Plenarprotokoll 15/118

Deutscher

Stenografischer Bericht

118. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- , Bundesminister BMI ...... 10717 D neten Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker . . . . 10705 A Peter Müller, Ministerpräsident (Saarland) . . 10721 C Festlegung der Zahl der Mitglieder des Euro- päischen Parlaments, die an den Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Zusatztagesordnungspunkt 2: Europäischen Union teilnehmen können . . . . 10705 A Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Benennung von Mitgliedern und stellvertre- Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur tenden Mitgliedern des Kuratoriums der Steuerung und Begrenzung der Zuwande- Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und rung und zur Regelung des Aufenthalts Zukunft“ ...... 10705 B und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) Benennung der Abgeordneten (Drucksachen 15/420, 15/522, 15/955, 15/1365, als Schriftführerin ...... 10705 D 15/3479) ...... 10723 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... 10705 D Tagesordnungspunkt 11: Absetzung des Tagesordnungspunktes 32 k . . 10707 B Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 10707 B rat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengeset- zes (… HRGÄndG) Zusatztagesordnungspunkt 1: (Drucksachen 15/1498, 15/3475) ...... 10723 B Vereinbarte Debatte: zum Abschluss der Dr. Peter Frankenberg, Minister Verhandlungen über das Zuwanderungsge- (Baden-Württemberg) ...... 10723 C setz , Bundesministerin (Köln) (BÜNDNIS 90/ BMBF ...... 10725 B DIE GRÜNEN) ...... 10707 D Ulrike Flach (FDP) ...... 10727 C (CDU/CSU) ...... 10708 B Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/ Peter Müller, Ministerpräsident DIE GRÜNEN) ...... 10728 D (Saarland) ...... 10710 B (CDU/CSU) ...... 10730 B Dr. (FDP) ...... 10712 B (SPD) ...... 10732 A (CDU/CSU) ...... 10713 C Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 10733 C (fraktionslos) ...... 10715 C Marion Seib (CDU/CSU) ...... 10734 B Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 10716 B (Spandau) (SPD) ...... 10735 B II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. , Donnerstag, den 1. Juli 2004

Tagesordnungspunkt 12: Tagesordnungspunkt 31: a) Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer a) Erste Beratung des von den Fraktionen der (), , Dr. Klaus W. SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordne- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ter und der Fraktion der CDU/CSU: Fünften Gesetzes zur Änderung des LKW-Mauteinführung zügig voran- Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bringen (Drucksache 15/3443) ...... 10753 D (Drucksache 15/3314) ...... 10737 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Große Anfrage der Abgeordneten rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Gesetzes zur Änderung des Ausfüh- Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, wei- rungsgesetzes zum Chemiewaffenüber- terer Abgeordneter und der Fraktion der einkommen (CWÜAGÄndG 1) CDU/CSU: Verkehrssicherheit für Kin- (Drucksache 15/3447) ...... 10753 D der (Drucksachen 15/1828, 15/2942) ...... 10737 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- c) Zweite und dritte Beratung des von der zes zu dem Abkommen vom 29. Januar Bundesregierung eingebrachten Entwurfs 2003 zwischen der Regierung der Bun- eines Fünften Gesetzes zur Änderung desrepublik Deutschland und dem des Fernstraßenausbaugesetzes Schweizerischen Bundesrat über Bau (Drucksachen 15/1657, 15/1803, 15/3412) 10737 B und Erhaltung einer Autobahnbrücke d) Zweite und dritte Beratung des von der über den Rhein zwischen Rheinfelden Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Baden-Württemberg) und Rheinfel- eines Ersten Gesetzes zur Änderung des den (Aargau) Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Drucksache 15/3178) ...... 10754 A (Drucksachen 15/1656, 15/1804, 15/3382) 10737 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- in Verbindung mit zes zu dem Vertrag vom 17. April 2003 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Tschechischen Republik Zusatztagesordnungspunkt 3: über die Änderung des Verlaufs der ge- meinsamen Staatsgrenze im Bereich der Antrag der Abgeordneten Autobahnbrücke am Grenzübergang (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Waidhaus–Rozvadov/Roßhaupt Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeord- (Drucksache 15/3352) ...... 10754 A neter und der Fraktion der FDP: Kurskorrek- tur bei Verkehrsinvestitionen – Finanzie- e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung des Bundesverkehrswegeplans 2015 rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- sicherstellen zes zu dem Rahmenübereinkommen (Drucksache 15/3470) ...... 10737 C der Weltgesundheitsorganisation vom 21. Mai 2003 zur Eindämmung des Ta- Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister bakgebrauchs (Gesetz zu dem Tabak- BMVBW ...... 10737 D rahmenübereinkommen) Eduard Oswald (CDU/CSU) ...... 10740 B (Drucksache 15/3353) ...... 10754 A Albert Schmidt (Ingolstadt) f) Erste Beratung des von der Bundesregie- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 10741 C rung eingebrachten Entwurfs einesGe- setzes zu dem Europäischen Über- Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP) ...... 10743 B einkommen vom 19. August 1985 über Gewalttätigkeit und Fehlverhalten von Karin Rehbock-Zureich (SPD) ...... 10744 C Zuschauern bei Sportveranstaltungen (CDU/CSU) ...... 10745 C und insbesondere bei Fußballspielen (Drucksache 15/3354) ...... 10754 B Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 10747 A g) Erste Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU) ...... 10748 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) ...... 10749 B zes zur Verlängerung der Geltungs- dauer der §§ 100 g, 100 h StPO Reinhard Weis (Stendal) (SPD) ...... 10750 C (Drucksache 15/3349) ...... 10754 B Wolfgang Börnsen (Bönstrup) h) Erste Beratung des von der Bundesregie- (CDU/CSU) ...... 10752 B rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 III

zes zur Errichtung der Akademie der c) Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller- Künste (AdKG) Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler- (Drucksache 15/3350) ...... 10754 C Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten i) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Undine Kurth (Quedlin- rung eingebrachten Entwurfs einesDrei- burg), Volker Beck (Köln), weiterer Abge- zehnten Gesetzes zur Änderung des ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- Straßenverkehrsgesetzes SES 90/DIE GRÜNEN:Urwaldschutz (Drucksache 15/3351) ...... 10754 C verstärken (Drucksache 15/3464) ...... 10755 B j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Fünf- d) Antrag der Abgeordneten Heidi Wright, ten Gesetzes zur Änderung des Abwas- Sören Bartol, , weiterer serabgabengesetzes Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Drucksache 15/2950) ...... 10754 C sowie der Abgeordneten , Albert Schmidt (Ingolstadt), k) Erste Beratung des von der Bundesregie- Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten ter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ Gesetzes zur Änderung des Signaturge- DIE GRÜNEN: Umsetzung des Na- setzes (1. SigÄndG) tionalen Radverkehrsplans 2002–2012 (Drucksachen 15/3417) ...... 10754 C forcieren (Drucksache 15/3467) ...... 10755 B l) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung der Europäischen Tagesordnungspunkt 25: Gesellschaft (SEEG) (Drucksache 15/3405) ...... 10754 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- m) Antrag der Abgeordneten Gabriele zes zur Änderung des Postpersonalrechts- Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, Brunhilde gesetzes Irber, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Drucksache 15/3404) ...... 10755 C tion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, weiterer Ab- Tagesordnungspunkt 32: geordneter und der Fraktion des BÜND- a) Zweite und dritte Beratung des von den NISSES 90/DIE GRÜNEN:Grünes Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- Band als einzigartigen Biotopverbund SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten und als Erinnerungsstätte der deut- Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- schen Teilung sichern derung des Melderechtsrahmengesetzes (Drucksache 15/3454) ...... 10754 D (Drucksachen 15/3305, 15/3449) ...... 10755 D b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- Zusatztagesordnungspunkt 4: ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der kommen vom 7. April 2003 zwischen SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE der Regierung der Bundesrepublik GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Deutschland und der Regierung der Tu- Gesetzes zur wirkungsgleichen Über- nesischen Republik über die Zusam- tragung von Regelungen der sozialen menarbeit bei der Bekämpfung von Pflegeversicherung sowie der gesetzli- Straftaten von erheblicher Bedeutung chen Krankenversicherung auf dienst- (Drucksachen 15/3177, 15/3392) ...... 10756 A rechtliche Vorschriften c) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- (Drucksache 15/3444) ...... 10755 A desrat eingebrachten Entwurfs eines… Gesetzes zur Änderung der Bundes- b) Antrag der Abgeordneten , notarordnung Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weite- (Drucksachen 15/3147, 15/3471) ...... 10756 B rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef d) – Zweite und dritte Beratung des von Fell, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, den Fraktionen der SPD und des weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: gebrachten Entwurfs einesGesetzes Forschung für Nachhaltigkeit – Motor zum Abbau von Statistiken (Statistik- für Innovationen abbaugesetz) (Drucksache 15/3452) ...... 10755 A (Drucksachen 15/3306, 15/3474) . . . . 10756 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

– Zweite und dritte Beratung des vom Volker Beck (Köln), weiterer Abge- Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- ordneter und der Fraktion des BÜND- nes Gesetzes zum Abbau von Statis- NISSES 90/DIE GRÜNEN:Unter- tiken stützung der neuen Regierung (Drucksachen 15/2416, 15/3474) . . . . 10756 C Boliviens bei der demokratischen Stabilisierung des Landes e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian – zu dem Antrag der Abgeordneten Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate Abgeordneter und der Fraktion der Gradistanac, weiterer Abgeordneter CDU/CSU: Stabilisierung der Lage und der Fraktion der SPD sowie der in Bolivien Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin- burg), Albert Schmidt (Ingolstadt), (Drucksachen 15/2975, 15/1980 15/3484) 10757 D Volker Beck (Köln), weiterer Abge- h) Beschlussempfehlung und Bericht des ordneter und der Fraktion des BÜND- Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Touris- menarbeit und Entwicklung zu dem An- mus in, an und auf dem Wasser – trag der Abgeordneten Karin Kortmann, Naturverträglichen Wassertouris- , Detlef Dzembritzki, weite- mus in Deutschland ausbauen und rer Abgeordneter und der Fraktion der fördern SPD sowie der Abgeordneten Thilo – zu dem Antrag der Abgeordneten Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und Edeltraut Töpfer, weiterer Abgeordne- der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE ter und der Fraktion der CDU/CSU: GRÜNEN: Das Center for International Wassertourismus in Deutschland Cooperation (CIC) stärken und weiter entwickeln und stärken ausbauen (Drucksachen 15/2396, 15/3485) ...... 10758 A – zu dem Antrag der Abgeordneten , Angelika i) Beschlussempfehlung und Bericht des Brunkhorst, Hans-Michael Goldmann, Haushaltsausschusses weiterer Abgeordneter und der Frak- – zu dem Antrag des Bundesministeri- tion der FDP: Rahmenbedingungen, ums der Finanzen:Entlastung der Infrastruktur und Marketing für Bundesregierung für das Haushalts- Wassertourismus in Deutschland jahr 2002 – Vorlage der Haushalts- verbessern rechnung und Vermögensrechnung (Drucksachen 15/2667, 15/933, 15/1595, des Bundes (Jahresrechnung 2002) – 15/3469) ...... 10757 A – zu der Unterrichtung durch den Bun- f) Beschlussempfehlung und Bericht des desrechnungshof: Bemerkungen des Ausschusses für Bildung, Forschung und Bundesrechnungshofes 2003 zur Technikfolgenabschätzung zu dem An- Haushalts- und Wirtschaftsführung trag der Abgeordneten Ulla Burchardt, (einschließlich der Feststellungen Jörg Tauss, Ulrike Mehl, weiterer Abge- zur Jahresrechnung des Bundes ordneter und der Fraktion der SPD sowie 2002) der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker (Drucksachen 15/770, 15/2020, 15/3387) 10758 B Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- j) Beschlussempfehlung und Bericht des NISSES 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan Rechtsausschusses zu der Unterrichtung zur UN-Weltdekade „Bildung für nach- durch die Bundesregierung:Vorschlag haltige Entwicklung“ für eine Richtlinie des Rates zur Ver- (Drucksachen 15/2758, 15/3472) ...... 10757 C wirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und g) Beschlussempfehlung und Bericht des Männern beim Zugang zu und bei der Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- Versorgung mit Gütern und Dienstleis- menarbeit und Entwicklung tungen (inkl. 14812/03 ADD 1 – Arbeits- dokument der Kommissionsdienststel- – zu dem Antrag der Abgeordneten len – ausführliche Folgenabschätzung) Karin Kortmann, , KOM(2003)657 endg.; Ratsdok. 14812/03 (Heidelberg), weiterer (Drucksachen 15/2373 Nr. 2.1, 15/3477) 10758 C Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo l) Beschlussempfehlung und Bericht des Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 V

Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- Tagesordnungspunkt 13: geordneten Gabriele Lösekrug-Möller, a) – Zweite und dritte Beratung des von der Annette Faße, Brunhilde Irber, weiterer Bundesregierung eingebrachten Ent- Abgeordneter und der Fraktion der SPD wurfs eines Gesetzes zur Modernisie- sowie der Abgeordneten Undine Kurth rung der Justiz (Justizmodernisie- (Quedlinburg), Franziska Eichstädt- rungsgesetz – JuMoG) Bohlig, Volker Beck (Köln), weiterer Ab- (Drucksachen 15/1508, 15/3482) . . . . geordneter und der Fraktion des BÜND- 10760 D NISSES 90/DIE GRÜNEN:Internatio- – Zweite und dritte Beratung des von nale Richtlinien für biologische Vielfalt den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, und Tourismusentwicklung zügig um- Dr. Norbert Röttgen, Dr. Wolfgang setzen Götzer, weiteren Abgeordneten und (Drucksachen 15/3219, 15/3437) ...... 10758 D der Fraktion der CDU/CSU ein- gebrachten Entwurfs einesErsten m)–q) Gesetzes zur Beschleunigung von Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Verfahren der Justiz (1. Justizbe- schusses: Sammelübersichten 128, 129, schleunigungsgesetz) 130, 131 und 132 zu Petitionen (Drucksachen 15/999, 15/3482) . . . . . 10760 D (Drucksachen 15/3316, 15/3317, 15/3318, – Zweite und dritte Beratung des vom 15/3319, 15/3320) ...... 10759 A Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- nes ... Gesetzes zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz (… Justiz- Zusatztagesordnungspunkt 5: beschleunigungsgesetz) (Drucksachen 15/1491, 15/3482) . . . . 10761 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs b) Beschlussempfehlung und Bericht des eines Gesetzes zur Änderung der Vor- Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- schriften über Fernabsatzverträge bei geordneten Wolfgang Bosbach, Finanzdienstleistungen Dr. Norbert Röttgen, Dr. Jürgen Gehb, (Drucksachen 15/2946, 15/3483) ...... 10759 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Fehler beim neuen Re- b) Beschlussempfehlung und Bericht des visionsrecht korrigieren – Entschei- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und dungsfähigkeit des Bundesgerichtshofs Reaktorsicherheit zu der Verordnung der sicherstellen Bundesregierung: Dreizehnte Verord- (Drucksachen 15/1098, 15/3482) ...... 10761 A nung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes (Verordnung , Bundesministerin über Großfeuerungs- und Gasturbinen- BMJ ...... 10761 B anlagen – 13. BImSchV) Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 10763 A (Drucksachen 15/3420, 15/3456) ...... 10759 D (BÜNDNIS 90/ c) Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/ DIE GRÜNEN) ...... 10764 B CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP: Ausweitung des Be- (FDP) ...... 10765 C richts der Bundesregierung zur Zusam- (SPD) ...... 10766 A menarbeit mit den Vereinten Nationen (Drucksache 15/3458) ...... 10760 A Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 10767 B d)–h) Joachim Stünker (SPD) ...... 10769 A Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 133, 134, Zur Geschäftsordnung 135, 136 und 137 zu Petitionen (Drucksachen 15/3459, 15/3460, 15/3461, Petra Pau (fraktionslos) ...... 10770 C 15/3462, 15/3463) ...... 10760 B Tagesordnungspunkt 14: Zusatztagesordnungpunkt 9: Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- – zu dem von den Abgeordneten Dr. Norbert nung: Antrag auf Genehmigung zur Durch- Röttgen, Cajus Julius Caesar, führung eines Strafverfahrens Dr. Wolfgang Götzer, weiteren Abgeord- (Drucksache 15/3499) ...... 10760 D neten und der Fraktion der CDU/CSU VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/ Änderung des Strafgesetzbuches – Graf- DIE GRÜNEN) ...... 10781 C fiti-Bekämpfungsgesetz Carl-Ludwig Thiele (FDP) ...... (Drucksachen 15/302, 15/3473) ...... 10771 A 10782 D – zu dem von den Abgeordneten Jörg van (SPD) ...... 10784 A Essen, Rainer Funke, , weite- (CDU/CSU) ...... 10785 A ren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf einesGeset- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin zes zum verbesserten Schutz des Eigen- BMF ...... 10786 A tums Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) ...... 10787 A (Drucksachen 15/63, 15/3473) ...... 10771 A – zu dem vom Bundesrat eingebrachten Ent- wurf eines … Strafrechtsänderungsge- Tagesordnungspunkt 16: setzes – Graffiti-Bekämpfungsgesetz – Bericht des Ausschusses für Gesundheit und (… StrÄndG) Soziale Sicherung gemäß § 62 Abs. 2 der Ge- (Drucksachen 15/404, 15/3473) ...... 10771 A schäftsordnung zu dem von den Abgeordne- Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 10771 B ten Siegfried Kauder (Bad Dürrheim), Dr. Norbert Röttgen, Andreas Storm, weiteren Olaf Scholz (SPD) ...... 10772 D Abgeordneten und der Fraktion der CDU/ Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 10773 D CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsge- Dr. (FDP) ...... 10774 C setzes Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 15/1002, 15/3432) ...... 10788 B DIE GRÜNEN) ...... 10775 B Karsten Schönfeld (SPD) ...... 10788 C (CDU/CSU) ...... 10776 C Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) Michael Hartmann (Wackernheim) (CDU/CSU) ...... 10789 D (SPD) ...... 10777 C Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 10791 A Tagesordnungspunkt 15: Jörg van Essen (FDP) ...... 10792 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Tagesordnungspunkt 17: Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbes- – Zweite und dritte Beratung des von der serungsgesetz – AnSVG) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksachen 15/3174, 15/3355, 15/3493) 10778 D eines Zweiten Gesetzes zur Änderung b) Erste Beratung des von der Bundesregie- des Zivildienstgesetzes und anderer rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Vorschriften (Zweites Zivildienstge- zes zur Änderung des Versicherungs- setzänderungsgesetz – 2. ZDGÄndG) aufsichtsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 15/3279, 15/3486) ...... 10792 C (Drucksache 15/3418) ...... 10778 D – Zweite und dritte Beratung des von den c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Abgeordneten Ina Lenke, Klaus Haupt, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Münster), weiteren Ab- zes zur Einführung internationaler geordneten und der Fraktion der FDP ein- Rechnungslegungsstandards und zur gebrachten Entwurfs eines Zweiten Sicherung der Qualität der Abschluss- Gesetzes zur Änderung des Zivildienst- prüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – gesetzes (Zweites Zivildienstgesetzände- BilReG) rungsgesetz – 2. ZDGÄndG) (Drucksache 15/3419) ...... 10779 A (Drucksachen 15/2482, 15/3486) ...... 10792 C d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Christel Riemann-Hanewinckel, rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Parl. Staatssekretärin BMFSFJ ...... 10792 D zes zur Kontrolle von Unternehmensab- Thomas Dörflinger (CDU/CSU) ...... 10784 A schlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG) Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 15/3421) ...... 10779 A DIE GRÜNEN) ...... 10795 A (SPD) ...... 10779 A Ina Lenke (FDP) ...... 10795 D Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) ...... 10780 B Anton Schaaf (SPD) ...... 10796 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 VII

Ina Lenke (FDP) ...... 10796 D Tagesordnungspunkt 21: Andreas Weigel (SPD) ...... 10797 D Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU) ...... 10799 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner, , Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/ Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord- DIE GRÜNEN) ...... 10800 B neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. , Volker Beck (Köln), (Augsburg), Tagesordnungspunkt 18: weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: schusses für Wirtschaft und Arbeit zu dem Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Antrag der Abgeordneten Christoph Jahr 2005 Hartmann (Homburg), Gudrun Kopp, Otto – zu dem Antrag der Abgeordneten Fricke, weiterer Abgeordneter und der Frak- Dr. , Günter Nooke, Bernd tion der FDP:Bergschäden regulieren – Neumann (Bremen), weiterer Abgeordne- kohlepolitische Weichenstellung vorneh- ter und der Fraktion der CDU/CSU:Ge- men denken an die Opfer des Bombenkriegs (Drucksachen 15/475, 15/2278) ...... 10801 B im Zweiten Weltkrieg (Drucksachen 15/2974, 15/986, 15/3431) . . . 10813 D Tagesordnungspunkt 19:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Tagesordnungspunkt 23: desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des vorbeugen- Antrag der Abgeordneten Lothar Mark, Gert den Hochwasserschutzes Weisskirchen (Wiesloch), Hans Büttner (Drucksachen 15/3168, 15/3214, 15/3455, (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und der 15/…) ...... 10801 C Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Thilo Hoppe, Renate Jäger (SPD) ...... 10801 D Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeordneter Dr. (CDU/CSU) ...... 10803 C und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine schnelle Überwindung Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ der politischen, wirtschaftlichen und sozia- DIE GRÜNEN) ...... 10805 B len Krise in Venezuela Birgit Homburger (FDP) ...... 10807 A (Drucksache 15/3453) ...... 10814 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 10808 B in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 20: Zusatztagesordnungspunkt 6: a) Beratung der Großen Anfrage der Abge- Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen ordneten , Peter H. Hedrich, , Dr. Friedbert Pflüger, Carstensen (Nordstrand), Albert Deß, wei- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ordnungsgemäßen Ablauf des CDU/CSU: Situation des ökologischen Abberufungsreferendums in Venezuela Landbaus in Deutschland sicherstellen (Drucksachen 15/1385, 15/2128) ...... 10809 D (Drucksache 15/3438) ...... 10814 B b) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs einesGe- setzes zur Änderung des Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 8: Durchführung der Rechtsakte der Antrag der Abgeordneten Dr. , Europäischen Gemeinschaft auf dem Karin Kortmann, Detlef Dzembritzki, weite- Gebiet des ökologischen Landbaus rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD (Öko-Landbaugesetz – ÖLG) sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans- (Drucksachen 15/775, 15/2059) ...... 10809 D Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), wei- Marlene Mortler (CDU/CSU) ...... 10810 A terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine (BÜNDNIS 90/ nachhaltige Rohstoff- und Energiepolitik DIE GRÜNEN) ...... 10811 C der Weltbank (CDU/CSU) ...... 10812 C (Drucksache 15/3465) ...... 10814 C VIII Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Zusatztagesordnungspunkt 7: Anlage 3 Antrag der Fraktionen der SPD und des Mündliche Frage 31 BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Unge- (CDU/CSU) rechtfertigtes Steuerprivileg für schwere Zahlungsverpflichtungen 2005 für Bund, Geländewagen abschaffen Bundesagentur für Arbeit und Kommu- (Drucksache 15/3468) ...... 10814 D nen durch die Zusammenführung von Ar- beitslosen- und Sozialhilfe (115. Sitzung, Drucksache 15/3425) Zusatztagesordnungspunkt 8: Antwort Antrag der Fraktionen der SPD und des Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Für eine BMWA ...... 10817 C qualifizierte Mitbestimmung bei grenz- überschreitenden Fusionen (Drucksache 15/3466) ...... 10815 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Josef Philip Tagesordnungspunkt 26: Winkler, Jutta Dümpe-Krüger, Michaele Hustedt, Thilo Hoppe, , Erste Beratung des von den Fraktionen der Dr. Ludger Volmer, Cornelia Behm, SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Irmingard Schewe-Gerigk, NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Berlin), Friedrich Ostendorff, Kerstin zur Einführung einer strategischen Um- Andreae, Markus Kurth, Franziska Eichstädt- weltprüfung und zur Umsetzung der Richt- Bohlig und Marianne Tritz (alle BÜNDNIS 90/ linie 2001/42/EG (SUPG) DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die (Drucksache 15/3441) ...... 10815 B Beschlussempfehlung des Vermittlungsaus- schusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege- Tagesordnungspunkt 30: lung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- Erste Beratung des von den Fraktionen der rungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2) . 10818 A SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungs- Anlage 5 rechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Engagierter und weiterer Personen (Bremen) (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 15/3439) ...... 10815 C DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsaus- Nächste Sitzung ...... 10815 D schusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege- lung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- Anlage 1 rungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2) 10819 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 10817 A Anlage 6 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) zur Ab- Mündliche Frage 30 stimmung über die Beschlussempfehlung des (CDU/CSU) Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung Entwicklung des Förderprogramms des und zur Regelung des Aufenthalts und der Bundes „Die Verpflichtungsermächtigun- Integration von Unionsbürgern und Auslän- gen der Gemeinschaftsaufgabe zur Förde- dern (Zuwanderungsgesetz) (Zusatztagesord- rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nungspunkt 2) ...... 10820 B für den Freistaat Bayern seit 2000 (115. Sit- zung, Drucksache 15/3425) Anlage 7 Antwort Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten BMWA ...... 10817 B Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 IX

GRÜNEN) zur Abstimmung über die Be- Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenaus- schlussempfehlung des Vermittlungsaus- baugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c) . . . . 10823 C schusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege- lung des Aufenthalts und der Integration von Anlage 13 Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- rungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2) 10820 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Fünften Geset- Anlage 8 zes zur Änderung des Fernstraßenausbauge- setzes (Tagesordnungspunkt 12 c) ...... 10823 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über die Beschluss- Anlage 14 empfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten der Zuwanderung und zur Regelung des Auf- (CDU/CSU) zur Abstimmung enthalts und der Integration von Unionsbür- über den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 2) ...... 10822 A (Tagesordnungspunkt 12 c) ...... 10824 A

Anlage 9 Anlage 15 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Thomas Rachel, Dr. Maria Marianne Tritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Böhmer, Dr. , Helge NEN) zur Abstimmung über den Entwurf Braun, Vera Dominke, Axel E. Fischer eines Fünften Gesetzes zur Änderung des (Karlsruhe-Land), , Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesordnungs- , Werner Lensing, Dr. Martin punkt 12 c) ...... 10824 C Mayer (Siegertsbrunn), Bernward Müller (Gera), , Marion Seib und Dr. (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines … Ge- Anlage 16 setzes zur Änderung des Hochschulrahmen- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten gesetzes (… HRGÄndG) (Tagesordnungs- Lilo Friedrich (Mettmann) und Hans-Werner punkt 11) ...... 10822 C Bertl (beide SPD) zur Abstimmung über die Entwürfe eines Fünften Gesetzes zur Ände- rung des Fernstraßenbaugesetzes und eines Anlage 10 Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten schienenwegeausbaugesetzes (Tagesord- Albert Schmidt (Ingolstadt), Hans-Josef Fell nungspunkt 12 c und d) ...... 10824 D und Christine Scheel (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung Anlage 17 des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesord- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten nungspunkt 12 c) ...... 10822 D Bernd Scheelen und Siegmund Ehrmann (beide SPD) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anlage 11 Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tages- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten ordnungspunkt 12 d) ...... 10825 B Ingrid Arndt-Brauer (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes Anlage 18 (Tagesordnungspunkt 12 c) ...... 10823 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerald Weiß (Groß-Gerau), Andreas Storm, Anlage 12 und Dr. (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten wurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) zur Ab- Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tages- stimmung über den Entwurf eines Fünften ordnungspunkt 12 d) ...... 10825 C X Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Anlage 19 Anlage 23 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Beschlussempfehlung und des Berichts zu NEN) zur Abstimmung über den Entwurf den Anträgen: eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleis- – Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im tungen (Zusatztagesordnungspunkt 5 a) . . . . . 10825 D Jahre 2005 – Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg Anlage 20 (Tagesordnungspunkt 21) Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Angelika Krüger-Leißner (SPD) ...... 10835 B – des Entwurfs eines Gesetzes zur Moderni- sierung der Justiz (Justizmodernisierungs- Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) ...... 10837 A gesetz – JuMoG) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur DIE GRÜNEN) ...... 10838 B Beschleunigung von Verfahren der Justiz (1. Justizbeschleunigungsgesetz) Hans-Joachim Otto () (FDP) ...... 10839 A – des Entwurfs eines … Gesetzes zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) ...... 10839 D (… Justizbeschleunigungsgesetz) – der Beschlussempfehlung und des Be- Anlage 24 richts zu dem Antrag: Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren – Entschei- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung dungsfähigkeit des Bundesgerichtshofs si- des Antrags: Für eine schnelle Überwindung cherstellen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezuela (Tagesordnungspunkt 23) (Tagesordnungspunkt 13) Peter Weiß (Emmendingen) Petra Pau (fraktionslos) ...... 10826 C (CDU/CSU) ...... 10840 C Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU) ...... 10841 A Anlage 21 Lothar Mark (SPD) ...... 10842 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bergschäden regulieren – kohle- Harald Leibrecht (FDP) ...... 10843 B politische Weichenstellung vornehmen (Ta- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ gesordnungspunkt 18) DIE GRÜNEN) ...... 10844 A Dieter Grasedieck (SPD) ...... 10827 C Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 10828 C Anlage 25 Dr. (CDU/CSU) ...... 10829 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/ des Antrags: Für eine nachhaltige Rohstoff- DIE GRÜNEN) ...... 10831 B und Energiepolitik der Weltbank (Tagesord- nungspunkt 8) (Homburg) (FDP) . . . . 10832 C Dr. Sascha Raabe (SPD) ...... 10845 B

Anlage 22 Dr. Conny Mayer (Baiersbronn) (CDU/CSU) ...... 10846 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ – Große Anfrage: Situation des ökologi- DIE GRÜNEN) ...... 10848 A schen Landbaus in Deutschland Markus Löning (FDP) ...... 10849 A – Gesetzentwurf: Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Rechtsakte der Eu- ropäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet Anlage 26 des ökologischen Landbaus (Öko-Land- baugesetz – ÖLG) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Ungerechtfertigtes Steuerprivi- (Tagesordnungspunkt 20 a und b) leg für schwere Geländewagen abschaffen (SPD) ...... 10833 B (Tagesordnungspunkt 7) Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 10834 C Heidi Wright (SPD) ...... 10849 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 XI

Heinz Seiffert (CDU/CSU) ...... 10850 C Gerd Friedrich Bollmann (SPD) ...... 10857 D Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) ...... 10858 B DIE GRÜNEN) ...... 10851 A Marie-Luise Dött (CDU/CSU) ...... 10859 A Dr. (FDP) ...... 10852 B Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 10859 D Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin BMVBW ...... 10852 D Birgit Homburger (FDP) ...... 10860 D Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 10861 B Anlage 27 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Anlage 29 des Antrags: Für eine qualifizierte Mitbestim- mung bei grenzüberschreitenden Fusionen Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des (Tagesordnungspunkt 8) Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bür- (SPD) ...... 10853 D gerschaftlich Engagierter und weiterer Perso- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) ...... 10855 A nen (Tagesordnungspunkt 30) (BÜNDNIS 90/ Peter Dreßen (SPD) ...... 10861 D DIE GRÜNEN) ...... 10856 A Gerald Weiß (Groß-Gerau) Rainer Brüderle (FDP) ...... 10857 A (CDU/CSU) ...... 10862 C Gerlinde Kaupa (CDU/CSU) ...... 10863 C Anlage 28 (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung DIE GRÜNEN) ...... 10864 B des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Ina Lenke (FDP) ...... 10865 A einer Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär (SUPG) (Tagesordnungspunkt 26) BMGS ...... 10865 C

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10705

(A) (C) Redetext

118. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Beginn: 13.01 Uhr

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: als ordentliches und der Kollege (Altöt- Guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet. ting) als stellvertretendes Mitglied, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Volker Beck als or- Der Kollege Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker fei- dentliches und der Kollege Jerzy Montag als stellvertre- erte am 25. Juni seinen 65. Geburtstag. Im Namen des tendes Mitglied, von der Fraktion der FDP der Kollege Hauses spreche ich ihm nachträglich die besten Glück- Dr. Max Stadler als ordentliches und der Kollege wünsche aus. Dr. Günter Rexrodt als stellvertretendes Mitglied vor- (Beifall) geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Wider- spruch höre ich nicht. Dann sind die genannten Kolle- Gemäß § 93 a Abs. 6 unserer Geschäftsordnung kön- ginnen und Kollegen als Mitglieder in das Kuratorium nen Mitglieder des Europäischen Parlaments an den der Stiftung entsandt. Sitzungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union teilnehmen. Nach der Wahl Sodann teile ich mit, dass der Kollege Ulrich (B) zum Europäischen Parlament ist die Zahl und Zusam- Kasparick sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat.(D) mensetzung der Mitwirkungsberechtigten vom Bundes- Die Fraktion der SPD benennt als Nachfolgerin die Kol- tag auf Vorschlag der Fraktionen neu festzulegen. Die legin Caren Marks. Sind Sie auch damit einverstanden? Fraktionen haben sich auf insgesamt 15 mitwirkungsbe- – Wieder kein Widerspruch. Dann ist die Kollegin Caren rechtigte Mitglieder des Europäischen Parlaments ver- Marks als Schriftführerin gewählt. ständigt. Davon entfallen auf die CDU/CSU acht Mit- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene glieder, auf die SPD vier, auf Bündnis 90/Die Grünen Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufge- zwei und auf die FDP ein Mitglied. Sind Sie mit diesem führten Punkte zu erweitern: Vorschlag einverstanden? 1 Vereinbarte Debatte zum Abschluss der Ver- (Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos]: Ich erhebe handlungen über das Zuwanderungsgesetz Widerspruch! Das ist doch klar! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Warum ist das 2 Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- klar? – Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos]: Weil schusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Ver- die PDS nicht erwähnt wurde!) mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Steue- rung und Begrenzung der Zuwanderung und zur – Ich werde mich erkundigen, wie in diesem Fall zu ver- Regelung des Aufenthalts und der Integration von fahren ist. Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- (Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos]: Dann melde ich rungsgesetz) den Widerspruch vorsorglich an!) – Drucksachen 15/420, 15/522, 15/955, 15/1365, – Gut. Wie gesagt, ich werde mich erkundigen. 15/3479 – Die Amtszeit des derzeitigen Kuratoriums der Stif- Berichterstattung: tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ en- Abgeordneter Hans-Joachim Hacker det im August dieses Jahres. Gemäß § 5 Abs. 1 des Ge- 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst setzes über die Errichtung einer Stiftung werden vom Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Deutschen Bundestag fünf Mitglieder in das Kuratorium Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordne- entsandt. Hierfür werden von der Fraktion der SPD die ter und der Fraktion der FDP:Kurskorrektur Kollegen Dr. Dieter Wiefelspütz und bei Verkehrsinvestitionen – Finanzierung des als ordentliche und die Kolleginnen und Bundesverkehrswegeplans 2015 sicherstellen Marga Elser als stellvertretende Mitglieder, von der Fraktion der CDU/CSU der Kollege Wolfgang Bosbach – Drucksache 15/3470 – 10706 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Überweisungsvorschlag: – Drucksache 15/3467 – (C) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Rechtsausschuss fahren (Ergänzung zu TOP 31) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Haushaltsausschuss SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- zur wirkungsgleichen Übertragung von sprache (Ergänzung zu TOP 32) Regelungen der sozialen Pflegeversiche- rung sowie der gesetzlichen Krankenversi- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- cherung auf dienstrechtliche Vorschriften desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften – Drucksache 15/3444 – über Fernabsatzverträge bei Finanzdienst- leistungen Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) – Drucksache 15/2946 – Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (Erste Beratung 105. Sitzung) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Beschlussempfehlung und Bericht des b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der – Drucksache 15/3483 – SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Berichterstattung: weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Abgeordnete Dirk Manzewski BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: For- schung für Nachhaltigkeit – Motor für In- Jerzy Montag novationen Rainer Funke – Drucksache 15/3452 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- Überweisungsvorschlag: schutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) (B) Ausschuss für Bildung, Forschung und zu der Verordnung der Bundesregierung:(D) Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Dreizehnte Verordnung zur Durchführung Reaktorsicherheit des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Ver- ordnung über Großfeuerungs- und Gas- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten turbinenanlagen – 13. BImSchV) Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und – Drucksachen 15/3420, 15/3456 – der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Berichterstattung: Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlin- Abgeordnete Astrid Klug burg), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeord- Marie-Luise Dött neter und der Fraktion des BÜNDNISESS 90/ Winfried Hermann DIE GRÜNEN: Urwaldschutz verstärken Birgit Homburger – Drucksache 15/3464 – c) Beratung des Antrags der Fraktionen der Überweisungsvorschlag: SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und DIE GRÜNEN und der FDP:Ausweitung Landwirtschaft (f) des Berichts der Bundesregierung zur Zu- Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit sammenarbeit mit den Vereinten Nationen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Drucksache 15/3458 – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Sammelübersicht 133 zu Petitionen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der – Drucksache 15/3459 – SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der onsausschusses (2. Ausschuss) Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sammelübersicht 134 zu Petitionen NEN: Umsetzung des Nationalen Radver- kehrsplans 2002 – 2012 forcieren – Drucksache 15/3460 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10707

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe,(C) onsausschusses (2. Ausschuss) Volker Beck (Köln), Katrin Göring-Eckardt, und der Fraktion des BÜNDNIS- Sammelübersicht 135 zu Petitionen SES 90/DIE GRÜNEN: Entwicklungspartner- – Drucksache 15/3461 – schaften mit der Wirtschaft weiterent- wickeln – gemeinsam Armut bekämpfen g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 15/3327 – Sammelübersicht 136 zu Petitionen überwiesen: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und – Drucksache 15/3462 – Entwicklung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und onsausschusses (2. Ausschuss) Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Sammelübersicht 137 zu Petitionen Sind Sie mit all diesen Vereinbarungen einverstan- – Drucksache 15/3463 – den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen. 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus- Jürgen Hedrich, Claudia Nolte, Dr. Friedbert Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Ordnungsgemäßen Ablauf des Vereinbarte Debatte Abberufungsreferendums in Venezuela sicher- zum Abschluss der Verhandlungen über das stellen Zuwanderungsgesetz – Drucksache 15/3438 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die 7 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Un- Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gerechtfertigtes Steuerprivileg für schwere Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Geländewagen abschaffen der Abgeordnete Volker Beck. – Drucksache 15/3468 – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:Für (D) eine qualifizierte Mitbestimmung bei grenz- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): überschreitenden Fusionen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Drucksache 15/3466 – Deutschland ist ein Einwanderungsland. Mit der Verab- schiedung des Zuwanderungsgesetzes wird diese Tatsa- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit che anerkannt und heute vom Bundestag sowie in der Rechtsausschuss nächsten Woche vom Bundesrat amtlich besiegelt. Die (Federführung strittig) Logik der Abschottungspolitik wurde durchbrochen; das Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union starre ausländerrechtliche Regelwerk ist in Bewegung Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit gekommen. erforderlich, abgewichen werden. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wieso hat der Des Weiteren soll Tagesordnungspunkt 25 – Ände- eigentlich als Erster das Wort? Geht das nach rung des Postpersonalgesetzes – ohne Debatte überwie- Schönheit?) sen und Tagesordnungspunkt 30 – Schutz bürgerschaft- – Herr Grindel, jetzt habe überwiegend ich das Wort, da- lich Engagierter – bereits heute als nach vielleicht letzter Sie. Tagesordnungspunkt beraten werden. Die Union verhinderte aufgrund ideologischer Ver- Ferner soll Tagesordnungspunkt 32 k – Europäisches bohrtheiten – wie bei Herrn Grindel – Mahnverfahren – abgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überwei- und bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten sung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: der CDU/CSU) Der in der 114. Sitzung des Deutschen Bundesta- zwar die Durchsetzung des Punktesystems und die ge- ges überwiesene nachfolgende Antrag soll zu- nerelle Aufhebung des Anwerbestopps für qualifizierte sätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und ausländische Fachkräfte. Die Reaktion der Wirtschaft Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen aber war deutlich: BDI und DIHK haben Ihnen ins werden: Stammbuch geschrieben, dass die geplante Öffnung des Antrag der Abgeordneten (Me- Arbeitsmarktes hinter den Erwartungen der deutschen schede), Karin Kortmann, Lothar Binding (Hei- Wirtschaft zurückbleibt. Sie bedauern, „dass wegen des delberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Widerstands der Union das ursprünglich geplante 10708 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Volker Beck (Köln) (A) ‚Punktesystem’ nicht kommt“, so das „Handelsblatt“ am (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die kommen (C) 18. Juni. nicht zurück!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Damit kön- Das ist überhaupt kein Problem. Bei uns wurde es ein nen wir gut leben!) Problem, weil wir gute Leute nur hergegeben, aber keine hergeholt haben. Die Union konnte aber nicht verhindern, dass wir mit diesem Zuwanderungsgesetz an wesentlichen Punkten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufbrechen und eine Öffnung des Arbeitsmarktes herbei- und bei der SPD) führen. Wir haben mit diesem Zuwanderungsgesetz die In der internationalen, globalisierten Wissensgesell- Voraussetzungen geschaffen, dass Deutschland im inter- schaft ist der Austausch angesagt und nicht das Abschot- nationalen Wettbewerb um die besten Köpfe gut aufge- ten, das Engstirnige. – Das zeigt, warum Sie von der stellt ist. Deshalb ist dieses Zuwanderungsgesetz auch Wirtschaft nicht mehr verstanden werden. ein Beitrag zum Jahr der Innovationen 2004. Wir haben geregelt, dass die Zuwanderung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Selbstständigen erleichtert wird. Hier ist vielleicht man- und bei der SPD – [Heilbronn] ches zu bürokratisch geraten. Aber es ist ein Schritt nach [CDU/CSU]: Schön, dass Sie zufrieden sind!) vorne. Wir haben außerdem dafür gesorgt, dass Studen- ten, die aus dem Ausland zu uns kommen und die hier Wir haben dieZuwanderung von Höchstqualifi- ausgebildet werden, in Deutschland bleiben können, zierten geregelt. Nun können wir, wie die Vereinigten wenn sie eine Stelle in ihrem Beruf finden. Damit errei- Staaten, den Höchstqualifizierten eine Daueraufenthalts- chen wir, dass wir international wettbewerbsfähiger perspektive anbieten; zumindest die ausländerrechtli-sind. Auch das ist ein wichtiger Schritt nach vorne. chen Rahmenbedingungen sind nun so, dass wir uns in punkto Attraktivität nicht verstecken müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich muss gestehen, dass ich zu Beginn der Debatte Herr Kollege, es besteht der Wunsch nach einer Zwi- über das Zuwanderungsgesetz sehr besorgt war. Denn im schenfrage. Möchten Sie die zulassen? Jahre 2001 hörte man aus Ihren Reihen Töne wie: Es gibt Ausländer, die uns nutzen, und es gibt Menschen, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er hat die uns ausnutzen. Wir haben dieser Perspektive immer doch noch gar nicht richtig angefangen! Das entgegengestellt: Es gibt Menschen, die wir brauchen, ist doch völlig verrückt!) und es gibt Menschen, die uns brauchen, weil sie ver- (B) folgt werden. (D) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bitte schön. und bei der SPD) Ich bin sehr froh, dass wir diese Perspektive in dem Zu- Reinhard Grindel (CDU/CSU): wanderungsgesetz durchsetzen und stärken konnten. Das Herr Kollege Beck, stimmen Sie mir zu, dass der Um- ist ein Erfolg der rot-grünen Koalition in diesen Ver- stand, dass jedes Jahr 120 000 Akademiker und gut aus- handlungen zum Zuwanderungsgesetz. gebildete Deutsche ins Ausland gehen, was dazu bei- trägt, dass wir den Kampf um die klugen Köpfe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verlieren, deutlich macht, dass die Frage, welche Chan- und bei der SPD) cen wir in diesem Kampf haben, nicht – zumindest nicht Zum Thema der Anerkennung nicht staatlicher Ver- allein – mit dem Aufenthaltsrecht für Ausländer zusam- folgung: Welch ideologisch geführte Debatte hatten wir menhängt, sondern vor allem damit, welche wirtschaftli- dazu in unserem Land! Wir hätten fast die ganze Bewe- chen Perspektiven etwa Existenzgründer haben, wie gut gung in Europa aufgehalten, bloß weil Sie den Weg nicht man in Deutschland forschen kann und wie die Bezah- mitgehen wollten, der in anderen Ländern schon längst lung für die klugen Köpfe aussieht? gegangen wurde. Durch die Verhandlungen zum Zuwan- (Beifall bei der CDU/CSU) derungsgesetz haben wir den Weg frei gemacht und end- lich auch für Deutschland garantiert, dass Menschen, die von nicht staatlichen Akteuren verfolgt werden, in unse- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rem Land Schutz vor Verfolgung finden. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage, Herr Grindel, denn sie zeigt die Malaise der Union: dass Sie Wir haben auch dafür gesorgt, dass dieVerfolgung die globalisierte Welt nicht verstanden haben. aufgrund des Geschlechts als eigenständiges Verfol- gungsmerkmal nun im deutschen Flüchtlingsrecht veran- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und kert wird. In diesem Punkt sind wir wesentlich weiter als bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU) die entsprechende Richtlinie der Europäischen Union. Ich bin stolz, dass wir das gegen Ihre Intervention vertei- Es ist geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass in mo- digen konnten. dernen Wissensgesellschaften ein Teil der akademischen Elite seine Fähigkeiten in anderen Ländern ausbaut und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich dort weiterbildet und dann wieder zurückkommt. und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10709

Volker Beck (Köln) (A) Hierfür haben wir das ausdrückliche Lob des UNHCR sorgt, dass die Neuzuwanderer einen Rechtsanspruch(C) bekommen, der davon spricht, dass dies eine der wich- darauf haben und dass diejenigen, die schon länger bei tigsten Verbesserungen für einen Kernbereich uns des sind und die einen besonderen Integrationsbedarf ha- Flüchtlingsschutzes in Deutschland ist. ben, zu Integrationsbemühungen verpflichtet werden können. Aber es drohen ihnen – das war uns Grünen be- Wir haben vieles für die Verfolgten gemäß der Euro- sonders wichtig – keine ausländerrechtlichen Sanktio- päischen Menschenrechtskonvention erreicht. Wir wer- nen. Insofern haben wir das richtige Maß von Fördern den die Kettenduldungen, die fürchterliche Probleme und Fordern im Integrationsteil des Gesetzes wahren machen – alle Ausländerämter und alle Flüchtlingsorga- können und dafür gesorgt, dass Deutschland hier einen nisationen wissen das –, erheblich beschränken. Es erheblichen Schritt vorankommt. kommt jetzt darauf an – alle, die an diesem Gesetz mit- gewirkt haben, sind verpflichtet, dafür zu sorgen –, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese Regelung nicht durch eine bürokratische Praxis konterkariert wird. Es muss vielmehr Schluss damit sein, Am Ende der Veranstaltung rückte das ThemaSi- dass Menschen, die hierher geflohen sind, auf Dauercherheit allzu sehr in die Diskussion über das Zuwande- keine Aufenthaltsperspektive haben. Wir haben mit die- rungsgesetz. sem Gesetz die Grundlage dafür geschaffen, dass sich (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nicht allzu das ändert. sehr, sondern zu Recht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nein, Herr Koschyk. Man muss über Sicherheitsfragen und bei der SPD) in allen rechtlichen Bereichen immer wieder reden und Wir haben dafür gesorgt, dass in Zukunft im Auslän- schauen, ob man Sachen besser und effizienter machen derrecht auch einmal Gnade vor Recht ergehen kann. Mit kann. Aber man sollte nicht so tun, als ob Sicherheits- den Härtefallkommissionen haben die Länder eine neue probleme mit Ausländerpolitik gleichzusetzen sind; Möglichkeit, flexibler zu reagieren. Sie müssen anerken- denn das schürt Ängste vor den Ausländern als Fremde, nen, dass der Gesetzgeber nicht an jeden Wechselfall des das schürt Ängste vor dem Islam als Religion. Dagegen Lebens denken kann. Ich fordere alle 16 Bundesländer haben wir uns in den Verhandlungen und in der öffent- auf: Machen Sie von dieser Möglichkeit, Humanität zu lichen Kommunikation immer gestemmt und werden das zeigen, Gebrauch! Denjenigen, die davor zurückschre- auch weiterhin tun. Sie gießen damit Öl ins Feuer bei cken, werden wir – das garantiere ich Ihnen – zusammen Ausländerfeinden, das sollten wir als demokratische Par- mit den Flüchtlingsorganisationen und den Kirchenteien gemeinsam nicht tun. Feuer unter dem Hintern machen. Wir werden dafür sor- (B) gen, dass von dieser Regelung in der Bundesrepublik flä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) chendeckend Gebrauch gemacht wird. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sicherheit muss man rechtsstaatlich machen! Die und bei der SPD – [CDU/ Koalition hat mit dem Antiterrorpaket im Jahre 2001 ge- CSU]: Mann oh Mann! Das war doch ein zeigt, dass sie sicherheitspolitisch handlungsfähig, aber Kompromiss!) auch besonnen ist. Diese Linie haben wir auch in den Zuwanderungsverhandlungen immer wieder mühsam Auch nach Verabschiedung des Zuwanderungsgeset- gegen Sie durchsetzen müssen. zes gibt es noch Fragen, die wir diskutieren müssen. Eine Bleiberechtsregelung für Menschen, die die Ketten- Wir wollen kein Guantanamo im Ausländerrecht. Der duldungen in den letzten Jahren erlebt haben, wurdeVerzicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und auf noch nicht erreicht. Eine entsprechende Regelung wird Rechtsstaatlichkeit führt in die Irre, wie wir bei unseren vom halben Kohl-Kabinett – angefangen bei FrauFreunden in den USA gesehen haben. Der Weg von Süssmuth über Herrn Blüm bis zu Herrn Schwarz-Guantanamo führte direkt in die Foltergefängnisse von Schilling –, von dem früheren BDI-Präsidenten OlafAbu Ghureib. Ich bin froh, dass das, was bei uns gilt, Henkel, von „Pro Asyl“ und 40 000 Menschen unterstützt. auch für die USA gilt, nämlich dass notfalls eine unab- hängige Justiz im Rechtsstaat der Politik auch einmal in (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie können die Speichen greift und die Verhältnisse klar rückt. den Kompromiss nicht ertragen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, diese Diskussion sollten wir nach Verab- schiedung des Zuwanderungsgesetzes erneut aufneh- Wir haben bezüglich der Sicherheitsfragen im We- men. sentlichen drei Änderungen im Gesetz vorgenommen. Wir haben als rot-grüne alition Ko bedeutende Vor- ( [CDU/CSU]: Sie sind ein schläge zur Verbesserung der Effizienz bei der Abwehr schlechter Verlierer!) terroristischer Gefahren gemacht. Der Kernpunkt, der in Wir haben bei der Integration einen wichtigen Schritt diesem Gesetz wirklich einen Sicherheitsgewinn bringt, nach vorne gemacht, indem wir nun erstmals Integrati- geht auf eine rot-grüne Idee zurück, nämlich auf die Idee onsansprüche geregelt haben. Aber wir sollten uns da- der Abschiebeanordnung, die der Bundesinnenminister vor hüten, zu glauben, dass Integration allein eine Veran- entworfen hat. Dies führt tatsächlich zu einer Beschleu- staltung von Deutschkursen ist. Integration ist einenigung und Verbesserung der Verfahren, lässt dabei aber gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir haben dafür ge- keinen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens 10710 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Volker Beck (Köln) (A) aufkommen. Deshalb halte ich das für eine richtige und ( [Recklinghausen] [CDU/ (C) zukunftsweisende Entscheidung. CSU]: Sehr wahr!) Einiges andere ist im Gesetz nun doppelt und dreifach den wir in den letzten Wochen und Monaten erzielt ha- geregelt. Sie haben darauf bestanden, dass das Auswei- ben. Die Rede des Kollegen Beck war auf Konfrontation sungsrecht sozusagen mit Hosenträger und Gürtel gere- angelegt. gelt wird. Die Themen Schleuser und Hassprediger ha- Das mag daran liegen, dass die Grünen in den letzten Ta- ben wir gleich an drei verschiedenen Stellen geregelt, gen, in denen dieser Kompromiss endgültig geschmiedet damit das nun auch wirklich jeder jederzeit im Gesetz worden ist, nicht am Schmieden dieses Kompromisses findet. Daran, dass das etwas bringt, kann man Zweifel beteiligt waren. haben, weil die meisten Dinge ohnehin schon rechtlich geregelt waren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank!) Bei einigen Dingen sind wir über die bestehende Li- Das ist für die Grünen bedauerlich; aber es hat dem nie hinausgegangen. Insofern hoffe ich auf die Verwal- Kompromiss gut getan. tungsgerichte und auf das Bundesverwaltungsgericht, dass sie die gesetzlichen Regelungen im Sinne des Ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hältnismäßigkeitsgrundsatzes ausfüllen bzw. auslegen, neten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜND- sodass das entsprechend umgesetzt wird. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Ihrem Papier ist aber auch nichts mehr übrig geblieben!) Der Fokus auf die Sicherheit am Schluss der Debatte war sicherlich falsch; denn das Zuwanderungsgesetz hat Dieser Kompromiss ist in einem schwierigen, lang- einen anderen Schwerpunkt. wierigen Diskussionsprozess zustande gekommen. Der Herr Bundestagspräsident hat am heutigen Vormittag die Dauer dieser Diskussion bedauert. Das ist sicher nach- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: vollziehbar. Herr Kollege Beck, denken Sie bitte an die Redezeit! (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein! Gut (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut, Ding braucht Weile!) Frau Präsidentin! Machen Sie dem ein Ende! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie wurden zu Man hätte sich dieses Ergebnis zu einem früheren Zeit- Recht ausgeschlossen! Scharfmacher!) punkt gewünscht. Aber Fakt ist, dass dieses Ergebnis, über das wir Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): heute sprechen, in wesentlichen und zentralen Punkten (B) Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Gestatten vom Gesetzentwurf der Koalition abweicht, dass dieses (D) Sie mir einen letzten Satz. Gesetz nur auf der Basis dieser materiell wesentlichen Dieses Gesetz macht Deutschland fit für Veränderungen das eine Verbesserung des jetzigen Rechts- 21. Jahrhundert – ein Jahrhundert, von dem wir wissen, zustands darstellt und damit zustimmungsfähig ist und dass es in unserem Land demographische Probleme ge- dass dieses Gesetz nur auf der Basis dieses langwierigen ben wird. Da muss man sich nicht dümmer stellen, als es Diskussionsprozesses zu einem Einwanderungsgesetz die Bevölkerungswissenschaftler sind. Nicht alle Pro- geworden ist, das so ausgestaltet ist wie alle Einwande- bleme sind mit diesem Gesetz gelöst, aber wir haben mit rungsgesetze dieser Welt. Alle Einwanderungsgesetze dem Gesetz eine sehr gute Grundlage geschaffen, umdieser Welt sind Gesetze im Interesse der aufnehmenden eine Weiterentwicklung im Sinne eines modernenStaaten, Gesetze, in denen die aufnehmenden Staaten de- Rechts zu erreichen. Insofern gehen wir gut gerüstet in finieren, wie viele Menschen sie aufnehmen können und dieses 21. Jahrhundert. nach welchen Kriterien sie diese Menschen auswählen. Alle Einwanderungsgesetze dieser Welt sind Einwande- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungsbegrenzungsgesetze. Mit den Veränderungen, die und bei der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/ jetzt in dem Kompromiss vereinbart worden sind, ist CSU]: Ein peinlicher Redebeitrag! – Volker auch dieses Gesetz ein Zuwanderungsbegrenzungs- Kauder [CDU/CSU]: Ein schlechter Verlierer gesetz, ein Gesetz im Interesse der Bundesrepublik sind Sie!) Deutschland und damit ein zustimmungsfähiges Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Lieber Herr Kollege Beck, so richtig Ihr Satz ist, dass Peter Müller. Deutschland in der Vergangenheit ein Zuwanderungs- land war, heute ein Zuwanderungsland ist und in der Zu- (Beifall bei der CDU/CSU) kunft ein Zuwanderungsland sein wird, so richtig ist dann auch die politischeKonsequenz. Die politische Peter Müller, Ministerpräsident (Saarland): Konsequenz heißt: Zuwanderung braucht Begrenzung, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Zuwanderung braucht Steuerung. Jedes Land – auch die Herren! Da das aus den Ausführungen meines verehrten Bundesrepublik Deutschland – hat das Recht, klar zu sa- Vorredners nicht erkennbar war, erlaube ich mir, darauf gen, wo die Grenzen seiner Aufnahmefähigkeit sind, hinzuweisen, dass wir in dieser Debatte über die Umset- wen es aufnehmen, wen es bei sich behalten und wen es zung eines politischen Kompromisses reden, wieder aus dem Land verweisen will. Da ist auch und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10711

Ministerpräsident Peter Müller (Saarland) (A) gerade die Sicherheit eine zentrale Frage, an der wirdie Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (C) nicht vorbeischauen dürfen. wieder auf 1,6 Prozent zu reduzieren, mag man über den Anwerbestopp noch einmal diskutieren. Mein Eindruck (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist allerdings: Die Politik der gegenwärtigen Bundesre- neten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜND- gierung macht uns wenig Hoffnung, dass wir jemals NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Plattitüde nach wieder in eine solche Situation kommen können. der anderen!) Eine vernünftige Gesamtregelung der Zuwanderung (Beifall bei der CDU/CSU) muss vier Ziele erreichen: Sie muss die Zuwanderung Zweitens. Die Kriterien für die humanitäre Zuwan- unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit steuern derung werden verändert. Es ist richtig und von der Sa- und begrenzen. Sie muss unseren humanitären Ver-che her auch vernünftig, dass wir im Bereich der Ketten- pflichtungen, die uns heilig sein müssen, Rechnung tra- duldungen wesentliche Änderungen vornehmen und den gen. Status derjenigen, die dauerhaft oder langfristig bei uns (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) sind, ohne dass die Dauer des Aufenthaltes durch eige- nes schuldhaftes Verhalten verursacht ist, verbessern. Sie muss die legitimen Eigeninteressen der Bundesrepu- Dem trägt das Gesetz Rechnung. Das Gesetz wird im blik Deutschland berücksichtigen und sie muss dem Zu- Übrigen im humanitären Bereich auch eine Härtefall- sammenhang von Zuwanderung und Integration Rech- regelung schaffen. nung tragen. Ich glaube, dass der jetzt gefundene Kompromiss diesen Ansprüchen tatsächlich standhalten Ich will von dieser Stelle aus noch einmal klar und kann. deutlich sagen: Wenn wir in diesem Gesetz, entgegen den gesetzlichen Bestimmungen, die Möglichkeit von (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) Daueraufenthaltsrechten aus humanitären Gründen Erstens, zur Steuerung: Im Bereich der Arbeitsmig- schaffen, dann ist das eigentlich mit den Grundsätzen ration werden wir eine Erleichterung der Zuwanderung eines Rechtsstaates nur begrenzt vereinbar. Wenn wir es für Höchstqualifizierte und Selbstständige erzielen. Die aus humanitären Gründen trotzdem tun, muss die Kondi- Aufenthaltsrechte, die wir in diesem Gesetz für Höchst- tionierung sein, dass durch diesen Weg nicht erneut jah- qualifizierte vereinbart haben, gehen weit über den inter- relange Rechtswege eröffnet werden. Deswegen darf nationalen Standard hinaus, auch über den der Vereinig- diese Klausel, so wie sie im Gesetz steht, nicht justizia- ten Staaten. Wir werden damit konkurrenzfähiger imbel sein. Es liegt in der Verantwortung der Länder, dies weltweiten Wettlauf um die besten Köpfe. Aber eines ist jetzt umzusetzen. (B) sicher auch richtig: Nur mit Zuwanderungsregelungen Verehrter Herr Kollege Beck, da Sie eben mit Blick(D) werden wir den Wettbewerb um die besten Köpfe nicht auf die Bundesratsbank erklärt haben, dass Sie uns, dass gewinnen; da hat der Kollege Grindel sicher Recht. Sie mir in Sachen Härtefallklausel „Feuer unter dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hintern“ machen werden, werde ich darüber nachden- ken, ob diese Drohung ausgerechnet von Ihrer Seite Im Bereich der Nichtqualifizierten und im Bereichmich wirklich beeindruckt. der Geringqualifizierten bleibt es beim Anwerbestopp. Auch dies ist eine zentrale Position. Mich beeindruckt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dabei die Forderung aus der deutschen Wirtschaft, auch in diesem Bereich unbegrenzt Zuwanderung zu ermög- Drittens. Wir werden die Integration verbessern und lichen, nicht. Ich habe Verständnis dafür, dass die Ver- auch den Bereich der nachholenden Integration deutlich treter der deutschen Wirtschaft ein möglichst hohesintensivieren. Ich halte dies für notwendig und ich Angebot an Arbeitskräften anstreben, weil dies Rück- glaube, dass es wirklich ein qualitativer Fortschritt in wirkungen auf den Preis hat, der für die Arbeit bezahlt diesem Gesetz ist. Integration ist ein zweiseitiger Pro- werden muss. zess. Integration setzt Integrationsangebote voraus – die schaffen wir –, sie setzt aber auch die Bereitschaft derje- Unsere Aufgabe muss es aber sein, dem Gemeinwohl nigen, die dauerhaft hier leben wollen, sich in diese Ge- zu dienen. Das heißt: Solange es in der Bundesrepublik sellschaft wirklich zu integrieren, voraus. Ich meine: Deutschland weit mehr als 4 Millionen Arbeitslose gibt Wer dazu nicht bereit ist, muss dann auch mit Sanktio- – demnächst werden es gar 5 Millionen sein –, müssen nen rechnen; einzelne sind festgeschrieben, über andere wir erst alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben, wird man weiter diskutieren. um die Arbeitsplätze, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, mit Menschen in Deutschland, die ar- Zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Her- beitslos sind, zu besetzen. ren: Natürlich ist die Frage der Sicherheit eine zentrale Frage jeder Zuwanderungsregel. Wie sollen wir denn Deshalb kann es in diesem Bereich eine Aufhebung des den Menschen in Deutschland ein Zuwanderungsgesetz Anwerbestopps nicht geben, meine Damen und Herren. erklären, wenn wir nicht gleichzeitig darauf hinweisen (Beifall bei der CDU/CSU) können, dass mit diesem Gesetz klare Regelungen ver- bunden sind, um das Risiko der Zuwanderung von Fun- Der Anwerbestopp wurde in Deutschland unter Willy damentalisten und Terroristen in die Bundesrepublik Brandt eingeführt. Damals hatten wir eine Arbeitslosen- Deutschland zu begrenzen, wenn wir nicht gleichzeitig quote von 1,6 Prozent. Wenn es uns gemeinsam gelingt, erklären können, dass wir neue Möglichkeiten schaffen, 10712 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Ministerpräsident Peter Müller (Saarland) (A) wie sie jetzt im Gesetz stehen, Hassprediger und Sicher- vernünftige Neuregelung der deutschen Migrationspoli- (C) heitsgefährder auszuweisen? tik. Dieses Gesetz eröffnet große Chancen: Wie sollen wir den Menschen erklären, dass wir ein Erstens. Es bietet eine vorsichtigeÖffnung des Ar- solches Gesetz schaffen, wenn wir die Augen vor Aus- beitsmarktes für ausländische Arbeitnehmer, die uns länderkriminalität verschließen? helfen werden, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern (Beifall bei der CDU/CSU) und neue zu schaffen. Wer die Augen vor Ausländerkriminalität verschließt, Zweitens. Dieses Gesetz bewahrt die humanitäre bereitet der Ausländerfeindlichkeit den Boden. Das will Tradition des Grundgesetzes und baut sie sogar aus, ich in aller Deutlichkeit sagen. etwa mit neuen Regelungen zur geschlechtsspezifischen Verfolgung und zur nichtstaatlichen Verfolgung. (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Drittens. Dieses Gesetz ist der Einstieg in eine bessere tut doch keiner! Wer verschließt denn die Au- Integrationspolitik. Es war von Anfang an ein zentraler gen? – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aspekt bei diesem Gesetzgebungsvorhaben, dass wir Das ist doch ein Popanz, Herr Müller! Unan- denjenigen, die schon in Deutschland leben, und denje- gemessen!) nigen, die neu kommen, mehr Integrationsmöglichkeiten bieten müssen, aber auch von ihnen Integrationsbemü- Deshalb müssen wir auch über Fragen der Sicherheit re- hungen verlangen dürfen. den, wie das während der Gesetzesberatungen gesche- hen ist. Natürlich lässt der Kompromiss manche Wünsche of- fen. Als FDP kritisieren wir vor allem, dass jetzt ein un- Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Ge- geheuer bürokratisches Verfahren erforderlich ist, um setz hat in einem langen Prozess qualitativ zentrale Ver- Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen. An manchen änderungen erfahren. Es ist gelungen, eine Regelung zu Stellen spiegelt sich eine große Ängstlichkeit mancher finden, die die Sicherheit in der Bundesrepublikan den Verhandlungen Beteiligter wider. Deutschland erhöht, die die Zuwanderung nach Deutsch- land begrenzt und besser steuert, die die Integration för- (Beifall bei der FDP) dert. Natürlich ist es ein Kompromiss und natürlich gibt es eine Reihe von Themen, die weiter auf der Tagesord- Trotz aller Kritik meine ich aber, dass das, was ver- nung stehen werden. Dass es trotzdem gelungen ist, die- einbart worden ist, insgesamt ein Zeichen für Liberalität, ses Gesetz zustande zu bringen, ist, glaube ich, ein ge- Weltoffenheit und Integrationsbereitschaft in Deutsch- land ist, ohne falsche Romantisierung und ohne Verdrän- (B) meinsamer Erfolg. Deshalb möchte ich mich bei all (D) denjenigen bedanken, die zu diesem Kompromiss beige- gung der Probleme, die es natürlich auch zu lösen gilt. tragen haben. Das Gesetz ist auch ein Dokument der Entscheidungsfä- higkeit der deutschen Politik, auch wenn es lange gedau- Es mag sein, dass es eine jahrelange Diskussion war. ert hat. Aber auch der Präsident dieses Hohen Hauses wird mir (Beifall bei der FDP) zustimmen, wenn ich sage: Am Ende ist nicht entschei- dend, wie lange ein Verfahren gedauert hat, sondern wel- Der entscheidende Gesichtspunkt aus meiner Sicht ist ches Ergebnis das Verfahren gebracht hat. folgender: Das Thema „Zuwanderung“ – das haben all diejenigen gespürt, die Versammlungen abgehalten und Der Gesetzentwurf ist in einem lange dauernden Ver- mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert haben – ist fahren wesentlich verändert worden. Dieses Gesetz ist bis zum heutigen Tag bei vielen Bürgerinnen und Bür- ein Gesetz zur Begrenzung und Steuerung der Zuwande- gern angstbesetzt. Viele meinen, ein Zuwanderungsge- rung. Es hat Unterstützung verdient, auch wenn es lange setz bedeute ein unverträgliches Maß an mehr Zuwande- gedauert hat. rung, und haben Sorge, dass dies nicht bewältigt werden Vielen Dank. könnte. Dadurch, dass die deutsche Politik es geschafft hat, sich jetzt auf ein solches Gesetz zu verständigen, be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) steht die Chance, dass wir das Thema „Zuwanderung“ aus der Angstecke herausholen und wir hiermit ein Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Grundgesetz für eine rationale Zuwanderungspolitik Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler. schaffen. Das ist das Entscheidende. (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei (FDP): Dr. Max Stadler Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und GRÜNEN) Herren! Ich darf an das anschließen, was Ministerpräsi- dent Müller am Schluss gesagt hat: Die Arbeit hat sich Die FDP hatte von Haus aus bei diesem Thema einen gelohnt. einfachen Grundgedanken: Zuwanderung ist existent, also liegt es in unserem Interesse, wenn wir sie steuern. (Beifall bei der FDP und der SPD) Deswegen haben wir die Debatte hier im Deutschen Das neue Zuwanderungsgesetz ist vielleicht kein his- Bundestag mit unserem Gesetzentwurf vom 18. Novem- torischer Kompromiss, es ist aber eine durch und durch ber 1998 angestoßen; lange bevor andere überhaupt be- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10713

Dr. Max Stadler (A) reit waren, sich mit diesem Thema auseinander zu set- werden kann. Wir haben einen Vorschlag für eine Härte- (C) zen. fallregelung gemacht, die nicht zu neuen Rechtswegen führt, sodass auch dieser Punkt allseits akzeptabel ge- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wir worden ist und eingeführt werden konnte. noch ein paar Jahre zuvor!) Bei den Sicherheitsfragen kam es für die FDP darauf Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ge- an, dass die Regelungen rechtsstaatlich einwandfrei sind. meinsam mit der von Ihnen geführten Landesregierung Deswegen war mit uns eineSicherungshaft auf Ver- hat die FDP über Rheinland-Pfalz und insbesondere Jus- dacht nie zu machen, tizminister Peter Caesar, den ich erwähnen möchte – lei- der ist er früh verstorben –, weil er große Verdienste er- (Beifall bei der FDP) worben hat, auch nicht eine Ausweisung auf Verdacht, sondern nur (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten aufgrund gerichtsverwertbarer Tatsachen. der SPD) Ich komme damit zum Schluss und darf noch einen 1999 einen neuen Versuch unternommen. SchließlichPunkt anführen. Dieses Gesetz legt den Behörden, die es haben wir als FDP im Jahre 2003 mit dem von Fraujetzt in die Praxis umzusetzen haben, eine sehr große Werwigk-Hertneck initiierten Gesetzentwurf noch ein- Verantwortung auf. Es enthält viele Ermessensspiel- mal unsere inhaltliche Position hier im Bundestag darge- räume und unbestimmte Rechtsbegriffe. Die FDP erwar- stellt. Weil wir immer eine klare Position hatten, war es tet und vertraut darauf, dass die praktische Anwendung möglich, im Spannungsfeld zwischen den Maximalfor- von Liberalität, Weltoffenheit und zugleich Wahrung un- derungen der Grünen auf der einen Seite und den zu zö- serer eigenen Interessen geprägt sein wird. gerlichen Vorstellungen der CDU/CSU auf der anderen Vielen Dank. Seite zu vermitteln. Wir freuen uns, dass dies durch die klare Haltung der FDP-Fraktion möglich war und dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mit seinem Gespräch beim Bundes- der SPD) kanzler dazu einen wichtigen Beitrag geleistet hat. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Die Arbeit für Rita Süssmuth, Cornelia Schmalz-Jacob- Bosbach. sen und andere aus der Süssmuth-Kommission hat sich gelohnt, die den Boden dafür bereitet haben, dass es die- ses Gesetz überhaupt gibt. Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): (B) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser (D) (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Die Gesetzeskompromiss hat vielfältiges Lob erfahren: Alle darf man ruhig erwähnen!) Fraktionen des Hauses stimmen zu; die Kommentierung in der Presse ist überwiegend sehr freundlich. Da kann Die Arbeit – lieber Kollege Bürsch, das Lob wird von ich nur sagen: Dann ist es ja gut gewesen, dass CDU und mir auf alle Seiten gleichmäßig verteilt – hat sich insbe- CSU dem ursprünglichen Gesetzentwurf nicht zuge- sondere für den Bundesinnenminister Otto Schily ge- stimmt haben. lohnt. Der FDP-Fraktion steht nicht an zu sagen: Wir sind der Meinung, kein anderer als er hätte es geschafft, (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Cornelie ein solch schwieriges Gesetz in dieser Verhandlungskon- Sonntag-Wolgast [SPD]: Es gab sehr gute stellation überhaupt durchzusetzen, Presseveröffentlichungen!) (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Zu den bedauerlichen Erfahrungen gehört allerdings, Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dass wir dasBundesverfassungsgericht bemühen GRÜNEN) mussten, um einen eklatanten Verfassungsbruch zu ver- hindern. Ich will nicht mehr nachlegen, ich hätte es auch dies natürlich mit der Unterstützung von Peter Müller, nicht angesprochen, wenn das Thema nicht heute Mor- der in der entscheidenden kritischen Verhandlungsphase gen um 9.05 Uhr in anderem Zusammenhang erwähnt und in der schwierigen Situation, als die Verhandlungs- worden wäre. Was ist denn mehr kritikwürdig, der Ver- runde am 1. Mai 2004 auseinander zu brechen drohte fassungsbruch selber oder die Aufregung darüber, dass – entschuldigen Sie, wenn ich das so sage –, dieselben er begangen worden ist? Da kann ich die Aufregung bes- Vermittlungsvorschläge wie die FDP gemacht hat, so- ser verstehen. dass am Ende eine Brücke gebaut werden konnte. (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip (Beifall bei der FDP) Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns kam es ein Theater!) darauf an – das will ich in der Sache doch noch erwäh- Es ist ein guter Kompromiss erzielt worden; das Ge- nen –, dass der Zuzug Selbstständiger etwas großzügi- setz ist kein fauler Kompromiss. ger geregelt worden ist als im ersten Entwurf. Nunmehr wird es auch für Menschen mit mittlerer beruflicher Es ist gesagt worden: Das war eine schwere Geburt. – Qualifikation möglich sein, nach Deutschland zu kom- Mag sein, aber das sind hinterher nicht selten die schöns- men, wenn ein Arbeitsplatz mit Inländern nicht besetzt ten Kinder. Ich würde mich aber mit Jubel und mit 10714 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Wolfgang Bosbach (A) Euphorie noch etwas zurückhalten, denn Max Stadler gert weniger Arbeitsplätze in das Ausland aus! Das ist(C) hat einen wichtigen Punkt angesprochen. Das, was wir wichtiger als mehr Zuwanderung nach Deutschland. als Gesetzgeber jetzt in Gang setzen, muss zunächst ein- mal in der alltäglichen ausländerrechtlichen Praxis, ins- (Beifall bei der CDU/CSU) besondere im Integrationsbereich, umgesetzt werden. Was den humanitären Bereich angeht, so ist es rich- Erst dann, wenn alle Wirkungen Wirklichkeit werden, tig – Peter Müller hat zutreffend darauf hingewiesen –, die wir uns von diesem Gesetz erhoffen, besteht Grund dass wir Menschen eine Integrationsperspektive geben zur Zufriedenheit. Insoweit können wir sagen: Die Ar- müssen, die wir über Jahre, nicht wenige über Jahr- beit ist nicht zu Ende. – In den Ausländerbehörden fängt zehnte, zwischen Baum und Borke halten. Wir erkennen die Arbeit nämlich jetzt erst an. Dieses Gesetz muss sich sie nicht an, geben ihnen kein gesichertes Aufenthalts- in der Praxis erst noch bewähren. Wir haben in einem zä- recht, aber wir schieben sie, teilweise aus praktischen, hen Verhandlungsprozess vieles an Verbesserungen er- teilweise aus humanitären Gründen, nicht ab; sie wissen reicht. Das ist nicht nur – das gebe ich gerne zu –, aber nicht, was aus ihnen in ihrem neuen Heimatland doch weitestgehend das Verdienst von CDU und CSU. Deutschland wird, sie haben keine Hoffnung, sie haben Es wäre ein kapitaler Fehler gewesen, wenn wir den An- keine Perspektive. Deswegen ist es gut, dass dieses Ge- werbestopp für ausländische Arbeitnehmer, wie ur-setz eine Änderung bringt. sprünglich geplant, aufgehoben hätten. Es ist aber ebenso gut, dass es keine Altfall- und keine Stichtagsregelung gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Darüber reden wir Wir haben die dramatischste Situation auf dem deut- noch! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ schen Arbeitsmarkt seit der Nachkriegszeit. Wir verlie- DIE GRÜNEN]: Wir sollen doch zwischen ren an jedem Tag 2 000 Arbeitsplätze. Im vergangenen Baum und Borke bleiben!) Jahr haben wir 623 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren. Glaubt denn irgendjemand ernst- Eines dürfen wir nie machen: Wir können doch nicht haft, mit einer noch größeren Zuwanderung nachdiejenigen privilegieren, die über ihre Identität, über ihre Deutschland dieses Arbeitsmarktproblem lösen zu kön- Nationalität täuschen, die ihre Personalpapiere vernich- nen? Dass wir uns an dem weltweiten Wettbewerb um ten, die die Behörden an der Nase herumführen. Am die klügsten Köpfe beteiligen müssen, ist eine pureEnde darf in solchen Fällen keine Aufenthaltserlaubnis Selbstverständlichkeit. Aber wir müssen doch jetzt alle stehen, denn sonst würden wir diejenigen privilegieren, Kräfte darauf konzentrieren, die Menschen in Brot und die rechtswidrig mit allen Mitteln, auch mit verbotenen Arbeit zu bringen, die von Arbeitslosigkeit betroffenMitteln, ihre Rückführung in das Heimatland verhin- (B) sind. Das sind die ausländischen Mitbürgerinnen unddern. Solche Menschen dürfen durch ein Aufenthalts-(D) Mitbürger mehr als ihre deutschen Nachbarn. Der Anteil recht nicht privilegiert werden. der ausländischen Arbeitslosen ist doppelt so hoch wie der Anteil der ausländischen Mitbürger an der Bevölke- (Beifall bei der CDU/CSU) rung. Der Anteil der ausländischen Sozialhilfeempfän- Zum Auswahlverfahren: Es ist richtig, dass wir das ger ist drei Mal so hoch wie der Anteil der ausländischen Auswahlverfahren nach dem Punktesystem, mit dem Zu- Mitbürger an der Bevölkerung. Glaubt denn irgendje- wanderung ohne Nachweis eines Arbeitsplatzes ermög- mand ernsthaft, wir könnten diese Probleme mit mehr licht werden sollte, gestrichen haben. Angesichts der Zuwanderung lösen? dramatischen Arbeitsmarktsituation in Deutschland wäre (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Aber dies unverantwortlich gewesen. mit besserer Integration! Das machen wir end- Zuwanderung aus rein demographischen Gründen: lich!) Wer würde bestreiten, dass wir ein erhebliches demogra- Mehr Zuwanderung würde die Probleme verschärfen. phisches Problem haben? Wir ersetzen die Elterngenera- tion nur zu zwei Dritteln. Möglicherweise wird die nega- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt tive demographische Entwicklung in ihren dramatischen [Salzgitter] [SPD]: Warum machen Sie den Auswirkungen heute noch eher unter- als überschätzt. Kompromiss mit?) Das ist aber keine Herausforderung für die Ausländerpo- litik, sondern eine Herausforderung für eine bessere Fa- – Weil wir die Regelungen geändert haben. milienpolitik, mit der wir eine kinderfreundliche Gesell- Ich stimme Herrn Beck zu, dass wir dafür kritisiert schaft schaffen. Das ist der richtige Ansatzpunkt, nicht worden sind. Aber nicht von Unternehmern. Mir gegen- aber mehr Zuwanderung. über hat sich noch kein Unternehmer so geäußert. Wohl (Beifall bei der CDU/CSU) gibt es viele Funktionäre von Arbeitgeberverbänden und Industrieverbänden, die sagen, wir bräuchten noch mehr Als ich in den Plenarsaal kam, hatte ich das Gefühl, Zuwanderung, obwohl wir im vergangenen Jahr 300 000 dass uns der Kollege Beck vorhalten würde, wir würden Arbeitserlaubnisse an ausländische Arbeitnehmer erteilt Sicherheitsfragen mit der Frage der Zuwanderung ver- haben. Wenn sie sagen: Wir wollen die Arbeitsmarktpro- koppeln. Sie haben uns wild dafür kritisiert, dass wir bleme lösen, dann rufe ich den gleichen zu: Bringt mehr Ausländerpolitik und Ausländerkriminalität in einen Zu- Menschen in Brot und Arbeit, die jetzt beschäftigungslos sammenhang stellen. Ich zitiere dazu einmal aus der Ori- sind, schafft mehr Arbeitsplätze in Deutschland und la- ginalausgabe vom 20. Juli 1997 der „Welt am Sonntag“: Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10715

Wolfgang Bosbach (A) Man muss das mal sagen, selbst wenn es manche Niemand, der dies sagt, kann sich auf religiöse Toleranz (C) nicht gern hören: Beim organisierten Autodiebstahl und Pluralität berufen. Von denen müssen wir uns eher sind Polen nun mal besonders aktiv, das Geschäft heute als morgen trennen. Das hat mit Ausländerfeind- mit der Prostitution wird dominiert von der Russen- lichkeit überhaupt nichts zu tun. Mafia, Drogenkriminelle kommen besonders häufig (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip aus Südosteuropa und Schwarzafrika. … Wer unser Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: Volksverhetzung ist heute schon strafbar!) Raus, und zwar schnell.

