Der Braunjura am Fuß der Schwäbischen Alb

Gerd Dietl

Forstamtsrat i. R. Rolf Hugger, Albstadt-Onstmettingen, zum 90. Geburtstag gewidmet. Er hat bei vielen Ausgrabungen des Stutt- garter Naturkundemuseums mitgewirkt, so auch beim Autobahnneubau der A8 am „Aichelberg-Aufstieg“.

n Baden-Württemberg verschwinden fast richt über die damaligen Aufschlüsse erfolgt. täglich in den Schaufeln von Baggern Aber allein die aufwendige Präparation der ITausende von Fossilien. Nur ein kleiner Fossilfunde brauchte lange Zeit und ist bis Bruchteil davon kann geborgen werden und heute noch nicht abgeschlossen. Im Sommer bleibt somit der Nachwelt und der Wissen- 2009 entstanden entlang derselben Autobahn schaft erhalten. Oft sind es private Fossili- bei erneut Aufschlüsse im obers- ensammler oder zufällig Vorbeikommende, ten Bereich des Braunjuras, die zum Teil neue die einige Versteinerungen vor dem Bagger Informationen ergaben, die hier Eingang ge- retten können. Kommt nach entsprechen- funden haben. Weitere ergänzende Auf- der Meldung ein Grabungsteam, wie das des Stuttgarter Naturkundemuseums, rechtzeitig auf eine solche Fossilien führende Baustelle, Öttingen dann beginnt meistens ein Wettlauf mit dem Aalen RIES Bagger und der Raupe. Zeitdruck, Abgase, Nördlingen Staub und Lärm sind dann oft die Begleitum- Aichelberg- Aufstieg stände der Fundbergungen. Wie diese ablau- Neckar fen und was dabei herauskommen kann, soll Tübingen dieser Beitrag am Beispiel der Großbaustel- Reutlingen le des Neubaus der Bundesautobahn A8 am Ulm sogenannten „Aichelberg-Aufstieg“ (Abb. Donau 1) aufzeigen. Im Jahr 1990 zeigte das Städ- Schwäbische Alb tische Museum in Göppingen-Jebenhausen Donaueschingen (Engel-Museum) erstmals in einer kleinen Sonderausstellung Funde, die Privatsamm- 50 km ler am „Aichelberg-Aufstieg“ gemacht hat- ten. 1992 wurde in einer Sonderaustellung im Museum am Löwentor (Staatliches Museum Abb. 1: Lage des Aichelberg-Aufstiegs der Bundesauto- für Naturkunde Stuttgart) darüber einer grö- bahn A8, wo bei den Neubauarbeiten von 1986 bis 1989 ßeren Öff entlichkeit berichtet. Eine große der Braune Jura fast vollständig aufgeschlossen war. Zahl an Fossilfunden wurde bei dieser Ge- Entwurf und Grafik G. & O. Dietl. legenheit ausgestellt. Eine wissenschaftliche Gesamtauswertung der Funde, die bisher nur teilweise präpariert sind, steht bis heute noch schlüsse und Grabungen in der näheren und aus. Nur in wenigen Veröff entlichungen wur- weiteren Umgebung des Aichelberg-Auf- den seither einige Funde vorgestellt. Deshalb stiegs nach Abschluss der dortigen Bauarbei- soll dieses Heft auch eine gewisse Informati- ten dienten dem verbesserten Verständnis der onslücke schließen und einen Überblick über beim Autobahnbau gemachten Ammoniten- den Braunen Jura in diesem Teil der Schwäbi- Funde, speziell deren schichtgenauer Einstu- schen Alb geben. Man mag zu Recht die Fra- fung und Datierung. Es handelt sich dabei um ge stellen, warum erst so spät ein solcher Be- Grabungen im Ornatenton am Nordhang des

Sonderheft 2013 3 Vielfalt im Jura-Meer Ein enormer Fossil- und Artenreichtum macht den Schwäbischen Jura weltweit zu einem der interessantesten Gebiete für die Erforschung der Jura-Meere. Fast jede Tiergruppe, die Hartteile besitzt, ist in den Ablagerungen auch nachgewiesen. Darüber hinaus verraten fossile Lebens- gemeinschaften viel über die unterschiedlichen Lebensräume, die sich in den subtropischen Flachmeeren der Jura-Zeit entwickelten – Weichböden, Hartgründe, Riffe. Trotz langer Forschertradition ist der Schwäbische Jura immer noch für Überraschungen gut. Der Artenbestand ist noch längst nicht vollständig bekannt.

Abb. 2: Profilschnitt durch den Jura im Gebiet der mittleren Schwäbischen Alb und ihres Vorlands. Unten: Schwarzer Jura; Mitte: Brauner Jura; oben: Weißer Jura. Grafik J. Bergener, Staatl. Museum f. Naturkun- de Stuttgart.

