hat es also auch gegeben. Es gab aber ansonsten sehr wohl auch eine Fülle von interessanten Entwürfen. Es ist schade, dass der Wettbewerb nicht dokumentiert ist. Da ging eben damals bereits das Sparen los: Man hat einen solchen Jahrhundertwettbewerb noch nicht einmal dokumentiert. Das ist eigentlich eine Gemeinheit auch den anderen Teilnehmern gegenüber. Auch für das Publikum ist das schade, denn so ein Wettbewerb ist ja schon etwas sehr Interessantes. Die Unterlagen sind aber bis heute fast alle verloren gegangen. Das ist schade. Schramm: Stichwort "Sparen": Sie haben gesagt, das sei nun ein Jahrhundertneubau in Sparausführung. Woran wurde denn nun konkret gespart? Woran fehlt es denn jetzt wirklich? Braunfels: Gott sei Dank wurde der Entwurf nicht so wahnsinnig durch Sparmaßnahmen eingeschränkt. Natürlich, das Haus musste geschrumpft werden. Man versöhnt sich ja im Nachhinein mit allem und vergisst vieles, aber wenn man es strenger nimmt, ist es schon ein bisschen schade: Jeder Ausstellungsraum ist fünf bis zehn Prozent kleiner, fünf bis zehn Prozent niedriger. Das Ganze hätte also normalerweise noch etwas mehr Geste und Haltung gehabt. Aber das spüren vielleicht nur die ganz Sensiblen. Das ganze Gebäude musste also geschrumpft werden. Die Baugedanken allerdings sind erhalten geblieben: Kern und Schale, Diagonale, Rotunde. Die Rotunde wurde sogar noch erhöht, sodass oben nun auch noch eine Galerie dazugekommen ist und man jetzt sozusagen so eine Art Guggenheim-Effekt hat. Ich konnte auch diese großen Diagonaltreppen noch nachträglich erfinden: Im Wettbewerbsentwurf waren sie noch gar nicht vorhanden, sie sind erst später in der Euphorie dieses ersten Preises entstanden. Diese Treppen fassen die drei Hauptebenen zusammen und steigern den städtebaulich motivierten Gedanken der diagonalen Zuführung im Inneren ins Räumliche. Alles das konnte ich also sehr wohl machen. Enorm gespart wurde dann allerdings an der Ausführungsqualität. Man hat jedoch weniger an der technischen Ausführung gespart, denn dieses Museum ist ja ein Hightech-Gebäude, obwohl man davon überhaupt nichts sieht. Man sieht z. B. von den 900 Kilometern Elektrokabel überhaupt nichts. Es hat die tollste Lüftungsanlage der Welt, die tollste Alarmanlage der Welt, die tollste Verschattungsanlage usw. Alles ist computergesteuert wie z. B. das Licht – das Kunstlicht wie das Tageslicht. All das ist vom Besten und Feinsten. Wir sind nun einmal in Bayern, in einem Hightech- Land. Gespart wurde aber an der Ausführungsqualität der Architektur. Nehmen Sie als Beispiel den Sichtbeton: Ich wollte einen wesentlich besseren Beton, der auf der Baustelle hergestellt werden sollte und nicht aus einem Betonwerk kommt. Da wurde z. B. gespart. Es gibt zur Eröffnung auch keine Außenanlagen: Es gibt keine neuen Bäume, die Wasserbecken sind gestrichen usw. Außen herum fehlt es an allem! Im Inneren ist es so, dass z. B. die Wände nicht gespachtelt sind, die Wände sind viel zu rau. Wenn das Licht, dieses wunderbare Licht, das wir haben, auf die Wände fällt, sieht man überall die Fehlstellen! Die Malerarbeiten sind ebenfalls nicht abgeschlossen. Es wurde also ganz klar an der handwerklichen Ausführungsqualität gespart. Das ist eigentlich bitter, wenn man mal so weit gekommen ist. Ich muss auch sagen, dass ich das für die eigentliche Verschleuderung von Steuergeldern halte: Wenn man ein großes Werk auf die Bahn schiebt und es dann nicht richtig zu Ende baut. Wenn dann die letzten zehn Prozent fehlen, dann muss man sagen, dass das verschleudertes Geld ist. Denn dieses Geld kann man nirgendwo anders so sinnvoll einsetzen wie hier bei einer Sache, die dann eben doch an die 120 Millionen Euro oder mehr gekostet hat. Man hätte das mit vielleicht fünf bis zehn Millionen Euro wirklich gut vollenden sollen. Ich