Das ist keine rechtsradikale Postille, sondern das sind Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Originalzitate des Wahlkämpfers Gerhard Schröder. Das Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau. ist der Gleiche, der jetzt als Bundeskanzler verhindert, dass wir, was wir durchsetzen wollen, ausländische Straftäter schneller abschieben bzw. ausweisen können, Petra Pau (fraktionslos): als dies nach derzeitiger Rechtslage möglich ist. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über das wohl zäheste Gesetz der ver- So geht das nicht. Das lassen wir Ihnen nicht durchge- gangenen fünf Jahre, nämlich über das Zuwanderungs- hen. recht. Außerdem klaffen Anspruch und Lösung selten so weit auseinander wie bei diesem Gesetz. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wir haben doch ge- Erinnern wir uns: Angekündigt war ein modernes rade im Kompromiss etwas anderes gemacht!) Einwanderungsrecht. Heraus kam ein Sicherheitsgesetz für bzw. gegen Ausländer. Wenn der Bundeskanzler in dieser Weise über ausländi- sche Straftäter spricht, dann ist das ein wichtiger Beitrag (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Unsinn!) zur Erhöhung der inneren Sicherheit. Wenn wir aber da- Es ist, wie Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zei- für sorgen wollen, dass Hassprediger, Kriminelle undtung“ zutreffend schrieb, inzwischen ein „Gesetz mit Terrorverdächtige ausgewiesen werden, dann brüllenumgedrehten Vorzeichen“. Die PDS im Bundestag lehnt Sie: latente Ausländerfeindlichkeit. Damit ist jetztes deshalb ab. Schluss, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip tionslos]) Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber von Sachkenntnis ungeprägt!) Als die Debatte um ein neues und modernes Einwan- (B) derungsrecht begann, habe ich das ausdrücklich begrüßt, (D) Letzter Punkt. Wir können das nicht trennen. Sicher- zumal es galt, uralte Mauern einzureißen. Deutschland heitsfragen mögen nicht das Wichtigste sein, sie sindist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Die Oppo- aber ein wichtiger Bestandteil des Zuwanderungsrechts. sition zur Rechten wollte dies nicht wahrhaben. Nach Selbstverständlich müssen wir dort regeln, wer kommen der Betrachtung des Ergebnisses wissen wir heute: Sie darf, wer nicht kommen darf und wer unser Land unter stemmt sich noch immer dagegen. welchen Voraussetzungen wieder verlassen muss. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch Wir haben in Deutschland etwa 2 000 Moscheen und [fraktionslos] – Dr. Max Stadler [FDP]: Zur Gebetshäuser, wovon 100 als nachrichtendienstlich rele- Halbrechten!) vant gelten. Niemand denkt daran, alle Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen. Deswe- – Herr Kollege Stadler, ich nehme Sie aus, Sie wollten gen ist es auch gut, dass wir differenzieren. Wir sprechen das immer wahrhaben. von etwa 30 000 bis 31 000 Islamisten und davon, dass (Dr. Max Stadler [FDP]: Die ganze Fraktion!) 3 000 bis 3 500 als gewaltbereit und -geneigt gelten. SPD und Grüne versprachen damals den Durchbruch (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE in den Köpfen und auch im Recht. Doch schon nach der GRÜNEN]: Wer hat die eigentlich gezählt?) ersten großen Runde mehrten sich die Zweifel. Rita Süssmuth, die CDU-Vorsitzende der rot-grünen Regie- Darunter gibt es einige so genannte Topgefährder. Wir rungskommission, meinte vor zwei Jahren zum damali- wollen wenigstens die unter Verdacht stellen dürfen, die gen Gesetzentwurf, noch seien wichtige Elemente eines verdächtig sind. modernen und humanen Rechts vorhanden, aber schon (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja!) weit zurückgenommen. Inzwischen loben CDU und CSU: Mit der FDP hätten sie niemals ein solch restrikti- Es gibt Aufzeichnungen von so genannten Freitagsgebe- ves Gesetz hinbekommen wie mit Bundesinnenminister ten. Ich zitiere: Schily, der SPD und den Grünen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, klarer kann man sich eigentlich Amerika ist ein großer Teufel, Großbritannien ein gar nicht vorführen lassen. kleiner, Israel ein blutsaugender Vampir. Einst wa- ren die Europäer unsere Sklaven, heute sind es die Die PDS hatte sich mit einem eigenen Modell an den Moslems. Dies muss sich ändern. Wir müssen die Debatten beteiligt. Dabei ging es um einen Paradigmen- Ungläubigen bis in die tiefste Hölle treiben. wechsel, weg vom Zerrbild des kriminellen Ausländers, 10716 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Petra Pau (A) der wirtschaftliche Lücken büßt, und hin zu einem Bür- marktpolitischen Interessen der Bundesrepublik(C) gerrecht, mit dem humanen Ansprüchen gefolgt wird. Deutschland. Davon sind wir heute weiter entfernt als 1998 zu Beginn der rot-grünen Ära; denn selbst die wenigen Lichtblicke Die Union hat dafür gesorgt, dass dieses Gesetzesziel im Gesetz sind mitnichten hausgemacht. Die Anerken- tatsächlich zum Inhalt dieses Gesetzes geworden ist. nung nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund zum Bei- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Cornelie spiel ist inzwischen EU-Recht. Andernfalls hätten CDU/ Sonntag-Wolgast [SPD]: Dafür müssen Sie CSU dem sicherlich nicht zugestimmt. sich nicht entschuldigen!) Als sich der vorliegende Kompromiss abzeichnete, – Ich entschuldige mich nicht dafür, Frau Vorsitzende habe ich erklärt, dass unter diesen Umständen kein neues des Innenausschusses. – Die „Tageszeitung“, die Ihnen Gesetz besser wäre als dieses. Das war im Mai, alsnäher steht als uns, Bündnis 90/Die Grünen zu einem letzten Kraftakt aus- holten und aus den Verhandlungen mit der CDU/CSU (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE ausstiegen. Letztendlich, liebe Kolleginnen und Kolle- GRÜNEN]: Das kann nicht sein!) gen von den Grünen, war es aber eine Befreiungstat für schreibt zu Recht in der Ausgabe vom 18. Juni – das Otto Schily, weil er von da ab in den Verhandlungen un- sollten Sie ernst nehmen –, ter seinesgleichen war. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- NEN]: Herr Bosbach liest die „Welt“!) tionslos]) dass das heute zu verabschiedende Gesetz mit den ur- Aber auch die Drohung, den grünen TÜV anzurufen, en- sprünglichen Zielen des rot-grünen Zuwanderungsgeset- dete als Fehlanzeige. Nun liegt das Gesetz mit all seinem zes nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat. Rost und seinen Macken vor uns. (Zurufe von der CDU/CSU: Gott sei Dank! – (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo die Frau Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Pau Recht hat, hat sie Recht!) GRÜNEN]: Warum sind Sie dann so sauer?) Noch ein Wort zu uns und unserem Selbstverständnis. In der Tat: Rot-Grün hat sich entscheidend auf die Heute, um 13.29 Uhr, haben Frau Dr. Lötzsch und ich Union zubewegt. Unsere Linie, den Zusammenhang das Ergebnis auf den Tisch bekommen. Die vom Innen- zwischen Zuwanderung, Integration, Arbeitsmarkt, un- minister in der vergangenen Woche in der Pressekonfe- seren humanitären Verpflichtungen und innerer Sicher- renz versprochene sofortige Zuleitung an das Parlament heit beizubehalten, hat sich durchgesetzt. Rot-Grün (B) (D) hat zumindest für die PDS im Bundestag bis zu dieser musste erkennen, dass es für das Ziel einer multikultu- Minute nicht stattgefunden. Wir waren also darauf ange- rellen Einwanderungsgesellschaft keine gesetzgeberi- wiesen, uns über die Presse und über Gespräche mit Kol- sche Mehrheit und – das ist viel wichtiger – keine politi- leginnen und Kollegen zu informieren. sche Mehrheit in Deutschland mehr gibt. Die PDS im Bundestag lehnt dieses inhumane Gesetz (Beifall bei der CDU/CSU) ab. Es ist weder modern noch human. Es bleibt weit un- So wie die Union das rot-grüne Doppelpassprojekt ter dem Niveau dessen, was zum Beispiel in Mecklen- 1999 gestoppt hat, so hat die Union jetzt ein rot-grünes burg-Vorpommern und in Berlin zwischen Rot-Rot ver- Zuwanderungserweiterungsgesetz gestoppt. Das lange einbart wurde. und harte Verhandeln der Union hat sich gelohnt, vor al- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- lem was die Bestimmungen des Gesetzes für mehr Inte- tionslos]) gration, auch verpflichtender und nachholender Integra- tion, und für mehr Sicherheit anbelangt. Nachdem er in dieser Debatte nicht das Wort ergreift, möchte ich na- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: mens unserer Fraktion dem bayerischen Innenminister Das Wort hat jetzt der Abgeordnete HartmutDr. Günther Beckstein, aber auch seinen Mitarbeitern Koschyk. sehr herzlich dafür danken, dass sie den beim Spitzenge- spräch der Parteivorsitzenden von CDU und CSU mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dem Bundeskanzler erzielten Kompromiss in ein für die Union zustimmungsfähiges Gesetz umgesetzt haben. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute zu verabschiedende Gesetz dient gemäß sei- Für uns, lieber Kollege Beck vom Bündnis 90/Die nem § 1 – es lohnt sich, den Wortlaut zu zitieren – „der Grünen, bleibt der Zusammenhang von Zuwanderung Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern und innerer Sicherheit unauflösbar. Es ist vor allem der in die Bundesrepublik Deutschland“. Es heißt dort wört- jetzt ausgehandelte Sicherheitsgewinn im künftigen lich weiter: Ausländerrecht, der entscheidend für die heutige Zu- stimmung von CDU und CSU zu diesem Gesetz ist. Es ermöglicht und gestaltet Zuwanderung unter Be- rücksichtigung der Aufnahme- und Integrationsfä- Wir haben übrigens auch dafür gesorgt, dass, wie von higkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeits-der Justiz gefordert, erste Konsequenzen aus dem unsäg- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10717

Hartmut Koschyk (A) lichen Fischer/Volmer-Erlass des Auswärtigen Amtes (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da gibt (C) gezogen werden. es nicht einmal Beifall von der Fraktion der CDU/CSU!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das musste auch noch untergebracht werden!) Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben die Vorgänge um die König-Fahd-Akademie zum Anlass genommen, eine Im Kölner Schleuserprozess – hören Sie gut zu! – kam Anhörung des Bundestagsinnenausschusses über isla- die Justiz zu dem Ergebnis, dass das Fehlen einer Viel- mistische Einflüsse auf dieGesellschaft und ihre Aus- einlader-Warndatei neben der fragwürdigen Visaertei- wirkungen auf Integration und Sicherheit zu beantragen, lungspraxis deutscher Botschaften in den GUS-Staaten die im September dieses Jahres stattfinden wird. aufgrund des Fischer/Volmer-Erlasses die massenhaften gewerbsmäßigen Schleusungen durch die im Prozess Das heute zu verabschiedende Gesetz ist das Ergebnis Beschuldigten erheblich erleichtert habe. eines langwierigen und zähausgehandelten politischen Kompromisses. In diesem Gesetz werden im Interesse (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE unseres Landes und seiner Bürger – deutscher wie nicht GRÜNEN]: Wechseln Sie einmal die Schall- deutscher Bürger – die Steuerung und Begrenzung der platte!) Zuwanderung, die Integration der Neuzuwanderer, aber Unsere Fraktion hat bereits 1999 hier im Deutschenauch die nachholende Integration der bereits hier leben- Bundestag unter Federführung des Kollegen Erwinden Ausländer ebenso geregelt wie unsere humanitären Marschewski einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer Verpflichtungen gegenüber Verfolgten und Bedrängten derartigen Warndatei eingebracht. Seinerzeit haben Sie sowie unverzichtbare Sicherheitsaspekte der Zuwande- diesen Gesetzentwurf abgelehnt. Jetzt haben wir in den rung nach Deutschland. Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz wieder einen Das, was aus der Sicht der Union in diesem heute zu Gesetzentwurf für eine solche Datei vorgelegt. Sie haben verabschiedenden Gesetz nicht befriedigend geregelt ist, sich jetzt endlich bereit erklärt, eine solche dringend er- bleibt auf der politischen Tagesordnung, sodass wir, der forderliche Warndatei auf nationaler Ebene einzuführen, Deutsche Bundestag, beim Thema Zuwanderung auch in falls sie auf europäischer Ebene bis 2006 nicht zustande Zukunft gefordert bleiben werden. kommt. Herzlichen Dank. Was die Schaffung eines polizeilichenAbwehrge- wahrsams für nicht abschiebbare Topgefährder anbe- (Beifall bei der CDU/CSU) langt – Bundesinnenminister Schily hatte dies unter dem Begriff der Sicherungshaft vorgeschlagen –, so werden Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (B) wir den Bundesinnenminister, aber auch den Kollegen Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister des In-(D) Wiefelspütz von der SPD beim Wort nehmen. Beidenern, Otto Schily. haben gefordert, dass dieses Thema auch nach dem Kompromiss des Zuwanderungsgesetzes auf der Tages- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ordnung bleibt und dass in einem gesonderten Gesetzge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bungsverfahren dieses notwendige Instrument für mehr Sicherheit geschaffen werden muss. Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- (Beifall des Abg. Erwin Marschewski [Reck- gen! Ich habe allen Reden aufmerksam zugehört, da ich linghausen] [CDU/CSU]) die Erwartung habe, dass alle – mit Ausnahme von Frau Wir bieten Ihnen, Herr Bundesminister Schily, an, ge- Kollegin Pau – dem Gesetzentwurf zustimmen werden. meinsam mit Ihnen einen Gesetzentwurf zu erarbeiten Es liegt in der Natur der Sache, dass diejenigen, die sich und in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren auch am schwersten getan haben, dem Gesetz ihre Zustim- notwendige verfassungsrechtliche Fragen zu klären. mung zu verleihen, am weitläufigsten argumentieren, was ihnen alles an Veränderungen an der ursprünglichen (Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Fassung gelungen sei. Ich will das jetzt nicht im Einzel- Ohne Herrn Beck!) nen diskutieren. Ich meine, wenn sich alle als Gewinner Nach dem nun erzielten Kompromiss besteht für uns, sehen, muss das Ergebnis gut sein. das Parlament, kein Anlass, dass wir uns beim Thema (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zuwanderung selbstgefällig zurücklehnen. Zum einen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der müssen wir die strikte Umsetzung des Gesetzes im Auge FDP) behalten, zum anderen müssen wir aber auchFehlent- wicklungen bei der Integration in Deutschland lebender Das Gesetz ist vor allem ein Gewinn für unser Land, Ausländer erkennen und benennen. Ich nenne als einfür Deutschland. gravierendes Beispiel die Vorgänge um die König-Fahd- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Akademie in Bonn-Bad Godesberg. Ich meine, diese Bildungseinrichtung hat sich als ein institutioneller Hort Es stärkt unsere Position im internationalen Wettbewerb von Desintegration in Deutschland erwiesen. Ich habe um die besten Köpfe und dient den wirtschaftlichen Inte- überhaupt kein Verständnis dafür, dass man aus falscher ressen unseres Landes. Es mildert die Folgen der demo- außenpolitischer Rücksichtnahme diese Einrichtung graphischen Entwicklung – der neu gewählte Bundes- nicht schnellstens schließt. präsident hat uns gerade heute gemahnt, diese 10718 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Bundesminister Otto Schily (A) Entwicklung ernst zu nehmen –, es bremst den Zuzug in Meine Damen und Herren, selbstverständlich – das(C) die sozialen Sicherungssysteme und es gibt uns die Mög- gehört zum Wesen eines Kompromisses – hat jede Seite lichkeit, mit menschlichen Schicksalen auch menschlich Zugeständnisse machen müssen. Das mag der eine umzugehen. Es verbessert die Integration all derer, die triumphal und der andere nüchtern feststellen; es verrin- zu uns kommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Nicht gert den Wert des Kompromisses und des Reformprojek- zuletzt erhöht es die Sicherheit unseres Landes, indem es tes jedoch nicht, jene, die hier Unfrieden stiften und Hass säen wollen, in die Schranken weist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil in den Verhandlungen – das gestehe ich durchaus Meine Damen und Herren, ich zögere nicht mit fol- zu – auch Verbesserungen des ursprünglichen Entwurfs gender Aussage: Wie schon die Reform des Staatsange- erreicht worden sind. hörigkeitsrechtes ist auch das Zuwanderungsrecht eine historische Zäsur. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Allen, die konstruktiv an dem Gesetzesvorhaben mit- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des gewirkt haben, sage ich ausdrücklich Dank. Allen voran Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) danke ich dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, Es ist ein weiterer Schritt Deutschlands zu einem moder- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was hat der nen, freiheitlichen Staat mit einer weltoffenen Gesell- damit zu tun?) schaft in einem vereinten Europa. Europäische Ge-dass er in der Schlussphase, als die Verhandlungen über schichte war und ist auch Migrationsgeschichte; dasden Gesetzentwurf zu scheitern drohten, in den von ihm haben manche nicht mehr erkennen können. Sie reicht geführten Spitzengesprächen die letzten Stolpersteine von der Völkerwanderung bis hin zum Massenexodus in beiseite geräumt hat. – Herr Kollege Koschyk, ohne die die neue Welt im 19. Jahrhundert und endet nicht mitMitwirkung des Bundeskanzlers wäre der Kompromiss den Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen des ver- nicht zustande gekommen. gangenen Jahrhunderts. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Heute ist Europa für Menschen aus aller Welt Anzie- DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/ hungspunkt, aber auch Zufluchtsort geworden. Wie viele CSU]: Das hätten Sie auch alleine hingekriegt! andere europäische Länder ist Deutschland vom Aus- Dafür hätten wir den Schröder nicht ge- wanderungsland zum Einwanderungsland geworden. braucht!) Wenn wir uns die konkrete Situation von Einwanderern, (B) die in unser Land kommen, vor Augen führen und uns Meiner eigenen Fraktion, insbesondere Dieter(D) damit beschäftigen, dann ist es vielleicht hilfreich, sich Wiefelspütz, möchte ich ebenfalls Dank aussprechen. Ih- an die Situation deutscher Auswanderer bzw. Einwande- nen danke ich für Ihre übergroße Geduld sowie für die rer in andere Länder zu erinnern. stets vorhandene Kompetenz in allen Sachfragen. Das neue Zuwanderungsgesetz, meine Damen und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herren Kollegen, ist Ausdruck der Erkenntnis, dass es in DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Deutschland seit vielen Jahren Zuwanderung gibt und FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das auch in Zukunft geben wird. Es markiert damit eine heißt viel!) Grenze. Hinter diese Erkenntnis werden wir nie wieder Ich nehme für die sozialdemokratische Fraktion in An- zurückfallen. spruch, die vernünftigste unter allen beteiligten gewesen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin zu sein. Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ NEN]) CSU – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wo der Es ist Ausdruck der Erkenntnis, dass die Politik diese Mann Recht hat, hat er Recht!) Tatsache nicht ignorieren kann, sondern die Realität ak- Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für die sozialde- tiv gestalten muss. mokratischen Innenminister, die sich in der Arbeits- gruppe für das nun vorliegende Ergebnis eingesetzt ha- Der parteiübergreifende Konsens bzw. die parteiüber- ben, also die Kollegen Buß, Behrens, Zuber, Thimm und greifende Einigung auf den Gesetzestext ist auch ein po- Körting. Ebenso danke ich unserem Koalitionspartner, sitives Zeichen politischer Vernunft. Ich bin sehr froh der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen darüber, dass wir für das Reformvorhaben einen so brei- ten Konsens gefunden haben, weil damit das Thema Zu- (Peter Müller, Ministerpräsident [Saarland]: wanderung der polemischen, bisweilen sogar demagogi- Aber verhalten!) schen Überspitzung entzogen wird. Wie Herr Kollege Stadler richtig gesagt hat: Es kehrt ein Stück Rationalität – nein! –, dass er sich dem Kompromiss nicht verweigert in die Debatte ein. Auch das werden wir hoffentlich so hat, obwohl ihm – das muss man anerkennen – das an weiterführen. der einen oder anderen Stelle nicht leicht gefallen ist. – Herr Kollege Müller, ich möchte Ihnen hier deutlich wi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dersprechen. Es stimmt zwar, dass zum Schluss nur noch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir, Sie, Herr Beckstein und ich, verhandelt haben; das Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10719

Bundesminister Otto Schily (A) war auch ganz gut so. Aber Sie können sicher sein, dass dessen Ausdauer und fachlich ausgezeichnete Arbeit ich (C) auch in dieser Phase dieKolleginnen und Kollegen der hier in besonderer Weise loben möchte. Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eng einbezogen (Beifall im ganzen Hause) waren. Sie sollten also keine Legenden in die Welt set- zen. In Anbetracht der beschränkten Redezeit kann ich nur auf wenige, ausgewählte Punkte des Gesetzgebungsvor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ habens noch einmal eingehen. DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Virtuell waren sie dabei!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Nein, nicht nur virtuell! Ich habe sehr gute und hilfrei- – Ich sehe, wie Sie das quittieren. Vielleicht könnte man che Gespräche führen dürfen, für die ich mich ausdrück- in der Geschäftsordnung künftig vorsehen, die Redezeit lich bedanke. proportional zur Beratungsdauer eines Gesetzes festzule- gen. (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Jetzt nicht anfangen zu lachen!) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ Auch der FDP, insbesondere dem Kollegen Stadler, CSU und der FDP – Wolfgang Bosbach [CDU/ danke ich für die stetige, uverlässigez und konstruktive CSU]: Dann könnte die Sommerpause ausfal- Mitarbeit. len!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will versuchen, die vier Kernbereiche dieses Ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der setzes – Arbeitsmigration, humanitäre Regelungen, Inte- FDP) gration und Sicherheit – anhand einiger Beispiele zu il- lustrieren. Die entscheidende Frage ist doch nicht, ob Ich glaube, Herr Stadler hat in diesem Zusammenhang man irgendwo im Gesetzblatt etwas nachlesen kann, ein besonderes, persönliches Lob verdient. Ich bedanke sondern: Was wird besser für die Menschen, was wird mich auch für die freundlichen Worte an meine Adresse. besser für unser Land? Da ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, kann ich auch Erstens: Arbeitsmigration. Zunächst einmal ist die Ihnen von der CDU/CSU ein Lob nicht ersparen; Möglichkeit für hoch qualifizierte Menschen, nach (Lachen bei der CDU/CSU) Deutschland zu kommen, zu erwähnen. Entgegen man- chen Gerüchten, die immer wieder verbreitet werden, denn dass Sie sich zu dem Kompromiss durchgerungen zählt Deutschland zu den attraktivsten Ländern. Der (B) haben, ist für Sie sicherlich keine einfache Übung gewe- hohe Lebensstandard, Wohlstand und Sicherheit, eine(D) sen. Vielen Dank auch an Herrn Ministerpräsidentendichte, reiche Forschungslandschaft, weltweit führende Peter Müller und den Kollegen Beckstein. Industrieunternehmen und nicht zuletzt die Offenheit ge- genüber fremden Kulturen, das sind wirklich hervorra- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie gende Argumente im Wettbewerb um die weltweit bes- bei Abgeordneten der FDP) ten Köpfe. Das darf durch bürokratische Hürden nicht Vielleicht verdienen diejenigen am allermeistenkonterkariert werden. Dank, die sich in den gesellschaftlichen Gruppen in den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verschiedenen Bereichen aktiv für dieses Projekt einge- DIE GRÜNEN) setzt haben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal an die großartige Arbeit der Kommission unter dem Vorsitz Aber was macht beispielsweise der international an- von Frau Kollegin Professor Süssmuth gesehene Neurowissenschaftler aus Russland, der nach Berlin kommen möchte, um an der Freien Universität (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ eine Forschungsgruppe zu leiten? Seine Frau ist als DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sprachwissenschaftlerin tätig, seine beiden Töchter sind FDP – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: 16 und 17 Jahre alt. Nach geltendem Recht konnte ihm Keine Hand rührt sich bei der CDU/CSU!) nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis gewährt werden. sowie an den Einsatz der Kirchen erinnern. Es hat mich Der Arbeitsmarktzugang der Ehefrau war nur nach einer sehr gefreut, dass ich jetzt gerade aus dem kirchlichen Wartezeit von einem Jahr möglich und die Töchter durf- Bereich viel Post und viele mündliche Erklärungen er- ten gar nicht erst mit nach Deutschland kommen, da sie halte, in denen uns allen zu diesem Erfolg gratuliertdas bisherige Höchstalter für den Familiennachzug über- wird. Ich bedanke mich außerdem für die Unterstützung schritten hatten. der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Kommunen. (Jörg Tauss [SPD]: Das war CDU-Recht!) Ich glaube, dass gar nicht genug hervorgehoben werden kann, was an Unterstützung von den Gruppierungen ein- Das waren nicht gerade attraktive Aussichten für einen schließlich der humanitären geleistet worden ist. hoch qualifizierten Wissenschaftler und deshalb würden wir im Wettbewerb unterliegen. In Zukunft aber kann er Erlauben Sie mir ebenfalls, einen besonders herzli- sofort einen Daueraufenthaltstitel in Form einer Nieder- chen Dank an diejenigen zu richten, die wirklich heraus- lassungserlaubnis erhalten. Seiner Frau wird die Er- ragende Arbeit geleistet haben. Das ist das Dream-Team werbstätigkeit sofort gestattet und die Töchter dürfen na- unter Leitung von Dr. Lehnguth in meinem Ministerium, türlich mit nach Deutschland kommen, weil wir für 10720 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Bundesminister Otto Schily (A) Hochqualifizierte auch den Kindernachzug verbessert (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea (C) haben. Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich bin wirklich froh darüber, dass es uns gelungen ist, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gerade für solche Menschen die Möglichkeit eines ver- CDU/CSU und der FDP) lässlichen Aufenthaltsstatus zu schaffen. Das ist ein gro- ßer Schritt nach vorne. Da ist jetzt also der rote Teppich ausgerollt. Ich hoffe, dass viele ihn beschreiten werden. Das gilt nicht nur für die nicht staatliche Verfolgung, sondern auch, wie der Kollege Beck richtig hervorgeho- Ebenso erhält die brasilianische Studentin, die ihr Ar- ben hat, für die geschlechtsspezifische Verfolgung. chitekturstudium an der Rheinisch-Westfälischen Tech- Wenn man an solche Verfolgungsschicksale denkt, dann, nischen Hochschule in Aachen mit Bravour beendet hat, glaube ich, ist ein Moment des Innehaltens notwendig. nun eine Perspektive, da sie bei einem Architekturbüro Man muss sich klar machen, was durch das Gesetz für eine Festanstellung erhalten könnte. Bisher hätte siesolche Menschen in der konkreten Situation an neuen nach Abschluss ihres Studiums das Land verlassen und Zukunftsperspektiven bewirkt wird. nach Brasilien zurückkehren müssen. In Zukunft darf sie die Beschäftigung in Deutschland annehmen. Sie erhält Dass wir die Kettenduldungen, die mit Recht immer sogar ein Jahr lang Zeit, sich einen entsprechenden Job als besonders schlimmer Zustand angeprangert wurden, zu suchen. Es wird unserem Land gut tun, dass wir hoch abschaffen, ist, finde ich, ein großer Fortschritt. qualifizierte Studentinnen und Studenten nicht nach (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hause, zum Beispiel nach Übersee, schicken müssen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU und der FDP) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ich will auch die wichtige Verbesserung ansprechen, CDU/CSU und der FDP) die im Gesetz in Form der Härtefallregelung vorgese- hen ist. Ich teile die Auffassung, dass wir keine neue Ge- Das wird sich positiv auswirken. richtsinstanz schaffen sollten. Aber die Härtefallrege- Mit dem Zuwanderungsgesetz wird Deutschland für lung wurde gerade von Kirchen und von humanitären hoch qualifizierte Ausländerinnen und Ausländer, dieOrganisationen immer wieder eingefordert. Wir alle ken- hier leben und arbeiten wollen, deutlich attraktiver. Das nen die Fälle, in denen der Wortlaut des geltenden Ge- gilt auch für Selbstständige, deren Zuzug und Aufenthalt setzes nicht zu einem tragbaren Ergebnis führt. Ich erstmals gesetzlich geregelt wird. schließe mich dem Appell an, dass die Länder von dieser (B) Möglichkeit auch Gebrauch machen. Ich weiß, Herr(D) Wir haben bei der Arbeitsmigration im Übrigen auch Kollege Müller, dass ich an Sie nicht appellieren muss; dafür gesorgt, dass niemand, der in Deutschland Arbeit denn in Ihrem Landtag gibt es schon einen einstimmigen sucht, zurückgesetzt wird. Niemand braucht in Deutsch- Beschluss, nach dem eine solche Härtefallregelung ge- land Angst vor neuer Konkurrenz zu haben. Wir haben schaffen werden soll. das Vorrangprinzip für alle in Deutschland Lebenden im Gesetz, übrigens in der Ursprungsfassung, sichergestellt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Deshalb ist jegliche Propaganda, es werde etwas zulas- Rachel [CDU/CSU]) ten des deutschen Arbeitsmarktes bewirkt, falsch. Wir Den dritten Punkt, die Integration, will ich nur kurz tun etwas für den Arbeitsmarkt, weil Weltoffenheitansprechen. Hierbei muss ich schon besonders hervorhe- – nicht das Gegenteil – die Wirtschaft fördert. ben, dass wir als Bund sehr viel an Kosten auf uns ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nommen haben. Der Bund, der nicht der in erster Linie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der für die Integration Verantwortliche ist, nimmt hier eine FDP) große Kostenlast auf sich. Das ist ein großzügiges Ange- bot, ohne das der Weg zu einem Kompromiss nicht ge- Zweitens. Auch bei denhumanitären Regelungen ebnet worden wäre. Herr Kollege Eichel ist zwar nicht konnten wir nach Überwindung mancher Kontroversen mehr im Hause, aber ich möchte mich bei ihm doch sehr schließlich für eine Vielzahl erheblicher Verbesserungen dafür bedanken, dass er daran mitgewirkt hat, dass das sorgen. Ein Beispiel ist der Fall einer 17-jährigen Frau, Ganze ermöglicht wird. die mit viel Glück in letzter Sekunde dem Gemetzel riva- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef lisierender Clans in Somalia entkommen konnte. Eine Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anerkennung als Flüchtling mit einem entsprechenden NEN]) Status war in Deutschland bisher nicht möglich. Nach dem Zerfall der staatlichen Institutionen und der funktio- Ich bin in diesem Punkt ganz bescheiden und sage: nierenden Zentralgewalt fehlte das Merkmal der staatli- Was wir in dem Bereich jetzt an Kursangeboten zur Ver- chen Verfolgung. Es konnte nur eine Duldung erteiltfügung stellen werden, in erster Linie für die Neuan- werden. Diese junge Frau lebte in einem Zustand der be- kömmlinge, aber in einem bestimmten Ausmaß auch für ständigen Unsicherheit über ihre Zukunft. Was das ge- die so genannten Bestandsausländer – das sind solche rade für die Seele eines jungen Menschen bedeutet, kann Ausländer, die schon hier sind –, ist nicht mehr, aber man nur nachvollziehen, wenn man versucht, sich daauch nicht weniger als der Einstieg in eine systematische einmal mit der notwendigen Empathie hineinzufühlen. Integrationspolitik, die jahrelang versäumt worden ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10721

Bundesminister Otto Schily (A) Wir dürfen einigermaßen stolz darauf sein, dass wir da- Zuwanderung aktiv gestalten müssen und Deutschland(C) mit beginnen. zu einem weltoffenen, modernen Land herausputzen müssen. Das Gesetz bietet dafür eine gute Basis. Des- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ halb bitte ich um Ihre Zustimmung. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir sind damit auch nicht am Ende. Wir haben in dem DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Gesetz vorgesehen, dass diese konzeptionelle Arbeit un- CDU/CSU und der FDP) ter Führung des künftigen Bundesamtes für Migration, dem ich für seine neue Aufgabe viel Glück wünsche, fortgesetzt wird. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt noch einmal für den Bundesrat der Viertens: Ein Wort zur Sicherheit. Ich glaube nicht, Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller. dass man die Sicherheit vernachlässigen darf. Die Si- cherheitsaspekte gehören selbstverständlich dazu. Peter Müller, Ministerpräsident (Saarland): (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Selbst- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und verständlich!) Herren! Die Ausführungen des Bundesministers des In- Ich habe eine Umfrage gelesen, nach der die Bevölke- nern veranlassen mich aus Sicht der Länder und auch aus rung zu 80 Prozent der Meinung ist, dass auch die Si- Sicht der Unionsseite, noch einmal das Wort zu nehmen cherheitsgesichtspunkte im Ausländerrecht angemessen und einige Anmerkungen anzufügen. berücksichtigt werden müssen. Sie haben Recht, meine Erstens nehme ich mit Freude zur Kenntnis, dass, Damen und Herren. nachdem die Koalition die Debatte zu Beginn ausgespro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der chen konfrontativ geführt hat, CDU/CSU) (Jörg Tauss [SPD]: Herr Bosbach war auch Deshalb ist es sinnvoll, dass wir uns in mühsamen De- nicht schlecht!) batten auf vernünftige Regelungen haben einigen kön- Ihr Beitrag, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, nen. durch das Bemühen geprägt war, die Gemeinsamkeiten Zum Teil haben sie rein deklaratorischen Charakter; des Kompromisses darzustellen. Insofern haben Sie dazu das muss ich hervorheben: Die Regelung bezüglich der beigetragen, die Diskussion auf Rationalität und Sach- Hassprediger, die wir gebilligt haben und heute mitbe- lichkeit zurückzuführen. schließen werden, ist nur eine Konkretisierung des schon (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) jetzt geltenden Rechtszustandes, NEN]: Was wollen Sie uns denn sagen?) (D) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!) Ich glaube, dass dies positiv, notwendig und auch der Sa- dass Personen, die eine Gefahr für die innere Sicherheit che angemessen ist. Es war wohltuend, zu sehen, dass in unseres Landes darstellen, selbstverständlich unser Land der Koalition neben Eiferertum am Ende doch auch eine verlassen müssen. Hierbei handelt es sich also um die deutliche Tendenz zu der Haltung erkennbar war, einen Konkretisierung eines schon allgemein geltendenausgehandelten Kompromiss gemeinsam zu vertreten. Grundsatzes. Ich möchte dabei schon einmal die Länder (Beifall bei der CDU/CSU) erinnern: Wenn es ein Gesetz gibt, müssen sie davon auch Gebrauch machen. Zum Zweiten möchte ich, da Sie, wie ich meine, zu Recht, Dankadressen an eine Reihe von Beteiligten ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten richtet haben, von meiner Seite aus auch ein ausdrückli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der ches Wort des Dankes an Sie richten. Sie waren in die- FDP) sen langwierigen Verhandlungen für uns ein manchmal Vielleicht ist in der Vergangenheit an der einen oder an- hartnäckiger, manchmal schwieriger, aber immer ein deren Stelle versäumt worden, den Vollzug des Gesetzes verlässlicher und einigungsorientierter Gesprächspart- durchzusetzen. ner. Auch das war eine Voraussetzung dafür, dass der Kompromiss zustande kommen konnte. Dafür herzli- Meine Damen und Herren, dieses Gesetz hat – wenn chen Dank! man so will – einen langen Leidensweg bzw. einen lan- gen Arbeitsweg hinter sich. Es wurden sehr mühevolle, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sehr anstrengende, zum Teil vielleicht auch zu Melan- neten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE cholie Anlass gebende Gespräche geführt. Gleichwohl GRÜNEN und der FDP) sage ich: Nach diesen ungewöhnlich langen und äußerst Ich glaube aber, dass der Dank unvollkommen wäre, schwierigen Verhandlungen verwirklichen wir heute ein wenn wir ihn nicht auch anandere, die bisher nicht ge- bedeutendes Reformprojekt, das sich dann in der Praxis nannt worden sind, adressieren würden. Ich möchte in – das haben viele gesagt; das haben Herr Bosbach, Herr diesem Zusammenhang einen Dank insbesondere an die Beck und Herr Müller gesagt – bewähren muss. Es kann Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion richten, sogar sein – das schließe ich nicht aus –, dass sich erwei- die der Verhandlungsgruppe des Bundestages angehört sen wird, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch haben einmal nachjustieren müssen. Es besteht aber seit Jahren ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass wir (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: An alle?) 10722 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Ministerpräsident Peter Müller (Saarland) (A) – ja, an alle –, in Sonderheit an den Kollegen Bosbach, der schulischen Angebote werden von den Ländern ge- (C) der in besonderer Weise bereit war – das sollte in diesem tragen. Deshalb glauben wir, dass es eine faire Kosten- Hause anerkannt werden –, unter Hintanstellung persön- verteilung ist, wenn die Kosten der Integrationskurse licher Interessen und Anliegen an der Herbeiführung ei- vom Bund übernommen werden. nes Kompromisses mitzuwirken. Dafür ein herzliches Herr Bundesinnenminister, in einem Punkt haben wir Dankeschön! eine unterschiedliche Auffassung – das will ich noch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie einmal sagen –: in der Frage, inwieweit die Zuwande- bei Abgeordneten der SPD) rung einen Beitrag zur Lösung der Probleme durch die demographische Entwicklung leisten kann. Ich will Ich möchte zu dem, was Sie, Herr Bundesinnenminis- gar nicht wiederholen, was schon gesagt worden ist; ich ter, bezüglich des Dankes an den Bundeskanzler gesagt will nur auf einen Punkt hinweisen: Wenn in der Vergan- haben, eine Bemerkung machen. Der Bundeskanzler hat genheit die Zuwanderung in die Bundesrepublik keine Selbstgespräche geführt; an diesen Gesprächen Deutschland nicht in den Arbeitsmarkt stattgefunden waren andere beteiligt. Vielleicht hat er im Rahmen die- hat, sondern in die sozialen Sicherungssysteme, ser Gespräche ja wirklich einen Beitrag zum Gelingen des Projektes geleistet. Er hat nämlich dafür gesorgt, (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: dass am Ende des Prozesses der Ausgestaltung des Ge- Nicht nur!) setzes diejenigen verhandelt haben, die schon vor drei dann zeigt dies, dass mit einer solchen Art der Zuwande- Jahren in bayerischen Klöstern zusammen waren, um rung Probleme, auch demographische Probleme, nicht über dieses Thema zu reden: gelöst, sondern verschärft werden, (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist mir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neu!) und dass Zuwanderung gesteuert und begrenzt werden Es war das Trio Beckstein, Müller und Schily. muss. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört! – (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Geheimver- GRÜNEN]: Ihre Redezeit muss auch deutlich handlungen! Am Parlament vorbei!) begrenzt werden!) Dieses Trio hat erfolgreich gearbeitet. Die Grünen waren Sicherlich haben wir eine Reihe von humanitären nicht mit am Tisch, auch nicht – ich habe mich vergewis- Verbesserungen erreicht. Ich will aber an dieser Stelle in sert – unter dem Tisch. aller Offenheit Folgendes sagen: Wir werden die huma- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nitären Probleme nicht ausschließlich auf dem Boden (D) der Bundesrepublik Deutschland lösen können. Viele Insofern mag der Bundeskanzler wirklich einen Beitrag humanitäre Probleme werden nur in den Heimatländern zum Gelingen des Projektes geleistet haben. der betroffenen Menschen gelöst werden können. Wir Ich will keine qualifizierende Bemerkung zu dem ma- müssen nicht nur die Frage beantworten, wie wir die hu- chen, was Sie gesagt haben mit Blick auf das Maß anmanitäre Zuwanderung gestalten werden, sondern wir Vernunft, das in dieser Debatte von Ihnen in Ihrer Partei müssen auch dafür Sorge tragen, dass die Menschen, die verortet worden ist. Eines wird man mit Sicherheit sagen aufgrund von Chaos, Anarchie und Verfolgung gezwun- können: Im Laufe der Debatte ist eine ganze Menge an gen sind, zu flüchten, irgendwann einmal in ihre befrie- Vernunft angenommen worden – verehrter Herr Bundes- deten Heimatländer zurückkehren können. Der Bereich außenminister, schön, dass auch Sie da sind –, was sich der humanitären Zuwanderung ist deshalb mit der Ent- daran zeigt, dass eine ganze Reihe von zentralen Forde- wicklungspolitik und der Entwicklungshilfe eng verbun- rungen der Union übernommen worden ist. Lieber Herr den. Bundesaußenminister, wir freuen uns darüber; denn im Ich will noch eine letzte Bemerkung machen. Mit Himmel ist über einen reuigen Sünder mehr Freude als dem heutigen Tag wird die Debatte über die Zuwande- über 99 Gerechte. Aufseiten der Koalition scheint es ei- rung nicht zu Ende sein. Viele Probleme sind noch unge- nige reuige Sünder zu geben; das kann nur positiv be- löst. Beispielsweise haben wir die Probleme hinsichtlich wertet werden. der integrationsorientierten Steuerung des Kindernach- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zugs noch nicht gelöst. Ich bin fest davon überzeugt, NEN]: Ist das jetzt Filibustern oder was?) dass es im Interesse der Kinder liegt, wenn wir unsere Zuwanderungsregelungen und die entsprechenden In der Sache selbst will ich noch einmal ausdrücklich Strukturen so gestalten, dass diese Kinder so frühzeitig anerkennen, Herr Bundesinnenminister, dass die Kosten zu uns kommen, dass sie unsere Schulen besuchen kön- der Integrationskurse künftig vom Bund übernommen nen, eine gute Schulausbildung bekommen und auf die- werden. Aus Sicht der Länder will ich nur darauf hin- ser Grundlage eine gute Chance auf Integration und auf weisen – das gehört eben auch zu einer Debatte –, dass einen Beruf in unserer Gesellschaft haben. natürlich der Hauptteil der Integrationskosten in der Ver- gangenheit von den Ländern getragen wurde, was auch (Beifall bei der CDU/CSU) in der Zukunft der Fall sein wird: Die Kosten der Unter- Ich sage zum Schluss: kunft, der Lebenshaltung, der Zur-Verfügung-Stellung von Kindergartenplätzen, der Zur-Verfügung-Stellung (Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10723

Ministerpräsident Peter Müller (Saarland) (A) Dieses Gesetz ist ein Kompromiss, der die Handschrift zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (C) der Union trägt. (… HRGÄndG) (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Drucksache 15/1498 – DIE GRÜNEN: Oh!) (Erste Beratung 69. Sitzung) Dieses Gesetz ist einZuwanderungsbegrenzungs- gesetz. Es macht Schluss mit der Vorstellung, Deutsch- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- land könne zu einer multikulturellen Einwanderungs- ses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- gesellschaft umgestaltet werden. Deshalb ist dieses abschätzung (17. Ausschuss) Gesetz zustimmungsfähig. – Drucksache 15/3475 – (Beifall bei der CDU/CSU) Berichterstattung: Abgeordnete Ute Berg Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Thomas Rachel Ich schließe die Aussprache. Grietje Bettin Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Ulrike Flach Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der schusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Ver- FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist mittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Steue-für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre rung und Begrenzung der Zuwanderung und zur keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst rungsgesetz) Herr Professor Dr. Peter Frankenberg, Minister für Wis- senschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden- – Drucksachen 15/420, 15/522, 15/955, 15/1365, Württemberg. 15/3479 – Berichterstattung: Dr. Peter Frankenberg, Minister (Baden-Württem- Abgeordneter Hans-Joachim Hacker berg): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Der Berichterstatter im Bundesrat ist Ministerpräsi- dent Peter Müller. Herren! Die Veränderung des Verfahrens derHoch- (B) schulzulassung, das heißt die Veränderung des Aus-(D) Wird das Wort zur Berichterstattung oder zu Erklä- wahlrechts der Hochschulen in den so genannten ZVS- rungen gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Studiengängen, also den Studiengängen mit bundeswei- tem Bewerberüberhang, ist aus meiner Sicht ein großer Ich teile Ihnen mit, dass es 18 Erklärungen zur Ab- Schritt nach vorn für die Stärkung der Hochschulauto- stimmung – unter anderem von den Abgeordneten Roth, 1) nomie und dafür, die geeigneten Studierenden auch in Winkler, Tritz, Beck, Müller und Nickels – gibt. diesen Studiengängen für die entsprechenden Studien- Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3plätze zu finden bzw. zu gewinnen. Immerhin können Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im20 Prozent der Studierenden nach Abiturleistung und Deutschen Bundestag gemeinsam über die Änderungen 60 Prozent nach besonderen Auswahlverfahren ausge- abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussemp-wählt werden. 20 Prozent der Studienplätze werden nach fehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache Wartezeit vergeben. Damit wird bundesweit in den be- 15/3479? – Gegenstimmen? – treffenden Studiengängen wie etwa Medizin etwas mög- lich, was weltweit seit jeher üblich ist, und der Anachro- (Zurufe von der SPD: Oh! – Jörg Tauss [SPD]: nismus des bisherigen ZVS-Verfahrens überholt. Die Tapferen! – Otto Fricke [FDP]: Die sind im Gegensatz zu den Grünen ehrlich!) Positiv ist auch, dass das Gesetz, was die Auswahlkri- terien betrifft, nur Regelungsbeispiele enthält, also die Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit fast Option gibt, dies von Land zu Land nach dem jeweiligen allen Stimmen des Hauses gegen zwei Stimmen aus der Landesrecht gemäß den Auswahlkriterien unterschied- Fraktion der CDU/CSU und gegen zwei Stimmen derlich auszugestalten. fraktionslosen Abgeordneten angenommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wie kam es zu der Gesetzesinitiative des Bundes- DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Max rates? – Dahinter standen einige Länder wie Hamburg Stadler [FDP]) und auch Baden-Württemberg, deren Vertreter von der Überzeugung getragen sind, dass das, was international Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: üblich ist, nämlich dass sich Hochschulen ihre Studie- renden selbst auswählen bzw. die Studierenden ihre Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Hochschulen selbst auswählen sollten, in Deutschland eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes ebenfalls üblich sein sollte, und zwar auch in den Stu- diengängen, in denen die Studienplätze jetzt noch im 1) Anlagen 4 bis 9 Rahmen des ZVS-Verfahrens zugeteilt werden. 10724 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Minister Dr. Peter Frankenberg (Baden-Württemberg) (A) Wir haben dann in derKultusministerkonferenz lich. Das, was wir an Einheitlichkeit brauchen, können(C) eine Einigung erzielt. Dies spricht für die KMK, spricht wir durch einen Staatsvertrag regeln. Zu viele Regelun- dafür, dass die Länder durchaus in der Lage sind, ihre gen und Regulierungen behindern den Wettbewerb. Kulturhoheit wahrzunehmen und zu gemeinsamen Rege- Standardisierung führt, wie wir aus der Wirtschaft und lungen zu kommen. Es kamzu einer Gesetzesinitiative aus den Hochschulen wissen, zu Stillstand. Stillstand des Bundesrates, die hier unächstz einmal nicht akzep- darf es aber nicht geben, sondern wir müssen durch eine tiert worden ist. weitgehende Deregulierung, durch eine Rückführung von Regelungen auf das absolut Notwendige, den Wett- (Jörg Tauss [SPD]: Zu Recht!) bewerb weiter entfachen. – Ich begrüße auch Ihren Sinneswandel, Herr Tauss. Das Dann haben wir ein weiteres großes Hindernis: Das entspricht dem Sinneswandel von vielen Vertretern auf ist das Kapazitätsrecht. Das gibt es weltweit nirgendwo der Seite der Regierungskoalition, die ganz zu Anfang so. Wenn wir Elite wollen, müssen wir an Hochschulen des Prozesses immer wieder Argumente gegen eine Aus- Kleingruppen akzeptieren und bessere Betreuungsrela- wahl von Studierenden durch die Hochschulen vorge- tionen rechtlich möglich machen. Dann müssen wir, um bracht haben. ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Mannheim zu zi- (Zuruf von der SPD: Das ist doch gar nicht tieren, das von einer unzulässigen Niveaupflege ausging, wahr!) Niveaupflege an deutschen Hochschulen möglich ma- chen. Dass man einen solchen Satz überhaupt ausspre- Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass sich nun auch in chen muss, zeigt schon, wohin wir mit unseren Regulie- der Regierungskoalition die Erkenntnis durchgesetzt hat, rungen letztlich gekommen sind. dass das, was weltweit gang und gäbe ist, in Deutschland nicht falsch sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Wenn man dies will, braucht man für die Hochschu- Tauss [SPD]: Können Sie das, was Sie da sa- len mehr Mittel. Aber wir alle wissen, dass diese Mittel gen, mit Zitaten belegen?) nicht im Rahmen einer staatlichen Finanzierung zur Ver- fügung stehen. Es ist nicht einzusehen, dass diejenigen, – Herr Tauss, ich habe ein gutes, lange Zeit zurückrei- die letztlich einen großen Vorteil vom Studium haben, chendes Gedächtnis. keinen entsprechenden Beitrag – wenn sie dies von ihrer (Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht auf mich bezo- sozialen Lage her können – leisten. gen!) (Jörg Tauss [SPD]: Da sind wir wieder bei der – Das muss auch nicht sein. Studentensteuer!) (B) (D) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Das heißt, Studiengebühren sind eine unabdingbare Vo- der FDP) raussetzung für eine bessere Finanzierung der Hoch- schulen. Zumindest macht das allgemeine Studiengebüh- Der Streit über die Frage, ob in diesem Gesetz dierenverbot im HRG überhaupt keinen Sinn. Worte „bis zu“ stehen sollten oder nicht, zeigt, dass wir offenbar wenig Zutrauen in die Institutionen haben, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ein solches Gesetz durchführen. Die entsprechende Li- Es macht genauso wenig Sinn, eine verfasste Studie- beralität hätte man durchaus an den Tag legen können. rendenschaft im HRG festzuschreiben. Wir stehen übrigens zu den Zusagen, die wir Länder zu dem noch abzuschließenden Staatsvertrag gemacht ha- (Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) ben. Die verfasste Studierendenschaft fördert nicht die Quali- Ich meine, dass der vorliegende Gesetzentwurf zur tät von Forschung und Lehre. Änderung des HRG ein guter Schritt nach vorn ist. Aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und er ist eben nur ein Schritt auf dem Weg in die Deregulie- der FDP) rung des deutschen Hochschulsystems. Das heißt: Um Spitzenhochschulen zu erreichen, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) brauchen wir in erster Linie eine Veränderung der recht- Wir müssen weitere Innovationshemmnisse beseitigen, lichen Rahmenbedingungen und entsprechende Deregu- wenn wir unsere Hochschulen wirklich in die Freiheit, lierungen. Erst die Freiheit von Regelungen setzt jenen das heißt in den Wettbewerb und die Wettbewerbsfähig- Wettbewerb frei, aus dem internationale Spitzenhoch- keit, entlassen wollen. schulen entstanden sind. Harvard ist in einem Wettbe- werb entstanden, und zwar durch Wettbewerb ohne Ein- (Jörg Tauss [SPD]: Dann reformieren Sie ein- fluss der amerikanischen Regierung. Genau diese mal im Wissenschaftsministerium und be- Möglichkeiten müssen wir unseren Hochschulen geben. schleunigen Sie die Zulassung von Studien- – Übrigens wählen natürlich Harvard oder Stanford alle gängen; dann haben Sie schon viel erreicht! – Studierenden in einem sorgfältigen Auswahlverfahren Gegenruf von der CDU/CSU: Herr Tauss, wie aus. – Natürlich müssen tzt je die Professorinnen und wäre es, wenn Sie einmal zuhörten?) Professoren sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Das Hochschulrahmengesetz – das ist eine Aufgabe an unseren Hochschulen Zeit und Energie in die Aus- der Föderalismuskommission – ist eigentlich entbehr- wahl von Studierenden investieren, wie sie überhaupt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10725

Minister Dr. Peter Frankenberg (Baden-Württemberg) (A) manchmal etwas mehr Zeit und Energie für die Studie- und zu den Menschen hin sorgen. Sie sind der Ort, an(C) renden aufwenden sollten. dem sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch Studierende im In- und Ausland ihre Laufbahn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg nicht nur beginnen, sondern oft auch zu Spitzenkarrieren Tauss [SPD]: Da haben Sie Recht!) ausbauen. Es ist nun an den Hochschulen, in den Studiengängen Ich bin davon überzeugt, dass wir die Hochschulen das Beste aus dem Auswahlrecht zu machen, das wir ih- unseres Landes weiter stärken müssen, wenn wir im nen zugestehen. Wettbewerb um die besten Köpfe, um exzellente For- Ich möchte in diesem Zusammenhang abschließend schungsergebnisse und um innovative Produkte interna- denjenigen danken, die es als Mitarbeitende in den Ar- tional konkurrenzfähig bleiben wollen. Mein Ziel sind beitsgruppen ermöglicht haben, dass dieser meiner An- deshalb lebendige und international attraktive Hoch- sicht nach gute Kompromiss – ein Kompromiss mussschulen, an denen hervorragend ausgebildet wird, in de- nicht von vornherein schlecht sein – zustande gekom- nen neue Ideen entstehen und in denen sich Kreativität men ist. Ich danke Herrn Staatssekretär Krebs aus Nord- auch wirklich entfalten kann. Mein Ziel sind Hochschu- rhein-Westfalen, Staatssekretär Catenhusen von derlen, an denen sich Studierende und Wissenschaftler aus Bundesregierung und Ministerialdirektor Fröhlich aus aller Welt wohl fühlen, an denen sie gerne lehren und meinem Hause. forschen und an denen sie Bedingungen vorfinden, die sie zu Höchstleistungen anspornen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD] – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jörg Tauss [SPD]: Ich bin hier der einzige des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Euphoriker!) Ulrike Flach [FDP]: Dann hätten Sie mehr tun müssen, Frau Ministerin!) – Das sind Sie immer, Herr Tauss. Dafür ist in den vergangenen Jahren neben der deutli- Dass es so lange gedauert hat, ist eigentlich entbehr- chen Erhöhung der Finanzierung durch die Bundesregie- lich gewesen. Wir hätten viel früher zu einem solchen rung mit einem Plus von 23 Prozent bereits vieles in Be- Ergebnis kommen können, wenn es auf der Seite der Re- wegung gesetzt worden. Ein Beispiel für notwendige gierungskoalition eine größere Offenheit für die Aus- strukturelle Veränderungen ist das neueBesoldungs- wahl von Studierenden durch die Hochschulen gegeben gesetz, das eine leistungsgerechtere Bezahlung von hätte. Man kann als Fazit festhalten: Was lange währt, Professorinnen und Professoren vorsieht. Ich sage aus- wird endlich gut, auch wenn sich viele lange dagegen drücklich: Ich bedauere sehr, dass die Länder sich offen- gewehrt haben. Ich bitte Sie, der Vorlage zuzustimmen. (B) sichtlich so schwer tun, dieses neue Besoldungsgesetz in (D) Vielen Dank. Landesrecht umzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Weitere Stichworte sind die Einführung der Bachelor- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: und Masterstudiengänge als Regelstudiengänge im Danke schön. – Das Wort hat jetzt die Frau Bundes- Hochschulrahmengesetz, die Einführung der Juniorpro- ministerin Edelgard Bulmahn. fessur oder auch die Programme zur Nachwuchsförde- (Beifall bei der SPD) rung wie zum Beispiel das Emmy-Noether-Programm, das wir gemeinsam mit der Deutschen Forschungsge- meinschaft auf den Weg gebracht haben. Dazu kommen Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Initiativen wie der hoch dotierte Sovja-Kovalevskaja- und Forschung: Preis, mit denen wir exzellente Wissenschaftlerinnen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten und Wissenschaftler aus aller Welt gewinnen konnten, Herren und Damen! Hochschulen sind diezentralen die hier Forschungsgruppen und Forschungsschwer- Schnittstellen zwischen Bildung, Forschung und Inno- punkte aufbauen. vationen. Genau deshalb entscheiden sie in einem ganz bedeutenden Maße über die wirtschaftliche Entwicklung Eine kürzlich erschienene OECD-Studie zeigt, dass unserer Gesellschaft, über ihren Fortschritt und über ih- Deutschland inzwischen zu den Gewinnern der so ge- ren Wohlstand. Sie sind in einer Wissensgesellschaft, in nannten Brain-Circulation gehört. Dazu trägt im Übrigen einer globalisierten Welt sehr wichtig, weil sie einenauch das professionelle Marketing für den Bildungs- und Beitrag zur Entwicklungsfähigkeit und zur SicherungForschungsstandort Deutschland bei, das wir vor vier der Zukunft unserer Gesellschaft leisten. Jahren gestartet haben. Das ist ein Erfolg, der kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hochschulen sind Zentren des grenzüberschreitenden DIE GRÜNEN) Austausches und der internationalen Verständigung. Sie sind Ideenschmieden und Zukunftswerkstätten, die Ant- Diesen Modernisierungskurs und diesen Kurs der worten auf die drängenden Fragen der Zeit geben und Stärkung unserer Hochschulen setzen wir konsequent die für einen schnellen Transfer neuen Wissens undund entschlossen fort. Das heißt vor allem, dass wir den neuer Erkenntnisse in die Gesellschaft, in die Wirtschaft Hochschulen die größtmögliche Autonomie geben. Ich 10726 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) sage ausdrücklich: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass stärkt zu werden und im Wettstreit mit anderen(C) wir den Hochschulen deutlich mehr EigenständigkeitHochschulen eigene Profile entwickeln zu können. und Selbstständigkeit übertragen sollen. Das gilt im Üb- rigen für alle Bildungseinrichtungen. Mehr Autonomie für die Hochschulen bedeutet gleichzeitig aber auch mehr Verantwortung für die Stu- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Dann machen dierenden. Das ist richtig und wichtig, denn dieses Mehr Sie es doch endlich mal!) an Verantwortung unterstützt unser Ziel, eine neue Ver- antwortungskultur zwischen Universität, Hochschule Herr Frankenberg, in dem Zusammenhang muss vor al- und den Studierenden zu schaffen und damit dazu beizu- len Dingen einmal klar und deutlich gesagt werden, dass tragen, Studienberatung, Studienbedingungen und Stu- die meisten Regularien, Vorschriften und Verordnungen dienerfolg zu verbessern. im Landesrecht zu finden sind Herr Frankenberg, Sie sagten: Ich hätte mir auch ge- (Beifall bei der SPD) wünscht, dass dies schneller geschieht. Da stimme ich und dass es den Hochschulen leider nicht hilft, wenn,Ihnen zu. Aber leider haben sich die Länder nicht auf ei- wie zum Beispiel in der HRG-Novelle, das gesamte Ka- nen Vorschlag einigen können. Genau das war unser pitel zur inneren Organisation der Hochschulen gestri- Ziel. Vielmehr wurden vonseiten der Länder zwei unter- chen wird – hier gibt es keine bundesrechtlichen Vor-schiedliche Verfahren vorgeschlagen. Das aber ist weder schriften mehr –, aber die dadurch entstehendenfür die Hochschulen noch für die Studierenden die rich- Freiräume durch Landesrecht detailliert wieder ausge- tige Lösung. füllt werden, sodass die Hochschulen nichts davon spü- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und bei (Beifall bei der SPD und der FDP – Katherina der FDP) Reiche [CDU/CSU]: Sie sollten lieber nachse- Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, in hen, wofür Sie zuständig sind!) den Verhandlungen zu einem Vorschlag zu kommen, der Ich habe hier schon mehrfach angeboten, die bundes- ein wirklich gutes Ergebnis darstellt. rechtlichen Regelungen auf vier Punkte zu konzentrie- Mit der Reform wird die Studienplatzvergabe in den ren: auf die Zulassung, auf die Abschlüsse, auf dasbesonders nachgefragten ZVS-Fächern für die Bewerbe- Dienstrecht und auf die Verpflichtung, ein internes und rinnen und Bewerber gerechter, chancenoffener und we- externes Qualitätssicherungssystem aufzubauen. Ich er- niger zentralistisch gestaltet. Wer die Abiturgrenznote warte aber – und darum geht es –, dass die Freiräume, des Numerus clausus knapp verfehlt hat und bisher lange (B) die wir als Bundesgesetzgeber schaffen, dann auch di- auf einen Studienplatz warten musste, erhält mit dem(D) rekt an die Hochschulen weitergegeben und nicht wieder neuen Hochschulauswahlverfahren eine zweite Zulas- durch Landesrecht ausgefüllt werden. sungschance. Die Hochschulen können dabei neben der (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Ab- Abiturdurchschnittsnote insbesondere gewichtete Ein- geordneten der CDU/CSU – Thomas Rachel zelnoten, Ergebnisse eines fachspezifischen Tests, berufs- [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Gesetzesvorschlag praktische Tätigkeiten und das Ergebnis eines Auswahl- dazu?) gesprächs heranziehen. Durch die Erweiterung ihrer Gestaltungsspielräume Nach Abzug der Sonderquoten, zum Beispiel für so- – weg von staatlicher Gängelung, hin zu mehr Autono- ziale Härtefälle, stehen so 60 Prozent der verbleibenden mie – erhalten unsere Hochschulen die Chance, im Wett- Studienplätze allen Bewerberinnen und Bewerbern of- bewerb mit anderen eigenständig klare Schwerpunkte zu fen. Daneben gehen rund 20 Prozent der Studienplätze setzen und ein unverwechselbares Profil zu entwickeln. an die Abiturbesten, die sich die Hochschule, an der sie studieren wollen, selbst aussuchen können. Weitere Lieber Herr Rachel, zu Ihrer Frage, die Sie ruhig auch 20 Prozent der Studienplätze werden nach Wartezeit ver- als Zwischenfrage stellen können: Wenn die Länder sich geben. damit einverstanden erklären, bin ich bereit, diesen Ge- setzentwurf hier vorzulegen. Das will ich klar und deut- Das Landesrecht kann für das Hochschulauswahl- lich sagen. verfahren Vorgaben machen und ergänzend weitere Kri- terien wie etwa außerschulische Aktivitäten vorsehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie haben als Landesgesetzgeber aber auch die Möglich- DIE GRÜNEN) keit, die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens ganz in die Hand der Hochschulen zu legen. Das unterstreiche Diesem Leitziel, nämlich mehr Autonomie undich hier noch einmal ganz ausdrücklich. Ich glaube, dass Selbstständigkeit, folgt auch die jetzt vorliegende Ver- es auch zu der Autonomieder Hochschulen gehört, die ständigung über die Neuregelung des Hochschulzu-Ausgestaltung des Auswahlverfahrens auf der Grund- gangs. Ziel der Reform ist es, die Bewerberauswahl in lage dieser generellen Kriterien wirklich in die Hand der den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Hochschulen zu geben. in einem wesentlich größeren Umfang als bisher von der ZVS auf die Hochschulen zu übertragen. Die Hochschu- Rahmenrechtlich festgelegt ist lediglich, dass die Abi- len erhalten damit die Autonomie, die sie seit langem ge- turdurchschnittsnote berücksichtigt werden muss und fordert haben und die sie brauchen, um institutionell ge- – darüber waren wir uns alle einig – ein maßgebliches Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10727

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) Gewicht bei der Auswahlentscheidung haben muss. Das Vielen Dank. (C) ist sinnvoll, weil die Untersuchungen zeigen, dass sie ein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ empirisch gut belegter Indikator für einen späteren Stu- DIE GRÜNEN) dienerfolg ist.

Der vorliegende Gesetzentwurf setzt die Empfehlun- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gen des Wissenschaftsrates vom 30. Januar dieses Jahres Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach. auf eine überzeugende Art und Weise um: Die Neu- reglung ist praktikabel, weil sie Hemmnisse beseitigt, Ulrike Flach (FDP): die die Auswahl von Studierenden durch die Hochschu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re- len bisher unattraktiv gemacht haben. Sie ist gerecht,den heute hier über den Hochschulzugang. Zunächst weil sie den Bewerberinnen und Bewerbern ein chancen- möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, jemandem zu offenes Verfahren bietet. Sie ist transparent, weil sie die gratulieren, nämlich dem Neuzugang in die Reihen der wesentlichen Kriterien für die Auswahl im Hochschul- Regierungsbank. Herr Kasparick, herzlichen Glück- rahmengesetz festlegt und damit bundesweit klar defi- wunsch im Namen des Ausschusses zu Ihrer Ernennung niert. Also sind all die Ziele, die ich im Namen der Bun- zum Staatssekretär! desregierung vor gut anderthalb Jahren im Rahmen einer Stellungnahme zu dem Vorschlag des Bundesrates die- (Beifall) sem zugeleitet habe, in diesem richtig guten Kompro- Sie werden es mit uns nicht leicht haben, Herr miss erfüllt. Kasparick, wir bemühen uns aber. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass diese Neurege- Im Januar dieses Jahres hat Ihr Vorgänger im Amt, lung ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der deutschen , einen sehr wichtigen Satz gesagt: Hochschulen ist. Sie ist ein Schritt weg von staatlicher Bevormundung und hin zu mehr Verantwortung, mehr Ich glaube, wir können weiter gehen und den Hoch- Wettbewerb und Qualität. Damit sind sowohl die Hoch- schulen die Wahl der Studenten vollständig überlas- schulen als auch die Studierenden klare Gewinner dieser sen. Reform! Das ist ein sehr kluger Satz – aus Sicht der FDP –, für den er leider von Ihnen, Frau Bulmahn, sehr heftig ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rüffelt wurde. Das, was er vorgeschlagen hat, ist aber DIE GRÜNEN) richtig: Die deutschen Hochschulen brauchen die Frei- Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir haben in heit, sich ihre Studenten selbst auszusuchen, und dies für 100 Prozent der Studienplätze und nicht nur anteilig, wie (B) Deutschland viele leistungsfähige Hochschulen. Ich bin (D) Sie es uns heute hier vorschlagen. davon überzeugt, dass wir gute Chancen haben, unsere Universitäten so zu positionieren, dass sie auch in zehn (Beifall bei der FDP) oder 15 Jahren noch weltweit ein hohes Renommee ha- ben und als attraktive Orte gelten, an denen es sich lohnt, Die Einigung, die die Bundesländer und die Bundes- zu forschen und aktiv tätig zu sein. Das ist die Zielset- regierung nun vorlegen, gesteht den Hochschulen diese Freiheit nicht für 100 Prozent, sondern nur für zung, das ist die Chance, die wir den Hochschulen mit 60 Prozent der Studienplätze zu. Nach dem geltenden dem Wettbewerb, den wir vorgeschlagen haben, einräu- Recht sind es 24 Prozent. Damit haben wir also eine Ver- men möchten: Wir wollen den Hochschulen durch Wett- besserung – deswegen werden wir uns gleich ent- bewerb die Chance geben, sich in die internationale halten –, aber das Schlimme ist: Das alte Vehikel der Spitze zu entwickeln. Zwangsverteilung durch die ZVS bleibt bestehen. Wir haben nach intensiven Beratungen am 7. Juni Unser Ziel ist deutlich ambitionierter: Wir wollen die 2004 eine gute Verständigung über die Eckpunkte er-ZVS überflüssig machen und wir wollen mehrAutono- zielt, mit einem Ergebnis, das sich sehen lassen kann: mie für die Hochschulen. Der Hochschulzugang muss Vorgesehen sind ein Wettbewerb um Spitzenuniversitä- als ein Mittel für Profilbildung und Wettbewerb der ten, ein Wettbewerb um stärker fachbezogene Exzellenz- Hochschulen benutzt werden; das ermöglicht Ihr Modell cluster und ein Wettbewerb um Graduiertenschulen. Ich eben nur in ganz kleinen Ansätzen. hoffe sehr, dass diese Chance zur Entwicklung der Uni- versitäten nicht dem parteitaktischen Kalkül geopfert Die Einigung der Länder ist eine Einigung vor allen wird, sondern dass diese Chance unseren Universitäten Dingen zu ihren eigenen Gunsten, zugunsten der Länder, eröffnet wird, damit sie sich weiterentwickeln können nicht zugunsten der Hochschulen. Die Länder erhalten und gestärkt werden, sodass sie auch in zehn Jahrendas Recht, 60 Prozent der Studienplätze durch die Hoch- noch weltweit eine wichtige Rolle spielen, damit derschulen vergeben zu lassen. Da bin ich einmal ganz auf Wissenschaftsstandort Deutschland, für den es sichIhrer Seite, Frau Bulmahn:Wir haben hier wieder den wirklich zu arbeiten lohnt, auch in zehn Jahren nochtypischen Reflex der Länder, das zu greifen, was der Bund gerade aus seiner Gesetzgebung entlassen hat. Das weltweit große Achtung genießt und Attraktivität be- kann nicht sein. Wenn etwas freigegeben wird, müssen sitzt. Deshalb hoffe ich, Herr Frankenberg, liebe Kolle- die Hochschulen die Profiteure sein und nicht die jewei- ginnen und Kollegen, dass dieser Vorschlag, dieser Wett- ligen Länderministerien. bewerb, auf den wir uns geeinigt haben, auch umgesetzt wird. (Beifall bei der FDP) 10728 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Ulrike Flach (A) Die Neuregelung wird der Hochschullandschaft aus ten ausmacht. Liebe Frau Bulmahn, verstecken Sie sich (C) Sicht der Freien Demokraten etwas weiterhelfen, aber nicht hinter den Ländern! Stimmen Sie dem FDP-Ge- nicht weit genug: Das autonome Recht der Auswahl der setzentwurf zu, der schon seit mehreren Monaten vor- Studierenden durch die Hochschulen darf eben weder liegt! durch Bundes- noch durch Landesvorschriften einge- schränkt werden. Die Kriterien, nach denen die Hoch- (Jörg Tauss [SPD]: Der taugt nichts!) schulen diese Auswahl vornehmen – Tests, Auswahlge- Wagen Sie endlich den Sprung nach vorn! spräche oder aber auch Auswahl nach der Abiturnote –, sollen die Hochschulen nach unserer Meinung eben (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) selbst definieren, nicht aber der Ministerialapparat der An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch Folgendes sa- jeweiligen Länder. Wenn Sie diesen Kompromiss heute gen: Wir sind gerade von derDelegationsreise aus ei- als einen großen Wurf bezeichnen, dann haben Sie, Frau nem Land zurückgekommen, in dem man uns gefragt Bulmahn, sich von Ihren selbst gesteckten Zielen sehr hat, warum die Deutschen so unbeweglich sind. Das weit entfernt. deutsche Hochschulrahmengesetz und die Diskussionen In Ihren bildungs- und forschungspolitischen Schwer- um dieses Gesetz zeigen wieder einmal deutlich: Wir punkten für die 15. Wahlperiode heißt es – ich zitiere –: sind zu langsam; wir haben keinen Mut; wir bewegen uns nicht an den Stellen, an denen wir es endlich tun Wir setzen bei der Weiterentwicklung der Hoch-müssten. schulen auf größtmögliche Autonomie, auf Wettbe- werb und auf eigenständige Profilbildung statt auf (Jörg Tauss [SPD]: Einen solchen Mist erzäh- staatliche Bevormundung. len Sie in China? Das ist unglaublich!) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Leere Worte!) Folgen Sie uns! Die FDP hat im Gegensatz zu Ihnen den Mut. Sie hat einen entsprechenden Gesetzentwurf An diesem kleinen Beispiel lässt sich sehen, was bei Ih- vorgelegt, lieber Herr Tauss. Es wäre schön, wenn die nen Anspruch ist und was im Endeffekt in der Realität Bürger dieses Landes das bei den Wahlen demnächst ho- dabei herauskommt. norieren würden. (Jörg Tauss [SPD]: Das ist ein Widerspruch in Herzlichen Dank. sich!) (Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir wissen, dass die Hochschulen bisher eher zurück- Der Name war wieder mal Programm! – Jörg haltend auf die Möglichkeit der Selbstauswahl reagiert Tauss [SPD]: Haben Sie das den Chinesen er- (B) haben. Das sehen wir genauso wie Sie. Es ist auch nur zählt, Frau Flach? Von allein kommen die (D) menschlich, dass sie den Aufwand der Gespräche, der doch auf einen solchen Unfug nicht!) Tests und all dessen, was dabei auf sie zukommt, scheuen, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Jörg Tauss [SPD]: Das wollen sie doch aber!) Das Wort hat nun die Kollegin Ursula Sowa, Bünd- nis 90/Die Grünen. weil das viel Zeit kostet, die von Forschung und Lehre abgeht. Es ist aber purer Paternalismus, liebe Kollegin- Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nen und Kollegen, auf diese Zurückhaltung damit zu re- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im agieren, dass weiterhin der Staat meint, die besten Stu- Bildungsausschuss haben wir uns mit sehr großer Mehr- dierenden selbst auswählen zu müssen. Es ist ein Irrtum, heit auf eine bundesweite Reform des Hochschulzu- zu meinen, dass der umsorgende Staat die Ungerechtig- gangs geeinigt, soweit siezulassungsbeschränkte keiten bei der Auswahl möglichst korrigieren soll. Studiengänge betrifft. Diese Reform wird Schwung in Die Hochschule selbst kannin ihrer Satzung festle- die Hochschullandschaft bringen. Wir stärken nicht nur gen, welche Kriterien für die Auswahl gelten sollen. Da- das Recht der Hochschulen, indem sie sich den größten bei können soziale Kriterien ebenso eine Rolle spielen Teil der Studierenden in diesen Studiengängen künftig wie Begabung oder die Abiturdurchschnittsnote. Warum selbst aussuchen können; wir stärken auch die Studieren- trauen Sie den Hochschulen nicht mehr zu, liebe Kolle- den, weil die Abiturbesten den Studienort selber frei ginnen und Kollegen? Sie können es und sie sind ge-wählen können. nauso an bundesgesetzliche bzw. an grundgesetzliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regelungen gebunden, wie das jeder von uns in diesem und bei der SPD) Hause ist. Das führt zu einem Wettbewerb unter den Hochschu- (Beifall bei der FDP) len um die sehr motivierten Studienanfänger und -anfän- Lassen Sie mich zum Abschluss, Frau Bulmahn, noch gerinnen. etwas zum Hochschulrahmengesetz im Allgemeinen sa- (Ulrike Flach [FDP]: Das sind Trippel- gen; Sie haben es eben wieder erwähnt. Sie legen heute schrittchen, Frau Sowa!) erneut nur Stückwerk vor, erzählen uns aber bei jeder Gelegenheit, dass Sie doch die große Novelle auf den – Sie werden es sehen: Das wird einen Wirbel in dieser Tisch legen wollen, die aber dann nur zwei bis drei Sei- Republik auslösen. Da steht These gegen These. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10729

Ursula Sowa (A) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie sind aber Flach, das ist sinnvoll; ich pflichte Ihnen hier bei. Für(C) bescheiden, was Wirbel angeht! – Eckart von diese Kriterien brauchen wir aber einen bundesweit gel- Klaeden [CDU/CSU]: Wirbel im Wasserglas!) tenden Rahmen von Standards, um Transparenz und Ver- gleichbarkeit zu gewährleisten. Einigkeit besteht wohl auch in der Frage, wie es mit der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze weiter- (Jörg Tauss [SPD]: Ja!) geht. Die ZVS soll eine Serviceeinrichtung werden. Sie soll den Hochschulen zur Vereinfachung der Verfahren Zu diesen Standards zählen für uns insbesondere: Die dienen und aufwendige, zeitraubende Mehrfachbewer- Abiturnoten müssen ein angemessenes Gewicht in der bungen der Studierenden vermeiden. Damit haben wir Auswahl erhalten. Natürlich dürfen und sollen die Hoch- für einen Teil der Studiengänge ein Stück mehr Selbstbe- schulen auch außerschulische Leistungen der Bewerbe- stimmung für die Hochschulen und die Studierenden ge- rinnen und Bewerber berücksichtigen. 40 Prozent der schaffen. Studienabbrecherinnen und -abbrecher haben nämlich ein gutes oder sehr gutes Abitur. Das ist also kein Garan- Es geht aber auch um mehr als nur eine Neuregelung tieschein dafür, dass man ein Studium auch tatsächlich der bisherigen Aufgaben der ZVS. Wir brauchen einedurchhält. Deswegen kann die Abiturnote für viele Fä- umfassende Verbesserung des Übergangs von cher der nicht mehr das alleinige Kriterium sein. Auch gute Schule, vom Gymnasium, zur Hochschule. Es geht nicht außerschulische Leistungen sollen auf angemessene nur um Zulassungsverfahren in Bezug auf bestimmteWeise Eingang in das Auswahlverfahren finden können. Studiengänge, sondern auch um die Reform einerDie Hochschulen müssen den Nachweis führen, dass Schlüsselstelle des Bildungssystems, nämlich der Über- Studierende nicht aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer gangsphase zwischen der Schule und den ersten Semes- sozialen oder ethnischen Herkunft benachteiligt werden. tern in der Hochschule. Wir wollen sicherstellen, dass mehr junge Menschen eine Hochschulbildung anstreben Die Qualität und die Auswirkungen der Auswahlver- und es regelrecht „in“ finden, zu studieren, dass keinfahren müssen in die externe Evaluation der Hochschu- junger Mensch aufgrund seiner sozialen Herkunft vom len eingeschlossen werden. Die Kriterien der Auswahl Studium abgehalten wird und dass durch bessere Bera- durch die Hochschulen müssen offen gelegt und über- tung vor dem Studium mehr Studierende ihr Studium prüfbar sein. Nur durch Transparenz ist es Bewerberin- auch wirklich durchhalten und nicht mehr abbrechen,nen und Bewerbern möglich, zu wissen, was sie erwartet was leider häufig der Fall ist; die Quote ist sehr hoch. und welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen. Auch die Auswahl muss transparent und nachvollziehbar sein. Wir können es den staatlichen Hochschulen schon aus Das gilt insbesondere für Auswahlgespräche. Sie dürfen diesen Gründen nicht gänzlich überlassen, sich ihre Stu- auf keinen Fall dazu führen, dass Professoren und Pro- (B) dierenden selbst auszusuchen, fessorinnen Bewerber nach ihrer jeweiligen Nasenspitze (D) (Ulrike Flach [FDP]: Sehen Sie, da kommt es oder nach irgendwelchen Beziehungskisten auswählen. wieder!) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Lauter neue wie es beispielsweise Frau Flach stellvertretend für die Vorschriften!) FDP fordert. Die Hochschulen können alternativ eine Orientie- (Ulrike Flach [FDP]: Ich frage mich immer, rungsphase einführen – das ist in der Tat ein Novum –, warum Sie das den Hochschulen nicht zu- die mit einer Eignungsprüfung nach zwei Semestern ab- trauen!) schließt. Aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist es aber am wichtigsten, dass in der Phase nach dem Ab- Wir wollen die Zahl der Akademikerinnen und Akade- schluss des Gymnasiums und vor dem Studienbeginn miker in Deutschland weiterhin erhöhen. In Zukunft sol- eine wirklich intensive Studienberatung durchgeführt len mehr Menschen ein Studium abschließen. wird. Diese politische Entscheidung haben wir gesamtge- Wie bereits gesagt: Es gibt in Deutschland sowohl im sellschaftlich zu verantworten. Aus diesen Gründen kön- europäischen Vergleich als auch gemessen an den Be- nen wir es den Hochschulen nicht hundertprozentig frei- dürfnissen unserer Volkswirtschaft zu wenige Studie- stellen, wie viele Menschen sie aufnehmen und wie sie rende und Akademiker. Fatal ist daher die Neigung vie- sie ausbilden wollen. ler Bundesländer, die Anzahl der Studienplätze an ihren (Ulrike Flach [FDP]: Das ist schön, dass Sie Hochschulen stetig zu reduzieren. das so deutlich sagen! – Thomas Rachel (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Berlin zum Bei- [CDU/CSU]: Jetzt weiß es jeder: Fortsetzung spiel! SPD- und PDS-regiert! – Jörg Tauss der Planwirtschaft! – Gegenruf des Abg. Jörg [SPD]: Reden wir mal über Bayern! – Weiterer Tauss [SPD]: Es gibt einen Bildungsauftrag! Zuruf von der SPD: Da können wir auch noch Wissen Sie etwas davon?) über andere Bundesländer reden!) – Jetzt ist es hier in diesem Raume ganz klar und ich Wir müssen daher zu einer bundesweiten Vereinbarung freue mich über Ihre Resonanz. über vorzuhaltende Studienplätze kommen. Es kann Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich sollen die nicht sein, dass einige wenige Bundesländer – ich nenne Hochschulen und Studiengänge weitestgehend eigene sie hier nicht – und Stadtstaaten – es sind mehrere – weit Kriterien für ihre Aufnahmeverfahren aufstellen. Frau über ihre Verhältnisse Studierende ausbilden, während 10730 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Ursula Sowa (A) andere Bundesländer ihr Kontingent stets verknappen, Ein Schritt vor, zwei zurück – so lautete bislang das(C) um Geld zu sparen. Motto der Bundesbildungsministerin bei den Reformen im Bereich Forschung und Hochschulen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: So ist es! Heute geht es immerhin mit einem Schritt vorwärts in Darüber reden wir mal!) die richtige Richtung. Aber, Frau Bulmahn, wir haben viel Zeit verloren. Die Hochschulen haben mehr Verant- Aus diesem Grund können wir auch in Zukunft die Ka- wortung bei der Studentenauswahl eingefordert. Gerhard pazitätsordnungen nicht ersatzlos abschaffen. Casper – es ist angedeutet worden –, der emeritierte Prä- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Schon wieder sident der Stanford University, hat gefordert – Zitat –: ein planwirtschaftliches Instrument! – Ulrike Die freie Auswahl der Studierenden ist die dringlichste Flach [FDP]: Ach nein, Frau Sowa! Das Ding Reform in Deutschland. –Er hat mit dieser Aussage muss weg!) Recht. Hier sind die Länder am Zug. Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kollegen der Opposition, ich will Sie nicht mit einer Auch die Analyse des Wissenschaftsrates hat ge- Studienplatzumlage in Verwirrung bringen; zeigt, dass für eine Reform des Hochschulzugangs drin- (Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Das wäre gender Anlass besteht. Weit über die Hälfte der Studien- noch was!) anfänger war bisher zu Studienbeginn nicht ausreichend über Studienfach und Hochschule informiert. Beinahe aber dass die akademische Ausbildungsleistung einesdie Hälfte der Studierenden wählte die Hochschule nach Bundeslandes in den Länderfinanzausgleich einfließt, studienfachfremden Kriterien, zum Beispiel Nähe zum halten wir von Bündnis 90/Die Grünen für überaus ge- Heimatort. rechtfertigt. (Jörg Tauss [SPD]: Ist das verwerflich?) (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- tionslos]) Ein anderer Punkt sind gravierende Mängel der Studien- und Berufsberatung. Ein weiteres Problem besteht darin, Bei der Reform des Hochschulzugangs geht es umdass Schulabschlussnoten nur begrenzt vergleichbar mehr als nur darum, Angebot und Nachfrage von Stu- sind. Die jeweiligen Leistungsniveaus sind nur einge- diengängen konkurrenzfähig zu machen. Es geht viel- schränkt transparent. mehr darum, mehr Studierende in Studiengänge zu brin- gen, die ihren Neigungenund Begabungen am besten Die genannten Defizite leisten einen erheblichen Bei- trag dazu, dass sich die Probleme an den Hochschulen (B) entsprechen, und darum, dass sie sich künftig „ihre“ (D) Hochschule aussuchen können. gerade in den ersten Semestern verschärfen. Fast ein Viertel der Studierenden an unseren Hochschulen bricht Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz werden das Studium ohne einen Hochschulabschluss endgültig wir eine neue Kultur und damit Schwung in die deutsche ab, ein großer Teil davon in den höheren Semestern. Ein Hochschullandschaft hineinbringen. Davon bin ich über- weiteres Viertel bricht den zunächst gewählten Studien- zeugt. gang ab und setzt das Studium in einem anderen Fach Vielen Dank. fort. Zuvor erbrachte Studienleistungen werden nicht an- gerechnet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Diese Zahlen zeigen einen Teil der Misere an den deutschen Hochschulen. Deshalb ist eine Reform des Hochschulzugangs dringend überfällig. Mit ihr wollen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: wir zwei Ziele erreichen: Ich erteile das Wort dem Kollegen Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion. Erstens. Die studierwilligen jungen Leute sollen verstärkt das Fach studieren, in dem ihre wirklichen Fä- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) higkeiten und Neigungen liegen. Ein verbesserter Hoch- schulzugang muss dazu beitragen, die hohen Studienab- Thomas Rachel (CDU/CSU): bruchquoten künftig zu verringern. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kollegen! Der Beitrag von Frau Sowa hat noch einmal deutlich gezeigt, worum es geht: Die restlichen Quoten Zweitens. Ein neuer Hochschulzugang, der gerade die will sie nicht aufheben, beim Auswahlverfahren gibt es Auswahlmöglichkeiten der Hochschulen verstärkt, ist zig Dinge, auf die nicht verzichtet werden darf, und die ein gelungenes Mittel, um dieProfilierung der einzel- Kapazitätsverordnung will sie schon gar nicht anpacken. nen Universitäten und Fachhochschulen voranzutreiben. Was wir hier von Rot-Grün geboten bekommen, bedeu- Dies fördert den gesunden Wettbewerb zwischen den tet auf jeden Fall nicht mehr Freiheit, sondern eine Fort- Hochschulen. setzung der Drangsalierung der Hochschulen. Nach langer, viel zu langer Zeit hat Frau Bulmahn die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- Forderungen von Hochschulen und Opposition nach ei- ruf von der SPD: Stimmen Sie jetzt zu oder ner Reform des Hochschulzugangs ernst genommen. Die nicht?) nunmehr zwischen Bund und Ländern vereinbarte Neu- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10731