Breitensteins östlich von Bissingen a. d. Teck senschaftlichen Erkenntnissen eine wesent- (Dietl 1993), um Aufsammlungen von Günter liche Rolle. Zahlreiche Versteinerungen sind Schweigert aus dem Sowerbyioolith von Neid- noch in nicht aufgedeckten Gesteinsschichten lingen sowie um Grabungen im höheren Or- verborgen, darunter sicher auch Objekte, die natenton am Irrenberg bei Bisingen-Thanheim völlig neu sind, oder solche, die zusätzliche im Gebiet der Zollernalb (Dietl 2011). Wich- Erkenntnisse bringen können. Bedeutende tige vergleichende Aufsammlungen erfolgten Fossilien sind daher in Baden-Württemberg teilweise schon vor dem Beginn des neuen Au- durch gesetzliche Regelungen, wie durch ein tobahnaufstiegs Aichelberg, wie beispielsweise Denkmalschutzgesetz oder eine Grabungs- im Macrocephalenoolith des Klingenbachtals schutzverordnung, geschützt. Deshalb über- oberhalb von Bisingen-Thanheim (Callomon wacht das Staatliche Museum für Natur- et al. 1989) und im Macrocephalenoolith und kunde Stuttgart möglichst viele Aufschlüsse, untersten Ornatenton von Albstadt-Pfeffingen wie Baugruben, Bergrutsche, Steinbrüche (Dietl 1994). Auf viele dieser Grabungen wird und Kiesgruben. Naturgemäß bieten hier die nur insofern kurz eingegangen, wenn sie wich- Großaufschlüsse, sofern sie in Fossilien füh- tige Ergänzungen zu den Aufschlüssen am renden Gesteinsschichten liegen, die besten Aichelberg-Aufstieg liefern. Fundmöglichkeiten. Oft ist nur hier ein syste- matisches Nachgraben und Suchen möglich, „Klassisches“ Fundgebiet für Fossilien um nicht in Konflikt mit laufenden Baumaß- Das Bundesland Baden-Württemberg hat wie nahmen zu kommen. Die Vergangenheit hat kaum ein anderes Gebiet auf vergleichbarer gezeigt, dass insbesondere die großflächigen Fläche eine so hohe Zahl an überragenden Aufschlüsse beim Bau von Autobahnen und und zum Teil einzigartigen Dokumenten des Bundesstraßen außergewöhnlich ergiebig wa- Lebens aus unterschiedlichen erdgeschichtli- ren. Die Mitarbeiter des Stuttgarter Natur- chen Zeitabschnitten geliefert. Darüber hin- kundemuseums sind dabei auf die rechtzeitige aus bilden Fossilien aus Baden-Württemberg, Mitteilung von solchen Bauprojekten und auf insbesondere aus dem Jura (Abb. 2), wichti- die Unterstützung bei Fundbergungen durch ge Meilensteine in der Geschichte der Palä- die zuständigen Baubehörden und Baufirmen ontologie, der Wissenschaft vom Leben der angewiesen. Auch Privatpersonen können Vorzeit. Die Fossilfunde aus Baden-Würt- durch Informationen über solche Baumaß- temberg spielen aber auch heute noch bei wis- nahmen hilfreich sein.

4 Sonderheft 2013 Der alte Aichelberg-Aufstieg lässlich des Baus der alten Autobahntrasse Im Herbst des Jahres 1935 wurde mit dem Bau waren schon damals riesig. Unglaublich gro- der alten Reichsautobahnstrecke im Bereich ße Erd- und Gesteinsmengen mussten be- des Aichelberg-Aufstiegs begonnen. Schon wegt werden. Mehr als 1000 Arbeiter waren damals war man sich darüber im Klaren, dass hauptsächlich bei den Erdarbeiten eingesetzt. man im Bereich des Turmbergs und beim Letztere wurden überwiegend in Handarbeit „Deutschen Haus“ ein in geologischer Hin- mit Pickel und Schaufel durchgeführt. Nur sicht schwieriges Gelände vorfi nden würde. wenige Bagger unterstützten damals diese Der damalige Landesgeologe Dr. Manfred Arbeiten. Der Abtransport der abgetrage- Frank (1905–1976) warnte in einem Gutach- nen Gesteinsmassen erfolgte im Gleisbetrieb ten vor den Rutschgefahren insbesondere im durch Dampfl okomotiven, die zahlreiche Straßenabschnitt Turmberg, der im Braunen Loren zogen (Abb. 4). Jura a (Opalinuston-Formation) verlaufen Während des Baus der alten Autobahntrasse sollte. Zur Umgehung dieser Schwierigkeiten entstanden in allen Schichten des Mitteljuras wurde hier dann ein Brückenbauwerk errich- teilweise riesige Aufschlüsse, in denen viele tet (Abb. 3). Doch auch für diese Brücken- Fossilfunde gemacht werden konnten. Eine lösung brachte der unsichere Baugrund noch offi zielle Genehmigung zum Aufsammeln viele Probleme mit sich. Die Aufschlüsse an- dieser Fossilien erhielt vom damaligen „Ge-

