Bauen in Stahl Bautendokumentation des Stahlbau Zentrums Schweiz

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Stadien ,

Grosses Himmelszelt über Berlin

Bauherrschaft Land Berlin, vertreten durch die Senats verwaltung für Stadtentwicklung

Architekten gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, /Berlin

Ingenieure Krebs und Kiefer, Darmstadt/Berlin Schlaich Bergermann und Partner,

Bauzeit 2000 – 2004

Als Tempel der Körperkultur erlebte das Olympiastadion Berlin 1936 einen denkwürdigen Höhepunkt. Das unter Denkmalschutz stehende Bauwerk wurde nun durch einen behutsamen architektonischen Eingriff modernisiert und zu einem reinen «Fussballstadion» umfunktioniert. Die neue Tribünenüberdachung nimmt Bezug auf die hochwertige Bausubstanz und schafft gleichzeitig eine im- po sante räumliche Präsenz.

Das Berliner Olympiastadion ist Teil des «Reichs - Beim Umbau des Olympiastadions in eine multi - sportfeldes», das 1934–36 für die Olym pi schen Som- funktionale und zugleich fussballgerechte Arena war merspiele nach dem Entwurf des Architekten Werner neben umfangreichen Sanierungs- und Moderni - March erbaut wurde. Das weite Oval des Stadions sierungs arbei ten die Vollüberdachung der Tribünen mit seinen flach ansteigenden Tribünen wird im eine der wichtigsten Mass nah men. Ein umlaufen des, Westen durch das Marathontor unterbrochen und gibt in seiner Gestaltungsform gleichbleibendes Dach, den Blick frei auf das Maifeld und den Glockenturm. das als leichte Kragarmkonstruktion in Stahlbauweise Die Ge samtan lage steht als Grossensemble aus der errichtet wurde, ermöglichte nicht nur die Unter - Zeit des Nationalsozialismus unter Denkmalschutz. brechung der Tribünenüberdachung im Bereich des

12 steeldoc 04/05 Das leichte Dachtragwerk überflügelt das Stadiondenk- mal. Die 20 Baumstützen und eine umlaufende Stützen- reihe am Dachrand sind die einzigen Berührungspunkte zwischen Alt und Neu.

Ansicht West

Querschnitt

13 Olympiastadion, Berlin

Die charakteris tische Öffnung der Tribünen am Marathontor findet ihre Entsprechung in der Überdachung.

Marathontores als architektonische Reaktion auf die historische Sichtachse, sondern auch die Montage bei laufendem Spielbetrieb.

Innenraum unter freiem Himmel Das Dachtragwerk wird durch 76 radial zum Tribü- nengrundriss ausgerichtete Fachwerkbinder mit identischen Aussenabmessungen in Segmente unter- teilt. Die Länge dieser Radialbinder, die die Tiefe des Daches bestimmen, beträgt umlaufend 68 Meter. Während der Obergurt geradlinig verläuft, ist der Un- tergurt im Bereich der tragenden Baumstü t zen aus- gerundet. Für die innenliegenden Binderspitzen wur- de aus gestalterischen Gründen die Form eines Vierendeelträgers ge wählt. Aussen schliesst der Binder über eine biege steife Stirnplattenverbindung an einen um laufenden Randunterzug mit Hohlkas ten - quer schnitt an. Als Stahlverbundträger bilden die äusseren Enden der Radialbinder einen Teil des dreieckförmigen Aussenringes aus Stahlbeton, der nicht nur der horizontalen Aussteifung des Dach trag - werks dient, sondern auch ein Gegengewicht zur Auskragung der Konstruktion bildet.

Filigrane Baumstruktur Um die Sicht der Zuschauer auf den 66 000 Sitzplätzen möglichst wenig zu beeinträchtigen, sind die das Dach tragenden Baumstützen mit einem Achsabstand von 32 bis 40 m weit nach hinten gesetzt. Die Stämme der 20 schlanken, 8,50 m hohen Stützen mit kreis - förmigem Vollquerschnitt verjüngen sich vom Gabe - lungs knoten zum angeschmiedeten Stützenfuss hin konisch von 350 auf 250 mm. Sie sind ebenso wie die vier Äste oberhalb des Gusskno tens aus ver- gütetem Schmiedestahl mit einer Streckgrenze von 735 N/mm2 her gestellt, um pro Stütze eine Last von 1200 t aufnehmen zu können. Neben den Baum- stützen werden die Lasten der neuen Tribünen- überdachung über 132 Aussenstützen, die in den Ach sen der vorhandenen Muschelkalkpfeiler am äus- seren Umgang angeordnet sind, gleichmässig in den Bestand verteilt.

Über den Baumstützen verläuft ein Drei gurt binder als Durchlaufträger in tangentialer Richtung. Er un- terstützt die Radialbinder und übernimmt aussteifen- de Funktionen in der Dach ebene. Zum Ausgleich von vertikalen Verformungen in den Radialbinderspitzen wurde in der Nähe des Dachinnenrandes ein tangen- tial verlaufender Zweigurtbinder angeordnet.