Thomas Rachel (A) regelung bleibt leider hinter unseren Empfehlungen zur verteidigt wird. Es fehlt an Vertrauen und Verlässlichkeit (C) kompletten Übertragung des Auswahlrechts an diezwischen Politik und Wissenschaft, damit mittelfristig Hochschulen zurück. Sie ist aber ein akzeptabler Kom- neue Weichenstellungen möglich sind. promiss, um endlich den Weg in Richtung einer größeren Autonomie der Universitäten einzuschlagen. Weit entfernt ist die Bundesregierung von dem von Bundeskanzler Schröder ausgerufenen Ziel, bis 2010 60 Prozent der Studierenden in NC-Fächern sollen ab 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für Forschung und dem Wintersemester 2005/2006 von den Hochschulen Entwicklung auszugeben. Die von Ihnen angegebene selber in Auswahlverfahren bestimmt werden. DieEtatsteigerung von 3,6 Prozent für das nächste Jahr ist Wahrheit ist aber auch: Bis vor kurzem wollten die SPD- eine Luftnummer, ja sie ist eine Schönrechnung. Die regierten Bundesländer in ihrem Bereich eine Hoch-vorgetäuschte relativ hohe prozentuale Steigerung ergibt schulauswahlquote von nur 25 Prozent zugestehen. Es sich nämlich in Wirklichkeit erst nach der zuvor vorge- waren Sozialdemokraten und Grüne, die im Bremser- nommenen Kürzung des Wissenschaftsetats in diesem häuschen saßen. Unser gemeinsamer Druck hat jetzt Be- Jahr. Sie haben im Jahr 2004 84 Millionen Euro aus dem wegung in die Sache gebracht. Bildungshaushalt an die Rentenkasse von überwiesen. (Beifall bei der CDU/CSU) 20 Prozent der Studienplätze werden weiterhin an die (Katherina Reiche [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Abiturbesten vergeben, die letzten 20 Prozent der übrigen Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Reden Sie Bewerber unter Berücksichtigung ihrerWartezeiten. zum Thema!) Dieses Kriterium bleibt problematisch. Eine Wartezeit Die Subventionsstreichliste von Koch und Steinbrück passt nicht in ein wettbewerbsorientiertes Hochschulsys- hat ohne Widerspruch von Ihnen zu weiteren Verlusten ge- tem. Sie gibt keinen ernsthaften Aufschluss über die Eig- führt: 6 Millionen Euro weniger für das Berufsbildungsin- nung eines Bewerbers oder einer Bewerberin für einstitut und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Studium. Das beste Kriterium sind und bleiben Aus- wahlverfahren. Sie verlangen natürlich von Professoren (Jörg Tauss [SPD]: Bei wem ist der und Hochschulen Einsatz, Arbeit und Zeit; aber sie sind Koch Mitglied?) ein sinnvolles Mittel, um junge Leute mit Eignung, Mo- In Ihren Haushalt für das nächste Jahr haben Sie 60 Mil- tivation und Leidenschaft für ihre künftigen Arbeitsge- lionen Euro aus der Streichung der Eigenheimzulage biete herauszukristallisieren. eingestellt, obwohl diese überhaupt nicht beschlossen Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hätte sich eineworden ist. Was Sie vorgelegt haben, hat mit Wahrheit sehr viel weiter gehende Regelung vorstellen können als und Klarheit überhaupt nichts zu tun. (B) (D) das, worauf sich Bundesländer und Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch des heute geeinigt haben. Abg. Jörg Tauss [SPD]) (Beifall der Abg. Katherina Reiche – Herr Tauss, Sie sollten sich einmal darum kümmern: [CDU/CSU]) Es ist ein Skandal, dass aus dem Haushalt für Bildung Wir treten weiterhin für ein möglichst umfassendes Aus- und Forschung für das nächste Jahr erneut 168 Millionen wahlrecht für die Hochschulen ein. Euro herausgenommen werden, um sie dem Rentenetat zuzuschlagen. Das sind die bedauerlichen Realitäten des (Beifall bei der CDU/CSU) Bildungs- und Forschungshaushalts dieser Republik. Wir werden den vorliegenden Antrag aber als Schritt in (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Flach die richtige Richtung unterstützen; denn wir sind eine [FDP]: Da liest der Tauss lieber!) konstruktive Opposition. Die Auswahl der Studierenden durch die Hochschu- Wir werden allerdings an dem Ziel festhalten, dielen ist zentrale Voraussetzung für ein wettbewerbliches ZVS in ihrer derzeitigen Form überflüssig zu machen und international konkurrenzfähiges Hochschulsystem. und sie in eine Dienstleistungsagentur für die Hochschu- Aber sie ist nur der erste Schritt. Nötig sind weitere Re- len umzuwandeln. Freiheit für die Hochschulen, auch formfortschritte, die wir seit langem fordern. Unser Ziel bei der Auswahl der Studierenden – das ist das Mottoist eine umfassende Autonomie und Freiheit der Hoch- von uns Christdemokraten. schulen. Dazu gehören eine größere Freiheit bei der Pro- (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Ein fessorenbesoldung ebenso wie ein Wissenschaftstarif- schönes Motto! Ein wunderbares Motto!) vertrag. Der Bundesregierung aber sagen wir: Ein Schritt nach (Jörg Tauss [SPD]: Dann macht das mal!) vorne ist nicht genug. Die bislang praktizierte Hoch-Dazu gehören auch die Entschlackung des Hochschul- schulbürokratie ist nur die Spitze eines Eisbergs, sie ist rahmengesetzes, Stiftungsuniversitäten und eine refor- ein Symptom für ein viel tiefer sitzendes Übel. Immer mierte Studienfinanzierung. noch sind wir von einer wirklichen Autonomie der Bil- dungsanstalten weit entfernt. Wir haben ein Korsett von Wir wollen die deutschen Hochschulen im Wettbe- Verordnungen, ein wissenschaftsfremdes Dienstrechtwerb um die besten Köpfe stark machen. Das Ausland und ein bundesweites Verbot von Studiengebühren, das schläft nicht. Dort geht die Modernisierung der Hoch- von Frau Bulmahn selbst gegen Vorbehalte in der SPD schulen für den internationalen Bildungsmarkt mit 10732 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Thomas Rachel (A) Siebenmeilenstiefeln voran. Uns läuft die Zeit davon, Wir haben diesen Entwurf damals – ich denke, mit(C) um den Wissensstandort Deutschland nach vorne zugutem Recht – abgelehnt, weil wir mit zwei parallelen bringen. Zeit ist die Ressource, die uns nicht mehr zur Zulassungsmodellen das Verfahren erheblich verkompli- Verfügung steht. Wie sagt doch Laotse: „Wer glaubt, am ziert hätten, was vor allem für die Studierenden negative Ziel zu sein, der geht einen Schritt zurück.“ Auswirkungen gehabt hätte. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben auch dafür plädiert, dieEmpfehlungen des Wissenschaftsrates abzuwarten, die damals unmit- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: telbar vor der Veröffentlichung standen. Darin wird die Das Wort hat nun die Kollegin Ute Berg, SPD-Frak- Frage des Hochschulzugangs nicht isoliert betrachtet, tion. sondern in einen größeren Zusammenhang gestellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Lösung, die wir jetzt gefunden haben, basiert auf des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des den Empfehlungen dieser Experten. Im Kern wird damit Abg. Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ Folgendes erreicht: Die Hochschulen können künftig ak- CSU]) tiver an der Zulassung mitwirken. Sie erhalten die Mög- lichkeit, über Studierfähigkeitstests, Auswahlgespräche und gewichtete Einzelfachnoten oder Nachweise über (SPD): Ute Berg fachbezogene Vorkenntnisse die Eignung der Bewerbe- Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- rinnen und Bewerber festzustellen. Die Fähigkeiten von gen! Liebe Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag Studienbewerberinnen und -bewerbern und die Anforde- für die Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland. rungen einzelner Studiengänge werden aufeinander ab- Wir verständigen uns nämlich auf eine Neuregelunggestimmt. Die Hochschulen können die Studierenden- beim Hochschulzugang und erreichen damit zweierlei: auswahl dazu nutzen, ihr Profil zu schärfen. Erstens erhalten die Hochschulen mehr Einfluss bei der Auswahl von Studierenden und mehr Verantwortung bei Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum ist diese der Vergabe von Studienplätzen. Zweitens ermöglichen Neuordnung des Hochschulzugangs so wichtig für die wir es denbestqualifizierten Bewerberinnen und Hochschulen und die Studierenden? Fakt ist – darin sind Bewerbern, sich ihre Hochschule selbst auszusuchen. wir uns sicherlich alle einig –, dass es derzeitig beim Übergang von der Schule zur Hochschule gravierende (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mängel gibt. So moniert der Wissenschaftsrat vor allem, (B) (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass weit über die Hälfte der Studienanfängerinnen und -anfänger nicht hinreichend über Studienfach und Hoch- Es freut mich sehr, dass in den Verhandlungenschule informiert sind – das hat Herr Rachel treffend Edelgard Bulmahns mit den Ländern dieser Lösungsweg dargestellt –, dass Eignungsprofile der Studierenden gefunden wurde. Da wir bekanntermaßen nicht darauf zu nicht genügend mit den Anforderungen der Hochschulen warten brauchen, dass die Opposition die Bundesbil-abgeglichen werden und dass Schulabschlussnoten nur dungsministerin lobt, möchte ich das an dieser Stellebegrenzt vergleichbar und nicht genügend transparent im ausdrücklich und mit Nachdruck tun. Hinblick auf Leistungsniveaus sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Defizite tragen dazu bei – auch das hat Herr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Rachel erwähnt; er zieht nur andere Schlüsse daraus –, Ulrike Flach [FDP]: Wir würden das ja gerne dass fast ein Viertel der Studierenden an Universitäten tun, Frau Berg!) und ein Fünftel der Studierenden an Fachhochschulen Herzlichen Glückwunsch zu diesem Kompromiss, Frau ihr Studium abbrechen. Auch wenn das nur ein Durch- Ministerin! schnittswert ist und es fachspezifisch erhebliche Unter- schiede gibt, wird hier doch ganz deutlich, dass offen- Mit dem vorliegenden Reformvorschlag läuten wir sichtlich etwas schief läuft. Alarmierend ist zusätzlich eine neue Ära an den Hochschulen ein. Im Einzelnendie Tatsache, dass sich die Studierenden heute im Schnitt sieht unser Antrag für die Studienplatzvergabe in bun- erst nach knapp acht Semestern, also fast vier Jahren, ex- desweit zulassungsbeschränkten Studiengängen Folgen- matrikulieren. Das heißt, sie haben schon vier Jahre stu- des vor – das wurde eben schon kurz angesprochen –: diert und beschließen dann, dass sie ihr Studium nicht zu 20 Prozent der Studienplätze werden an die Abiturbesten Ende bringen können oder wollen. Das ist ineffizient. nach ihren Ortswünschen vergeben, weitere 20 Prozent Damit werden Ressourcen vergeudet und die Studieren- nach Wartezeit und 60 Prozent der Studienplätze beset- den verlieren wertvolle Jahre. zen die Hochschulen nach dem Ergebnis eines Auswahl- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verfahrens. Wir ändern damit, wie Sie wissen, einen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundesratsentwurf, den wir bereits im Herbst letzten Jahres im Plenum diskutiert haben. Darin wurden zwei Mit der Neugestaltung des Hochschulzugangs wollen alternative Modelle – das so genannte NRW-Modell und wir hier Abhilfe schaffen. Das kann aber nur gelingen, das Baden-Württemberg-Modell – vorgesehen, unter de- wenn die jetzt geplante Reform durch weitere Maßnah- nen die Länder eine Auswahl treffen sollten. men flankiert wird. Eine dieser Maßnahmen betrifft Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10733

Ute Berg (A) Veränderungen bei den Schulabschlussnoten. Wenn die Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): (C) Abiturnote eine herausragende Rolle bei der Bewerber- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- auswahl spielen soll, dann ist es natürlich ganz wichtig, ren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. – dass zum Beispiel eine Note 2,0 in Dortmund vergleich- Der Bundesrat möchte den Hochschulen in unserem bar ist mit einer Note 2,0 in Halle. Land mehr Entscheidungskompetenzen bei der Auswahl der Studierenden geben. Die Regierungsfraktionen fol- Deshalb hat der Wissenschaftsrat ebenfalls gefordertgen weitgehend den Wünschen des Bundesrates. Frau bzw. empfohlen, dass die Bundesländer einZentralabitur Kollegin Sowa von den Grünen hat allerdings kritische einführen. Zum Beispiel das Bundesland NRW, aus dem Anmerkungen gemacht, denen ich mich für die PDS an- ich komme, wird ein solches aller Voraussicht nachschließe. 2006/07 durchführen. Vergleichbare Abiturleistungen sind aber auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Schließlich In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen ebenfalls wird mit den neuen Hochschulzugangsregelungen den sagen, dass ich Ihren Vorschlag, den Länderfinanzausgleich Abiturbesten ein Zugriffsrecht auf den Studienplatz ihrer so zu gestalten, dass auch die Ausbildungsleistungen der Wahl gegeben. Schon deshalb ist klar, dass die Abiturno- Hochschulen berücksichtigt werden, gerade im Interesse ten vergleichbar sein müssen. Um die Vergleichbarkeit meiner Heimatstadt Berlin nur begrüßen kann. Ich denke, nicht erst am Schluss der Schullaufbahn zu gewährleis- auch die Berliner Bundestagsabgeordnete Eichstädt- ten, brauchen wir auch nationale Bildungsstandards, die Bohlig, die momentan hinter Frau Sowa sitzt, wird mich für alle Schulen verbindlich sind. Es ist gut, dass wir in dabei unterstützen. diesem Bereich inzwischen eine fruchtbare Zusammen- (Jörg Tauss [SPD]: Ich auch! – Swen Schulz arbeit zwischen Bund und Ländern haben. Die bisher [Spandau] [SPD]: Ich auch!) entwickelten Konzepte werden zurzeit noch erweitert und ergänzt. – Sie auch! Das ist wunderbar, Herr Schulz. In den nächsten Wochen schreiben sich wieder Zehn- Genug des Lobes. Die Gesetzesänderung hört sich im tausende Abiturientinnen und Abiturienten an den Hoch- ersten Augenblick sehr gut an. Wer möchte die Autonomie schulen ein. Viele von ihnen wissen nicht genau, was sie der Hochschulen nicht stärken? Aber: Bereits 1998 erwartet. Die Beratungsangebote zur Studien- und Be- wurde das Hochschulrahmengesetz in diesem Sinne ge- rufswahl müssen daher dringend ausgebaut werden, und ändert. Die Hochschulen haben in der Folgezeit aller- zwar sowohl an den Schulen als auch bei den Agenturen dings nur in Ausnahmefällen von den erweiterten Mög- für Arbeit und vor allem an den Hochschulen selbst. Ge- lichkeiten Gebrauch gemacht. Warum also diese erneute rade die Hochschulen müssen die Studienanfängerinnen Veränderung? Der Pferdefuß steht im Gesetzentwurf un- ter Punkt D. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: (B) und -anfänger über die angebotenen Studiengänge um- (D) fassend informieren und Orientierung bieten. Sie müssen Das Gesetz führt bei den Hochschulen zu einem ad- ihnen vermitteln, was sie erwartet, und – umgekehrt – ministrativen Mehraufwand … Dieser Mehrauf- natürlich auch prüfen, ob die Bewerberinnen und Bewer- wand ist von den Hochschulen zu tragen. ber ihre Erwartungen erfüllen. Es wird aber auch not- wendig sein, dass sich die Hochschulen selbst anstren- Damit ist der Ball wieder zurück an die Bundesländer gen, damit sie auch wirklich die jungen gespielt, Leute die offensichtlich nicht genügend Geld für die bekommen, die zu ihnen passen. Das heißt, die Hoch- Hochschulen bereitstellen oder bereitstellen können, da- schulen werden ihr Profil künftig deutlicher ausprägen, mit das Gesetz in die Praxis umgesetzt werden kann. eigene Schwerpunkte setzen und ihre individuellen Stär- Ich finde – das ergibt sich auch aus der Debatte –, ken entwickeln müssen. Das erleichtert es ihnen, im nati- man sollte nicht verschweigen, dass hinter diesem Ge- onalen und internationalen Wettbewerb zu bestehen. setz etwas anderes steckt. Dem CDU-dominierten Bun- desrat ist das ganze Hochschulrahmengesetz ein Dorn im Wenn wir es letztlich schaffen, durch die Veränderung Auge, insbesondere das Verbot vonStudiengebühren. des Hochschulzugangs die Studieneffizienz zu steigern, Auch der Kollege Rachel von der CDU hat sich in der die Zahl der Studienabbrecherinnen und -abbrecher zu heutigen Debatte wieder deutlich für Studiengebühren senken und die Profilbildung der Hochschulen zu schär- ausgesprochen. Das Hochschulrahmengesetz soll also fen, dann haben wir gemeinsam viel erreicht sowie den mit allen Mitteln sturmreif geschossen werden und die Hochschulen und den Studierenden einen großen Dienst Bundesregierung schaut nur betroffen zu. erwiesen. Dass wir das Ganze schließlich im Konsens – nur Frau Flach hat sich ein bisschen ausgeklinkt – über (Dr. Uwe Küster [SPD]: Was ist denn das für eine Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg hinbekommen, militaristische Sprache? Unglaublich! Kriegstrei- stimmt hoffnungsvoll für künftige Reformvorhaben. ber! – Gegenruf des Abg. Thomas Rachel [CDU/ CSU]: „Kriegstreiber“ hat er gesagt! Ordnungs- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ruf!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Konsens ist nicht immer Die CDU und leider auch Teile der SPD wollen Studi- die beste Lösung!) engebühren und haben dafür auch starke Verbündete, wie die Hochschulrektorenkonferenz, die sich ebenfalls für diese Gebühren ausgesprochen hat. Mich wundert es Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: überhaupt nicht, dass die Rektorenkonferenz gern Geld Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch. von den Studierenden haben möchte. Aber im Gegenzug 10734 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Dr. Gesine Lötzsch (A) sollte auch die Frage erlaubt sein, was die Rektorenkon- ten nutzen ihr Auswahlrecht bisher nicht. Sie hatten ja (C) ferenz selbst eigentlich anbietet. Warum schlägt sie nicht auch nicht die notwendige Freiheit hierzu. offensiv vor, die Qualität der Lehre zu stärken oder die Anzahl der Vorlesungsstunden im Monat um eine oder Ich bin jedoch sicher, dass diese Entscheidungen zwei zu erhöhen? künftig in der vorlesungsfreien Zeit freiheitlicher getrof- fen werden können. Schließlich zahlt sich die eigene Es hat sich eine unheilige Allianz für Studiengebüh- Auswahl durch eine größere Motivation und ein klares ren gebildet, die vor allem von der „Initiative Neue Sozi- Bild über dieEignung der Studenten aus. Genauso ale Marktwirtschaft“ getragen wird, in der sich auchunsinnig wie die bürokratische ZVS-Auswahl von Medi- Herr Glotz und Herr Wend von der SPD gern tummeln. zinstudenten ist das Laisser-faire in den nicht zulas- sungsbeschränkten Fächern. Jedes Jahr sitzen Zehntau- Wir, die PDS, wenden uns gegen die mächtige Lobby sende Studenten in überfüllten Hörsälen und prügeln der Studiengebührenbefürworter. sich um Seminarplätze, nur um später festzustellen, dass (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) sie sich doch nicht für das Fach interessieren oder dass es ihnen zu schwierig ist. Jeder Vierte der knapp 2 Mil- Wir unterstützen ausdrücklich die Position der Ministe- lionen Studenten schließt sein Studium nicht ab. Laut ei- rin Bulmahn in der Frage des Verbots von Studiengebüh- ner Studie, die vom Bundesbildungsministerium in Auf- ren. trag gegeben wurde, wissen 16 Prozent der Abbrecher (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Die wackelt nicht, wofür sie eigentlich pauken; sie sind demotiviert. auch schon!) Andere haben die Leistungsanforderungen unterschätzt. Dies ist eine wahnsinnige Vergeudung, einmal von Wir lehnen den Gesetzentwurf des Bundesrates und die Steuergeld und zum anderen – das ist das noch Schlim- Beschlussempfehlung des Ausschusses ab, weil die vor- mere dabei – von Lebenszeit. Dies können und wollen geschlagenen Änderungen kein Problem der Hochschu- wir uns nicht mehr leisten. len und der Studierenden lösen. Wir lehnen ihn vor allem ab, weil er ein durchschaubares Manöver des CDU-do- Ich bin sicher, dass Studierende ihre Auswahlent- minierten Bundesrates ist, um das Hochschulrahmenge- scheidung bewusster und auch verantwortungsvoller setz insgesamt infrage zu stellen. Ein solches Vorgehen treffen, wenn sie selbst bestimmen können, an welcher halten wir für falsch. Hochschule sie studieren. Wer die Studierenden im Rah- men eines gezielten Auswahlverfahrens kennen lernt (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) und ihre Motive einstuft, schafft es sicherlich auch, die hohe Abbrecherquote zu senken. (B) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt gewinnt die (D) Nächste Rednerin ist die Kollegin Marion Seib, CDU/ Passgenauigkeit immer größere Bedeutung. Nur wer CSU-Fraktion. sich mit dem, was er beruflich tut, wirklich wohl fühlt, wird wirklich gut sein und auch andere von seinen Qua- Marion Seib (CDU/CSU): litäten überzeugen können. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Wer sich die besten Köpfe sichern will, muss genau Kollegen! Deutschlands Massenuniversitäten sind zum hinsehen. Ein hochschulbezogenes Auswahlverfahren Sanierungsfall geworden. Die deutsche Hochschulland- wird den Wettbewerb zwischen den Universitäten stär- schaft braucht dringend Reformen. Sogar die SPD als ken. traditionelle Schutzmacht der ZVS (Beifall bei der CDU/CSU) (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Staatsvertrag, Frau Kollegin!) Das bedeutet aber auch: Die Unis müssen sich anstren- gen und so überzeugend sein, dass sich hochkarätige Be- sperrt sich deshalb nicht mehr vehement gegen daswerber, die sich meist auch woanders beworben haben, Auswahlrecht der Hochschulen. Auch Frau Bulmahn für sie entscheiden. Die besten Studenten gehen nämlich möchte nicht mehr an der Behörde festhalten, die sich dorthin, wo die besten Professoren sind; diese profitieren als Organisation zur Kinderlandverschickung entwickelt dann wiederum vom Nachwuchs. Es wird also ein sich hat. Für eine der wichtigsten Reformen, nämlich dieselbst verstärkendes System gestaltet. Stärkung der Selbstauswahl, wird der Weg nun endlich freigemacht. Die Reform der Studienplatzvergabe ist ein Ein Beispiel hierfür ist das bayerische Elitenetzwerk. begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung; aber (Jörg Tauss [SPD]: Ein ganz schlechtes Bei- sie ist eben nur ein Schritt. spiel! Zulasten der Breite!) Allerdings möchte ich, an die Adresse der Regierung Universitäten, die Elitestudiengänge anbieten, stehen in gerichtet, nicht unerwähnt lassen, dass ich mir eine fle- der besonderen Pflicht, ein entsprechend anspruchsvol- xiblere als die starre Quotierung von 60 Prozent ge-les und auch nach internationalem Maßstab exzellentes wünscht hätte. Studenten auszuwählen ist ein durchaus Lehrangebot neu zu konzipieren und mit einer hohen Be- mühseliges Geschäft. Es kostet die Professoren treuungsintensität an fortlaufend anzubieten. US-Hochschulen und auch an den Privatunis hierzulande einige Wochen im Jahr. Deshalb schrecken immer noch Nur wenn die Hochschulen das Recht haben, ihre Stu- viele Hochschulen davor zurück. 87 Prozent der Fakultä- denten selbst auszuwählen, können und müssen sie die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10735

Marion Seib (A) Verantwortung für den Studienerfolg übernehmen. ein eher schlampiger Schüler. Damals in der Schule war (C) Die Verantwortung der Professoren endet keinesfalls mit Fleiß nicht so unbedingt meine Sache. Mein Abitur war der Auswahl ihrer Studenten. Vielmehr entsteht durch dementsprechend durchschnittlich. Aber eines wusste das Auswahlrecht die Verpflichtung, die von ihnen aus- ich ganz genau: Ich möchte Politikwissenschaften stu- gesuchten Studenten auch bestmöglich zu fördern. dieren. Ich war gesellschaftspolitisch engagiert und bin bereits als 18-Jähriger in die SPD eingetreten – eine her- Die Verpflichtung der Hochschulen beginnt aber be- vorragende Entscheidung übrigens. reits im Vorfeld der Auswahl, nämlich bei derStudien- beratung. Auch an dieser Stelle sind entscheidende Ver- (Beifall bei der SPD – Renate Blank [CDU/ besserungen notwendig. Nur beste Beratung ermöglicht CSU]: Das war der Fehler!) es angehenden Studenten, die für sie interessantestenPolitik war meine Leidenschaft, da wollte ich mehr wis- Studienangebote zu ermitteln. Die Studienberatung er- sen. hält hierdurch eine gänzlich neue Bedeutung. An der FU Berlin konnte ich ohne Wartezeit direkt Die Umsetzung der Entscheidung, die wir heute tref- nach dem Abitur studieren; ich hatte somit das Glück, fen, die von den Ländern gemeinsam initiiert worden ist dass mein Wunschstudiengang nicht zulassungsbe- und von diesen mitgetragen wird, ist ein Schritt vorwärts schränkt war, sonst hätte ich ihn nicht belegen können. zur Autonomie der Hochschulen und zur Verbesse- Schließlich habe ich das Studium erfolgreich absolviert. rung der Lehrsituation an den Hochschulen. Unser Ziel bleibt jedoch die komplette Abschaffung einer Quo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tierung und der ZVS in ihrer derzeitigen Form. Dies ist Warum sollten auch meine bescheidenenSchulleis- ein zielführender Weg zu einem wettbewerbsfähigen und tungen mich am Politologiestudium hindern? Es ist auch effizienten Hochschulsystem. gar nicht einzusehen, warum die gemittelten Schulleis- (Beifall bei der CDU/CSU) tungen einziges Kriterium der Studiereignung für unter- schiedliche Fächer sein sollen. Wir wissen von der Un- Zudem kann die Neuordnung des Hochschulzugangs al- vergleichbarkeit der Noten sogar innerhalb einer Schule lein eine umfassende Reform des Hochschulrahmenge- oder auch im Verhältnis zu den Bewerbern mit berufli- setzes nicht ersetzen. Diese bleibt weiterhin notwendig. cher Bildung. Wo bleibt da die Chancengerechtigkeit? Daran werden wir arbeiten. Untersuchungen zeigen, dass es einen statistischen Zu- Besten Dank. sammenhang zwischen Abiturdurchschnitt und Studien- erfolg gibt. Die Schulleistungen sind damit ein wichti- (Beifall bei der CDU/CSU) ger, aber eben nicht der einzige und schon gar nicht im- mer der ausschlaggebende Prognosefaktor für den späte- (D) (B) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ren Erfolg an der Hochschule. Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da klatscht nur einer!) Swen Schulz (Spandau) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Mit diesem Gesetz wird es den Hochschulen ermög- Kollegen! Meine Damen und Herren! Bei einigen Rede- licht, 60 Prozent der Studienplätze selbst in einem beiträgen der Opposition zu dieser Debatte kam es mir Auswahlverfahren zu vergeben; daneben gilt weiterhin etwa so vor wie bei der Zuwanderungsdebatte vorhin: die Vergabequote von 20 Prozent der Studienplätze an Abiturbeste und von 20 Prozent nach Wartezeit. In die- (Jörg Tauss [SPD]: Ja! – Zuruf von der CDU/ sem Verfahren können neben der Durchschnittsnote wei- CSU: Da haben Sie aber schlecht zugehört!) tere Kriterien angesetzt werden, nämlich stärkere Alle sind sich im Grunde einig; man hat einen Kompro- Gewichtung von Einzelnoten des Schulabschlusses, Er- miss vereinbart, aber ein paar müssen hier ein parteipoli- gebnisse eines Tests, Ergebnisse eines Auswahlge- tisches Theater aufführen. – Schade eigentlich! sprächs, Art der Berufsausbildung und außerschulische Aktivitäten. Das ist eine Chance für die Hochschulen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aber eben auch und gerade für die Studierenden. DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Aber wenn es nicht reicht, Herr Schulz?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber nun zum Thema: Mit diesem Gesetz erhalten die Hochschulen Möglichkeiten, sich ihre Studierenden aus- Denn auf diese Weise können auch diejenigen zum Zuge zusuchen. Das ist die eine Seite. kommen, die wie ich nicht so gute Noten haben, aber für ein bestimmtes Studium qualifiziert und motiviert sind. Ich möchte vor allem betonen, welche Vorteile die Das ist eine wirklich sehr gute Nachricht, insbesondere neuen Regelungen für die Studierenden haben. Zum ei- für diejenigen, die sich lange Wartezeiten schlicht nicht nen erhalten sie mehr Wahlfreiheit und zum anderen be- leisten können. kommt beim Hochschulzugang dieEignung für das Wunschstudium im Verhältnis zur Abiturdurchschnitts- (Ulrike Flach [FDP]: Es sind nur zu wenige, note ein stärkeres Gewicht. die es tun dürfen!) Um diesen Vorteil einmal zu verdeutlichen, will ich Es ist ein Baustein dazu, dass alle ihren Fähigkeiten ent- hier im Hohen Hause ein Geständnis machen. Ich war sprechend Bildungschancen erhalten. 10736 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Swen Schulz (Spandau) (A) Beim Hochschulzugang wird das Abitur weiterhin Die Hochschulen dürfen hier nicht alleine gelassen wer- (C) eine maßgebliche Rolle spielen. Das ist wichtig, umden, sondern müssen Unterstützung erhalten. nicht gewissermaßen einer vollkommenen Freihändig- keit der Auswahlentscheidungen Raum zu geben. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schule soll ja schließlich nicht entwertet werden. Der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulrike neue Weg, den wir jetzt einschlagen, gibt den Hochschu- Flach [FDP]: Die können das doch alleine ma- len ergänzend die nötige Freiheit, das eigene Profil zu chen!) schärfen, formuliert aber zum Schutz der Schulabgänger Es bleibt festzustellen: Der Willensbildungsprozess in notwendige Rahmenbedingungen; daher auch die Quote dieser Frage ist ein Beispiel für das gelungene Zusam- nach Wartezeit. Wenn Schulabsolventen mit Hochschul- menwirken von Gesellschaft, Wissenschaft und Politik. reife nicht die Möglichkeit zum Studium erhalten wür- Wir reden so viel über Politikverdrossenheit, Blockaden den, weil sie weder zu den Abiturbesten gehören noch und Verflechtungsfallen, da sollten wir auch einmal sol- von den Hochschulen ausgewählt werden, würden wir che positiven Beispiele der erfolgreichen Zusammenar- vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen. beit selbstbewusst hochhalten. (Jörg Tauss [SPD]: Ja! Herr Rachel, haben Sie Herzlichen Dank. gut zugehört?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wer die Hochschulreife erlangt hat, hat ein Recht auf DIE GRÜNEN) das Hochschulstudium. Wir wenden uns gegen alle Ver- suche, Menschen von Bildungsangeboten auszuschlie- ßen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf des Bundesrates zur Änderung des Hochschulrah- Dem Auswahlgespräch sollte eine besondere Bedeu- mengesetzes auf Drucksache 15/1498. Der Ausschuss tung zukommen, weil es in der Kombination mit einer für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung verbesserten Beratung zu passgenauen Entscheidungen empfiehlt auf Drucksache 15/3475, den Gesetzentwurf der Studierenden beitragen kann – das Fach und den Stu- in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt mir dienort betreffend. Beratung und Qualifikationsfeststel- eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung der Kolle- lung sind geeignet, die sehr hohe Studienabbrecherquote gen Katherina Reiche, Thomas Rachel und zahlreicher in Deutschland zu reduzieren. anderer Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion vor, der (B) (Ulrike Flach [FDP]: Glauben Sie denn nicht, sich auch der amtierende Präsident anschließt. Ich ver-(D) dass die Unis das alleine entscheiden sollten?) mute, Herr Tauss, dass Sie nicht darauf bestehen, dass diese Erklärung vorgelesen wird, Wir wollen den Studierenden nicht nur alle Möglichkei- ten eröffnen, sondern ihnen auch helfen, die richtige Ent- (Jörg Tauss [SPD]: Das wäre doch mal scheidung zu fällen. interessant!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schon gar nicht, wenn das von Ihrer Redezeit abgezogen DIE GRÜNEN) werden müsste. Studierende, die durch ein Auswahlverfahren gegan- Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- gen sind, sind Untersuchungen zufolge besonders moti- stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- viert und identifizieren sich mit ihrer Hochschule –gegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist der übrigens auch umgekehrt die Hochschulen mit ihrenGesetzentwurf bei Enthaltung der FDP-Fraktion in zwei- Studierenden. Es hat sich gezeigt, dass die Kombination ter Beratung angenommen. von Abiturdurchschnitt, Studierfähigkeitstes ts und Wir kommen zur strukturierten Auswahlgesprächen dazu führt, dass bis zu 95 Prozent der Studenten ihr Studium innerhalb der dritten Beratung Regelstudienzeit erfolgreich absolvieren. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine so gute Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sache darf auch etwas kosten. Die Hochschulen werden Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – einen entsprechenden Aufwand treiben müssen und wol- Dann ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit bei Ent- len. Sie sollten von den Ländern in die Lage versetzthaltung der FDP-Fraktion und zwei Gegenstimmen der werden, die in dem neuen System der Hochschulzulas- fraktionslosen Abgeordneten angenommen. sung liegenden Chancen auch tatsächlich zu ergreifen (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war aber eine (Jörg Tauss [SPD]: Da sind wir einmal ge- kräftige Enthaltung!) spannt!) – Herr Kollege Küster, ich bitte um Nachsicht, dass ich und die Zulassungsverfahren valide und verlässlich aus- der Versuchung widerstehen möchte, vonseiten des Prä- zugestalten. Wir müssen verhindern, dass die Hochschu- sidiums zu kommentieren, in welchen Fällen es sich um len die Auswahl entweder nicht sorgfältig genug gestal- eine kräftige und in welchen es sich um eine schwache ten oder die nötigen Ressourcen von der Lehre abziehen. Enthaltung gehandelt haben könnte. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10737

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) (Ulrike Flach [FDP]: In diesem Fall war es Gesetzes zur Änderung des Bundesschienen-(C) eine sehr kräftige!) wegeausbaugesetzes Ich vermute nämlich, dass, sobald wir das einführen, re- – Drucksachen 15/1656, 15/1804 – gelmäßig die Parlamentarischen Geschäftsführer hier (Erste Beratung 72. Sitzung) oben stehen und sich über diese fälschliche Kommentie- rung beklagen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Wir kommen nun zur Abstimmung über einen Ent- (14. Ausschuss) schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- sache 15/3476 – im Zweifelsfall, Herr Küster, ein starker – Drucksache 15/3382 – Entschließungsantrag. Wer stimmt für diesen Entschlie- Berichterstattung: ßungsantrag? – Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich (Ulrike Flach [FDP]: Das ist eine starke Eduard Lintner Zustimmung!) Albert Schmidt (Ingolstadt) Horst Friedrich (Bayreuth) – Das wird aber nicht reichen, fürchte ich. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan- ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst trag ist abgelehnt. Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), weiterer Abgeordne- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 d ter und der Fraktion der FDP sowie den Zusatzpunkt 3 auf: Kurskorrektur bei Verkehrsinvestitionen – Fi- 12 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk nanzierung des Bundesverkehrswegeplans Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus 2015 sicherstellen W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter – Drucksache 15/3470 – und der Fraktion der CDU/CSU Überweisungsvorschlag: LKW-Mauteinführung zügig voranbringen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Haushaltsausschuss – Drucksache 15/3314 – Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ände- Überweisungsvorschlag: rung des Fernstraßenausbaugesetzes liegt ein Entschlie- Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. (B) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (D) Haushaltsausschuss (Unruhe) b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten – Die Geschäftsordnung schließt nicht aus, dass an der Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk FischerBeratung dieser Anträge auch Bildungspolitiker teilneh- (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordne- men. So sie das nicht können oder wollen, wäre es ter und der Fraktion der CDU/CSU schön, wenn der Schichtwechsel möglichst geräuschlos Verkehrssicherheit für Kinder realisiert werden könnte. – Drucksachen 15/1828, 15/2942 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre ich c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. gierung eingebrachten Entwurfs einesFünften Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst für Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenaus- die Bundesregierung Herr Bundesminister Dr. Stolpe. baugesetzes (Beifall bei der SPD) – Drucksachen 15/1657, 15/1803 – (Erste Beratung 72. Sitzung) Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver- kehr, Bau- und Wohnungswesen: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ses für Verkehr, Bau- und WohnungswesenHerren! Herr Präsident, ich bedanke mich sehr für Ihre (14. Ausschuss) Zwischenbemerkung in Richtung der Bildungspolitiker; – Drucksache 15/3412 – denn Verkehrspolitik ist nun wirklich keine Nebensache, sondern geht alle an. Das wird spätestens dann deutlich, Berichterstattung: wenn man sieht, wie stark das Interesse bei Diskussio- Abgeordnete Reinhard Weis (Stendal) nen über Ortsumgehungen ist. Renate Blank Peter Hettlich Tatsächlich geht es bei Verkehrspolitik um die Ent- Horst Friedrich (Bayreuth) wicklung und Stärkung unserer Wirtschaft, es geht um Arbeitsplätze und Innovationen als Zukunftshilfe. d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Letztlich – nach meiner Überzeugung vor allem – geht gierung eingebrachten Entwurfs einesErsten es dabei um die Menschen, um ihreMobilität, um ihre 10738 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe (A) Chancen und – nicht zu vergessen – um ihreSicherheit fahrung darf ich aber sagen, dass es immer wieder aufs (C) im Verkehr. Neue überraschend ist, welche Streitigkeiten sich erge- ben können. Der Streit um die Frage, ob die Ortsumge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hung südlich oder nördlich verlaufen soll, ist oftmals ein des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Entscheidungshindernis. Von unserer Seite ist die Frei- Die Verkehrswege – ihr Erhalt und ihr Ausbau – sind heit der Entscheidung gegeben. die Voraussetzung für die Erfüllung dieser Aufgaben. Wir haben vor allen Dingen die Möglichkeit, Gewer- Verkehrswegebau ist eine langfristige Aufgabe: Projekte begebiete anzuschließen, sie leichter erreichbar zu ma- müssen vorbereitet werden, es muss geplant werden, nö- chen sowie Betriebsansiedlungen und Betriebserweite- tige Verfahren müssen begonnen und durchgeführt wer- rungen in Angriff zu nehmen. Am Ende wird der Erfolg den und es muss einAusgleich zwischen ökonomi- an der Zahl der neu entstandenen Arbeitsplätze und an schen und ökologischen Interessen stattfinden, was ja der Anzahl der Bauaufträge ablesbar sein. Der Satz, dass nicht selten spannend ist. Dabei müssen Prioritäten ge- 1 Milliarde Euro an Investitionen in die Verkehrsinfra- setzt werden. struktur 25 000 Arbeitsplätze schafft oder sichert, bleibt Kurz und knapp gesagt: Ein Bundesverkehrswege- richtig. Wer sonst als wir, die wir oft gut und manchmal plan ist wirklich nötig. Man kann nicht einfach drauflos- kontrovers diskutieren, kann das von seinem Ressort laufen, sondern muss wissen, wohin die Reise gehen bzw. Arbeitsgebiet sagen? soll. Der Bundesverkehrswegeplan wurde in einem, wie wir glauben, sehr transparenten Verfahren aufgestellt. (Beifall bei der SPD) Sie erinnern sich: Das war auch schon bei einem Vorent- Man muss allerdings anmerken, dass die Ausbauge- wurf der Referenten der Fall; wir haben nicht Verstecken setze wahrlich keine Einkaufsliste sind. Ich möchte alle gespielt, sondern alle eingeladen, sich dazu zu äußern. herzlich bitten, nicht so zu tun, als ob wir jetzt alle Maß- Verbände und Kommunen quer durch Deutschland, nicht nahmen sofort in Angriff nehmen und eins zu eins um- zuletzt die Abgeordneten, aber auch die Länder haben setzen könnten. Wir haben eine Prognose, die bis 2015 sich dazu äußern können. reicht, zugrunde gelegt. Wir haben dabei nicht knapp ge- Ich will die Gelegenheit nutzen, allen herzlich zu dan- rechnet. In diesem Zusammenhang möchte ich den Be- ken, die daran konstruktiv mitgearbeitet haben. Erlauben griff „Reserve“ bewusst vermeiden. Wir haben uns aber Sie mir, dass ich ganz besonders dem Parlamentarischen sorgfältig mit den vorliegenden Zahlen auseinander ge- Staatssekretär Achim Großmann für seine Arbeit danke. setzt. Es besteht die realistische Möglichkeit, das, was in diesem Plan enthalten ist und was für dringend notwen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dig gehalten wird, Schritt für Schritt umzusetzen. (B) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Eduard (D) Oswald [CDU/CSU] und des Abg. Horst Die Kollegen auf der rechten Seite werden sicherlich Friedrich [Bayreuth] [FDP]) fragen – ich bin ganz sicher, dass das noch kommen wird –: Was nutzt der Plan und was nutzen die Ausbau- Es ist so wie meistens im Leben: Auf den Pferden reiten gesetze, wenn das Geld noch nicht vollständig vorhan- nachher andere. Er aber ist der Motor des ganzen Ge-den ist? schäftes gewesen. Ein herzliches Dankeschön auch für seine Geduld! Ich glaube,man muss Rheinländer sein, (Beifall des Abg. Eduard Lintner [CDU/ um dieses Vorhaben zwischen den Reihen voranzubrin- CSU] – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Nehmen gen. Wir haben es geschafft – viele im Parlament haben Sie meine Rede nicht vorweg, Herr Minister!) dazu beigetragen –: Der Bundesverkehrswegeplan ist in- Stolpe, wo hast du das Geld? Zeig uns die Euros, damit zwischen aufgestellt und es liegenAusbaugesetze zur wir glauben können, dass es gemacht wird! Bedenken Beratung und zur Entscheidung vor. Sie aber, dass in Gesetzen beschlossene notwendige In- Mit diesen Gesetzen können wir die Grundlage für vestitionen Realität schaffen. die weitere Arbeit schaffen. Quer durch Deutschland fra- gen uns die Verantwortlichen von Regionen und Städten, (Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]) die Unternehmer und Investoren sowie Bürgerinnen und Das hat Gewicht in Finanzverhandlungen. Bürger, wie es weitergeht. Sie können an den Gesetzen erkennen, was das Parlament will, was die Regierung Jeder hier im Saal weiß, dass wir nach der Definition will und was die Ziele sind. Das eröffnet – das wissen von Subventionen vom 19. Dezember des vorigen Jah- Sie aus vielen Debatten – Möglichkeiten für neue Ent- res – damals wurde die unglückliche Entscheidung ge- wicklungen und setzt nicht selten Investitionen in Gang. troffen, Verkehrswegeinfrastrukturmaßnahmen als Sub- Wenn man weiß, dass eine Strecke gebaut wird, dannventionen einzustufen – mit dramatischen Kürzungen zu denkt man sehr viel positiver über Investitionen an dem rechnen hatten. Nach der Aufstellung des Haushaltes für betreffenden Standort als vorher. 2005, die vor wenigen Tagen erfolgt ist, ist unser Ressort um 1 Milliarde Euro besser gestellt worden. Es besteht die Chance, Ortsumgehungen zu bauen. Wir können den Innenstädten helfen, indem wir dafür (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert sorgen, dass sie revitalisiert werden. Geplagte Anwohne- Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE rinnen und Anwohner werden sich über die ersehnte Ver- GRÜNEN] – Dr. Uwe Küster [SPD]: Gut ge- kehrsentlastung freuen. Aus meiner 20-monatigen Er- kämpft! Gut gebrüllt, Löwe!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10739

Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe (A) Dazu haben natürlich die deutlichen Reden an dieserDazu zählen eine leistungsfähige Verkehrswirtschaft und (C) Stelle und nicht zuletzt die deutlichen Erklärungen aus eine innovative Technologiepolitik. Unsere Verkehrs- dem Lande zu der Notwendigkeit von Verkehrsbauten wirtschaft in Deutschland hat immense Potenziale. Sie beigetragen. ist dynamisch, sie ist wettbewerbsfähig und sie arbeitet an den logistischen Fragen der Zukunft. In Deutschland Wir können nun im Jahre 2005 zum Glück nicht nur gibt es – viele von Ihnen, meine Damen und Herren, ha- den Bestand sichern oder gar nur etwas ausflicken, son- ben das selbst ergründet – hervorragende Logistiker. Sie dern auch dringende Vorhaben neu beginnen, können Aufträge auf der Grundlage des Bundesverkehrswege- nutzen den zentraleuropäischen Standort in immer stär- plans auslösen. Das ist dabei ein entscheidender Punkt. kerem Maße, und zwar auch gerade nach dem 1. Mai. Sie haben einen Vorlauf im kombinierten Verkehr, sie Die Moral von der Geschichte heißt für mich: Diehaben inzwischen große Erfahrung im Einsatz neuer Dringlichkeit überzeugt, wenn sie die Beschlussform des Kommunikationstechniken sammeln können und sie Parlaments erhält, noch viel mehr. Sogar Haushältersind als Dienstleister im hohen Maße auch grenzüber- können darüber nachdenken, was dann die Prioritäten schreitend tätig. Darauf können wir stolz sein. Wir müs- sind, und sich entsprechend entscheiden. Wir brauchen sen das aber auch unterstützen. Wir wollen sowohl im also die Beschlussfassung. Deshalb bitte ich Sie, trotz al- Bereich der Technologie als auch durch das Vorhalten lem, was in der Debatte sicherlich noch vorgetragender Verkehrswege die Bedingungen dafür schaffen, dass wird, nicht zu sagen, das sei nur Makulatur, sondern mit- diese Möglichkeiten der Wirtschaft in Deutschland wei- zuhelfen, dass wir die notwendigen Beschlüsse bekom- terhin genutzt werden können. men, und in den folgenden Monaten dazu beizutragen, dass wir den Rücken in der Finanzdebatte frei haben. Technologiepolitik im Bereich Verkehr ist auch ak- tive Gestaltung der Zukunft. Auf diesem Feld entschei- Uns hilft schlicht gesagt nicht ein Lamento über noch den wir über unsere Chancen, die Maßstäbe der Mobili- fehlende Summen, sondern uns hilft ein klarer Gesetzes- tät im 21. Jahrhundert mitzubestimmen. Daher begrüße auftrag für Straße und Schiene. Auch für die weiteren ich die zwischen den Vereinigten Staaten und der Euro- parlamentarischen Beratungen des Haushalts 2005 päischen Union erzielte Einigung über daseuropäische brauchen wir natürlich dringend Ihre Unterstützung. Am Satellitennavigationssystem Galileo. Auch wir haben besten wäre es, wenn Sie mithelfen würden, die unglück- den Kampf miterlebt und mit erlitten, der nötig war, um selige Definition von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen uns zunächst einmal innerhalb der Europäischen Union als Subventionen rückgängig zu machen. durchzusetzen, auch mit der wirtschaftlichen Führer- (Beifall bei der SPD) schaft von deutscher Seite aus, mit den Standorten in Deutschland, und dann schließlich in den Verhandlungen (B) Der schönste Beschluss wäre eine Revision dessen, was (D) mit den Vereinigten Staaten, um zu erreichen, dass das am 19. Dezember im Blick auf Verkehrswege entschie- ein gleichberechtigtes System neben GPS ist. Das ist in- den worden ist. Dann könnten wir noch ein bisschen zwischen geklärt. Das war der wichtigste Erfolg des mehr schaffen als das, was jetzt dringend erforderlich ist. Gipfels zwischen den Vereinigten Staaten und der Euro- Verkehrspolitik ist mehr als Infrastrukturbau. Wir ge- päischen Union vor wenigen Tagen in Dublin. Das ist hen hierbei auch neue Wege, und zwar insbesondere be- eine gute Entwicklung, dieuns allerdings auch darin züglich der gerechten Anlastung der Wegekosten im bestätigen muss, dass wir auch im Bereich der Verkehrs- Güterverkehr. Bei LKW wollen wir die Umstellungtechnologie als eines wichtigen Hebels der Industrie- von der Steuerfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung politik dranbleiben müssen. Wir können damit Markt- über die Gebühren erreichen. Wir haben ja eine Phase potenziale erschließen. Sie werden sich an die von acht Monaten hinter uns, in der ich beinahe schon eindrucksvollen Reden von heute Vormittag erinnern. den Beinamen Maut erhalten habe. Inzwischen haben Unsere Orientierung sollte sein, die Nase vorne zu haben wir eine verbesserte Vertragsgrundlage. Auf der anderen und nicht das nachzubauen, was schon immer gebaut Seite gibt es ein Management, das sich intensiv bemüht, worden ist, sondern Entwicklungen voranzubringen, die zu einem Ergebnis zu kommen. Ich bin sehr dankbar da- dann auch weltweit Akzente setzen können und der deut- für, dass ich unlängst im Ausschuss darüber berichten schen Wirtschaft voranhelfen. konnte und dass dort auch die Vertreter der Unternehmen in verlässlicher Weise über den Stand berichtet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben eine solide Rechtsgrundlage und es gibt ein hartes Controlling, bei dem wir ganz dicht dabei blei- Deutschland erbringt mit der Qualität seiner Infra- ben. Es ist also davon auszugehen, dass das Ziel derstruktur und mit der Leistungskraft seiner Verkehrswirt- Übung zu erreichen ist. Ab 1. Januar werden dann end- schaft einen gewichtigen Beitrag für die Wettbewerbsfä- lich die Kassen in der Größenordnung klingeln, wie wir higkeit auch des Standortes Europa. es erreichen wollen. Wir alle sind geneigt, unsere eigenen Probleme zu se- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hen, aufzuzählen und dann gelegentlich ein bisschen DIE GRÜNEN) traurig in die Welt zu schauen. Es macht aber richtig Mit unserer Verkehrspolitik zielen wir auf den Stand- Freude, zu erleben, wie Deutschland im Bereich der Ver- ort Deutschland als Ganzes. Wir konzentrieren uns in- kehrspolitik und der Verkehrsinfrastruktur von außen ge- soweit auf Innovation, Wirtschaftskraft und Wachstum. sehen wird. Wir sind für viele in den unterschiedlichsten 10740 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe (A) Bereichen, die wir in der Verkehrspolitik haben, ein Vor- frastruktur bereitgestellt werden. Ich frage mich: Warum (C) bild. tun Sie es dann nicht? (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Na ja! – (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Zuruf der Abg. Birgit Homburger [FDP]) [CDU/CSU]: Das ist die Frage!) – Selbst die viel geschmähte Deutsche Bahn ist Warum in sorgen Sie nicht für die notwendigen Rahmenbe- Europa zumindest die zweitbeste. dingungen? Warum schaffen Sie nicht die Voraussetzun- gen zur Sicherung der Mobilität? Wir werden dazu beitragen müssen, dass sich diese Entwicklung weiter gut gestalten lässt. (Eduard Lintner [CDU/CSU]: Weil sie es nicht können!) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Meine Damen und Herren, rot-grüner Verkehrspolitik ist Herr Minister, Sie bedenken bitte die Anrechnung Ih- die Handlungsfähigkeit abhanden gekommen. rer Redezeit auf das Kontingent Ihrer Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver- Im Bundesverkehrswegeplan, den Sie im letzten Jahr kehr, Bau- und Wohnungswesen: vorgelegt haben, wird ein Wachstum der Verkehrsnach- Herr Präsident, ich bin schon ganz nervös. Aber ich frage von 64 Prozent bei Gütern und 21 Prozent bei Per- will noch meinen Schlusssegen halten, wenn Sie mirsonen skizziert. Welche Konsequenz haben Sie daraus dies erlauben. gezogen? Genau darauf hätten Sie doch Ihre Ausbauge- setze bezüglich Schiene und Straße ausrichten sollen. Ihr Mir liegt sehr daran, zum Ausdruck zu bringen, wie Grundfehler ist es, dass Sie sich bei diesen Gesetzen sehr wir mit öffentlichen und privaten Investitionen vo- nicht am festgestellten Bedarf, sondern an einem viel zu rankommen müssen. Wir werden deshalb diePublic engen Finanzrahmen orientiert haben. Das ist das Pro- Private Partnership deutlich auszubauen haben und in blem. diesem Zusammenhang unsere Netze und Verbindungen mit den Nachbarn, die wir in Mittel- und Osteuropa ha- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ben, erweitern. Darin liegen wirklich große Chancen für neten der FDP – Albert Schmidt [Ingolstadt] die Entwicklung der Verkehrswirtschaft in Deutschland. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Gebot der Ehrlichkeit! – Weitere Zurufe von Dies sind die Aufgaben, die vor uns liegen. Der Bun- der SPD) desverkehrswegeplan und die vorliegenden Ausbauge- (B) setze sind mit eine Grundlage dafür. Vor diesem Hinter- Zunächst das Mautdebakel und dann noch das unseri- (D) grund bitte ich Sie herzlich, uns zu unterstützen undöse Verfahren im Hinblick auf die nicht vorhandenen mitzuhelfen, dass wir die Verkehrspolitik in Deutschland Einnahmen! offensiv weiterführen können. Es ist zum Nutzen des Landes. (Zuruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]) Schönen Dank. – Je lauter es hier wird, umso mehr habe ich mit dem, was ich hier sage, Recht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Wenn Sie die Einnahmen aus der LKW-Maut, so wie Nun erhält der Kollege Eduard Oswald das Wort, so- im Vermittlungsverfahren vereinbart war, zusätzlich für weit ihm der Bundesminister nicht tatsächlich seinedie Verkehrsinfrastruktur verwendet hätten, dann hätten Rede vorweggenommen hat. Aber das wird er ja sicher Sie damit alle von der Union geforderten Maßnahmen fi- jetzt klarstellen. nanzieren können. Das ist die Realität. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Dass Sie die Maut dem Haushalt untergruben, war Ihr Eduard Oswald (CDU/CSU): Fehler. Sie haben sich selbst damit ein Bein gestellt. Nein, Herr Präsident, keine Angst; er hat sie nicht vorweggenommen. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Meine Damen und Herren, wer nicht baut, baut ab. und Kollegen! Mit den von der Koalition vorgelegtenTatsache ist: Mehr als 30 Prozent der Bundesstraßen Ausbaugesetzen haben die Bundesregierung und die Ko- sind nur eingeschränkt gebrauchsfähig. Jede siebte Stra- alition ihre Chancen nicht genutzt. ßenbrücke ist in einem kritischen bis ungenügenden Bauwerkszustand. Der Bundesminister aber sagt: Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- sind ein Vorbild. Angesichts solcher Zahlen sind wir rufe von der SPD: Oh!) kein Vorbild. Wir liegen auch in diesem Bereich in Europa nicht vorne, sondern hinten. Im Frühjahr 2002 haben Sie die Mobilitätsoffensive auf den Weg gebracht. Dort heißt es: Um Mobilität gewähr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- leisten zu können, muss eine leistungsfähige Verkehrsin- neten der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10741

Eduard Oswald (A) Nahezu jede fünfte der 32 000 Schienenüberführun- bringen, 12 Milliarden Liter Treibstoff werden ungenutzt (C) gen ist älter als 100 Jahre, sogar fast jede zweite ist älter in die Umwelt geblasen d un es entstehen volkswirt- als 75 Jahre. Von den 600 Tunnelbauwerken der Bahn ist schaftliche Schäden in einer Größenordnung von die Hälfte älter als 127 Jahre, zwei Drittel sind älter als 100 Milliarden Euro. Sie hätten jetzt die Chance gehabt, 100 Jahre. Im Netz der Bundeswasserstraßen bestehen Deutschland mit voranzubringen. Mit den Gesetzen, die erhebliche Engpässe. heute zur Abstimmung stehen, werden Sie das jedoch nicht erreichen. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Seit 100 Jahren haben wir (Beifall bei der CDU/CSU) versagt! – Zurufe von der SPD) Wir wollen derWirtschaftsentwicklung wieder Herr Präsident, ich bin er hi nicht in dem von mir Schwung geben. Wir wollen die Verkehrsinvestitionen selbst geführten Ausschuss, sonst würde ich jetzt fürmit als Konjunkturmotor nutzen. Wir wollen leistungsfä- Ruhe sorgen. Aber ich verstehe die Unruhe. hige Verkehrswege für ein stetiges Verkehrswachstum. Das ist eine geradezu erschreckende Zustandsbe-Wir wollen den Standortvorteil Deutschlands wiederher- schreibung. Dabei galt das deutsche Verkehrsnetz einst stellen und sichern. Dazu brauchen wir eine neue Infra- weltweit als vorbildlich. Heute zehren wir von der Sub- strukturpolitik. Mit Ihren Gesetzen bleibt Deutschland stanz. Denken Sie daran: Gute Verkehrswege erzeugen im Stau. einen Multiplikationseffekt und bieten zugleich Chancen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) für mehr Arbeit und Lebensqualität. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt, Herr Kollege, ich möchte den Vorschlag machen, dass Bündnis 90/Die Grünen. man sich wechselseitig, sowohl am Rednerpult wie im Auditorium, um die Halbierung der Lautstärke bemüht. Ich glaube, das würde der Verständlichkeit dieser De- Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE batte sehr bekommen. GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kollegen! Geschätzter Herr Kollege Oswald, verehrter DIE GRÜNEN) Herr Vorsitzender, ich habe gedacht, das Wichtige kommt erst noch, dabei sind Sie schon fertig. Ich bin et- Eduard Oswald (CDU/CSU): was frappiert. Aber ich werde versuchen, mich auf die (B) Wer Haushaltskorrekturen nach dem Motto „Bildung Inhaltsarmut Ihrer Ausführungen einzustellen und den(D) statt Beton“ in die Diskussion bringt, muss wissen: Fokus auf das Wesentliche der neuen Ausbaugesetze und Deutschland braucht im internationalen Wettbewerb bei- des ihnen zugrunde liegenden Bundesverkehrswege- des. Bauinvestitionen sind ebenso Zukunftsinvestitio- plans zu richten. nen wie Bildung. Ohne Bau gibt es keine Zukunft. Sie haben in einem Punkt völlig Recht, Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU und Oswald: der Die Ausbaugesetze, die wir heute beschließen FDP – Siegfried Scheffler [SPD]: Diesen Satz sollen, und auch der neue Bundesverkehrswegeplan er- können wir unterstreichen!) füllen selbstverständlich nicht alle Wünsche, auch nicht alle Wünsche der Grünen, um das klar zu sagen. Wir hät- Jeder Verkehrsträger ist seinen spezifischen Vorteilen ten noch viele Wünsche in verschiedenen Richtungen. entsprechend zur Geltung zu bringen. Dabei müssen die Die Gesetze sind letztlich das Ergebnis eines mühsamen, Verkehrsnetze enger miteinander verknüpft und die Sys- langen und zähen Verhandlungsprozesses, bei dem na- teme besser integriert werden. türlich auch die Länder eine Rolle gespielt haben, bis Ihre Gesetze basieren auf falschen Grundlagen. Die hinunter zur Bürgermeisterebene bei den Kommunen. Annahme, der Anteil des Schienengüterverkehrs werde Ich schließe mich gern dem Dank an den lieben Kol- sich bis zum Jahr 2015 verdoppeln, wird sich leider nicht legen Achim Großmann an, der den schwierigen Job der verwirklichen lassen. Vermittlung mit einer ausgezeichneten Ehrlichkeit und (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wieso mit einer Transparenz sondergleichen durchgezogen hat, „leider“?) wie ich das während Ihrer Regierungszeit niemals erlebt habe. – Wir wollen ja alle die Verlagerung von der Straße auf die Schiene, aber mit diesen Gesetzen läuft das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Bedeutung Deutschlands als Verkehrsdrehscheibe im geeinten Europa wurde bei der Bedarfsplanung nicht Auch wenn dieser Bundesverkehrswegeplan und die hinreichend berücksichtigt. Auch das ist Realität. Mit Ih- darauf basierenden Ausbaugesetze längst nicht alle ren Gesetzen bleibt Deutschland im Stau. Wünsche erfüllen, sollten wir den Blick nicht davor ver- schließen, dass in mindestens drei Bereichen eine völlig (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neue und wesentliche Schwerpunktsetzung stattfindet: Heute müssen wir jährlich 4,7 Milliarden ärgerliche und Erstmals wird mit diesem Bundesverkehrswegeplan der überflüssige Stunden im Stau auf unseren Straßen ver- Schwerpunkt der baulichen Maßnahmen eindeutig auf 10742 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Albert Schmidt (Ingolstadt) (A) den Erhalt und die Modernisierung der vorhandenen die Fahrgäste. Eine solch katastrophale mittelfristige Fi- (C) Infrastruktur, also des Bestandsnetzes sowohl bei der nanzplanung des Bundesfinanzministeriums ist für mich Straße als auch bei der Schiene, gelegt. Man könnte auch eine Kampfansage an die verkehrspolitischen Ziele die- einfacher sagen: Vorrang der Bestandsnetzerneuerung ser Koalition. vor Neubaumaßnahmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das sind Zahlen, die wir in gar keinem Fall akzeptie- sowie bei Abgeordneten der SPD) ren werden; das muss jeder wissen. Ich bin froh, dass es Das ist eine neue Akzentsetzung, die dem geschuldet ist, gelungen ist, in einer Protokollerklärung zum Kabinetts- was Sie hier richtig beschrieben haben, Kollege Oswald, beschluss zu signalisieren, dass wir aus verkehrspoliti- nämlich dass unsere Ingenieurbauwerke, unsere Tunnel- scher Sicht eine Verstetigung der Investitionen wollen bauwerke nicht nur bei der Bahn, sondern auch bei den und nicht ein Abbrechen, unter welchen Voraussetzun- Straßen längst ins kritische Alter gekommen sind, dass gen auch immer. Bei solchen Mittelfristzahlen wäre der der Erneuerungsbedarf gigantisch ist. Weil wir eines der neue Bundesverkehrswegeplan in der Tat zu großen Tei- dichtesten Verkehrsnetze in Europa, wenn nicht gar in len Makulatur, kaum dass wir ihn beschlossen haben. der ganzen Welt haben, ist der Aufwand für die schiere Auch aus einem anderen Grund ist eine solche Zahl Bestandserhaltung und -erneuerung umso größer. völlig unverständlich. Wenn 2008 die Investitionen für Das heißt im Umkehrschluss, dass sich die Wünsche die Schiene auf 2,3 Milliarden Euro sinken sollen, zu- nach Neubaumaßnahmen werden begrenzen müssen.gleich aber nach einer gedachten Privatisierung ein In- Konkret sollen für die Investitionen in das vorhandene vestor angelockt werden soll, muss man sich fragen, Verkehrsnetz bezüglich Straße und Schiene summa sum- welches Signal man damit an den Investor sendet: Wenn marum fast 60 Prozent der geplanten Gesamtmittel auf- du einsteigst, steige ich als Bundesfinanzminister aus. gewandt werden, für Neubaumaßnahmen nur nochAnders ausgedrückt: Man muss sich schon entscheiden: 40 Prozent. Damit dürfte es in Zukunft auch wenigerWill man Investoren für die Bahn anlocken oder ab- Konflikte als bisher bei umstrittenen Neubauprojekten schrecken? Beides zugleich geht nicht. geben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie ernst wir es meinen, liebe Kolleginnen und Kol- Wir machen uns dennoch keine Illusionen über die legen, zeigt sich daran, dass diese Trendwende bereits künftigen Finanzierungslinien. Längst nicht alle Straßen- im Bundeshaushaltsplan 005 2 konkretisiert wird, und und Schienenprojekte werden im vorgesehenen Pla- zwar durch eine Gewichtsverschiebung. Die Ausgaben nungszeitraum bis 2015 bezahlbar sein. Umso sorgfälti- für Erhaltungs- und Umbaumaßnahmen einschließlich (B) ger werden wir aus dem heute verabschiedeten Katalog (D) Lärmschutzmaßnahmen steigen um 20 Prozent, während vordringlicher Verkehrsprojekte in den künftigen Haus- die Ausgaben für den Neubau von Autobahn und Bun- haltsplänen die Projekte auswählen müssen, die aus wirt- desfernstraßen um 40 Prozent gesenkt werden. Das ist schaftlicher Sicht besonders dringlich und ökologisch das Ergebnis einer Trendwende, die nicht ideologisch, vertretbar sind. sondern aus sachlichen Notwendigkeiten heraus begrün- det ist. Wir müssen Abschied nehmen von illusionären Der im Bundesverkehrswegeplan neu eingeführte Wunschträumen. Auftrag, ökologische Konflikte bei Einzelprojekten schon vor der Realisierung des Projektes planerisch zu Die Verkehrsinvestitionen – diesen Punkt möchte lösen – mit dem so genanntenÖkostern oder ökologi- ich vertiefen – für das Jahr 2005 werden im vorliegen- schen Fachauftrag –, wird dabei helfen, diese Entschei- den Kabinettsentwurf zum Bundeshaushaltsplan trotz dungen zu treffen. Was bedeutet dieser so genannte Öko- der von Koch und Steinbrück im Vermittlungsausschuss stern, den manche gern verschwinden lassen möchten? erzwungenen Kürzungsbeschlüsse mit 10,8 Milliarden Diese so genannten ökologischen Planungsvorbehalte Euro summa summarum auf dem bisherigen hohen sind keine politische Willkür, sondern folgen einer ganz Niveau verstetigt. Das ist eine beachtliche Leistung. rationalen Vorgehensweise: 800 Einzelprojekte wurden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schon in der Anmeldungsphase einer Umweltrisikoein- und bei der SPD) schätzung unterzogen – auch das ist eine beispiellose In- novation in diesem neuen Plan –; davon wurden 350 oder Eines will ich aber genauso wenig verschweigen: 360 Projekte ökologisch besonders konfliktträchtig ge- Nach der aktuellen mittelfristigen Finanzplanung, wie kennzeichnet. Dieser Planungsvorbehalt bedeutet: Die- sie jetzt auf dem Tisch liegt, drohen zum Beispiel beim ser Konflikt, diese Unvereinbarkeit der ökologischen Schienenbau erhebliche Einbußen. Demnach sollen zum und der verkehrlichen Bedürfnisse muss beseitigt wer- Beispiel die Bundesmittel für den Schienenbau von den, bevor das Projekt eine Chance zur Realisierung hat. heute noch 3,7 Milliarden Euro – wenn Sie diese Summe Die Oberaufsicht darüber hat das Bundesamt für Natur- jemals erreicht hätten, hätten Sie sich gefreut – bis zum schutz; letztlich müssen wir das im Verkehrs- und Um- Jahr 2008 auf nur noch 2,3 Milliarden Euro gesenkt wer- weltausschuss testieren. den. Was heißt das, liebe Kolleginnen und Kollegen? Damit könnte nicht einmal mehr das Bestandsnetz unter- Das ist eine Innovation; denn damit nimmt der Bun- halten werden. Der Aus- und Neubau von Strecken käme destag seinen eigenen Auftrag ernst, nicht nur den Plan zum Erliegen. Fahren auf Verschleiß, Unpünktlichkeit zu erstellen, sondern auch bei der Umsetzung darauf zu und Modernisierungsstopp wären die Konsequenzen für schauen, was davon auf Dauer ökologisch vertretbar ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10743

Albert Schmidt (Ingolstadt) (A) Auch das ist eine neue Schwerpunktsetzung, die uns Dem Bundesverkehrswegeplan droht wegen fehlen- (C) hilft, den Verkehrswegebau künftig wesentlich ökologi- der Investitionen das gleiche Schicksal wie vielen scher durchzuziehen. Brücken und Straßen in Deutschland: In der Pla- nung zu knapp bemessen, dann die notwendigen In- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- vestitionen in der Betriebsphase unterlassen und SES 90/DIE GRÜNEN) schließlich trotz immer restriktiverer Geschwindig- Das ist übrigens auch ein Vorgriff auf die neue Richtlinie keitsbegrenzungen wegen sicherheitsgefährdender zur strategischen Umweltverträglichkeitsprüfung, nach Qualitätsmängel auf den Zusammenbruch zusteu- der vergleichbare Instrumente vorgesehen sind. ernd. Ich möchte in aller Kürze noch einen letzten Punkt Das sagt Pro Mobilität über den vorliegenden Bundes- ansprechen: Wir werden weiterhin darauf achten – auch verkehrswegeplan. das ist eine Neuheit in diesem Plan –, dass wir Straße Diesem Urteil kann man sich anschließen; denn, Herr und Schiene streng gleichgewichtig mit Finanzmitteln Minister Stolpe, Sie wollten ja mit dem Bundesverkehrs- ausstatten. Das muss nicht nur über die Projekte deswegeplan auch Antworten auf die zusätzliche Verkehrs- Bundesverkehrswegeplans gehen; dazu gehören auch die belastung durch die EU-Osterweiterung geben. Wir Projekte, die über Regionalisierungsmittel als Infrastruk- müssten mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan natür- turprojekte bezahlt werden, und die Projekte, die über lich auch die noch immer offenen Lücken aus dem Zu- das GVFG, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, sammenwachsen beider Teile Deutschlands schließen bezahlt werden. Wir werden aber darauf achten, dass der und – insofern gebe ich dem Kollegen Schmidt Recht – Grundsatz des Verkehrswegeplans, nämlich auch bei der darauf achten, dass der Bestand der Fernverkehrswege Infrastrukturerrichtung eine Chancengleichheit zwi- – egal ob Schiene oder Straße – entsprechend gepflegt schen Straße und Schiene herzustellen, beibehalten wird. Nach der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wird. sollte man sich um seine Anlagen kümmern. Ich fasse zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der neue Verkehrswegeplan ist kein Evangelium, er ist ein Plan. Es wird schwer sein, alles entsprechend umzu- Das Problem ist, dass diese Regierung seit der Amts- setzen. Aber wir werden dafür sorgen, dass die Grundli- übernahme die Belastungen für den Straßenverkehr in nien – ökologische Verträglichkeit, bestandsfreundli-astronomische Höhen getrieben hat. So hoch war die Ab- cher Ausbau und Chancengleichheit für die Schiene – gabenlast für den Autofahrer in Deutschland noch nie. bei der Umsetzung eingehalten werden. (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist Ihr (B) Ich danke Ihnen. Lieblingstextbaustein!) (D) Aber der Rückfluss in Investitionen hält damit leider (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht Schritt. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Deswegen ist – trotz eines Sondereffektes im Zusam- Herr Kollege Schmidt, ich wäre Ihnen dankbar, wenn menhang mit den Erlösen aus der Versteigerung der Sie beim nächsten Mal die angekündigte Zusammenfas- UMTS-Lizenzen – die Differenz zwischen dem, was sung der Rede noch innerhalb der Redezeit unterbringen eigentlich angebracht wäre, und dem, was Sie geben, könnten. größer geworden als zu unserer Zeit und nicht kleiner. Ich gebe nun das Wort an den Kollegen Horst (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Friedrich für die FDP-Fraktion. Das sagt nicht die Opposition, sondern das sagt Herr Pällmann, und das sagen Ihnen auch andere neutrale In- Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): stitute. Sie müssen das nur einmal lesen. Das wollen Sie Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Minister! Liebe aber nicht hören. Das ist die Realität, liebe Kolleginnen Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter und Herr Kollegen von Rot-Grün. Das wird auch nicht da- Großmann, ich will mich eingangs auch für die FDP für durch besser, dass man durch das Land geht und gebets- das durchaus transparente und offene Verfahren der Er- mühlenhaft sagt, die Schiene sei benachteiligt. Gemes- stellung des Bundesverkehrswegeplans bedanken; das sen an den Verkehrsleistungen sind die Investitionen in war sicherlich anerkennenswert. Leider Gottes – damit den Verkehrsträger Schiene dreimal höher als in den Ver- hört der Dank dann auch schon auf – ist das Ergebnis so- kehrsträger Straße. wohl bei der Finanzausstattung als auch bei dem, was verkehrspolitisch an Bedarf zur Aussage gebracht wor- (Zuruf von der SPD: Weil das in der Vergan- den ist, nicht mehr so interessant. genheit nicht fortgeschrieben wurde!) – Die Zwischenrufe machen das nicht besser, Herr Kol- Ich will einleiten mit einem Zitat von Dr. Peter lege. Fischer, dem jetzigen Präsidenten von Pro Mobilität, dem langjährigen Verkehrsminister von Niedersachsen Wenn Sie sich einmal anschauen, wo das Schienen- und – wenn ich richtig informiert bin – immer noch ein- netz und das Straßennetz in welchem Alter und Zustand geschriebenen Mitglied der SPD: sind, dann werden Sie feststellen, dass wir schon zu 10744 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) unserer Regierungszeit sehr viel mehr in die Schiene in- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) vestiert haben, als Sie glauben. Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Rehbock- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zureich, SPD-Fraktion. Lachen bei der SPD) – Sie brauchen nicht zu lachen. Lesen Sie einmal in Karin Rehbock-Zureich (SPD): Ruhe den Bericht von Herrn Pällmann, den Sie selbst be- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! rufen haben, über den Teil hinaus durch, in dem dieEs ging hier bereits um den Dank für einen neuen Bun- Höhe der Maut begründet worden ist! Dann werden Sie desverkehrswegeplan. Ich glaube, die Opposition kann selbst darauf kommen und brauchen keine Zwischenrufe uns sehr dankbar sein, dass wir einen neuen aufgestellt zu machen. haben. Das Problem ist, dass Sie einen Verkehrswegeplan (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie woll- vorlegen, der unter falschen Bedingungen aufgestellt ten es doch von sich aus! Wir hätten doch gar worden ist. Sie unterstellen bis 2015 eineVerlagerung keinen gebraucht!) des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene ge- genüber jetzt um 100 Prozent. Das nimmt Ihnen noch Sehen wir uns einmal die Resultate des alten Plans an: nicht einmal die Bahn ab. Der zentrale Einkaufschef hat Die Projektlisten waren bis zum Anschlag aufgebläht vor wenigen Wochen bei einer Veranstaltung der Parla- und er war mit 50 Milliarden Euro unterfinanziert. Nicht mentariergruppe Schiene erklärt, nach der jetzigen Situa- einmal den ersten Fünfjahresplan konnten Sie annähernd tion sei dieses Ziel illusorisch. Das haben wir vorhererfüllen. schon gewusst. Jetzt haben Sie das auch von der Bahn bestätigt bekommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] Sie haben entgegen Ihrer Ankündigung von heute, [FDP]: Sie haben nicht einmal den Dreijahres- Herr Minister, die Finanzschere bei der Aufstellung des plan erfüllt! – Albert Schmidt [Ingolstadt] Bedarfsplans von vornherein im Kopf gehabt und haben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird uns den Bedarfsplan daran bemessen, indem Sie in der Mit- unvergesslich bleiben!) telfristplanung Zahlen angenommen haben, die von vornherein gedrückt waren. Bei allen Haushaltsschwierigkeiten, die wir haben, ist es uns auch im Haushalt 2005 gelungen, 10,7 Milliar- (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sollen wir den Euro für Investitionen anzusetzen. Sie wissen ganz träumen?) genau, dass diese Zahlen noch viel höher lägen, wenn (B) Sie haben den Nutzen-Kosten-Faktor so angesetzt, dass Ihnen nicht der Mut gefehlt hätte, an wirkliche Subven- (D) einige Bereiche herausgefallen sind, haben dann Luft- tionen heranzugehen. So leiden wir heute unter der Ra- buchungen mit weiteren Bedarfen im Planungsrecht vor- senmähermethode von Koch/Steinbrück. Das heißt: In- genommen, um sich angeblich eine Planungsreserve zu vestitionen im Verkehrsbereich wurden gestrichen und schaffen, die Sie aber gar nicht haben. Jetzt stellen Sie als Subventionen bezeichnet. sich hin und beklagen das Ganze. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Erst hatten Hinzu kommt, dass Sie sich bei denVerhandlungen wir kein Glück und dann kam auch noch Pech über die Maut-Erlöse vom Finanzminister offensicht- hinzu! – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt lich haben über den Tisch ziehen lassen. Was nützt es, spricht die Märchenfee der SPD!) wenn im Haushalt des Verkehrsministers Einnahmen aus der Maut in Höhe von 2,1 Milliarden Euro etatisiert sind Ich komme jetzt zu den Investitionen in den Verkehrs- – so die Maut denn kommt; ich gehe davon aus, dass das träger Schiene: Dass 1998 2,9 Milliarden Euro auf der zum 1. Januar klappt –, wenn der Finanzminister gleich- Tagesordnung standen und dass wir 1999 3,6 Milliar- zeitig bei der Aufstellung des Haushaltes den Etat um den Euro in den Haushalt eingestellt und die Mittel bis 2,2 Milliarden Euro kürzt, und zwar nicht nur einmal, auf 4 Milliarden Euro gesteigert haben, sondern durchgehend? Das ist die Realität. Sie haben den Autofahrern und auch dem deutschen Transportge- (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ werbe vorgegaukelt, Sie würden zusätzliches Geld in die DIE GRÜNEN]: So ist es!) Planung und den Bau von Verkehrswegen stecken, egal zeigt ganz deutlich, dass diese Koalition kein einseitiges ob Schiene oder Straße. Erreicht haben Sie eine weitere Belastung, nicht aber mehr Geld. Interesse an den Investitionen in die Verkehrsinfrastruk- tur gezeigt hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Vor diesem Hintergrund – damit komme ich wieder BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu dem eingangs erwähntenZitat von Pro Mobilität – werden wir bei aller Übereinstimmung in Einzelprojek- Es geht auch um die Verstetigung der Mittel. Ich bin ten des Verkehrswegeplans das Gesamtwerk ablehnen. dankbar, dass es gelungen ist, deutlich zu machen, dass diese Mittel für den Verkehrsträger Schiene bis 2007 und Danke sehr. auch für die darauf folgenden Jahre verstetigt werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- Ab 2008 wird 1 Milliarde Euro zusätzlich eingestellt, ruf von der SPD: Damit können wir leben!) um alle Verkehrsträger voranzubringen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10745

Karin Rehbock-Zureich (A) Sie haben in Ihrem Antrag deutlich gemacht, dass es (Eduard Lintner [CDU/CSU]: Die Wirklich- (C) Ihnen ausschließlich um einen Verkehrsträger geht. Es keit wird Sie einholen! – Weiterer Zuruf von kann nicht sein, dass die Schiene, wie Sie sagen, eine der CDU/CSU: Wer es glaubt, wird selig!) Randrolle spielt. Wenn Sie wissen, dass der Güterver- Vielen Dank. kehr um mehr als 60 Prozent ansteigen wird, und wenn Sie hier von den Kosten des Staus reden, dann muss Ih- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen doch völlig klar sein, dass wir alle Verkehrsträger DIE GRÜNEN) benötigen. Wenn man sich nicht das Ziel setzt, mehr Gü- ter als bisher auf die Schiene zu bringen, dann wird man Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dies auch nicht erreichen. Aus diesem Grund haben wir Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Blank, CDU/ die Investitionsmittel für die Schiene und für die Straße CSU-Fraktion. gleichwertig behandelt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Gesenkt!) Es kommt darauf an, das gesamte Netz zu erhalten. Renate Blank (CDU/CSU): Hier ist gerade der Schienenbereich gefragt. In Zukunft Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mobilität werden gemäß dem Bundesverkehrswegeplan 60 Pro- ist ein Grundrecht. zent der Mittel in den Erhalt fließen. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN]: Richtig!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Aussage, die man eigentlich uns zuschreiben würde, kommt von Albert Schmidt von den Grünen. Lei- Dies ist auch deswegen dringend notwendig, weil uns der sind dies nur Worte und keine Taten; durch die Erweiterung der Europäischen Union auf- gegeben wurde, den grenzüberschreitenden Güterver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – kehr insbesondere im Bereich Schiene voranzubringen. Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Im Schienenwegeausbaugesetz haben wir Schwerpunkte DIE GRÜNEN]: Wieso? Die Taten beschlie- beim grenzüberschreitenden Güterverkehr gesetzt. Bei- ßen wir doch heute!) spiele hierfür sind die Strecken in Richtung der Nieder- denn der Bundesverkehrswegeplan mit den Ausbauge- lande sowie in Richtung Polen und Tschechien. Ein ganz setzen für Straße und Schiene ist bereits jetzt Makulatur wichtiger Schwerpunkt für den alpenquerenden Verkehr und ein Dokument verschenkter Potenziale für wirt- ist die Strecke nach Süden. Auch Seehäfen- die schaftliches Wachstum. Der halbe Meter Papier, der uns (B) anbindungen spielen eine wichtige Rolle im Bereich zur Verfügung stand, ist eigentlich schon reif für den Pa- (D) des Güterverkehrs auf der Schiene. pierkorb. Es ist uns gelungen, einen wirklich strittigen Punkt im Zu verantworten hat dies alles Minister Stolpe, der Bereich des Personenfernverkehrs aufzunehmen, indem Pleiten-, Pech- und Pannenminister der rot-grünen Bun- wir die Belange großer Städte wie Mannheim und Darm- desregierung. stadt im Bundesverkehrswegeplan abgesichert haben. In Zukunft wird der Personenfernverkehr über diese Städte (Dr. Uwe Küster [SPD]: Diese Rede ist doch laufen. eine einzige Panne!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich nenne nur einige Beispiele: Transrapid in NRW, Me- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gaflop Maut, Verhandlungsunfähigkeit in Brüssel hin- sichtlich der Dieselbesteuerung und der Harmonisierung Auch der Bundesrat hat sich zufrieden mit dem Schie- für das Transportgewerbe. Die Krönung seiner Pleiten ist nenwegeausbaugesetz gezeigt; denn es gab wenig zu- jetzt der Bundesverkehrswegeplan, der in keiner Weise sätzliche Vorschläge vonseiten des Bundesrates. Wir ha- einer volkswirtschaftlich orientierten Bedarfsplanung für ben sie in diesem Parlament aufgegriffen und bei denInvestitionen des Bundes in die Verkehrswege ent- Veränderungen berücksichtigt. spricht. Was ich fahrlässig finde, ist, dass Sie ausschließlich (Rainer Fornahl [SPD]: Das Infrastruktur- auf den Verkehrsträger Straße setzen. In Ihrem Antrag gesetz ist das Highlight dieser Legislatur- verabschieden Sie sich von einer zukunftsfähigen Mobi- periode!) lität, indem Sie eine Absage an den Verkehrsträger Aber auch die Koalitionsfraktionen haben sich nicht Schiene formulieren. Aus Ihrer Sicht soll in das Schie- mit Ruhm bekleckert. In sage und schreibe 13 Aus- nennetz weniger investiert werden. schusssitzungen wurde über Straßenprojekte, Schienen- Nur das Zusammenspiel aller Verkehrsträger sichert strecken und Wasserwege diskutiert. Wir wollten in den Ausschussberatungen mit circa 500 Änderungsanträgen Mobilität für die Menschen und vermeidet den Stau. Aus sachgerechte Anpassungen erreichen. diesem Grund ist dieser Bundesverkehrswegeplan ein zukunftsträchtiger Plan. Dagegen können Sie sagen, was (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: 15 Milliar- Sie wollen. In Ihrer Sicht der Dinge offenbart sich eine den teurer! – Dr. Uwe Küster [SPD]: 15 Milli- rückwärts gerichtete Verkehrspolitik, die die Zukunft der arden! Frau Blank druckt das Geld persön- Menschen verbaut. lich!) 10746 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Renate Blank (A) Mit der prinzipiellen Ablehnung unserer Anträge mach- (Lachen bei der SPD – Albert Schmidt [Ingol- (C) ten Sie aber deutlich, dass Sie sich von einer mobilen stadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Zukunft verabschieden und die Bedeutung von Mobilität Gottes willen!) für unsere Gesellschaft völlig ignorieren. Wir hätten nicht in 13 Sitzungen die Zeit verschwenden müssen, um Weitere Kürzungen im Bereich derVerkehrsinfra- zu so einem mageren Ergebnis rot-grüner Verhinde-struktur sind angedacht, obwohl die bisherige Finanzie- rungspolitik zu gelangen. rung des Ausbaus der Infrastruktur in Deutschland durch Rot-Grün bereits völlig unzureichend war. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist Betonradikalismus, (Dr. Uwe Küster [SPD]: Nur hohle Floskeln! was Sie hier predigen!) Eine Worthülse nach der anderen!) Die in der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagten Was nützt Ihre so genannte Transparenz vom Entwurf Ausgaben deuten darauf hin, dass die Bundesregierung des Bundesverkehrswegeplans bis zur heutigen Debatte, die Absicht hat, den dem Bundesverkehrswegeplan un- (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ terstellten Finanzrahmen nicht einzuhalten. Das ist ein DIE GRÜNEN]: Der nackte Asphaltismus!) Skandal. Für jedes zweite bis 2015 zur Planung vorgese- hene Neu- und Ausbauprojekt bei den Fernstraßen wird wenn Sie nicht bereit waren, maßgebliche Änderungen, dann das Geld fehlen, wenn es bei den vorgesehenen die wir empfohlen hatten, vorzunehmen? Die ganzenKürzungen bleiben sollte. Wenn daran festgehalten wird, Diskussionen mit unseren sach- und fachgerechten Vor- die Mittel für den Straßenbau weiter drastisch zu kürzen, schlägen waren doch – salopp ausgedrückt – für diedann bricht Ihr ganzes Szenario für den Bundesverkehrs- Katz, da Sie in Ihren Köpfen keinerlei Bereitschaft zeig- wegeplan wie ein Kartenhaus zusammen. Der BVWP ten, eine bedarfsgerechte Infrastruktur für die nächsten und das Fernstraßenausbaugesetz sind dann nur ein re- Jahre zu planen. gierungsamtlicher Beleg verfehlter Infrastrukturpolitik. (Rainer Fornahl [SPD]: Sinnvolle Vorschläge Die Bundesregierung hat sich außerdem geweigert, hätten wir übernommen, aber von Ihnen ka- neben dem Fernstraßenausbaugesetz und dem Schienen- men keine!) wegeausbaugesetz auch ein Wasserstraßenausbaugesetz Stattdessen haben Sie als Mobilitätsverhinderer mit vorzulegen, obwohl dies von Rot-Grün immer gefordert Ihren restriktiven Ausbaugesetzen Dokumente verkehrs- wurde. Wir sind der Meinung, dass die Bedeutung der politischen Versagens vorgelegt. Der Verkehrsminister Bundeswasserstraßen wieder gestärkt werden muss. ist wahrlich ein äußerst schwacher Sachwalter unserer Deshalb brauchen wir ein Bundeswasserstraßengesetz. (B) mobilen Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) (D) (Beifall bei der CDU/CSU) Mit solider Planung hat das alles nichts mehr zu tun. Aus reiner rot-grüner Ideologie wurden Projekte gestri- Um unsere Verkehrsinfrastruktur zukunftsfähig zu ma- chen, die in ihren Planungen bereits fortgeschritten wa- chen, brauchen wir ren. Viele von den nun verschwundenen Projekten hatten (Eduard Lintner [CDU/CSU]: Eine einen hohen Nutzen-Kosten-Faktor. neue Regierung!) (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wie oft hast eine auf den tatsächlichen Bedarf ausgerichtete Finan- du die Rede schon gehalten, Renate?) zierungssicherheit. Die Ausbaupläne müssen mit der Fi- nanzplanung einhergehen. Die rot-grünen Ausbauge- Über Jahre hinweg wurde von den Landesregierungen setze werden in keiner Weise den Notwendigkeiten geplant. Jetzt taugen diese aufwendigen Planungen mit gerecht. den langwierigen Verfahren nur noch für den Papier- korb. Die Länder bleiben auf den Planungskosten sitzen. Ich kann mir vorstellen, dass es jetzt sogar dem Bun- Welch eine Geldverschwendung! deskanzler dämmert, dass Minister Stolpe, dessen Minis- terium den größten und wichtigsten Investitionshaushalt (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sie haben des Bundes hat, vorbeigeplant! So ist das, wenn man den Fi- nanzrahmen nicht berücksichtigt und ins Blaue (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: hinein plant! – Albert Schmidt [Ingolstadt] Das bleibt so!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schubladen- planungen!) eine zukunftsfähige Infrastruktur eines Industriestaates nicht entwickeln kann. Überreife Früchte fallen im Sie haben diese Verschwendung von Geld und Arbeits- Herbst von den Bäumen und landen als Fallobst auf dem kraft zu verantworten. Aber Rot-Grün konnte ja noch nie Rasen. gut mit dem Geld der Steuerzahler umgehen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Blank, ganz vor- (Beifall bei der CDU/CSU) sichtig bewegen! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Da kann man auch ausrutschen!) Die Bundesregierung verabschiedet sich aus der Ver- kehrsinfrastrukturpolitik. Sie plant den Verkehrskollaps Es ist die richtige Zeit, den Verkehrsminister abzulösen, und den Stau auf Deutschlands Straßen. da er nicht mehr handlungsfähig ist. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10747

Renate Blank (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Städte erwähnt. Schön wäre es auch, wenn die große(C) Stadt Magdeburg endlich wieder mit dem ICE erreichbar Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: wäre. Ich denke, da können Sie mir zustimmen. Ich erteile das Wort der Kollegin Gesine Lötzsch. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Lötzsch, was Sie alles erzählen! – Horst Friedrich [Bayreuth] Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): [FDP]: Die Bahn ist ein Aktienunternehmen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- und kein Staatsunternehmen!) ren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. – Das habe ich extra für Sie, Herr Küster, gesagt. (Barbara Wittig [SPD]: Das haben wir schon dreimal gehört!) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das habe ich mir ge- dacht! Keine Bestechung bitte!) – Aber die Gäste nicht. – Die Fraktion der CDU/CSU hatte ursprünglich eine namentliche Abstimmung zum Zusammengerechnet werden bis zum Jahr 2015 knapp Tagesordnungspunkt 12 c, also zum Fünften Gesetz zur 14 Milliarden Euro mehr für die Straße als für die Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes, angekündigt Schiene ausgegeben. Wir als PDS meinen, dass dieses bzw. angedroht, um damit ihre besondere AblehnungVerhältnis verändert werden müsste. Die Bundesregie- zum Ausdruck zu bringen. rung hat sich verpflichtet, die Senkung des Kohlen- dioxidausstoßes zu erreichen. Dieses Ziel wird aller- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Was Sie alles dings verfehlt, wissen!) (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ – Ja, was ich alles weiß. Da wundern Sie sich, Herr DIE GRÜNEN]: Jedes Jahr zwei Prozent Oswald. Das glaube ich Ihnen. – Wir, die PDS, werden weniger haben wir zurzeit! – Gegenruf des dieses Gesetz ebenfalls ablehnen, allerdings aus entge- Abg. Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wer gengesetzten Gründen. erzählt denn den Unsinn?) (Widerspruch bei der SPD) ganz im Gegenteil: Bis 2015 wird die Kohlendioxidbe- Die CDU/CSU will mehr Autobahnen, die PDS willlastung steigen. Dabei sollten wir alle doch nach unseren deutlich weniger. vielfältigen Debatten zum Emissionshandel dazugelernt haben. (Barbara Wittig [SPD]: Sie wollen zu Fuß ge- hen? – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Zurück zum Fernstraßenausbaugesetz: Wir als PDS (B) (D) Als wir hier im Mai vergangenen Jahres über denlehnen dieses Gesetz auch deshalb ab, weil in ihm Pro- Bundesverkehrswegeplan debattiert haben, habe ichjekte festgeschrieben werden, die nicht den Vereinbarun- – übrigens unter Zustimmung des Kollegen Schmidt von gen zwischen PDS und SPD in der Berliner Regierungs- den Grünen – betont, dass wir vor allen Dingen Bedin- koalition entsprechen. Herr Stolpe, ich meine konkret gungen schaffen müssen, dass die Schiene nicht benach- die Projekte 704 und 706, das heißt die Verlängerung des teiligt wird. Berliner Autobahnringes über den Bezirk Neukölln hi- naus. Ich lehne dieses Projekt auch persönlich ab. Die (Zuruf von der CDU/CSU: Aufbau Ost!) angestrebte Autobahnverlängerung würde nämlich quasi durch die Schlafzimmer vieler Bürgerinnen und Bürger Genauso wie ich haben sicher viele von Ihnen in denmeines Wahlkreises und auch durch mein eigenes füh- letzten Wochen Briefe von Bürgerinnen und Bürgern er- ren. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass das für halten, die sich über die gestiegenen Benzinpreise be- mich kein amüsanter Gedanke ist. schwert haben. Vielen dieser Bürgerinnen und Bürger und gleichzeitig auch der Umwelt könnte geholfen wer- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den, wenn der öffentliche Personenverkehr gestärkt DIE GRÜNEN – Karin Rehbock-Zureich würde. Zu Frau Blank, meiner Vorrednerin, kann ich nur [SPD]: Das ist ja wohl unerhört! – Reinhard sagen: Mobilität heißt nicht zwangsläufig Straße, son- Weis [Stendal] [SPD]: Ich verspreche Ihnen: dern vor allen Dingen Schiene. Ich mache einen Bogen darum herum!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Abschließend möchte ich festhalten – ich komme DIE GRÜNEN) gleich zum Schluss, Herr Präsident –: Wir als PDS unter- Ich würde mich freuen, wenn sich in dieser Regierung stützen alle Maßnahmen der Bundesregierung, die zu ei- mehr grüne Verkehrspolitik durchsetzen könnte, als das ner Stärkung der Schiene führen. Für ebenso sinnvoll bisher der Fall ist. halten wir die Forderung, die Umsetzung des Nationalen Radwegeplanes zu forcieren. Das habe ich bereits im (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: vergangenen Jahr vorgeschlagen. Damals hat Kollege Jetzt reicht es!) Scheffler noch protestiert. Gut, dass auch er jetzt an mei- Wenn wir die Ausgaben für Straßenbauinvestitionen ner Seite ist. und Schieneninvestitionen vergleichen, dann sehen wir Vielen Dank. ein erhebliches Missverhältnis. Um die Rede der Kolle- gin Rehbock-Zureich aufzugreifen: Sie haben große (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) 10748 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: neninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden müssten. (C) Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner,Hinzu käme der jährliche Aufwand für die notwendigen CDU/CSU-Fraktion. Erhaltungsmaßnahmen am Bestandsnetz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Insgesamt wären das also jährlich (Beifall bei der CDU/CSU) 5,5 Milliarden Euro.

