Der Meister mit der Eule Eine Gedankennotiz zur Eulendarstellung in der „Kreuztragung Christi“ von Herri met de Bles in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien

Von Claudia Koch

Die Gemäldegalerie der Wiener Akademie Deutung hängt vom jeweiligen Kontext ab. Im besitzt ein Tafelbild mit der Darstellung der Oeuvre des Herri met de Bles taucht dieses Kreuztragung Christi. Das Gemälde ist weder Motiv gleichfalls wiederholt auf. Wie in der signiert noch datiert. Die kunsthistorische Kreuztragung der Gemäldegalerie lassen auch Zuordnung basiert daher ausschließlich auf diese Werke keine symbolische Deutung zu. stilkritischem Vergleich. Die Zuschreibung Die Interpretation des Vogelmotivs als ein an Herri met de Bles, einen niederländischen Künstlerzeichen im Sinne einer Signatur Maler der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, ist daher nahe liegend, um so mehr als im ist seit jeher unangefochten. gesamten Werk eine Signatur in Form eines Die Szene aus dem Neuen Testament ist Namenszuges oder eines Monogramms fehlt. hier figurenreich umgesetzt und in eine wild Diese These wurde von der Forschung mittler- zerklüftete Berglandschaft eingebettet. Die weile wieder verworfen. Das Käuzchen ziert Figuren ordnen sich der Landschaft, die das nämlich nicht durchgehend alle Bilder des Bild dominiert, unter. Es handelt sich um eine Malers und findet sich darüber hinaus auch im so genannte „Weltlandschaft“, die sich aus Schaffen anderer Künstler wie zum Beispiel unterschiedlichen, in der Natur beobachteten bei (Kauzbrief 4 [6]: 6-9). Elementen zusammensetzt: Berge und Felsen, Trotzdem hält sich diese Ansicht beständig in Städte und Flüsse. Am rechten Bildrand, im den Köpfen der Betrachter. Ein Grund dafür Bereich der dunklen Vordergrundzone, sitzt in ist der Mangel an biografischen Kenntnissen einiger Distanz zum Bildgeschehen ein Käuz- über den Künstler. chen. Es hat seinen Blick auf den Betrachter Das Leben des Herri met de Bles liegt tat- gerichtet. Da die Anwesenheit des Vogels sächlich im Großen und Ganzen im Dunklen. inhaltlich nicht erforderlich ist, stellt sich die Sogar Lebensdaten und Name werfen Fragen Frage nach seiner Bedeutung. auf. Die wenigen Fakten lassen sich rasch Das Eulenmotiv ist in der niederländischen zusammenfassen: Herri zählt zu den Land- sowie in der deutschen Kunst dieser Zeit weit schaftsmalern niederländischer Herkunft. Als verbreitet. Es wird als Symbol eingesetzt, Geburtsort wird von den frühen Biografen das über ein ungewöhnlich breites Deutungs- (Lampsonius 1572 und van Mander 1604) spektrum verfügt und das sowohl positiv vor allem Bouvignes genannt, aber auch Di- als auch negativ besetzt sein kann. So steht nant (Guicciardinis 1567 und Vasari 1568). das Tier zum Beispiel für Weisheit wie für Zweiteres könnte allerdings auf einen Irrtum Dummheit gleichermaßen. Die endgültige zurückgehen. Beide Orte sind zumindest

Seite 30 Kauzbrief 18 (2006) Abb. 1: Herri met de Bles, gen. Civetta; Dinant oder Bouvignes 1500/1510 - 1550/1555 Antwerpen? Die Kreuztragung Christi, signiert(?) mit Käuzchen; Öltempera/Holz (Eiche), 57 x 72 cm, Inv. Nr. 548; Schenkung Graf Lamberg 1822 im Maastal gelegen. Das Geburtsdatum des wie die Nennung eines „Enrico da Dinant“ Malers ist nicht überliefert, es wird allgemein in Giorgio Vasaris zweiter Ausgabe seiner im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts an- Künstlerviten von 1568 und die lateinisierte genommen. Später ist der Maler nachweislich Fassung „Henrico Blesio Bovinati Pictori“ in Antwerpen tätig, wo er im Jahre 1550 noch in der Porträtsammlung berühmter niederlän- gelebt haben soll. Ein genaues Todesdatum ist discher Künstler von Dominicus Lampsonius. nicht bekannt. Die unterschiedlichen Schreibweisen stiften Die Bezeichnung „Herri Bles“ beziehungs- bisweilen auch Verwirrung. So ist zum Bei- weise „Herri met de Bles“ stellt sicherlich spiel in den Listen der Antwerpener Maler- die geläufigste Form der Namensschreibung gilde von 1535 die Aufnahme eines gewissen dieser biografisch kaum fassbaren Person dar. „Herri de Patinir“ als Meister belegt. Dieser Dabei handelt es sich bemerkenswerter Weise Eintrag wird allgemein auf Herri met de Bles um den Rufnamen, der vermutlich auf eine bezogen und verleitet zur Vermutung, dass er blonde oder weiße Locke im Stirnhaar des der Neffe des berühmten sei. Malers zurückgeht. Weitere Namensgebungen Auch wenn Herri met de Bles als künstleri- beziehen sich auf den Geburtsort des Meisters, scher Erbe Patinirs gilt, so kann schlussend-