hoffe, dass wir das in Zukunft zumindest teilweise noch machen können. Aber die Chancen dafür sind nicht sehr groß, denn wenn ein solches Museum erst mal in Betrieb ist, kann man eigentlich nicht mehr viel machen. Ich gehe davon aus, dass dieses Museum wirklich "brummen" wird. Es werden im ersten Jahr bestimmt eine Million Besucher kommen. Es werden dann auch in den weiteren Jahren immer um die 500000 Besucher pro Jahr werden. Man wird es sich also nie mehr leisten können, das Museum auch nur für eine Woche zu schließen, um irgendwelche Fehler oder Mängel beseitigen zu können, weil das ganz einfach ein Renner werden wird. Das ist schade. Aber hier kämpfe ich wirklich gegen Windmühlen. Ich mache das jetzt noch verzweifelt bis zur Eröffnung: Ich kämpfe verzweifelt um jedes Detail, um jede Nachbesserung, um jede Mängelbeseitigung. Aber das Staatliche Hochbauamt sitzt das einfach aus, die sind stur und stoisch und machen nix. Sie warten einfach ab, irgendwann wird der Eröffnungstermin sein und dann wird nix mehr gehen. Schramm: "Ihre" Pinakothek ist ja benachbart von zwei weiteren Pinakotheken: Es ist wohl einmalig auf der Welt, dass drei Gebäude dieser Art nebeneinander stehen. Ergibt das nicht auch eine Konkurrenzsituation und sind Sie nicht auch möglicherweise insofern im Nachteil, weil bei Ihnen im Vergleich zu den älteren Pinakotheken am meisten gespart werden musste? Braunfels: Ach nein, da muss man schon die Kirche im Dorf lassen. Es gibt ja diesen blöden Spruch "Konkurrenz belebt das Geschäft": Dieser Spruch gilt hier wirklich. Diese drei Museen sind aber andererseits auch wieder unglaublich verschieden, das ist klar. Ich fühle mich sehr, sehr wohl dabei, denn es wird ja in Zukunft ganz klar so sein, dass in die Pinakothek der Moderne mehr Leute gehen werden als in die anderen beiden Pinakotheken zusammen. Man muss natürlich auch bedenken, dass die , die Von Branca gebaut hat, ein wesentlich besseres Budget hatte. Das muss man einfach klar so sagen: Von Branca hatte über 50 Prozent mehr Geld! Damals war diese Summe überhaupt kein Thema, man gab es schließlich für das 19. Jahrhundert aus! Das 20. Jahrhundert ist halt in München nie so geliebt worden. Es wurde nur von wenigen geliebt und schon gar nicht von der großen Politik. Dies spielt einfach mit eine Rolle. Aber ich denke schon, dass die Neue Pinakothek ein bisschen altbacken geworden ist. Die Alte Pinakothek hingegen! Etwas Besseres kann einem doch gar nicht passieren, als Klenze zum Nachbarn und Pendant zu haben und daraus einen schönen Gegensatz machen zu können. Wir haben ja auch deswegen ganz bewusst die Pinakothek der Moderne in Sichtbeton gebaut. Darüber hat es übrigens großen Konsens gegeben bis hinein in die konservativsten Abteilungen des Kultusministeriums. Es war klar, dass das Museum des 20. Jahrhunderts aus dem "Marmor des 20. Jahrhunderts" gebaut werden sollte. Mit dieser Sorte Beton ist es ja nun leider kein Marmor geworden, weil man das einfach nicht sorgfältig genug gemacht hat. Schramm: Sie bezeichnen also den Beton als "Marmor des 20. Jahrhunderts". Kritiker sagen dazu, dass wir nun freilich bereits das 21. Jahrhundert erreicht hätten. Braunfels: Nun deswegen wird diese Formulierung ja auch in der Zwischenzeit bereits umformuliert. Heute heißt der Beton der "Marmor der Gegenwart". Nein, das ist eben "nur" ein Begriff – wie die Moderne ja auch ein auf das 20. Jahrhundert bezogener Begriff ist. Nein, ganz im Ernst, ich bin mir sicher, dass die Pinakothek der Moderne ganz wunderbare Innenräume und Beziehungen und Blickbeziehungen haben wird. Es wird dort übrigens auch schöne Blickbeziehungen zur Alten Pinakothek geben. In der Pinakothek der Moderne wird also unglaublich viel los sein. Gleichzeitig aber sind dort die Ausstellungsräume die kontemplativsten