Abb. 3: Blick auf die von 1986 bis 1990 noch im Betrieb befindliche alte Autobahntrasse der A8 am Fuß des Aichelbergs. Daneben sind die ersten Baumaßnahmen für die neue Trasse erkennbar. Luftbild D. Dehnert, Göppingen-Jebenhausen. Abb. 4: Im Jahr 1935 wurde mit dem Bau der alten Autobahntrasse begonnen. Ein „Dampfbagger“ füll- te die Loren, die von einer Dampflok gezogen wurden, mit dem abgetra- genen Gestein.

Sonderheft 2013 5 Abb. 5, links: Dr. h.c. Bernhard Hauff (1866–1950), der Begründer des Urweltmuseums in . Foto Staatl. Museum f. Naturkunde Stuttgart. Abb. 6, rechts: Der Fossiliensammler und -händler Christian Friedrich Allmendinger (1882–1963). Aus Mayer (1976).

neralinspektor für das deutsche Straßenwe- garter Naturkundemuseum gelangte. Eine sen“, Dr. Todt, freilich nur Dr. h. c. Bernhard große Spezialsammlung von Ammoniten der Hauff (Abb. 5) aus Holzmaden. Vor allem Gattung Peltoceras von den Bauaufschlüssen im Bereich der Brücke über die Franzosen- am alten Aichelberg-Aufstieg besaß auch der schlucht sammelte Hauff mit seinen Gehil- ehemalige Präsident im Finanzministerium fen und mit Unterstützung der damaligen Stuttgart, Otto Müller, dessen Sammlung Baufi rmen und Arbeiter mehr als 1000 Fos- nach seinem Tod im Jahr 1972 ebenfalls an silien. Wenige Stücke davon verkaufte Hauff das Staatliche Museum für Naturkunde ge- unter anderem auch an das damalige Stutt- langte. Diese Spezialsammlung hatte Otto garter Naturalienkabinett (heute Staatliches Müller ebenfalls von Allmendinger erwor- Museum für Naturkunde Stuttgart), andere ben und beabsichtigte, dieselbe wissenschaft- Funde werden seitdem im Urweltmuseum lich selbst zu bearbeiten, worauf zahlreiche Hauff in Holzmaden ausgestellt oder im dor- Aufzeichnungen in seinem Nachlass hinwei- tigen Magazin aufbewahrt. Dr. Fritz Berck- sen. Die Mehrzahl der Funde vom alten Ai- hemer (1890–1954), ein mit den Fossilien der chelberg-Aufstieg gelangte jedoch durch den Jurazeit bestens vertrauter Wissenschaftler Verkauf der Sammlung Allmendinger an die am Stuttgarter Naturalienkabinett, besuch- Badischen Landessammlungen in Karlsruhe te die Baustelle am Aichelberg nur ein einzi- (heute Staatliches Museum für Naturkunde ges Mal, denn er erhielt keine Genehmigung Karlsruhe). Die gesamte Sammlung Allmen- zum Aufsammeln von Fossilien. Der Pri- dinger wurde dort allerdings im Bombenha- vatsammler und Fossilienhändler Christian gel des 2. Weltkriegs zerstört. Viele Funde Friedrich Allmendinger (Abb. 6) aus Göp- vom alten Aichelberg-Aufstieg haben aber pingen hingegen sammelte – wohl ohne Ge- auch aus ganz anderen Gründen die Zeit bis nehmigung – ebenfalls in der Autobahnbau- heute nicht überdauert. Besonders viele der stelle, hauptsächlich im oberen Ornatenton in Pyrit (Schwefelkies) erhaltenen Ammo- („Athleta-Schichten“). Er verkaufte zahlrei- niten aus dem Braunen Jura ζ (Ornatenton- che seiner Funde an andere Fossiliensamm- Formation) haben durch die durch Bakteri- ler wie beispielsweise Dr. med. Heinrich en begünstigte Zersetzung des Pyrits nicht Honegger in am Neckar, dessen überlebt oder sind stark geschädigt worden. Sammlung 1977 durch Kauf an das Stutt- Man kannte damals noch keine wirksamen

6 Sonderheft 2013