Kauzbrief 18 (2006) Seite 31 lich kein Verwandtschaftsverhältnis zwischen belegen zum Beispiel die Popularität der Kunst den beiden nachgewiesen werden. des Herri met de Bles. Detailkenntnisse zu Herris Leben und Van Mander beschäftigt sich aber auch mit Schaffen sind offensichtlich schon wenige dem Thema der Eulendarstellung in Herris Jahrzehnte nach seinem Tod in Vergessenheit Bildern. Er bezeichnet den Maler als „Meister geraten, denn der niederländische Biograf und mit der Eule“ und liefert folgende Erklärung Maler Karel van Mander bedauert Anfang dazu: „ … denn er brachte auf allen seinen des 17. Jahrhunderts nur wenig über „diesen Werken eine kleine Eule an …“. Van Mander Herri“ in Erfahrung gebracht zu haben. So bezog seine Informationen bezüglich Herris dokumentiert er es zumindest in seinem Lebensbeschreibung vermutlich im Wesent- Malereitraktat „Het Schilder-boek“ aus dem lichen von Lampsonius. So überrascht es daher Jahre 1604, der neben einer theoretischen kaum, dass Herri in dessen Porträtsammlung Abhandlung über die Malerei eine biogra- von 1572 mit einer kleinen Eule abgebildet ist. fische Sammlung der berühmtesten nieder- Van Mander weiß weiter zu berichten, dass ländischen und deutschen Künstler des 15. die Suche nach dem Tierchen im Bild unter und 16. Jahrhunderts beinhaltet. Auch wenn Kunstfreunden als beliebter Zeitvertreib galt es van Mander an Informationen zu Persön- und sogar zum Wettgegenstand wurde. Es lichkeit und individuellen Lebensumständen ist anzunehmen, dass es sich dabei um eine des Malers mangelt, so enthalten die schrift- Anekdote handelt, sie bestätigt jedoch die lichen Ausführungen wertvolle Hinweise. Sie damalige Wertschätzung von Herris Malerei.

Abb. 2: Käuzchen im Bild Die Kreuztragung Christi

Seite 32 Kauzbrief 18 (2006) Diese spricht gleichfalls aus van Manders Literatur: Bewunderung für dessen Werke, die bezeugen Falkenburg, R. L. (1995): Herri (met de) Bles, würden, „dass er ein Meister von großer Ge- in: Meissner, Günter (Hrsg.): Saur allgemeines duld gewesen ist“. Laut van Mander waren die Künstlerlexikon. - Saur München, Leipzig: 11, Landschaftsbilder des Malers an vielen Orten 491-493. Guicciardini, L. (1567): Descrittione di M. zu finden, sogar am Prager Hof von KaiserR u- Lodovico Guicciardini ... di tutti Paesi-Bassi. - dolf II. Besonders beliebt waren sie allerdings Antwerpen. in Italien, wo ihm das versteckte Käuzchen Lampsonius, D. (1572): Pictorium aliquot celebri- sinngemäß den Rufnamen „Civetta“ einbrach- um Germaniae inferioris effigies. - Antwerpen. te. Van Mander schließt seine Ausführungen Lampsonius, D. (1956): Les effigies des pein- über den Maler mit den Worten: „... der Mann tres célèbres des Pays-Bas. ed. Jean Puraye. - mit dem Eulchen ist sehr berühmt.“ Brüssel. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Muller, N. et al. (1998): Herri met de Bles. ältere Quellen von der Vorliebe des Malers Studies and Explorations of the für das Eulenmotiv berichten. Diese brachte Tradition (Symposium, Princeton University, 13- 14. Oktober 1995). - Brepols Turnout gemeinsam ihm sowohl in seiner Heimat als auch unab- mit The Art Museum Princeton University Prin- hängig davon in Italien einen entsprechenden ceton New Jersey. van anders Beinamen ein. Den Worten M ist Trnek, R. (1997): Die Gemäldegalerie der Akade- jedoch kein Hinweis auf die Verwendung des mie der bildenden Künste in Wien. Die Sammlung Tiermotivs im Sinne einer Signatur zu ent- im Überblick. - Böhlau Wien: 57. nehmen. Diese Schlussfolgerung ist zwar in Van Mander, C. (1617): Das Leben der nie- Anbetracht mangelnder Signaturen im Werk derländischen und deutschen Maler (von 1400 des Herri met de Bles verlockend, aber nicht bis ca. 1615); übersetzt von Floerke, H. (1991, belegbar. Die Bedeutung des Käuzchens in der unveränderter Nachdruck 2000). - VMA-Verlag Wiesbaden: 99-102. Malerei des Herri met de Bles bleibt somit ein Van Mander, K. (1604): Het Schilder-Boek. (2. ungelöstes Rätsel. Auflage 1618). - Haarlem. Mag. Claudia Koch Vasari, G. (1568): Le vite de piu eccellenti pittori, Gemäldegalerie der Akademie der bildenden scultori e architettori. - Florenz. Künste Wien Schillerplatz 3 1010 Wien Österreich www.akademiegalerie.at

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