Eduard Lintner (CDU/CSU): Die Bahn selbst beziffert den Bedarf für die Schienen- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- infrastruktur auf jährlichmindestens 4,2 Milliarden nen und Kollegen! Herr Minister, nach Ihren Ausführun- Euro, davon 1,7 Milliarden Euro allein für die Realisie- gen ist mir unwillkürlich der Spruch von Bertolt Brecht rung des Bedarfsplans, das heißt für Neu- und Ausbau- eingefallen: ten. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Tatsächlich werden aber nach Angaben der Deutschen DIE GRÜNEN: Oh!) Bahn AG selbst ab 2005 jährlich insgesamt nur etwa 3 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das heißt im Ja, mach nur einen Plan, Klartext, dass zur Abarbeitung des ehrgeizigen Bundes- Sei nur ein großes Licht! verkehrswegeplans, den wir heute beschließen wollen, Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, jährlich nur noch 500 Millionen Euro vorgesehen sind. Gehn tun sie beide nicht. Bedenkt man, dass noch immense Kostenerhöhungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) bei laufenden Projekten wie dem Lehrter Bahnhof ver- Ich glaube, das kann man als Resümee dessen ziehen, kraftet werden müssen, so bedeutet dies, dass in den was wir mit diesem Bundesverkehrswegeplan erleben. nächsten Jahren überhaupt kein neues Projekt bei der Schiene in Angriff genommen werden kann. Damit wird (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein Plagiator ist kein auch das von Rot-Grün immer wieder proklamierte Ziel großer Denker!) – heute war davon ebenfalls die Rede –, den Anteil der Um mich nicht nur auf meine eigenen Argumente zu Bahn im Güterverkehr bis 2015 zu verdoppeln, praktisch beschränken, darf ich aus der „FAZ“ vom 13. April die- ad absurdum geführt, praktisch aufgegeben. ses Jahres zitieren: (Beifall bei der CDU/CSU) Auch die Deutsche Bahn muß sich bescheiden. Sie Schlimmer noch: Es kommt sogar zu spektakulären Still- kann Aus- und Neubaustrecken aus ihrer Planung legungen wichtiger, fast fertiger Baustellen, wie zum praktisch streichen, denn schon der Erhalt des be- (B) Beispiel auf der Strecke Augsburg–München bei Me-(D) stehenden Netzes und die laufenden Baumaßnah- ring. Das ist eigentlich ein Desaster für die Bahn sowie men kosten mehr, als der Haushalt mittelfristig her- für den Fern- und den Nahverkehr, den sie dort betreiben gibt. will. Mehr ist zu dem Thema, das wir heute beraten, eigent- (Beifall bei der CDU/CSU) lich nicht zu sagen. Wir befinden uns zurzeit in einer Märchenstunde. Die Märchen aus Tausendundeiner Um es zusammenzufassen: Es ist die bitterste und de- Nacht sind im Vergleich zu dem vorliegenden Bundes- saströseste Bilanz, die eine Bundesregierung in der Ver- verkehrswegeplan ein Tatsachenbericht. kehrspolitik je zu vertreten hatte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP] – Dr. Uwe SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Küster [SPD]: Wir sind nicht im Schlaraffen- Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Das ist ja un- land, wo sich jeder etwas wünschen darf! geheuerlich!) Bayerischer wolkenpolitischer Sprecher!) Dies kann mit Zahlen belegt werden. Auch muss daran erinnert werden, dass die bevor- zugte Förderung des Schienenverkehrs einst das immer Herr Minister, wieder demonstrativ präsentierte Paradestück rot-grüner (Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine Krokodilsrede! Verkehrspolitik war. Deshalb ist der Scherbenhaufen, Wissen Sie, was das ist? Bis zum Hals im Was- vor dem die Bundesregierung heute mit ihrer Verkehrs- ser, aber weit aufgerissen!) politik steht, ein besonders eklatantes Beispiel für ein weiteres Versprechen, das nicht gehalten worden ist. diese bodenlose Unterfinanzierung hat auch den Verlust (Beifall bei der CDU/CSU) von Tausenden von Arbeitsplätzen zur Folge, die im Schienenausbau und bei der Infrastrukturausstattungsin- Allein die im vorliegenden Bundesverkehrswegeplan als dustrie bis vor kurzem als sicher galten. Ich fürchte, dass vordringlich, also bis 2015 zu verwirklichenden Projekte die von Ihnen reklamierten zusätzlichen 25 000 Arbeits- bei der Schiene erfordern zusammen mit den laufenden plätze nicht zu realisieren sind. Im Gegenteil: Es wird und fest disponierten Vorhaben einen Investitionsbetrag Tausende von zusätzlichen Arbeitslosen geben, die ei- von rund 32 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass bis zum gentlich darauf vertrauen durften, dass die ehrgeizigen Jahre 2015 jährlich im Schnitt etwa 3 Milliarden Euro al- Pläne, die Sie der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, tat- lein für Investitionsmaßnahmen im Bereich der Schie- sächlich realisiert werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10749

Eduard Lintner (A) Herr Kollege Schmidt, Sie haben heute dankenswer- Die Aktualisierung volkswirtschaftlicher Daten und Ver- (C) terweise versucht, sozusagen den ehrlichen Makler zu kehrszahlen unter Berücksichtigung der inzwischen ein- geben. getretenen Effekte deutscher Einheit und europäischer Grenzöffnung wurde verantwortungslos auf die lange (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Bank geschoben. Was lange währt, wird aber nicht DIE GRÜNEN]: Ich bin immer ehrlich und zwangsläufig gut. Der von der Bundesregierung am Makler!) 2. Juli 2003 beschlossene Bundesverkehrswegeplan ist Aber mich verwundert, wie still und protestlos die Grü- als belastbares, zukunftsweisendes Planungsinstrument nen und ihre Anhänger – jedenfalls in der Öffentlich-unbrauchbar. keit – diese von der Bundesregierung selbst verschuldete Entwicklung hinnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Bundesverkehrswegeplan und Ausbaugesetze gehen DIE GRÜNEN]: Dann lesen Sie aber keine am tatsächlichen volkswirtschaftlichen Bedarf vorbei. Zeitung!) Stau und Stillstand sind Stolpes Maximen. Die dem Bun- desverkehrswegeplan zugrunde gelegte Annahme einer Herr Kollege Schmidt – darüber haben wir schon öfter Verdopplung des Schienengüterverkehrsaufkommens bis gesprochen –, die Teilhabe an der Macht ist offenbar viel 2015 – das wurde schon von anderen Rednern erwähnt – wichtiger als grüne Grundsatztreue. Das ist eine Erfah- ist völlig illusorisch. Die Entwicklung ist, seit dem diese rung, die wir heute nicht zum ersten Mal mit Ihnen ma- Prognose im Verkehrsbericht 2000 dieser Bundesregie- chen. rung abgegeben wurde, sogar gegenläufig gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Eine gleichmäßige Verteilung der Investitionsmittel neten der FDP) auf Straße und Schiene geht an der Wirklichkeit vorbei. Ich finde aber, dass man das den eigenen Anhängern und Die Straße bleibt Verkehrsträger Nummer eins. Auf ihr der interessierten Öffentlichkeit ehrlich und unge-werden 85 Prozent aller Verkehrsleistungen in unserem schminkt sagen sollte. Das ist jedenfalls um der Ehrlich- Lande abgewickelt. keit der Politik willen das Mindeste, was man von Ihnen verlangen muss. (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Schlimm ge- nug, dass das so ist!) Vielen Dank. Wenn man diesem Verkehrsträger die notwendigen In- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vestitionen verweigert, dann weiß man, was man der Volkswirtschaft in unserem Lande, aber auch in Europa (B) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: antut. (D) Nun hat das Wort der Kollege Dirk Fischer, CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- CSU-Fraktion. neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Mit etwa 500 Änderungsanträgen hat die CDU/CSU- Bundestagsfraktion im Verkehrsausschuss zu korrigieren Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): versucht, was korrigiert werden musste. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gen! Wenige Minuten vor den abschließenden Abstim- (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Wunsch und mungen über die Entwürfe der Ausbauänderungsgesetze Wolke!) für Straße und Schiene stehen wir vor dem Scherbenhau- Zu jeder Zeit beratungsresistent, haben die Regierungs- fen der rot-grünen Verkehrsinfrastrukturpolitik. fraktionen aber sachgerechte Änderungen und Ergän- (Beifall bei der CDU/CSU) zungen prinzipiell niedergestimmt. Dabei hat doch der Daran kann auch eine Märchenstunde à la Stolpe nichts ehemalige Bundespräsident Johannes Rau in einer seiner ändern. Das gesamte Verfahren der Bundesverkehrs-letzten Reden die pauschale Ablehnung von Anträgen wegeplanung ist ein Paradebeispiel rot-grüner Hand-der Opposition im Parlament als eines der Grundübel un- lungsunfähigkeit. Hier halten zwei Krücken ein Feigen- seres Landes bezeichnet. blatt. (Beifall bei der CDU/CSU – Eduard Oswald (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [CDU/CSU]: So ist es! Wo er Recht hat, hat er Recht! Er hat genau diese Koalition gemeint!) Auch wenn drei Verkehrsminister in den ersten vier Jahren rot-grüner Regierungsverantwortung keinen lan- Diese Rede von Johannes Rau hat bei Ihnen keinerlei pä- gen Atem hatten, reichte es immerhin für eine Menge hei- dagogische Wirkung erzielt. ßer Luft. Trotz ständig wiederkehrender Ankündigungen Der Haushaltsentwurf 2005 manifestiert zusätzlich, verschleppten es Müntefering, Klimmt und Bodewig, den dass nicht Verkehrsaufkommen und Ausbaubedarf Maß- Bundesverkehrswegeplan von 1992 zügig zu überarbei- stab für den Verkehrsetat sind, sondern Fehler und Ver- ten, wie es nach dem Koalitionsvertrag von 1998 bereits sagen dieser Bundesregierung, von ausfallender Maut für die letzte Legislaturperiode vorgesehen war. bis zu fehlendem Wirtschaftswachstum usw. usw. Ich er- (Rainer Fornahl [SPD]: Weil das Desaster so wähne es noch einmal, weil dieser Vorgang wirklich em- groß war, das Sie hinterlassen hatten!) pörend und skandalös ist. Es handelt sich um einen 10750 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Dirk Fischer (Hamburg) (A) eklatanten Gesetzesbruch, da gemäß § 11 Mautgesetz, Reinhard Weis (Stendal) (SPD): (C) vom Bundestag und vom Bundesrat einstimmig verab- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schiedet, die – hoffentlich ab 1. Januar 2005 fließenden Kollegen! Lieber Dirk, ich glaube, das Gewitter draußen – Mauteinnahmen abzüglich der Systemkosten zusätz- war eine Reaktion auf deine Rede. lich zu den 2003 bestehenden Haushaltsansätzen in die Verkehrsinfrastruktur und davon überwiegend in den (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf Straßenbau fließen sollen. von der CDU/CSU: Oder die Vorboten zu Ihrer!) (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das steht im Gesetz so nicht Im Zusammenhang mit dem Bundesverkehrswege- drin! Das ist gelogen! Das ist ein Fantasie- plan 1992 haben wir das letzte Mal über Ausbaugesetze gebilde! Sie waren auf einer anderen Veran- debattiert. In der Zwischenzeit sind die Warenströme in- staltung!) folge internationaler Kooperation angewachsen. Die Bundesregierung hat das genaue Gegenteil getan. Die Europäische Union ist größer geworden. Die Mobi- Sie hat ein Nullsummenspiel veranstaltet, Ansätze he- lität der Menschen ist gewachsen. runter und Auffüllung durch Mauteinnahmen, anstatt die Investitionsmittel für den Straßenbau „on top“ bereitzu- Für einige Regionen sind die Prognosen, die seiner- stellen. Herr Minister Stolpe, auch ganz persönlich an zeit erstellt wurden, noch heute aktuell. Zum Teil haben Sie gerichtet: Nach einem gemeinsamen Vermittlungs- sie sich aber als überzogen herausgestellt. Mit Ihrem verfahren haben Sie damit gegenüber den Bundeslän- Entschließungsantrag, liebe Kolleginnen und Kollegen dern einen üblen Wortbruch begangen. Das ist skanda- von der Union, beweisen Sie erneut, dass Sie an der Li- lös. nie völlig überzogener Verkehrsprognosen festhalten wollen. Ich werde darauf noch eingehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Nach mehr als zehn Jahren war es an der Zeit, den 10,7 Milliarden Euro für Verkehrsinfrastrukturinves- Bedarf an Verkehrswegen, auch den Bedarf an Bun- titionen, inklusive 72,5 Millionen Euro für den Transra- desfernstraßen, aufgrund neuer Verkehrsprognosen auf pid, 25 Millionen Euro für Galileo und fast 1,7 Milliar- den Prüfstand zu stellen. Folgerichtig konnte sich der den Euro für das GVFG, existieren bislang nur auf dem Bedarfsplan zum Fernstraßenausbaugesetz, den wir Papier und sind alles andere als seriös finanziert. Der heute abschließend beraten, nicht in der bloßen Fort- Entwurf für den Bundeshaushalt 2005 ist, wie schon im schreibung des früheren Bedarfsplans erschöpfen. Zur Jahre 2004, nur Wunsch und Wolke. Erinnerung: 1992 ist das für die alten Bundesländer noch (B) Der von Rot-Grün bereits in den vergangenen Jahren so geschehen. (D) eingeleitete Kahlschlag bei den Verkehrswegeinvestitio- Mit den Projekten des Bedarfsplans wollen wir eine nen wird dadurch fortgesetzt. Für einen Abbau des riesi- dauerhafte und umweltgerechte Mobilität sichern. gen Investitionsstaus wird keine Lösung angeboten. An eine Beseitigung der Instandhaltungskrise – wir leben (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Traum- immer mehr von der Substanz – ist nicht zu denken. Die haft!) Rückkehr zu einer bedarfsorientierten Verkehrsinvesti- tionspolitik ist von dieser Bundesregierung nach allem, An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den Ent- was wir erlebt haben, nicht zu erwarten. Hoffentlichschließungsantrag der Union zu sprechen kommen. Sie bleibt ihr nicht mehr viel Zeit, um weiteres Porzellan zu von der Union wollen den Fernstraßenbau allein am Be- zerschlagen. darf orientieren; Kollege Fischer sagte das eben auch. (Beifall bei der CDU/CSU) (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wir sind nur gegen staatliche Verkehrslenkung! Das ist Nur ein Regierungswechsel und ein neuer Bundesver- der Unterschied!) kehrswegeplan können den Herausforderungen der Zu- kunft gerecht werden Alles andere sind laut Ihrem Entschließungsantrag sach- fremde Aspekte. Ökologische Aspekte stellen für Sie bei (Lachen bei Abgeordneten der SPD) der Bundesverkehrswegeplanung entbehrliche Instru- und damit Mobilität in Deutschland dauerhaft sichern. mente dar. Mit einer solchen Position haben Sie sich von Eine dauerhafte Sicherung ist von dieser Bundesregie- einer seriösen Verkehrspolitik verabschiedet. rung allerdings nicht zu erwarten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten der FDP – Reinhard Weis [Stendal] Unsere Ziele möchte ich in sechs Punkten beschrei- [SPD]: Und das Geld druckt ihr dann selber!) ben:

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Erstens. Eine seriöse Verkehrspolitik verlangt, dass Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Weis,wir möglichst frühzeitig alle Aspekte, auch die Belange SPD-Fraktion. der Umwelt, in die Überlegungen einbeziehen. Sonst entstehen zwangsläufig und zum Nachteil des Steuerzah- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lers Planungsrisiken, Planungsruinen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10751

Reinhard Weis (Stendal) (A) Zweitens. Eine seriöse Verkehrspolitik verlangt auch (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Und was (C) – das sollten Sie eigentlichwissen –, dass bestehendes hat es genützt?) EU-Recht beachtet wird, zum Beispiel – um nur ein Rechtsgebiet zu nennen – die FFH-Richtlinie. Bei dieser Gelegenheit möchte ich den zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien Drittens. Wir wollen faire und vergleichbare Wettbe- und im Sekretariat unseres Ausschusses sowie unseren werbsbedingungen für alle Verkehrsträger schaffen. Es Fraktionsarbeitsgruppen danken, die durch ihre enga- ist unstreitig: Es gibt immer noch Benachteiligungen für gierte und detaillierte Vorbereitung unsere Arbeit und den Schienenverkehr, aber auch für die Binnenschiff- die heutige Beschlussfassung erst ermöglicht haben. fahrt. Nach meiner Überzeugung braucht die Binnen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schifffahrt ebenfalls eine leistungsfähige Infrastruktur. DIE GRÜNEN sowie des Abg. Eduard Es ist nicht in Ordnung, von integrierter Verkehrspolitik Oswald [CDU/CSU]) zu sprechen und einem Verkehrsträger mit Argumenten, die schon widerlegt sind, die erforderliche Beachtung zu Nachdem wir unserem Parlamentarischen Staats- verweigern. Wenn wir heute auch nicht über ein Wasser- sekretär Achim Großmann schon mehrfach für seine Ar- straßenausbaugesetz sprechen, so haben wir doch mitbeit Anerkennung gezollt haben, möchte ich stellvertre- der Zustimmung der Koalitionsfraktionen zum Bundes- tend für viele Herrn Referatsleiter Dieter Reschke und verkehrswegeplan der Bundesregierung die darin enthal- dem Leiter der Projektgruppe Bundesverkehrswege- tenen Wasserstraßenprojekte bestätigt. In der gestrigen plan, Herrn Reinhard Weber, sehr herzlich danken. Sie Debatte über die deutschen Seehäfen ist auch deutlich haben durch ihre umsichtige Vorbereitung und Beglei- gemacht worden, dass wir vom Kabinett noch eine Ent- tung der parlamentarischen Beratungen einen wichtigen scheidung zum Ausbau der seeseitigen Anbindung der Grundstein für unsere heutige Beschlussfassung gelegt. Häfen Hamburg und Bremen erwarten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Was sagt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) uns das in Bezug auf die Finanzen?) Ich möchte auch dem Bundesrat danken. Er ist ganz Wir wollen viertens Verkehrsengpässe beseitigen und aktuell unserem Wunsch, eine Fristverkürzung für die durch Ortsumgehungen die Lebensqualität in den Kom- Beratung des Bundesverkehrswegeplans zu akzeptieren, munen verbessern. nachgekommen. Er wird sich also am 9. Juli mit den im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Ausbaugesetzen Nicht zuletzt wollen wir fünftens mit der verbesserten befassen. Infrastruktur den Wirtschaftsstandort Deutschland stär- (B) ken. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Da schau (D) her! – Zuruf von der SPD: Sehr gut!) (Beifall bei der SPD) Das macht deutlich, wie groß das Interesse der Bundes- Ich widerspreche deshalb ausdrücklich den Vorschlägen länder an Planungssicherheit ist, um Aufträge für die von Herrn von Dohnanyi, der Investitionen in die Ver- Planung vergeben zu können. kehrsinfrastruktur abbauen möchte – und das ausgerech- Sicherlich hätte sich jeder von uns gewünscht, dieses net in den neuen Bundesländern. oder jenes Projekt wäre anders bewertet worden. Dafür (Beifall bei Abgeordneten der SPD) habe ich großes Verständnis. Angesichts der Endlichkeit der verfügbaren Mittel verbietet sich aber ein großes Damit komme ich zum sechsten Punkt. Es gilt nach Wunschkonzert. wie vor, im Rahmen des Aufbaus Ost die innerdeutschen Verbindungen leistungsgerecht auszubauen, zum Teil (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ein kleines erst wiederherzustellen und Lücken im Netz der ostdeut- hätte es ja schon getan, Reinhard!) schen Verkehrsinfrastruktur zu schließen. Ein solches Wunschkonzert, liebe Kolleginnen und Kol- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig!) legen von der Opposition, haben Sie angestimmt. Sie er- wecken den Eindruck, das Unmögliche möglich machen Die Verbindungen in den ostdeutschen Bundesländern zu können. Geld spielt keine Rolle bei Ihnen. Ihre Forde- sind auch als Transitstrecken in einer größer gewordenen rungen für die Schiene bringen einen Mehrbedarf in EU wichtig. Höhe von 1 Milliarde Euro mit sich. Ihre Forderungen nach Einstufung von mehr Straßenprojekten in den vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dringlichen Bedarf bringen einen Mehrbedarf in Höhe Ich meine: Der vorliegende Gesetzentwurf wird all von 13,5 Milliarden Euro mit sich. Alle Achtung! Das diesen Anforderungen gerecht. nenne ich solide Bedarfsplanung. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist Dazu bedurfte es umfangreicher Vorbereitungen und auf Heller und Pfennig gesetzmäßig! – Gegen- Gutachten, zahlreicher Gespräche der Bundesregierung ruf des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]: Quatsch! mit Ländern und Verbänden. Auch der Bundestag hat Sie können nicht mit Geld umgehen!) sich ausführlich und sehr intensiv mit den Bedarfsplan- gesetzen befasst. Allein unser Ausschuss hat 13 Sitzun- Wie ein solcher Bedarfsplan bis 2015 finanziert werden gen darauf verwendet. soll, bleibt allerdings Ihr Geheimnis. Wenn Sie uns 10752 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Reinhard Weis (Stendal) (A) vorwerfen, die finanzielle Basis unseres Bundesver-will ich einmal sagen, was das bedeutet: Täglich werden (C) kehrswegeplans sei Makulatur, wie soll man denn dann in Deutschland 1 Million Kinder nicht gesichert beför- Ihre Vorschläge nennen? dert. Dieser Zustand ist unhaltbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir halten NISSES 90/DIE GRÜNEN – Horst Friedrich das Gesetz ein!) [Bayreuth] [FDP]: Das meistens in Autos der Ich streite nicht ab, dass auch uns Sorgen drücken, eigenen Eltern!) wie der festgestellte Bedarf komplett finanziert werden Es muss sich immer die Zeit genommen werden, Kinder- kann. Das liegt aber in unserer Verantwortung. Es ist un- sitze auch zu benutzen. Dasist richtig, Horst. In der sere Aufgabe, in Zukunft die Voraussetzungen für eine Altersgruppe der bis zu 10-Jährigen ist der Anteil der ge- solide Finanzierung zu schaffen. Mit den Veränderungen sichert beförderten Kinder von 37 auf 33 Prozent zu- im Ansatz des Bundesverkehrswegeplans 2005 ist der rückgegangen. erste Beleg für die Wahrnehmung unserer Verantwor- tung vorhanden. Allein diese Daten belegen, dass es richtig war, nach- zufragen, wie es sich mit der Verkehrssicherheit von (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kindern in Deutschland verhält und wo es Versäumnisse Kastner) und Fehler gibt. Dazu gehört auch, dass wir dem Start der LKW-Mauter- hebung zum 1. Januar 2005 zuversichtlicher entgegen- Kindersicherheit muss nach unserer Auffassung – da blicken. Nach den Gesprächen, die wir vorgestern mit sind sich alle einig, die hier im Bundestag Politik ma- den Vertretern von Toll Collect, dem Bundesamt für Gü- chen – in unserer Gesellschaft Vorrang haben. Die Bun- terverkehr und Minister Stolpe im Ausschuss dazu ge- desregierung muss ein gesondertes Programm auflegen, führt haben, können wir mit Zuversicht – nach meinem das sich der Kindersicherheit annimmt. Wir müssen wie- Eindruck ist das auch Ihre Auffassung – dem Funktio- der sensibilisiert werden; denn wir tun für Kinder und nieren dieses zusätzlichen Finanzierungsinstruments ent- deren Sicherheit im Straßenverkehr anscheinend nicht gegensehen. Wir werden den Beweis antreten und wer- genug. den unseren Bedarfsplan realisieren. Wir sollten denen dankbar sein, die sich trotz aller Danke für die Aufmerksamkeit. Probleme tagtäglich für die Sicherheit der Kinder einset- zen, ob als Polizisten, Erzieher, Pädagogen, Kindergärt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) nerinnen, in den Verbänden oder auch als Eltern. Der(D) DIE GRÜNEN) Einwand, wir täten doch genug, schließlich sei die An- zahl der tödlichen Kinderunfälle allmählich zurückge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gangen, trifft nur halb zu. 1993 gab es noch 13,3 Millio- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollegenen Kinder in Deutschland, heute sind es 12,3 Millionen. Wolfgang Börnsen, CDU/CSU-Fraktion. Dass damit auch die Zahl der tödlichen Kinderunfälle zurückgeht, kann man sich vorstellen. Das individuelle Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Unfallrisiko ist dadurch aber nicht zurückgegangen. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Die Kindersicherungspflicht ist von uns 1992 einge- gen! Zu diesem Tagesordnungspunkt heute gehört auch führt worden. Unsere Kolleginnen und Kollegen Margrit eine Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wetzel, Dirk Fischer, Horst Friedrich, die auch heute da- zur Kindersicherheit in Deutschland – ein Thema mehr bei sind, und andere haben damals gemeinsam dafür ge- für leise Töne. sorgt, dass Kindersitze Pflicht werden. Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Dafür ha- hat sich 1988 konstituiert. Seit dieser Zeit sind mehr als ben wir kräftig Prügel gekriegt!) 6 000 Kinder in unserem Land im Straßenverkehr töd- lich verunglückt; mehr als 750 000 sind verletzt worden, Seit dieser Zeit hat sich die Anzahl der tödlichen Kinde- zum Teil haben sie lebenslang die Folgeschäden zu tra- runfälle halbiert. Anders ausgedrückt: 1 100 Kinder le- gen. Eine traurige, Besorgnis erregende Bilanz der letz- ben, weil Kindersitze seit damals verpflichtend sind, ten 16 Jahre, die nicht hinnehmbar ist. Fast jedes zweite auch wenn die Anschnallpflicht nicht immer beachtet verunglückte Kind unter 15 Jahren starb im PKW, aber wird. hoch gefährdet sind auch Kinder als Radfahrer und Fuß- gänger. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE Zwischen 2001 und 2002 verunglückten 12 Prozent mehr GRÜNEN) Kinder im PKW tödlich. Zwischen 2001 und 2002 ist der Anteil derjenigen PKW-Fahrer, die innerortsKindersitze – Durch Ihren Beifall machen Sie deutlich, dass Sie den für ihre Kinder benutzen, auf 72 Prozent zurückgegan- verantwortlichen Verkehrspolitikern in diesem Haus gen. Jedes dritte Kind wird nicht mehr gesichert beför- danken, und das ist richtig so. Die Widerstände gegen dert. Weil Prozentzahlen – einige Kollegen unterhalten die Kindersitze, weil das Fahren im Auto dadurch ein sich ja auch über andere Themen – oft verharmlosen,wenig unbequemer wurde, waren seinerzeit nicht ein- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10753

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) fach zu überwinden. Um dahin zu kommen, bedurfte es PDS sowie gegen die Stimmen der CDU/CSU und der(C) viel Courage und eines klugen Verkehrsministers. FDP angenommen. Aber damit sind wir nicht am Ende; es bleibt weiterhin Dritte Beratung viel zu tun. Da unser Verkehrsminister heute anwesend und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- ist, möchte ich abschließend noch auf eine Problematik setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer aufmerksam machen: Kinder werden – das ist festgestellt stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf worden – durch die Vielzahl vonVerkehrsschildern ist mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten eher verwirrt, als dass sie dadurch Orientierung erhalten. Beratung angenommen. Wir haben in Deutschland 21 Millionen Verkehrszei- chen; vor 20 Jahren waren es noch 14 Millionen. Der Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Verkehrsschilderdschungel wird immer größer. Herrßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache Dr. Stolpe, wir bitten Sie, mit dazu beizutragen, dass die- 15/3478. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – ser Dschungel einmal durchforstet wird. Weniger istGegenprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsan- mehr; jedes fünfte Verkehrsschild gehört weg! trag ist mit den Stimmen der Koalition und der beiden fraktionslosen Abgeordneten der PDS gegen die Stim- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie men der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Peter Hettlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Tagesordnungspunkt 12 d. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Damit verbunden ein letzter Appell an Sie: Wir haben Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, vor einigen Monaten beantragt, dass vor Kindergärten Drucksachen 15/1656 und 15/1804. Der Ausschuss für und Schulen statt der vielen Altschilder weniger, aber re- Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt in seiner flektierende Schilder aufgestellt werden, weil diese von Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3382, den Ge- Kindern besser beachtet werden. Vielleicht können Sie setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich dafür sorgen, dass das in Ihrem Haus, das diesem Vor- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schlag gegenüber damals sehr abgeneigt war, geprüftschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- wird. Wir alle müssen mehr für die Kindersicherheit im chen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- Verkehr in Deutschland tun. entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen Danke schön. der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie beiden fraktionslosen Abgeordneten der PDS angenom- (B) bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- men. (D) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Dritte Beratung

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Ich schließe die Aussprache. setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen- probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit Wir kommen zur Abstimmung. demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Bera- tung angenommen. Tagesordnungspunkt 12 a. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 15/3314 an die in Zusatzpunkt 3. Interfraktionell wird Überweisung der der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Vorlage auf Drucksache 15/3470 an die in der Tagesord- gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie Dann ist die Überweisung so beschlossen. damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 12 c. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 m sowie Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes, Drucksachen Zusatzpunkte 4 a bis 4 d und Tagesordnungspunkt 25 auf: 15/1657 und 15/1803. Zu dieser Abstimmung liegen mir 31 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD schriftliche Erklärungen von Kolleginnen und Kollegen und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- des Deutschen Bundestages vor. brachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz- sen empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- buch sache 15/3412, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas- – Drucksache 15/3443 – sung anzunehmen. Ich tte bi diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag: Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung len, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Ent- haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- ratung mit den Stimmen der Koalition gegen die gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Stimmen der beiden fraktionslosen Abgeordneten der Änderung des Ausführungsgesetzes zum Che- miewaffenübereinkommen (CWÜAGÄndG 1) 1) Anlage 10 bis 16 – Drucksache 15/3447 – 10754 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Überweisungsvorschlag: h) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (C) Auswärtiger Ausschuss (f) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich- Verteidigungsausschuss tung der Akademie der Künste (AdKG) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- – Drucksache 15/3350 – gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 29. Januar 2003 zwischen der Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Regierung der Bundesrepublik Deutschland Ausschuss für Bildung, Forschung und und dem Schweizerischen Bundesrat über Bau Technikfolgenabschätzung und Erhaltung einer Autobahnbrücke über Haushaltsausschuss den Rhein zwischen Rheinfelden (Baden- gemäß § 96 GO Württemberg) und Rheinfelden (Aargau) i) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Geset- – Drucksache 15/3178 – zes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen – Drucksache 15/3351 – Überweisungsvorschlag: d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver- Innenausschuss trag vom 17. April 2003 zwischen der Bundes- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit republik Deutschland und der Tschechischen j) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Republik über die Änderung des Verlaufs der gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur gemeinsamen Staatsgrenze im Bereich der Au- Änderung des Abwasserabgabengesetzes tobahnbrücke am Grenzübergang Waid- haus–Rozvadov/Roßhaupt – Drucksache 15/2950 – Überweisungsvorschlag: – Drucksache 15/3352 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) k) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Innenausschuss gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Änderung des Signaturgesetzes (1. SigÄndG) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- – Drucksache 15/3417 – gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rah- Überweisungsvorschlag: (B) menübereinkommen der Weltgesundheitsorgani- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) (D) sation vom 21. Mai 2003 zur Eindämmung des Innenausschuss Tabakgebrauchs (Gesetz zu dem Tabakrahmen- Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung übereinkommen) Ausschuss für Kultur und Medien – Drucksache 15/3353 – l) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Überweisungsvorschlag gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f) rung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft – Drucksache 15/3405 – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Rechtsausschuss gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Eu- Finanzausschuss ropäischen Übereinkommen vom 19. August Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1985 über Gewalttätigkeit und Fehlverhalten m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele von Zuschauern bei Sportveranstaltungen und Lösekrug-Möller, Ulrike Mehl, Brunhilde Irber, insbesondere bei Fußballspielen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD – Drucksache 15/3354 – sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin- burg), Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, Überweisungsvorschlag: weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Innenausschuss (f) Sportausschuss BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Grünes Band als einzigartigen Biotopverbund gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlän- und als Erinnerungsstätte der deutschen Tei- gerung der Geltungsdauer der § § 100 g, 100 h lung sichern StPO – Drucksache 15/3454 – – Drucksache 15/3349 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Tourismus Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10755

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) ZP 4 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD Ausschuss für Tourismus (C) und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- Haushaltsausschuss brachten Entwurfs eines Gesetzes zur wirkungs- 25 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gleichen Übertragung von Regelungen der so- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur zialen Pflegeversicherung sowie der gesetzli- Änderung des Postpersonalrechtsgesetzes chen Krankenversicherung auf dienstrechtliche Vorschriften – Drucksache 15/3404 – Überweisungsvorschlag: – Drucksache 15/3444 – Innenausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Innenausschuss (f) (Federführung strittig) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- Haushaltsausschuss ten Verfahren ohne Debatte. gemäß § 96 GO Zunächst zu den aufgerufenen Punkten ohne Tages- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ullaordnungspunkt 25: Interfraktionell wird vorgeschlagen, Burchardt, Jörg Tauss, Dr. Hans-Peter Bartels,die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstan- sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Volker den? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Abgeord- schlossen. neter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 25. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs Forschung für Nachhaltigkeit – Motor für In- auf Drucksache 15/3404 an den Innenausschuss und an novationen den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit vorgeschlagen. – Drucksache 15/3452 – Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen wünschen Fe- Überweisungsvorschlag: derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) die Fraktion der CDU/CSU wünscht Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Innenausschuss. c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Ich lasse zunächst überden Überweisungsvorschlag Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-der Fraktion der CDU/CSU abstimmen, also über die Fe- (D) (B) Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen der SPD sowie der Abgeordneten Cornelia Behm, Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Ent- Undine Kurth (Quedlinburg), Volker Beckhaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN CSU bei Enthaltung der FDP abgelehnt. Urwaldschutz verstärken Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, also – Drucksache 15/3464 – für die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Überweisungsvorschlag: Arbeit? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der SPD, Landwirtschaft (f) Rechtsausschuss des Bündnisses 90/Die Grünen und einer fraktionslosen Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Abgeordneten der PDS gegen die Stimmen der CDU/ Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Damit liegt Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Entwicklung Arbeit. d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidi Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 32 a Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer bis 32 j und 32 l bis 32 q sowie den Zusatzpunkten 5 a Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie bis 5 h. Es handelt sich um dieBeschlussfassung zu der Abgeordneten Winfried Hermann, AlbertVorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- Tagesordnungspunkt 32 a: NISSES 90/DIE GRÜNEN Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE 2002–2012 forcieren GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrah- – Drucksache 15/3467 – mengesetzes Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) – Drucksache 15/3305 – Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Erste Beratung 114. Sitzung) 10756 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Berichterstattung: (C) schusses (4. Ausschuss) Abgeordnete Christine Lambrecht Dr. Norbert Röttgen – Drucksache 15/3449 – Jerzy Montag Berichterstattung: Rainer Funke Abgeordnete Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3471, Stephan Mayer (Altötting) den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Gisela Piltz Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3449, chen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Der den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- Stimmen des ganzen Hauses angenommen. chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Dritte Beratung wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Dritte Beratung Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gan- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem zen Hauses angenommen. Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Tagesordnungspunkt 32 d: Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Tagesordnungspunkt 32 b: GRÜNEN eingebrachten Entwurfs einesGeset- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des zes zum Abbau von Statistiken (Statistikab- von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs baugesetz) eines Gesetzes zu dem Abkommen vom – Drucksache 15/3306 – 7. April 2003 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie- (Erste Beratung 114. Sitzung) rung der Tunesischen Republik über die Zu- – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat sammenarbeit bei der Bekämpfung von Straf- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ab- taten von erheblicher Bedeutung bau von Statistiken (B) (D) – Drucksache 15/3177 – – Drucksache 15/2416 – (Erste Beratung 111. Sitzung) (Erste Beratung 114. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) schusses (4. Ausschuss) – Drucksache 15/3392 – – Drucksache 15/3474 – Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Frank Hofmann (Volkach) Abgeordnete Barbara Wittig Kristina Köhler (Wiesbaden) Silke Stokar von Neuforn Silke Stokar von Neuforn Dr. Max Stadler Gisela Piltz Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/3392, Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3474, den dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Tagesordnungspunkt 32 c: SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat der CDU/CSU und der FDP angenommen. eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Dritte Beratung Änderung der Bundesnotarordnung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem – Drucksache 15/3147 – Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (Erste Beratung 111. Sitzung) Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthal- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- tung der CDU/CSU und der FDP angenommen. schusses (6. Ausschuss) Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- – Drucksache 15/3471 – ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3474, den Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10757

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem ken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- (C) Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-genprobe! – Stimmenthaltungen? – Die Beschlussemp- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der fehlung ist mit den Stimmen der SPD und des Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die CDU/CSU und der FDP angenommen. Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- tung. ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3469 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Tagesordnungspunkt 32 e: Drucksache 15/1595 mit dem Titel „Rahmenbedingun- gen, Infrastruktur und Marketing für Wassertourismus in Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Deutschland verbessern“. Wer stimmt für diese Be- richts des Ausschusses für Tourismus (19. Aus- schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – schuss) Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der – zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde FDP angenommen. Irber, Annette Faße, Renate Gradistanac, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD so- Tagesordnungspunkt 32 f: wie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlin- burg), Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und Technikfolgenabschätzung (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Tourismus in, an und auf dem Wasser – Jörg Tauss, Ulrike Mehl, weiterer Abgeordneter Naturverträglichen Wassertourismus in und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne- Deutschland ausbauen und fördern ten Grietje Bettin, Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Brähmig, Ernst Hinsken, Edeltraut Töpfer, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Aktionsplan zur UN-Weltdekade „Bildung für CSU nachhaltige Entwicklung“ Wassertourismus in Deutschland entwi- – Drucksachen 15/2758, 15/3472 – (B) ckeln und stärken (D) Berichterstattung: – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Abgeordnete Ulla Burchardt Burgbacher, , Hans- Bernward Müller (Gera) Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und Grietje Bettin der Fraktion der FDP Christoph Hartmann (Homburg) Rahmenbedingungen, Infrastruktur und Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- Marketing für Wassertourismus in Deutsch- sache 15/2758 in der Ausschussfassung anzunehmen. land verbessern Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist – Drucksachen 15/2667, 15/933, 15/1595, 15/3469 – mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 g: Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Der Ausschuss für Tourismus empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3469, sammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss) den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis- – zu dem Antrag der Abgeordneten Karin ses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/2667 mit dem Ti- Kortmann, Rudolf Bindig, Lothar Binding tel „Tourismus in, an und auf dem Wasser – Naturver- (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der träglichen Wassertourismus in Deutschland ausbauen Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten und fördern“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Unterstützung der neuen Regierung Boli- viens bei der demokratischen Stabilisierung Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt des Landes der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/933 mit dem Titel – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Weiß „Wassertourismus in Deutschland entwickeln und stär- (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, 10758 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter – zu dem Antrag des Bundesministeriums der Fi- (C) und der Fraktion der CDU/CSU nanzen Stabilisierung der Lage in Bolivien Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2002 – Vorlage der Haus- – Drucksachen 15/2975, 15/1980 15/3484 – haltsrechnung und Vermögensrechnung des Berichterstattung: Bundes (Jahresrechnung 2002) – Abgeordnete Karin Kortmann – zu der Unterrichtung durch den Bundesrech- Peter Weiß (Emmendingen) nungshof Thilo Hoppe Markus Löning Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 2003 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh- Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- rung (einschließlich der Feststellungen zur schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- Jahresrechnung des Bundes 2002) tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf – Drucksachen 15/770, 15/2020, 15/3387 – Drucksache 15/2975 mit dem Titel „Unterstützung der neuen Regierung Boliviens bei der demokratischen Sta- Berichterstattung: bilisierung des Landes“. Wer stimmt für diese Be- Abgeordneter Gerhard Rübenkönig schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, Ertei- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koa- lung der Entlastung für das Haushaltsjahr 2002? – Ge- lition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP an- genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung genommen. ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion angenommen. der CDU/CSU auf Drucksache 15/1980 mit dem Titel Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, Auf- „Stabilisierung der Lage in Bolivien“. Wer stimmt für forderungen an die Bundesregierung? – Gegenprobe! – diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Stimmen des ganzen Hauses angenommen. men der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 32 j: Tagesordnungspunkt 32 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu (B) (D) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der Unterrichtung durch die Bundesregierung richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur sammenarbeit und Entwicklung (18. Ausschuss) Verwirklichung des Grundsatzes der Gleich- zu dem Antrag der Abgeordneten Karin behandlung von Frauen und Männern beim Kortmann, Ulrich Kelber, Detlef Dzembritzki, Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD und Dienstleistungen sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans- (inkl. 14812/03 ADD 1 – Arbeitsdokument der Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), weiterer Kommissionsdienststellen – ausführliche Fol- Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- genabschätzung) SES 90/DIE GRÜNEN KOM (2003) 657 endg.; Ratsdok. 14812/03 Das Center for International Cooperation – Drucksachen 15/2373 Nr. 2.1, 15/3477 – (CIC) stärken und weiter ausbauen Berichterstattung: – Drucksachen 15/2396, 15/3485 – Abgeordnete Dr. Marlies Volkmer Abg. Michael Grosse-Brömer Berichterstattung: Abg. Jerzy Montag Abgeordnete Karin Kortmann Abg. Dr. Thilo Hoppe Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- Markus Löning tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- Der Ausschuss empfiehlt, den Antragtungen? auf – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Drucksache 15/2396 anzunehmen. Wer stimmt für diese men der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-und der FDP angenommen. tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- men der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und der Tagesordnungspunkt 32 l: FDP angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Tagesordnungspunkt 32 i: richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu dem Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug- richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Möller, Annette Faße, Brunhilde Irber, weiterer Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10759

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (C) der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), tungen? – Die Sammelübersicht 131 ist mit den Stim- Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck (Köln), men der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der weiterer Abgeordneter und der Fraktion desCDU/CSU gegen die Stimmen der FDP angenommen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 32 q: Internationale Richtlinien für biologische Viel- falt und Tourismusentwicklung zügig umset- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- zen ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksachen 15/3219, 15/3437 – Sammelübersicht 132 zu Petitionen Berichterstattung: – Drucksache 15/3320 – Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Cajus Julius Caesar tungen? – Die Sammelübersicht 132 ist mit den Stim- Undine Kurth (Quedlinburg) men der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der Angelika Brunkhorst FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag Zusatzpunkt auf 5 a: Drucksache 15/3219 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes men der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der zur Änderung der Vorschriften über Fern- CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. absatzverträge bei Finanzdienstleistungen Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- – Drucksache 15/2946 – titionsausschusses. (Erste Beratung 105. Sitzung) Tagesordnungspunkt 32 m: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- schusses (6. Ausschuss) ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 15/3483 – Sammelübersicht 128 zu Petitionen Berichterstattung: – Drucksache 15/3316 – Abgeordnete Dirk Manzewski (B) Wer stimmt dafür? – Die Sammelübersicht 128 ist mit Marco Wanderwitz (D) den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Jerzy Montag Rainer Funke Tagesordnungspunkt 32 n: Zu dieser Abstimmung liegt eine persönliche Erklä- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- rung der Kollegin Ulrike Höfken vor.1) ausschusses (2. Ausschuss) Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- Sammelübersicht 129 zu Petitionen schlussempfehlung auf Drucksache 15/3483, den Ge- – Drucksache 15/3317 – setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Wer stimmt dafür? – Die Sammelübersicht 129 istschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- zeichen. – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- men. tung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 o: Dritte Beratung Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem ausschusses (2. Ausschuss) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sammelübersicht 130 zu Petitionen Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. – Drucksache 15/3318 – Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- che 14/3483 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschlie- tungen? – Die Sammelübersicht 130 ist mit den Stim- ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- men der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU fehlung? – Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls mit und der FDP angenommen. den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 32 p: Zusatzpunkt 5 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Sammelübersicht 131 zu Petitionen – Drucksache 15/3319 – 1) Anlage 19 10760 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) und Reaktorsicherheit (15. Ausschuss) zu der Wer stimmt dafür? – Auch die Sammelübersicht 135 (C) Verordnung der Bundesregierung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Zusatzpunkt 5 g: Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verord- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- nung über Großfeuerungs- und Gasturbinen- ausschusses (2. Ausschuss) anlagen – 13. BImSchV) Sammelübersicht 136 zu Petitionen – Drucksachen 15/3420, 15/3456 – – Drucksache 15/3462 – Berichterstattung: Abgeordnete Astrid Klug Wer stimmt dafür? – Sammelübersicht 136 ist eben- Marie-Luise Dött falls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Winfried Hermann Birgit Homburger Zusatzpunkt 5 h: Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bun- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- desregierung auf Drucksache 14/3420 zuzustimmen. ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- Sammelübersicht 137 zu Petitionen probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grü- – Drucksache 15/3463 – nen und der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP ange- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- nommen. tungen? – Sammelübersicht 137 ist mit den Stimmen der Zusatzpunkt 5 c: SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIEInterfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesord- GRÜNEN und der FDP nung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- Ausweitung des Berichts der Bundesregierung schäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur zur Zusammenarbeit mit den Vereinten Natio- Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und nen diese jetzt sofort als Zusatzpunkt 9 aufzurufen. Sind Sie – Drucksache 15/3458 – damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. (B) Wer stimmt für diesen Antrag? – Der Antrag ist mit (D) den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Deshalb rufe ich jetzt Zusatzpunkt 9 auf: Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- des Petitionsausschusses. schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung (1. Ausschuss) Zusatzpunkt 5 d: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- eines Strafverfahrens ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 15/3499 – Sammelübersicht 133 zu Petitionen Berichterstattung: – Drucksache 15/3459 – Abgeordneter Wer stimmt dafür? – Die Sammelübersicht 133 ist mit Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Zusatzpunkt 5 e: empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 15/3499, die Genehmigung zur Durchführung der Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Strafverfolgung zu erteilen. Wer stimmt für diese Be- ausschusses (2. Ausschuss) schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- Sammelübersicht 134 zu Petitionen men des ganzen Hauses angenommen. – Drucksache 15/3460 – Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf: Wer stimmt dafür? – Die Sammelübersicht 134 ist a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- men. setzes zur Modernisierung der Justiz (Justiz- Zusatzpunkt 5 f: modernisierungsgesetz – JuMoG) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 15/1508 – ausschusses (2. Ausschuss) (Erste Beratung 63. Sitzung) Sammelübersicht 135 zu Petitionen – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- – Drucksache 15/3461 – ordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10761

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Röttgen, Dr. Wolfgang Götzer, weiteren Abge- Vorschriften vorzulegen, hinter die sich alle stellen kön- (C) ordneten und der Fraktion der CDU/CSU ein- nen und die eine Vereinfachung in der Justiz bewirken, gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur ohne gleichzeitig einen Rechtsabbau zu betreiben, ohne Beschleunigung von Verfahren der Justiz Instanzen aufzuheben, ohne Angeklagtenrechte zu be- (1. Justizbeschleunigungsgesetz) schneiden und Ähnliches mehr. – Drucksache 15/999 – Die Debatte, die wir dann in der Folge gehabt haben, insbesondere auch die Anhörung im November des letz- (Erste Beratung 54. Sitzung) ten Jahres, hat gezeigt, dass die Frage, was denn eigent- – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat lich Beschleunigung und Modernisierung in der Justiz eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur bedeuten, doch sehr unterschiedlich beantwortet wird. Beschleunigung von Verfahren der Justiz Wir haben den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur (... Justizbeschleunigungsgesetz) Modernisierung der Justiz, einen Gesetzentwurf zur Be- schleunigung der Justiz, der von der Opposition und pa- – Drucksache 15/1491 – rallel vom Bundesrat vorgelegt worden war und in dem (Erste Beratung 115. Sitzung) noch andere Vorschläge enthalten waren, diskutiert. Wie gesagt, die Anhörung hat uns allen gezeigt, dass die Pra- Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts- xis nicht unbedingt der Auffassung ist, der wir sind; viel- ausschusses (6. Ausschuss) mehr gab es in vielen Punkten durchaus unterschiedliche – Drucksache 15/3482 – Stellungnahmen. Berichterstattung: In der letzten Zeit hat es ausgeprägte Diskussionen Abgeordnete Christine Lambrecht gegeben. Wenn ich jetzt sage, wir alle haben uns den An- Hermann Bachmaier forderungen der Praxis gebeugt, dann hört sich das etwas Dr. Jürgen Gehb krasser an, als es eigentlich ist. Ich würde eher sagen, Dr. Norbert Röttgen wir haben gelernt, dass es sinnvoll ist, die Wünsche der Jerzy Montag Praxis zu berücksichtigen, wenn es um Vereinfachungen Rainer Funke in der Justiz gehen soll. Das hat dazu geführt, dass wir noch zwei Paragraphen aus unserem Gesetzentwurf he- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- rausgenommen haben, nämlich die §§ 415 a und richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu 374 ZPO. Da ging es um die Frage, inwieweit Erkennt- dem Antrag der Abgeordneten Wolfgangnisse aus Verfahren in anderen Rechtszweigen verwertet Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Jürgen Gehb, werden können. (B) weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (D) CDU/CSU Insofern haben wir gelernt. Die Opposition hat ge- lernt, dass viele der Vorschläge, die Sie in Ihrem Entwurf Fehler beim neuen Revisionsrecht korri-eines Beschleunigungsgesetzes gemacht haben, offenbar gieren – Entscheidungsfähigkeit des Bundes- doch nicht das Richtige sind, und deshalb darauf ver- gerichtshofs sicherstellen zichtet. Insgesamt hat sich der Rechtsausschuss – ich – Drucksachen 15/1098, 15/3482 – muss sagen, zu meiner Freude; denn ich finde, es ist eine gute Übung, dass gerade die Justizthemen in diesem Berichterstattung: Haus im Wesentlichen einvernehmlich geregelt wer- Abgeordnete Christine Lambrecht den – dazu verstanden, das ganze Gesetz „Erstes Gesetz Hermann Bachmaier zur Modernisierung der Justiz“ zu nennen und einen ge- Dr. Jürgen Gehb meinsamen Gesetzentwurf, eine gemeinsame Aus- Dr. Norbert Röttgen schussempfehlung von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Jerzy Montag CDU/CSU und FDP vorzulegen. Das freut mich sehr. Rainer Funke (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die DIE GRÜNEN) Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Sie von der Union freut das nicht? Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Doch!) Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries. – Doch, Sie freut das auch. Da bin ich aber froh.

Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ich hätte Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten mich gefreut, wenn ich nicht abgelenkt gewe- Damen und Herren! Vor ungefähr einem Jahr hat die sen wäre!) Bundesregierung das Gesetz zur Modernisierung derEs täte mir auch leid, wenn Sie sich an Ihre Verabredun- Justiz eingebracht, das im September des letzten Jahres gen der letzten Tage nicht mehr halten könnten. die erste Beratung in diesem Hohen Hause erfahren hat. Unser Ziel damals war, zu den Bestrebungen der Bun- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ich hatte desregierung zum Bürokratieabbau insgesamt auch im den Gegenstand der Freude nicht mitbekom- Bereich der Justiz beizutragen. Das erklärte Ziel war, men! Das war nur akustisch!) 10762 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) – Der Gegenstand der Freude war der Erkenntnisgewinn. leichtern, in ein Strafbefehlsverfahren überzugehen. Die (C) Idee dabei ist: Wenn der Angeklagte nicht erscheint, (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Absolut!) dann soll auch in der Hauptverhandlung auf mündlichen Erkenntnisgewinn ist immer ein Gegenstand von Freude. Antrag ein Strafbefehl erlassen werden können; das er- leichtert die Verfahren sehr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP) Im Zivilprozess erhalten die Richterinnen und Richter die Möglichkeit, gerichtliche Sachverständigengutach- Meine Damen und Herren, wesentlicher Inhalt dieses ten aus vorangegangenen Verfahren zu bewerten und in Gesetzes – insofern ist dieser Entwurf wirklich ein Ge- geeigneten Fällen vom strengen Beweis abzusehen. Das winn für die Praxis – sind in der TatVereinfachungen heißt, moderne Techniken werden auch insoweit in den sowohl für den Ablauf der Verfahren als auch für dieGerichten Einzug halten, als dass Sachverständige gege- Frage der internen Gerichtsorganisation. Soweit es um benenfalls auch einmal telefonisch oder per E-Mail be- den Ablauf der Verfahren geht, werden wir dieRegel- fragt werden können. vereidigung abschaffen, die Vereidigungsregeln insge- samt neuer und übersichtlicher gestalten. Das heißt, Zeu- Intern, was die Arbeitsabläufe in der Justiz anbelangt gen sind danach nur noch dann zu vereidigen, wenn es – ein Thema, das insbesondere für die Länder wichtig das Gericht wegen der Bedeutung der Aussage oder zur ist –, sollen zukünftig mehr Aufgaben auf dieRechts- Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Bekundung für pfleger übertragen werden können. Das betrifft vor allen erforderlich hält. Das spart Arbeit und vor allen Dingen Dingen die Nachlasssachen und den Bereich des Han- viele mögliche anschließende Verfahren. delsregisters; da sollen die Rechtspfleger künftig auch für sämtliche Eintragungen der Kapitalgesellschaften zu- Der wesentliche Punkt – das ist auch der Punkt, auf ständig sein. Auch im Bereich der Strafvollstreckung den die Länder vor allen Dingen warten – ist die Mög- werden wir die Aufgabenverteilung zwischen Staatsan- lichkeit der Unterbrechung für die Hauptverhand- wälten und Rechtspflegern neu ordnen. lung im Strafprozess, die Änderung des § 229 StPO. Das ist eine der Regelungen, bei denen viele gesagt ha- Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass der ben: Warum ist das eigentlich nicht schon längst Gesetz? Bundestag eine gute Entscheidung fällt, wenn er diesem Künftig kann die bisher geltende UnterbrechungsfristGesetzentwurf heute zustimmt. Er wird für die Praxis in von zehn Tagen auf drei Wochen verlängert werden. Da- der Tat Erleichterungen bringen. Ich würde gern auf den mit gibt es für das Gericht die Möglichkeit, auf unvor- Anfangsgesichtspunkt zurückkommen: Das Gesetz heißt hergesehene Wendungen in der Hauptverhandlung bes- jetzt „1. Justizmodernisierungsgesetz“. Ich denke, wir alle sollten uns darüber verständigen, dass wir die Berei- (B) ser zu reagieren und damit die zeit- und kostenintensiven (D) Schiebetermine oder gar die Neuauflage eines Verfah- che, die wir noch nicht angesprochen haben, wo aber in rens zu vermeiden. Wir werden diese Dauer der Unter- der Praxis nach wie vor ein Bedürfnis besteht, noch ein- brechungsfrist nicht nur bei der Erkrankung des Ange- mal aufgreifen, dass wir uns künftig vielleicht vorher ge- klagten vorsehen, sondern auch bei Erkrankung einesmeinsam darüber verständigen, was gemacht werden Richters oder eines Schöffen. soll, was gemacht werden muss, und das Ganze viel- leicht auch durch eine Praxisanhörung begleiten. Es hat Verständlicher und weiter gefasst werden die Vor-sich doch gezeigt, dass es sinnvoll ist, gerade soweit es schriften über die Verlesung von Schriftstücken; das um konkrete Verfahrensabläufe geht, stärker auf die war insoweit unstreitig. Wir werden § 256 StPO insoweit Praxis zu hören. Da könnte man sich vorstellen, dass ergänzen, als Erklärungen allgemein vereidigter Sach- man auch einmal im Vorhinein eine Anhörung macht verständiger sowie Protokolle und Erklärungen von Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ künftig auch verlesen werden können. Das heißt, wir er- DIE GRÜNEN) möglichen damit, auf die Vorladung von Zeugen undund Vorschläge einholt, wo die Gerichtsbarkeit Ände- Sachverständigen zu verzichten. Wir sparen dadurchrungsbedarf sieht. Mein Interesse wäre es jedenfalls, Kosten und wir beschleunigen die Verfahren, ohne dass dass wir nicht bei diesem 1. Justizmodernisierungsgesetz – um das zu wiederholen – in die Rechtsschutzmöglich- stehen bleiben, sondern dass wir zu einem zweiten kom- keiten der Angeklagten eingegriffen wird. – Dies warmen, um damit Richterinnen und Richtern mehr Spiel- der Bereich des Strafprozesses. raum zu geben, in ihrem Bereich sachgerecht entschei- Aber auch im Amtsgerichtsprozess wollen wir Ver- den zu können. Nicht jeder Prozess ist wie der andere: einfachungen ermöglichen. Ein Beitrag dazu ist dieEs gibt ganz viele verschiedene, differenzierte Formen Möglichkeit, in der Hauptverhandlung vor dem Straf- in den jeweiligen Gerichtsbarkeiten. Die Praxis muss auf richter von der bislang obligatorischen Hinzuziehungdiese differenzierten Formen besser reagieren können. von Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abzusehen.Das wäre wenigstens mein Ziel. Wir dürfen nicht glau- Richterinnen und Richter sollen darüber frei entscheiden ben, das alles durch strikte gesetzliche Regelungen lösen können. Im Strafbefehlsverfahren gibt es künftig einezu können. vereinfachte Möglichkeit, auch im Beschlussverfahren Ich danke für die Aufmerksamkeit. über die Höhe der Tagessätze einer Geldstrafe zu ent- scheiden, sie entweder heraufzusetzen oder herabzu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ setzen oder aufrechtzuerhalten. Wir wollen es auch er- DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10763

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich möchte die parlamentarische Reaktion auf die An- (C) Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Röttgen, CDU/ hörung hervorheben, die zu dem Ergebnis von heute ge- CSU-Fraktion. führt hat, hinter dem wir stehen. Wir haben auf diese An- hörung reagiert, wir haben sie ernst genommen. Sie war Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): keine Farce. Wir haben uns zwischen den Fraktionen, insbesondere zwischen CDU/CSU-Fraktion und SPD- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Fraktion, ausgetauscht und eine Bewertung der Argu- nen und Kollegen! Die Diskussion, die wir über Be- mente und der Kritik, die uns vorgetragen worden ist, schleunigung und Verbesserung der Justiz in diesem vorgenommen. Ein wesentliches Ergebnis war, dass der Hause immer wieder führen, findet in einem Spannungs- Vorschlag, der in dem Gesetzentwurf der Bundesregie- feld statt: Der eine Pol dieses Spannungsfeldes ist der rung und, wenn auch in abgeschwächter Form, in unse- auf der Haushaltslage der Länder beruhende Ruf nach rem Gesetzentwurf enthalten war, nämlich der zur Über- Entlastung und, um es deutlich zu sagen, auch nach führung von Beweisen aus dem Strafverfahren in das Einsparung. Der andere Pol ist der rechtspolitische An- Zivilverfahren, den rechtsstaatlichen Maßstäben nicht spruch, die rechtsstaatliche Qualität der justiziellen gerecht wird. Das war problematisch. Das hätte eine Ver- Verfahren in unserem Lande zumindest zu wahren. änderung bedeutet, die vielleicht – aber auch das wurde Diese beiden Ziele müssen wir im Blick haben. So rich- infrage gestellt – Effizienzgewinne bringt, für die aber tig es ist, dass wir uns der Realität der Haushalte nicht ein zu hoher Preis gefordert worden ist. Darum ist es ein einfach verschließen können, so klar ist auch, dass die positives Ergebnis, dass dieser Vorschlag nun nicht mehr rechtsstaatliche Qualität der Maßstab von Veränderun- in dem Gesetzentwurf enthalten ist. gen ist. Ich möchte – das soll kein Selbstlob sein – die Art Ich möchte für meine Fraktion diese Debatte nutzen, und Weise betonen, in der wir uns mit diesen Argumen- um auf diesen Maßstab hinzuweisen. Es ist ganz sicher ten auseinander gesetzt haben. Das parlamentarische nicht gegen die Landesjustizminister gerichtet, sondern Selbstbewusstsein, das in der Behandlung dieser Frage dient eher dazu, ihnen den Rücken auch in den Vertei- zum Ausdruck gekommen ist, ist positiv zu bewerten. lungskämpfen zu stärken, die in den Kabinetten natür- Wir haben uns zusammengesetzt und eine Gewichtung lich stattfinden, wenn wir darauf hinweisen, welche Be- vorgenommen. Wir haben gesagt: Jenseits des Streits, deutung die Justiz für unseren Rechtsstaat, für die der in anderen Fragen besteht, der fortbesteht, den wir Alltäglichkeit des Rechtsstaates, für die Wahrung der weiterführen werden, macht es Sinn, zu dokumentieren, Rechte der Bürgerinnen und Bürger hat. Es geht um ef- dass es eine Vielzahl von vernünftigen, pragmatischen fektive, effiziente Justiz, aber auch um die Möglichkeit, Schritten gibt, die die Praxis befürwortet, die wir für gerichtliche Entscheidungen durch eine weitere Instanz richtig halten. Vor diesem Hintergrund macht es keinen (B) überprüfen zu lassen, also um die Bedeutung von (D) Sinn, einen künstlichen Streit zu führen. Vielmehr ent- Rechtsschutz und Rechtsmitteln. Manches Mal emp- schließen wir uns, gemeinsam diese Schritte zu tun. Wir finde ich es als Denunzierung, wenn gesagt wird, der wollen nicht, dass der Streit über andere Dinge die kon- Rechtsstaat sei zum Rechtsmittelstaat verkommen. Ein kreten pragmatischen Schritte, die der Praxis helfen, ver- Rechtsmittel ist ein eminent rechtsstaatliches Instrument, zögert. Darum war es eine vernünftige, selbstbewusste auch zur Kontrolle der Justiz. Wir alle sollten das be- und auch selbstkritische Vorgehensweise, die, so glaube rücksichtigen und uns diesen Maßstab vor Augen halten. ich, uns allen und den Adressaten dieses Gesetzes zum Die Justizhaushalte haben nur einen geringen, fastVorteil gereicht. Deshalb möchte ich für unsere Fraktion marginalen Anteil an den Landeshaushalten. Wenn man auch die Art und Weise der parlamentarischen Zusam- die eigentliche Justiz nimmt und den Justizvollzug he- menarbeit zwischen den Fraktionen hervorheben. rausrechnet, dann sind das nur minimale Anteile an den Landeshaushalten, vom Bundeshaushalt ganz zu schwei- Es gibt genug Streitgegenstände und ich bin über- gen. Bei dem bisschen, das wir fiskalisch gewinnen kön- haupt nicht der Auffassung, dass Harmonie das erste nen, müssen wir sehen, dass der gesellschaftliche, der Element der Demokratie ist. Ich will also nicht missver- rechtsstaatliche Preis, den wir dafür bezahlen müssen, standen werden. Sie haben mit Ihrem Entwurf zum Le- überproportional ist, wenn wir Rechtsstaat abbauen. Im benspartnerschaftsgesetz wieder für einen richtigen Übrigen hat ein funktionierender Rechtsstaat neben die- Streitgegenstand gesorgt. Einen solchen wird es auch in ser bürgerrechtlichen Dimension auch die Funktion ei- anderen Bereichen geben. Wir werden diesen Streit mit nes wichtigen wirtschaftspolitischen Standortfaktors für Freude führen, auch in den grundsätzlichen Aspekten. unser Land. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Ge- Dort, wo wir zusammen sind und als vernünftige Parla- legenheit, die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit in un- mentarier zu vernünftigen Ergebnissen kommen, muss serem Land in jeder Beziehung zu unterstreichen. man sich aber keinen Zwang antun, sondern für die Rea- lisierung sorgen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für sich betrachtet sind es kleinere, aber keine unbe- Um diese Ziele zu realisieren – das ist bereits von der deutenden Schritte. Die neuen Unterbrechungsregelun- Bundesjustizministerin gesagt worden –, sind mehrere gen für die Hauptverhandlung im Strafverfahren, die Gesetzentwürfe vorgelegt worden. Die CDU/CSU-Frak- Erleichterung des Strafbefehlsverfahrens, die Protokol- tion hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, der Bundes- lierungsregelungen im Zivilverfahren sowie eine ganze rat hatte einen Gesetzentwurf eingebracht und auch die Menge anderer Vorschriften sind von Relevanz. Sieben Bundesregierung hatte einen Gesetzentwurf eingebracht. von zehn Änderungsanträgen aus dem Bundesrat sind 10764 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Dr. Norbert Röttgen (A) ganz oder teilweise übernommen worden. Das zeigt, Die überraschende und erfreuliche Nachricht des heu- (C) dass auch die Länder, so ist jedenfalls meine Einschät- tigen Tages ist, dass Sie, meine Damen und Herren von zung, mit diesem Ergebnis einverstanden sind und dem der CDU/CSU, zum ersten Mal dabei sind. zustimmen können. Sie müssen das aber selbst entschei- (Beifall der Abg. Christine Lambrecht [SPD] – den und artikulieren. Es gibt auch schon Reaktionen, die Heiterkeit bei der CDU/CSU) dies belegen. Darum sind wir zu einem vernünftigen Er- gebnis gekommen. Den Streit werden wir an andererDas begrüße ich ganz ausdrücklich und sage: Gut, dass Stelle fortsetzen. Sie endlich an Bord der rechtsstaatlichen Vernunft sind. Ich hoffe, Sie gehen uns nicht bald wieder von Bord. Frau Ministerin, Ihre letzte Bemerkung will ich jetzt gar nicht strittig aufgreifen. Zum Titel dieses Gesetzes, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) „1. Justizmodernisierungsgesetz“, möchte ich nur zwei Die Bemerkungen, die Herr Dr. Röttgen hier gemacht Bemerkungen machen. Wir haben nicht mehr lange über hat, veranlassen mich allerdings zu der Überlegung, dass den Titel gestritten, weil die Sache entscheidend ist. Bei das passieren könnte. allem pragmatischen Gehalt, den dieses Gesetz hat, fand ich den Ausdruck „Modernisierung“ ein wenig zu an- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto spruchsvoll. Wir sind im Vokabular eben etwas beschei- Solms) dener. Darüber muss man aber nicht streiten. Hoffentlich passiert es nicht. Meine Ausführungen dazu, ob dem ersten Gesetz nun (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ich garan- bald das zweite folgen soll, möchte ich mit einer Bemer- tiere es Ihnen!) kung auf Ihren Hinweis kombinieren, dass wir darüber auch einmal mit der Praxis reden sollten. Die Gespräche, – Leider ist es so. die ich mit der Praxis führe –teilweise gibt es noch et- Trotzdem bin ich zugunsten dieses Gesetzentwurfs was Praxis –, zeigen, dass das Bedürfnis, im halbjährli- heilfroh und sehr zufrieden, dass die Vorschläge, die chen, jährlichen oder auch zweijährlichen Rhythmus mit noch bis gestern vonseiten der CDU/CSU zur Diskus- Verfahrensänderungen, ZPO- und StPO-Reformen, be- sion standen, nicht mehr aufrechterhalten werden. Das reichert zu werden, nicht sehr ausgeprägt ist. Es gibt das korrespondiert mit den heutigen Ausführungen des Kol- starke Bedürfnis in der Praxis, auch einmal zur Ruhe zu legen Dr. Röttgen als meinem Vorredner und bezieht kommen und Neuregelungen des Verfahrensrechts zur sich unter anderem darauf, dass die Vorschläge der Op- Anwendung kommen zu lassen sowie bewerten zu kön- position, die darauf hinausliefen, Rechtsmittel zu be- nen. schränken, von Ihnen völlig zu Recht zurückgenommen (B) (Beifall bei der CDU/CSU) worden sind. Danke. Auch dafür, dass Pflichten, wie(D) zum Beispiel die Pflicht, bei der Polizei zu erscheinen, Diese hektische Gesetzgebung auf dem Gebiet desvon Ihnen nicht mehr weiterverfolgt werden, danke ich. Verfahrensrechts wird von der Praxis überhaupt nicht ge- Da ist Einsicht bei Ihnen eingekehrt. wünscht, da sie immer wieder einen Mehraufwand bringt. Wir sollten die Praxis ein wenig zur Ruhe kom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men lassen. Wir haben jetzt pragmatische Schritte unter- Auch bei einem anderen Punkt, über den wir alle mit- nommen. Ich will mich rer Ih Ankündigung nicht an- einander diskutiert haben, freue ich mich, dass das ganze schließen, weil ich die Befürchtung habe, dass sie von Haus zu einer einheitlichen Bewertung gekommen ist: vielen in der Praxis als Drohung empfunden wird. Es soll keine Bindung der Zivilgerichte an strafgerichtli- Für heute haben wir ein paar vernünftige Schritte un- che Vorentscheidungen geben. Die Verfahren vor dem ternommen. Herzlichen Dank allen, die daran mitge-Straf- und Zivilgericht sind strukturell so unterschied- wirkt haben. lich, dass es für den Zivilprozess nicht richtig wäre, die Parteien und das Gericht durch Urteile im strafrechtli- Danke sehr. chen Verfahren zu binden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Sie sind noch lernfähig! Sehr gut!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dass wir alle zu dieser Einsicht gefunden haben – Sie Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bünd- durch Rücknahme Ihres Vorschlages hinsichtlich § 286 nis 90/Die Grünen. Abs. 3 ZPO und wir hinsichtlich § 415 a ZPO –, begrüße ich ganz ausdrücklich. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- und bei der SPD) gen! Die Bundesjustizministerin hat heute in einer schriftlichen Stellungnahme das 1. Justizmodernisie- Ich will auf einen Punkt zu sprechen kommen, der rungsgesetz mit den Worten beschrieben: „Das Justiz- bisher noch nicht aufgegriffen worden ist: Es geht um modernisierungsgesetz vereinfacht gerichtliche Strafver- den Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof befin- fahren unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.“ Das ist det sich durch vermehrten Arbeitsanfall sowohl bei den völlig richtig und für rot-grüne Rechtspolitik nichts Zivil- als auch bei den Strafsenaten in einer äußerst an- Neues. gespannten Situation. Uns, dem Deutschen Bundestag, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10765

Jerzy Montag (A) kann die Situation beim Bundesgerichtshof nicht egal Rainer Funke (FDP): (C) sein. Ganz im Gegenteil: Der Bundesgerichtshof als ei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wer- nes der wichtigsten deutschen Bundesgerichte ist für die den sich vielleicht noch daran erinnern, dass wir vor Wahrung der Rechtseinheit, die Rechtsfortbildung und zwei Jahren hier über die Reform des Zivilprozesses mit- als letzte Fachinstanz auch für materielle Gerechtigkeit einander debattiert haben. zuständig und muss in seiner Arbeitsfähigkeit erhalten werden. (Alfred Hartenbach [SPD]: Vor drei Jahren!) Aus Gesprächen im Bundesgerichtshof habe ich erfah- – Im Jahr 2001. Herr Hartenbach, Sie haben Recht. Ich ren, dass die Masse an Rechtsbeschwerden in Zivilsachen konnte nicht rechnen. Das ist bei mir ungewöhnlich. – und zugelassenen Revisionen, die durch bestimmte lan- Im Juni 2001 haben wir hier miteinander beraten. Wir desgerichtliche Vorentscheidungen – darüber können wir haben damals dieses Reformgesetz verabschiedet. Vor heute nicht diskutieren, aber darüber müssen wir einmal wenigen Monaten ist dieses Gesetz in den Gerichten diskutieren – beim Bundesgerichtshof landet, zu un-evaluiert worden, zum Teil erst angewandt worden. Ins- glaublicher Mehrarbeit führt, ohne in der Sache die Qua- gesamt haben wir mit diesem so genannten Reformge- lität zu erhöhen und durch die Arbeit des Bundesgerichts- setz noch keine hinreichende Erfahrung sammeln kön- hofs zu einem Mehrwert zu führen. Deswegen sind in nen. unserem Gesetzentwurf in § § 552 a und 577 Abs. 6 der Zivilprozessordnung zwei Möglichkeiten festgehalten Die Bundesjustizministerin hat hier ein neues Gesetz, worden, wie der Bundesgerichtshof in solchen Fällen im das Justizmodernisierungsgesetz, vorgelegt, dem auch Sinne einer großen Arbeitserleichterung handeln kann. wir heute zustimmen werden. Es wäre uns aber lieber gewesen, wenn die Möglichkeit bestanden hätte, erst Auch im Strafrecht haben wir dem Bundesgerichtshof einmal Erfahrungen mit dem Reformgesetz, damals die Möglichkeit gegeben, in einigen Fällen selbst zu ent- noch von Ihrer Vorgängerin vorgelegt, zu machen. Dies scheiden und nicht zurückverweisen zu müssen. Dies ist ist uns verwehrt worden. Wir haben einige sicherlich kein Verlust eines Rechtsweges in dem Sinne, in demwichtige Änderungen des so genannten Reformgesetzes Sie, Herr Dr. Röttgen, dies erwähnt haben – dem stimme vorgenommen. Ich möchte aber anregen, dass wir beim ich völlig zu –; denn es handelt sich nur um die Fälle, in 2. Justizmodernisierungsgesetz, das Sie, Frau Ministe- denen zwar Fehler festgestellt werden, aber im Ergebnis rin, eben angesprochen haben, etwas mehr Zeit bekom- nach Auffassung des Bundesgerichtshofes das Gleiche men, um zu evaluieren und mit den Gerichten und Prak- herauskommen müsste oder bei den Rechtsfolgen eine tikern zu sprechen, ob diese Reformen – zum Teil leichte Ermäßigung zugunsten des Beschuldigten er-Reförmchen – angeschlagen haben. folgte. In diesen Fällen kann der Bundesgerichtshof zu- (B) (D) künftig selbst entscheiden. Das tragen wir ganz aus- (Beifall bei der FDP) drücklich mit. Die Zustimmung der FDP zu dem heute vorliegenden In der Hauptverhandlung des Strafverfahrens – die Gesetzentwurf wurde möglich, nachdem zwei ursprüng- Punkte sind bereits angesprochen worden – haben wir lich vorgesehene Regelungen ersatzlos gestrichen wur- das zu verabschiedende Gesetz der Realität angepasst. den. Es handelt sich dabei um den Beweistransfer vom Bisher wurde immer noch davon ausgegangen, dass jeder straf- in das zivilgerichtliche Verfahren. Dieser Vor- Zeuge zu vereidigen ist. In der Realität war das Gegenteil schlag verkannte völlig die unterschiedlichen Strukturen der Fall. Jetzt haben wir in unserem Gesetzentwurf der von Zivil- und Strafprozess und ging damit völlig an der Realität Rechnung getragen und die Vereidigung zu einer Praxis vorbei. Begrüßt wird von der FDP auch der Ver- Ausnahmevorschrift gemacht. Ich finde das völlig inzicht auf Änderungen in § 374 ZPO mit der Wirkung, Ordnung. Zeugenvernehmungen durch die Verwertung richterli- cher Vernehmungsniederschriften zu ersetzen. Auch in Wir haben die Unterbrechungsfrist von zehn Tagen diesem Punkt ist die Bundesregierung dem Votum der auf drei Wochen verlängert. Ich hoffe sehr, dass die Ge- Sachverständigen in der Anhörung des Rechtsausschus- richte dies nicht dazu nutzen, die zehn Tage und dieses gefolgt. Überbrückungstermine auf drei Wochen plus Überbrü- ckungstermine auszudehnen. Dann würde wirklich der Damit liegt im Ergebnis heute ein Gesetzentwurf vor, Grundsatz der Unmittelbarkeit leiden. der in seinen Auswirkungen auf die Zivil- und Strafjustiz Mit dieser ganz kleinen kritischen Anmerkung will zwar eher gering sein wird, der aber in der Summe seiner ich schließen und sagen: Wir vom Bündnis 90/Die Grü- Maßnahmen durchaus geeignet sein kann, das prozessu- nen begrüßen es, dass sich alle Fraktionen darauf einigen ale Verfahren zu straffen, ohne grundlegende Rechte der konnten, dieses Gesetz heute zu verabschieden. Dafür Beteiligten zu beeinträchtigen. danke ich Ihnen. Für die FDP-Bundestagsfraktion lege ich jedoch Wert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN darauf, dass die Bundesregierung trotz der heutigen Ab- und bei der SPD) stimmung über den vorliegenden Gesetzentwurf nicht von ihrer Verpflichtung und ihrem Versprechen entbun- den werden kann, die ZPO-Reform aus der 14. Wahlpe- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: riode sorgfältig zu evaluieren, Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) 10766 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Rainer Funke (A) auch wenn heute entsprechende Reparaturgesetze verab- sich die Frage, warum wir das nicht machen. Diese(C) schiedet werden. Frage haben wir uns gestellt und haben einige Maßnah- men vorangebracht, die ich – ich komme aus der Praxis – Selbstverständlich muss dies zu einem späteren Zeit- für sehr sinnvoll halte. punkt auch für das heute zu verabschiedende Justizmo- dernisierungsgesetz gelten. Ich bin dankbar, dass die Die Unterbrechungsregelung in der Hauptverhand- Bundesjustizministerin versprochen hat, die Gespräche lung ist schon angesprochen worden. Die Praxis der mit Vertretern der Praxis umzusetzen. Schiebetermine ist uns allen bekannt. Dafür müssen in Zukunft kein Geld und keine Zeit mehr aufgewendet Es hat sich in der Vergangenheit stets bewährt, auf der werden. Grundlage von Zahlen, Fakten und detaillierten Erfah- rungsberichten notwendige Reformen aufzubauen und Die Vereidigungspraxis – auch das ist bekannt – wird vorzunehmen. Wir sollten an diesem Verfahren festhal- schon so gehandhabt, wie es jetzt im Gesetzentwurf ge- ten. regelt ist. Allerdings ist es für die Revision nicht unbe- deutend, dass die Regelung bisher nicht in der Form be- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. stand, wie wir sie jetzt vorgesehen haben; im Endeffekt (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist so vorgegangen worden, wie man vorgehen sollte, der CDU/CSU) ohne dass eine entsprechende gesetzliche Grundlage da- für gegeben war. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich will noch einen Punkt ansprechen, der bisher nicht Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Lambrecht angesprochen wurde. Das Justizmodernisierungsgesetz von der SPD-Fraktion. besteht zwar aus sehr vielen kleinen und interessanten Punkten, bringt aber in der Praxis sehr viel. Ein Beispiel Christine Lambrecht (SPD): betrifft § 110 StPO. Nach geltender Gesetzeslage ist die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrDurchsicht von Papieren derzeit noch der Staatsan- Funke, ich möchte auf einen Punkt eingehen, den Sie an- waltschaft vorbehalten. Allein die Formulierung zeigt, gesprochen haben. Dabei handelt es sich um die Frage, dass dieses Gesetz schon sehr lange in Kraft ist; denn in- warum wir das Reformvorhaben jetzt durchführen, statt zwischen ist bei beschlagnahmten Gegenständen in der die Evaluierung der ZPO-Reform abzuwarten. Darüber, Hauptsache selbst dann, wenn irgendwann Dateien aus- ob sich die einzelnen Maßnahmen der ZPO-Reform nach gedruckt werden, nicht mehr von Papieren die Rede. Es unseren Vorstellungen entwickelt haben, lässt sich dis- geht vielmehr um Computer, Festplatten und deren Aus- kutieren. Deshalb haben wir schließlich die Evaluierung wertung. Diese Möglichkeit war bislang der Staatsan- (B) vorgenommen und vor Ort mit den Praktikern gespro- waltschaft vorbehalten. (D) chen. Unser jetziges Vorhaben steht aber dazu nicht im In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Gegensatz; es ergänzt sie vielmehr. Vertreter der Staatsanwaltschaften mit der modernen (Rainer Funke [FDP]: Reparaturgesetz!) Technik umgehen können oder ob es nicht vielmehr da- rum geht, bestgeschulten Polizeibeamten, die die Tech- Es geht um praktische Lösungen, die von den Praktikern nik beherrschen und wissen, worauf sie zu achten haben schon seit Jahren gefordert werden. Man hätte vielleicht und wie Dateien wieder hergestellt werden können, nach damals im Zusammenhang mit der ZPO-Reform zu ent- § 110 StPO die Möglichkeit zu geben, die Durchsicht sprechenden Regelungen kommen können, aber grund- von Papieren – dieser Begriff muss allerdings weiter ge- sätzlich haben sie mit der ZPO-Reform nichts zu tun. fasst werden – vorzunehmen. Damit wird das schon jetzt Darüber hinaus bitte ich als Zivilrechtlerin darauf zu übliche Vorgehen gesetzlich geregelt, was für die Prakti- achten, dass in dem Entwurf eines Justizmodernisie-ker eine große Erleichterung darstellt. rungsgesetzes vieles enthalten ist, das die StPO, das Was das Verlesen von Gutachten – beispielsweise Rechtspflegergesetz und anderes betrifft. Das GesetzKfz-Gutachten – angeht, sind nach geltender Rechtslage geht insofern einen Schritt weiter. Von daher hat das eine Gutachter im Prozess persönlich zu hören, obwohl sie nichts mit dem anderen zu tun. Man kann das eine tun, ihr Gutachten bereits in schriftlicher Form vorgelegt ha- ohne das andere zu lassen. Wir werden selbstverständ- ben. Das ist in Zukunft nicht mehr notwendig; es ist lich auf die Evaluierung reagieren. künftig möglich, sich auf das Gutachten zu beziehen, so- Ich habe es bereits gesagt: Mit dem Justizmodernisie- dass die Vernehmung der Gutachter in der Hauptver- rungsgesetz – Sie haben es „Reförmchen“ genannt –handlung entbehrlich wird. geht es uns darum, Interessen der Praktiker aufzugreifen. Auch die Möglichkeit des Übergangs ins Strafbe- Herr Dr. Röttgen hat die verschiedenen Interessen aufge- fehlsverfahren im beschleunigten Verfahren ist schon an- zeigt. Dabei handelt es sich um die fiskalischen Interes- gesprochen worden. sen der Länder auf der einen Seite und um die Rechts- staatsinteressen, die man immer im Blick haben muss, Das alles sind keine revolutionären Veränderungen. auf der anderen Seite. Aber es gibt, wie gesagt, kein Ar- Für Revolutionen ist der Rechtsausschuss auch nicht der gument dagegen, dem Anliegen aus der Praxis nachzu- richtige Platz. Diese machen wir besser woanders. Aber kommen, bestimmte Regelungen zu ändern, von denen es ist, wie die Ministerin einmal treffend gesagt hat, niemand – insbesondere diejenigen, die sie tagtäglichSand aus dem Getriebe genommen und Öl hineingegos- anwenden – weiß, warum sie noch gelten. Insofern stellt sen worden. Das ist der Sinn der Sache. Ich glaube, wir Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10767