VIP-Zuschauern stehen exklusive Logen und Lounges mit kom - fortablen Sitzen zur Verfügung. Die Originalsubstanz wurde hier möglichst belassen

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Stadionüber dachung Schnitt, Massstab 1: 500

1 Radialbinder (Fachwerkträger) 2 Zweigurtbinder 3 Dreigurtbinder 4 Randunterzug 5 Aussenstütze 6 Stahlbetonring 7 Baumstütze

Isometrie äusserer Dachrand mit Spanten Isometrie Rinnensystem

15 Olympiastadion, Berlin

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Durch das transluzente PTFE- beschichtete Glasfaser - gewebe bleibt die filigrane Stahlrohrfächerkonstruktion erkennbar.

Durchlässige Dachhaut Das Dachtragwerk ist beidseitig mit Membranen aus schmutzabweisendem und nicht brennbarem PTFE-beschichtetem Glasfasergewebe bespannt. Tan- gential verlaufende Rohrbögen, die jeweils in den Systemknoten der Radial bin der obergurte anschlies- sen, erzeugen an der Oberseite die für die Trag wirkung notwendige zweiachsige Krüm mung der Membrane.

Die Ver kleidung der Unterseite ist eben gespannt und offenmaschig ausgebildet, um Einblick in die fili grane Konstruktion zu bieten und die notwen- dige Schall- und Lichtdurchlässigkeit für die im Dach körper liegenden Lautsprecher und Beleuch - tungs elemen te der Tribünenränge zu gewährleisten.

Zwischen der unteren Membran und der am Dach - innenrand umlaufenden ca. 13 m breiten Eindeckung aus vierpunktgelagerten, teilvorgespannten Ver - bundsicherheitsglasscheiben sind die Anlagen für Beschallung und die Flutlichtanlage eingebaut. (cd)

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Schnitte Dach, Baumstütze Massstab 1: 50 11 1 Radialbinder 9 Stützenstamm Ober-/Untergurt Ø 323,9 mm Stahlvollquerschnitt (12NiMoCr17–4) Diagonale Ø 273 mm Ø 350–250 mm, l = 8.500 mm 2 Gegengewicht 10 Leuchtstoffröhre Stahlbetonfertigteil 11 Glasfasergewebe, offenmaschig, 3 Randunterzug PTFE-beschichtet 4 Aussenstütze Stahlrohr 12 Stahlrohr Ø 177,8 mm Ø 323,9–355,6/10–80 mm 13 Bogenträger Stahlrohr Ø 139,7/5 mm 5 Dreigurtbinder 14 Glasfasergewebe, PTFE-beschichtet Ober-/Untergurt Stahlrohr Ø 323,9 mm 15 Punkthalter Edelstahlguss 6 Gussknoten 16 VSG 2 x 10 mm, Neigung 5 % 7 Stahlstab Ø 290 mm 17 Flutlichtscheinwerfer 8 Gussknoten (GS-18 NiMoCr 3–6) 18 Wartungssteg

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Die feingliedrige Kragarmkons- truktion wurde bei lauf endem 9 Spielbetrieb aus einzelnen Segmenten zusammen gebaut.

17 Impressum

steeldoc 04/05, Dezember 2005 Bauen in Stahl Bautendokumentation des Stahlbau Zentrums Schweiz

Herausgeber: SZS Stahlbau Zentrum Schweiz, Zürich Evelyn C. Frisch, Direktorin

Designkonzept: Gabriele Fackler, Reflexivity AG, Zürich

Texte, Redaktion und Layout: Evelyn C. Frisch, Zürich

Fotos: Titel: Olypiastadion Berlin; Fritz Busam Editorial: Athen; Palladium Photodesign Barbara Burg + Oliver Schuh, Köln Olympiagelände Athen: Palladium Photodesign Barbara Burg + Oliver Schuh, Köln Olympiastadion Berlin: Heiner Leiska (S. 12, S. 14, S. 16); Fritz Busam (S. 13); gmp (S. 16 oben, S. 17) , München: Allianz Arena München GmbH, München (S. 18 oben, 20, 21); Christoph von Haussen/artur, Köln (S. 19) Waldstadion, : Heiner Leiska; Boris Roessler/dpa (S. 24 unten); gmp (S. 24 oben, S. 25) Stade de Suisse, Bern: Philipp Zinniker, Bern

Quellen: Projektangaben und Pläne stammen von den Planungsbüros. Olympiastadion Berlin, Allianz Arena München, Waldstadion Frankfurt: Projekttexte und Detailpläne aus Dokumentation 590, mit freundlicher Genehmigung des Stahl-Informations-Zentrums, Düsseldorf (Redaktion: circa drei, München)

Administration, Abonnemente, Versand: Andreas Hartmann, SZS

Druck: Kalt-Zehnder-Druck AG, Zug

ISSN 0255-3104

Jahresabonnement Inland CHF 40.– / Ausland CHF 60.– Einzelexemplar CHF 15.– Preisänderungen vorbehalten.

Bauen in Stahl/steeldoc© ist die Bautendokumentation des Stahlbau Zentrums Schweiz und erscheint mindestens viermal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Mitglieder des SZS erhalten das Jahresabonnement und die technischen Informationen des SZS gratis.

Die Rechte der Veröffentlichung der Bauten bleiben den Architekten vorbehalten, das Copyright der Fotos liegt bei den Fotografen. Ein Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers und bei deutlicher Quellenangabe gestattet.