Räume, die es überhaupt gibt. In diesem Gebäude ist nämlich unglaublich viel Platz. Von außen kann man das noch nicht einmal erahnen. Die Ausstellungsfläche ist wirklich doppelt so groß wie die Alte Pinakothek. Jeder merkt das, wenn er durch dieses Gebäude geht: Wenn er wieder draußen ist, tun im die Füße weh, so weitläufig ist das. Wir sind bei diesem Gebäude ja auch weit in die Erde hineingegangen. Das habe ich bis jetzt ja noch gar nicht erzählt. Schramm: 40 Prozent sind unterirdisch. Braunfels: Ich habe das deswegen gemacht, damit dieses Gebäude der Alten Pinakothek das Primat belassen kann. Auch deswegen habe ich dieses Gebäude zu 40 Prozent in die Erde abgesenkt. Das war deswegen möglich, weil natürlich alle Depots und die Technikflächen erst recht unterirdisch untergebracht werden konnten. Aber auch die Neue Sammlung, die ja sehr groß ist mit ihren über 3000 Quadratmetern, ist unter die Erde abgesenkt: Sie konnte dort Platz finden, weil sie mit Kunstlicht arbeitet. Ich finde also, dass es gar nichts Besseres geben kann, als neben der Alten Pinakothek zu stehen. Nun geht die Sache aber weiter: Es kommt nun das Brandhorst-Museum, dann kommt die Graphische Sammlung usw. Wir konnten vor kurzem auch lesen, dass nun gegenüber der Alten Pinakothek auch noch das Ägyptische Museum gebaut werden wird. Wir werden also in München wirklich ein riesiges Museumsareal bekommen! So lautet jetzt dieser neue Begriff, während ich ja immer von der Museumsstadt gesprochen hatte. Wenn man da auch noch den Königsplatz bis zum , das zwar städtisch ist, miteinbezieht, dann bekommt man damit im Gesamten ein Museumsareal, das es in dieser Weise meiner Meinung nach noch nicht einmal auf der Museumsinsel in Berlin oder im Louvre in Paris gibt. Es ist, wie ich glaube, klug und weise, dass sich München darauf besinnt, eine der Kulturhauptstädte der Welt zu sein und zu bleiben und hier wirklich eine Führungsrolle anstrebt ähnlich wie in der Musik mit den drei großen Orchestern und den Opernhäusern. Es ist gut, dieses zum Mittelpunkt unserer Kulturpolitik hier in Bayern und in München zu machen. Die Pinakothek wird innerhalb dieses Ganzen das zentrale Gelenk sein. Das wird mir immer klarer, wenn ich Luftaufnahmen mit dieser Rotunde – einen solchen Raum hat kein anderes Museum – und dieser diagonalen Verbindung zur Alten Pinakothek und zu den anderen Museen sehe. Die Geschichte ist ja jetzt nicht am Ende, sondern geht jetzt eigentlich erst richtig los. Schramm: Wie geht es denn konkret weiter? Was passiert mit dem ? Werden Sie den zweiten Bauabschnitt möglicherweise doch noch machen können? Braunfels: Beim Museum Brandhorst läuft ja jetzt der Wettbewerb, d. h. da muss man abwarten, wer gewinnt. 25 Architekten sind ausgewählt worden. Ich habe mich auch gestellt. Manche haben sich darüber gewundert, aber ich fand es einfach sportlich wichtig, auch wenn ich mir überhaupt keine Siegchance ausrechne. Aber das darf man sowieso nie. Es wird jedenfalls für mich wesentlich schwerer sein zu gewinnen als bei der Pinakothek. Das sind nämlich alles ganz tolle Architekten. Ich werde jedenfalls die Graphische Sammlung bauen, als ersten Teil meines zweiten Bauabschnitts. Denn das ist keineswegs bereits der ganze zweite Bauabschnitt. Wichtig ist – aber dazu fehlt im Moment noch leider nicht nur das Geld, sondern auch ein bisschen das Bewusstsein dafür –, dass die Menschen verstehen, dass dieser zweite Bauabschnitt essenziell ist für die Pinakothek der Moderne, auch in städtebaulicher Hinsicht. Das muss als Ganzes gebaut werden und nicht nur in Teilen! Ich hoffe, dass ich das in meinem Leben noch schaffen werde. Schramm: Dazu wünsche ich Ihnen ganz viel Glück. Vielen Dank. Zu Gast war heute der Architekt Stephan Braunfels.

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