Christine Lambrecht (A) können uns darauf verständigen, dass wir uns bei diesen moniebedürftigkeit beim Zustandekommen des vorlie-(C) Anforderungen von der juristischen Praxis haben leiten genden Gesetzentwurfs der Bundesregierung war, zeigt lassen. sich schon an dessen Überschrift. Während unser Ge- setzentwurf einmal den Titel „1. Justizbeschleunigungs- Wir haben viele Vorschläge von Union und Bundesrat gesetz“ trug, hieß Ihr Gesetzentwurf „Modernisierungs- zurückweisen müssen; denn einige Vorschläge hattengesetz“. Daraus ist die geradezu geniale Synthese nicht die Verbesserung der juristischen Praxis, sondern „1. Justizmodernisierungsgesetz“ gemacht worden. Da- hauptsächlich die Entlastung der Länderhaushalte zum mit kann man in der Öffentlichkeit natürlich gut hausie- Ziel. Dieses Ziel durch Beschneidung von Verfahrens- ren gehen. Das macht großen Eindruck. rechten zu erreichen ist nicht unsere Sache. Das wollten wir nicht mitmachen. Wir haben uns bei der Erarbeitung Ich möchte noch auf etwas anderes zu sprechen kom- des Gesetzentwurfes auf die Ergebnisse der Anhörung men, was vorhin angeklungen ist. Herr Montag, bei Ihrer bezogen, in der wir auch dazugelernt haben, insbeson- Rede drohte die freundliche Atmosphäre umzuschlagen. dere in Bezug auf § 415 a der Strafprozessordnung. Es Sie haben aber noch schnell die Kurve bekommen. Wir ist zwar in der Theorie – das ist bereits angesprochenhaben übrigens nichts zurückgenommen. So etwas ist worden – eine sinnvolle Sache, das, was in einem Urteil nur möglich, wenn es ein Geben und Nehmen gibt. In einmal festgestellt worden ist, zu übernehmen. Aber im der gestrigen Ausgabe von „hib“ ist zu lesen, dass wir tatsächlichen Leben kann die entsprechende Sache mit den Gesetzentwurf auf einer gemeinsamen Grundlage sehr viel Sprengstoff behaftet sein. Dass wir das heraus- erarbeitet haben. Ich weiß, dass es nicht allzu viel war, genommen haben, ist richtig. was Sie in der letzten Zeit in der Rechtspolitik nach au- ßen verkaufen konnten. Deswegen wären Sie froh, wenn Es ist gut, dass wir heute in zweiter und dritter Lesung Sie sich die Urheberschaft sozusagen ganz alleine an den den Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes verab- Hut heften könnten. Aber es beschließt schließlich der schieden, so wie wir ihn in den Rechtsausschuss einge- Deutsche Bundestag. bracht haben. Ich bin Ihnen insbesondere dafür dankbar und begrüße es, dass Ihre parteipolitische Brille nicht so Herr Montag, Sie haben eben einen Teilbereich he- weit reicht, den Entwurf eines Justizbeschleunigungsge- rausgegriffen, nämlich die Revisionsbelastung des setzes des Bundesrates zu unterstützen, den Ihr Kollege, Bundesgerichtshofs und den neu geschaffenen § 552 a der hessische Justizminister, vorgelegt hat, und zwarZPO. Hier muss man ein bisschen in die Entwicklungs- nachdem wir unseren Entwurf eines Justizmodernisie- geschichte gehen. Bisher – das haben wir alle im Jura- rungsgesetzes vorgelegt hatten – das ist die richtige Rei- studium gelernt – hat sich über dem Landgericht der so henfolge; nicht wir haben von ihm, sondern er hat von genannte blaue Himmel gewölbt. Das heißt, immer dann, uns in den Punkten abgeschrieben, die von Ihnen mitge- wenn gegen ein Urteil eines Amtsgerichtes Berufung vor (B) (D) tragen werden –, sondern dass sie ihn dorthin gelegt ha- einem Landgericht eingelegt wurde, war Schluss mit lus- ben, wohin er gehört, nämlich in den Papierkorb. Alle tig. Es war kein weiteres Rechtsmittel möglich. Nun ha- Achtung! Das muss ich schon sagen. ben Sie insbesondere in Wohnraummietangelegenheiten dafür gesorgt, dass nunmehr – das Amtsgericht ist wei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ terhin die erste Instanz; das Landgericht ist das Beru- DIE GRÜNEN) fungsgericht – Revision beim Bundesgerichtshof mög- Ich wünsche mir, dass wir in der nächsten Zeit daslich ist. Das führt dazu, dass jetzt in etwa 116 bzw. 120 eine oder andere noch einmal durchexerzieren werden. Landgerichte hinzukommen werden, während sich früher Ich bin gespannt, wie weit Sie sich dann durchsetzenbundesweit nur 25 Oberlandesgerichte mit der Zulassung werden und wie die Reaktionen aus Hessen auf die heu- von Revisionen beschäftigt haben. tige Abstimmung aussehen werden. (Zuruf des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]) Vielen Dank. – Alfred, ruf doch nicht immer dazwischen. Setz dich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ doch lieber auf die Regierungsbank! Wenn du schön ru- DIE GRÜNEN) hig bist, dann lernst du auch etwas. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: CDU/CSU und der FDP) Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Jürgen Gehb von Ich wollte nur sagen: Es handelt sich dabei nicht nur der CDU/CSU-Fraktion. um ein quantitatives Phänomen; vielmehr ist auch die (Beifall bei der CDU/CSU) Neigung der Landgerichte, die Revision zuzulassen, un- gleich höher. Das mag an der Unsicherheit oder an der Rechtsmaterie liegen. Ich verweise jedenfalls auf das, Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): was uns der Gutachter Dr. Dietrich Beyer in der Anhö- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin rung gesagt hat. Übrigens, von ihm kommt der Vor- froh, dass ich jetzt ein bisschen Lügen gestraft worden schlag in Bezug auf § 552 a ZPO, der die Lösung ent- bin. Gestern im Rechtsausschuss war nämlich Ihre Ton- hält, die ich gleich nennen werde. lage, Frau Lambrecht, gänzlich anders. Wahrscheinlich haben Sie sich die ganze Nacht eingeprägt: fortiter in re, Wir haben vor ungefähr einem Jahr, nämlich am suaviter in modo. Für die Oberrealschüler: Hart in der 3. Juni 2003, den Antrag gestellt, die Entscheidungsfä- Sache, aber gemäßigt in der Tonlage. Wie groß die Har- higkeit des Bundesgerichtshofs aufrechtzuerhalten. 10768 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Dr. Jürgen Gehb (A) Denjenigen, die mit Erbsenzählerei anfangen – war das Der Antrag musste also beim Verwaltungsgericht ge- (C) Huhn oder war das Ei zuerst; wer hat das Ganze initi- stellt werden. In der Zwischenzeit sind die Verfahrensak- iert? –, muss man doch einmal sagen: Das hat der Bun- ten an das OVG oder an den VGH gegangen. Der An- desrichter Beyer dankbar aufgegriffen, indem er gesagt walt hat vom OVG Bescheid bekommen, dass der hat, dass das ein ganz wichtiger Aspekt ist. Berufungszulassungsantrag eingegangen ist. Er oder sein Geschäftsbetrieb hat dann aus der Macht der Ge- Es gab mehrere Möglichkeiten, das Ganze zu ändern. wohnheit die Begründung direkt an den VGH oder an Der Bundesgerichtshof selbst hat einen entsprechenden das OVG geschickt. Weil das der falsche Adressat ist, Vorschlag gemacht. Man ist an die Zulassung der Revi- führte das nicht selten dazu sion an sich gebunden, wie übrigens in allen Verfahrens- ordnungen. Genauso wie das Bundesverwaltungsgericht (Zustimmung des Abg. Hans-Christian Ströbele an die zugelassene Revision der OVGs oder der VGHs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gebunden ist, so ist es auch hier bisher geregelt gewesen. – Herr Ströbele, endlich bekomme ich von Ihnen einmal So ist es übrigens noch immer geregelt, allerdings mit Zeichen der Zustimmung –, dass der Antrag verfristet war. einer Ausnahme: Wenn der Bundesgerichtshof einstim- In dieser kleinen Vorschrift – § 124 a Abs. 4 Satz 5 mig zu der Auffassung gelangt, dass die Voraussetzun- VwGO – hat man jetzt die Möglichkeit eröffnet, die Be- gen, unter denen die Berufung zugelassen worden ist, gründungen nicht nur an das Verwaltungsgericht, also an nicht vorliegen, dann kann er sie durch einstimmigendas Gericht a quo, sondern auch an das OVG und an den Beschluss zurückweisen, wenn die Revision gleichzeitig VGH ad quem zu senden. Das hört sich jetzt sehr akade- auch in der Sache keinen Erfolg hätte. Bisher war es so, misch an. Das übersteigt das Vorstellungsvermögen vie- dass man mit der „vollen Kapelle“ mündliche Verhand- ler. Aber diese kleine Vorschrift ist ganz wichtig, weil wir lungen hätte anberaumen und die ganze Geschichte im die Gesetze ja für die Praxis machen. Urteilsweg entscheiden müssen. Die Änderung an dieser Ich möchte noch eine abschließende Bemerkung ma- Stelle ist die wesentliche Erneuerung. Damit verbunden chen. ist ein echter Beschleunigungseffekt. Er führt dazu, dass unserem Anliegen, nämlich die Entscheidungsfähigkeit (Christine Lambrecht [SPD]: Schade!) des Bundesgerichtshofs aufrechtzuerhalten, Genüge ge- Was die Unterbrechungsfrist § 229 StPO angeht tan worden ist. – ich glaube, das ist heute schon von jedem angespro- Ich erwähne meine früheren Erfahrungen bei der Ge- chen worden –: Auch da hat sich jeder als der Urheber richtsbarkeit. Der § 124 a Abs. 4 Satz 5 – diese Vor-geriert. In der 13. Legislaturperiode hat der Bundesrat schrift ist zwar versteckt, aber nicht ganz unwichtig – schon einmal den Entwurf eines Strafprozessanpas- (B) sieht Folgendes vor: sungsgesetzes vorgelegt. Das ist unter der CDU/CSU-(D) FDP-Regierung gescheitert. Ich habe beim damaligen (Joachim Stünker [SPD]: Was steht da drin?) hoch geschätzten Staatssekretär – das war aber nicht mehr, als ich Ihnen entgegenbringe, Herr Hartenbach – – Herr Stünker, Sie wissen doch: Ich lasse Sie nichtangefragt, ob man das einmal ändern wolle; das ist in dumm sterben. Ich sage Ihnen jetzt, was darin steht. Bundestagsdrucksache 14/6851 auf Seite 9 nachzulesen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich habe am 23. August 2001 eine abschlägige Antwort GRÜNEN]: Welches Gesetz?) erhalten. Ich habe daraufhin im letzten Jahr in der „Zeitschrift – VwGO. Das ist die Prozessordnung für die Verwal-für Rechtspolitik“ einen entsprechenden Aufsatz veröf- tungsgerichtsbarkeit. fentlicht. Inzwischen ist dem Anliegen Rechnung getra- Herr Stünker, ich weiß, dass Sie eine ganze Zeit lang gen worden. angenommen haben, dass sich hinter dem Begriff „Ver- Allerdings muss ich schon einmal die Frage stellen, waltungsakt“ der Geschlechtsverkehr eines BeamtenFrau Zypries, liebe Brigitte: verbirgt. Das ist nicht der Fall. – Also: VwGO bedeutet Verwaltungsgerichtsordnung und VA bedeutet Verwal- (Zurufe von der SPD: Oh!) tungsakt. Wer hat sich eigentlich dieBegründung zu der Ände- Jetzt will ich Ihnen die Vorschrift in § 124 a Abs. 4 rung einfallen lassen? Das liest sich, als ob das einer Satz 5 VwGO erklären. Bisher ist es so gewesen, dass Büttenrede entnommen wäre. man, wenn man denAntrag auf Zulassung der Beru- (Christine Lambrecht [SPD]: Das waren Sie! – fung beim Verwaltungsgericht gestellt hat, nach einer Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bestimmten Frist den Zulassungsantrag hat begründen Ihr Beitrag ist die Büttenrede der heutigen De- müssen. Das Kuriose ist, dass der Antrag auf Zulassung batte!) der Berufung a quo behandelt wird. Also: Entscheidend ist, woher er kommt. Es gibt einen Richter a quo und ei- Darin steht nämlich, dass die Frist unter anderem des- nen Richter ad quem. Nachher machen wir noch einhalb verlängert werden soll, damit sich die Gerichtsver- Stündchen Latein und Rechtssprache. waltung, namentlich der Hausmeister, schon darauf ein- stellt, für die Dauer von drei Wochen die angestammten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Sitzungsräume zur Verfügung stellen zu können. Das ist GRÜNEN]: Amtssprache ist Deutsch!) eine Begründung, die nicht verfängt. Wir reden eigent- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10769

Dr. Jürgen Gehb (A) lich nur über die Gesetze, aber wer sich wissenschaftlich Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der bisher we- (C) damit beschäftigt, liest auch die Begründung. Damit wir nig Beachtung gefunden hat, nämlich dieÖffnungs- uns nicht dem Hohn und Spott der Rechtskundigen aus- klausel, die wir für das Rechtspflegergesetz heute verab- setzen, rege ich an, dass man dazu auf die Begründung schieden werden. Das ist eine Regelung, die – das sage zurückgreift, die in unserem Entwurf steht. ich, auch wenn ich Frau Lambrecht nicht gern wider- spreche – für die ordentliche Gerichtsbarkeit schon ein Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerk-Stück weit revolutionären Charakter hat. Das ist das, was samkeit, nachdem meine Rede ohne die sonst gewohnten ich in diesem Hohen Hause seit 1999 immer mit „Bin- Störmanöver über die Bühne gegangen ist. nenreform der Justiz“ umschrieben habe. Damals konnte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sich noch niemand so richtig vorstellen, was ich damit neten der FDP – Lachen bei der SPD) eigentlich meinte. Das heißt nämlich, in der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Bereich von Nachlass- und im Be- reich von Handelsregistersachen richterliche Aufgaben, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: die nicht ausschließlich Aufgaben der Rechtsprechung Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker von sind, auf Rechtspfleger zu übertragen. Schon im vorigen der SPD-Fraktion. Jahr haben wir Aufgaben, die bis dahin Rechtspfleger (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jetzt gibt es wahrgenommen haben, auf den mittleren Dienst übertra- wieder ein rhetorisches Feuerwerk! – Rainer gen. Das sind vernünftige Schritte einer Binnenreform Funke [FDP]: Mal sehen, was er davon ver- der Justiz, die im Ergebnis dazu beitragen, dass die Län- wendet!) der in die Lage versetzt werden, in der Justiz Kosten sparender zu arbeiten, wenn sie denn von dieser Öff- nungsklausel Gebrauch machen. Ich kann nur hoffen, Joachim Stünker (SPD): dass in deutschen Landen von dieser Öffnungsklausel Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!möglichst umfassend Gebrauch gemacht wird. Herr Kollege Gehb, die Büttenrede haben wir, glaube ich, eben gehört. Ich habe mir gewünscht, wir hätten das flächen- deckend regeln können; denn dann hätten wir nicht den (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber mit Ni- Weg der Öffnungsklausel gehen müssen. Aber das war veau, nicht?) nicht möglich. Das ist nur der erste Schritt. Den Fuß ha- ben wir in der Tür. Ich kann nur hoffen, dass die Tür – Ja, genau. – Herr Präsident, die Kolleginnen und Kol- weiter aufgemacht wird. legen in unseren Reihen haben zu Recht gesagt: Wir Ich habe mich heute auch zu Wort gemeldet, weil wir (B) sollten einmal darauf hinweisen, dass die Parlaments- (D) sprache immer noch Deutsch ist, Herr Kollege Gehb. in dieser Woche noch ein weiteres wichtiges Datum für die Rechtspolitik gehabt haben. Es gab nämlich in dieser (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ich übersetze Woche eine Anhörung zu der Übertragung der Führung es für die Schwerfälligen auch noch!) der Handelsregister von den Amtsgerichten auf die In- Zum Justizmodernisierungsgesetz. Die Frau Ministe- dustrie- und Handelskammern. Auch das fällt in den Be- rin hat darauf hingewiesen, dass wir heute eigentlichreich hinein, den wir heute diskutieren, den Bereich ei- wieder am Ausgangspunkt angekommen sind. Wir ha- ner Binnenreform der Justiz. Diese Anhörung hat ben einen kleinen Kreis vollführt. Der Ausgangspunkt gezeigt, glaube ich, dass der Weg der Teilprivatisierung ist gewesen, dass sich die Vertreter des Bundesministeri- von Aufgaben dort nicht der richtige Weg ist. Ich glaube, ums der Justiz mit denen der Justizministerien der Län- dass der Entwurf des Bundesrates bei dieser Anhörung der zusammengesetzt und überlegt haben, was denn in durchgefallen ist. Ich kann nur hoffen, dass die Vernunft den einzelnen Verfahrensvorschriften der verschiedenen und der Sachverstand, die dazu geführt haben, dass wir Prozessordnungen zu verbessern ist, in welchen Berei- jetzt gemeinsam dieses 1. Justizmodernisierungsgesetz chen Sand im Getriebe ist, wo man durch vernünftige verabschieden können, uns gemeinsam dazu bringen, Regelungen dafür sorgen kann, dass Klagen der Praxis, diesen Weg nicht einzuschlagen; denn dieser wäre in der die wir schon über Jahre oder Jahrzehnte hören, beseitigt Praxis nicht weiterführend. werden. Das führte zu dem Entwurf, der vor gut einem Andererseits hoffe ich, dass wir die Diskussion auf- Jahr eingebracht worden ist. greifen, die vor 14 Tagen die Justizministerkonferenz Dann kam ein Schuss Politik hinein. Es gab zwei wei- angestoßen hat, indem sie sagte, man müsse im Bereich tere Entwürfe. Zum Schluss haben wir die Politik wieder der öffentlichen Gerichtsbarkeit den Schritt zur Zusam- herausgenommen und haben im Ergebnis einen in der menlegung und Verschlankung gehen. Damit würde man Sache vernünftigen Entwurf erarbeitet, den wir heute ge- wirklich den Versuch einer Strukturreform wagen; die- meinsam beschließen können. Dafür bedanke ich mich. ser verdient es, von uns mit Nachdruck diskutiert zu Dafür, denke ich, wird sich auch die Praxis draußen im werden. Auch die Justiz wartet nämlich, wie der neue Lande bedanken. Bundespräsident in seiner, wie ich meine, beeindrucken- den Rede heute Morgen gesagt hat, auf einen Ruck. Be- Wir sollten den Gesetzentwurf, den wir heute be-zug nehmend auf die Ruck-Rede von Roman Herzog schließen, nicht zu sehr kleinreden, Herr Kollege Funke; fragte er ja, woran es liege, dass alle auf einen Ruck in Sie haben das in ein bisschen übertriebener Weise, sodiesem Land warten. Das liegt in der Tat daran, dass wir meine ich, getan. uns diesen Ruck nicht geben, sondern auf ihn warten. In 10770 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Joachim Stünker (A) der Justiz sollten wir ihn uns aber geben, indem wir in Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kom-(C) der Zukunft grundlegende Strukturreformen anfassen. men, rufe ich eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung auf. Die Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Danke schön. Pau haben beantragt, den Tagesordnungspunkt 14 von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Tagesordnung abzusetzen. Wünscht jemand das DIE GRÜNEN) Wort zur Geschäftsordnung? – Frau Pau, bitte.

(fraktionslos): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Petra Pau Die Rede der Kollegin Petra Pau nehmen wir zu Pro- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tokoll.1) Worum geht es eigentlich? Unsere Geschäftsordnung legt fest, dass zehn Wochen nach Überweisung einer Ich schließe die Aussprache. Vorlage eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Bun- destagsmitglieder verlangen können, dass der federfüh- Wir kommen zur Abstimmung über den von derrende Ausschuss durch den Vorsitzenden oder Berichter- Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Justiz-statter über den Fortgang der Verhandlungen berichtet. modernisierungsgesetzes sowie über den von der Frak- Insoweit ist das Anliegen der Verfasser der Gesetzent- tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eineswürfe, die unter der großen Überschrift „Graffiti-Be- 1. Justizbeschleunigungsgesetzes, Drucksachen 15/1508 kämpfung“ hier behandelt werden, berechtigt; denn seit und 15/999. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 über einem Jahr sind die Gesetzentwürfe im parlamenta- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/3482, rischen Gang, aber wir haben noch immer keinen Ent- die genannten Gesetzentwürfe zusammenzuführen und scheidungsvorschlag auf dem Tisch. als 1. Justizmodernisierungsgesetz in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Allerdings haben wir uns als Bundestag aus guten entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Gründen eigene Regeln gesetzt, um sach- und fachkun- das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – dig über Vorlagen beraten zu können. Dazu gehört die Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Regel in § 78 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung, die be- Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der zwei frak- sagt, dass solche Berichte wie auch alle anderen Vorla- tionslosen Abgeordneten angenommen. gen mindestens drei Tage vor Verhandlung im Plenum des Bundestages über die Postfächer jedem Mitglied des Dritte Beratung Bundestages zugehen müssen. Dies ist in dem vorliegen- den Fall nicht geschehen. Der Bericht, über den verhan- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem delt werden soll, ging gestern um 15.05 Uhr dem Parla- (B) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (D) mentssekretariat zu, uns jedoch erst kurz vor Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Mitternacht. Deshalb beantragen Frau Dr. Gesine entwurf ist damit mit gleichen Mehrheitsverhältnissen Lötzsch und ich für die PDS im Bundestag die Abset- angenommen. zung dieses Tagesordnungspunktes. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- schlussempfehlung auf Drucksache 15/3482 die Ableh- tionslos]) nung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur Beschleunigung von Verfahren der Justiz auf Druck- Ich möchte noch einen Satz hinzufügen, denn es geht sache 15/1491. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- nicht nur um diesen Gesetzentwurf. Wir hätten mindes- wurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegen- tens bei der Hälfte der Punkte, die auf der heutigen Ta- stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in gesordnung stehen, eine solche Fristeinrede erheben zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak- müssen. Wir haben heute darauf verzichtet. Ich finde tionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/ aber, wir sollten gelegentlich einmal darüber reden, wie CSU-Fraktion abgelehnt worden. Damit entfällt nachernst wir unsere eigenen Bestimmungen nehmen, um unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. sachkundig über Gesetzentwürfe verhandeln zu können. Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsaus- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- schusses auf Drucksache 15/3482 zu dem Antrag der tionslos]) Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Fehler beim neuen Revisionsrecht korrigieren – Entscheidungsfähig- keit des Bundesgerichtshofs sicherstellen“. Der Aus- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfeh- Ergreift ein anderer Abgeordneter das Wort zur Ge- lung, den Antrag auf Drucksache 15/1098 abzulehnen. schäftsordnung? – Das ist nicht der Fall. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Absetzung des Tagesordnungspunktes 14. Wer stimmt nen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der CDU/ für diesen Geschäftsordnungsantrag? – Wer stimmt da- CSU-Fraktion angenommen. gegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Der Geschäfts- ordnungsantrag ist bei Zustimmung der beiden fraktions- 1) Anlage 20 losen Abgeordneten und Ablehnung aller Fraktionen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10771

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) abgelehnt. Damit ist gleichzeitig mit der erforderlichen Zumindest die Höflichkeit hätte es erfordert, dass (C) in Mehrheit die Fristabweichung akzeptiert. irgendeiner Weise Stellung genommen wird. Das ist nicht passiert – schade drum! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Dem Petitionsausschuss des Hauses liegt bereits seit Beratung des Berichts des Rechtsausschusseslängerem die Petition eines Bürgers vor, der fordert, (6. Ausschuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäfts- Graffiti jeglicher Art endlich als Sachbeschädigung zu ordnung bestrafen und dem Eigentum der Bürger den notwendi- – zu dem von den Abgeordneten Dr. Norbertgen Schutz zukommen zu lassen. Natürlich – wer hätte Röttgen, Cajus Julius Caesar, Dr. Wolfgangdas gedacht? – blockieren Sie auch hier wieder. Götzer, weiteren Abgeordneten und der Frak- Noch im Sommer letzten Jahres wurde von Herrn tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf ei- Staatssekretär Hartenbach vollmundig ein Gesetzent- nes Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- wurf aus dem Hause Zypries für die Zeit nach der Som- buches – Graffiti-Bekämpfungsgesetz – merpause angekündigt. Wir warten heute noch immer – Drucksache 15/302 – gespannt darauf. (Erste Beratung 22. Sitzung) (Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Bis nach der Sommerpause dauert es noch ganz – zu dem von den Abgeordneten Jörg van Essen, schön lang!) Rainer Funke, Otto Fricke, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der FDP eingebrachten Apropos Zypries: Die Justizministerin erklärte, eben- Entwurf eines Gesetzes zum verbessertenfalls vollmundig, in den letzten Wochen vor dem Schutz des Eigentums Verband Haus & Grund, man müsse unbedingt gegen Graffitischmierereien vorgehen. Ich weiß nicht, wer sie – Drucksache 15/63 – eigentlich daran hindert! (Erste Beratung 17. Sitzung) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang – zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf Götzer [CDU/CSU]: Da sitzt einer! Der Grüne eines …Strafrechtsänderungsgesetzes – mit dem roten Schal!) Graffiti-Bekämpfungsgesetz – (… StrÄndG) Eigentlich weiß ich schon, wer Sie daran hindert: Die – Drucksache 15/404 – SPD würde gern, aber die Grünen wollen wieder einmal nicht. (Erste Beratung 28. Sitzung) (B) Ziel der Initiativen der Union, der FDP und des Bun- (D) – Drucksache 15/3473 – desrates ist, eine eindeutige Regelung zu treffen, nach der Graffiti-Verunstaltungen strafbar sind. Aktuell – das Berichterstattung: wissen Sie alle – wird danach unterschieden, ob eine Abgeordneter Andreas Schmidt (Mülheim) Schmiererei eine Sache beschädigt oder ob man sie wie- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die der entfernen kann, ohne die Sachsubstanz zu beschädi- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehegen. Wir sind der Meinung: Maßgeblich kann einzig und und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. allein sein, ob der Eigentümer der Graffiti-Schmiererei zugestimmt hat oder nicht, ob er sie wollte oder nicht – Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- nicht mehr, aber auch nicht weniger! nerin der Kollegin Daniela Raab von der CDU/CSU- Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN]: Sie haben aber etwas anderes vor- geschlagen!) Daniela Raab (CDU/CSU): – Herr Ströbele, von Ihrer Seite heißt es, durch einen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und veränderten Sachbeschädigungsparagraphen würden Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Graffiti, des nicht mehr Täter als bisher gefasst. Es ist aber doch so: Fortsetzungsromans dritter Teil – oder sollte man besser Die Täter, die man fasst, könnten effektiver als bisher sagen: des Kasperletheaters dritter Teil? Wie auch im- strafrechtlich belangt werden, wenn die Schmiererei als mer, im Januar waren wir alle das letzte Mal hier, um solche für die Strafbarkeit entscheidend ist und nicht darüber zu diskutieren, wie Graffitischmierereien künf- – wie nach jetziger Rechtsprechung – dieSubstanzbe- tig eindeutig und ohne Auslegungsprobleme strafbar ge- schädigung nachgewiesen werden muss. stellt werden können. Was ist seither passiert? Fast ist man geneigt zu sagen: nichts. Das stimmt aber auch Wir alle wissen: Für den Beweis der Substanzbeschä- nicht ganz. Der Kollege van Essen und ich haben dendigung braucht man in vielen Fällen ein teures Gutach- Kollegen Bachmaier am 11. Februar dieses Jahresten. Das ist oft der Grund, warum viele Geschädigte da- schriftlich um ein weiteres Berichterstattergespräch ge- vor zurückschrecken, Anzeige zu erstatten. beten. Reaktion: keine; wer hätte das gedacht! (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Und da ist GRÜNEN]: Wie viele Gutachten dazu haben er auch nicht!) Sie schon gesehen?) 10772 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Daniela Raab (A) – Herr Ströbele, wir können gerne einmal bei einem Kaf- Alternativ – das sehen natürlich auch wir so – sollte(C) fee darüber reden. Kein Problem! – Die Beweisführung man Flächen bereitstellen, auf denen legal gesprüht wer- – das ist der Sinn unseres Gesetzesvorhabens – muss er- den darf. leichtert werden. Wir fordern, dass das Sprühen von Graffiti eine Straftat darstellt, egal ob die Sachsubstanz (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE verletzt wird oder nicht, weil widerrechtlich und gegen GRÜNEN]: Aha!) den Willen des Berechtigten Eigentum besprüht wird. All denjenigen, die einfach gerne sprühen und ihre Das ist der Punkt, auf den es uns ankommt. Kunst zeigen wollen, soll die Möglichkeit dazu gegeben Es ist ganz einfach, deshalb verstehe ich die Aufre- werden; denn auch wir wissen, dass nicht alle Sprayer gung hier in der Mitte des Saales definitiv nicht. Die Sa- bewusst den Weg in die Illegalität gehen. Es geht uns nur che ist – für uns und für die SPD – relativ klar. Was folgt, um diejenigen Täter, die vorsätzlich fremdes Eigentum ist dumpfes Nichtstun vonseiten der SPD und der Grü- beschädigen und das auch noch als Kick empfinden. Au- nen. Der Grund für das Nichtstun der SPD ist natürlich ßerdem wissen wir spätestens seit der letzten Anhörung Feigheit gegenüber den Grünen. – auch sie ist oft zitiert worden –, dass die Gefahr der Bandenbildung in diesem Umfeld und die Begleitkrimi- (Widerspruch bei der SPD – Hans-Christian nalität gerade in den Großstädten – die Berliner können Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das davon ein Lied singen – nicht zu unterschätzen ist. war gut! – Christine Lambrecht [SPD]: Jetzt läuft der Spruch von Herrn Gehb!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Das macht nichts. Wir sind uns darin einig. – Herr Deshalb ist eine deutliche Reaktion des Gesetzgebers, Bachmaier hat vor der letzten Sitzung des Rechtsaus-also von uns, unumgänglich. Zum wiederholten Male schusses gesagt: „Was soll ich denn tun? Ich kann doch möchte ich die Kollegen von der SPD auffordern, Rück- die Grünen nicht zum Jagen treiben.“ – Das ist schade! grat zu zeigen, sich zu überwinden und mit uns zu stim- men. Lassen Sie nicht zu, dass – mit Verlaub – der Bei einem Thema, bei dem die große Mehrheit derSchwanz mit dem Hund wedelt! In diesem Sinne: trotz- Bevölkerung der Meinung ist, dass man handeln muss, dem auf ein gutes Gelingen! Die Hoffnung stirbt immer geben Sie von der SPD sich sehenden Auges der Lächer- zuletzt. lichkeit preis, in der Hoffnung, dass es keiner merkt. Jetzt könnte man natürlich sagen: Es ist besser, Sie tun Vielen Dank. nichts, weil man bei Ihnen nie genau weiß, was dabei he- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rauskommt. Das ist grundsätzlich richtig; aber dieses (B) Mal wissen Sie es besser und würden gern handeln, aber (D) Sie dürfen halt nicht. Es ist bemerkenswert – lassen Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mich auch das noch sagen –, dass sich die Grünen beim Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPD- großen Thema Zuwanderung widerstandslos an dieFraktion. Wand drücken lassen, aber beim Thema Graffiti – es ist (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt darf er end- wahrscheinlich ihre letzte Spielwiese – die Muskeln lich an die höheren Aufgaben heran!) spielen lassen.

In den letzten Wochen und Monaten sind wahrschein- Olaf Scholz (SPD): lich nicht nur bei mir, sondern auch in Ihren Büros viele Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- Briefe und Stellungnahmen eingegangen, sei es vonnächst einmal soll ich Grüße des Kollegen Bachmaier Städten und Gemeinden, vom Deutschen Städtetag, von ausrichten. Er ist gegenwärtig mit einer wichtigen Ange- Verbänden, von Vereinen oder auch von einzelnen Be- legenheit beschäftigt, nämlich damit, wie wir die bun- troffenen. desstaatliche Ordnung neu regeln können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Zurufe von der CDU/CSU) GRÜNEN]: Sie informieren falsch! Das ist der Punkt!) Er hofft, dass wir damit nicht nur hier konstruktivere De- batten bekommen, sondern dass es dort auch zu schnel- – Bei Ihnen gehen solche Briefe bestimmt nicht ein. Sie len Ergebnissen kommt. Das ist ja ganz wichtig. sind wahrscheinlich die falsche Adresse. – All diese Schreiben und Stellungnahmen haben eines gemeinsam: (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ihr schickt den Wunsch nach einer klaren gesetzlichen Regelung überall die Besten hin!) gegen Graffiti. Ich halte es für fahrlässig, eine solche Re- gelung zu verhindern. Es entspricht außerdem nicht dem Ansonsten haben wir bei der Vorbereitung der heutigen Rechtsempfinden der Bürger, jemanden straffrei davon- Versammlung über die Frage diskutiert, ob angesichts kommen zu lassen, nur weil sein zweifelhaftes Kunst- der Tatsache, dass hier fast immer das Gleiche gesagt werk unter Mühen und Kosten wieder entfernt werden wird, dies in Zukunft möglicherweise von verschiedenen kann. Personen getan werden sollte, sodass in die Langeweile ein bisschen Abwechslung kommt. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das wird nicht verstanden, und zwar zu Recht! DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10773

Olaf Scholz (A) Eines ist ganz klar: Es ist notwendig und richtig, dass Die Debatte, die wir jetzt führen, zeigt, dass es bisher (C) die Gesellschaft ausdrückt, was sie von Graffiti-Schmie- nur solche Gesetzesvorschläge gibt, die nichts dazu bei- rereien und Ähnlichem hält, dass sich das nämlich nicht tragen, das Problem in der von mir beschriebenen Weise gehört, zu lösen. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das sehen die dass das nicht in Ordnung ist und dass diejenigen, die so Sachverständigen aber anders!) etwas tun, damit rechnen müssen, auch strafrechtlichDas gilt für das, was von den Fraktionen hier im Hause verfolgt zu werden. vorgelegt worden ist, und mit Abstrichen auch für die (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ Vorschläge des Bundesrates. CSU: Bei dieser Regierung nicht! – Weiterer Die Fraktionen hier im Hause haben den Begriff Ver- Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das mal unstaltung vorgeschlagen, die strafrechtlich verfolgt dem Ströbele!) werden soll. Die Diskussion bestätigt uns und auch unser Allerdings gehört dazu auch, dass wir Politik nicht eigener großer Sachverstand sagt uns, dass die straf- nur virtuell betrachten, sondern auch ein bisschen an der rechtliche Verfolgung der Verunstaltung keinen Beitrag Wirklichkeit ausrichten. dazu leistet, die von mir beschriebene nur wenige Milli- meter große Gesetzeslücke zu schließen. Das ist eher ein (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist aber riesiger Balken, mit dem ein großes Loch geschlagen neu!) und im Übrigen das Empfinden der Menschen gestört Es ist doch so, dass die meisten Täter dieser Schmiere- würde. Wenn wir dem entsprechenden Vorschlag tat- reien, wenn sie denn entdeckt werden, auch bestraft wer- sächlich folgten, dann müssten wir nämlich damit rech- den können, nämlich mithilfe der vorhandenen Straftat- nen, dass alles mögliche als Verunstaltung betrachtet bestände für Sachbeschädigung. Insofern gibt es keine würde, und hätten möglicherweise Strafbarkeiten ge- wirkliche Regelungslücke, die jetzt geschlossen werden schaffen, die niemand in diesem Hause, auch Sie nicht, muss. schaffen wollten. Möglicherweise kämen wir somit in die Situation, in der vorGericht darüber diskutiert (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ würde, ob es sich im gegebenen Fall um eine Verunstal- DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: tung oder um eine Verschönerung handelt. Dann lehnen Sie den Antrag doch ab! – Wei- tere Zurufe von der CDU/CSU) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das! Dann brauchen wir Da das Thema viele Menschen bewegt, ist es aber Sachverständige!) (B) schon in Ordnung und richtig, genau hinzuschauen, ob (D) es neben den vorhandenen Straftatbeständen möglicher- Angesichts der Tätergruppe kann man sicherlich auch weise noch ganz wenige kleine Lücken gibt, die ge-unterstellen, dass sich einige einen Jux daraus machen schlossen werden müssen. würden, das Gesetz, das Sie hier im Entwurf vorgelegt haben, dafür zu missbrauchen, zu behaupten, dass es (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) sich im gegebenen Fall nicht um eine Verunstaltung, In der Tat haben wir gemeinsam herausgefunden, dass es sondern um eine Verschönerung handelt. Wie wollen Sie da für wenige Fälle noch eine ganz kleine Lücke gibt, verhindern, dass sich die Gerichte dann mit so etwas be- die man schließen könnte. Diese Lücke hat aber eineschäftigen müssen? Größenordnung im Millimeterbereich. Das ist also nicht ein großes Problem, sondern ein ganz kleines neben dem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dort bestehenden eigentlichen Problem. Zurufe von der CDU/CSU) (Andreas Schmidt [Mülheim] [CDU/CSU]: Deshalb ist das, was Sie hier vorschlagen, nicht geeig- Nanometer!) net, die bestehenden Probleme zu lösen. Deshalb ist es auch richtig – jedenfalls wenn wir uns als Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gesetzgeber ernst nehmen und etwas Vernünftiges tun Herr Kollege Scholz, erlauben Sie eine Zwischen- wollen, also nicht nur Flugblätter als Gesetz beschließen frage des Kollegen Dr. Gehb? möchten –, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir auch diese Millimeterlücke schließen können. Wir dürfen aber nicht in dem Bemühen, eine Millimeterlücke Olaf Scholz (SPD): zu schließen, sozusagen ein großes Plakat darüber hän- Ja. gen und dies als Lösung bezeichnen. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Am besten Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zusprayen!) Bitte schön, Herr Dr. Gehb. Insofern ist es richtig, wenn wir uns Gedanken da- Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): rüber machen, wie das besonders gut gelöst werden Herr Kollege, könnte es sein, dass Sie nicht auf dem kann. neuesten Stand unseres heutigen Beratungsgegenstandes (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ma- sind? Sie befinden sich noch ein bisschen in der Rechts- chen Sie schon seit drei Jahren!) historie. Es geht nicht um die Frage des Verunstaltens, 10774 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Dr. Jürgen Gehb (A) sondern darum, das Erscheinungsbild gegen den Willen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) des Eigentümers zu verändern. Könnte es sein, dass Sie Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing heute in die falsche Schublade gefasst haben? von der FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- Olaf Scholz (SPD): gen! Wenn wir uns dem Thema Graffiti zuwenden, müs- Ich habe nicht in die falsche Schublade gefasst, son- sen wir das Problem aus der richtigen Perspektive be- dern mich sehr wohl gut vorbereitet. Deshalb weiß ich, trachten. Das ist die der Opfer. Die FDP stellt die Opfer dass Sie den Hinweis, dass man hier Rechtshistorie be- in den Vordergrund und hat klare Vorschläge gemacht, treibe, schon jeweils in den letzten Beratungen vorge- wie man ihnen helfen kann. Unser Gesetzentwurf bietet bracht haben. Das ist also nichts Neues. eine einfache und praxistaugliche Lösung. Nein, es gibt einmal die Gesetzesvorschläge, über die (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) ich jetzt gesprochen habe, und dann gibt es diejenigen Er ist ein Signal an die Betroffenen, an die Opfer, deren des Bundesrates. Eigentum gegen ihren Willen besprüht oder bemalt wird. (Zurufe von der SPD, an Abg. Dr. Jürgen Gehb (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [CDU/CSU] gerichtet: Stehen bleiben!) der CDU/CSU) – Nein, er kann sich hinsetzen. Ich muss feststellen: Es ist doch an den Haaren her- beigezogen, wenn immer wieder behauptet wird, der Ge- Auch der Bundesrat hat einen Vorschlag gemacht. setzesbegriff des Verunstaltens – Herr Scholz, auch Sie Dieser Vorschlag ist viel besser als das, was die Fraktio- haben das eben getan – sei zu unbestimmt und werde nen vorgelegt haben; das muss man zugestehen. Er geht den Anforderungen der Praxis nicht gerecht. Das Gegen- in eine vernünftige Richtung. Aber er hat zwei Nach- teil ist richtig. Wenn Sie diejenigen fragen, die in der teile, die begriffen werden müssen und die deutlich ma- Praxis mit diesem Problem zu tun haben, werden Sie die chen: Auch so geht es nicht. gleiche Antwort bekommen. Man muss schon viel Fan- Zunächst einmal wird dort mit der Formulierung „ge- tasie aufbringen, um gegen die Strafbarkeit des Verun- gen den Willen des Eigentümers oder des Berechtigten“ staltens oder Umgestaltens gearbeitet. Wenn man sich diese Formulierung einmal (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE genau anschaut, dann stellt man schnell fest, dass es (B) GRÜNEN]: „Umgestalten“? Was ist das (D) große Unsicherheit darüber gibt, was das eigentlich be- denn?) deuten soll. Es stellt sich die Frage, wer da alles gemeint ist. Es stellt sich noch mehr die Frage, ob dieser Wille ei- fremden Eigentums zu argumentieren. gentlich auf irgendeine Weise festgestellt werden kann. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von Rot- Muss man möglicherweise vorher nach dem Willen fra- Grün, das scheint mir auch der Grund dafür zu sein, wa- gen? Das wäre ja eine ziemlich lächerliche Vorstellung, rum Sie einen Vertagungsantrag nach dem anderen stel- wenn man sich den Straftatbestand, das Vorgehen und len und immer wieder neuen Beratungsbedarf reklamie- die Ereignisse anschaut, um die es hier eigentlich geht. ren. Die Geschädigten müssen sich doch verhöhnt Deshalb ist schon festgestellt worden: Das ist eine vorkommen, schlechte Formulierung, die man nicht verwenden kann. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich glaube, es gibt einen zweiten Gesichtspunkt, der GRÜNEN]: Ja, von Ihnen!) dagegenspricht, so vorzugehen, wie es der Bundesrat ge- tan hat. Er sagt nämlich: All das muss zusammen mit der wenn Sie einerseits wortreich den Vandalismus an Pri- Sachbeschädigung in einem Atemzug, in einem Satz ge- vateigentum beklagen, andererseits aber Vorschläge ab- löst werden. Das ist, glaube ich, der Sache nicht ange- lehnen, die das Problem einer Lösung zuführen. messen. Da Sie unsere Lösungsvorschläge ablehnen, frage ich Aus diesen Gründen haben wir nach wie vor keinemich: Wo bleiben denn Ihre Initiativen? geeigneten Vorschläge. Wir haben das Problem – das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werden wir noch lösen müssen; darum wollen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns sehr be- Ihre ständige Vertagung des Problems können die Opfer mühen –, dass diegesellschaftliche Konsensbildung nur als Teilnahmslosigkeit, als Täterschutz werten. An- noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass es auch für statt konstruktiv an einer Lösung mitzuarbeiten, disku- eine gesetzgeberische Mehrheitsbildung reicht. Aber ich tieren Sie lieber über die Frage des künstlerischen Werts glaube, wir werden noch zu einer Lösung kommen, die von Graffiti, Herr Ströbele. die kleine Gesetzeslücke, die existiert, auch schließt. Aber ich sage Ihnen: Das hat mit dem Problem nicht Schönen Dank. das Geringste zu tun. Es geht hier einzig und allein da- rum, einen angemessenen strafrechtlichen Schutz für das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Selbstbestimmungsrecht der Eigentümer zu finden. Kol- DIE GRÜNEN) lege Wiefelspütz hat Sie, Herr Ströbele, in der letzten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10775

Dr. Volker Wissing (A) Debatte bereits aufgefordert, Ihre Blockadehaltung auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) zugeben. Das war ein guter Vorschlag. Ich schließe mich und bei der SPD) dem nachdrücklich an. Sie müssen sich klar entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen: auf der der Täter oder der dass es nach geltendem Recht schadensersatzpflichtig der Opfer. ist, (Zurufe von der SPD: Oh nein!) (Daniela Raab [CDU/CSU]: Das hat keiner be- stritten!), Dazwischen gibt es keinen Kompromiss, auch wenn Sie das Thema bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagen dass alle, die erwischt werden und überführt werden wollen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine klare können, zur Verantwortung gezogen werden können. Lösung. (Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache, Herr Wenn Ihre Empörung über Schmierereien an Haus- Ströbele!) wänden und das Zerkratzen von öffentlichen Verkehrs- In Briefen von „Nofitti“, von „Anti-Graffiti“ und von mitteln mehr als Lippenbekenntnisse ist, dann wird es der Bundesarbeitsgemeinschaft deutscher Immobilien- Zeit, dass wir gemeinsam mit Ihnen eine Lösung finden. wirtschaft wird mir vorgehalten: Heute kann jemand Deshalb sollten Sie den Mut aufbringen, unserem Ge- überhaupt nur dann bestraft und strafrechtlich zur Ver- setzentwurf zuzustimmen. Geben Sie den Richterinnen antwortung gezogen werden, wenn am Tatort sechs oder und Richtern, den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sieben Feststellungen getroffen werden: Wie groß ist das die Mittel an die Hand, die sie benötigen, um wirksam Graffiti? Welcher Kostenaufwand entsteht durch die Be- gegen die Täter vorzugehen. Ihre Blockadehaltung ist seitigung? Die Bestandteile der Farbe müssen analysiert nicht länger hinnehmbar. werden und so weiter. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk Manzewski [SPD]: Kennen Sie Fälle, wo sie Ich kann nur sagen: Das stimmt alles nicht. damit Probleme haben? So ein Unsinn!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen sich schon einmal Das Wort hat der Kollege Christian Ströbele vonvor Gericht mit einem solchen Fall auseinander gesetzt Bündnis 90/Die Grünen. hat. Ich habe eine ganze Reihe von Graffiti-Sprayern (Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ verteidigt und weiß, wie das vor Gericht läuft. DIE GRÜNEN] – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ (B) (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sie haben (D) CSU]: Ex-Sprayer!) einschlägige Erfahrung!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Gericht interessiert die Frage: War es die Person NEN): oder war sie es nicht? Wenn jemandem die Tat nachge- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! wiesen werden konnte, gab es in allen Fällen eine Verur- Wieder einmal Graffiti. teilung. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Was, Sie (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das lag nur sprayen immer noch?) an der schlechten Verteidigung! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jeder, der von Ihnen ver- Sie behaupten, ich bekäme keineBriefe. Ich habe eine teidigt wird, wird von Haus aus erst mal be- Sammlung, die einen ganzen Leitz-Ordner füllt. Wahr- straft!) scheinlich stammen die Briefe von denselben Organisa- tionen, die auch Ihnen schreiben. Vor ein paar Wochen Deshalb habe ich an „Nofitti“, an „Anti-Graffiti“ und all bekam ich wieder einen Brief wie schon viele vorher.die anderen Organisationen geschrieben – das sage ich Darin wurde mir vorgehalten: Warum wollen die Grü- besonders Ihnen, Frau Raab – und die Bitte geäußert: nen, dass Graffiti-Sprayer nicht zur Verantwortung gezo- Nennen Sie mir Fälle. Sagen Sie mir, bei welchen Ge- gen werden? Warum wollen sie, dass die Millionenschä- richten – nennen Sie das Aktenzeichen – Sprayer vor den ohne Konsequenz bleiben? Solche Fragen sind die Gericht standen und zur Verantwortung gezogen werden Konsequenz Ihres ewigen Drängens auf eine neue Ge- sollten, aber nicht bestraft werden konnten, obwohl der setzgebung; Nachweis geführt werden konnte, dass sie dieses oder je- nes Bild gemacht haben. (Lachen bei der CDU/CSU) (Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ denn Sie sagen natürlich all den Leuten, die auch Ihnen CSU]: Die haben doch gar nicht angeklagt, schreiben, nicht, dass das Sprayen von Graffiti und das weil es bisher gar nicht strafbar ist!) Zerkratzen von Scheiben in U- und S-Bahnen – auch das wird ja immer wieder angebracht – Ich habe zwei oder drei Antworten bekommen, eine aus Bayern. Ich habe zurückgeschrieben und gefragt, ob (Zuruf von der CDU/CSU: Davon haben wir Rechtsmittel eingelegt wurden, weil das Amtsgericht nicht gesprochen!) nicht verurteilt hatte. Die Antwort lautete: Ja. Dann habe nach geltendem Recht strafbar ist, ich wieder geschrieben und gefragt: Was ist beim 10776 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Hans-Christian Ströbele (A) Rechtsmittel herausgekommen? Die Antwort: Die Beru- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) fungsinstanz hat ihn verurteilt. Das Wort hat der Kollege Roland Gewalt, CDU/CSU- Fraktion. Die Fälle, von denen Sie reden und die Sie den Haus- und Grundbesitzern, den Kommunen und all den ande- ren versuchen weis zu machen, gibt es nicht, jedenfalls Roland Gewalt (CDU/CSU): nicht annähernd in der Zahl, die Sie hier versuchen dar- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- zustellen. lege Ströbele, immer wieder, auch heute, wird von Ihnen behauptet, eine Änderung der §§ 303 und 304 StGB sei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gar nicht erforderlich. Wie notwendig eine Ergänzung und bei der SPD) der Tatbestände ist, um Graffiti-Schmierern das Hand- werk legen zu können, zeigt ein Fall, über den die Berli- Frau Raab, auch Sie haben hier wieder gesagt: Graf- ner Presse berichtet hat. Am 13. Januar dieses Jahres ti- fiti-Sprayer bleiben straffrei. Das ist nicht wahr. Nennen telte die „Berliner Morgenpost“: Sie mir ein, zwei, drei, vier oder fünf Fälle, dann reden wir im Berichterstattergespräch, im Ausschuss darüber. Hausmeister überwältigte Sprayer und musste vor Gericht. (Daniela Raab [CDU/CSU]: Sie machen ja Hintergrund: Ein Hausmeister hatte einen Sprayer auf keines! Sie verweigern sich doch!) frischer Tat ertappt und hielt ihn so lange fest, bis die Po- Ich habe Ihnen beim letzten Mal schon gesagt: Inlizei eintraf. Nach den geltenden Strafvorschriften, Herr meinem Wahlkreis gibt es eine ganze Reihe von Graffiti- Kollege Ströbele, erhebt die Staatsanwaltschaft in sol- Sprayern. Mit einigen von ihnen bin ich im Kontakt. chen Fällen gar keine Anklage, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das habe GRÜNEN]: Was? Welcher Staatsanwalt ist das ich mir schon gedacht!) denn? – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Wir laden sie zu den grünen Ständen auf Festen ein. nämlich das Problem!) Beim letzten Fest an der Oberbaumbrücke haben wirwenn auf Glas gesprüht wird. Gegen den Hausmeister große Pappflächen aufgestellt, auf denen sie sprayenkam es sehr wohl zu einer Anklage wegen Nötigung, konnten. Dann bekommen wir wunderschöne Sprayerei- weil er den Täter festgehalten hat. Gemälde. Beim vorletzten Mal war es so, dass zwei Poli- zeibeamte in Uniform vorbeigekommen sind, sich das (Widerspruch bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge- (B) angeschaut haben und so begeistert waren, dass der eine (D) Polizeibeamte einen 5-Euro-Schein aus der Tasche gezo- gen den Hausmeister? Das ist doch die Un- gen, ihn uns gegeben und gesagt hat: Geben Sie das den wahrheit, was Sie hier sagen! – Jerzy Montag Jungen. Das ist geschehen, damit sie sich Spraydosen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wieso kaufen können; hat die Staatsanwalt das angeklagt?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – – Das müssen Sie die Staatsanwaltschaft fragen. – Erst Zurufe von der CDU/CSU) in der Hauptverhandlung machte dann der Amtsrichter dem Spuk ein Ende und sprach den Mann frei. Glauben denn es ist uns lieber, wenn sie sich so betätigen, alsSie denn ernsthaft, meine Damen und Herren von der wenn sie zu Drogen greifen oder andere, schlimmere Sa- rot-grünen Koalition, dass der Bürger so etwas noch ver- chen machen. steht? Ich glaube es nicht. (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Stünker [SPD]: Was hat denn das Deshalb schlage ich Ihnen vor, dass wir einige Graffiti- überhaupt damit zu tun? Wovon redet der ei- Sprayer in den Bundestag einladen und uns von ihnen in- gentlich?) formieren lassen, durch was sie zu beeindrucken sind und Nach Auskunft des zuständigen Generalstaatsanwalts wie wir tatsächlich in der Diskussion, in der Auseinander- bei dem Landgericht Berlin werden in der Hauptstadt setzung dazu kommen können, dass der Vandalismus an Graffiti-Schmierereien auf Glas und Metall regelmäßig S-Bahnen, an U-Bahnen und an öffentlichen Gebäuden nicht verfolgt, aufhört. Dort kommt es zu echten Zerstörungen, die je- den Bürger zu Recht verärgern und die nur deshalb nicht (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Aha!) aufhören bzw. deren Verursacher nur deshalb nicht zur weil die nach dem Gesetz erforderliche Substanzverletzung Rechenschaft gezogen werden, weil man die Täter nicht entweder nicht vorliegt oder nur schwer nachgewiesen erwischt. Das liegt nicht daran, dass es an Strafbarkeit werden kann. Auch bei Graffiti-Schmierereien auf Mau- fehlen würde. erwerk kommt es oft dann zu Verfahrenseinstellungen Wir brauchen mehr Wahrheit, Klarheit und Ehrlich- – ich kenne ja Ihre Verteidigerqualitäten nicht, Herr keit in der Debatte, dann kommen wir auch weiter. Ströbele –, (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) wenn der Verteidiger die Substanzverletzung bestreitet, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10777

Roland Gewalt (A) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wenn Sie demnächst wieder einmal im stillen Kämmer- (C) GRÜNEN]: Was für ein Unsinn! Das ist lein darüber nachdenken, was zu Politikverdrossenheit Quatsch, was Sie da erzählen!) in der Bevölkerung führt – hier haben Sie ein Paradebei- spiel dafür. weil nämlich die Staatsanwaltschaft und die Gerichte die hohen Gutachterkosten scheuen – ab 5 000 Euro auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- wärts. ten der FDP – Zuruf von der SPD: Polemik pur!) (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Kein guter Strafverteidiger!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt Herr Kollege Michael Hartmann Angesichts dieser für die Opfer völlig unbefriedigen- von der SPD-Fraktion. den Rechtslage ist es für mich unbegreiflich, dass die SPD-Fraktion hier im Hause aus ausschließlich koali- Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): tionstaktischen Gründen eine ergänzende Gesetzesände- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- rung immer wieder verweigert. Meine Damen und Her- ren! Geschätzter Herr Kollege Gewalt, Sie haben eben ren von der SPD-Fraktion, da fordert am 11. Januar der – an einem ganz besonderen Tag – zum Ende Ihrer Aus- Berliner Innensenator Dr. Ehrhart Körting von der SPD führungen von der Politikverdrossenheit geredet und (Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär: Guter Sie haben völlig Recht: Wir müssen aufpassen, dass wir Mann!) sie nicht schüren, wir müssen aufpassen, dass wir nicht jenen Anlass geben, die sich gern von der Politik abwen- in einer Berliner Boulevardzeitung – zugegeben ein biss- den und sie für ein mieses taktisches Geschäft halten. chen populistisch, Herr Staffelt –: „Sprayer in denBis dahin sind wir uns einig. Aber ich sage Ihnen auch: Knast!“ Nur wenige Tage später lehnt die SPD-Fraktion Wenn man an ein Problem nicht rangeht und sich der im Innenausschuss des Deutschen Bundestages die fast Problemlösung oder Tamtam von vornherein für das einstimmig im Bundesrat beschlossene Gesetzesände- Tamtam entschieden hat, dann befördert man auch Poli- rung ab. So viel zu Ihrer Kontinuität. tikverdrossenheit. Aber damit nicht genug, meine Damen und Herren: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mitte letzten Jahres verspricht der innenpolitische Spre- DIE GRÜNEN) cher der SPD-Fraktion, Kollege Wiefelspütz, auf einer Veranstaltung des Berliner VereinsNofitti, bis Weih- Wenn ich mich richtig an die Worte des heute aus dem nachten 2003 werde man einen eigenen Gesetzentwurf Amt geschiedenen Bundespräsidenten – jetzt Altbundes- präsidenten – Johannes Rau erinnere, dann hat er doch (B) auf den Weg gebracht haben. Als sich dann nichts tat, (D) lud der Verein am 28. Januar dieses Jahres zu einer Podi- auch davor gewarnt, in der Auseinandersetzung mitei- umsdiskussion ein und fragte beim Kollegennander zu kleinlich umzugehen. Ich glaube, die erneute Wiefelspütz nach. Jetzt versprach Kollege Wiefelspütz, Aufsetzung, die Ihnen nach § 62 Abs. 2 unserer Ge- die Gesetzesänderung bis Mai dieses Jahres eingebracht schäftsordnung sicherlich zusteht, ist ein Beispiel dafür, zu haben. Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Wie- wie man kleinlich mit Themen umgehen kann. Sie ver- der nichts. Am 3. Juni 2004 schließlich folgt Verspre- suchen, symbolische Politik zu machen, obwohl es da- chen Nr. 3 – die haben bei der SPD-Fraktion offenbar in- rauf ankommt, in der Substanz voranzugehen. flatorischen Charakter –: Auf einerAnti-Graffiti - (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniela Fachmesse in Dortmund erklärt Kollege Wiefelspütz Raab [CDU/CSU]: Dann lehnen Sie es doch nun, dass bis zum Jahresende 2004 ein Gesetzentwurf ab! Es ist ganz einfach!) von Rot-Grün vorgelegt werde. Sie haben so ein nettes Beispiel genannt: die Ge- Meine Damen und Herren, fast zwei Jahre sitzt die schichte – ich unterstelle, sie hat sich so zugetragen, wie SPD-Fraktion jetzt auf dem von ihren eigenen Partei-es in der Zeitung abgedruckt war – von dem Hausmeis- freunden im Bundesrat mitbeschlossenen Entwurf für ter, der dann am Schluss angeklagt wurde. Das ist nichts ein Graffiti-Bekämpfungsgesetz und es ist weiß GottSchönes und auch nichts, worüber sich irgendjemand – das wissen Sie genauso gut wie wir – nicht der erste hier im Hause oder anderswo freuen muss. Aber ich Gesetzentwurf dieser Art. Zuzustimmen trauen Sie sich frage mich dann zum einen: Was für ein Staatsanwalt nicht, weil Sie damit Herrn Kollegen Ströbele verärgern war das? Und zum anderen frage ich mich: Hätte sich könnten. durch eine Änderung des § 303 StGB oder § 304 StGB (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne daran irgendet- Ah!) was verändert? (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ja! Wegen eines – Ah! – Ablehnen wollen Sie den Gesetzentwurf aber drohenden rechtswidrigen Handelns! Keine Ah- auch nicht, weil die Änderung notwendig ist. So schie- nung! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE ben Sie das Problem vor sich her – auf den Sankt-Nim- GRÜNEN]: So ein Quatsch!) merleins-Tag. Meine Damen und Herren, das ist mehr als ärgerlich, das ist eine Zumutung für die Bürgerinnen Gar nichts hätte sich daran verändert. und Bürger. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sie haben (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) keine Ahnung!) 10778 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Michael Hartmann (Wackernheim) (A) – Herr Dr. Gehb, vielleicht hängt das auch mit einer ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) wissen Verwirrung zusammen oder mit der nahenden Sommerpause – wir alle sind etwas erschöpft und müde. Dort, wo das geschieht – München wäre ein Beispiel; Diese Verwirrung habe ich auch heute festgestellt: Sie aber auch andere Städte ließen sich nennen –, sinkt die haben dem Kollegen Scholz eine Zwischenfrage gestellt Zahl der Straftaten nachweislich und die Schadenssum- und dann haben wir den Kollegen von der FDP gehört. men reduzieren sich. Am Ende geht es also nur mit der Wie ist das denn nun? Sind Sie noch bei dem Verunstal- Polizei. Sie muss die Arbeit machen. Das ist ein gewiss tungsbegriff verdammt schwerer Job in einem Umfeld, in dem uns unsere kommunalen Freunde aus allen politischen La- (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Schon lange gern drängen, hiergegen vorzugehen. Wenn Sie ehrlich nicht mehr!) sind, wenn Sie – vielleicht geläutert – aus der Sommer- pause zurückkehren, dann werden Sie uns zustimmen oder sind Sie weg davon? – Das war mal so und malmüssen, dass sich an der Schwere und der Notwendig- so. – Klären Sie das doch erst einmal, keit dieser Polizeiarbeit nichts ändern wird, unabhängig (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Schon lange davon, ob § 303 StGB nun geändert wird oder nicht. geklärt!) In diesem Sinne und auch im Lichte dessen, was uns bevor Sie weiter das Haus mit dieser Fragestellung be- der heute ausgeschiedene und auch der neu gewählte lästigen und belasten. Bundespräsident gesagt haben, sage ich: weniger sym- bolische Politik, mehr Substanz und mehr Ruhe dort, wo (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des es erforderlich ist. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der vielleicht wirklich weiterführt. Natürlich haben wir im- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mer wieder, wenn wir hier arbeiten, wenn wir Politik in DIE GRÜNEN) diesem Hause oder außerhalb machen, abzuwägen: Sage ich das, was richtig ist, oder sage ich das, was gerade ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: fällig ist, was ankommt? Nun kann man tatsächlich darü- Ich schließe die Aussprache. ber reden und streiten und diskutieren – das tun wir auch, das tun wir auch mit den geschätzten Grünen, die Da es sich um die Aussprache über einen Bericht des wir wahrhaftig nicht verärgern wollen, Herr Ströbele! –, Rechtsausschusses nach § 62 Abs. 2 der Geschäftsord- ob man bei dieser kleinen Regelungslücke, die es in der nung gehandelt hat, steht keine Beschlussfassung an. (B) Tat gibt, etwas verändern muss. Lassen Sie uns ernsthaft Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a bis(D) weiter darüber reden, 15 d auf: (Zurufe von der CDU/CSU: Wie lange denn a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- noch? – Mit wem denn? – Wann denn?) gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anle- um am Schluss zu einem gescheiten Ergebnis zu kom- gerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) men. Aber ich sage: Wir wollen zu einem gescheiten Er- gebnis kommen, nicht zu einem beliebigen. Nun können – Drucksachen 15/3174, 15/3355 – Sie den § 303 StGB in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne verändern – es bleibt trotzdem dabei, dass sich an (Erste Beratung 111. Sitzung) der Anzahl der Straftaten nichts ändern wird. Es bleibt Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- übrigens auch dabei, dass keiner von denen, die nur schusses (7. Ausschuss) sprayen, deshalb ins Gefängnis wandern wird. – Drucksache 15/3493 – Bauen Sie hier doch keinen Popanz auf. Das wird nicht geschehen. Berichterstattung: Abgeordnete Florian Pronold (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wer hat das Stefan Müller (Erlangen) denn getan?) Hubert Ulrich Glauben Sie, irgendein verantwortungsbewusster Straf- Carl-Ludwig Thiele richter wird jemanden, der sprayt, für ein oder zwei b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Jahre ins Gefängnis schicken? – Nie im Leben! Auch gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- das, was Sie hier betreiben, ist Augenwischerei. rung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Drucksache 15/3418 – Unabhängig davon, ob wir am Schluss zu dem Ergeb- Überweisungsvorschlag: nis kommen, dass hier eine kleine Nachbesserung erfol- Finanzausschuss (f) Innenausschuss gen muss oder nicht, bleibt eines wahr, nämlich dass Rechtsausschuss Graffitis so oder so nur mithilfe polizeilicher Mittel er- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit folgreich bekämpft werden können. Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10779

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- vielzähligen unterschiedlichen Produkte des grauen Ka- (C) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- pitalmarktes nicht angebracht wäre. rung internationaler Rechnungslegungsstandards Deswegen haben wir versucht, eine Regelung zu fin- und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprü- den, die den Emittenten die nötige Sicherheit in der fung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReG) Form gewährleistet, dass auf der einen Seite ihre Investi- – Drucksache 15/3419 – tionsentscheidung in einem vernünftigen Zeitrahmen ge- Überweisungsvorschlag: prüft wird und dass auf der anderen Seite der Anleger- Rechtsausschuss (f) schutz nicht zu kurz kommt. Wir haben uns dafür Finanzausschuss entschieden, die BaFin zu verpflichten, die Prospekte in- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit nerhalb von 20 Werktagen zu prüfen und eine Entschei- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- dung zu treffen. Sollte dies nicht der Fall sein, entsteht gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kon-ein Haftungsanspruch gegenüber der BaFin. Die hohen trolle von Unternehmensabschlüssen(Bilanz- Investitionssummen, die dort im Raum stehen, begrün- kontrollgesetz – BilKoG) den einen hohen Haftungsanspruch. Ich halte das für die effektivste Regelung, die dazu führen wird, dass die – Drucksache 15/3421 – BaFin schon aus Eigeninteresse alles daransetzen wird, Überweisungsvorschlag: diese Prüfung in dem vorgegebenen zeitlichen Rahmen Rechtsausschuss (f) abzuschließen. Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ein weiterer Punkt, der am Anfang des Gesetzge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die bungsverfahrens sehr strittig war, betrifft die Befug- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichnisse, die die BaFin haben wird. Auch diesbezüglich ha- höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. ben wir den Gesetzentwurf im Einvernehmen mit dem Bundesrat noch einmal verbessert. Wir haben die Vo- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der raussetzungen präzisiert, unter denen Produkte des Kollege Florian Pronold von der SPD-Fraktion das Wort. grauen Marktes aus dem Handel genommen werden können. In dem Rechtssystem der Bundesrepublik Florian Pronold (SPD): Deutschland gibt es die Unterscheidung zwischen dem Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen präventiven und dem repressiven Bereich der Strafver- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir ha- folgung. Nach dem ersten Entwurf wäre die BaFin stär- ben mit dem Anlegerschutzgesetz – wie bei fast allen ker in den repressiven Bereich eingebunden gewesen. Wir haben in dem Entwurf jetzt Klarheit dahin gehend (B) Gesetzen, die den Finanzmarkt Deutschland betreffen – (D) über die Fraktionsgrenzen hinweg ein Gesetz zustande geschaffen, dass hierfür ausschließlich die Staatsanwalt- gebracht, das den Finanzplatz Deutschland stärken wird, schaft zuständig ist. und zwar deswegen, weil wir wirksame Maßnahmen er- Bei einem weiteren Bereich, der debattiert wurde, greifen, um die schwarzen Schafe, die es auf dem grauen ging es um Regelungen bezüglich der Marktmanipula- Markt gibt, besser auszumachen und so den Finanzmarkt tionen, die auch von Journalisten ausgehen können. In bzw. Finanzplatz Deutschland durch gute Kontrollen zu den letzten Jahren sind ja viele Fälle bekannt geworden, stärken. in denen Journalisten, die selbst Papiere besitzen, ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sucht haben, den Markt über Kursempfehlungen zu be- einflussen. Auch dort sind wir den Forderungen seitens Wir haben den Gesetzentwurf nach der Anhörung und der Journalistenverbände und des Presserats sehr weit nach der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzge- entgegengekommen. Wir haben klar gemacht, dass wir bungsvorhaben in einigen Punkten – wie ich denke –die Selbstregulierung der Journalisten, also eigene ver- ganz entscheidend verbessert und dazu beigetragen, dass bandsrechtliche Regelungen und eigene Kontrollen, be- ein guter Gesetzentwurf der rot-grünen Regierung insge- fürworten. Dies ist dort in vielen Bereichen schon sehr samt zu einem sehr guten Gesetzentwurf geworden ist. effizient geregelt und funktioniert gut, bisher aber noch Dafür sage ich vorab Dank den Kolleginnen und Kolle- nicht für alle Bereiche. Eine solche Regelung steht noch gen der anderen Fraktionen. aus. Wir haben uns sehr eng an das, was durch die EU- In der Anhörung waren vonseiten der Verbände meh- Richtlinie hierzu vorgegeben wird, gehalten. Vor allem rere Forderungen angesprochen worden, die wir zumhaben wir dahingehend Klarheit geschaffen, dass verse- großen Teil erfüllt haben. Einer der umstrittenstenhentliche Marktmanipulationen oder Berichterstattun- Punkte betraf die Frage, in welchem Zeitraum und mit gen, die zu solchen Manipulationen führen, keine welcher Wirkung die Bundesanstalt für Finanzdienst- Haftungsansprüche seitens der Journalistinnen und Jour- leistungsaufsicht, die BaFin, einenProspekt , der nun nalisten auslösen, wenn sie nicht im eigenen Interesse auch für den Bereich des grauen Kapitalmarktess ver- gehandelt haben. langt wird, prüfen muss und ob es so etwas wie eine Ge- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) nehmigungsfiktion gibt. Übereinstimmend sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Genehmigungsfik- Wir haben die Offenlegungspflichten der Wertpa- tion, die aufgrund der europäischen Prospektrichtlinie pierdienstleistungsunternehmen präzisiert und den im nächsten Jahr für den Wertpapierbereich wegfallen Anlegerschutz noch einmal nachhaltig dadurch verbes- muss, für den dubioseren oder schwierigeren Bereich der sert, indem wir die Grenze, bis wann ein Anteil der 10780 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Florian Pronold (A) Prospektpflicht unterliegt, von 50 000 Euro aufner Meinung bzw. gerne bereit, zusammenzuarbeiten,(C) 200 000 Euro deutlich angehoben haben; so lautete auch wenn vernünftige Vorschläge kommen. Das war in die- die Forderung der Verbraucherverbände. Auch das ge- sem Falle ausnahmsweise tatsächlich so. währleistet, dass die Anlegerinnen und Anleger zukünf- tig besser informiert sind und Entscheidungen sicherer Nach wie vor gelingt es in Deutschland windigen Ge- und auf einer besseren Grundlage treffen können. Wie schäftemachern, Anleger über den Tisch zu ziehen. Ich wir wissen, ist die Prospektpflicht in Schadensersatzfäl- glaube nun wirklich nicht alle Zahlen, die aus dem Bun- len von großer Wichtigkeit für die Anleger, weil sichdesfinanzministerium kommen, insbesondere zum Bun- Haftungstatbestände auch auf die Prospekte beziehendeshaushalt. Damit muss man insgesamt sehr vorsichtig können. sein. Aber Frau Staatssekretärin, zumindest eine Zahl möchte ich Ihnen glauben. Sie haben in Ihrem Hause Eine weitere wichtige Forderung in der Anhörungeine Statistik zum Anlegerschutz erstellt und ich gehe war, Klarheit darüber zu schaffen, wann die Einführung davon aus, dass zumindest diese Zahl stimmt: Laut dem der Prospektpflicht denn nun tatsächlich erfolgt. Auch Bundesfinanzministerium gab es im Jahr 2002 insge- hier haben wir die Anregungen, die wir im Rahmen der samt etwa 15 700 Fälle von Anlagebetrug. Offizielle Gesetzesberatungen erhalten haben, aufgenommen. Wir Schadenssummen zu ermitteln ist äußerst schwierig. werden die Prospektpflicht zum 1. Juli 2005 einführen. Schätzungen gehen von circa 290 Millionen Euro aus, Da das Gesetz voraussichtlich im Oktober 2004 in Kraft wobei die tatsächliche Summe noch sehr viel höher sein treten wird, haben die Marktteilnehmerinnen und Markt- dürfte und vieles auch nicht in die Öffentlichkeit dringt. teilnehmer insgesamt fast acht Monate Zeit, um sich auf dieses Datum einstellen zu können. Wir von CDU/CSU haben von vornherein zum Aus- druck gebracht, dass wir jedes Vorhaben unterstützen In den Beratungen sind wir in fast allen Punkten über- werden, das dazu angetan ist, den Anlegerschutz in einstimmend zu diesen Verbesserungen gekommen und Deutschland zu verbessern. In der Tat haben wir gerade haben der Tradition, bei Finanzmarktgesetzen im Inte- bei diesem Gesetzentwurf noch einige wesentliche Ver- resse des Finanzmarkts Deutschland gemeinsam zu han- besserungen herbeiführen können. deln, Rechnung getragen. Der Gesetzentwurf, mit dem eine gute Weichenstellung vorgenommen wird, dient auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der einen Seite dem Finanzmarkt Deutschland, weil damit Kontrolle und mehr Transparenz in einem schwie- Ich möchte dies gerne an drei Punkten deutlich ma- rigen Bereich hergestellt wird, und schützt auf der ande- chen. Der erste Punkt betrifft die Generalbefugnisnorm ren Seite die Anlegerinnen und Anleger besser vor Miss- in § 4 des Gesetzentwurfes. In der Begründung des ur- brauch. sprünglichen Gesetzentwurfes war dieser Paragraph sehr (B) harmlos formuliert. Wenn man sich die Norm genauer(D) Vielen Dank. anschaute, stellte man fest, dass die Eingriffs- und Aus- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kunftsbefugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleis- DIE GRÜNEN – [CDU/ tungsaufsicht deutlich erweitert worden wären. Unsere CSU]: Wenn eine sachliche Einsicht da ist, Meinung war, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf in können wir auch zu einem Kompromiss kom- diesem Punkt eindeutig zu weit ging, insbesondere weil men!) das weit über das hinausging, was in der Marktmiss- brauchsrichtlinie gefordert wird. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller, CDU/ endlich damit Schluss sein muss, dass wir als Deutsche CSU-Fraktion. immer über EU-Vorgaben hinausgehen, weil wir beson- (Beifall bei der CDU/CSU) ders genau sein wollen. Derartiges führt schlicht und er- greifend zu Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Wirtschaft. Damit muss endlich Schluss sein. Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nunmehr vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung des Anlegerschutzes steht in der guten Tradition derInsofern war es völlig richtig, die Forderungen des Bun- Finanzmarktgesetzgebung der letzten zehn Jahre. Wir desrates in diesem Punkt aufzunehmen, nämlich die An- haben gut daran getan, die parteipolitischen Streitigkei- ordnungsvoraussetzungen für die Untersagung oder ten weitestgehend herauszuhalten. Ich halte das insofern Aussetzung des Handels tatsächlich zu konkretisieren für sehr bedeutsam, als es gerade vor dem Hintergrund und auf genau die Fälle zu beschränken, in denen nach der Bedeutung unserer Finanzdienstleistungsbranche für dem Gesetz Handlungsbedarf geboten erscheint. die Volkswirtschaft außerordentlich wichtig ist, solche Der zweite Punkt, den ich gerne ansprechen möchte, Gesetze in einem konstruktiven Dialog zu diskutieren betrifft das Verbot der Marktmanipulationen. Auch und zu beraten. hier hätten die ursprünglichen Vorschläge zur Folge ge- Ich möchte mich noch einmal ganz ausdrücklich für habt, dass Entwicklungen neuer Marktpraktiken er- die gute und konstruktive Atmosphäre bei der Beratung schwert worden wären, weil die BaFin schlicht und er- dieses Gesetzentwurfes bedanken. Der Herr Kollegegreifend selbst definiert hätte, was neue und zulässige Pronold hat es gerade angesprochen: Wir sind immer ei- Marktpraxis ist. Es mag gut gemeint sein, aber gut ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10781

Stefan Müller (Erlangen) (A) meinter Anlegerschutz darf sinnvolle Kapitalmarktge- deutig teilen. Leider Gottes konnte sich die Bundesregie- (C) schäfte nicht verhindern. rung hier nicht gegen die Regierungsfraktionen, insbesondere gegen die Grünen, durchsetzen. Herr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ulrich, Sie lachen. Ich halte es für sehr bedauerlich, dass Ich hoffe, dass wir mit der jetzigen Formulierung diedie Bundesregierung in diesem Punkt keine Mehrheit in Probleme ausgeräumt haben, wenngleich die Formulie- ihren eigenen Reihen findet. rung nicht optimal ist. Wir werden aber in einem Jahr die Wir stimmen diesem Gesetz heute zu. Für alle weite- Möglichkeit haben, das Gesetz daraufhin zu überprüfen, ren Gesetze zur Fortentwicklung des Anlegerschutzes was tatsächlich daraus geworden ist und welche Erfah- muss gelten: Unser Leitbild ist das des mündigen Anle- rungen gemacht wurden. gers. Der Staat und die Politik sollten nicht versuchen, Mein dritter Punkt betrifft die Einführung der Pros- die Bürger vor sich selbst zu schützen. pektpflicht auch für den grauen Kapitalmarkt, die nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ganz unstrittig war. Ich sage ganz deutlich: Aus meiner Sicht ist gegen die Einführung der Prospektpflicht am grauen Kapitalmarkt grundsätzlich nichts einzuwenden; Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Diese Rege- Grünen, das Wort. lung gab es bisher auch schon!) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Fang nicht an denn es ist nicht einzusehen, warum am geregelten zu schimpfen! Wir haben das einvernehmlich Markt strengere Regeln als am grauen Kapitalmarkt gel- beschlossen!) ten sollen. Es ist in der Anhörung deutlich geworden, dass gerade die seriösen Initiatoren und die seriösen Fi- nanzdienstleister Hubert Ulrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das bisher Herren! Natürlich reden wir heute über einen Punkt – um schon machen!) Ihren Zwischenruf, Herr Dautzenberg, aufzugreifen –, damit überhaupt kein Problem haben. den wir hier alle relativ einvernehmlich sehen. Das ist auch gut so, gerade in einem so sensiblen Bereich. Allerdings war es aus unserer Sicht – wir haben einen Änderungsantrag gestellt – nicht notwendig, auch die Ini- Im Kern reden wir aber über die Umsetzung des tiatoren mit einer Prospektpflicht zu belegen, die ohne- Zehnpunkteplanes von Bundesfinanzminister Eichel. (B) hin schon im Vorfeld einen Prospekt erstellen, dies (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Umsetzung (D) schon seit langer Zeit machen und zudem diesen Pros- der EU-Richtlinie!) pekt auch noch zur inhaltlichen Prüfung einem Wirt- schaftsprüfer übergeben. Aus unserer Sicht hätte es aus- Einen Teil dieses Zehnpunkteplanes setzen wir jetzt um, gereicht, wenn dieser Prospekt bei der BaFin hinterlegt manche Punkte sind bereits umgesetzt. Dieser Zehn- worden wäre und ansonsten der Vertrieb hätte beginnen punkteplan – daran muss man erinnern – hat den realen können. Hintergrund, dass wir in den letzten Jahren sowohl hier in Deutschland als auch auf internationaler Ebene eine (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Menge Finanzskandale und Unternehmensskandale er- CSU] – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr ver- leben mussten. Erinnert sei an Unternehmen in Deutsch- nünftig!) land wie Flowtex oder Comroad. Die einen haben die Sie haben sich diesem Änderungsantrag leider nicht Banken betrogen, indem Maschinenschilder einfach aus- angeschlossen. Nun hoffe ich, dass zumindest die Rege- getauscht wurden, die anderen haben Umsätze erfunden. lung, die wir gestern einvernehmlich beschlossen haben, Ich nenne hier die massiven Betrugsskandale um Enron den seriösen Fondsinitiatoren hilft. Innerhalb vonund Worldcom, die auch von den US-Aufsichtsbehörden 20 Werktagen muss eine Entscheidung getroffen werden. nicht aufgedeckt werden konnten. Ich möchte an dieser Stelle an die BaFin appellieren, ge- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das hat nichts rade bei bekannten und seriösen Anbietern, die schon mit dem Thema zu tun!) seit langer Zeit im Geschäft tätig sind und Fondspros- pekte erstellen, diesen zeitlichen Rahmen Das von hat insgesamt zu einer Verunsicherung der Finanz- 20 Werktagen nicht auszunutzen, sondern zeitnahe Ent- märkte in Deutschland und auf internationaler Ebene ge- scheidungen zu treffen. Gesetzliche Regelungen dürfen führt. Deshalb ist es notwendig, die Regeln enger zu fas- nicht zu einer Verhinderung von Investitionen diesersen. Fondsinitiatoren führen. Der Zehnpunkteplan von Minister Eichel sieht über (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die Dinge, die wir heute besprechen, hinaus auch eine Verbesserung des Klagerechtes der Aktionäre vor. Das Ein kritischer Punkt war die Anhebung desSchwel- ist einer der nächsten Punkte, an die die Koalition noch lenwertes bezüglich des Unterliegens der Prospekt-herangehen wird. pflicht von 50 000 Euro auf 200 000 Euro. Wir haben gestern deutlich gemacht, dass wir die fachliche Mei- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der deckt nung des Bundesfinanzministeriums in diesem Falle ein- jetzt alle drei Themen ab!) 10782 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Hubert Ulrich (A) Er sieht auch eine Verstärkung der persönlichen Haftung eine Grenze von 50 000 Euro festzulegen. Uns war das (C) von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern vor, dieviel zu wenig. In den vergangenen Jahren ist es immer bewusst oder fahrlässig falsche Informationen in Umlauf wieder dazu gekommen – über die entsprechenden Fälle bringen. Alle diese Dinge müssen noch kommen. wurde regelmäßig in der Presse berichtet –, dass Schrott- immobilien, deren Kaufpreis 100 000 Euro deutlich Heute reden wir nicht nur über das Anlegerschutzver- überstieg, von Anlegern gekauft wurden, die sich nicht besserungsgesetz, das bereits in vielen Punkten beleuch- in den Märkten auskannten und von guten Vertriebsmit- tet wurde, sondern wir beraten auch in erster Lesung das arbeitern bequasselt wurden. Durch die Erhöhung der Bilanzkontrollgesetz. Auch hierbei geht es um deutli- Grenze auf 200 000 Euro wird diese Gefahr zwar nicht che Verbesserungen im Hinblick auf den Anlegerschutz. ausgeschlossen, aber der Anleger wird dadurch besser Es geht um eine Art Bilanzpolizei, eine so genannte geschützt, Enforcementstelle, die in einem zweistufigen Verfahren Verfehlungen in diesem Bereich aufdecken soll. Als (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ein erste Stufe ist eine privatrechtliche Regelung vorgese- wenig besser!) hen. Erst dann, wenn die privatrechtlichen Möglichkei- dass ein Prospekt aufgelegt und vor allen Dingen zumin- ten erschöpft sind, kommt die staatliche Ebene bzw. die dest formal von der BaFin kontrolliert werden muss. BaFin ins Spiel. Das ist im Prinzip eine sehr sinnvolle Vorgehensweise. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das zweite Gesetz, das wir heute in erster Lesung be- Ein weiterer Punkt, den wir noch in diesem Jahr ange- raten, ist das Bilanzrechtsreformgesetz. Auch hierbei hen werden, betrifft dieVerschwiegenheitspflicht der geht es darum, die internationalen Bilanzierungsregeln BaFin. Gegenwärtig darf die BaFin im Zivilprozess aufgrund von EU-Vorgaben in Deutschland einzuführen. keine Informationen an geschädigte Anleger weiterge- Es geht auch darum, die Abschlussprüfung von kapital- ben. Das wollen wir ändern. Die Frage ist, wie die Ände- marktorientierten Unternehmen dergestalt besser zu or- rung so vorgenommen werden kann, dass die BaFin ganisieren, dass Abschlussprüfer nach den neuen Regeln nicht mit Anfragen überhäuft wird. Wir stellen uns eine im Bilanzrechtsreformgesetz nicht mehr zugleich einArt Register vor, über das der Anleger gewisse Informa- Unternehmen beraten und den Abschlussbericht erstel- tionen erhalten kann, die der BaFin vorliegen und die für len können. Das wird jetzt deutlich voneinander getrennt ihn im Verfahren wichtig sind. und das ist auch gut so. Ein weiterer wichtiger Punkt, den die rot-grüne Koali- Wir beraten heute ebenfalls in erster Lesung dastion noch in diesem Jahr angehen wird, sind die Verjäh- Versicherungsaufsichtsänderungsgesetz. Auch hier- rungsfristen. Derzeit betragen die Verjährungsfristen (B) bei geht es um eine sinnvolle Verbesserung im Sinne des für Anleger ein bis drei Jahre. Diese Fristen sind viel zu (D) Verbraucherschutzes, indem wir eine Art Einlagensiche- kurz. Wir streben an, die Fristen auf die im BGB gelten- rungsfonds für Versicherungen einführen. Eine solche den Fristen von sieben bis zehn Jahren zu erweitern. Das Regelung gibt es in Deutschland bisher nur bei den Ban- heißt, dass ein Anleger im Falle einer Verfehlung oder ken und Sparkassen. Sie soll jetzt auch auf Kranken- und einer falschen Information in einem Prospekt seit Kennt- Lebensversicherungen ausgedehnt werden. niserlangung sieben bis zehn Jahre Zeit hat, ein Verfah- ren einzuleiten. Des Weiteren verabschieden wir heute – das wurde bereits von meinen Vorrednern ausgeführt – das Anle- Insgesamt haben wir es geschafft, aus dem Anleger- gerschutzverbesserungsgesetz in zweiter und dritter schutz kein Anlegerschutzverwässerungsgesetz, son- Beratung. Dabei geht es um Punkte wie den Insiderhan- dern ein echtes Anlegerschutzverbesserungsgesetz zu del, für den die Regelungen deutlich verschärft werden. machen. Darauf können wir als Koalition stolz sein. Ich Bisher war nur der Insiderhandel an sich strafbar. Künf- bin hoch zufrieden damit, dass die Koalition an dieser tig soll bereits der Versuch des Insiderhandels strafbar Stelle voll und ganz mitgezogen hat. sein. Vielen Dank. Auch die Marktmanipulation ist ein sehr wichtiger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Punkt. Bisher musste die Absicht nachgewiesen werden. sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach den neuen gesetzlichen Regelungen würde es be- reits reichen, dass der Markt an sich manipuliert wurde. In diesem Fall kann der betreffende Personenkreis von Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der Staatsanwaltschaft in Regress genommen werden. Nächster Redner ist der Kollege Carl-Ludwig Thiele, FDP-Fraktion. Ein dritter wichtiger Punkt sind dieOffenlegungs- pflichten, die jetzt auf den Personenkreis ausgeweitet (FDP): werden, der Finanzanalysen erstellt oder weitergibt. Carl-Ludwig Thiele Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Dazu gehören auch Journalisten. Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir in einem Auch die eben diskutierte Einführung derProspekt- aus meiner Sicht etwas unüblichen Verfahren abschlie- pflicht für den grauen Markt ist ein wichtiger Schritt ßend über den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung nach vorne. Uns Grünen war es mit Blick auf die Inves- des Anlegerschutzes sowie in erster Beratung über den toren wichtig, den Anlegerschutz deutlich zu verbessern. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versiche- Bisher war vorgesehen, einer EU-Vorgabe entsprechend rungsaufsichtsgesetzes, den Entwurf eines Bilanzrechts- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10783

Carl-Ludwig Thiele (A) reformgesetzes und den Entwurf eines Bilanzkontrollge- nausgingen. Diese Gesetzespassagen sind deutlich ent- (C) setzes. Ich hoffe, dass dieses Verfahren die Ausnahme schärft worden. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir sein wird; denn die erste Lesung ist häufig nicht mehr als freuen uns, dass das so gekommen ist. eine formale Einbringung. Jeder dieser Gesetzentwürfe ist aber wichtig. Heute treffen wir jedenfalls eine Ent- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) scheidung über den Entwurf eines Anlegerschutzverbes- Ein weiterer wichtiger Punkt ist dieGenehmigung serungsgesetzes. von Prospekten von geschlossenen Fondsdurch die Die FDP unterstützt im Grundsatz den Versuch, Un- BaFin. Hier wurde den Anbietern in dem ursprünglichen ternehmensbilanzen besser zu prüfen und so das nach Gesetzentwurf zu wenig Zeit gegeben, sich auf die neue wie vor gebeutelte Vertrauen der Anleger zu stärken. Die Rechtslage einzustellen. Ich begrüße, dass das Gesetz Betrugsfälle Enron, Worldcom, Ahold, Parmalat, Com- quasi doppelt in Kraft tritt. Das Gesetz tritt zwar bereits road und Flowtex haben bei den Anlegern tiefe Spuren in diesem Jahr in Kraft. Aber die Regelungen bezüglich hinterlassen und Vertrauen zerstört. Damit solcher Be- der Genehmigung von Prospekten durch die BaFin treten trug in Zukunft verhindert wird, müssen die schwarzen erst am 1. Juli nächsten Jahres in Kraft. Das ist ein wich- Schafe am Kapitalmarkt schärfer bestraft werden. Die tiger Punkt; denn hohe Investitionen müssen von denje- Kapitalmärkte brauchen mehr Transparenz bei den Un- nigen getätigt werden, die Prospekte herausgeben, um ternehmensbilanzen. Nur durch Offenheit und Transpa- Geld für geschlossene Fonds zu sammeln. Wenn Rechts- renz kann sich eine Aktienkultur in Deutschland entwi- unsicherheit im Genehmigungsverfahren durch die Ba- ckeln. Nur so kann man erwarten, dass die BürgerFin geherrscht hätte, dann hätte es ein Investitions- Kapital an den Kapitalmärkten anlegen, um für ihr Alter hemmnis in unserem Land gegeben. Das kann niemand vorzusorgen. wollen. Deshalb bedanke ich mich bei der Bundesregie- rung dafür, dass dieser Aspekt aufgegriffen wurde und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dass diese Regelung erst vom 1. Juli nächsten Jahres an gilt. Ich möchte nun auf einige aus Sicht der FDP wesent- liche Punkte des Entwurfs einesAnlegerschutzverbes- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) serungsgesetzes zu sprechen kommen. Hiermit wird im Wesentlichen eine EU-Richtlinie in nationales Recht Ein weiterer Punkt: Bei derPrüfung der Prospekte umgesetzt. Ich begrüße schon vorab, dass wir trotz klei- handelt es sich nicht um ne ei inhaltliche, sondern im nerer Differenzen eine einvernehmliche Lösung im Fi- Wesentlichen um eine formale Prüfung durch die BaFin. nanzausschuss gefunden haben. Wir haben uns seit den Dafür ist eine Frist von 20 Werktagen, also von vier Wo- 90er-Jahren bemüht, die Finanzmarktgesetzgebung in chen, gesetzt. Verstreicht diese Frist, soll der Prospekt (B) (D) unserem Land möglichst überparteilich und problemori- – so sieht das unser Änderungsantrag vor – automatisch entiert zu gestalten. Ich freue mich, dass das auch wieder als genehmigt gelten. Das ist bedauerlicherweise abge- gelungen ist. lehnt worden. Ich appelliere hier aber sowohl an die Anbieter als (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) auch an die BaFin, schon jetzt das Gespräch zu suchen, Die Ziele, die die Bundesregierung mit dem Gesetzes- damit das Verfahren, wenn die neuen Regeln greifen, so paket verfolgt, begrüßen wir. In weiten Teilen sind sie ja transparent und auch technisch zu bewältigen ist, dass es von der EU vorgegeben. Aber die Beratung hat auch ge- zu keinen Verzögerungen kommt. Ich appelliere an die zeigt, dass der Gesetzentwurf in seiner ursprünglichen BaFin auch, die Frist von 20 Werktagen nicht als etwas Fassung etwas über das Ziel hinausschoss. Die Anregun- zu verstehen, was auszuschöpfen ist, sondern so, dass gen der Sachverständigen in der Anhörung haben mitdrei, vier oder fünf Tage durchaus ausreichen, um einen dazu beigetragen, dass es im Gesetzgebungsverfahren zu Prospekt zu genehmigen, wenn klar ist, dass er den for- Änderungen gekommen ist. Das zeigt einmal mehr, dass malen Anforderungen genügt. das formale Gesetzgebungsverfahren durchaus inhaltli- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten che Bedeutung hat und gewinnt; denn dadurch können der CDU/CSU) sich auch diejenigen Abgeordneten, die sich nicht jeden Tag mit solchen Themen beschäftigen, sachkundig ma- Wenn es zu einem solchen praktischen Umgang chen. kommt, dann herrscht auch Vertrauen. Eine Kontrollin- stanz muss kontrollieren. Sie kann aber auch im Vorhi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Leo nein einfach vertrauensbildend tätig werden. Wenn das Dautzenberg [CDU/CSU]: Das lässt auf zu- der Fall ist, dann ist weniger Kontrolle erforderlich. Das künftige Anhörungen hoffen!) wünschen wir uns. – Es ist richtig, dass das auf zukünftige Anhörungen hof- Herzlichen Dank. fen lässt, genauso wie auf Erkenntnisgewinn; denn das ist das eigentliche Ziel der Anhörungen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In dem ursprünglichen Gesetzentwurf hatte dieBun- desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: relativ weit gehende Eingriffsbefugnisseerhalten, die Ich erteile das Wort dem Kollegen Olaf Scholz, SPD- deutlich über die Formulierungen der EU-Richtlinie hi- Fraktion. 10784 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Olaf Scholz (SPD): Rahmen gesetzt wird, Druck auf die verschiedenen nati- (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegen- onalen Gesetzgebungen ausgeübt. wärtig geht es um mehrere Gesetzesvorhaben, die für die Sich dem gegenwärtig nicht anzupassen ist eine rich- Kapitalausstattung der deutschen Wirtschaft sehr wich- tige Entscheidung. Aber es ist eben auch richtig, dafür zu tig sind. Wer erreichen will, dass Menschen Geld in Un- sorgen, dass unsere Konzerne international akzeptierte ternehmen investieren, der muss sicherstellen, dass sie Rechnungslegungen vorweisen können, weil das aus den Vertrauen in ihre Entscheidungen haben. Deshalb ist es von mir geschilderten Gründen für ihre Finanzbedingun- wichtig, dass wir als Gesetzgeber die Voraussetzung da- gen, für ihre Investitionsbedingungen und für ihre Kapi- für schaffen, dass die Menschen Investitionen in Unter- talausstattung von zentraler Bedeutung ist. nehmen mit Vertrauen tätigen. Parallel zu dieser Entwicklung findet etwas statt, was Aus meiner Sicht ist da etwas zu tun. Wir müssen man als Angleichung im EU-Raum beschreiben kann. nämlich feststellen, dass die Kapitalausstattung der Auch das dürfen wir nicht nur als einen legalistischen deutschen Wirtschaft zu wünschen übrig lässt. Der Kapi- Vorgang betrachten, also als etwas, das wir mitmachen, talstock und die existierende Börsenkapitalisierung sind weil man es uns vorschreibt. Vielmehr geht es eben auch zu gering. Für uns ist es deshalb notwendig, Bedingun- darum, wie gewährleistet werden kann, dass die sich in- gen und Voraussetzungen zu schaffen, die es möglich ternationalisierenden Finanzmärkte Vertrauen aufgrund machen, dass da mehr zustande kommt, dass die Men- angeglichener Bedingungen haben. schen also mehr investieren. Es ist daher richtig, dass wir mit verschiedenen Gesetzen, insbesondere mit dem Bi- Deshalb ist es richtig, sowohl diese EU-Vereinheitli- lanzrechtsreformgesetz und dem Bilanzkontrollgesetz chung durchzuführen, als auch sich in dem Rahmen, den – über diese Gesetze will ich sprechen –, die Vorausset- ich eben beschrieben habe, an internationale Standards zung dafür schaffen, dass das besser geschehen kann. zu halten. Zu guten Investitionsbedingungen für die Unterneh- Meine Ansicht ist daher, dass wir hiermit für das Ver- men gehört aber auch, dass wir begreifen, dass die Fi- trauen, für die Unternehmen und für ihre Investitionsbe- nanzmärkte international geworden sind. Es ist ange-dingungen etwas Gutes tun. Das gilt auch für die weiteren sichts dieser Tatsache richtig und notwendig, dass wir Angelegenheiten, die im Rahmen der Wirtschaftsprüfung uns in internationale Entwicklungen einbeziehen, die es besprochen werden, zum Beispiel dasEnforcement- in diesem Bereich gibt. Die internationalen Finanz-Verfahren, das beschrieben wird. Es kennt eine freiwil- märkte gehen immer mehr dazu über, für bestimmte For- lige Prüfungsmöglichkeit als erste Stufe. Letztlich gibt es men der Rechnungslegung gemeinsame Standards – wir auch Zwangsmaßnahmen der BaFin, wenn es darauf an- (B) kennen sie als International Accounting Standards – kommt, die freiwillig nicht akzeptierte Lösung doch noch (D) zu entwickeln, was für die europäische und für die deut- durchzusetzen. Auch das ist für die Kapitalmärkte wich- sche Gesetzgebung jetzt in wachsendem Maße einetig. Wir alle sollten dafür werben, dass das nicht als Rolle spielt. Zwang betrachtet wird, sondern als etwas, das wichtig ist, um mehr Aktienkapital zu generieren, um die Ausstat- Dass wir dem hier Rechnung tragen, ist nicht nur For- tung der Unternehmen in unserem Land zu verbessern malismus oder der Glaube daran, es sei eine gute Idee, und dazu beizutragen, dass sie nicht mehr in einer sol- sich nach anderen zu richten. Es geht vielmehr unmittel- chen Weise, wie das heute festgestellt werden muss, bar um die Investitionsbedingungen für deutsche Unter- Nachteile gegenüber anderen Unternehmen haben. nehmen; es geht um die Möglichkeiten, sich zu refinan- zieren. Deshalb ist es wichtig, dass der deutscheDer letzte Punkt, der zu diesem Gesetzgebungsvorha- Kapitalmarkt so organisiert ist, dass er auch für interna- ben gehört, ist folgender: Wir tragen etwas dazu bei, tionale Anleger interessant ist, nachvollziehbar bleibtdass die Abschlussprüfer unabhängig sind, dass alle und dass er den Standards, die sich dort entwickeln, ent- Zweifel ausgeräumt werden, die in dieser Hinsicht ent- spricht. wickelt werden könnten, etwa Zweifel daran, ob denn die Wirtschaftsprüfer nicht doch in irgendeiner Weise (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Eine ganz von den Unternehmen, die sie zu prüfen haben, abhängig neue Erkenntnis!) sind oder ob ihre Urteile wirklich sorgfältig abgewogen Ich glaube, es ist richtig, dass wir hier die Entschei- sind. dung treffen, dieser Entwicklung zu folgen, obwohl es Alles das wirkt ein bisschen trocken, ist aber mögli- sowohl bei diesem als auch bei späteren Gesetzgebungs- cherweise für die wirtschaftliche Entwicklung unseres vorhaben ein Problem bleiben wird, dass die Rechnungs- Landes von großer Bedeutung. Deshalb hoffe ich, dass legungsstandards, die vor llem a für Konzerne gelten, bei dem, was wir hier in erster Lesung zu beraten haben, nicht diejenigen sind, die wir sonst etwa nach handels- das Gleiche gelingen wird, was uns beim Anlegerschutz rechtlichen Kriterien odersteuerrechtlichen Kriterien gelungen ist, vorschreiben. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen nur or- Wir werden die Differenz, die sich da auftut, beobach- dentliche Vorschläge machen!) ten müssen. Wir können es uns natürlich nicht so einfach machen, indem wir sagen: Wir haben dann eben unter- nämlich dass die Gesetzgebung auf gemeinsamer Basis schiedliche Standards, die nebeneinander und zugleich geschieht und letztlich die Finanzmärkte davon profitie- gelten. Vielmehr wird durch das, was als internationaler ren können. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10785

Olaf Scholz (A) Schönen Dank. Steuerberatung usw. Wenn man das auf verschiedene(C) Gesellschaften verlagert, kann das zu erheblichen Kos- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tensteigerungen führen; denn wer Informationen über ei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Teil hat, der kann relativ leicht auch den anderen Teil erledigen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) Fraktion. Wir müssen deshalb die Auswirkungen auf die Firmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und auf die Wirtschaftsprüfer betrachten. Hier besteht, um es klar zu sagen, noch Gesprächsbedarf. Otto Bernhardt (CDU/CSU): Den dritten Punkt begrüßen wir ausdrücklich. Dabei Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will geht es darum, im Zusammenhang mit der Frage „Han- mich in meinem Beitrag zum einen mit der Bilanzrechts- delt es sich um eine große, mittlere oder kleinere Unter- reform und zum anderen mit den Bilanzkontrollgesetzen nehmung?“ die Schwellenwerte zu erhöhen. In der Pra- auseinander setzen, also mit zwei Gesetzentwürfen, die xis ist beispielsweise die Frage relevant: Muss die wir heute in erster Lesung beraten. Unternehmung im Bundesanzeiger veröffentlichen oder Bei dem ersten Entwurf geht es im Wesentlichen um nicht? Dies ist ein guter Beitrag, Bürokratie abzubauen drei inhaltliche Punkte: und Kosten zu sparen. Erstens sollen ab 2005 die so genannten kapitalmarkt- Mit mir selber kann man im Rahmen der Diskussion orientierten Firmen – dabei geht es um knapp 1 000 große darüber sprechen, ob man die Schwellenwerte noch ein Firmen – verpflichtet werden, ihren Jahresabschluss nach bisschen höher ansetzt. internationalen Maßstäben – die berühmte Abkürzung lautet: IAS – durchzuführen, während alle anderen Fir- Mit dem anderen vorliegenden Gesetz, dem Bilanz- men – das ist ein sehr wichtiger Punkt – die Möglichkeit kontrollgesetz, soll außer den beiden heute vorgeschrie- erhalten, zwischen den internationalen und den nationa- benen Prüfinstanzen noch eine dritte installiert werden. len Vorschriften, das heißt: HGB, zu wählen. Heute ist es bei den großen kapitalmarktorientierten Fir- men so, dass der Wirtschaftsprüfer und – wie wir hoffen Nun muss man wissen, dass zwischen diesen beiden – der Aufsichtsrat prüfen. Jetzt soll einedritte Instanz Vorschriften ein erheblicher Unterschied besteht. geschaffen werden. Wir begrüßen das ausdrücklich und (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) finden es gut, dass dabei ein zweistufiges Verfahren vor- (B) geschlagen wird. Zunächst einmal soll nämlich der Staat (D) Während sich die internationalen Vorschriften weitge- herausgelassen werden und es soll durch eineprivat- hend am Zeitwert orientieren, geht es im HGB bekannt- rechtliche Prüfstelle geprüft werden. Wie schnell die lich nach dem Niederstwertprinzip. Wirtschaft handelt, sehen wir daran, dass die Prüfstelle (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Gläubiger- schon existiert. Banken- und Versicherungsverbände so- schutz!) wie andere haben sie schon gebildet. Ich bringe einmal ein Beispiel, das dies verdeutlicht. Diese Prüfstelle soll in Aktion treten, wenn es An- Nach HGB muss man eine Immobilie mit dem Anschaf- haltspunkte gibt; sie soll aber auch stichprobenartig vor- fungswert minus den laufenden Abschreibungen anset- gehen. Das ist aus meiner Sicht aus folgendem Grunde zen. Das führt in der Praxis häufig dazu, dass eine wert- sehr wichtig: Es spricht sich herum, wenn irgendwo ge- volle Immobilie mit 1 Euro in der Bilanz steht. Nachprüft wird. Bei einer Prüfung, die erhebliche Auswirkun- IAS würde sie mit dem Zeitwert in der Bilanz stehen.gen auf eine Firma haben kann, kann so immer noch der Von daher sind die IAS mit Sicherheit die gerechteren Eindruck verbreitet werden, es handele sich um eine Standards; sie geben besser Auskunft über den aktuellen Stichprobenprüfung, die jede 100. oder 80. Firma be- Wert. Wir müssen nur eines sehen: Sie eignen sich nicht trifft. Auch das begrüßen wir. Im Normalfall müsste es für das Thema Steuer so sein, dass, wenn die privatrechtliche – ich hätte fast gesagt: freiwillige – Prüfstelle zu dem Ergebnis kommt, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) dass etwas nicht in Ordnung ist, und die Firma es dann in und sie eignen sich auch nicht für das Thema Ausschüt- einer vorgegebenen Frist beseitigt, die Sache erledigt ist. tung. Deshalb muss es hier bei den HGB-Grundsätzen Wenn eine Firma mit dieser Stelle nicht zusammenarbei- bleiben. Die Frage, wie weit wir in dem Bereich zwi-ten will oder nicht bereit ist, einen Fehler zu beheben, schen Handelsbilanz und Steuerbilanz irgendwann gene- dann bleibt natürlich nichts anderes übrig, als dass die rell etwas verändern müssen, bleibt dahingestellt. Finanzmarktaufsicht einschreitet. Der zweite Punkt ist die Unabhängigkeit der Wirt- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusam- schaftsprüfer. Wir stimmen dem Vorschlag, so wie er menfassen: Ich glaube, beide Gesetze sind wichtige Bei- jetzt lautet, noch nicht unbedingt zu. Es ist zwar, abstrakt träge, dass der Finanzplatz Deutschland im internationa- gedacht, sehr gut, zu trennen und zu sagen: Wer dielen Gefüge eine Spitzenposition halten kann. Außerdem Wirtschaftsprüfung macht, darf sonst nichts machen. – wäre es sehr wichtig – diesbezüglich ist die heutige De- Nur ist die Praxis in vielen mittleren Firmen doch die: batte sehr erfreulich –, wenn es uns gelingen würde, über Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft macht auch dieeinen so sensiblen Bereich wie diesen eine sehr sachliche 10786 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Otto Bernhardt (A) Diskussion zu führen und zu einvernehmlichen Lösun- rechtigten Schutz der Interessen der zu beaufsichtigen- (C) gen zu kommen. Ich vermute, dass das möglich ist. den Unternehmen und dem Anlegerschutz zu finden. Bei den Journalisten haben wir den uns durch die EU-Vorga- Für beide Gesetze ist ein Anhörungsverfahren vorge- ben gewährten Spielraum im Interesse des Berufsstandes sehen. Ich gehe davon aus, dass nach dem Anhörungs- und der Pressefreiheit gänzlich ausgeschöpft. verfahren noch bei der einen oder anderen Frage Ände- rungsbedarf besteht. Deshalb appelliere ich insbesondere Finanzanalysen von Journalisten werden danach aus- an die Kollegen von den Koalitionsfraktionen, die ja die schließlich nach den berufsständischen Vorgaben beur- Mehrheit haben, sich ähnlich wie bei dem Gesetz zurteilt. Dies gilt nur dann nicht, wenn Journalisten sich Verbesserung des Anlegerschutzes, das wir heute inoder einem anderen durch unrichtige Angaben einen zweiter und dritter Lesung verabschieden, um einver- Vorteil verschaffen wollen. Es liegt nun an den Journa- nehmliche Lösungen zu bemühen. Dies wäre für den Fi- listenverbänden, adäquate und der gesetzlichen Rege- nanzplatz Deutschland und für den sehr sensiblen Kapi- lung gleichwertige Regelungen für die Verbreitung und talmarkt wichtig. In diesem Sinne freue ich mich auf die Erstellung von Finanzanalysen zu erarbeiten. Das Bun- weiteren Beratungen. desministerium der Finanzen ist bereit, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten. Gleiches gilt selbstverständlich Danke. für die BaFin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Das zweite Element ist die Einführung einerProspekt- pflicht auf dem so genanntengrauen Kapitalmarkt. Wir verbessern damit die Produkttransparenz und er- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: leichtern die Geltendmachung von Haftungsansprüchen. Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamenta- Damit wird der Anlegerschutz entscheidend verbessert. rische Staatssekretärin Barbara Hendricks. Kontrovers wurde die Frage der Genehmigung durch die BaFin diskutiert. Indem wir für die Emittenten einen Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Anspruch auf Genehmigungserteilung im Gesetz einräu- Bundesminister der Finanzen: men, haben wir deren Stellung nachdrücklich gestärkt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Hierdurch wurde ein adäquater Kompromiss zwischen freue mich, dass wir heute den Gesetzentwurf einesdem Interesse der Emittenten an Planungssicherheit Anlegerschutzverbesserungsgesetzes in zweiter und drit- einerseits und dem Anlegerschutz andererseits gefunden. ter Lesung beraten und damit zum Abschluss bringenDie Prospektpflicht tritt, wie schon vom Kollegen können. Ich begrüße nachhaltig, dass der Regierungsent- Pronold ausgeführt wurde, zum 1. Juli 2005 in Kraft. (B) (D) wurf in allen Parteien auf breiten Konsens gestoßen ist. Wir sind bestrebt, dem Bundestag ein Jahr nach In- Dies zeigt, alle Fraktionen des Deutschen Bundestages Kraft-Treten dieser Regelung ein positives Ergebnis über arbeiten gemeinsam daran, den Finanzplatz Deutschland die Genehmigungspraxis der BaFin vorlegen zu können. zu fördern. Ich hoffe, dass dieser Konsens auch in Zu- kunft bei den noch anstehenden Vorhaben bestehen Als drittes Element sieht das Gesetz flexible Regelun- bleibt. gen zur Zusammensetzung des Börsenrates im Bör- sengesetz vor. Hierdurch wird den Interessen der Spe- Der federführende Finanzausschuss hat am 16. Juni zialbörsen, aber auch der Repräsentanz ausländischer 2004 eine Expertenanhörung zu dem GesetzentwurfMarktakteure in Deutschland Rechnung getragen. Dies durchgeführt. Wir haben die Ergebnisse der Anhörung ist ein weiterer Beitrag zur Stärkung des Finanzplatzes und die Vorschläge des Bundesrates, obwohl es sichDeutschland im internationalen Wettbewerb. nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, so- weit möglich, berücksichtigt. Bezüglich des Inhalts des Schließlich hat noch eine Regelung aus dem Bereich Gesetzentwurfes lässt sich festhalten, dass dieser im We- der offenen Vermögensfragen Eingang in die Gesetzes- sentlichen aus drei Elementen besteht: vorlage gefunden. Die Geltungsdauer für Grundstücks- verkehrsgenehmigungen und Negativatteste ist verlän- Erstes Element ist die Umsetzung derEU-Markt- gert worden. Auch dieses Vorhaben ist auf einen breiten missbrauchsrichtlinie. Mit der Umsetzung der EU- Konsens gestoßen. Marktmissbrauchsrichtlinie haben wir weitere wesentli- che Schritte unternommen, um die Integrität des Finanz- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das vorliegende platzes Deutschland zu stärken. Die parlamentarischeMaßnahmenpaket, mit dem der Anlegerschutz im Be- Diskussion hat sich in diesem Bereich im Wesentlichen reich der Kapitalmarktinformation und der Schutz vor auf drei Elemente fokussiert, und zwar auf eine stärkere unzulässigen Marktpraktiken verbessert werden, ist ein Anlehnung des Gesetzentwurfs an die Marktmiss-weiterer Baustein zur Stärkung des Finanzplatzes brauchsrichtlinie und die hierzu erlassenen Durchfüh- Deutschland. Entsprechend seiner Bedeutung freue ich rungsbestimmungen der EU, auf den Umfang, in dem mich über eine breite Zustimmung, die ja von Ihnen al- die Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienst- len hier schon angekündigt worden ist. leistungsaufsicht gestärkt werden, und auf die Regelung für Journalisten. Herzlichen Dank. Bei den Kompetenzen der BaFin ist es uns gelungen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einen ausgewogenen Kompromiss zwischen dem be- DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10787

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Es geht hier, im Grunde wie an vielen anderen Stellen (C) Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege Klaus- des Versicherungsaufsichtsgesetzes auch, um das Thema Peter Flosbach von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. der Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen. Es geht um die Frage, ob die Versicherungsbeiträge (Beifall bei der CDU/CSU) Eigenkapital sind, ob es sich dabei um eine deckungs- stockfähige Kapitalanlage handelt oder ob die Versicher- Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): ten an den Überschüssen beteiligt sind. Der Gesetzent- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wurf ist in der heute vorliegenden Form – der Bundesrat der heutigen Debatte werden gleich mehrere Gesetzent- hat diesbezüglich eine deutlich abweichende Meinung würfe beraten. Neben den Themen Bilanzkontrolle, Bi- vertreten – nicht zwingend erforderlich. Außerdem fin- lanzrechtsreform und Verbesserung des Anlegerschutzes det er in anderen Staaten keine Entsprechung. beraten wir heute auch die Veränderungen im Versiche- In Deutschland kennen wir aus dem Banken- und rungsaufsichtsgesetz. Nun wird manch einer sagen: Was Wertpapierbereich die Einlagensicherung. Dieser Ge- habe ich als Normalbürger mit dem Versicherungsauf- setzentwurf geht aber weit über die im Bankenbereich sichtsgesetz zu tun? Das betrifft doch nur die Versiche- festgelegten Anforderungen hinaus und sollte deshalb, rungsgesellschaften und gegebenenfalls die Aufsichtsbe- liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktio- hörde. – Nein, dieses Thema kann jeden einzelnennen, überprüft werden. Bürger betreffen. Ich will die Problematik dieses Gesetzentwurfs anhand In einem wichtigen Punkt dieses Gesetzes geht es um eines zweiten Beispiels erläutern. Es geht um die so ge- die Frage: Was passiert mit dem angesparten Vermögen nannten Rückversicherungsunternehmen. Bei Groß- aus einem Lebensversicherungsvertrag, wenn schäden das sind Versicherungsgesellschaften manchmal Versicherungsunternehmen in Konkurs geht? Innicht in der Lage, den Schaden allein zu tragen. Deshalb einem solchen Fall könnte die gesamte Altersversorgung versichern sich Versicherungsunternehmen bei anderen des Einzelnen gefährdet sein. Bei dem Konkurs einesGesellschaften, den so genannten Rückversicherern. In Krankenversicherungsunternehmens würde der volleDeutschland haben die größten und ältesten Rückversi- Versicherungsschutz verloren gehen und gerade Ältere cherungsunternehmen der Welt ihren Sitz. Diese Unter- und Kranke hätten keine Chance mehr, einen Versiche- nehmen sind allerdings nicht hauptsächlich in Deutsch- rungsschutz zu bekommen. land, sondern weltweit tätig. Deshalb sind diese Unternehmen einem sehr scharfen Wettbewerb ausge- Den meisten ist sicher noch der Fall der Mannheimer setzt. Wenn wir beim Versicherungsaufsichtsgesetz – das Lebensversicherung in Erinnerung, die vor kurzem na- ist das Problem – beispielsweise die anrechenbaren (B) hezu insolvent war. Die Versicherungswirtschaft in (D) Eigenmittel schärfer definieren, als es die Bestimmun- Deutschland hat eine effiziente und freiwillige Selbst- gen in der EU-Richtlinie vorsehen – ganz abgesehen von hilfe angeboten und die Mannheimer Lebensversiche- den Bestimmungen im internationalen Wettbewerb bei rung aufgefangen. Nicht-EU-Staaten –, verschlechtern wir die Wettbe- Inzwischen ist auch die Berichtspflicht der Unterneh- werbsbedingungen der in Deutschland niedergelassenen men verbessert worden. Es sind Stresstests eingeführtRückversicherungsunternehmen und gefährden Arbeits- worden. Wie die Versicherungsbranche und auch das Ver- plätze in Deutschland. sicherungsaufsichtsamt sagen, ist die Situation deutlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) besser geworden. Wir sollten von überzogenen Regulierungen im Versi- Gleichwohl wollen sowohl die Politik als auch die Ver- cherungsaufsichtsgesetz Abstand nehmen, wenn sie nur sicherungswirtschaft aus den gewonnenen Erfahrungen einem Selbstzweck dienen oder, wie bei Versicherungs- heraus die bisher freiwillige Selbsthilfeorganisation auf holdinggesellschaften, bereits anderen Regelungen unter- eine gesetzliche Grundlage stellen. Deshalb begrüßen wir liegen. Im Übrigen sollten nur bedeutende Beteiligungen seitens der Union diesen Gesetzentwurf. Die so genannten und keine Minderheitsbeteiligungen der Versicherungs- Auffanggesellschaften Protektor für die Lebensversi- aufsicht unterliegen. cherungen und Medicator für die Krankenversicherun- gen können nämlich sicherstellen, dass die betroffenen Wie bei allen heute zu beratenden Gesetzentwürfen Kunden ihren Versicherungsschutz behalten. geht es wieder einmal um Grundsätzliches: Was muss im Interesse des Verbraucherschutzes letztlich staatlich ge- In der ersten Lesung gibt es natürlich eine Reihe offe- regelt und geprüft werden, was regelt der Markt allein ner Fragen und inzwischen auch schon einige Differen- und was behindert den Markt und die wirtschaftliche zen. Unterschiedliche Meinungen bestehen insbesondere Entfaltung in Deutschland? hinsichtlich der Finanzierung. Die Bundesregierung will einen Sicherungsfonds einrichten und verlangt von den Hinsichtlich der Finanzaufsicht will ich zum Schluss Versicherungsgesellschaften in Deutschland, diesen Si- noch einen anderen Bereich kurz ansprechen, den die cherungsfonds mit über 500Millionen Euro zu füllen. Staatssekretärin im Finanzministerium, Frau Dr. Der Bundesrat hat ein anderes Modell vorgeschlagen, Hendricks, bereits erwähnt hat. Es geht um die nach dem die Versicherungswirtschaft erst bei Eintritt Prospektprüfungspflicht bei geschlossenen Fonds. Ich eines Versicherungsfalls entsprechend haftet und für die habe im Ausschuss deutlichgemacht, dass ich diesbe- Sanierung eintritt. züglich eine abweichende Meinung vertrete. Es ist ganz 10788 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Klaus-Peter Flosbach (A) klar, dass wir für die Prospektprüfungspflicht sind. Aber Dürrheim), Dr. Norbert Röttgen, Andreas Storm, (C) die im Gesetzentwurf vorgesehene Form der Prospekt- weiteren Abgeordneten und der Fraktion der prüfungspflicht seitens der Bundesanstalt für Finanz- CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset- dienstleistungsaufsicht ist meines Erachtens grober Un- zes zur Änderung des Opferentschädigungsge- fug, weil nicht der Anlegerschutz verbessert wird und setzes keine inhaltliche Prüfung stattfindet, sondern ausschließ- lich die Inhaltsverzeichnisse der Prospekte auf Vollstän- – Drucksachen 15/1002, 15/3432 – digkeit geprüft werden. Sie sind unserem Vorschlag (Erste Beratung 53. Sitzung) leider nicht gefolgt. Diese Regelung bedeutet im übertra- genen Sinne, dass wir unsere Autos nicht mehr zum Berichterstattung: TÜV schicken, sondern die Bedienungsanleitung prüfen, Abgeordneter Klaus Kirschner und zwar nicht auf Richtigkeit, sondern auf Vollständig- keit ihrer Gliederung. Damit beschäftigen wir die Auf- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die sichtsbehörden in Deutschland und erlauben ihnen eine Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich stelle 20-tägige Prüfungszeit. Durch diese überzogene Büro- dazu Einverständnis fest. kratie verhindern oder verzögern wir letztendlich Groß- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPD- investitionen in Deutschland. Fraktion hat der Kollege Karsten Schönfeld. Bei der weiteren Beratung dieses Versicherungsauf- sichtsgesetzes geht es also darum, die Interessen der ein- Karsten Schönfeld (SPD): zelnen Versicherten abzuwägen und eine vernünftige Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aufsicht einzurichten, aber auch darum, das Interesse Unionsfraktion hat gemäß § 62 unserer Geschäftsord- einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft im Auge zu behal- nung einen Bericht des Ausschusses für Gesundheit und ten. Der Abbau von Bürokratie sollte nicht nur als gute Soziale Sicherung zum Beratungsstand des Änderungs- Absicht auf dem Papier stehen bleiben. gesetzes zum Opferentschädigungsgesetz beantragt. Die Ich danke Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Voraussetzungen für einen solchen Antrag liegen zwei- felsohne vor. Es ist also Ihr gutes Recht, diesen Wunsch (Beifall bei der CDU/CSU) hier zu äußern; verständlich ist er allerdings nicht. Wenn wir uns den Bericht des Ausschusses vom Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: 28. Juni ansehen, dann stellen wir fest, dass am 10. März Ich schließe die Aussprache. dieses Jahres im Ausschuss einvernehmlich beschlossen (B) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- wurde, die Beratung des Gesetzentwurfs der Union zu(D) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesse- vertagen. Seither hat keine der im Ausschuss vertretenen rung des Anlegerschutzes auf den Drucksachen 15/3174 Fraktionen beantragt, die Vorlage erneut auf die Tages- und 15/3355. Der Finanzausschuss empfiehlt auf Druck- ordnung zu setzen. sache 15/3493, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Eigentlich ist es parlamentarischer Brauch, dass die entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Fraktion, die einen Antrag stellt oder einen Gesetzent- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- wurf einbringt, auch ihr Recht wahrnimmt, diesen An- gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung ein- trag oder diesen Gesetzentwurf auf die Tagesordnung zu stimmig angenommen. setzen. Sie haben in den letzten Sitzungswochen davon keinen Gebrauch gemacht. Wir haben Sie im Vorfeld der Dritte Beratung jetzigen Sitzungswoche sogar noch einmal auf diesen Umstand hingewiesen und Ihnen vorgeschlagen, das und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Thema in dieser Woche im Ausschuss zu beraten. Aber Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die auch das haben Sie abgelehnt. Besetzung des Plenarsaals ist hinreichend übersichtlich, um auf die Gegenprobe verzichten zu können. Der Ge- Stattdessen beraten wir den Antrag gemäß § 62 unse- setzentwurf ist einstimmig angenommen. rer Geschäftsordnung heute Abend hier im Plenum. Das bedeutet: Wir beraten den Gesetzentwurf nicht inhalt- Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 15 b bis lich. Es kommt zu keinem Abschluss im Ausschuss und 15 d. Interfraktionell ist die Überweisung der Gesetz- die Sache zieht sich noch mehr in die Länge. Dem Anlie- entwürfe auf den Drucksachen 15/3418, 15/3419 und gen selbst wird in keiner Weise Rechnung getragen. 15/3421 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Allzu dringlich scheint Ihnen Ihre Gesetzesinitiative oh- schüsse vorgeschlagen worden. – Anderweitige Vor- nehin nicht zu sein. Im Gegenteil: Es drängt sich uns der schläge dazu höre ich nicht. Dann sind die Überweisun- Verdacht auf, dass Sie hier wieder nur ein parlamentari- gen so beschlossen. sches Schaulaufen veranstalten wollen. Ich meine, das Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 16: ist weder der Sache dienlich noch ist es insgesamt ange- messen. Beratung des Berichts des Ausschusses für Ge- sundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss) Der Bericht des Ausschusses macht Folgendes deut- gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem lich: Die mitberatenden Ausschüsse – der Auswärtige von den Abgeordneten Siegfried Kauder (BadAusschuss, der Haushaltsausschuss, der Ausschuss für Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10789

Karsten Schönfeld (A) Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der EU-Aus- (Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ (C) schuss – haben den Gesetzentwurf allesamt abgelehnt. CSU]: Welche? – Jörg van Essen [FDP]: Wel- che?) Nur der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Ge- sundheit und Soziale Sicherung haben noch nicht ab-Wir müssen uns darüber unterhalten, wie sich eine Aus- schließend darüber beraten. weitung des Opferentschädigungsgesetzes auf Auslands- straftaten systematisch in das soziale Entschädigungs- Das hat auch seine Gründe. Im vergangenen Jahrrecht der Bundesrepublik einarbeiten lässt. Wir müssen haben wir, die Koalitionsfraktionen, einen Antrag imklären, welche Straftaten im Ausland das Gesetz umfas- Deutschen Bundestag eingebracht mit der Bitte an die sen soll. Begrenzt man die Entschädigung auf schwere Bundesregierung, zu prüfen, inwieweit das Opferent-Fälle wie Terroranschläge oder Ähnliches? Wie kann schädigungsgesetz auf deutsche Opfer von Verbrechen, man eine sinnvolle Abgrenzung finden? Schließlich die im Ausland begangen wurden, ausgedehnt oder wie müssen wir uns überlegen, wie es mit der Selbstgefähr- auf andere Weise der Schutz verbessert werden kann.dung aussieht. Muss der Staat die Verantwortung für Dieser Antrag liegt federführend beim Rechtsausschuss, Touristen übernehmen, die sich selbst in riskante Situati- der jedoch noch nicht abschließend darüber befundenonen in gefährlichen Ländern begeben? hat. All diese Fragen sind zuklären. Sie als Opposition Ich denke, wir alle – auch Sie von der Union – sollten geben darauf in Ihrem Gesetzentwurf keine Antwort. ein Interesse daran haben, zu einer praktikablen und vielleicht auch einvernehmlichen Lösung zu kommen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Vor einer abschließenden Beratung gibt es eben noch Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des eine Reihe von Fragen und Punkten inhaltlicher Art, die Kollegen Kauder? ungeklärt sind. (Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ Karsten Schönfeld (SPD): CSU]: Welche?) Ich gestatte keine Zwischenfrage. Ich halte die De- batte heute insgesamt für unnötig und will sie nicht noch – Darauf komme ich jetzt. – Sie versuchen, die heutige durch Zwischenfragen unnötig verlängern. Debatte zu nutzen, um uns vorzuwerfen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Jörg van Essen [FDP]: Und zwar sehr berech- DIE GRÜNEN) tigt vorzuwerfen!) Ich sagte, eine Reihe von Fragen sei noch zu klären. (B) wir würden uns nicht um deutsche Verbrechens- oder Ter- Sie als Opposition geben in Ihrem Gesetzentwurf darauf (D) rorismusopfer im Ausland kümmern. Sie selbst wissen, leider keine Antworten. Anstatt die Sache im Ausschuss dass das falsch ist. Jeder weiß, dass mit dem internatio- zu beraten, stellen Sie hier im Plenum einen Antrag zur nalen Terrorismus auch für die in alle Welt Reisenden Erstellung eines Berichtes, was nun wirklich überhaupt die Gefahr gestiegen ist. Das haben die fürchterlichen niemandem nützt. Anschläge in Istanbul oder Madrid gezeigt. Die Bedro- hung ist allgegenwärtig und die Gefahr, dass auch deut- Ihr Verhalten ist durchsichtig. Pünktlich zur Urlaubs- sche Staatsbürger verletzt werden, ist groß. und Reisezeit wollen Sie versuchen, mit diesem Thema zu punkten. Aber es wird Ihnen nicht gelingen, uns hier Die Bundesregierung hat darauf reagiert. Auch in die- den schwarzen Peter zuzuspielen. Sie haben Ihren Ge- sem Jahr werden außerplanmäßige Mittel in Höhe von setzentwurf eingebracht; dann müssen Sie die Beratun- 9 Millionen Euro in einen Hilfsfonds für Opfer von ter- gen selbst vorantreiben. Es ist nicht Aufgabe der Koali- roristischer Gewalt eingestellt. Aus dem Fonds können tion, die Initiativen der Opposition vorwärts zu bringen. finanzielle Hilfen zur Milderung besonderer, unbilliger Wir machen lieber unsere eigenen und die dafür richtig. Härten gewährt werden. Er steht Personen offen, die in Deutschland oder im Ausland durch terroristische Straf- Vielen Dank. taten verletzt wurden, aber auch Eltern, Kindern sowie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ehe- und Lebenspartnern von Opfern solcher Anschläge. DIE GRÜNEN) Bisher wurden beispielsweise Härtefallleistungen an Opfer und Hinterbliebene der Terroranschläge vom Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: 11. September 2001 ausgezahlt. Das Gleiche gilt für Op- Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder, fer und Angehörige der Anschläge auf Djerba CDU/CSU-Fraktion. am 11. April 2002 und auf Bali am 12. Oktober des gleichen Jahres. Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, ich betone es noch einmal: Herr Kollege Schönfeld, nachdem Sie, wohl aus gu- Wir stehen einer Verbesserung des Schutzes deutscher tem Grund, eine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, Opfer von Straftaten im Ausland offen gegenüber; das können wir das Problem ja mit meinem Redebeitrag klä- haben wir auch anlässlich der ersten Debatte zu Ihrem ren. Ich empfehle Ihnen, § 2 Abs. 1 des Opferentschädi- Gesetzentwurf erklärt. Aber wenn wir etwas machen,gungsgesetzes nachzulesen. Dann sehen Sie, dass es dort dann machen wir dies richtig. Dazu müssen nocheine Versagungsgründe gibt, die auch dann wirksam werden, Reihe von Fragen geklärt werden. wenn ein deutscher Tourist in ein Krisengebiet reist. 10790 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (A) Manchmal ist das Lesen eines Gesetzes besser, als Fra- dieses Ereignisses nicht mehr arbeiten kann? Fehlan-(C) gen aufzuwerfen, die schon beantwortet worden sind. zeige. Da hört die Solidarität des deutschen Staates auf. Es war eine Auslandstat und deshalb besteht kein Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg schädigungsanspruch. van Essen [FDP]: Genauso ist es!) Was schreibe ich diesem Ehemann und Vater? Seit Meine Damen und Herren, die erste Initiative – das Monaten liegt diese Akte mit dem Petitionsersuchen auf sollte man fairerweise auch einmal sagen – ging von der meinem Schreibtisch. Ich hoffe immer, berichten zu kön- FDP aus. Die FDP hat die Bundesregierung aufgefor- nen, dass der Deutsche Bundestag dieses Problem nicht dert, im Hinblick auf die Attentate in New York, auf vor sich her schiebt, sondern entscheidet. Djerba und Bali das Opferentschädigungsgesetz zu über- arbeiten. Das war sicherlich nicht populistisch, sondern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den damaligen Ereignissen angemessen. Herr Kollege Schönfeld, ich finde es wenig sensibel, Ich erlaube mir daran zu erinnern, was der scheidende wenn Sie vor diesem Hintergrund glauben, uns und ins- Bundespräsident heute Morgen gesagt hat. Er sagte,besondere mir den Vorwurf machen zu können, wir wür- seine schwierigste Rede sei die nach dem Amoklauf im den dieses Thema aus populistischen Gründen genau vor Gutenberg-Gymnasium in Erfurt gewesen, den Hin- der Ferienzeit wieder aufgreifen. Der Hintergrund ist ein terbliebenen dieser Opfer sagen zu müssen, dass das ein ganz anderer, den Sie möglicherweise nicht kennen kön- schreckliches Ereignis gewesen ist, das keiner hat ver- nen. In der Tat war es so, dass wir von der CDU/CSU- hindern können, und dass sieunser aller Mitleid, unser Bundestagsfraktion uns in der letzten Sitzung des aller Zuwendung und unser aller Fürsorge bedürfen. Die Rechtsausschusses bereit erklärt haben, den Tagesord- Hinterbliebenen dieses Attentats in Erfurt sind – bei al- nungspunkt Opferentschädigungsgesetz wieder einmal lem Leid, das wir beklagen müssen – besser gefahren als zu vertagen, und zwar weil die Regierungskoalition die Hinterbliebenen der Opfer in New York, auf Djerba Bedenken angemeldet und erklärt hat, man müsse noch und Bali; denn nur wenn eine Straftat in Deutschland be- einiges miteinander diskutieren, man werde aber recht- gangen worden ist, besteht ein Anspruch nach dem Op- zeitig vor der Sommerpause einen Alternativentwurf ferentschädigungsgesetz. vorlegen. Ich sah es als eine Frage der Fairness an, den Warum bekommen die Hinterbliebenen der Opfer der Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen die Attentate in New York, auf Djerba und Bali keine Opfer- Gelegenheit zu geben, ihre Bedenken zu artikulieren. entschädigung? Man kann das rechtsdogmatisch damit Nur, meine Damen und Herren von der Regierungskoali- zu begründen versuchen, dass man sagt, der Entschädi- tion, ich höre keine Bedenken. Es gehört dann auch zur Fairness, dass man – vielleicht berechtigterweise vorhan- (B) gungsanspruch sei daran geknüpft, dass das staatliche (D) Gewaltmonopol versagt habe und der Schutz des Staates dene – Bedenken artikuliert, so wie sie von Herrn Kolle- vor Attentaten nicht gelungen sei. Das wird immer wie- gen Montag bei der Debatte im Bundestag vorgebracht derholt, aber deswegen ist es nicht wahrer. Es ist falsch. worden sind, nämlich dass man auch die europäischen Ausländer, die in Deutschland wohnen, am Opferent- Es ist einer Entscheidung des Bundessozialgerichts schädigungsgesetz partizipieren lassen muss, wenn die entnommen. Ich empfehle, das Bundestagsprotokoll der Straftat im Ausland stattgefunden hat. Sie wissen es, Sitzung vom 21. Juli 1971 nachzulesen. Die Motivation Herr Kollege Montag: Ich habe Ihr Anliegen sofort in un- des Gesetzgebers war eine ganz andere. Man hatte näm- seren Entwurf eingebaut. lich erkannt, dass die Hinterbliebenen und die überle- benden Opfer von Gewalttaten der Hilfe der Solidarge- Nicht reagieren ist das Hinterhältige, Herr Kollege meinschaft bedürfen und man sie aus sozialen Gründen Schönfeld; darüber bitte ich nachzudenken. Wir sind den unterstützen muss. Deswegen ist das Opferentschädi-Hinterbliebenen der Opfer von Straftaten verpflichtet; gungsgesetz beim Ministerium für Gesundheit und So- wir müssen reagieren. Ich habe mir – ich war bei der ziale Sicherung richtig aufgehoben; es gehört nicht zum Entwicklung dieses Entwurfes federführend – sehr viel Justizministerium. Mühe gegeben, das in die bestehende Gesetzessystema- tik einzubauen; die Versagungsgründe brauchte ich nicht Meine Damen und Herren, vor dramatischen Ereig- aufzunehmen. Deswegen verletzt mich Ihre Häme, die nissen, bei denen viele Menschen ums Leben gekommen Sie dabei entwickelt haben. sind, verblasst das Einzelschicksal allzu schnell. Am 27. November 2001 verstarb Ruth T. auf den Kapverdi- (Jörg van Essen [FDP]: Sehr zu Recht!) schen Inseln. Sie starb keines natürlichen Todes, sie wurde von einem geisteskranken Täter erschossen. Die Ich habe das Opferentschädigungsgesetz genau verfolgt. Tochter überlebte schwer verletzt. Der hinterbliebeneIch lasse mir den Schuh, ich würde die jetzige Debatte Rentner und Vater der Tochter hat sich hilfesuchend an aus populistischen Gründen wollen, nicht anziehen. den Petitionsausschuss gewandt. Die Aufzählung der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bedürfnisse dieses hinterbliebenen Ehemannes und Va- ters der geschädigten Tochter klingt nahezu makaber: Opfer von Straftaten sind nicht nur Opfer terroristi- Wer zahlt mir die Kosten für die Überführung des Leich- scher Angriffe. Ruth T. stand keinem Terroristen gegen- nams meiner Frau? Wer ersetzt mir die unnütz aufge-über. Die Sachlage ist nicht anders als bei dem jungen wendeten Flugkosten der Rückreise? Wer kümmert sich Mann, der mit einer vorgehaltenen Langwaffe das Gu- um meine traumatisch geschädigte Tochter, die aufgrund tenberg-Gymnasium in Erfurt gestürmt hat. Der Unter- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10791

Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (A) schied liegt nur darin, dass der Vorfall auf den Kapverdi- verlieren. Ich habe eine gar nicht so alte Stellungnahme (C) schen Inseln stattfand und nicht in Deutschland. der Bundesregierung vom 31. Oktober 2003, in der da- rauf verwiesen wird, dass das Opferentschädigungsge- Ich greife das Angebot meiner Kolleginnen und Kol- setz angeblich nur diejenigen schützen könne, die der legen des Rechtsausschusses sehr gerne auf – Herrdeutsche Staat – durch sein Gewaltmonopol schützen Kollege Montag, dafür bin ich Ihnen außerordentlichkönne. Deswegen sei es nicht möglich, Vorfälle im Aus- dankbar –, dass wir uns möglichst in der ersten Sitzungs- land mit einzubeziehen. woche nach der Sommerpause zusammensetzen. Ich wäre Ihnen allerdings sehr verbunden, wenn Sie mir Herr Kollege Ströbele hat in der Debatte dazu auf den rechtzeitig die Bedenken anzeigen, die Sie noch haben; Fall in Mölln hingewiesen. Da sind Besucher der Familie denn ich bin der Meinung, die Hinterbliebenen der Opfer Genç aus der Türkei in Deutschland Opfer eines Verbre- von Straftaten und die überlebenden Opfer haben einen chens geworden. Sie waren in Deutschland, aber der Anspruch darauf, dass wir – damit meine ich alle Mit- Schutz des deutschen Staates konnte nicht gewährt wer- glieder des Deutschen Bundestages – Solidarität zeigen den. Das Opferentschädigungsgesetz griff für diese und nicht den Eindruck erwecken, wir würden Ge-Menschen nicht. Das ist der erste Punkt, den wir im Ge- schäftsordnungsdebatten führen. Das ist nicht mein An- setz haben wollen; er ist bis jetzt nicht im Gesetzentwurf liegen. enthalten, auch, wie ich glaube, in Ihrem Vorschlag nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der zweite Punkt: Wir versuchen zwar, Opfern terroristi- scher Anschläge mit einem eigenen Fonds zu helfen. Aber im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes geht es auch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: um die normale, gemeine Kriminalität. Da muss man unter- Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag, Bünd- scheiden – das kann man nach dem geltenden Recht auch – nis 90/Die Grünen. ob sich jemand sehenden Auges in ein Krisengebiet begibt und ihm dann etwa im Dschungel von Borneo irgendein Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Leid geschieht – tut mir Leid, dem kann man vielleicht Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! nicht so helfen – oder ob jemand, der eine Pauschalreise Es gibt bei den Anträgen nach § 62 der Geschäftsord- macht, beim Besuch einer Synagoge im Mittelmeerraum nung, wegen Untätigkeit hier Bericht zu erstatten, solche Opfer einer Straftat wird. Die müssen wir gemeinsam und solche Anträge. Ihr Antrag bezüglich Graffiti ge-klären; das ist bisher noch nicht geschehen. hörte zu der ersten Sorte; das war der Pausenfüller für Ich finde, es muss ein anderer Ansatz her; das wäre (B) die Sommerpause. Herr Kollege Schönfeld, ich bin aber mein drittes und letztes Argument: Wir sollen im Rah-(D) dafür, diesen Antrag etwas nachdenklicher zu diskutie- men des Opferentschädigungsgesetzes dazu kommen, ren. eine letzte Schutzpflicht für diejenigen Opfer zu über- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nehmen, die in Deutschland als deutsche Staatsangehö- rige oder mit gesichertem Aufenthaltsstatus – als „fakti- Ich glaube, dass es Sinn macht, wenn wir alle unssche Inländer“, wie ich sie nenne – leben und im selbstkritisch überlegen, warum das eigentlich so lange Auslandsurlaub Opfer von Straftaten werden. Ihre Aus- dauert. Ein bisschen hängt das damit zusammen – ich führung, Herr Kollege Kauder, mit dem Hinweis auf das will keinem Unrecht tun, aber ich habe das Gefühl, dass geltende Recht bezieht sich nur auf dieAusländer aus es so ist –, dass diejenigen, die sich im Hause bei diesem der EU. Ich möchte gerne, dass diejenigen Menschen Thema nach vorne bewegen, eher die Rechtspolitiker – egal welcher Staatsangehörigkeit –, die in Deutschland sind. ihre Heimat haben, die hier seit Geburt oder schon sehr lange Zeit leben, wenn sie im Auslandsurlaub Opfer ei- (Jörg van Essen [FDP]: Genau!) ner Straftat werden, so behandelt werden wie deutsche Die ersten beiden Namen auf dem Antrag von Ihnen,Staatsangehörige auch. Herr Kollege van Essen, waren von Rechtspolitikern. Der Antrag, den die Koalition eingebracht hat, trägt auch (Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele am Anfang die Namen von Rechtspolitikern – der SPD [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und von uns, den Grünen. Dann passierte etwas, was für Das sind die drei Punkte, die ich gerne in die Neufas- die Sachbehandlung nicht so günstig war: Der Gesetz- sung des Opferentschädigungsgesetzes aufnehmen entwurf wanderte zum Ausschuss für Gesundheit und würde. Ich sage es ausdrücklich: Ich bedaure es außeror- Soziale Sicherung; da gehört er auch hin. Aber die bei- dentlich, dass wir noch nicht weitergekommen sind. Es den Anträge, der von Ihnen, Herr Kollege van Essen,ist der Sache nicht angemessen, irgendjemandem die von der FDP, und auch der von uns, von der Regierungs- Schuld zuzuweisen. Ich fände es gut, wenn wir uns nach koalition, wanderten zum Rechtsausschuss. Das ist keine der Sommerpause zusammensetzen und gemeinsam an gute Situation. Ich finde, wir sollten angesichts der Be- der Sache arbeiten würden. deutung dieses Themas zusehen, hier wieder Fahrt auf- zunehmen. Danke. Wir sollten aber vielleicht auch in einer Diskussion (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach § 62 der Geschäftsordnung einige Worte zur Sache sowie bei Abgeordneten der SPD) 10792 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dass wir diese Debatte führen konnten. Die FDP wird(C) Nun erteile ich dem Kollegen Jörg van Essen für die kräftig dabei mithelfen, dass in Zukunft Opfer von Straf- FDP-Fraktion das Wort. taten im Ausland genauso geschützt sind wie Opfer von Straftaten im Inland. Jörg van Essen (FDP): Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede des Kollegen Montag hat gezeigt, wie man sich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) auch aufseiten der Koalition dem Thema widmen kann. Herr Schönfeld, ich habe schon seit langem keine Rede Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: mehr gehört, die einem Thema so wenig angemessen Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord- war wie Ihre. Sie haben sich darin gefallen, Vorwürfe ge- nungspunkt. gen die Opposition zu erheben, die völlig unberechtigt Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17: sind. Der Kollege Kauder hat die Vorwürfe beeindru- ckend widerlegt. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Weil uns wichtig war, dass Opfer von Terroranschlä- Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes gen, beispielsweise auf Djerba und Bali, nicht auf Almo- und anderer Vorschriften (Zweites Zivildienstge- sen, auf Gnadenentscheidungen, die immer Zahlungen setzänderungsgesetz – 2. ZDGÄndG) aus einem Fonds zugrunde liegen, angewiesen sind, son- dern einen Rechtsanspruch haben, den sie auch einkla- – Drucksache 15/3279 – gen können, haben wir schon vor zwei Jahren die Bun- (Erste Beratung 114. Sitzung) desregierung aufgefordert, tätig zu werden. All die – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Fragen, die zum Teil berechtigterweise gestellt worden neten Ina Lenke, Klaus Haupt, Daniel Bahr sind, hätten längst beantwortet werden können. (Münster), weiteren Abgeordneten und der Frak- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Zivildienstgesetzes So kompliziert, wie dies zum Teil in der Debatte an- (Zweites Zivildienstgesetzänderungs-gesetz – geführt worden ist, muss man das nicht lösen. Unsere 2. ZDGÄndG) österreichischen Nachbarn haben eindrucksvoll vorge- macht, dass man offensichtlich zu Lösungen kommen – Drucksache 15/2482 – kann, bei denen sichergestellt ist, dass bei Straftaten im (Erste Beratung 114. Sitzung) Ausland der gleiche Schutz gewährt wird wie im Inland. (B) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (D) Herr Montag, wenn es Ihnen gelingt, innerhalb der Koa- ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend lition durchzusetzen, dass auch Personen, die über einen (12. Ausschuss) verfestigten Aufenthaltstatus verfügen, unter den Schutz fallen, dann haben Sie selbstverständlich unsere Unter- – Drucksache 15/3486 – stützung; denn auch diese Personen sind Opfer. Ich bin Berichterstattung: ganz sicher, Herr Kauder, dass auch Sie einer solchen Abgeordnete Anton Schaaf Lösung zustimmen würden. Von daher ein klares Ja zu Thomas Dörflinger Ihren Vorstellungen. Wir befinden uns aber in der Ver- Jutta Dümpe-Krüger pflichtung, hier schnell zu Ergebnissen zu kommen. Ina Lenke (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Siegfried Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Djerba und Bali haben gezeigt: Deutsche sind Reise- keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. weltmeister. Wenn irgendwo von islamistischen Funda- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- mentalisten ein Anschlag verübt wird, sind immer auch nächst für die Bundesregierung der Parlamentarischen Deutsche betroffen, und zwar schlimm. Die Opfer sol- Staatssekretärin Frau Riemann-Hanewinckel. cher Anschläge haben Anspruch darauf, dass wir die Frage, die sich hier stellt, warum sie nämlich nicht in Parl. Staatssekre- gleicher Weise geschützt werden wie Terroropfer im In- Christel Riemann-Hanewinckel, tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, land, beantworten. Wir werden Druck machen. Ich bin Frauen und Jugend: ganz sicher, Herr Kauder, dass Sie dabei mitmachen. Es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ist das Angebot unterbreitet worden, unmittelbar nach freue mich sehr, dass wir heute Abend die zweite und der Sommerpause zu einer Lösung zu kommen. Frau dritte Lesung des Zivildienständerungsgesetzes haben. Hendricks vom Finanzministerium ist hier. Ich hoffe, das Das Parlament hat sehr zügig beraten. Finanzministerium macht mit; auch Sie stehen in der Verantwortung. (Ina Lenke [FDP]: Ja, ja!) Wenn es tatsächlich so ist, dass wir eine Lösung fin- Dafür danke ich ganz herzlich allen Beteiligten. den, dann hat sich im Übrigen gezeigt, Herr Schönfeld, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dass die heutige Debatte nicht überflüssig war. Vielmehr sind wir ein Stück vorangekommen. Ich bin dankbar,– Es lohnt sich, dafür zu klatschen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10793

Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel (A) Die Änderungen, die wir heute Abend auf den Weg Zum siebten Änderungspunkt. Zu der bisherigen so(C) bringen, sind sinnvoll und notwendig für die Zivildienst- genannten Drittel-Regelung ist zu sagen, dass sich ei- leistenden, genauso aber auch für alle diejenigen, die ih- gentlich nichts ändert, sondern dass Klarheit geschaffen ren Zivildienstleistenden dringend brauchen. wird. Im Fachausschuss ist das noch deutlicher diskutiert und geklärt worden. Die erste und wichtigste Änderung, die wir vornehmen, ist zugleich eine zentrale Forderung der Kommission „Im- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ pulse für die Zivilgesellschaft – Perspektiven für Freiwilli- DIE GRÜNEN) gendienste und Zivildienst in Deutschland“, die die Minis- terin eingesetzt hat. Am 15. Januar 2004 Das heißt, wir werden das in Übereinstimmung mit der hatte die Kommission ihre Empfehlungen vorgelegt. Die Rechtsprechung und der Praxis jetzt auch im Gesetz re- parlamentarische Begleitgruppe der Kommission und der geln. Bundesrat hatten die gleiche Forderung erhoben: Die Dauer des Zivildienstes darf die Dauer des Grundwehrdienstes (Ina Lenke [FDP]: Das müssen Sie auch; denn nicht überschreiten. In Zukunft dauert der Zivildienst so ansonsten manifestieren Sie die Wehrunge- lange wie der Grundwehrdienst. Das verfassungsrechtlich rechtigkeit!) gebotene Belastungsgleichgewicht von Wehrdienst und Zivildienst erfordert keine längere Zivildienstdauer mehr. An dieser Stelle bleibt also alles beim Alten, aber es wird endlich verständlicher. Ich möchte aber auch auf die anderen Punkte noch kurz eingehen: Zum achten Änderungspunkt. Im Bereich der freiwil- ligen Jahre nach § 14 c Zivildienstgesetz wird der Ur- Zweiter Punkt. In Zukunft werden die Wehrpflichti- laubsanspruch von 24 Tage auf 26 Tage heraufgesetzt. gen – das sind Wehrdienst- und Zivildienstpflichtige – in der Regel nur noch bis zur Vollendung des 23. Lebens- Zum neunten Änderungspunkt, der aus meiner Sicht jahres einberufen. Die bisher bestehendeRegelalters- einer der wichtigsten ist. Wir werden diefreiwilligen grenze von 25 Jahren wird also auf 23 Jahre abgesenkt. Jahre auch in Zukunft über den Kinder- und Jugendplan und über § 14 c Zivildienstgesetz sehr stark fördern. Un- Dritter Punkt. Wehrpflichtige, die nach Erlangung der ser Engagement ist auch im europäischen Vergleich allgemeinen Hochschul- oder Fachhochschulreife eine wirklich gut und beispiellos: Derzeit werden etwa betriebliche Ausbildung aufgenommen haben, werden 16 Millionen Euro aus dem Kinder- und Jugendplan des auf Antrag zurückgestellt. Bundes und 11 Millionen Euro aus den Mitteln des Bun- (B) Vierter Punkt. Die so genannte Dritte-Söhne-Regelung desamtes für den Zivildienst für die gesetzlich geregel- (D) wird ergänzt. Auch dritte Söhne, deren Brüder Zivil-ten Freiwilligendienste „freiwilliges soziales Jahr“ und schutz oder Katastrophenschutz, einen anderen Dienst „freiwilliges ökologisches Jahr“ zur Verfügung gestellt. im Ausland oder aber ein freiwilliges Jahr nach § 14 c Bis zum Ende des Haushaltsjahres werden voraussicht- Zivildienstgesetz absolviert haben, sind auf Antrag vom lich sogar über 12 Millionen Euro aus Zivildienstmitteln Zivildienst zu befreien. Der im Fachausschuss beschlos- nach § 14 c Zivildienstgesetz für das freiwillige soziale sene Änderungsantrag geht sogar noch ein Stück darüber Jahr und das freiwillige ökologische Jahr zur Verfügung hinaus. gestellt werden. Insgesamt werden also 18 500 Plätze über den KJP und über § 14 c Zivildienstgesetz gefördert Zum fünften Punkt. Es gilt außerdem: Wer verheiratet bzw. bezuschusst. Unser Engagement wird an dieser ist, eingetragener Lebenspartner ist oder die elterliche Stelle auch in Zukunft hoch bleiben. Sorge gemeinsam oder als Alleinerziehender ausübt, wird in Zukunft auf Antrag ebenfalls vom Zivildienst be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ freit. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Liebe Kolleginnen und Kollegen, im parlamentari- DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Der ist an- schen Verfahren sind noch weitere Änderungen zum scheinend unfähig, Wehrpflichtiger zu sein!) Entwurf der Bundesregierung beschlossen worden. Mein Sechster Änderungspunkt. § 36 a Zivildienstgesetz Kollege Andreas Weigel und die Kollegin Dümpe- wird aufgehoben. Inhalte der Seminare werden in dieKrüger werden noch intensiv darauf eingehen. Einführungslehrgänge nach § 25 a Zivildienstgesetz in- tegriert. Wir ermöglichen so die Einführungslehrgänge Uns liegt jetzt eine Gesetzesänderung vor, die von für alle Zivildienstleistenden. Alle Zivildienstleistende den unterschiedlichsten Seiten gewollt wurde. Es ist ein werden künftig eine Woche in politischer Bildung unter- sinnvoller und notwendiger Gesetzentwurf, er ist ausge- wiesen werden. wogen und bedacht. Deshalb bitte ich Sie heute Abend um Ihre Zustimmung. (Ina Lenke [FDP]: Wieso? Das war doch vor- her auch schon so!) Herzlichen Dank. Wer will, kann auch in Zukunft privat angebotene Semi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nare, die dem bisherigen § 36 a Zivildienstgesetz ent- DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Ja, bedacht sprechen, von sich aus besuchen. ist er, das glaube ich!) 10794 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) Das Wort hat der Kollege Thomas Dörflinger, CDU/ Peter Dreßen [SPD]: Das ist Haarspalterei, CSU-Fraktion. was Sie da machen! – Anton Schaaf [SPD]: Das tun wir nicht, Herr Dörflinger! Das wissen Sie!) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Interessant ist auch Folgendes: Wenn Sie sich an die Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staats- vielen Debatten erinnern, die wir geführt haben, seit Sie sekretärin, es wird Sie überraschen, aber ich stimme mit den Zivildienst von damals 13 auf zunächst elf, dann auf einer Bemerkung, die Sie gemacht haben, überein, näm- zehn und jetzt auf neun Monate verkürzt haben, dann lich dass dieses Gesetz bedacht sei. fällt auf, dass sich die sition Po der Verbände zu der ursprünglichen Verkürzung von 13 auf elf Monate von (Ina Lenke [FDP]: Genau!) der heutigen Position insoweit unterscheidet, als die Ver- bände offensichtlich bereits zur Kenntnis genommen Es ist sogar durchdacht. haben und in ihre Planungen einbeziehen, dass der Zivil- Ich habe bei vielen Debatten zum Zivildienst, die wir dienst ein Auslaufmodell ist. Dass sich die Verbände in diesem Haus miteinander geführt haben, mehrmals er- nicht massiv gegen diese erneute Kürzung gewehrt klärt, dass mir hinter dem, was Sie tun, ein stringentes haben, mögen Sie der vermeintlichen Tatsache zuschrei- Konzept fehle. Ich muss diese Aussage am heutigen Tag ben, dass sie Ihre Politik akzeptieren. Tatsache – das insoweit korrigieren, als mir mittlerweile aufgegangen werden Sie in Gesprächen in den Wahlkreisen vor Ort ist, dass hinter Ihrem Handeln sehr wohl ein Konzeptfeststellen – ist, dass sich die Verbände damit abgefun- steckt. Sie versuchen einer Debatte auszuweichen, die den haben, dass der Zivildienst ein Auslaufmodell ist Sie seit 1998 längst hätten führen müssen: Sind wir nun und sie deswegen bereits für eine Zukunft ohne Zivil- für oder gegen die Wehrpflicht? Da Sie diese Debattedienst planen. aus den bekannten Gründen nicht führen, versuchen Sie (Anton Schaaf [SPD]: Wenn überhaupt, dann über das Vehikel Zivildienst Fakten zu schaffen, die Sie ist die Wehrpflicht ein Auslaufmodell, weil der anschließend dieser Debatte entheben. Das ist nicht in Zivildienst davon abhängt! Das wissen Sie ge- Ordnung. nauso gut wie ich! – Gegenruf der Abg. Ina (Beifall bei der CDU/CSU) Lenke [FDP]: Das stimmt! Die Verbände ha- ben sich schon darauf eingerichtet!) Wir kennen die unterschiedlichen Positionen in dieser Koalition und auch in diesem Kabinett. Ich nenne bei- Wenn man Papiere, die man gelesen hat, nicht weg- (B) (D) spielsweise den Bundesminister der Verteidigung und wirft, sondern aufbewahrt, beispielsweise den Koali- die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und tionsvertrag von 2002, und sie noch einmal liest, dann Jugend. Es wäre dem Thema angemessen gewesen,wird man über den Inhalt überrascht sein. Nun ist dieser wenn Sie endlich den Versuch unternommen hätten,Vertrag zwar schon zwei Jahre alt, aber ich darf nichts- diese Positionen klar darlegen. Stattdessen schaffen Sie destoweniger daraus zitieren. Dort steht: Fakten, die Sie, wie gesagt, dieser Diskussion entheben. Der Zivildienst als staatlicher Pflichtdienst wird zu- Dabei wäre es interessant gewesen, einen Blick in die künftig stärker als qualifizierender Lerndienst für Begründung zu werfen, die das Verwaltungsgericht Köln junge Männer ausgestaltet. Dazu wird den Zivil- in seinem Urteil gegeben hat. Es hat dabei eine Entschei- dienstleistenden im Rahmen ihres Dienstes ein breit dung des Bundesverwaltungsgerichts von 1993 zitiert. gefächertes Qualifizierungsangebot in sozialen, Dort steht, dass „eine erhebliche und andauernde Ab- ökologischen und politischen Themenfeldern ange- nahme des Bedarfs der Bundeswehr an Wehrpflichtigen boten werden. Die Einführungslehrgänge werden dem Gesetzgeber für den Fall der Beibehaltung der all- fortgeführt. gemeinen Wehrpflicht unter dem Blickwinkel des Ge- Nun stellen wir jedoch fest, dass § 36 a des Zivil- bots der Wehrgerechtigkeit zwingenden Anlass geben“ dienstgesetzes gestrichen wird. Das passt wohl nicht soll ganz zusammen. die Wehrdienstausnahmen und zugleich das Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hältnis von Wehr- und Zivildienst … neu zu regeln, um die von der Verfassung gebotene umfassende Wir können uns gerne darüber unterhalten, wo wir effi- und gleichmäßige Heranziehung aller Wehrpflichti- zientere Strukturen schaffen und wo wir verschlanken. gen zu einer Dienstleistung sicherzustellen. Aber wenn Sie den Einführungslehrgang und den staats- bürgerlichen Unterricht für Zivildienstleistende – das (Ina Lenke [FDP]: Aller!) sind bisher zwei Paar Stiefel – zusammenfassen, dann ist klar, dass sowohl quantitativ als auch qualitativ die neue Wohlgemerkt: Es ist die Rede von der Heranziehung Regelung mit der alten Regelung nicht identisch sein aller Wehrpflichtigen; es ist nicht die Rede von einerkann. Sie müssen sich an dem messen lassen, was Sie rechnerischen Gerechtigkeit in Bezug auf diejenigen, die selbst im Koalitionsvertrag festgelegt haben. zum Wehrdienst oder Zivildienst herangezogen werden. Denn das ist ein großer Unterschied. Dieser Debatte wei- Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. chen Sie nach wie vor aus. Von dieser Stelle aus hat heute Morgen jemand eine Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10795

Thomas Dörflinger (A) Rede gehalten, die bei allen Fraktionen in diesem Hause rungen genannt. Wir haben uns noch mehr vorgenom-(C) zu Recht auf großen Beifall gestoßen ist. Eines ist inte- men und wir haben das auch umgesetzt. Wir haben ge- ressant, vor dem Hintergrund der Reformdiskussion, die sagt, dass wir die Freiwilligendienste stärken wollen. wir alle unter den veränderten Bedingungen zu führen Deshalb erkennen wir bürgerschaftliches Engagement an haben: Sie verkürzen die Dienstzeit von zehn auf neun und bauen es aus. Trotz schwieriger Haushaltslage haben Monate, aber – bei allem Respekt vor Zivildienstleisten- wir die Mittel für die Freiwilligendienste nach § 14 c Zi- den – erhöhen gleichzeitig den Urlaubsanspruch vonvildienstgesetz gesichert. Damit gewährleisten wir, dass 24 auf 26 Tage. Das passt nicht ganz zusammen. die Einsatzstellen auch weiterhin ihre pädagogisch wich- tige Arbeit durchführen können, und stärken auch die (Beifall bei der CDU/CSU – Ina Lenke [FDP]: wachsende gesellschaftspolitische Akzeptanz dieser Das ist unmöglich!) Dienste. Wir Grüne werden maßgeblich weiter daran ar- Das ist kein guter Tag für den Zivildienst in Deutsch-beiten, eine lebendige Zivilgesellschaft zu entwickeln. land. Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab. Dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um unsere Vision von einer starken Zivilge- Herzlichen Dank. sellschaft zu verwirklichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dümpe-Krüger, Wir wollen größtmögliche Gerechtigkeit bei den Ein- Bündnis 90/Die Grünen. berufungskriterien. Deswegen haben wir mit unseren Änderungsanträgen dafür gesorgt, dass die Kriterien für junge Männer, die ein Hochschul- oder Fachhochschul- Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- studium absolvieren, noch genauer definiert wurden, als NEN): es der ursprüngliche Gesetzentwurf vorsah. Wir wollen Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- bürgerschaftliches Engagement anerkennen und aus- gen! Herr Kollege Dörflinger, ich fange mit einer Be- bauen. Deswegen schaffen wir auch für junge Frauen richtigung an. Wenn Sie zugehört hätten, dann wüssten Anerkennung und sagen: Dritte Brüder, deren zwei Ge- Sie – das hat Frau Riemann-Hanewinckel schon ge-schwister ein freiwilliges Jahr entsprechend den Geset- sagt –, dass künftig alle Zivildienstleistenden an diesen zen abgeleistet haben, werden nicht mehr eingezogen. Einführungslehrgängen teilnehmen. Bisher waren das 5 Prozent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (B) Heute ist im Gegensatz zu dem, was Sie gerade darge- (D) stellt haben, ein sehr guter Tag für denZivildienst und Das bedeutet: Auch das freiwillige Engagement von jun- auch für die Freiwilligendienste in Deutschland. Heute gen Frauen wird in besonderem Maße anerkannt. Das ist auch ein guter Tag für Rot-Grün, denn wir haben es stärkt bürgerschaftliches Engagement und sorgt außer- mit dem Zweiten Zivildienstgesetzänderungsgesetz und dem für mehr Gleichberechtigung. drei Änderungsanträgen geschafft, aus einem guten Ge- setz ein noch viel besseres Gesetz zu machen. Wir schaf- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: fen Rechtssicherheit für viele junge Männer. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegin Lenke? und bei der SPD – Ina Lenke [FDP]: Sie schaf- fen Rechtssicherheit für die Wehrpflicht und Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nichts anderes!) NEN): Wir definieren gezielt, wer künftig noch Wehr- oder Zi- Ja, Herr Präsident. Ich gestatte eine Zwischenfrage. vildienst leisten muss. Damit machen wir Lebenswege (Dr. Uwe Küster [SPD]: In sechs Minuten ist planbarer. Wir beginnen zukunftsweisend damit, den Anstoß! – Gegenruf des Abg. Thomas Übergang für die Zeit nach dem Wehr- oder Zivildienst Dörflinger [CDU/CSU]: Ruhig Blut! Otto zu organisieren. Denn wir wollen den Dreiklang gestal- macht das schon!) ten, besteht aus: Ausbau der freiwilligen Dienste, Stär- kung des bürgerschaftlichen Engagements und Innova- tion durch neue Arbeitsplätze. Ina Lenke (FDP): Liebe Kollegin, ich freue mich, dass Sie eine Zwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schenfrage zulassen. Meine Zwischenfrage ist auch sehr und bei der SPD) kurz. Ein ganz wesentlicher Punkt dieses Gesetzes ist zwei- Die Grünen sind seit Jahren für ihre Wählerschaft mit felsohne die Verkürzung des Zivildienstes von zehn auf dem Ziel angetreten, die Wehrpflicht abzuschaffen. Wa- neun Monate. Damit hat Rot-Grün einen wichtigenrum zementieren Sie mit diesem Gesetz die Wehrpflicht? Schritt in Richtung Gleichbehandlung von Wehr- und Zivildienstleistenden getan. Wir sind aber bei diesem (Dr. Uwe Küster [SPD]: Fragen Sie doch mal Ansatz nicht stehen geblieben. Frau Riemann-kurz und knapp! Sie gefährden meine Ner- Hanewinckel hat zahlreiche Beispiele für weitere Ände- ven!) 10796 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) NEN): und bei der SPD) Wir zementieren nicht die Wehrpflicht, Frau Lenke; vielmehr benennen wir Beispiele und schaffen Rechtssi- Ich glaube auch, dass es sinnvoll ist, den einen oder an- cherheit. Das habe ich eben schon ausgeführt. deren an dieser Stelle daran zu erinnern, dass diese Än- derung des Zivildienstgesetzes notwendig war. Wir ha- Das, was Sie in Ihrer gestrigen Pressemitteilung ver- ben sie vorgenommen, weil – das belegen Sie selber, öffentlicht haben, Frau Kollegin Lenke – Ausnahmen von der Wehrpflicht (Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Lenke ist von oder dem Zivildienst auf eine gesetzliche Grundlage ge- gestern!) stellt werden sollten. ist nicht richtig. Ich zitiere: Wir wollen – das werden wir auch tun, Herr Dörflinger – die Menschen auf den Weg des Umbaus Die rot-grüne Bundesregierung will morgen immitnehmen. Dass das klappt, zeigt die Praxis. Deutschen Bundestag die von zwei Verwaltungsge- richten festgestellte rechtswidrige Einberufungspra- (Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Das zeigen xis zu Wehr- und Zivildienst per Gesetz festschrei- vor allen Dingen die Wahlergebnisse!) ben. Im Bereich der Schwerstbehindertenbetreuung gelingt es Das unterstellen Sie uns ständig öffentlich. Es ist aber mehr und mehr, die Zahl der Zivis zu verringern und an- Humbug, Frau Lenke, und das wissen Sie selbst. dere Betreuungsmodelle zu etablieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In Bremen zum Beispiel werden Kinder mit Behinde- rungen inzwischen in deutlich überwiegendem Maße Denn Sie schreiben in Ihrer eigenen Pressemitteilung ein von FSJlern statt von Zivis betreut. paar Zeilen später: (Ina Lenke [FDP]: Na also! Es geht doch!) Das Koblenzer Gericht rügte, dass nur ein Gesetz des Parlamentes, nicht aber eine bloße Verwal-In Hannover werden Zivildienstplätze in Ausbildungs- tungsvorschrift Wehrpflichtausnahmen regelnplätze umgewandelt. könne. (Ina Lenke [FDP]: Das ist doch Klasse!) Genau das tun wir heute mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf: Wir regeln die Wehrpflichtausnahmen. In Stuttgart ist man dabei, neue Berufsbilder auch für äl- tere Menschen zu schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (B) (D) wie bei Abgeordneten der SPD – Anton Schaaf Genau das wollen wir. Diesen Weg gehen wir auch. [SPD]: Jutta, ich will noch etwas fragen!) Genau das macht die Bundesregierung: Wir gehen mit den Menschen vor Ort diesen neuen Weg. Das unter- scheidet uns leider, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Sie nur rückwärts blickend jammern. Möchten Sie nun noch eine Zwischenfrage aus Ihrer eigenen Fraktion zulassen, Frau Kollegin? Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jutta Dümpe-Krüger und bei der SPD) NEN): Ja, natürlich, Anton. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Anton Schaaf (SPD): Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke, FDP-Frak- Sehr geehrte Frau Kollegin Dümpe-Krüger, würden tion. Sie mir Recht geben, dass die Opposition hinsichtlich des Entwurfs zur Änderung des Zivildienstgesetzes, der Ina Lenke (FDP): nun zur Abstimmung vorliegt, Folgendes feststellt: Die Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! einen sagen, dass wir die Wehrpflicht zementieren, wäh- Eine kurze Bemerkung zu den Grünen: Sie verstummen rend die anderen sagen, dass wir sie aushöhlen. in dieser Koalition. (Ina Lenke [FDP]: Beides ist richtig!) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Würden Sie mir Recht geben, dass wir mit unserem Ge- Gerade hat sie doch gesprochen!) setzentwurf wahrscheinlich absolut richtig liegen, wenn Von innovativen Ansätzen zur Abschaffung der Wehr- die Opposition an der Stelle so zerstritten ist? pflicht ist keine Rede. Sie zementieren die Wehrpflicht (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) und werden den Wählern untreu. Die FDP hat bereits im Februar einen eigenen Gesetz- Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- entwurf zur Verkürzung der Zivildienstzeit auf neun Mo- NEN): nate in den Bundestag eingebracht. Obwohl die Regie- Herr Schaaf, ich würde Ihnen von ganzem Herzenrung seit der Vorlage des Kommissionsberichts „Impulse und mit großer Freude an dieser Stelle Recht geben. für die Zivilgesellschaft“ verspricht – – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10797

Ina Lenke (A) (Anton Schaaf [SPD]: Populistischer Unfug! – Auch das Koblenzer Verwaltungsgericht hält diese Rege- (C) Weitere Zurufe von der SPD) lungen der Wehrverwaltung für rechtswidrig. Nun meint Rot-Grün, diesen Mangel durch die Einbindung der bis- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: herigen administrativen Vorschriften in ein Gesetz zu Verehrte Kolleginnen und Kollegen, je lauter es wird, heilen, anstatt die Konsequenz für die Wehrpflicht, also desto mehr Zeit muss ich dem Redner einräumen, damit deren Aussetzung, zu ziehen. Von Wehrgerechtigkeit er das, was er sagen will, auch tatsächlich vermittelnkann doch heute nicht mehr im Geringsten die Rede sein. kann. (Beifall bei der FDP) Nur jeder zweite junge Mann wird heute zum Zivildienst Ina Lenke (FDP): oder zum Wehrdienst herangezogen. Das spiegelt den Vielen Dank, Herr Schaaf, machen Sie weiter so! Schlingerkurs bei der Wehrpflicht innerhalb der Regie- (Beifall bei der FDP – Hans-Christian Ströbele rungskoalition wider. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Redne- Dabei gehen SPD und Grüne nicht nur an den sicher- rin hat doch gesagt, wir verstummen! Das ist heitspolitischen Notwendigkeiten der Bundeswehr der doch nicht wahr! – Gegenruf von der SPD: Zukunft vorbei, sondern auch an den Bedürfnissen jun- Das wollen wir nicht!) ger Männer, die einen zügigen Ausbildungsabschluss an- streben, und zwar ohne Unterbrechung durch einen nicht – Herr Kollege, bitte melden Sie sich zu einer Zwischen- mehr zu rechtfertigenden Wehr- und Zivildienst. frage, wenn Sie etwas von mir wissen wollen. Meine sehr geehrten Damen und Herren – Die Koalition unterbindet eine gründliche Beratung. Die FDP hat eine Anhörung beantragt. Die Koalition und leider auch die CDU/CSU haben eine Anhörung Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: verhindert. Die CDU/CSU hat unseren Antrag aus zeitli- Sie kommen jetzt sicherlich zum Schluss. chen Gründen abgelehnt. Bei Ihnen geschah das aber aus inhaltlichen Gründen. Unstrittig zwischen FDP und Re- Ina Lenke (FDP): gierung ist eine zeitliche Angleichung von Wehr- und – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –, der vor- Zivildienstzeit. Die FDP fordert dies seit vielen Jahren. liegende Gesetzentwurf ist hochgradig unfair. Neun Mo- Strittig ist aber ein großer Teil des restlichen Gesetzent- nate Zwangsdienst werden von Rot-Grün zu einem wurfes, dessen Verfassungsmäßigkeit äußerst fragwür- Schicksal ausgebaut, das ein Lotteriespiel ist. Mit rechts- dig ist. Da dies auch der Koalition bewusst ist, hat sie staatlichen Grundsätzen ist das nicht in Einklang zu brin- keine Anhörung zugelassen. Der Gesetzentwurf wurde gen und wird deshalb von den Liberalen kategorisch ab- (B) (D) bereits am 2. April dieses Jahres dem Bundesrat zugelei- gelehnt. Unser Gesetzentwurf ist eine Zwischenlösung; tet und kurz vor dessen erster Lesung am 10. Juni – das denn unser grundsätzliches Ziel sind die Aussetzung der ist noch gar nicht so lange her – in den Bundestag einge- Wehrpflicht und das Ende des Zivildienstes. bracht. Er soll jetzt unter Zeitdruck beschlossen werden. Das zeigt die ganze scheinheilige Argumentation auf, (Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: die von Rot-Grün geführt wird. Es wäre nämlich jeder- Das ist aber ein langes Schlusswort!) zeit möglich gewesen, ein normales Gesetzgebungsver- fahren mit einer Anhörung durchzuführen. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Andreas (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Weigel für die SPD-Fraktion. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Experten und Expertinnen sind allerdings bei Rot-Grün unerwünscht. Das wird an dieser Stelle überdeutlich. Andreas Weigel (SPD): Besonders durch die Änderungen des Wehrpflichtge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zi- setzes, die die Heranziehung zum Wehr- und Zivil- vildienst und Wehrdienst müssen gleich behandelt wer- dienst betreffen, wird die Wehr- und Zivildienstunge- den. Darum geht es in der heutigen Debatte. Wenn ich rechtigkeit manifestiert; das wissen Sie ganz genau. Der sehe, worüber aufseiten von CDU/CSU und FDP disku- vorliegende Gesetzentwurf ist der verzweifelte Versuch, tiert wird, dann muss ich feststellen, dass das eine Miss- so viele Männer wie möglich per Gesetz aus der Wehr- achtung des Zivildienstes und der Zivildienstleistenden pflicht zu entlassen, damit die Gesamtzahl der heranzu- ist. ziehenden wehrpflichtigen jungen Männer verringert (Beifall bei der SPD) wird. Allerdings werden damit die Vorgaben des Art. 3 des Grundgesetzes – das wissen auch Sie – nicht erfüllt. Wir können über die Wehrpflicht an anderer Stelle inten- Darauf hat schon mein Kollege von der CDU/CSU hin- siv streiten und diskutieren. Aber heute geht es um das gewiesen. Zivildienstgesetz. Wir sollten an dieser Stelle einmal würdigen, was Zivildienstleistende in unserem Land ge- Die damals von Verteidigungsminister Struck erlasse- leistet haben und noch immer leisten. nen Regelungen zur Heranziehung Wehrpflichtiger wa- ren und sind eindeutig rechtswidrig, was folgerichtig (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dazu geführt hat, dass Einberufungsbescheide vom Ver- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der waltungsgericht in Köln außer Vollzug gesetzt wurden. CDU/CSU und der FDP) 10798 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Andreas Weigel (A) Die Diskussion über die Dauer von Zivil- und Wehr- Dann müssen wir andere Dienste – ich denke hier insbe- (C) dienst wird seit Einführung des Ersatzdienstes in dersondere an die Freiwilligendienste – stärken. Bundesrepublik geführt. Es gab Zeiten, in denen der Zi- vildienst vier Monate länger als der Wehrdienst war. Es (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des wird wirklich Zeit, hier eine Angleichung herbeizufüh- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren. Die Zeit, in der behauptet wurde, Zivildienstleis- Die heutige Debatte über die Änderung des Zivil- tende seien Drückeberger, die sich nur vor der Wehr-dienstgesetzes bietet die Gelegenheit zu Maßnahmen, pflicht drücken, ist Gott sei Dank vorbei. die einer Förderung von Freiwilligendiensten zugute (Anton Schaaf [SPD]: Da war die FDP in der kommen. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen Regierungsverantwortung!) setzt hier ein ganz deutliches Zeichen. Zunächst geht es um eine Erweiterung der so genannten Dritte-Söhne-Re- Rund 2,5 Millionen Kriegsdienstverweigerer haben gelung. Bisher war ein junger Mann von der Wehrpflicht seit Einführung des Ersatzdienstes eindrucksvoll ge-befreit, wenn er zwei ältere Brüder hatte, die entweder zeigt, dass sie sehr wohl bereit sind, sich für die Gesell- Wehr- oder Ersatzdienst geleistet haben. Mit dem Regie- schaft einzusetzen. rungsentwurf wird diese Regelung bereits ausgedehnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unser Änderungsantrag geht aber noch weiter: Wir des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) machen aus der Dritte-Söhne-Regelung eine Dritte-Ge- Sie haben über all diese Jahre mit großem Engagement schwister-Regelung. gezeigt, wie wichtig derZivildienst in unserer Gesell- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaft ist. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Ina Lenke [FDP]: Ja!) Das heißt, ein junger Mann, der zwei ältere Geschwister Sie haben gezeigt, dass dieser Dienst genauso hat, an- die Wehrdienst, Zivildienst oder auch einen Freiwil- spruchsvoll wie der Wehrdienst ist. Man kann es auch ligendienst geleistet haben, wird von der Wehrpflicht be- als den Abschluss einer Entwicklung betrachten, dass freit. Damit stärken wir eindeutig die Freiwilligen- der Zivildienst nach Verabschiedung des heutigen Ge- dienste. setzentwurfes endlich genauso lang wie der Wehrdienst Wir stärken mit unserem Änderungsantrag aber dauern wird. ebenso die finanzielle Grundlage dieser Dienste. Auch Ich möchte auf die Kritik eingehen, die vonseiten der auf Empfehlung des Bundesrates wurde noch einmal dis- kutiert, ob die Herabsetzung des Zuschusses für FSJ- (B) CDU/CSU geäußert worden ist. Herr Scheuer kritisierte (D) in seiner zu Protokoll gegebenen Rede in einer vergan- Stellen, die mit einem Pflichtdienstleistenden besetzt genen Debatte, dass der Zivildienst nur noch neun statt sind, sinnvoll ist. zehn Monate dauert. Er meinte, dass damit eine – ich zi- (Ina Lenke [FDP]: Sie geben doch deshalb tiere – „Demontage einer tragenden Säule des Sozial- nicht mehr!) staates“ stattfindet. ( [CDU/CSU]: Salamitaktik!) Eine solche Verminderung des Zuschusses ist eigentlich die Konsequenz eines kürzeren Zivildienstes. Um aber Das klingt dramatisch und ist für mich nicht nachvoll- ein deutliches Zeichen für die Stärkung der Freiwilligen- ziehbar. dienste zu setzen, wollen wir mit unserem Änderungsan- trag die Zuschüsse für die Träger des freiwilligen sozia- Außerdem wollen Sie doch nicht ernsthaft behaupten, len Jahres konstant halten. der Zivildienst müsse länger dauern, weil unsere Sozial- dienste einen längeren Zivildienst brauchten? Eines (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss doch klar sein: Wir können die Dauer des Zivil- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dienstes nicht nach den Anforderungen unseres Sozial- staates ausrichten. In welche Richtung würden solche Wir freuen uns, meine sehr geehrten Damen und Her- Überlegungen denn führen? Wenn wir zu der Auffas-ren von der CDU/CSU, dass Sie diesem Änderungsan- sung kämen, unser Sozialstaat brauchte einen 15 Monate trag im Familienausschuss zugestimmt haben. Das zeigt langen Zivildienst, dann bedeutete das, dass wir infolge- uns, dass es im Deutschen Bundestag eine breite Basis dessen auch die Wehrpflicht auf 15 Monate ausdehnen für bürgerschaftliches Engagement gibt. müssten. Das kann doch in der Tat überhaupt niemand (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wollen. Die Dauer des Zivildienstes muss sich an der Dauer des Wehrdienstes orientieren und nicht umge- Mit dem Zivildienst verbindet man heute Begriffe, die kehrt. für unsere Bürgergesellschaft von hohem Wert sind. En- gagement und Gemeinsinn der Zivildienstleistenden sind (Ina Lenke [FDP]: Jawohl!) beispielhaft. Mit der Gleichsetzung der Dauer des Zivil- Wir müssen uns also etwas anderes einfallen lassen, dienstes und des Wehrdienstes erkennen wir diese Leis- wenn durch die Verkürzung des Zivildienstes tatsächlich tungen an. Versorgungslücken entstehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Ina Lenke [FDP]: Das darf es gar nicht!) DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10799

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Pflichten. Der Entwurf setzt Vorschläge der Kommission (C) Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der „Impulse für die Zivilgesellschaft“ vom Januar dieses Kollege Ernst-Reinhard Beck für die CDU/CSU-Frak- Jahres um, deren Gehalt erkennbar auf die Zeit nach der tion das Wort. Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht zielt. (Anton Schaaf [SPD]: Der Bundesrat hat nur Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): einen Einspruch erhoben!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Kollege Weigel, ich möchte zu- – Lieber Kollege, das war ein Zitat. Nach diesem Kom- nächst an das anknüpfen, was Sie zum Schluss gesagt missionsbericht ist das Ende der Zivildienstpflicht ab- haben, und den Vorwurf, dass unsere Fraktion die Zivil- sehbar. dienstleistenden oder den Zivildienst missachtet, in aller Ich verkenne nicht, dass in den Köpfen unserer jun- Form zurückweisen. gen Menschen entgegen allen einschlägigen gegenteili- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina gen Urteilen des Verfassungsgerichtes längst die Vorstel- Lenke [FDP]) lung vorherrscht, zwischen Wehr- und Zivildienst bestehe ein Wahlrecht. Im Gegenteil, wir haben Respekt vor der Diensterfüllung unserer Zivildienstleistenden, all derer, die in entspre- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Ja!) chenden Organisationen des Zivildienstes oder Katastro- phenschutzes Dienst für die Gemeinschaft leisten, aber Ich verkenne auch nicht,dass einige Begründungen genauso – ich darf das hinzufügen – vor unseren Wehr- für eine längere Dauer des Zivildienstes – nicht alle, aber pflichtigen, die ihren Dienst für dieses Land tun. Dies einige – entfallen sind. So sind zum Beispiel die Wehr- sollten wir festhalten. übungen anders zu gewichten als früher, nachdem in der Reservistenkonzeption das Prinzip Freiwilligkeit festge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und legt ist. Dass der Zivildienst vier Wochen länger dauert, der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP]) wird wohl niemand mehr ernsthaft als Prüfstein für die Echtheit der Gewissensentscheidung anführen. Den- Worum geht es in diesem Gesetz? Es geht vorder- noch wurde dies bei der Abschaffung der so genannten gründig um die Verkürzung des Zivildienstes um einen Gewissensprüfung so festgelegt. Monat, die Herabsetzung der Regelaltersgrenze für die Einberufung zur Bundeswehr und für die Heranziehung Ich zitiere das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das zum Zivildienst von 25 auf 23 Jahre sowie um eine Aus- zur Dauer von Wehr- und Zivildienst Folgendes festge- weitung der Befreiungstatbestände des Wehrpflichtge- stellt hat: (B) setzes und des Zivildienstgesetzes. Meine sehr geehrten (D) Damen und Herren, Sie haben es in diesem Gesetz gele- Das normative Ziel des Art. 12 a Abs. 2 Satz 2 GG sen: Es gibt eine ganze Latte von Ausnahme- und Befrei- besteht darin, ein Gleichgewicht der Belastung von ungstatbeständen. Darin steht, weshalb man nicht Wehr- Wehr- und Ersatzdienstleistenden sicherzustellen; dienst und weshalb man nicht Zivildienst leisten muss. der Ersatzdienstleistende darf im Vergleich zum Wehrdienstleistenden weder besser noch schlechter (Ina Lenke [FDP]: Ja!) gestellt werden. Danach ist es ausgeschlossen, die Der Rest der Betroffenen, der nicht darunter fällt, fragt tatsächliche Dauer von Wehr- und Ersatzdienst völ- sich zu Recht: Warum soll ich dann eigentlich noch die- lig schematisch gleich zu bemessen. sen Dienst leisten? (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Ich habe mein ganzes Leben lang mit jungen Leuten Der Zivildienstleistende erledigt seinen Dienst zu- zu tun gehabt. Ich unterstreiche, dass sie bereit sind, sammenhängend und abschließend, ist in der Regel Pflichten zu übernehmen, dass sie bereit sind, Verant- einem weniger strengen Dienstverhältnis unterwor- wortung zu übernehmen, aber dass sie im Grunde ein fen und befindet sich typischerweise in einer weni- sehr feines Gefühl für Ungerechtigkeit haben. ger belastenden Lebenssituation. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Die nunmehr erstrebte Gleichstellung beider Dienste Lenke [FDP]) offenbart, dass es mit der Wertschätzung des originären Sie sagen: Ich bin gerne dazu bereit, aber ich bin nurWehrdienstes nicht mehr weit her ist. Auch wenn es dann dazu bereit, wenn es alle tun und wenn ich nicht schon beinahe verpönt ist, möchte ich an dieser Stelle der Einzige bin, den diese Pflicht trifft. festhalten: Die Wehrpflicht ist nach der Verfassung die Regel, der Zivildienst die Ausnahme. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie der Abg. Ina Lenke [FDP]) Wenn die Bundeswehr angesichts der veränderten si- cherheitspolitischen Lage weniger Wehrpflichtige In Wirklichkeit geht es um einen gesetzlich festge- braucht, so gilt dies bezüglich des Bedarfs an Zivil- schriebenen Schrumpfungsprozess der so genanntendienstleistenden nicht. Es mangelt nur an Geld für die er- Pflichtdienste in diesem Land, hinter dem meiner Ein- forderlichen Plätze. Darüber sind wir uns, wie ich schätzung nach die pure Finanznot steht, möglicher-glaube, einig. weise aber auch die grundsätzliche Abneigung gegen die Wehrpflicht und die daraus resultierenden übrigen (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) 10800 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (A) Der „Auswahlwehrpflicht“ folgt die „Auswahldienst- (Jutta Dümpe-Krüger [BÜNDNIS 90/DIE (C) pflicht“, die die Dienstungerechtigkeit – da gebe ich der GRÜNEN]: Gestatten Sie eine weitere Nach- Kollegin Lenke Recht – so offenkundig macht, dass die frage, Herr Kollege?) Abschaffung nur noch eine Frage der Zeit ist. – Sie dürfen gerne. (Beifall der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde Sie, verehrter Namenskollege Beck, doch Haben Sie den Bericht der Kommission „Impulse für sehr herzlich bitten, einem nicht ganz so parlamentser- die Zivilgesellschaft – Perspektiven für Freiwilligen- fahrenen Neuling das Vergnügen zu gönnen, Sie im Sit- dienste und Zivildienst“ aufmerksam gelesen und könn- zen anzusprechen. ten Sie mir benennen, was in dem Gutachten steht?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): Lassen Sie mich noch einen Vorschlag kurz aufgrei- Ich habe aus diesem Gutachten eine Möglichkeit zi- fen, den der Kommissionsbericht gemacht hat und der tiert, die ich sehr wohl analog zu den Möglichkeiten, die leider keinen Eingang in den Gesetzentwurf gefunden Grundwehrdienstleistende haben, gerne Zivildienstleis- hat. Es geht um die Möglichkeit einer freiwilligentenden eröffnen würde. Diesen Wunsch haben auch Zi- Verlängerung des Zivildienstes analog der freiwillig vildienstleistende in Gesprächen geäußert. Das habe ich länger dienenden Grundwehrdienstleistenden. hier weitergegeben, liebe Frau Kollegin, nichts weiter. Dies würde nicht nur den jungen Männern helfen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Zeiten bis zum Ausbildungs- bzw. Studienbeginn der FDP) sinnvoll zu überbrücken, sondern auch zu einer Ich darf zum Schluss kommen. Ich möchte auch daran kontinuierlicheren Besetzung der Zivildienstplätze erinnern, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass beitragen. der Sold für Soldaten und für Zivildienstleistende seit Das war ein Zitat aus der Stellungnahme des Bundesra- 1999 nicht mehr erhöht wurde. Diese beiden Personen- tes. gruppen sind nicht die am besten Begüterten in unserer Gesellschaft. Unsere Wertschätzung für die Dienste (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sehr sollte sich meiner Einschätzung nach nicht nur in schö- interessant!) nen Worten, sondern vielleicht auch in einer Erhöhung des Soldes niederschlagen. (B) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Meine Damen und Herren, der Entwurf widerspricht (D) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer der gesetzgeberischen Praxis der letzten Jahre. Kollegin? (Ina Lenke [FDP]: Richtig! Jawohl!)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): Er relativiert die verfassungsmäßigen Unterschiede von Wehr- und Zivildienst. Gerne, wenn Sie auch meine Zeit anhalten.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss Das tue ich, sage Ihnen aber zugleich, dass Ihre Rede- kommen. zeit vorbei ist. Sie können die Beantwortung also noch mit einer eleganten Schlussphrase verbinden. Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): Er schafft nicht ein Mehr an Dienstgerechtigkeit, son- Jutta Dümpe-Krüger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dern verschärft im Gegenteil die schon jetzt bestehenden Herr Kollege, Sie haben gerade davon gesprochen, Ungerechtigkeiten. Er trägt zu einer weiteren Entpflich- dass Sie die Möglichkeit einräumen wollen, Zwangs-tung in unserer Gesellschaft bei. Er ist letztlich ein wei- dienste bzw. Pflichtdienste – der Zivildienst ist undterer Schritt auf dem Weg, an dessen Ende auch das bleibt ein Zwangsdienst – freiwillig zu verlängern. Ist Ende der Wehrpflicht steht. Wir lehnen den Gesetzent- Ihnen bewusst, dass das rein rechtlich überhaupt nicht wurf ab. möglich ist? Vielen Dank. (Zuruf von der SPD: So ist das!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ina Lenke [FDP]) Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU): Dies scheint mir im Vergleich zu den Grundwehr- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: dienstleistenden, die die Möglichkeit dazu haben, eine Ich schließe damit die Aussprache. Benachteiligung der Zivildienstleistenden darzustellen. Es wäre in beiderseitigem Interesse, wenn so etwas vor- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- gesehen würde. Aber es steht in diesem Gesetz ja nicht desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- drin. rung des Zivildienstgesetzes und anderer Vorschriften. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10801

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU an- (C) empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf genommen worden. Drucksache 15/3486, den Gesetzentwurf in der Aus- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwas- ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen serschutzes die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. – Drucksachen 15/3168, 15/3214 – Dritte Beratung (Erste Beratung 114. Sitzung) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist heit (15. Ausschuss) nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit auch in drit- – Drucksachen 15/3455, 15/… – ter Lesung angenommen worden, mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen Berichterstattung: von CDU/CSU und FDP. Abgeordnete Winfried Hermann Renate Jäger Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt Ulrich Petzold der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Birgit Homburger auf Drucksache 15/3486 die Ablehnung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurfs zur Än- Es liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der derung des Zivildienstgesetzes auf Drucksache 15/2482. CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Wider- haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- spruch höre ich keinen. Dann ist so beschlossen. ratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen und CDU/CSU gegen die Stimmen der FDPIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge-die Abgeordnete Renate Jäger. schäftsordnung die weitere Beratung. (Beifall bei der SPD) (B) (D) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Renate Jäger (SPD): Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn einige Bilder (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten des Hochwassers vom Sommer 2002 in Erinnerung ru- Christoph Hartmann (Homburg), Gudrun Kopp, fen. Ich denke da an die Stadt Weesenstein. Das Schloss, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Frak- über allem thronend, hatte das Hochwasser überstanden. tion der FDP Der Schlossgarten war total verwüstet, weil die Men- Bergschäden regulieren – kohlepolitische Wei- schen die sonst so idyllische Müglitz in ein liebliches chenstellung vornehmen Flussbett legten, das die tosenden Wassermassen nach den langen Regenfällen nicht aufnehmen konnte. – Drucksachen 15/475, 15/2278 – Ein Ortsteil unterhalb des Schlosses, in dem Men- Berichterstattung: schen schon seit Generationen siedeln, wurde völlig Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer weggespült. Wir erinnern uns alle an die aufregenden Die Kollegen Grasedieck, Pfeiffer, Hustedt undFernsehbilder des Mauerrestes, auf dem Menschen stun- Hartmann haben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben denlang auf Rettung warteten, unter ihnen Schlamm, Ge- zu können.1) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der röll und Möbeltrümmer. Fall. Natürlich fragten manche, die ihr Haus dort verloren Dann kommen wir zur Abstimmung: Beschlussemp- hatten, bereits nach wenigen Tagen, ob sie auf der Hei- fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf matscholle wieder bauen könnten. Alle, die in Ämtern Drucksache 15/2278 zu demAntrag der Fraktion der und Behörden für Vorsorge und Schutz der Bevölkerung FDP mit dem Titel „Bergschäden regulieren – kohlepoli- mitverantwortlich sind, hatten schon ihre Probleme da- tische Weichenstellung vornehmen“. Der Ausschussmit. empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/475 abzuleh- In dem kleinen Städtchen Tharandt hatte die Weiße- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge- ritz im Forstwirtschaftlichen Institut der TU Dresden un- genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- ter anderem die gesamte Technik vernichtet, die sich in lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen den unteren Räumen befand. Dresden selbst wurde gleich zweimal Opfer des Wassers: zuerst durch den 1) Anlage 21 sonst sehr kleinen Fluss Weißeritz, der sich reißend quer 10802 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Renate Jäger (A) durch die Stadt über Schienen, den Hauptbahnhof, die begriffen hat, möchte ich ausdrücklich darauf verweisen, (C) Theaterwerkstätten und anderes sein altes Flussbett zu- dass die Bewirtschaftungsgrundsätze bezüglich der rückeroberte, und danach noch einmal durch den allmäh- ganzjährigen Bodenbedeckung und der Ausbringung lich ansteigenden Elbepegel, der auch den Zwinger und von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nur dort durch die Semperoper unter Wasser setzte. die Länder zu regeln sind, wo Erosionen oder erheblich nachteilige Auswirkungen auf Gewässer zu erwarten Ich sehe die Häuserreste in den Fluten und die abge- sind. rissenen Öltanks vor mir. Ich erinnere mich auch an die Schilderung eines Bürgermeisters, der abgerissene Gas- (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: tanks wie Torpedos durchs Wasser flitzen sah, die wei- Nein, in allen!) tere mechanische Zerstörungen verursachten. Dies ist voll und ganz den Ländern überlassen und be- In vielen der betroffenen Regionen sind zur Scha-deutet kein generelles Ackerbauverbot. Die neue Rege- densminderung bereits Maßnahmen beschlossen, zum lung sieht eine Einstellung der ackerbaulichen Nutzung Teil auch schon umgesetzt worden. Angesichts der vor nur noch in den erosionsgefährdeten Flächen der Ab- Ort unterschiedlichen Bedingungen kann dies richtiger- flussgebiete vor. weise nur vor Ort geschehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn der Bund seinerseits durch bundeseinheitliche DIE GRÜNEN – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/ Regelungen die Regionen in ihren Bemühungen unter- CSU]: Ich glaube, Sie haben das noch nicht stützt, kann das nur ein Mehr an Schadensminderung be- begriffen, Frau Kollegin!) deuten. Eine wissenschaftliche Einrichtung darf ihre Soweit Landwirte durch die Einstellung des Acker- wertvollen technischen Geräte in diesen Gebieten nicht baus in den erosionsgefährdeten Abflussbereichen unzu- mehr in den Kellerräumen installieren. Unser Gesetzent- mutbar hart getroffen sind,regeln die Länder die Aus- wurf stärkt der Stadt Dresden in ihrem Bemühen den Rü- gleichszahlungen. Dieser Kompromiss gewährleistet cken, der Weißeritz so viele Flächen wie möglich vom einerseits den Schutz der Gewässer vor Schadstoffeinträ- alten Flussbett zurückzugeben. gen und entspricht andererseits den berechtigten Anlie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen der Landwirte. Da bis 2015 auch die EU-Wasserrah- DIE GRÜNEN) menrichtlinie umgesetzt werden muss und die neue europäische Reform der gemeinsamen Agrarpolitik Er unterstützt die Bürgermeister bei ihren Entscheidun- greift, ist den Landwirten ausreichend Zeit gegeben, sich gen, wo verantwortungsvoll gebaut werden kann und wo auf die neuen Bedingungen im Hochwasserschutz einzu- es untersagt werden muss. stellen. (B) (D) Wie notwendig unser Gesetz ist, soll ein Beispiel zei- Des Weiteren haben wir sichergestellt – das ist neu –, gen, das in der „Mittelbayerischen Zeitung“ vom dass Neubauten in bereits existierenden Baugebieten, 26. Juni 2004 zu lesen war: Zwei Paringer Bürger woll- zum Beispiel bei einer Lückenbebauung, hochwasseran- ten Baugrund auf einer Fläche ausgewiesen haben, die gepasst zu errichten sind. das Wasserwirtschaftsamt als nicht geeignet ansieht. 1988 und 1999 war hier ein so genanntes Jahrhun-Von den Sachverständigen wurde in der Anhörung derthochwasser zu verzeichnen. Das Wasserwirt-eine koordinierte Bewirtschaft und Steuerung von Rück- schaftsamt hatte von einer Bebauung der Talaue aushalteräumen innerhalb einer Flussgebietseinheit ange- Gründen des Hochwasserschutzes abgeraten. Das Gut- mahnt. Wir haben dies in das Gesetz aufgenommen. Da- achten eines Ingenieurbüros, das die Gemeinde in Auf- durch können die Interessen von Ober- und Unterliegern trag gegeben hatte, kam zu dem gleichen Ergebnis.besser aufeinander abgestimmt werden. Trotzdem stimmte der Gemeinderat dem Antrag mit 16 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zu einer Stimme zu. Mit unserem Gesetz hat das nun- DIE GRÜNEN) mehr gefragte Landratsamt, das als nächste Behörde eine Entscheidung zu treffen hat, ein Instrument für eine Ziel des Gesetzentwurfs ist es auch, die Bevölkerung klare Entscheidung gegen eine Neubaubebauung imfür Hochwassergefahren stärker zu sensibilisieren. Dazu Hochwasserschutzgebiet in der Hand. sollen die Bürgerinnen und Bürger in den Prozess der Festsetzung von Überschwemmungsgebieten durch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Information und Beteiligung einbezogen werden. Damit DIE GRÜNEN) tragen wir erstens den Anforderungen der Aarhus-Kon- Einige Regelungen des Gesetzentwurfs, den wir invention Rechnung, schaffen zweitens die Voraussetzun- der vorigen Sitzungswoche diskutiert und den ich ingen für eine bundeseinheitliche Vorgehensweise und meiner damaligen Rede in wesentlichen Teilen vorge- erreichen drittens eine höhere Akzeptanz in der Bevölke- stellt hatte, sind aufgrund in der Anhörung vorgebrachter rung für die Ziele des Hochwasserschutzes. Im Übrigen Argumente und aufgrund von Anregungen von außen können Auseinandersetzungen mit betroffenen Bürgern geändert worden. schon im Beteiligungsverfahren geklärt werden, ohne dass später Gerichte beschäftigt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist zuerst der Hauptstreit- punkt einer Einstellung des Ackerbaus bis 2012 zu Neu ist auch, dass wir den Gemeinden ein Vorkaufs- nennen. Da die Opposition, wie die gestrige Diskussion recht für den Flächenerwerb bzw. Flächentausch einge- im Ausschuss zeigte, diese Änderung noch nicht ganz räumt haben, das sie auch für einen wirksamen Hoch- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10803

Renate Jäger (A) wasserschutz bzw. für ihre städtebaulichen Planungen Täten Sie Letzteres, so gäbe es überall gleichermaßen(C) im Zusammenhang mit Hochwasserschutzplänen nutzen die Möglichkeit, Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser können. zu ergreifen. Ich hoffe, dass die Bilder, die ich zu Beginn meiner Rede in Erinnerung gerufen habe, nicht noch ein- Insgesamt bringt der vorliegende Gesetzentwurf eine mal Wirklichkeit werden. deutliche Verbesserung bei der Schadensminderung bei Hochwasser mit sich. Ich bedauere sehr, dass die Oppo- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. sition bereits im Ausschuss signalisiert hat, dem Gesetz- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ entwurf nicht zustimmen zu wollen, und stattdessen ei- DIE GRÜNEN) nen Entschließungsantrag eingebracht hat, der hinter den mit dem Gesetzentwurf zu beschließenden Maßnahmen aber weit zurückbleibt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Es erscheint schon sehr kurios, wenn der Bericht- erstatter der CDU/CSU-Fraktion zu dem Gesetzentwurf, Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Herr Petzold, bemängelt, dass dieser Gesetzentwurf viel Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und zu spät komme, die Berichterstatterin zu dem Antrag der Herren! Die deutsche Flusslandschaft ist eine seit Jahr- CDU/CSU-Fraktion aber verlangt, man solle mit einem hunderten gewachsene Kulturlandschaft. Die durch Se- Gesetzentwurf noch warten, bis die Europäische Kom- dimentation entstandenen fruchtbaren Alluvialböden mission ihr Aktionsprogramm zum Hochwasserschutz werden ackerbaulich genutzt, Siedlungen mit Gewerbe vorgelegt habe. Da kann man wohl berechtigterweise und Industrie nutzen die Flüsse als Verkehrswege. fragen, ob das noch etwas mit Sachpolitik zu tun hat. Hochwasser, auch ein extremes Hochwasser, sind, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: wie die Anhörung gezeigt hat, natürliche Vorgänge. Ge- Liebe Kollegen, die Sie sich dort vorne aufhalten, es rade extreme Hochwasser sind in ihrem absoluten Aus- ist eigentlich nicht üblich, in einer parlamentarischenmaß und in ihrer Höhe nicht maßgeblich durch die Nut- Debatte der Rednerin das Hinterteil zu zeigen. zung der Flusstäler durch den Menschen bestimmt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) DIE GRÜNEN) Zugleich ist nicht zu bestreiten, dass Flussbegradigun- gen und der Verlust von Retentionsflächen entlang der (B) (D) Renate Jäger (SPD): Flüsse die Häufigkeit der Hochwasserereignisse und Danke schön. auch die Geschwindigkeit ihres Eintretens maßgeblich beeinflussen. (Dr. [FDP]: Frau Präsidentin, ich versuche gerade, die Tagesordnung zu ent- Insbesondere das Elbhochwasser von 2002 hat uns al- zerren!) len gezeigt, dass es beim Hochwasserschutz Defizite und Grenzen gibt. Daher ist eine kritische Revision der ge- setzlichen Vorgaben zum Hochwasserschutz notwendig. Renate Jäger (SPD): Ihre Kolleginnen wollten reden. Sie hätten die Tages- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ordnung entzerren können, aber Sie wollten es nicht. Nach zwei Jahren des Abwartens hat die Bundesre- (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Wir wollen zu- gierung nunmehr den Entwurf eines Hochwasserschutz- hören! Ein wichtiges Thema!) gesetzes vorgelegt, das nach der Anhörung im zuständi- gen Ausschuss in der vergangenen Woche wieder einmal Man kann also wohl berechtigterweise fragen, ob das im Eilverfahren durch das Plenum gehetzt werden soll. noch etwas mit Sachpolitik zu tun hat oder ob wider bes- Soll da ein Gesetz, das insbesondere in der SPD-Frak- seres Wissen Gründe für eine Ablehnung gesucht wer- tion auf vielerlei Widerstand gestoßen ist, noch schnell den. Auch ohne europäisches Aktionsprogramm ist der vor der Sommerpause versenkt werden? vorliegende Gesetzentwurf europäisch eingebunden, und zwar unter anderem aufgrund der Vereinbarkeit mit Fris- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) ten und Zielen zum Beispiel bei der Wasserrahmenricht- Apropos schnell: Zur Einbringung des Gesetzentwur- linie. fes gab es eine Debattendauer von 30 Minuten und heute – zudem zu dieser exponierten Tageszeit – noch einmal Die meisten Befürchtungen, die in dem CDU/CSU- 30 Minuten. Noch knapper geht es wohl kaum! Antrag nochmals aufgeführt werden, sind durch den Ge- setzentwurf obsolet, zum Beispiel die Ackerbauproble- (Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP] – matik oder das Problem um die städtebauliche Entwick- Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist das lung. Am besten wäre es, Sie zögen Ihren Antrag zurück schlechte Gewissen!) und stimmten unserem Gesetzentwurf zu. Dann soll das Gesetz auch noch am Bundesrat vorbei ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schleust werden. Aus Sicht meiner Fraktion und auch DIE GRÜNEN) Sicht des Bundesrates, der sich mit großer Mehrheit 10804 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Dr. Maria Flachsbarth (A) gegen das Gesetz ausgesprochen hat, gibt es keinen (Horst Kubatschka [SPD]: Das findet doch gar (C) Zweifel daran, dass es zustimmungspflichtig ist, nicht statt!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Genauso ist Deshalb haben Sie jetzt einen Änderungsantrag vor- es!) gelegt. Sie sagen, ein Ackerbauverbot solle es nur in Ab- flussgebieten geben. In Überschwemmungsgebieten schon allein deswegen, weil die Umsetzung nach vor- solle Ackerbau nur mit massiven Einschränkungen mög- sichtigen Schätzungen einiger Länder pro Land 25 Mil- lich sein. lionen bis 40 Millionen Euro kosten dürfte. ( [SPD]: Stimmt doch gar (Beifall bei der CDU/CSU) nicht! Ist doch überhaupt nicht wahr!) Jetzt noch ein kurzes Wort an Sie, liebe Kolleginnen Das entspricht nicht den in der Anhörung von den Ex- und Kollegen von den Grünen: perten dargelegten Positionen. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die versto- Was bedeuten dieseEinschränkungen für den ßen gegen das Verfassungsrecht!) Landwirt? Pflanzenreste bei einer pfluglosen Bodenbe- Offenbar verfügen Sie über die Gabe der Prophetie.arbeitung werden nach der Ernte nicht mehr in den Bo- Wenn nicht, sollten Sie sich einmal mit Ihrem Demokra- den eingearbeitet, sodass sich Pilzsporen an der Boden- tieverständnis beschäftigen. oberfläche, im Mulch, ansammeln können. Pflanzen er- kranken dadurch häufiger. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Wann sagen Sie et- (Gustav Herzog [SPD]: Dafür gibt es keinen was zum Hochwasserschutz?) wissenschaftlichen Hinweis!) Der Respekt vor diesem Hohen Hause sollte es nämlich Ein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist nicht erlaubt. geboten erscheinen lassen, Pressemitteilungen überDadurch kann es zu einer Verseuchung der Ernte mit diese Debatte erst dann herauszugeben, nachdem diese Pilzgiften kommen, was Untersuchungen der Uni Kiel Debatte tatsächlich stattgefunden hat. Ich habe hier eine aus dem letzten Jahr eindeutig beweisen. Da Mykoto- von 19.35 Uhr aus dem Internet. xine aber sehr gefährlich für Mensch und Tier sind, gibt es Höchstmengen. Der Grenzwert von 500 Mikrogramm (Beifall bei der CDU/CSU) pro Kilogramm Getreide wurde im letzten – trockenen – Nun zu einigen Kernforderungen des Gesetzes: InSommer an der schleswig-holsteinischen Westküste bei dem Entwurf werden die Länder aufgefordert, innerhalb Weizen, der versuchsweise unter Ökolandbaubedingun- von fünf Jahren flächendeckend Überschwemmungsge- gen angebaut wurde, um bis zu 30-fach überschritten. (B) (D) biete auszuweisen. Das geht nach Aussagen der Sach- Was bedeutet das für den Landwirt? Für ihn ist der verständigen überhaupt nicht. In den erosionsgefährde- Anbau von Getreide in Überschwemmungsgebieten ein ten Abflussgebieten ist der Ackerbau bis zum Vabanquespiel, da er ein nicht unerhebliches Risiko ein- 31. Dezember 2012 einzustellen. Ursprünglich sollte es geht, mit großem Aufwand ein nicht marktfähiges Pro- ein nahezu grundsätzliches Ackerbauverbot in Über- dukt zu erzeugen, das er nicht verkaufen kann. schwemmungsgebieten geben. Die von Ihnen angeblich im Änderungsantrag festge- Meine Damen und Herren, das hat – um im Bild zu schriebene Aufhebung des Ackerbauverbots ist reine bleiben – eine Flut von Einwänden der Betroffenen und Augenwischerei. Faktisch bleibt es bestehen. Experten ausgelöst. Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass Sie durch ein Ackerbauverbot keinen Erosions- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schutz erzielen. Sie zerstören damit mutwillig die Kooperationsbereit- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) schaft der Landwirte, auf deren Mitwirkung wir ange- wiesen sind. Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass die Umnutzung hochwertigster Ackerflächen zu Grünland bei den der- (Horst Kubatschka [SPD]: Bei der Anhörung zeitigen Marktbedingungen jegliche wirtschaftliche Per- nicht zugehört!) spektive fehlen lässt. Dabei gibt es zahlreiche Beispiele für eine hervorra- (Widerspruch bei der SPD – Dr. Peter Paziorek gende Zusammenarbeit, zum Beispiel im Raumord- [CDU/CSU]: Hören Sie doch einmal zu, Herr nungsverband Rhein-Neckar, wo in Kooperation mit Kubatschka! Sie hat doch Recht!) Landwirten mehr als 40 Millionen Quadratmeter als Pol- derfläche ausgewiesen werden. Verhaltensmaßregeln an Sie nehmen damit hin, dass 900 000 Hektar Ackerfläche Flusseinzugsgebieten, an Oberläufen regeln Sie hinge- auf nasskaltem Wege enteignet werden und Kapital ver- gen nicht. Das haben die Gutachter tatsächlich gefordert. nichtet wird. Ganz anders wird es im Moment in Sachsen gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Neben der Landwirtschaft hat das Hochwasserschutz- neten der FDP) gesetz auch noch gravierendeAuswirkungen auf die Damit zerstören Sie wirtschaftlich tragfähige Strukturen Kommunen in Überschwemmungsgebieten, wo Sie ein in ohnehin wirtschaftsschwachen Gegenden wie zumBauverbot vorsehen. Sie haben auf der anderen Seite Beispiel an der Mittelweser. aber versäumt, den Vorschlag des Bundesrates aufzuneh- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10805

Dr. Maria Flachsbarth (A) men, bei Innenbereichen Überschwemmungsgebietevorstellen konnte. Das war die außergewöhnliche Erfah- (C) nachrichtlich in die Flächennutzungs- und Bebauungs- rung vor zwei Jahren. pläne aufzunehmen, Außer dem Entsetzen über die Schäden und die Fol- (Renate Jäger [SPD]: Das ist doch drin! – geschäden gab es aber auch ein Erschrecken über das, Horst Kubatschka [SPD]: Wieder nicht gele- was wir in den vergangenen Jahren in den hochwasser- sen!) gefährdeten Gebieten alles gemacht haben. Man hat ge- fragt: Wie konnten wir eigentlich in solchen Zonen und es so zu ermöglichen, dass sich die Öffentlichkeit bauen? Wie konnten wir zulassen, dass in hochwasserge- frühzeitig auf Hochwassergefahren einrichten und Risi- fährdeten Gebieten Ölheizungen und Anlagen betrieben kovorsorge betreiben kann. werden, die bei einem Unfall nachhaltig Gewässer schä- Lassen Sie mich noch kurz ein Beispiel aus meinem digen? All diese Einsichten gab es vor zwei Jahren, so- Wahlkreis nennen. Dort sind drei kleine Kommunengar bei Ihnen von der Opposition. – Hemmingen, Laatzen und Pattensen – betroffen. Alle (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wie ist das drei Stadträte, übrigens alle SPD-dominiert, haben sich denn in Baden-Württemberg?) fraktionsübergreifend sehr besorgt bis ablehnend über den Gesetzentwurf geäußert. Wenn man heute Ihre Reden und Einwände hört, muss man feststellen, dass die Einsicht von damals Lob- (Horst Kubatschka [SPD]: Wenn Sie schon so byinteressen und Einzelinteressen gewichen ist. Es läuft einen Schmarren erzählen, dann glaube ich nach dem Motto: Lasst uns Hochwasserschutz treiben, das!) aber keinem wehtun. Sie wollen keine Einschränkungen, Zur Erläuterung: In Laatzen wurde erst vor wenigen Jah- Sie wollen nichts wirklich Handfestes tun. Es werden ren mit einem Millionenaufwand an öffentlichen Gel- wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Argu- dern in einem Überschwemmungsgebiet – mitten in der mente angeführt, um ja nichts zu tun. Meine Damen und Stadt, nahe der Leine – ein Schwimmbad errichtet. InHerren von der Opposition, das ist komplett daneben. Zukunft sind alle Erweiterungs- und Umbauten ausge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlossen. Das ist für die Kommune ein weiterer schwe- und bei der SPD) rer Schlag aus Berlin. (Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben ja wirk- Wir, die Rot-Grünen, haben Konsequenzen gezogen. lich keine Ahnung!) Wir haben mit diesem Artikelgesetz viele Maßnahmen ergriffen, die in andere Gesetzesbereiche wie Baupla- Meine Damen und Herren, getroffene Hunde bellen; nung, Bebauungsrecht oder Wasserhaushaltsgesetz ein- (B) das sage ich hier einmal als Tierärztin. greifen, (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Eine große Schau! Das ist eine reine Schau!) Ein bürgernaher und effektiver Hochwasserschutz, der auf Selbstvorsorge und Kooperation setzt, sieht anders also in alle Bereiche, in denen es relevante Maßnahmen aus. zu tätigen gilt. Das eindeutige Ziel war, so viel Vorsorge zu betreiben, dass zukünftig bei weiterhin zu erwarten- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!) den Hochwassergefahren wenigstens die Schäden mini- Wir lehnen Ihr Gesetz inklusive der Änderungsanträge miert werden. ab. Was sind die wichtigsten Punkte? Wir wollen den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schadstoffeintrag, der auch über die Landwirtschaft kommt, verringern. Ihre Geschichte ist geradezu absurd: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie behaupten, der ökologische Landbau treibe in hoch- So spät, so wenige Leute und so viel Leidenschaft in wassergefährdeten Gebieten mehr Schadstoffe in die Ge- der Debatte! – Das Wort hat jetzt der Abgeordnetewässer als die herkömmliche Landwirtschaft, in der Winfried Hermann. viele Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. (Georg Girisch [CDU/CSU]: Wollen Sie die (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Stimmt das Presseerklärung vorlesen? – Dr. Peter Paziorek denn wirklich? Hat die Anhörung das ge- [CDU/CSU]: Jetzt wird die Presseerklärung bracht? Das ist zweifelhaft! Aber Herr Petzold vorgelesen!) wird gleich etwas dazu sagen!) Wir wollen die Bodenerosion vermeiden. Wir wollen er- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): reichen, dass zukünftig weniger Schäden an Gebäuden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe entstehen und dass wenigstens keine neuen Gebäude in Kolleginnen und liebe Kollegen! Vor zwei Jahren waren hochwassergefährdeten Gebieten gebaut werden. das Entsetzen und das Erschrecken über das Hochwasser Ich komme zu den drei wichtigsten Punkten im Ein- sehr groß, und zwar nicht, weil es ein natürliches Ereig- zelnen: nis war, wie die Frau Kollegin gerade ausgeführt hat, sondern weil man sich in einem Gebiet, wo man Hoch- Erstens. Wir wollen in Hochwasserüberschwem- wasser gewohnt war, ein solch großes Hochwasser nicht mungsgebieten ein Verbot von neuen Ölheizungen und 10806 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Winfried Hermann (A) von Anlagen, die bei Überschwemmunfen schadstoffge- wässer und auch die naturnahe Landschaft um die Ge-(C) fährlich sind. Ich habe mich schon sehr gewundert, als wässer umzugestalten. ich in Ihrem Antrag las, dass Sie gewissermaßen als An- walt des Menschenrechts auf Ölheizungen in Über- (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Dann schwemmungsgebieten auftreten. müssen Sie es doch nicht ins Hochwasser- schutzgesetz schreiben!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Oh je, schon Die Europäische Union zwingt uns ohnehin, in diesem wieder Panik! Was wollen Sie denn? Holz- Bereich etwas zu tun. Tun Sie doch nicht so, als müssten wolle?) wir gar nichts machen und könnten weitermachen wie Es ist unglaublich, dass Sie nicht einmal diese beschei- bisher! dene Konsequenz ziehen, wenigstens auf solche Anla- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das sagt gen zu verzichten. Ich muss Ihnen sagen, mit Verlaub: doch gar keiner!) Das ist öldumm. Sie beklagen, dass man in Überschwemmungsgebie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten nicht weiter bauen kann. Wir haben das tatsächlich und bei der SPD – Dr. Peter Paziorek [CDU/ nicht zugelassen. Es hat keinen Sinn, in Gebieten zu CSU]: Was war denn das wieder? Sie verhun- bauen, wenn man weiß, dass es dort wieder Hochwasser zen unsere deutsche Sprache!) geben wird. Ansonsten wollen anschließend die Leute das Geld für die Schäden, die sie erlitten haben, vom Zweitens. Auflagen gegenüber der Landwirtschaft. Staat erstattet bekommen. Wir sagen: Wenn schon in his- Natürlich machen wir mit diesem Gesetz Einschränkun- torisch bebauten Situationen, zum Beispiel in Altstädten gen, aber es ist doch eine der großen Einsichten, dassan der Mosel und am Rhein, eine Lücke ist und gebaut man nicht weiter machen kann wie bisher, dass man et- werden soll, dann ist es möglich, aber nur unter der Auf- was tun muss gegen Erosion. Wir haben die Kritik der lage, dass hochwasserangepasst gebaut wird, sodass das Landwirte, aber auch anderer Fachwissenschaftler ange- Hochwasser durchfließen kann und nicht durch Verbau- nommen und gesagt: ung eine Aufstauung entsteht. Zugleich muss das Ge- (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Sie kön- bäude so beschaffen sein, dass der Schaden hinterher nen hier nicht Wissenschaftler der Universität nicht zu groß ist. Das ist hochwasserangepasstes Bauen, Kiel verunglimpfen, nur weil Ihnen das Ergeb- das ist eine kluge Lösung. Weitermachen wie bisher ent- nis nicht passt!) behrt aber, glaube ich, jeder Einsicht und ist blödsinnig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Schaut euch das einmal genau an. Könnt ihr das nicht (D) wirklich differenzierter und präziser machen? Die Ein- und bei der SPD) schränkungen waren eine Konsequenz aus der Anhörung Meine Damen und Herren, wir haben das Gesetz im und aus der Kritik. parlamentarischen Verfahren deutlich, wie ich meine, in der Summe positiv verändert. Gleichzeitig haben wir aber gesagt: Wir müssen die Landwirtschaft in Überschwemmungsgebieten mitAufla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen versehen. Sie kann dort nicht beliebig wirtschaften. Die Maßnahmen sind differenziert und sind trotzdem (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das hat ökologisch sinnvoll und verantwortlich. keiner gesagt!) Es muss durch ganzjährige Begrünung sichergestellt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: werden, dass es nicht zu Erosion kommt. Ackerbauver- Herr Kollege, denken Sie bitte ans Ende der Redezeit. bot muss es ganz eng begrenzt in den wirklich erosions- gefährdeten Abflussgebieten geben. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Was wir den Leuten zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN muten, ist wirklich notwendig und auch zumutbar. Dies und bei der SPD) ist insgesamt eine Vorsorgemaßnahme für zukünftige Wenn Sie heute wieder mit Ihrer alten Bauernlobby-Hochwasser. Ich sage auch dazu: Die wirkliche Vorsorge Leier kommen, dass das die Enteignung von Hunderttau- vor Hochwasser gibt es nicht; man kann aber eine ambi- senden von Landwirten bedeuten würde, dann ist das so tionierte Klimaschutzpolitik machen, die zukünftig da- gnadenlos überzogen, dass es einfach völlig unglaub-für sorgt, dass wir tendenziell nicht mehr solche kata- würdig ist. strophalen Hochwasser bekommen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das trifft wirklich nur ganz wenige, die dann auch Aus- und bei der SPD) gleich bekommen. Sie haben im Übrigen lange Zeit zur Umstellung. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Übrigens ergeben sich aus den Wasserrahmenricht- Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger, linien sowieso genügend Aufträge an uns, unsere Ge- FDP-Fraktion. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10807

(A) Birgit Homburger (FDP): bei den Begrifflichkeiten haben. Was ist denn eigent-(C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lich ein „Abflussbereich“ Ich möchte mich zunächst an Sie wenden, Herr Kollege (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Hermann: Das, was Sie hier eben als Rede zum Thema Eben, was ist das?) Hochwasserschutz geboten haben, ist wirklich eine Frechheit gegenüber der Opposition und den Wissen-oder, was der Herr Hermann gesagt hat, ein „erosionsge- schaftlern, die wir in der Anhörung gehört haben. fährdetes Abflussgebiet“? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist noch nicht einmal ein unbestimmter Rechtsbegriff!) Das, was Sie hier machen, ist nichts anderes als Polemik auf gebrochenen Deichen. Sie spielen mit den Ängsten Nur da gelte die Sache mit der Landwirtschaft. Wie ist der Menschen in diesem Land. denn das überhaupt definiert? Was ist denn ein „über- schwemmungsgefährdetes Gebiet“? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wi- derspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) All das sind Dinge, die offen geblieben sind. Die Exper- ten haben uns klar gesagt, dass wir hier – – Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wenn Sie hier erklären, die Aussagen der Kollegin Flachsbarth, die hier Exper- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten aus der Anhörung zitiert hat, NEN]: Die müssen die Länder in Landesgeset- zen klar machen!) (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Einen! Immer den gleichen, der bestrit- – Nein, das muss man nicht in den Landesgesetzen klar ten hat, dass es Erosion gibt! Was ist das denn machen, Herr Hermann. Es ist nämlich genau die Auf- für ein Experte!) gabe dieses Deutschen Bundestages, wenn er in ein Ge- setz solche Begriffe hineinschreibt, dass er diese Be- seien nicht in Ordnung gewesen, dann hört sich das so griffe auch definiert und nicht sagt: Wir überlassen das an, als hätten Sie die Weisheit und die Wissenschaft ge- den 16 Ländern. pachtet, und wer Ihnen nicht nach dem Mund redet, hat offensichtlich keine Ahnung. So geht es nicht, Herr (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hermann. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Immer sollen es die Länder klären!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deswegen sagen wir Ihnen zum Thema Ackerbauver- (B) Ich will Ihnen ganz klar sagen: Mit diesem Gesetzent- bot: Klar, es ist kein generelles Ackerbauverbot mehr, (D) wurf schöpft die Bundesregierung und auch die rot-aber wenn ich nicht mehr umpflügen darf, wenn ich flä- grüne Koalition die Möglichkeiten zum Hochwasser-chendekkend Begrünung haben muss, dann kann ich kei- schutz überhaupt nicht aus. Wir haben als FDP-Bundes- nen Ackerbau mehr betreiben; tagsfraktion bereits vor einem Jahr einen Antrag hier (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- eingebracht und klar beschrieben, wie ein Hochwasser- NIS 90/DIE GRÜNEN) schutzgesetz aussehen müsste. Davon haben Sie wenige Dinge übernommen. Sie haben beispielsweise die Ko- das ist doch schlicht und ergreifend das, was da drin- operation in Flussgebietseinheiten übernommen, wassteht. Deswegen ist das, was Sie gemacht haben, keine wir sehr begrüßen, aber da, wo es wirklich darauf an-Korrektur in der Sache, sondern eine kosmetische Kor- kommt, nämlich von Seiten des Umweltministers, der rektur, dass Sie sagen können, Sie hätten etwas getan. heute in der Debatte nicht einmal redet, grenzüberschrei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu- tend die Initiative zu ergreifen, fehlt es hinten und vorne. ruf von der SPD: Quatsch!) Es wird nichts, aber auch gar nichts gemacht. Zur Frage der Ölheizung kann ich Ihnen nur sagen: (Widerspruch bei der SPD) Kein einziger Experte hat gesagt, dass ein Verbot von Hochwasserschutz wird nicht dadurch gemacht, dass Sie Ölheizungen nötig ist. Die FDP plädiert dafür, Vorschrif- irgendetwas zusätzlich in ein Gesetz hineinschreiben,ten zu machen, damit die Häuser, die in diesen Gebieten was sowieso schon irgendwo anders geregelt ist. Das sa- liegen, technisch so sind, dass durch Ölheizungen kein gen Ihnen auch die Experten. Man muss selber initiativ Schaden entstehen kann; aber ein Verbot für Ölheizun- werden und Hochwasserschutzkonferenzen anregen. gen ist dafür jedenfalls nicht notwendig. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Rot-Grü- NEN]: Die gab es schon vor zwei Jahren!) nen arbeiten nur mit Verboten!) Meine Damen und Herren, all diese Themen in drei Wir haben – auch das wissen Sie – das Problem, dass Minuten abzuhandeln ist äußerst schwierig, deswegen dieser Gesetzentwurf mit heißer Nadel gestrickt wurde. möchte ich Ihnen nur eines noch sagen: Hätte mehr Zeit Sie haben jetzt zwei Jahre gebraucht, bis Sie den Gesetz- zur Verfügung gestanden, hätte man vielleicht fraktions- entwurf hier vorgelegt haben. Trotzdem sagen uns die übergreifend einen Konsens finden können. Experten, und zwar auch Experten, die von Ihnen einge- laden worden sind, dass wir erhebliche Unklarheiten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 10808 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Andernfalls könnte man nur vermuten, dass die Bundes- (C) Frau Kollegin, denken Sie bitte daran, obwohl Sieregierung ihre Fehlleistungen im Dunkel der Nacht ver- viel in Ihre Minuten hineinpacken: Die Zeit ist doch vor- stecken will. bei. (Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der [SPD]: Über die Reihenfolge dieser Tagesord- CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE nung hat auch die CDU/CSU mit abgestimmt!) GRÜNEN) Dass ein Hochwasserschutzgesetz notwendig wurde, darüber gibt es zwischen uns überhaupt keinen Streit. Birgit Homburger (FDP): Koordinierung der Handlung zum Hochwasserschutz Frau Präsidentin, der letzte Satz. – Liebe Kolleginnen von Anliegerstaaten an grenzüberschreitenden Gewäs- und Kollegen, nachdem der Minister zwei Jahre ge-sern, integriertes Flussgebietsmanagement und Richtli- braucht hat und Sie dann Ende April gemerkt haben,nienvorgabe im Bereich der Bundeskompetenz waren dass dem gemeinsam vereinbarten Terminplan, die Bera- notwendig und werden von uns auch begrüßt. Das popu- tungen im September abzuschließen, besser nicht gefolgt listische Getöse, mit dem die schleppende Gesetzgebung wird, weil sich das Hochwasser im August nämlich zum allerdings von Seiten des Bundesgesetzgebers begleitet zweiten Mal jährt, haben wir jetzt die Situation, worden ist, hat eher zur Verunsicherung und zu unnöti- gem Streit beigetragen. Es wurden potemkinsche Dörfer, Pappkameraden aufgebaut, die nichts, aber auch gar Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nichts mit dem Hochwasserschutz oder Hochwasservor- Frau Kollegin, ich muss Sie jetzt wirklich bitten,sorge zu tun hatten. Schluss zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) Birgit Homburger (FDP): Dieses fing schon bei demFünfpunkteprogramm – dass aufgrund der Schnelligkeit eine völlig unklare zur Flusskonferenz im September 2002 an. Wider besse- Lage entstanden ist; deswegen können wir auch nicht zu- res Wissen der Fachleute wurde eine sofortige Einstel- stimmen. lung der Strombaumaßnahmen an der Elbe verfügt. Indi- rekt wurde dadurch suggeriert, Baumaßnahmen in der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nähe von Flüssen hätten zur Verschärfung der Hochwas- sersituation beigetragen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (B) (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Genau (D) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Petzold. das stimmt nicht! Überhaupt nicht!) Durch Gutachten gerade auch der Bundesanstalt für Ulrich Petzold (CDU/CSU): Wasserbau wurde dieser Nonsens dann in aller Deutlich- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undkeit widerlegt. Herren! Liebe Kollegen, ich brauche, glaube ich, nicht mehr auf die Worte von Frau Jäger einzugehen. Frau (Horst Kubatschka [SPD]: Das hat doch mit Jäger, die Bundesregierung hat zwei Jahre gebraucht, um dem Gesetz nichts zu tun! – Gegenruf des einen Gesetzentwurf vorzulegen. Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber si- cherlich!) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist für diese Regierung noch schnell!) Alle bisherigen Flussbaumaßnahmen, die seit der Wende durchgeführt wurden, hatten nachweislich keinen Ein- Das ist eindeutig Bummelei. Wenn man jetzt einen Zeit- fluss auf den Hochwasserspiegel. Dass das Bundesum- druck schafft, ist das, glaube ich, den zwei Jahren nicht weltministerium diese Blamage lieber totschweigen will, angemessen. Das ist der Punkt. kann ich verstehen. Die Wiederaufnahme der Baumaß- nahmen ist in aller Heimlichkeit und Stille erfolgt. Liebe Kollegen, ich hatte gestern im Ausschuss genü- gend Zeit, detailliert auf die verschiedenen Paragraphen Der nächste Pappkamerad, der kam, war die Ausweitung des vorliegenden Gesetzentwurfes einzugehen und die von Rückhalteflächen durch Deichrückverlegungen. Änderungsanträge auch der Koalition zu bewerten. Im Wenn der NABU wie auch in der Anhörung ausführt, Plenum kann ich mich aufgrund der Zeit nur auf wenige dass die Überschwemmungsflächen der Elbe um 87 Pro- Kernaussagen beschränken. Man kann nur noch einmal zent reduziert wurden, verschweigt er, dass er sich auf unterstreichen, was Frau Dr. Flachsbarth gesagt hat:einen Zeitpunkt vor über 1 000 Jahren, also vor der Be- Zeitpunkt und Zeitrahmen, die uns hier zu diesem Tages- siedlung des Elbegebietes, bezieht. ordnungspunkt eingeräumt werden, weisen deutlich da- rauf hin, wie wichtig Sie dieses Hochwasserschutzgesetz (Horst Kubatschka [SPD]: Das stimmt nicht! nehmen. Das war schon früher besiedelt! Das ist ge- schichtlich falsch! – Gegenruf des Abg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Es geht um neten der FDP – Horst Kubatschka [SPD]: Das die Elbe, nicht um die Donau! Er verwechselt waren die Geschäftsführer!) immer die Flüsse!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10809

Ulrich Petzold (A) Außerdem erscheint die Fläche auch nur deshalb so (Beifall bei der CDU/CSU – Horst Kubatschka (C) groß, weil sich der Lauf der Elbe seit dieser Zeit mehr- [SPD]: Das war eine Selbstbezichtigung mit fach verändert hat. Doch wenn wir die tatsächlichen dem Pappkameraden!) Fachleute, wie die Fachleute von der Bundestanstalt für Wasserbau oder die Sachverständigen bei unserer Anhö- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: rung, die Sie benannt haben, Professor Quast und Profes- Auch ich danke Ihnen und schließe die Aussprache zu sor Rodriguez, zu Wort kommen lassen, dann kommtdiesem Punkt. übereinstimmend zum Ausdruck, dass Deichrückverle- gungen die Höhe des Hochwasserscheitels nur unwe- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- sentlich beeinflussen. Die im Gesetzentwurf geforderten desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Deichrückverlegungen sind daher aus Naturschutzgrün- Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes den schön, aber für den Hochwasserschutz bestenfalls auf Drucksachen 15/3168 und 15/3214. Der Ausschuss zweite Wahl für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzent- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Die Regie- wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte rung ist zweite Wahl!) diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- und gegenüber der Wirkung von gesteuerten Poldern ab- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- solut zu vernachlässigen. stimmen? – Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koa- Der dritte Pappkamerad, der dann kam, litionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen von (Horst Kubatschka [SPD]: Den Pappkamera- CDU/CSU und FDP angenommen. den haben Sie aufgebaut!) Wir kommen zur war das Ackerbauverbot, jetzt abgemildert auf Acker- dritten Beratung baubeschränkungen in Überschwemmungsgebieten. Ero- sion und Stoffabtrag sollen als Begründung herhalten, und Schlussabstimmung. Bitte erheben Sie sich, wenn um die Landwirtschaft in ein Korsett zu zwängen. Doch Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer stimmt schlüssige Begründungen konnten bei allen Anstrengun- dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der gen nicht erbracht werden. Wenn nicht einmal mehr der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit Vertreter des NABU in der Anhörung den Feststellungen den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge- von Professor Quast und Professor Rodriguez wider-gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. spricht, dass Ackerbau in Überschwemmungsgebieten (B) Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-(D) nicht zur Erosion führt, spricht dies Bände. ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/3480? – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das hat Herr Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs- Hermann noch gar nicht gemerkt!) antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Ent- Das sollte Sie, liebe Kollegen von der Koalition, veran- haltung der FDP abgelehnt. lassen, auch diesen Pappkameraden endlich zu versen- ken. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/3481? – Wer stimmt dage- Wenn man denn eigentlich Naturschutz will, dann gen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Entschlie- muss man auch Naturschutz dazu sagen und darf es nicht ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen mit dem Mäntelchen des Hochwasserschutzes umhän- gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/ gen. CSU abgelehnt. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: So ist es!) a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wenn Sie mit der Angst der Menschen vor dem Hoch- Marlene Mortler, Peter H. Carstensen (Nord- wasser spielen, um Ihre politischen Ziele im Naturschutz strand), Albert Deß, weiterer Abgeordneter und durchzusetzen, dann macht dies Sie eines Tages un- der Fraktion der CDU/CSU glaubwürdig. Das Schlimme dabei ist, dass dadurch Situation des ökologischen Landbaus in nicht nur Sie unglaubwürdig werden, sondern dass Sie Deutschland dadurch unser gesamtes politisches System unglaubwür- dig machen. – Drucksachen 15/1385, 15/2128 – (Lachen bei der SPD) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Ich fordere Sie eindringlich auf: Gestalten Sie ein klares rung des Gesetzes zur Durchführung der Rechts- Hochwasserschutzgesetz! Bauen Sie keine Pappkamera- akte der Europäischen Gemeinschaft auf dem den auf! Nur so schaffen wir wieder Glaubwürdigkeit in Gebiet des ökologischen Landbaus(Öko- den Augen unserer Bürger. Landbaugesetz – ÖLG) Danke schön. – Drucksache 15/775 – 10810 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) (Erste Beratung 43. Sitzung) dern darum, „wie“ gefördert wird. Dieses „Wie“ war der (C) Kern unserer Großen Anfrage. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- Ich komme zum Beispiel Biosiegel. Als Oppositions- wirtschaft (10. Ausschuss) politikerin, aber auch als Bäuerin sehe ich es grundsätz- lich positiv. Erstens ist es transparent und zweitens ist – Drucksache 15/2059 – das Ganze unbürokratisch organisiert. Frau Ministerin Berichterstattung: Künast hat auf der „Biofach“ in Nürnberg gesagt, dass Abgeordnete Gustav Herzog das Biosiegel zurzeit auf rund 20 000 verschiedenen Marlene Mortler Ökoprodukten zu finden ist. Das beantwortet aber nicht Ulrike Höfken die Frage, welcher Anteil der mit dem Biosiegel gekenn- Dr. Christel Happach-Kasan zeichneten und verkauften Produkte von heimischen Ökobauern stammt und welcher Anteil aus dem Ausland Nach interfraktioneller reinbarung Ve ist für diekommt. Ein hoher Beamter des BMVEL hat erklärt, dass Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, die wir aber rund 92 Prozent der Produkte mit dem deutschen Biosie- nicht benötigen, weil die Abgeordneten Herzog undgel auch von deutschen Bauern stammen. Goldmann ihre Reden zu Protokoll geben möchten.1) Sind Sie damit einverstanden? – Dann verfahren wir so. Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wie hat Ihr Haus diese Zahlen eigentlich ermittelt? In der Antwort auf un- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst sere Anfrage sagen Sie nämlich, dass es zum Ökomarkt die Abgeordnete Marlene Mortler. keine Daten aus der amtlichen Statistik, sondern nur Schätzungen gibt. Unklar bleiben auch die Antworten Marlene Mortler (CDU/CSU): auf die Fragen, wie viele Ökoprodukte, die in Deutsch- land hergestellt werden, ausländische Rohstoffe beinhal- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten ten und wie viele Produkte auf diese Weise ein Etikett Damen und Herren! Der ökologische Landbau nimmt mit dem deutschen Kontrollstempel bekommen. mit seinen klar definierten Richtlinien eine Sonderstel- lung innerhalb der verschiedenen Landbewirtschaftungs- Tatsache ist, dass sich viele deutsche Biobauern täg- formen ein. Das ist ein Grund für unsere Große Anfrage. lich beklagen, dass ihnen Ökopreisdumping und die Austauschbarkeit, das heißt die Beliebigkeit des Biosie- Der ökologische Landbau verzichtet auf chemisch- gels, enorme wirtschaftliche Probleme bereiten. synthetische Produktionsmittel und auf den Einsatz gen- technisch veränderter Organismen sowie deren Derivate. (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Mit den Richtlinien ist auch die Grundlage für eine art- Ich frage Sie, Herr Staatssekretär: Erhalten Sie diese(D) gerechte Tierhaltung geschaffen worden. Dies ist über Botschaften, diese Hilferufe eigentlich nicht? alle Fraktionen hinweg unbestritten. Unbestritten ist auch, dass die Ausdehnung dieser Landbewirtschaf- Da ich selbst ökologische Produkte in meinem Be- tungsform positiv gesehen wird. Der ökologische Land- trieb verarbeite, kann ich aus Erfahrung sagen, dass auf bau ist ebenfalls ein wichtiges Standbein für die touristi- dem Ökomarkt der eisige Wind des knallharten Wettbe- sche Entwicklung der ländlichen Räume. So kaufenwerbs bläst. Das heißt, Frau Ministerin hat es erst mit Landtouristen lieber Lebensmittel aus der Region alsder Einführung des Biosiegels ermöglicht, dass jeder Massenware aus dem Regal. ausländische Anbieter Zugang zu den Märkten in Deutschland hat, wenn Konformität nach EG-Öko- (Beifall bei der CDU/CSU) Verordnung 2092/91 besteht. Das gilt aber nicht nur für ökologisch, sondern auch für (Gustav Herzog [SPD]: Das war auch schon konventionell erzeugte Lebensmittel. Die Region ist hier vorher möglich!) wichtig. Mit ihren bekannten Worthülsen hat Frau Ministerin Frau Ministerin Künast hat sich zwar die Förderung Wein gepredigt und Wasser trinken lassen. Sie hat die der ökologischen Landwirtschaft auf die Fahnen ge-höheren deutschen Standards faktisch ausgehebelt. schrieben, ich fordere und erwarte von ihr aber, dass sie für alle landwirtschaftlichen Betriebe und Bauernfami- (Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog lien unabhängig von ihren Wirtschaftsweisen Verant- [SPD]: Quatsch! Die Anbauverbände haben wortung trägt. immer noch ihren Markt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/Sie haben zwar in der Antwort auf die Große Anfrage CSU – Gustav Herzog [SPD]: Das tut sie richtig erkannt, dass damit auch unsere Erzeuger Kos- auch!) tenvorteile haben können, wenn sie nur nach den Vorga- ben der EG-Öko-Verordnung produzieren. Allerdings – Die Antwort ist sie bis heute schuldig geblieben, Herr haben Sie keine konkreten Lösungsvorschläge vorgelegt, Herzog. – Wird der ökologische Landbau in Deutsch- um die Wettbewerbsverzerrung für die deutschen Öko- land von der Bundesregierung nun wirklich besonders bauern zu beseitigen. gefördert? Letztendlich geht es nicht um das „Ob“, son- Ihr Memorandum zur Weiterentwicklung der EG- Öko-Verordnung in Ehren, aber der Zuspruch der ande- 1) Anlage 22 ren EU-Mitgliedstaaten ist – höflich ausgedrückt – sehr Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10811

Marlene Mortler (A) verhalten. Die anderen EU-Mitgliedstaaten dagegen Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) bauen auf eigene Wettbewerbsvorteile und insbesondere NEN): auf die hausgemachten Wettbewerbsnachteile Sehr in geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Deutschland. In Frankreich steht bei PR-Aktionen für Herren! Ich freue mich sehr über so viel Interesse der Ökoprodukte das nationale Gütesiegel „Agriculture Bio- CDU/CSU-Fraktion am ökologischen Landbau. Es ist logique“ an erster Stelle. In Großbritannien ist es ent- ein sehr detailliertes Interesse, wie die 72 Fragen Ihrer sprechend. Großen Anfrage zeigen, Frau Mortler. Ihr Ziel, Bioimporte in engem Konsens mit dem Le- Wie ich sehe, ist Herr Carstensen, der mit Ihnen die bensmitteleinzelhandel so weit wie möglich durch hei- Anfrage gestellt hat, leider gar nicht da. Stimmt ja: Er ist mische Produkte zu ersetzen und die Nachfrage zu för- beim Spanferkelessen bei den Schweinehaltern in Nie- dern, ist sicherlich ein Grund, warum sichdersachsen, die von wo er nicht weg kann. Ich hoffe aber Exportmärkte für unsere Bioprodukte unter anderem in auch, dass Herr Carstensen als Agrarsprecher der Uni- Frankreich und Großbritannien rückläufig entwickeln. onsfraktion genug Zeit hat, um die Antworten der Bun- Auch bei uns sind die Absatzmärkte unzureichend. Vor desregierung, Herr Staatssekretär, auf seine Fragen allem im Bereich Biomilch mussten im letzten Jahr nach gründlich zu studieren. Wie man hört, beschäftigt er sich Informationen der ZMP 30 Prozent der gesamten Pro- vor allem mit der Beantwortung der über die „Bild“-Zei- duktionsmenge wieder konventionell vermarktet wer- tung initiierten Hochzeitsofferten. den. (Beifall bei der SPD – Helmut Heiderich (Gustav Herzog [SPD]: Das war auch vorher [CDU/CSU]: Lach, lach, lach!) schon so!) Der ökologische Landbau ist ein sehr ernsthaftes Ge- Die Großabnehmer reiben sich die Hände; denn Über- schäft. Seit 21 Jahren bewirtschaften meine Frau und ich schüsse bedeuten Preisdruck. Die Störung des Markt-unseren Hof biologisch. Damit wir wirtschaftlich überle- gleichgewichts zulasten der Landwirte zeigt, dass man ben konnten, mussten wir uns unseren eigenen Markt Ökoanbau nicht verordnen darf. hart erarbeiten, so wie es alle mussten, die sich für die- sen Schritt entschieden haben. Wir Biobetriebe waren (Beifall bei der CDU/CSU) auf uns allein gestellt, die Agrarpolitik der letzten Jahr- Mittelfristig werden Länder aus Osteuropa mit erheb- zehnte hat uns schlicht nicht vorgesehen. Ja, wir haben lichen Mengen auf unsere Märkte drängen. Drittländer unsere Betriebe und Märkte gegen die frühere Agrarpoli- werden weiter auf unsere attraktiven, weil großentik entwickelt, für die die Union über Jahrzehnte verant- Märkte drücken. Der Absatz über Direktvermarktung, wortlich war. (B) (D) also ab Hof oder auf Bauernmärkten, ist fast ausgereizt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Biosupermärkte allerdings sind besser dran. Hier sehe und bei der SPD) ich durchaus einen Lichtblick. Das Potenzial für den Ab- satz in Kantinen und Großküchen ist hoch, wird aber Mit Renate Künast hat sich dieses Verhältnis geändert kaum genutzt. Der Lebensmitteleinzelhandel und dieund normalisiert, wie in vielen anderen EU-Staaten vor- Discounter werden ihr Ökoangebot sicherlich ausweiten. her auch schon. Die Leistungen des ökologischen Land- Aber nach der Ideologie von Ministerin Künast müsste baus wurden endlich auch bei uns von der Bundespolitik man logischerweise von Masse statt Klasse sprechen.anerkannt. Diese neue Wertschätzung durch die Poli- Soll denn nicht das Biosiegel für unsere deutschen Bau- tik entsprach und entspricht im Übrigen auch der gesell- ern zur Erfolgsstory werden? Ich frage mich an dieser schaftlichen Anerkennung der Biobetriebe. Das hängt Stelle: Was nun, Frau Künast, stellvertretend Herrnicht zuletzt damit zusammen, dass der Ökolandbau den Staatssekretär? Wünschen der Bevölkerung nach Transparenz, Offen- heit, nach Umwelt- und Tierschutzqualität offensiv ent- Ich denke, wir als Union haben das bessere Konzept. gegenkam. Frau Mortler, wir sollten auch festhalten Deutsche Ökoprodukte haben beim deutschen Verbrau- – Sie haben viel aus den „ZMP-Nachrichten“ zitiert, die cher einen hohen Stellenwert. Deshalb liegt es auf der heute auf den Tisch kamen –, dass oben in den Nachrich- Hand, dass der deutsche Verbraucher dies beim Einkauf ten stand, dass der Ökomarkt eine Steigerung von deutlich erkennen muss. Nur so und nicht anders wird 5,5 Prozent im Jahr 2003 zu verzeichnen hatte. das Biosiegel zur Erfolgsstory für Bauern und Verbrau- cher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich danke Ihnen. Ich wäre froh gewesen, wenn Sie auch dieses zitiert hät- (Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog ten. Andere im Lebensmittelmarkt wären froh über sol- [SPD]: Heute Morgen hat der Präsident von che Zahlen. der Öffnung der Märkte gesprochen! – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Sie haben Ihre (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Es geht um die Rede zu Protokoll gegeben!) Wertschöpfung!) Im ökologischen Landbau verdichten sich eben die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Werte der bäuerlichen Landwirtschaft, die glücklicher- Danke schön. – Das Wort hat jetzt der Abgeordnete weise auch noch in vielen konventionell wirtschaftenden Friedrich Ostendorff. Betrieben vorhanden sind und gelebt werden. 10812 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Friedrich Ostendorff (A) Liebe Kolleginnnen und Kollegen, derDeutsche 20 Prozent Ökolandbau in zehn Jahren zu erreichen, ist (C) Bauernverband hat damit die Deutungshoheit und das ein gutes Beispiel dafür. Meinungsmonopol über die Agrarpolitik in Deutschland (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Landwirtschaft!) verloren und andere Kräfte wurden gestärkt. Es ist gut, dass wir dabei sind, das alte Geflecht von frühererDenn es zeigt, das wir das Mögliche in Bewegung set- Agrarpolitik, Wissenschaft und Beratung zu überwin- zen, um die Rahmenbedingungen so zum Guten zu ver- den, denn dieses Geflecht hatte alles getan, um diese po- ändern, dass diese Ziele wahr werden können. Ich muss sitiven und gesellschaftlich geschätzten Werte zu zerstö- sagen: Wer hätte gedacht, dass wir auf diesem Weg so ren. erfolgreich sind, beharrlich und nachhaltig, eben auf bäuerliche Art und Weise, und das in einer Zeit, wo all- (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Ihr habt doch enthalben „Geiz ist geil“ angesagt ist? Auch die „ZMP- die eigenen Ökobauern in die Pfanne ge- Nachrichten“ titelten heute: „Ökomarkt wieder auf dem hauen!) Wachstumspfad“. Es ist auch gut, dass sich viele Bäuerinnen und Bauern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch im ökologischen Landbau dem beharrlich und aktiv und bei der SPD – Marlene Mortler [CDU/ widersetzt haben. Auf diesen Fundamenten bauen wir CSU]: Und wo bleibt die Wertschöpfung?) nun auf, im ökologischen Teil wie im allgemeinen Teil der Landwirtschaft. Bestes aktuelles Beispiel ist die Re- form der europäischen Agrarpolitik. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat das Wort der Kollege Helmut Heiderich. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das sind die Einkommensverluste der Bauern!) (Beifall bei der CDU/CSU)

Wir formen das System der staatlichen Direktzahlungen Helmut Heiderich (CDU/CSU): um und machen es insgesamt gerechter. Mit der einheit- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- lich hohen Flächenprämie beenden wir eine langjährige gen! Die Vorgabe der Bundesregierung, die Ökoland- Benachteiligung von Grünland gegenüber Silomais. wirtschaft auf einen Anteil von 20 Prozent zu pushen, ist Weil ökologische wie auch viele bäuerliche Milch- schlicht und einfach unrealistisch. Sie ist für die Bauern viehbetriebe einen höheren Anteil an Grünland haben, ebenso negativ wie die gesamte Künast-Agrarwende. Im hilft ihnen diese Reform, denn sie müssen nicht mehr ge- vierten Jahr hintereinander – das ist die Realität – verlie- gen die einseitigen Prämien für Ackerland ankämpfen. ren die deutschen Landwirte wegen dieser falsch ausge- richteten Politik an Einkommen. Das trifft die Ökobran- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che trotz aller ministeriellen Bevorzugung ebenso wie(D) und bei der SPD) die anderen Höfe. Auch unser neues Gentechnikgesetz ist ein Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU) dafür, wie wir durch Setzen allgemeiner Rahmenbedin- gungen der besonders nachhaltigen Landwirtschaft hel- Herr Ostendorff, wenn Sie das mit ausgleichender Ge- fen. rechtigkeit meinen, dann muss ich Ihnen entgegenhalten, dass Sie damit eine Gerechtigkeit schaffen, die eher (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Sie gaukeln schädlich ist. den Ökobauern damit etwas vor!) Ministerin Künast hat allein für dieBiosiegel-Wer- Wir haben ein Gesetz beschlossen, das diejenigen sobung in den letzten beiden Jahren Steuermittel in Höhe weit wie möglich schützt, die auch in Zukunft gesunde von 14 Millionen Euro ausgegeben. Lebensmittel ohne Gentechnik erzeugen wollen. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wie ist es an GRÜNEN]: Gut investiertes Geld!) den Grenzen zu Tschechien und Polen?) Was hat das gebracht? Zunächst sind dadurch die Öko- Wenn es nach Ihnen von der Union ginge, Frau Mortler, qualitätsstandards in Deutschland erheblich gesenkt dann würde dagegen diese Technologie im Anbau Ein- worden. zug halten und die Folgekosten würden der Mehrheit der (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Landwirte aufgebürdet, die weiterhin keine Gentechnik NEN]: Quatsch! Ihr habt keine Ahnung!) will. Das hat die Ökolandwirtschaft nachhaltig verändert, und (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Weil klare Re- zwar zu ihrem Nachteil, weil die hohen deutschen Stan- geln fehlen! Wahlfreiheit für alle! – Helmut dards abgesenkt worden sind. Heiderich [CDU/CSU]: Sie reden wie der Blinde von den Farben!) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Gut, dass Sie von der Union sich auch hier nicht durch- gesetzt haben. Wie stellt sich die Situation heute dar? Von den klei- nen, in sich geschlossenen und überschaubaren Betrie- Meine Damen und Herren, an den Zielen einer Politik ben im Ökobereich, die Sie immer wieder anführen, macht sich ihre Ausrichtung sichtbar. Das kann Ziel, doch längst nicht mehr die Rede sein. Ein großer Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10813

Helmut Heiderich (A) Teil aller Betriebe – schauen Sie doch in Ihre eigene Sta- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (C) tistik! – ist inzwischen größer als 200 Hektar; in Meck- Danke schön. – Ich schließe damit die Aussprache. lenburg-Vorpommern sind sie sogar größer als 500 Hek- tar. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes- rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Ge- (Gustav Herzog [SPD]: Das ist auch gut so!) setzes zur Durchführung der Rechtsakte der Europäi- Ich kann mich noch daran erinnern, dass Sie in diesem schen Gemeinschaft auf dem Gebiet des ökologischen Hause von Agrarfabriken gesprochen hatten. Damit war Landbaus. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh- jeder Betrieb gemeint, der mehr als 100 Hektar hatte.rung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Beschluss- Jetzt sind es plötzlich keine Agrarfabriken mehr. empfehlung auf Drucksache 15/2059, den Gesetzent- wurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ein großer Teil des Futters wird doch längst nichtGesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- mehr im eigenen Betrieb erzeugt, sondern im internatio- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der nalen Handel beschafft. Das haben wir im Zusammen- Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen hang mit dem Nitrofenskandal lange genug diskutiert. der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/ Auch von den Vorteilen hinsichtlich der Qualität, Tierge- CSU und FDP abgelehnt worden. Damit entfällt nach rechtigkeit oder Nachhaltigkeit kann nicht mehr dieunserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Rede sein. Darüber liegen genug Forschungsergebnisse aus Ihren eigenen Bundesforschungsanstalten vor. Das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: brauche ich hier nicht weiter auszuführen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Vor allem hat der von Ihnen geschaffene Niedrigstan- richts des Ausschusses für Kultur und Medien dard – das hat Frau Kollegin Mortler bereits ausgeführt – (21. Ausschuss) zu hohen Importen und damit zu Preisdruck auf den ei- – zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika genen Märkten geführt. Das trifft die Ökobauern ge- Krüger-Leißner, Rainer Arnold, Dr. Hans-Peter nauso wie alle anderen. Bartels, weiterer Abgeordneter und der Frak- (Beifall bei der CDU/CSU) tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Volker Beck (Köln), Claudia Deshalb ist es falsch, wenn die Bundesregierung die Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und Ökobranche ständig als eine Art Vorbildlandwirtschaft der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- darzustellen versucht. Was wir statt dieser Differenzie- NEN rung der Landwirtschaft brauchen, sind bessere Bedin- (B) gungen für die gesamte deutsche Landwirtschaft. Dabei Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr (D) sind Sie gefordert. 2005 (Beifall bei der CDU/CSU – Marlene Mortler [CDU/ – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter CSU]: Wir sitzen alle in einem Boot!) Gauweiler, Günter Nooke, (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak- Wer wie Frau Künast den Bauern ständig mehr Aufla- tion der CDU/CSU gen macht und damit den Betrieben höhere Kosten ver- ursacht, der muss auch dafür sorgen, dass dies durch ein Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs höheres Einkommen ausgeglichen wird, und verhindern, im Zweiten Weltkrieg dass ausländische Billigkonkurrenz bei uns zu Produk- – Drucksachen 15/2974, 15/986, 15/3431 – tionsbedingungen verkaufen darf, die den deutschen Bauern – ob sie Ökobauern sind oder nach guter fachli- Berichterstattung: cher Praxis arbeiten – verboten sind. Das kann doch Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner nicht das Ergebnis einer vernünftigen Agrarpolitik sein. Dr. Peter Gauweiler Claudia Roth (Augsburg) (Beifall bei der CDU/CSU) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) So werden vielmehr der Verbraucher in die Irre geführt Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der und der Landwirt letztendlich geschädigt. FDP vor. Die Bundesregierung sollte lieber – das hat Frau Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden keine Mortler eben auch schon ausgeführt – die regionale Di- Reden mehr hören, ich vermute: dank des Fußballs. rektvermarktung für alle stärken, (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Es steht (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE noch 0 : 0! – [CDU/CSU]: GRÜNEN]: Das tun wir!) Dank der Geschäftsführer!) statt mit unrealistischen 20-Prozent-Zielen und einseiti- gem Eingreifen in den Markt den Preisverfall und das – Auch dank der Geschäftsführer. – Nun haben wir einen Höfesterben weiter zu fördern. Abstimmungsmarathon vor uns. Herzlichen Dank. Tagesordnungspunkt 21: Die Kolleginnen Krüger- Leißner, Roth und Dr. Lötzsch sowie der Kollege (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Gauweiler bitten, ihre Reden zu Protokoll geben zu 10814 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) dürfen.1) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derzu Protokoll geben zu dürfen.2) Sind Sie damit einver- (C) Fall. standen? – Das ist der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Dann kommen wir als Erstes zur Abstimmung über empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit Drucksache 15/3431. Der Ausschuss empfiehlt unterdem Titel „Für eine schnelle Überwindung der politi- Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Frak- schen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezu- tionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- ela“, Drucksache 15/3453. Wer stimmt für diesen An- sache 15/2974 mit dem Titel „Der 60. Jahrestag destrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Kriegsendes im Jahr 2005“ in der Ausschussfassung an- Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- zunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Frak- gen die Stimmen der Opposition angenommen. tion der FDP, Drucksache 15/3514, vor. Wer stimmt für Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der den Änderungsantrag der FDP? – Wer stimmt dagegen? – Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 15/3438. Wer Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim- stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal- men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von tungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koali- FDP und CDU/CSU abgelehnt. tionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abge- Wer stimmt für die Beschlussempfehlung, den Antrag lehnt. auf Drucksache 15/2974 in der Ausschussfassung anzu- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: nehmen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Beratung des Antrags der Abgeordneten Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ Dr. Sascha Raabe, Karin Kortmann, Detlef CSU und FDP angenommen. Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/986 mit dem Titel des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN „Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Für eine nachhaltige Rohstoff- und Energie- – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- politik der Weltbank fehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/ – Drucksache 15/3465 – Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Ent- haltung der FDP angenommen. Hier haben die Kollegen Dr. Raabe, Hoppe und (B) Löning sowie die Kollegin Dr. Mayer gebeten, ihre Re- (D) Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 sowie Zusatzpunkt 6 den zu Protokoll geben zu dürfen.3) – Ich sehe, dass Sie auf: einverstanden sind. 23 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lothar Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Mark, (Wiesloch), HansFraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeordneter und Drucksache 15/3465. Wer stimmt für diesen Antrag? – der Fraktion der SPD sowie der AbgeordnetenGegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Hans-Christian Ströbele, Thilo den Hoppe, Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Dr. Ludger Volmer, weiterer Abgeordneter und men der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenom- der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- men. NEN Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Für eine schnelle Überwindung der politi- Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD schen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Venezuela Ungerechtfertigtes Steuerprivileg für schwere – Drucksache 15/3453 – Geländewagen abschaffen ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus- – Drucksache 15/3468 – Jürgen Hedrich, Claudia Nolte, Dr. Friedbert Pflüger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Kollegin Wright, die Kollegen Seiffert, Hermann der CDU/CSU und Solms sowie die Staatssekretärin Gleicke bitten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.4) Sind Sie damit Ordnungsgemäßen Ablauf des Abberufungs- einverstanden? – Das ist der Fall. referendums in Venezuela sicherstellen Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der – Drucksache 15/3438 – Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen „Ungerechtfertigtes Steuerprivileg für schwere Gelände- Hier haben die Kollegen Mark, Hedrich, Weiß (Em- mendingen), Ströbele und Leibrecht gebeten, ihre Reden 2) Anlage 24 3) Anlage 25 1) Anlage 23 4) Anlage 26 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10815

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) wagen abschaffen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Rechtsausschuss (C) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Die Kolleginnen Lösekrug-Möller, Dött und Homburger sowie Kollegen Bollmann und Obermeier Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: und der Bundesminister Trittin haben gebeten, ihre Re- Beratung des Antrags der Fraktionen der SPDden zu Protokoll geben zu dürfen.2) – Ich sehe, Sie sind und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einverstanden. Für eine qualifizierte Mitbestimmung bei Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- grenzüberschreitenden Fusionen wurfs auf Drucksache 15/3441 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätz- – Drucksache 15/3466 – lich soll der Gesetzentwurf an den Ausschuss für Überweisungsvorschlag: Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft über- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Rechtsausschuss wiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Kollegin Barnett und die Kollegen Röttgen, Fritz Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: Kuhn und Brüderle haben gebeten, die Reden zu Pro- tokoll geben zu dürfen.1) – Wie ich sehe, sind Sie damit Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD einverstanden. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage an besserung des unfallversicherungsrechtlichen die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und schlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Frak- weiterer Personen tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so- wie die Fraktion der FDP wünschen die Federführung – Drucksache 15/3439 – beim Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit. Die Fraktion Überweisungsvorschlag: der CDU/CSU wünscht die Federführung beim Rechts- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f) ausschuss. Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Die Kolleginnen Kaupa, Bender und Lenke sowie die Fraktion der CDU/CSU – Federführung beim Rechtsaus- Kollegen Dreßen und Weiß (Groß-Gerau) und der (B) schuss – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überwei- Staatssekretär Thönnes haben gebeten, ihre Reden zu(D) sungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Der Überwei- Protokoll geben zu dürfen.3) – Ich sehe, Sie sind auch da- sungsvorschlag ist mit den Stimmen von mit SPD, einverstanden. Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 15/3439 an die in der Tagesord- Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zusätz- Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und lich soll der Gesetzentwurf an den Sportausschuss und der FDP – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju- und Arbeit – abstimmen. Wer stimmt für diesen Über- gend überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- den? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so tungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stim- beschlossen. men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen worden. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: ordnung. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- destages auf morgen, Freitag, den 2. Juli 2004, 9 Uhr, brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- ein. rung einer strategischen Umweltprüfung und Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen einen zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EGschönen Abend. (SUPG) Die Sitzung ist geschlossen. – Drucksache 15/3441 – Überweisungsvorschlag: (Schluss: 22.13 Uhr) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) 2) Anlage 28 1) Anlage 27 3) Anlage 29

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10817

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten Die Finanzplanung sieht eine Fortsetzung der GA- Förderung für die Jahre 2006 bis 2008 auf dem Niveau des Etatentwurfs 2005 vor. Zur Höhe der Verpflichtungs- entschuldigt bis ermächtigungen ab 2006 kann derzeit keine Aussage ge- Abgeordnete(r) einschließlich troffen werden, weil diese erst in den Haushaltsjahren 2006 ff. in den jeweiligen Bundeshaushalten veran- Bertl, Hans-Werner SPD 01.07.2004 schlagt werden. Bayern erhält aufgrund der GA-Förder- gebietsabgrenzung 2000 bis 2006 eine anteilige Quote Hohmann, Martin fraktionslos 01.07.2004 von 7,69 Prozent der GA-Bundesmittel für die westdeut- schen Länder (ohne Berlin). Für die Zeit nach 2006 sind Janssen, Jann-Peter SPD 01.07.2004 derzeit noch keine Aussagen hinsichtlich der Verteilung auf die Länder möglich. Die Mittelvertetung ab 2007 ist Lengsfeld, Vera CDU/CSU 01.07.2004 durch einen neuen Beschluss des Bund-Länder-Pla- nungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe festzuset- Parr, Detlef FDP 01.07.2004 zen. Dr. Rexrodt, Günter FDP 01.07.2004

Dr. Rossmann, Anlage 3 SPD 01.07.2004 Ernst Dieter Antwort Strässer, Christoph SPD 01.07.2004 des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt auf die Frage des Abgeordneten Dietrich Austermann (CDU/CSU) Dr. Struck, Peter SPD 01.07.2004 (115. Sitzung, Drucksache 15/3425, Frage 31): Dr. Thomae, Dieter FDP 01.07.2004 Mit welchen Zahlungen bzw. Zahlungsverpflichtungen ist nach dem Haushaltsentwurf für 2005 bei Bund, Bundesagen- tur für Arbeit und Kommunen im Zusammenhang mit der Zu- Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 01.07.2004 sammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu rech- Margareta DIE GRÜNEN nen? (B) Die Ausgaben des Bundes für die Leistungen der(D) Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Anlage 2 Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für das Haushaltsjahr 2005 sind im Wesentlichen im Entwurf zum Antwort Einzelplan 09 des Bundesministeriums für Wirtschaft des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt auf die Frage und Arbeit veranschlagt. Danach ergeben sich die nach- des Abgeordneten Hans Michelbach (CDU/CSU) folgenden Haushaltsansätze: (115. Sitzung, Drucksache 15/3425, Frage 30): Wie entwickelte sich dasFörderprogramm des Bundes Kap. 0912 Tgr. 01 – Leistun- „Die Verpflichtungsermächtigungen der Gemeinschaftsauf- gen der Grundsicherung für gabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für Arbeitsuchende 24,45 Milliarden Euro den Freistaat Bayern, die so genannte GA-Förderung (West), seit dem Jahr 2000, und welche Entwicklung wird sie bis in davon: das Jahr 2007 nehmen? Beteiligung des Bundes an Im Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe den Leistungen für Unter- „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) kunft und Heizung 1,8 Milliarden Euro hat der Bund für Bayern Verpflichtungsermächtigungen in folgender Höhe bereitgestellt bzw. vorgesehen: Verwaltungskosten für die Durchführung der Grund- sicherung Haushaltsjahr 2000 10,0 Millionen Euro für Arbeitsuchende 3,3 Milliarden Euro Haushaltsjahr 2001 10,2 Millionen Euro Arbeitslosengeld II 13,0 Milliarden Euro Haushaltsjahr 2002 10,2 Millionen Euro Leistungen zur Eingliede- Haushaltsjahr 2003 10,2 Millionen Euro rung in Arbeit 6,35 Milliarden Euro Haushaltsjahr 2004 (BMWA-Zuweisung) 7,0 Millionen Euro Darüber hinaus sind im Einzelplan 17 des Bundes- Regierungsentwurf 2005 7,5 Millionen Euro ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 10818 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) in Kap. 1710 Tgr. 01 dieAusgaben für den Kinderzu- mission von Peter Müller festgestellt hatten, dass demo- (C) schlag für Anspruchsberechtigte nach § 6 a Bundeskin- graphische Zuwanderung einen wichtigen Beitrag dar- dergeldgesetz veranschlagt und zwar in Höhe vonstellt, um die Sozialsysteme in Deutschland langfristig 0,217 Milliarden. zu sichern. Die wirtschaftliche und demographische Ent- Der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) für wicklung der nächsten Jahre wird hier eine Weiterent- das Jahr 2005 wird im kommenden Herbst durch diewicklung notwendig machen. Wir werden uns deshalb Selbstverwaltungsorgane der BA aufgestellt. Dabei ist dafür einsetzen, dass die Einführung des Punkteverfah- infolge der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsu- rens und die weitere Lockerung und Aufhebung des An- chende erstmals der von der BA an den Bund zu zah-werbestopps wieder auf die politische Tagesordnung lende Aussteuerungsbetrag nach § 46 SGB II zu etatisie- kommen. ren. Im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaushalts Auch von seinem ursprünglichen Integrationsmodell 2005 ist hierzu eine Einnahme im Einzelplan musste 09 Rot-Grün auf Druck der Union in einem Maße Kap. 0912 veranschlagt in Höhe von 6,717 Milliarden Abstriche machen, das den Kernbereich dieses Modells Euro. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und berührt: Zwar erhalten formal künftig alle, die nach Sozialhilfe für Erwerbsfähige soll die kommunalenDeutschland einwandern, einen Rechtsanspruch auf In- Haushalte um 2,5 MilliardenEuro entlasten. Um diese tegrationskurse, um dort die für ihre Aufenthaltsverfesti- Entlastung 201 erreichen, wird sich der Bund an dengung erforderlichen ausreichenden Deutschkenntnisse Kosten für Unterkunft und Heizung beteiligen. Eine ge- zu erwerben. Faktischen Zugang erhalten diese Men- setzliche Revisionsklausel gewährleistet den Kommunen schen – ebenso wie bereits hier lebende Ausländerinnen Planungssicherheit. und Ausländer – aber nur, wenn sie hierzu von den Aus- länderbehörden verpflichtet werden. Jetzt steht Rot- Grün in der Verantwortung: Da sich die Länder auf Anlage 4 Druck der Union aus der Finanzierung dieser Integra- Erklärung nach § 31 GO tionskurse vollständig zurückgezogen haben, obliegt es nun Rot-Grün sicherzustellen, dass der Integrations- der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), kursanspruch nicht – wie von der Union vorgeschlagen – Josef Philip Winkler, Jutta Dümpe-Krüger, zu einer Integrationsförderung nach Kassenlage ver- Michaele Hustedt, Thilo Hoppe, Winfriedkommt. Zudem werden wir in der nun anstehenden Nachtwei, Dr. Ludger Volmer, Cornelia Behm, Rechtsverordnung klarstellen, dass die Ausländerinnen Irmingard Schewe-Gerigk, Werner Schulz und Ausländer zum Beispiel hinsichtlich ihres Kosten- (Berlin), Friedrich Ostendorff, Kerstinbeitrags zu den Sprachkursen nicht überfordert werden (B) Andreae, Markus Kurth, Franziska Eichstädt- und dass so genannte Bestandausländerinnen und -aus- (D) Bohlig und Marianne Tritz (alle BÜNDNIS 90/ länder dann nicht zu Integrationskursen verpflichtet wer- DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Be- den, wenn sie bereits Deutsch sprechen, schlussempfehlung des Vermittlungsauschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung Im Bereich des Flüchtlingsschutzes haben wir mit der der Zuwanderung und zur Regelung des Auf- Anerkennung nichtstaatlicher bzw. geschlechtsspezifi- enthalts und der Integration von Unionsbür- scher Verfolgung eine erhebliche Verbesserung in der gern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) Asylanerkennungspraxis dieses Landes erreicht. (Zusatztagesordnungspunkt 2 Inwiefern aber der neue Status des humanitären Mit dem Zuwanderungskompromiss leiten wir inSchatzes § 25 Abs. 3 und 5 AufenthG zu dem Erfolg Deutschland einen gesellschaftspolitischen Paradigmen- wird, den sich die rot-grüne Koalition hiervon ver- wechsel ein. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob Deutsch- spricht, wird erst die Zukunft zeigen. Wir gehen davon land ein Einwanderungsland ist oder nicht. Künftig wird aus, dass die Verwaltungsvorschriften hier so formuliert nur noch gefragt: Welche Partei hat die besten Konzepte, werden, dass die Zusage des Bundesministeriums des In- Einwanderung weltoffen, integrativ und human zu ge- nern auch eingehalten wird, dass ein Großteil der bislang stalten? Aus diesem Grunde stimmen wir auch für dieses in Deutschland geduldeten Menschen auch tatsächlich Gesetz. Die Art des Zustandekommens dieses Kompro- eine Aufenthaltserlaubnis erhalten wird. In diesem Zu- misses und insbesondere das Verfahren in der letztensammenhang möchten wir daran erinnern, dass bereits Phase verdienen aus unserer Sicht erhebliche Kritik. die Begründung zum jetzigen § 25 Abs. 5 darauf abhebt, dass Dennoch: Zahlreiche Anliegen nicht nur unserer Par- tei, sondern auch der deutschen Wirtschaft, von Kirchen bei der Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit besteht, und Menschenrechtsorganisationen – aber auch der auch die subjektive Möglichkeit – und damit impli- Süssmuth-Kommission – finden sich in diesem Gesetz zit auch die Zumutbarkeit – der Ausreise zu prüfen leider nicht wieder. ist. So scheiterte aufgrund des erbitterten Widerstandes Dies müsste aus unserer Sicht zwingend dazu führen, der Union die Einführung der demographischen Zuwan- dass zum Beispiel Minderheitsangehörigen aus dem Ko- derung – und dies obwohl nicht nur die Süssmuth-Kom- sovo und Flüchtlingen aus Afghanistan eine Aufenthalts- mission und die Rürup-Kommission, sondern selbst die erlaubnis erteilt werden muss. Auch sieht die Gesetzes- Herzog-Kommission und sogar die Zuwanderungskom- begründung insbesondere für minderjährige Geduldete Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10819

(A) ausdrücklich eine positive Ermessensanwendung vor,und Migrantenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften (C) damit Kinder und Jugendliche einen einfacheren Zugang und Arbeitgebern über die weiteren Perspektiven zu dis- zu einer rechtmäßigen Aufenthaltserlaubnis und damit kutieren. zu Arbeits- bzw. Ausbildungsplätzen erhalten. Trotz des großen Engagements der Kirchen, der Im Hinblick darauf, dass für Personen, die einen Sta- Wohlfahrtsverbände, von Pro Asyl und vielen Prominen- tus des humanitären Schutzes nach dem jetzigen § 25ten konnten wir innerhalb des Zuwanderungsgesetzes Abs. 4 oder 5 AufenthG erhalten, der Familiennachzug noch keine Bleiberechts- oder Altfallregelung für die be- komplett ausgeschlossen worden ist, bekräftigen wir un- reits langjährig in Deutschland lebenden geduldeten sere diesbezüglichen verfassungs- und menschenrechtli- Menschen erzielen. Wir sind überzeugt, dass diese Lö- chen Bedenken: Wer erkennbar längerfristig bei uns le- sung auch im wohlverstandenen Interesse der Verwal- ben wird, der oder dem darf man das Grundrecht auftungen der Bundesländer liegen würde. Deshalb werden Familieneinheit nicht auf Dauer vorenthalten. wir in der Koalition noch im Herbst die Initiative ergrei- fen, um über eine Lösung dieser Frage nach der Verab- Wir Grünen haben im Zuwanderungsgesetz die Vor- schiedung des Zuwanderungsgesetzes zu reden und ent- schläge der Union zur Verschärfung des Asylbewerber- sprechende Regelungen möglichst auf den Weg zu leistungsgesetzes abgewehrt. Hier werden wir kein bringen. Nachkarten zulassen – auch nicht über den Umweg des Bundesrates. Wir werden auch nicht umhin kommen, uns um Fra- Hinsichtlich der Härtefallregelung mussten wir der gen zu kümmern, die im Rahmen dieses Verhandlungs- Union entgegengekommen. Insbesondere auf Druckmarathons nicht angesprochen werden konnten. Dabei Bayerns wurden fakultative Ausschlussklauseln – insbe- denken wir nicht nur an die oben erwähnte Bleiberechts- sondere die Möglichkeit von „besonderen Anforderun- regelung für hier bereits langjährig lebende geduldete gen“ an so genannte Verpflichtungserklärungen – einge- Menschen, sondern auch an die Rücknahme der deut- führt. Das darf aber nicht zu einer Privatisierung vonschen ausländerrechtlichen Vorbehalte gegen die Kin- Härtefällen führen. derkonvention der Vereinten Nationen sowie an humani- täre Regelungen zugunsten der Menschen, die ohne Erheblich erschwert wurden die Verhandlungen durch Aufenthaltstitel unter uns leben. Wir stehen weiterhin für die Forderungen der Union im Sicherheitsbereich. Wir eine weltoffene, moderne, humanitären Grundsätzen haben uns immer und zu jeder Zeit auf vernünftige Re- verpflichtete Migrations- und Flüchtlingspolitik. Dieses gelungen zum Schutz vor Terrorismus eingesetzt. Die Kompromissgesetz ist der Anfang, nicht das Ende auf Union jedoch hat aus ideologischen Gründen die Aus- dem Weg in die Einwanderungsgesellschaft. (B) weisungsvorschriften drastisch noch weiter verschärfen (D) wollen. Mit dem Kompromisssind wir gerade hier an die Grenzen des Vertretbaren gegangen. Wir haben eine Anlage 5 Reihe von signifikanten Verschärfungen des bisherigen Ausländerrechts akzeptieren müssen. Wir denken insbe- Erklärung nach § 31 GO sondere an den Systembruch in Fällen zwingender Aus- weisungen. Wir haben die Ausweisung nicht nur von der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) Personen erleichtert, die aufgrund einer tatsachenge- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- stützten Gefahrenprognose der Unterstützung des Terro- mung über die Beschlussempfehlung des rismus verdächtigt werden, sondern auch von so genann- Vermittlungsauschusses zu dem Gesetz zur ten Extremisten. Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Inte- Wir möchten an dieser Stelle erklären, dass dies kein gration von Unionsbürgern und Ausländern Freibrief für eine Gesinnungsjustiz im Ausweisungs- (Zuwanderungsgesetz) (Zusatztagesordnungs- recht darstellt. Der freie Austausch auch kontroverser punkt 2) Meinungen ist – solange er die Grenze des strafrechtlich Sanktionierten nicht überschreitet – nicht nur für die De- Das heute zur Verabschiedung vorliegende Zuwande- mokratie in unserem Land essenziell; er ist auch für die rungsgesetz hat während der langwierigen Verhandlun- geistige Bekämpfung des Terrorismus erforderlich. Eine gen zu meinem Bedauern viel von seinem ursprüngli- dem entgegenstehende Auslegung der Ausweisungsbe- chen Geist eingebüßt. stimmungen des Zuwanderungsgesetzes würde Nach- besserungen zugunsten der Meinungsfreiheit erforder- Der gefundene Kompromiss bleibt hinter den Vor- lich machen. schlägen der Süssmuth- und der Müller-Kommision, der Kirchen, der Unternehmerverbände, der Wissenschaft, Die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ver- der Gewerkschaften, der Nichtregierungsorganisationen stehen wir als Chance, nun für Mehrheiten im Sinne wei- und auch der Regierungskoalition zurück. terer Reformen in diesem Bereich zu streiten. Die Ver- kürzung der Integration auf die Verordnung vonDer Zugang in die Arbeitsmigration ist geradezu Sprachkursen, die fehlende Antwort des Gesetzes auf die ängstlich begrenzt gehalten worden und wird den unab- demographische Entwicklung der deutschen Gesell-weisbaren Herausforderungen unserer alternden Gesell- schaft und Fehljustierungen bei Details im Auswei-schaft nicht gerecht. Allerdings kann man gewiss sein, sungsrecht sind Anlass, ummit Flüchtlingsinitiativen dass sich die Realität in Zukunft ihren Weg bahnen wird. 10820 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Dennoch bietet das Gesetz Chancen, mit der Realität schwernisse für die Einreise der Familie, ohne inhaltlich (C) „Deutschland als Einwanderungsland“ umzugehen und etwas zu erreichen. Wer von den Angehörigen zukünftig die politisch und gesellschaftlich notwendigen Verände- einen Sprachtest verlangt, sorgt dafür, dass diese in ein rungen endlich einzuleiten. System ausweichen, das weniger Integrationsmöglich- keiten bietet als der systemimmanente Ansatz. Ein großer Schritt nach vorn ist es, dass nunmehr mit diesem Gesetz die Anerkennung geschlechtsspezifischer Im Bundesvertriebenengesetz in der geänderten Fas- und nichtstaatlicher Verfolgung erfolgen soll. sung ist auch für Angehörige zur Förderung der Integra- Die integrationspolitisch äußerst problematische Pra- tion ein Sprachpaket vorgesehen. Dies ist richtig und der xis der so genannten Kettenduldungen soll nach dem er- einzig gangbare Weg. Der Integrationsdruck muss erhöht klärten Willen des Gesetzgebers deutlich eingeschränkt werden. werden. Hier wird den vollziehenden Ausländerämtern Wer jetzt allerdings als Bedingung für die Einbezie- künftig eine sehr große Verantwortung zugewiesen. Es hung in den Aufnahmebescheid einen Sprachtest vor- ist davon auszugehen, dass erst die Praxis der kommen- schreibt, sorgt dafür, dass diese Bestimmung umgangen den Jahre zeigen wird, ob die deutsche Gesellschaft be- wird. Familienangehörige werden künftig nicht mehr reit ist, Schutzsuchenden hier im Lande eine Perspektive den Weg über die Einbeziehung in den Aufnahmebe- zu eröffnen. scheid gehen, sondern als Angehörige unter dem Schutz Ungeklärt ist allerdings das Schicksal der etwades Grundgesetzes – Art. 6, Ehe und Familie – und den 230 000 derzeit geduldeten Menschen in Deutschland. entsprechenden ausländerrechtlichen Bestimmungen in Zu einer Bleiberechtsregelung für diese Menschen hat das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland kommen. man sich zu meinem großen Bedauern im Gesetzge-Als Familienangehörige eines Deutschen – Spätaussied- bungsverfahren nicht durchringen können. Jetzt obliegt ler sind Deutsche – haben sie ohne Beschränkungen ein es den Innenministern des Bundes und der Länder, hier gesichertes Aufenthaltsrecht und können auch unter pri- zu einer humanitären, von Barmherzigkeit geleiteten Lö- vilegierten Bedingungen die Staatsbürgerschaft erwer- sung zu gelangen. ben. Dass sie nicht sofort mit dem Aufnahmebescheid deutsche Staatsbürger werden, werden sie billigend in Ich begrüße zudem die Erkenntnis, dass zur Einwan- Kauf nehmen, um den Sprachtest zu umgehen. Hier wer- derungspolitik untrennbar auch Integrationsangebote ge- den sich ähnliche Ausweichreaktionen zeigen wie bisher hören. Doch Integrationspolitik bedeutet viel mehr als schon, indem sich Familienverbände denjenigen heraus- Sprachkursangebote. suchen, der am besten Deutsch kann; der absolviert den Nicht nur die Einwandernden müssen bereit sein, sich Sprachtest und die anderen wählen die Einbeziehung. In- (B) auf die Werte und Gesetze des Einwanderungslandessofern ist die Statistik erheblich verzerrt. (D) einzulassen. Auch die aufnehmende Gesellschaft muss Auch werden nach dieserKonzeption Deutsche und bereit sein, ihre Institutionen so zu öffnen, dass Einwan- ihre Angehörigen erheblich schlechter behandelt als derer Zugang und eine Chance auf Teilhabe bekommen. nichtdeutsche Migrationswillige. Nichtdeutsche Migra- Das bedeutet: Zugang zu frühkindlicher Förderung, Un- tionswillige und deren Angehörige können, ohne terstützung in der Bildung, Zugang zu Ausbildung und irgendeine Voraussetzung zu erfüllen, nach den entspre- Qualifizierung. Nicht die Sanktion darf handlungsleitend chenden Vorschriften des Ausländerrechts in Deutsch- sein, sondern die Gewährung von Chancen und das An- land einen Aufenthaltsstatus erlangen, während die gebot, dazuzugehören. Angehörigen der Spätaussiedler einen Sprachtest absol- Dieses Gesetz öffnet in vielen Bereichen große Er- vieren müssen. Im Übrigen ist es viel leichter, Integra- messensspielräume. Es ist zu hoffen, dass die Ausübung tionsvoraussetzungen erst im Inland zu schaffen, weil des Ermessens im Geiste einer liberalen und weltoffenen hier eine andere Infrastruktur und ein anderes Klima vor- Gesellschaft erfolgt. handen ist, während es für die Angehörigen in der ehema- ligen Sowjetunion erheblich schwerer ist, Deutschkennt- nisse unter den dortigen Umständen zu erlangen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO Anlage 7 des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme Erklärung nach § 31 GO (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Vermittlungsausschus- der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) ses zu dem Gesetz zur Steuerung und Begren- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- zung der Zuwanderung und zur Regelung des mung über die Beschlussempfehlung des Ver- Aufenthalts und der Integration von Unions- mittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Steue- bürgern und Ausländern (Zuwanderungs- rung und Begrenzung der Zuwanderung und gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2) zur Regelung des Aufenthalts und der Integra- tion von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwan- Ich kann dem Ergebnis nicht zustimmen, weil die im derungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2) Bereich der Veränderungen bei den Spätaussiedlern an- gestrebten Ziele auf dem im Gesetz vorgesehenen Weg Mit dem Zuwanderungskompromiss leiten wir in nicht erreicht werden können. Er bringt nur unnötige Er- Deutschland einen gesellschaftspolitischen Paradigmen- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10821

(A) wechsel ein. Jetzt geht es nicht mehr darum, ob Deutsch- sellschaften sind immer auch verwundbare Gesellschaf- (C) land ein Einwanderungsland ist oder nicht. Künftig wird ten. Daher müssen wir darauf achten, dass sich nur noch gefragt: Welche Partei hat die besten Konzepte, sicherheitspolitische Maßnahmen einerseits und die Einwanderung weltoffen, integrativ und human zu ge- Wahrung des Rechtsstaates und der Bürgerrechte ande- stalten? Aus diesem Grunde stimme ich auch für dieses rerseits die Balance halten. Der Preis für Freiheit und Gesetz. Allerdings verdient die Art des Zustandekom- Rechtsstaatlichkeit muss sorgsam abgewogen werden mens dieses Kompromisses und insbesondere das Ver- mit dem tatsächlichen Gewinn an Sicherheit für die Bür- fahren in der letzten Phase aus meiner Sicht erhebliche gerinnen und Bürger. Kritik. Mit dem Kompromiss sind wir gerade hier an die Das Gesetz ist der längst überfällige Einstieg in die Grenzen des Vertretbaren gegangen. Wir haben eine Gestaltung der Zuwanderung. Es öffnet Türen. Jedoch Reihe von signifikanten Verschärfungen des bisherigen haben zahlreiche Anliegen nicht nur unserer Partei,Ausländerrechts akzeptiert. Ich denke insbesondere an sondern auch der deutschen Wirtschaft, von Kirchenden Systembruch in Fällen zwingender Ausweisungen. und Menschenrechtsorganisationen – aber auch derWir haben die Ausweisung nicht nur von Personen Süssmuth-Kommission – keinen Eingang in das Gesetz erleichtert, die aufgrund einer tatsachengestützten Ge- gefunden, weil die Union nicht bereit war, eine weiter fahrenprognose der Unterstützung des Terrorismus ver- gehende Gestaltung der Zuwanderung mitzutragen. dächtigt werden, sondern auch von so genannten Extre- misten. So scheiterte aufgrund des erbitterten Widerstandes der Union die Einführung der demographischen Zuwan- Das darf nicht zu einer Gesinnungsjustiz im Auswei- derung – und dies obwohl nicht nur die Süssmuth-Kom- sungsrecht führen. Der freie Austausch auch kontrover- mission und die Rürup-Kommission, sondern selbst die ser Meinungen ist – solange er die Grenze des strafrecht- Herzog-Kommission und sogar die Zuwanderungskom- lich Sanktionierten nicht überschreitet – nicht nur für die mission von Peter Müller festgestellt hatten, dass demo- Demokratie in unserem Land essentiell; er ist auch für graphische Zuwanderung einen wichtigen Beitrag dar- die geistige Bekämpfung des Terrorismus erforderlich. stellt, um die Sozialsysteme in Deutschland langfristig Eine dem entgegenstehende Auslegung der Auswei- zu sichern. Die wirtschaftliche und demographische Ent- sungsbestimmungen des Zuwanderungsgesetzes würde wicklung der nächsten Jahre wird hier eine Weiterent- Nachbesserungen zugunsten der Meinungsfreiheit erfor- wicklung notwendig machen. Ich werde mich deshalb derlich machen. dafür einsetzen, dass die Einführung des Punktever- fahrens und die weitere Lockerung und Aufhebung des Die Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ver- Anwerbestopps wieder auf die politische Tagesordnung stehe ich als Chance, nun für Mehrheiten im Sinne wei- (B) (D) kommen. terer Reformen in diesem Bereich zu streiten. Die Ver- kürzung der Integration auf die Verordnung von Auch zu der notwendigen konsequenten Integrations- Sprachkursen, die fehlende Antwort des Gesetzes auf die politik war die Union nicht bereit. demographische Entwicklung der deutschen Gesell- schaft und Fehljustierungen bei Details im Auswei- Zwar erhalten künftig alle, die nach Deutschland ein- sungsrecht sind Anlass, um mit Flüchtlingsinitiativen wandern, einen Rechtsanspruch auf Integration. Da sich und Migrantenorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften jedoch die Länder auf Druck der Union aus der Finanzie- und Arbeitgebern über die weiteren Perspektiven zu dis- rung der Integrationskurse vollständig zurückgezogen kutieren. haben, müssen wir darauf achten, dass wir nun keine Integration nach Kassenlage bekommen. Trotz des großen Engagements der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, von Pro Asyl und vielen Prominen- Im Bereich des Flüchtlingsschutzes haben wir mit der ten konnten wir innerhalb des Zuwanderungsgesetzes Anerkennung nichtstaatlicher bzw. geschlechtsspezifi- noch keine Bleiberechts- oder Altfallregelung für die be- scher Verfolgung eine erhebliche Verbesserung in der reits langjährig in Deutschland lebenden geduldeten Asylanerkennungspraxis dieses Landes erreicht. Das ist Menschen erzielen. Ich bin überzeugt, dass diese Lösung ein großer Erfolg. auch im wohlverstandenen Interesse der Bundesländer Im Hinblick darauf, dass für Personen, die einen Sta- liegen würde. Deshalb werden wir in der Koalition noch tus des humanitären Schutzes nach dem jetzigen § 25im Herbst die Initiative ergreifen, um über eine Lösung Abs. 4 oder 5 AufenthG erhalten, der Familiennachzug dieser Frage nach der Verabschiedung des Zuwande- komplett ausgeschlossen worden ist, bekräftige ichrungsgesetzes zu reden und entsprechende Regelungen meine diesbezüglichen menschenrechtlichen Bedenken: möglichst bald auf den Weg zu bringen. Wer erkennbar längerfristig bei uns leben wird, der oder Auch weitere humanitäre Fragen werden im Zuwan- dem darf man das Grundrecht auf Familieneinheit nicht derungsgesetz nicht angesprochen. Dabei denke ich auf Dauer vorenthalten. nicht nur an die oben erwähnte Bleiberechtsregelung für Erheblich erschwert wurden die Verhandlungen durch hier bereits langjährig lebende geduldete Menschen, die Forderungen der Union im Sicherheitsbereich. Wo sondern auch an die Rücknahme der deutschen auslän- Sicherheitslücken bestehen, haben wir uns immer und zu derrechtlichen Vorbehalte gegen die Kinderkonvention jeder Zeit für vernünftige Regelungen zum Schutz vor der Vereinten Nationen sowie an humanitäre Regelungen Terrorismus eingesetzt. Allerdings gibt es absolute Si- zugunsten der Menschen, die ohne Aufenthaltstitel unter cherheit in einer offenen Gesellschaft nicht. Offene Ge- uns leben. 10822 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Bündnis 90/Die Grünen stehen weiterhin für eine Alle Menschen haben eine Würde. Diese zu schützen, (C) weltoffene moderne, humanitären Grundsätzen ver-ist eine grundlegende Aufgabe und Verpflichtung des pflichtete Migrations- und Flüchtlingspolitik. Das heute Staates, die nicht hinter dem Recht des Staates auf die verabschiedete Gesetz ist der Anfang, nicht das Ende der Sicherstellung der Regelung der Zuwanderung zurück- Gestaltung des Einwanderungslandes Deutschland. stehen darf.

Anlage 8 Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christa Nickels (BÜND- der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Reichel, Dr. Maria Böhmer, Dr. Christoph die Beschlussempfehlung des Vermittlungs- Bergner, , Vera Dominke, Axel E. ausschusses zu dem Gesetz zur Steuerung und Fischer (Karlsruhe-Land), Michael Kretschmer, Begrenzung der Zuwanderung und zur Rege- Helmut Lamp, Werner Lensing, Dr. Martin lung des Aufenthalts und der Integration von Mayer (Siegertsbrunn), Bernward Müller Unionsbürgern und Ausländern (Zuwande- (Gera), Uwe Schummer, Marion Seib und rungsgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 2) Dr. Norbert Lammert (alle CDU/CSU,) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines … Gesetzes Ich schließe mich in allen Punkten der Erklärung nach zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes § 31 GO BT meiner Kollegen Claudia Roth, Josef (… HRGÄndG) (Tagesordnungspunkt 11) Winkler und anderer an, bin aber der Meinung, dass die Bundesregierung nunmehr einen nach wie vor ungere- Die Reform der Studienplatzvergabe, die es den gelten Bereich zügig angehen muss. Hochschulen zukünftig erlauben wird, 60 Prozent ihrer Studierenden in den bundesweit zulassungsbeschränkten Das gerade zustande gekommene Gesetz zur Steue- Fächern selbst auszuwählen, ist ein begrüßenswerter rung und Regelung der Zuwanderung lässt den humani- Schritt in die richtige Richtung. Deshalb stimme ich der tären Bereich der illegalen Zuwanderung und des illega- Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For- len Aufenthalts weiterhin ungeregelt. Dieser Bereich ist schung und Technikfolgenabschätzung zu der vom Bun- in diesem Gesetz kein Thema – und dies, obwohl auch desrat eingebrachten 7. Änderungsnovelle des Hoch- nach der „aufenthaltsrechtlichen Legalisierung“ vieler schulrahmengesetzes zu. Tausender Menschen durch den EU-Beitritt der zehn ost- (B) (D) und mitteleuropäischen Länder schätzungsweise immer Unser Ziel bleibt aber die komplette Abschaffung ei- noch zwischen 500 000 und l Million Menschen ner in Quotierung und des ZVS-Verfahrens in der derzeiti- Deutschland in diesem rechtlosen Zustand leben müs- gen Form. Dies ist zielführender auf dem Weg zu einem sen. international wettbewerbsfähigen und effizienten Hoch- Probleme werden nicht gelöst, indem man sie ver-schulsystem. Zudem kann die Neuordnung des Hoch- schweigt oder ausklammert. Umgehend müssen fol-schulzugangs alleine eine umfassende Reform des Hoch- gende Punkte angegangen werden: schulrahmengesetzes nicht ersetzen. Diese bleibt weiterhin notwendig. § 92 a AuslG (§ 96 AufenthGE): Es muss klargestellt werden, dass humanitär motivierte Hilfe nicht unter den Straftatbestand der Beihilfe zu unerlaubtem Aufenthalt Anlage 10 fällt. Haupt- und Ehrenamtliche, die hier für Staat und Gesellschaft wertvolle subsidiäre Arbeit leisten, dürfen Erklärung nach § 31 GO nicht kriminalisiert werden. Hierzu besteht Gelegenheit im Rahmen der EU-Richtlinie 2002/90/EG, wo es in der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt), Art. l Abs. 2 heißt: Hans-Josef Fell und Chistine Scheel (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung Jeder Mitgliedstaat kann beschließen, wegen der in über den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Absatz 1 Buchstabe a) beschriebenen Handlungen Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Ta- in Anwendung seiner innerstaatlichen Rechtsvor- gesordnungspunkt 12 c) schriften und Rechtspraktiken keine Sanktionen zu verhängen, wenn das Ziel der Handlungen die hu- Wir stimmen dem Gesamtpaket Bundesverkehrswe- manitäre Unterstützung der betroffenen Person ist. geplan zu, da es gegenüber dem alten Bundesverkehrs- wegeplan eine Reihe von wesentlichen Verbesserungen § 76 AuslG (§ 87 AufenthGE): Es muss klargestellt enthält. Dazu zählen insbesondere der Vorrang von Be- werden, dass außer dem Sozialamt niemand zur Er- und standserneuerung vor Neu- und Ausbau bei Straßen, Übermittlung aufenthaltsrelevanter Daten an die Auslän- Schienen und Wasserstraßen, die Einführung der Son- derbehörde verpflichtet ist. Ärzte, Pädagogen, Sozialar- derkategorie „mit besonderem naturschutzfachlichen beiter, Richter usw. haben klare berufsspezifische Auf- Planungsauftrag“ für besonders umweltkritische Stra- gaben. Diese dürfen nicht zur Migrationskontrolle und ßenbauprojekte und die Gleichstellung von Schiene und Denunziation instrumentalisiert werden. Straße in der Gesamtheit der Investitionen des Bundes. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10823

(A) Gleichwohl gibt es eine Reihe von Straßenbauvorha- Anlage 12 (C) ben, die im neuen Bundesverkehrswegeplan als vor- dringlich eingestuft sind, die wir auch weiterhin sehr kri- Erklärung nach § 31 GO tisch sehen. Dazu gehört insbesondere die B 26 nder Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth (CDU/ – Westumgehung Würzburg – in Unterfranken. Dieses CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Projekt halten wir aus verkehrlichen und ökologischen Fünften Gesetzes zur Änderung des Fernstra- Gründen für hoch bedenklich und daher für nicht vertret- ßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c) bar. Der Bundesverkehrswegeplan und die darauf aufbau- Angesichts knapper Mittel gehen wir trotz der Einstu- enden Gesetzentwürfe zum Ausbau von Bundesfernstra- fung des nördlichen Teilstücks der B 26 n in den vor-ßen und Bundesschienenwegen werden dem dringenden dringlichen Bedarf nicht davon aus, dass das Projekt in Investitionsbedarf nicht gerecht. Insbesondere wurde mit der Laufzeit des Bundesverkehrswegeplans gebaut wird, dem vorliegenden Gesetzentwurf die Chance verpasst, da es andere Projekte miteinem längeren Planungsvor- die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland an dem durch lauf und einer höheren Priorität gibt, die alle verfügbaren die EU-Osterweiterung gestiegenen Verkehrsaufkom- Geldmittel binden werden. men auszurichten. Allein zu den Ausschussberatungen hatte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion knapp 500 Än- derungsanträge zur Verbesserung der Verkehrssituation Anlage 11 gestellt, konnte sich aber in weiten Bereichen nicht ge- gen die Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen Erklärung nach § 31 GO durchsetzen. der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Gegenüber dem Referentenentwurf des Bundesver- zur Abstimmung über den Entwurf eines Fünf- kehrswegeplans hat es im zurückliegenden Verfahren ten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenaus- insbesondere durch die erfolgreichen Verhandlungen der baugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c) Bundesländer sowie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Die vorliegende Endfassung des Fünften Gesetzes zur einzelne Verbesserungen gegeben. So konnte mit Unter- Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes beinhaltet im stützung der niedersächsischen Landesregierung die Zusammenspiel mit dem Ersten Gesetz zur Änderung Aufnahme der Ortsumgehungen Westerfeld (B 3) und des Bundesschienenwegeausbaugesetzes eine möglichst Arnum (B 3) sowie der Ortsumgehung Hameln (B 1) in optimale Vernetzung der Verkehrsträger Schiene undden vordringlichen Bedarf erreicht werden. Diese Maß- Straße. Nur die Integration der Verkehrsträger kannnahmen begrüße ich ausdrücklich. Aufgrund der schwe- (B) mögliche Effizienzverluste verringern und ihre Leis-ren fachpolitischen Mängel lehne ich den Gesetzentwurf (D) tungsfähigkeit erhöhen. Diesem integrativen Ansatzjedoch insgesamt ab. wird die heute beschlossene Gesetzesfassung gerecht.

Das vorliegende Fernstraßenausbaugesetz ist auch ge- Anlage 13 eignet, die zu erwartenden Zuwachsraten im europäi- schen Haupttransitland Deutschland mit einem leis- Erklärung nach § 31 GO tungsfähigen Verkehrswegenetz zu bewältigen. Dies des Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger setzt allerdings auch voraus, dass wir die Voraussetzun- (SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines gen für eine dauerhafte und solide Finanzierungsbasis Fünften Gesetzes zur Änderung des Fernstra- schaffen. Dazu wird die Anfang des Jahres 2005 star- ßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c) tende LKW-Maut einen wichtigen Beitrag leisten. Die Zwischenergebnisse der Erprobung dieser neuen und in- Die Mehrheit des Hohen Hauses hat sich für die An- novativen Technik sind jedenfalls positiv. nahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung – Drucksache 15/3412 – ausgesprochen. Auch ich ak- Als Abgeordnete bedauere ich aber, dass es entgegen zeptiere und unterstütze den Gesetzentwurf und stimme der ursprünglichen Absicht in der ersten Entwurfsfas- ihm zu. sung nicht gelungen ist, die Ortsumgehung Heek der B 70 in den vordringlichen Bedarf einzustufen. Die Bezüglich der Nr. 1630 – NW, B 8, Wesel–Friedrichs- OU Heek ist das letzte noch fehlende Teilstück der B 70 feld – und der Nr. 1631 – NW, B 8, Friedrichsfeld–Dins- zur Bundesautobahn A 31. Das bedeutet, dass die An- laken – (Drucksache 15/3412, Seite 185) ist jedoch Fol- wohner auch in näherer Zukunft den Belastungen desgendes anzumerken: (Schwerlast-)Verkehrs zur A 31 ausgesetzt sein werden. Mein Bedauern ist umso größer, da es an annehmbaren Die im angeführten Gesetzesentwurf enthaltene Ein- und praktikablen Lösungsvorschlägen, die OU Heekstufung der Bundesstraße 8 Wesel–Friedrichsfeld und doch noch vom weiteren in den vordringlichen Bedarf zu Friedrichsfeld–Dinslaken in den „weiteren Bedarf“ spie- heben, nicht gefehlt hatte. gelt vor dem Hintergrund der bislang unzureichenden Planungen des Landesbetriebes Straßenbau die Unan- Trotz meines Einwandes stimme ich dem jetzt vorlie- nehmbarkeit der bislang vorgestellten Trassierungsüber- genden Gesetz zu, da esinsgesamt gelungen ist, den legungen wider. Entgegen der Ansicht der Behörde be- besonderen verkehrlichen Anforderungen und den Inte- einträchtigen sämtliche Planungsüberlegungen zu der ressen der Bürgerinnen und Bürger in den unterschiedli- bislang im „vordringlichen Bedarf“ eingestuften B 8 das chen Regionen Deutschlands gerecht zu werden. ökologische und städtebauliche Gleichgewicht der Stadt 10824 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Voerde in hohem Maße. Vor diesem Hintergrund sind die Als Wahlkreisabgeordnete sind mir viele Protestbriefe (C) aktuellen negativen Beurteilungen dieser Planung durch zu diesem Verfahren zugeleitet worden. Ich teile die den Ausschuss bzw. Rat der Stadt Voerde in vollem Um- Auffassung in den Briefen, dass die Kluft zwischen Wort fange nachvollziehbar und zu begrüßen. und Tat der eigentliche Kern für das Scheitern einer ver- lässlichen Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung mit Angesichts der infolge des Bundesverkehrswegepla- ihrer Koalitionsmehrheit ist. Durch die heutige Entschei- nes zu Recht erfolgten Einstufung diverser Straßenbau- dung ist die Entwicklung der Oberlausitz um viele Jahre vorhaben im Stadtgebiet der Stadt Wesel wird jedoch die zurückgeworfen. Planung der B 8 n notwendiger sein denn je. Es wird da- her erwartet, dass – im Einklang mit den mit einem jeden Obwohl weitere begrüßenswerte Verkehrsvorhaben Bundesverkehrswegeplan einhergehenden Einzelfall-meines Wahlkreises im Fernstraßenausbaugesetz enthal- regelungen – die Planung der B 8 ungeachtet ihrer Ein- ten sind, lehne ich das Gesetz insgesamt wegen seiner stufung in den „weiteren Bedarf“ unverzüglich und spä- Unausgewogenheit ab. testens dann durch qualifizierte Vorlage von Unterlagen durch den Planungsträger – Landesbetrieb Straßenbau – fortgesetzt wird, wenn diesbezügliche Maßnahmen ent- Anlage 15 weder auf dem Gebiet der Stadt Wesel oder dem auf der Stadt Dinslaken zu erwarten sind. Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Marianne Tritz (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Anlage 14 den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände- Erklärung nach § 31 GO rung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesord- nungspunkt 12 c) der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Fünf- Ich stimme dem Gesamtpaket Bundesverkehrswege- ten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenaus- plan zu, da es gegenüber dem alten Bundesverkehrswe- baugesetzes (Tagesordnungspunkt 12 c) geplan eine Reihe von wesentlichen Verbesserungen ent- hält. Dazu zählen insbesondere der Vorrang der Zur Abstimmung über das Fernstraßenausbaugesetz, Bestandserneuerung vor dem Neu- und Ausbau bei Stra- in dem die Planungen zum Bundesverkehrswegeplanßen, Schienen und Wasserstraßen, die Einführung der enthalten sind, gebe ich folgende Erklärung ab: Sonderkategorie „mit besonderem naturschutzfachlichen Planungsauftrag“ für besonders umweltkritische Stra- Das Fernstraßenausbaugesetz ist weder aktuell bedarfs- ßenbauprojekte und die Gleichstellung von Schiene und gerecht, noch wird es den Anforderungen an die Zukunft Straße in der Gesamtheit der Investitionen des Bundes. (B) gerecht. Dies betrifft auch die Planungen in der Oberlau- (D) sitz. Im Rahmen der EU-Osterweiterung sind leistungsfä- Gleichwohl gibt es eine Reihe von Straßenbauvorha- hige Straßenverbindungen nach Tschechien und Polen un- ben, die im neuen Bundesverkehrswegeplan als vor- abdingbare Voraussetzung für die Stärkung dringlich der eingestuft sind, die ich auch weiterhin sehr kri- wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Region imtisch sehe. Dazu gehört insbesondere die A 39 von Dreiländereck Tschechien, Polen und Deutschland. Darin Wolfsburg nach Lüneburg in Niedersachsen. Dieses Pro- sind sich alle Fraktionen einig. Wenn es konkret wird, ist jekt halte ich aus verkehrlichen und ökologischen Grün- die rot-grüne Mehrheit unkalkulierbar. Das zeigt sich im den für hochbedenklich und daher für nicht vertretbar. Vorgehen zur Westtangente Bautzen, Bundesstraße 96. Angesichts knapper Mittel gehe ich trotz der Einstu- Im Ausgangsentwurf des Bundesverkehrswegeplanes fung der A 39 in den vordringlichen Bedarf nicht davon war zunächst die Einstufung in den vordringlichen Bedarf aus, dass das Projekt in der Laufzeit des Bundesver- vorgenommen worden, weil sie eine leistungsfähige Ver- kehrswegeplans gebaut wird, da es andere Projekte mit kehrsverbindung in die Tschechische Republik, insbeson- einem längeren Planungsvorlauf und einer höheren Prio- dere für den Schwerlastverkehr, schafft. Aber auch für rität gibt, die alle verfügbaren Geldmittel binden werden. viele verarbeitende Betriebe im Lausitzer Oberland sollte diese Verbindung die Zulieferung erleichtern. Die vorbe- reitenden Planungsarbeiten wurden in den zurückliegen- Anlage 16 den Monaten von der Bundesregierung positiv begleitet. Erklärung nach § 31 GO Kurz vor Abschluss der Ausschussberatungen hat die rot-grüne Mehrheit das Vorhaben „Westtangente Baut- Der Abgeordneten Lilo Friedrich (Mettmann) zen“ überraschend vom vordringlichen in den weiteren und Hans-Werner Bertl (beide SPD) zur Ab- Bedarf mit Planungsrecht zurückgestuft. Dies bedeutet stimmung über die Entwürfe eines Fünften Ge- einen schweren Schlag für die Stadt Bautzen und die setzes zur Änderung des Fernstraßenausbauge- Oberlausitz. setzes und eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tages- Dieser strukturschwache Raum braucht dringend eine ordnungspunkt 12 c und d) Verbesserung der Infrastruktur. Die Tatsache, dass be- reits 1,8 Millionen Euro für Planungsarbeiten an der Wir stimmen den Gesetzentwürfen zu. Westtangente Bautzen verausgabt wurden, die nunmehr verloren sind, dokumentiert die Sprunghaftigkeit rot- Mit der Verabschiedung beider Gesetze erhalten grüner Entscheidungen. wichtige Straßen- und Schienenbauprojekte, die in allen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10825

(A) 16 Bundesländern im „vordringlichen“ Bedarf stehen, Anlage 18 (C) einen uneingeschränkten Planungsauftrag. Wir möchten Erklärung nach § 31 GO die weitere Umsetzung des vorliegenden Pakets an Maß- nahmen in der folgenden Planung nicht durch eineder Abgeordneten Gerald Weiß (Groß-Gerau), Stimmenthaltung bzw. -verweigerung unsererseits ver- Andreas Storm, Patricia Lips und Dr. Michael zögern. Meister (alle CDU/CSU) sowie Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) zur Abstimmung über den Entwurf Eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist die Vo- eines Ersten Gesetzes zur Änderung des raussetzung für eine hohe Wohn- und Lebensqualität so- Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tagesord- wie für wettbewerbsfähige Standortbedingungen für In- nungspunkt 12 d) dustrie und Handel. Wir lehnen den Entwurf der Bundesregierung eines Umso unverständlicher ist aus unserer Sicht dieErsten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwe- Rückstufung des Weiterbaus der B 229 n zwischen dem geausbaugesetzes ab. In den vergangenen Monaten ist in Autobahnkreuz Langenfeld (A 3/A 542) und Landwehr zahlreichen Sitzungen des Verkehrsausschusses des (B 229) vom „vordringlichen“ in den „weiteren“ Bedarf. Deutschen Bundestages klar geworden, dass die Ver- Wir protestieren mittels Abgabe dieser Erklärung gegen kehrswegeplanung der Bundesregierung in vielerlei Hin- die Entscheidung. sicht unzureichend ist. Durch die Festlegung eines zu engen Finanzrahmens wird der Bundesverkehrswege- Die Planungen zur B 229 n überzeugten durch einplan seiner eigentlichen Aufgabe – der Feststellung des überaus günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis und durch verkehrsfachlich begründeten Ausbaubedarfs für die positive fachliche Stellungnahmen. Die Solinger undVerkehrsinfrastruktur – nicht mehr gerecht. Langenfelder Bevölkerung erhoffte sich von dem Aus- Nach Ansicht der Unterzeichner ist es jedoch für die bau der Bundesstraße neue Impulse für die heimische Region Starkenburg entscheidend, dass der Halt des ICE Wirtschaft und für die Attraktivität ihrer Städte. im Darmstädter Hauptbahnhof als Fußnote in den Geset- zesentwurf aufgenommen wurde. Aus diesem Grunde Wir haben uns auf vielfältige Weise mit den örtlichen haben die Mitglieder der Unionsfraktion im Verkehrs- IHKn, den Wirtschaftsverbänden und Räten für den Wei- ausschuss des Deutschen Bundestages den von der terbau der B 229 n eingesetzt. Leider haben all unsere Koalition in letzter Minute erstellten Änderungsantrag Bemühungen kein Umdenken bewirkt. Wir sind zu dem zum Bundesschienenwegeausbaugesetz unterstützt. Schluss gekommen, dass auflandespolitischer Ebene nicht sachliche Überlegungen zu der Entscheidung der Die Unterzeichner sind jedoch der Auffassung, dass (B) (D) Landesregierung NRW, die Ortsumgehung Langenfeld nur mit einer Formulierung „Einbindung in die vorhan- B 229 in den „weiteren“ Bedarf zu setzen, geführt haben dene NBS Mannheim-Stuttgart ausschließlich über den können. Hauptbahnhof Mannheim und Anbindung des Bahnhofs Darmstadt an die NBS“ klargestellt worden wäre, dass die ICE-Neubaustrecke auch über den Hauptbahnhof Darmstadt zu führen ist. Die Formulierung „Schienen- Anlage 17 personenfernverkehr“ im Antrag von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen stellt dies gerade nicht sicher. Erklärung nach § 31 GO Vielmehr kann die Deutsche Bahn dieser Forderung der Abgeordneten Bernd Scheelen undnämlich bereits dadurch entsprechen, dass Inter- oder Siegmund Ehrmann (beide SPD) zur Abstim- Eurocityzüge im Bahnhof Darmstadt halten, während mung über den Entwurf eines Ersten Gesetzes die ICE-Züge an der Stadt vorbeifahren. zur Änderung des Bundesschienenwegeausbau- gesetzes (Tagesordnungspunkt 12 d) Anlage 19 Im vorliegenden Gesetzentwurf wird unter dem Punkt „internationale Projekte“ der so genannte Eiserne Rhein Erklärung nach § 31 GO benannt. Der Ausbau des Eisernen Rhein wird damit der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜND- nicht beschlossen. Das Gesetz sieht lediglich vor, dass NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Wirtschaftlichkeit der Strecke und eine Vereinbarung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der mit den Niederlanden geprüft werden soll. Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Anstelle dieser Prüfung wäre es unseres Erachtens Finanzdienstleistungen (Zusatztagesordnungs- punkt 5 a) sinnvoller, wie vom Rat der Stadt Krefeld vorgeschla- gen, eine Alternativstrecke parallel zur A 40 in Planung Der vorliegende Gesetzentwurf ist von großer ver- zu nehmen. Eine Reaktivierung der historischen Trasse braucherpolitischer Bedeutung und hätte daher eine aus- des Eisernen Rheins ohne umfassenden Lärmschutz leh- führliche Erörterung im Parlament verdient gehabt. Ver- nen wir hingegen ab. Jeglicher Ausbau der Bahnwege braucher sollen bei Geschäften via Internet und Telefon um Krefeld muss von der Berücksichtigung höchsterkünftig besser geschützt werden. Die bislang noch Lärmschutzauflagen abhängig gemacht werden. bestehenden rechtlichen Lücken beim Fernabsatz von 10826 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Finanzdienstleitungsverträgen werden durch das vorlie- Anlage 20 (C) gende Gesetz weitgehend geschlossen. Dem Verbrau- Zu Protokoll gegebene Rede cher werden hilfreiche Widerrufs- und Informations- rechte eingeräumt. Die Rolle des Verbrauchers alszur Beratung Marktteilnehmer und sein Vertrauen in neue Märkte sollen gestärkt werden. Wie im Aktionsplan Verbrau- – des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung der Justiz (Justizmodernisierungsge- cherschutz der Bundesregierung vorgegeben, sollen ver- setz – JuMoG) braucherpolitische Positionen als Querschnittsaufgabe systematisch in alle Lebensbereiche eingehen. – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Be- schleunigung von Verfahren der Justiz Das vorliegende Gesetz bleibt in der jetzt eingebrach- (1. Justizbeschleunigungsgesetz) ten und zur Abstimmung vorliegenden Form allerdings in einem wesentlichen Punkt hinter dem ursprüngli- – des Entwurfs eines … Gesetzes zur Be- chen Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- schleunigung von Verfahren der Justiz sache 15/2946 zurück. In verbraucherpolitischer Hinsicht (… Justizbeschleunigungsgesetz) besonders hervorzuheben war eine neue Bestimmung, – der Beschlussempfehlung und des Berichts dass der Versicherungsnehmer die für das erste Versiche- zu dem Antrag: Fehler beim neuen Revisi- rungsjahr gezahlten Prämien im Falle der Kündigung zu- onsrecht korrigieren – Entscheidungsfähig- rückerhält, sofern er über sein Widerrufsrecht nicht vor keit des Bundesgerichtshofes sicherstellen Abgabe seiner Vertragserklärung ordnungsgemäß belehrt wurde. Hierdurch sollte eine wirksame und abschre- (Tagesordnungspunkt 13) ckende Sanktion geschaffen werden, damit die Versiche- rer sich an die neuen Vorschriften halten. Petra Pau (fraktionslos): Die Bundesregierung ruft zurzeit so viele Reformen wie noch nie aus. Während Nunmehr ist in den interfraktionellen parlamentari- man aber unter der Überschrift „notwendige Reformen“ schen Beratungen das zeitliche Moment ür die Wider- tief in die Sozialsysteme eingreift und den Reformbe- rufspflicht entfallen und die vorgesehene Sanktion somit griff umwidmet, wird im reformbedürftigen Justizwesen entkräftet worden. Für eine fristgerechte Umsetzung der in einer Weise herumgedoktert, die wohl vor allem nie- EU-Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Fi- mandem wehtun soll. nanzdienstleistungen mag die hier vorliegende Regelung einstweilen genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf Von Modernisierung der Justiz ist hier die Rede. Mo- dernisierung klingt chic. Wer möchte nicht modern (B) löst damit jedoch die bestehenden verbraucherrechtli- (D) chen Probleme beim Abschluss von Versicherungsver- sein?! Aber wie weit kommt man mit einer Modernisie- trägen nicht grundsätzlich. Der rechtzeitige Zeitpunkt rung, wenn diese nur noch bedingt Effekte erzielen kann, weil eigentlich eine grundlegende Reform erforderlich der Widerrufsbelehrung und der Informationserteilung ist, aber nur repariert wird? bei Versicherungsverträgen ist daher bei der demnächst anstehenden umfassenden Versicherungsvertrags-No- Kurzum: Anstelle des gefährlichen Unfugs der Bun- velle ausführlich zu prüfen. desregierung bei ihren so genannten Sozialreformen würde ich mir mehr Mut und Entschlossenheit bei der Gegen die das Gesetzesvorhaben begleitende Ent-Justizreform wünschen. Ich sage nur: Einführung der schließung des Rechtsausschusses, den Verbrauchern für Dreistufigkeit der Justiz. Die Justizministerin Däubler- den Fall des Wiederrufs regelmäßig die Rücksendekos- Gmelin hatte sie zumindestnoch als Ziel vor Augen. ten vertraglich aufzuerlegen – § 357 Abs. 2 Satz Frau 3 Ministerin Zypries hingegen, konstatierte unlängst BGB – habe ich erhebliche Bedenken. Eine grundsätzli- die Frankfurter Allgemeine, „kümmert sich nun um eine che Änderung erscheint angesichts der bisherigen Erfah- vorsichtige Justizmodernisierung“. rungen mit der Umsetzung der Fernsabsatz-Richtlinie 97/7/EG nicht geboten. Insofern ein Missbrauch des Wi- Das Justizmodernisierungsgesetz lässt einen übergrei- derrufsrechtes bei Rücksendung von Waren im Fernhan- fenden Reformansatz nicht erkennen, wie auch der Bun- desrat zu Recht kritisiert. Bei vielen Vorschlägen hat del behauptet wird, bleibt einzuwenden, dass die Wahr- man den Eindruck: Es geht vorrangig ums Sparen. Dabei nehmung eines Rechtes nicht missbräuchlich sein kann. müsste nicht zuletzt dringend in die Ausstattung der Jus- Ausufernde und nicht ernsthafte Bestellungen können tiz investiert werden, damit sie effektiver arbeiten kann. Fernabsatzunternehmen bereits durch Abbruch der Ge- In manch schönem alten Justizgebäude hat man den Ein- schätsbeziehungen oder mit einer Vorkasse-Vereinba- druck, dass zum Teil noch mit der Erstausstattung gear- rung regulieren. Verschärfende rechtliche Regelungen, beitet wird. Modernes Arbeiten setzt aber modernes die ungezielt auch andere Vertragsgeschäfte, für die ein Handwerkszeug voraus. gesetzliches Widerrufsrecht besteht, oder ehrliche Ver- braucher, die zum Beispiel die bestellte Ware bereits be- So mutet es gewiss vielen Mitarbeitern der Justiz ko- zahlt haben, treffen, sind abzulehnen. misch an, wenn die Rechtsgrundlagen der gerichtlichen Verfahren modernisiert werden, doch die technische Vor dem Hintergrund dieser Erklärung stimme ichAusstattung und die Ausstattung mit Fachliteratur und dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernab- der Zugang zu elektronischen Urteilssammlungen mehr satzverträge bei Finanzdienstleistungen zu. als zu wünschen übrig lässt. Zugespitzt kommt mir das Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10827

(A) vor, als würde man einen Oldtimer auf neu gebaute Stra- überzeugenden justizpolitischen Ansatz, und die Regie- (C) ßen setzen und dann erwarten, dass er schneller fährt. rung hat auch auf diesem Reformfeld „nur“ ein Vermitt- lungsproblem? In Anbetracht des umfänglichen Kleinklein der Mo- dernisierungsvorschläge bleibt mir nur die Möglichkeit, mich punktuell zu äußern. Anlage 21 Zunächst: Zu den Änderungsvorschlägen für die Zi- viljustiz ist grundsätzlich zu bemerken, dass die bereits Zu Protokoll gegebene Reden vom Bundesjustizministerium veranlasste Evaluierung zur Beratung des Antrags: Bergschäden regu- abgewartet werden sollte, bevor Einzeländerungen an lieren – kohlepolitische Weichenstellung vor- der Zivilprozessordnung vorgenommen werden, bei de- nehmen (Tagesordnungspunkt 18) nen es sich zum Teil immerhin um Systemänderungen handelt. Hier sollte man sich doch besser bis zum Vorlie- Dieter Grasedieck (SPD): Die FDP will den Berg- gen gesicherter rechtstatsächlicher Erkenntnisse und ent- bau möglichst schnell abschaffen. Dazu sagen wir Nein: sprechender Empfehlungen auf die absolut unumgängli- weil erstens Millionen von Menschen ihren Arbeitsplatz chen Korrekturen beschränken. verlieren und zweitens die Energie der Schlüssel zur Insofern sind natürlich auch heute schon einzelne Än- wirtschaftlichen Entwicklung in der Welt ist. Deshalb derungen durchaus sinnvoll. Hier beziehe ich mich ins- muss Deutschland seine eigenen Ressourcen nutzen. besondere auf die Stellungnahme der Rechtsanwalts- Die langfristige Rahmenplanung für unsere Kohle ist kammer. Doch insgesamt ist das keine Lösung. heute erforderlicher denn je. Steigende Preise und leere Bei Ansicht der Modernisierungsvorschläge für den Kokslager prägen das Bild in Europa. Im Jahr 2000, also Strafprozess drängt sich mir – wie auch Sachverständi- vor vier Jahren, kostete eine Tonne Koks auf dem Spot- gen in der Anhörung – die Frage auf, welche Vorstellun- Markt umgerechnet 70 Euro, heute 600 Euro. In vier gen die Bundesregierung vom Strafprozess hat. Wo ist Jahren stieg der Kokspreis fast um das Zehnfache. Die der konzeptionelle Ansatz? Und wo wird das Bemühen „Frankfurter Rundschau“ wählte am 28. Juni 2004 die erkennbar, nicht nur die Symptome zu bekämpfen, son- Überschrift: „Koks ist zurzeit so wertvoll wie Gold- dern – soweit es mittels des Rechts möglich ist – Ein- staub.“ Aber auch der Kohlepreis für Koks hat sich in ei- fluss auf die Ursachen zu nehmen und damit letztlichnem Jahr verdoppelt: 50 Euro vor einem Jahr, heute über Strafprozesse und Freiheitsstrafen zu vermeiden? 100 Euro. So fällt auch die Stellungnahme des Deutschen An- Weltweit wird mehr und mehr Energie verbraucht. (B) waltvereins zum strafprozessualen Teil vernichtend aus: Die Aufholjagd nach Wohlstand hat in Asien längst be- (D) gonnen. So führt vor allem der riesige Energieverbrauch Für alle drei Entwürfe gilt, dass sie kein schlüssiges der Entwicklungsländer zur Verdoppelung des Energie- Reformkonzept erkennen lassen und an den Ergeb- bedarfs. Größter Koksproduzent ist China mit 150 Mil- nissen der einschlägigen Rechtstatsachenforschung, lionen Tonnen Koks. Schon heute benötigen China, In- die vom Bundesministerium der Justiz in der letzten dien, Brasilien und Pakistan über ein Viertel des Welten- Legislaturperiode in Auftrag gegeben wurden, vor- ergiebedarfs in einem Jahr. Die 2,5 Milliarden Menschen beigehen. in China und Indien wollen heute mehr Wohlstand. Die Justizministerin hat bei verschiedenen Gelegen- China braucht Kohle und Koks für die Stahlproduktion. heiten ihre Justizmodernisierung verteidigt. Sie wendet China braucht Kohle und Koks für die Autoproduktion. sich vor allem gegen Tendenzen, die eine Justizmoderni- China braucht Kohle und Koks für die Kraftwerke. sierung in einem Atemzug mit Qualitätsverlust nennen Deshalb steigt der Kokspreis von Monat zu Monat. und sie deshalb in Bausch und Bogen verurteilen wür- Diese Preisentwicklung kann in der kommenden Zeit den. Modernisierung werde oft gleichgesetzt mit bloßem weitergehen. 84 Prozent der Weltproduktion werden in Einsparen ohne Ansehen der Folgen und mit einem Ver- Förderländern wie zum Beispiel in China, in den USA, lust an Justizgewährung. in Südafrika verbraucht. Das Welthandelsvolumen von Diese Befürchtungen sind meines Erachtens in der28 Millionen Tonnen verringert sich dadurch drama- Tat nicht unbegründet. Doch was mir mehr Sorge berei- tisch. Geringeres Handelsvolumen und höhere Fracht- tet, ist die Konzeptionslosigkeit der Bundesregierung in kosten verstärken aber die Abhängigkeiten und schaffen der Justizpolitik. Justiz darf nicht nur aus sich heraus, Risiken. China zum Beispiel reduzierte die Kohleaus- gewissermaßen immanent, modernisiert bzw. reformiert fuhr in diesem Jahr auf8 Millionen Tonnen und plant, werden. Vielmehr muss die Justiz auch auf gesellschaft- im nächsten Jahr die gesamte chinesische Kohle selbst liche Anforderungen reagieren und sozialen Zielen fol- zu verbrauchen. gen. Wo also ist – außer dem Spar- und Beschleuni- Deshalb brauchen wir eine sichere deutsche Energie- gungsgedanken – der justizpolitische Ansatz? versorgung durch einen Energiemix aus Braunkohle, Der vielfach beschworene Verweis auf den abstrak- Steinkohle, Gas und regenerativer Energie. Die SPD sagt ten, verfassungsrechtlich verbrieften Justizgewährungs- Nein zu der FDP-Forderung, die Steinkohleförderung anspruch der Bürgerinnen und Bürger überzeugt jeden- müsse schnellstens ein Ende haben. Die Bundesregie- falls nicht. Aber vielleicht tue ich der Bundesregierung rung hat vielmehr die Weichen für unsere Kohle im Mai auch Unrecht. Vielleicht gibt es ihn tatsächlich, dengestellt. Gerhard Schröder und Wolfgang Clement waren 10828 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) die Garanten für diese Politik. Die Beihilfen sind bis Dr. Sascha Raabe (SPD): Zwei Milliarden Men- (C) 2012 festgelegt. Unser Bergbau kann langfristig planen. schen haben keinen Zugang zu Elektrizität und rund 2,4 Milliarden Menschen sind für die Deckung ihrer Der FDP-Antrag gefährdet Millionen von Arbeits-dringlichsten Energiebedürfnisse auf nicht nachhaltige plätzen; nicht nur im Bergbau und in den Kokereien. Sie Biomasse angewiesen. gefährden auch Arbeitsplätze in Kraftwerken, im Ma- schinenbau und in der Forschung. Was zunächst in Zahlen so abstrakt klingt, kann man sich auch konkret versinnbildlichen. Das junge Mädchen Unsere Politik trägt zur Sicherung bei: 20 000 Ar-in Kolumbien kann abends nur mit den größten Anstren- beitsplätze im Jahr 2012 werden auf fünf Bergwerke er- gungen ein Buch bei schwachem Kerzenlicht lesen. Der halten. Die Bergbautechnik ist eine Jobmaschine.politisch interessierte Nigerianer kann keine Nachrichten 30 Prozent der Bergmaschinen der Welt werden über in Radio, Fernsehen oder einen Internetanschluss Deutschland gefertigt. Der deutsche Kraftwerksbau ist empfangen. Und die dreifache Mutter in Vietnam ver- ein Exportschlager. Der Wirkungsgrad unserer Kraft-bringt täglich mehrere Stunden mit der Holzsuche, um werke liegt bei 40 Prozent, in China bei 20 Prozent. Mit ihren Kindern eine warme Mahlzeit zubereiten zu kön- Unterstützung des Landes NRW ist eine Studie fürnen. 600 MW-Kohle-Kraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 48 Prozent entwickelt worden. Wir brauchen Kohle- Anhand dieser Lebensschicksale wird die Dramatik kraftwerke ohne CO2-Ausstoß. Erste Forschungsergeb- der Energiefrage fühlbar. Der mangelnde Zugang zu nisse liegen bereits vor. Energie ist ein großes Entwicklungshemmnis nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern insgesamt für das Diese Innovationen für unsere Zukunft dürfen nicht Wirtschaftswachstum der Schwellen- und Entwicklungs- durch Ihren FDP-Antrag gebremst werden. Die FDP for- länder. Während die Hauptursache für den wachsenden dert in ihrem Antrag Bergschadensregulierung. IchEnergiebedarf neben der Industrieproduktion der stei- wohne in einem Abbaugebiet und weiß genau, wie ver- gende Lebensstandard ist, so ist umgekehrt der Energie- antwortlich der Bergbau bei Schadensregulierungen am zugang für den menschlichen Wohlstand unbedingte Haus vorgeht. Der Abbau unter Wohngebieten wirdVoraussetzung. mehr und mehr reduziert. Bruchkanten in Wohngebieten werden vermieden. Abbaugebiete wirken sich als groß- Der enorme Energieverbrauch in den Industrieländern flächige Senkung aus. Die Schäden an Gebäuden werden hat in der Vergangenheit große Schäden in der Natur an- minimiert. Bei Senkungen in Wald- und Wiesengebieten gerichtet und trägt auch heute noch zu großen Umwelt- werden ökologische Planungen und viele naturerhal-schäden wie beispielsweise der Klimaerwärmung bei. tende Maßnahmen vorgenommen. Neue Erholungsge- Deshalb stehen viele Menschen dem mit steigender Ent- (B) (D) biete sind entstanden. Die Haldenbegrünung und -be-wicklung einhergehenden wachsendem Energiebedarf pflanzung wird von allen Menschen im Revierder Entwicklungsländer skeptisch gegenüber. anerkannt. Der Bergbau steht zu seiner Verantwortung. Entwicklung und Umwelt sind aber keine Gegen- Laut Emnid-Institut unterstützen 61 Prozent der Deut- sätze. Sie gehen Hand in Hand, mal zieht die eine Hand schen die Kohlebeihilfe, nur 19 Prozent sind dagegen. kräftiger, mal die andere. Spätestens seit der Weltkonfe- Der neue BDI-Präsident fordert mehr Koks für unsere renz über Umwelt und Entwicklung, UNCED, im Jahr deutsche Stahlproduktion. 1992 in Rio de Janeiro ist der Begriff der nachhaltigen Entwicklung – Sustainable Development – eine feste Der niedersächsische FDP-Minister Sander und der Größe in der internationalen Umwelt- und Entwick- ehemalige FDP-Vorsitzende Achim Rohde fordern: „Wir lungspolitik. Wer von den ärmsten Ländern dieser Erde müssen auf unsere Kohle zurückgreifen.“ Recht haben eine nachhaltige Entwicklung durch erneuerbare Ener- Ihre FDP-Kollegen. Lassen Sie sich von Ihren Kollegen gien fordert, muss auch bereit sein, hierfür Unterstüt- überzeugen! zung bei der Finanzierung zu gewähren. Die deutsche Bergbautechnologie ist weltweit füh- Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was rend. 2002 exportierten deutsche Unternehmer Bergma- kann die Weltbank dazu beitragen, den ärmsten Men- schinen weit über 30 Prozent der Weltproduktion. Diese schen den Energiezugang zu erleichtern? Welche Rolle wirtschaftlichen Erfolge und die erfolgreiche innovative kommt der Weltbank im Energiesektor – sei es im Roh- Forschung fördern wir Sozialdemokraten auch in der Zu- stoffbereich oder im Bereich erneuerbarer Energien – kunft. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. zu? Wie kann man der Kolumbianerin, dem Nigerianer und der Vietnamesin helfen, ohne dabei der Umweltzer- Der Bergbau trifft zukunftsweisende Beschlüsse:störung Vorschub zu leisten? Wo ist das Gleichgewicht Kohlesockel 2012 mit 20 000 Bergleuten. Die Beihilfe- zwischen Armutsbekämpfung und Umwelt? Und wie regelung wird von 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2005 auf können wir dieses Gleichgewicht erreichen? 1,83 Milliarden Euro im Jahr 2012 zurückgehen. Das ist ein Rückgang um 32 Prozent. Die Weltbank ist eine internationale Organisation mit dem vorrangigen Ziel, Armut zu bekämpfen. Der Anteil Die Beihilfen sind zuvor bereits zwischen 1997 und der erneuerbaren Energien am Energieportfolio der 2005 fast halbiert worden. So werden die Schachtanlage Weltbank beträgt weniger als 10 Prozent. Die Auswir- Luisenthal/Saar 2006, Lohberg 2006, Walsum 2009 und kungen von Rohstoffprojekten, beispielsweise im Ölsek- Lippe/Gelsenkirchen 2010 stillgelegt. tor, haben in der Vergangenheit immer wieder zu Kritik Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10829

(A) von Umweltschützern und der betroffenen lokalen Be- bale Energiefrage neue Akzente gesetzt. Auf dieser Kon- (C) völkerung geführt. ferenz hat der geschäftsführende Direktor der Weltbank, Peter Woicke, bereits angekündigt, das Portfolio für er- Deshalb hat Weltbank-Präsident James Wolfensohn neuerbare Energien über die nächsten fünf Jahre um den ehemaligen indonesischen Umweltminister Emiljährlich 20 Prozent steigern zu wollen. Das ist ein deutli- Salim damit beauftragt, eineStudie über die Rolle der ches Zeichen für den Willen der Weltbank, ihre Energie- Weltbank im Rohstoffsektor unter Berücksichtigung der politik nachhaltig zu verändern, aber auch ein Zeichen ökologischen und sozialen Auswirkungen zu erarbeiten. dafür, dass sich der hartnäckige Einsatz der Bundesre- Vor diesem Hintergrund haben wir als Regierungsfrak- gierung im Management der Weltbank gelohnt hat. tion einen Antrag eingebracht, der sich mit den Empfeh- lungen der Salim-Studie beschäftigt. Dieser Antrag lobt Unser Antrag zeigt, dass Armutsbekämpfung und an erster Stelle das Zustandekommen der Salim-Studie. Umweltschutz sich ergänzen und nicht ausschließen. Durch diesen Bericht hat ein Sensibilisierungsprozess Wir wollen weltweit die Abhängigkeit von Rohstoffen innerhalb der Weltbank begonnen, der fortgesetzt wer- wie Öl überwinden und erneuerbare Energien verstärkt den muss. Eines hat der Bericht bereits erreicht: Er hat fördern. Sonne, Wind und Wasser stehen allen Ländern die Diskussion angeregt und zu einer grundsätzlich posi- zur Verfügung, Öl hingegen nur wenigen. Unser Antrag tiven Reaktion in der Weltbank geführt, was der erstesoll helfen, dass das kolumbianische Mädchen beim Ein- Antwortentwurf zeigt. Innerhalb der nächsten 30 Tage bruch der Dunkelheit das Licht anknipsen und sich für sind die Betroffenen – sowohl Vertreter der Entwick-die Zukunft fortbilden kann, ohne dabei ihre Umwelt zu lungs- und Industrieländer als auch die engagierte Zivil- gefährden. In diesem Sinne hoffe ich, dass auch der Op- gesellschaft – aufgefordert, mit weiter führenden Anre- position ein Licht aufgeht und wir gemeinsam diesen gungen, konstruktiver Kritik sowie Ideen einen Beitrag Antrag beschließen. zu leisten. Unser Antrag und die Debatte heute Abend sind Beiträge der deutschen Parlamentarier zu diesem Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Eine wettbe- Prozess. werbsfähige und sichere Energieversorgung ist Grund- Ich möchte hier einige Forderungen aus unserem An- voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unserer Wirt- trag nennen, die für die Identitätsfindung und den Rol- schaft und den Wohlstand in unserer Gesellschaft. lenwechsel der Weltbank als Leitlinien dienen sollen:Deshalb setzt sich die Union für eine Energiepolitik ein, Die Weltbank soll Energie- und Rohstoffprojekte nurdie auf vier Säulen beruht: Wirtschaftlichkeit, Versor- dann fördern, wenn dadurch positive Effekte zur Ar-gungssicherheit, Umwelt- und Klimaverträglichkeit und mutsverminderung ausgehen, Sozial- und Umweltstan- Sozialverträglichkeit. dards und die Menschenrechte eingehalten werden und (B) Entlang diesen Leitlinien stellt sich für uns die Frage: (D) somit eine „gute Regierungsführung“ – Good Gover-Brauchen wir dafür mittel- bis langfristig die deutsche nance – gegeben ist. Das Portfolio der Weltbank für die Steinkohle? Unbestritten ist, dass sie in der Vergangen- Förderung erneuerbarer Energien und die Energieeffi- heit von herausragender nationaler und strategischer Be- zienz soll mit substanziellen jährlichen Steigerungsraten deutung war als wesentlichen Beitrag zur Strom- und konsequent ausgeweitet werden. Wir fordern die Welt- Wärmeversorgung von Wirtschaft und Haushalten, als bank auf, dass sie bei Energieprojekten die lokale Bevöl- Garant einer hohen Versorgungssicherheit und als Siche- kerung früh in die Planung mit einbezieht. Dadurch wird rung der Unabhängigkeit vom Ausland. Vor allen Din- eine größere Akzeptanz geschaffen, um so möglichstgen war sie ein dominanter Wirtschafts- und Beschäfti- eine umfassende Zustimmung zu erreichen. gungsfaktor. Um die in der Vergangenheit immer wieder aufgetre- Doch ihre Rolle im Energiemix und ihre wirtschaftli- tenen Fälle von Korruption zu verhindern, fordern wir che Bedeutung haben sich in den letzten Jahrzehnten mehr Transparenz bei den Vereinbarungen der Privat- deutlich verändert. Zahlen und Fakten sprechen eine wirtschaft mit den jeweiligen Regierungen. Die Welt- deutliche Sprache: Um 1960 gab es in Deutschland noch bank soll sich dabei auf Vorschläge von Transparency direkt 600 000 Beschäftigte im Steinkohlenbergbau. International und der Extractive Industries Transparency 150 Bergwerke deutschlandweit förderten 150 Millionen Initiative der britischen Regierung stützen. Tonnen. Damals wurde noch rund ein Viertel der Pro- Die Bundesrepublik Deutschland ist der drittgrößte duktion exportiert. 1980 war die Zahl der Beschäftigten Beitragszahler in der Weltbank. Deshalb werden unsere schon auf rund 190 000 geschrumpft und heute sind es Vorschläge in der Weltbank sicherlich auf fruchtbaren nur noch knapp 40 000. Die Förderung sank im gleichen Boden fallen. Zeitraum von 87 Millionen Tonnen auf heute rund 26 Millionen Tonnen. Die Zahl der Zechen ging von An dieser Stelle möchte ich der Bundesregierung und 39 auf heute neun zurück. vor allem unserer Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ein großes Lob aussprechen, dass sie Heute dagegen kommt ein Großteil der in Deutsch- sich in den vergangenen Monaten so vehement für eine land verbrauchten Steinkohle aus dem Ausland. Der An- stärkere Förderung der erneuerbaren Energien nicht nur teil der Importkohle nährt sich bereits der 60-Prozent- innerhalb der Weltbank eingesetzt hat. Als GastgeberMarke des deutschen Steinkohleverbrauchs von jährlich und Initiator der Erneuerbare-Energien-Konferenz in64 Millionen Tonnen. Wie wir alle wissen, ist die Beibe- Bonn vor einigen Wochen hat sich der deutsche Einsatz haltung der heimischen Steinkohlenutzung teuer erkauft: erfolgreich bestätigt. Die Weltkonferenz hat für die glo- Seit Beginn der Kohlesubventionierung sind dem 10830 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Bergbau etwa 120 Millarden Euro zugeflossen. Dennoch Daneben lässt sich bereits ein Ende der Boomphase(C) konnte bis heute keine Wettbewerbsfähigkeit hergestellt auf den internationalen Stahlmärkten absehen. Kurzfris- werden. Auch für die Zukunft ist dies auf keinen Fall zu tige Marktschwankungen gehören zu einer gesunden erwarten. Die durchschnittlichen ProduktionskostenMarktwirtschaft dazu. Der Staat sollte erst eingreifen, deutscher Steinkohle liegen gegenwärtig um das Drei- wenn substanzielle Gefahr besteht. Davon kann derzeitig bis Vierfache über dem Weltmarktpreis. Schlicht undund auch zukünftig selbst in der Koksversorgung nicht ergreifend ist es um ein Vielfaches teurer, die Kohle bei die Rede sein. uns aus der Erde zu holen, als aus den Überseegruben Deutsche Steinkohle als wesentlicher Beitrag im na- einzuführen. tionalen Energiemix? – Herr Müller, Vorstandsvorsitzen- Auch wenn der Weltmarktpreis derzeit schwankt und der der RAG, schreibt: „Der bewährte deutsche Energie- nach oben steigt, da China gerade dabei ist, die Rohstoff- mix muss zukunftssichergestaltet werden“. Dem weltmärkte leer zu kaufen, ist an eine wettbewerbsfähige schließt sich die Union gerne an, zieht nur etwas andere Annährung der Preise nicht zu denken. Schlussfolgerungen daraus: Die Zeit der Kohle ist selbst- verständlich längst noch nicht abgelaufen, auch wenn ir- In Zeiten knapper öffentlicher Kassen muss schongendwann die letzte deutsche Zeche schließen sollte. hinterfragt werden: Welchen Sinn macht die Förderung? Nur ein Mix aus möglichst vielen Energieträgern ge- Sind die Argumente, die für die Förderung eines Sockel- währleistet die Sicherheit der Versorgung in Deutsch- bergbaus aufgeführt werden, stichhaltig? land. Ich will aus Sicht der Union gerne einige wichtige Ar- Trotz aller Bemühungen, die im Grundsatz von unse- gumente aufgreifen und deren Stichhaltigkeit prüfen:rer Partei geteilt werden, die Entwicklung alternativer Senkung der Importabhängigkeit – Sicherung der natio- Energieformen voranzutreiben, bleibt die Energieversor- nalen Versorgungssicherheit: Deutschland ist ein res-gung in den kommenden Jahrzehnten auf die fossilen sourcenarmes Land und bleibt auf Dauer von den Welte- Energieträger angewiesen. Deren Bedeutung steigt umso nergiemärkten abhängig. Noch vor dem Jahr 2010 wird mehr, wenn man bedenkt, dass innerhalb der nächsten Deutschland zu etwa 70 Prozent von Importenergie ab- 15 Jahre gut die Hälfte der fossil befeuerten Kraftwerke hängig sein. Die Vorstellung einer möglichst geringen ersetzt werden muss. Ob nach 2006 neben diesen rund Importquote ist im Zeitalter der Globalisierung und Öff- 40 000 MW fossiler Kraftwerksleistung noch weitere nung der Weltmärkte Selbstbetrug. 22 000 MW Kernkraftwerksleistung hinzukommen, lässt Dass dieser Umstand im Energiebereich natürlichsich heute noch nicht endgültig beantworten. nicht unproblematisch ist, zeigt das Beispiel Erdöl. Doch Brauchen wir dafür aber die deutsche Steinkohle? Wir (B) können die Bedingungen eins zu eins auf die Steinkohle denken, aus schon erwähnten Gründen nicht. Die Welt- (D) übertragen werden? Ich denke nicht, denn die maßgebli- reserven von 750 Milliarden Tonnen lassen für die chen Krisenszenarien – Erschöpfbarkeit der Energieres- nächsten 200 Jahre keine Versorgungsengpässe befürch- source, Kartellbildung, temporäre Lieferunterbrechung ten! Die weitere Förderung der deutschen Steinkohle oder gar ein Totalembargo – treffen auf die Steinkohle steht in keinem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis. nicht zu. Ein zügiger Abbau der Steinkohleförderung ist deshalb geboten. Der Weltkohlemarkt zeichnet sich durch ein reichli- ches sowie geopolitisch sehr vielfältiges Angebot aus: In Auch der Sachverständigenrat stellt in seinem Jahres- zahlreichen Staaten kann dauerhaft günstiger produziert gutachten aus dem Jahr 2003 fest: „Durch die Einstel- werden als in Deutschland. Auch ein Zusammenschluss lung der Steinkohleförderung in Deutschland würde die von Steinkohleproduzenten ist nicht zu erwarten, eine Sicherheit der Energieversorgung nicht gefährdet.“ Das Preispolitik nach OPEC-Muster wird sich also nichtheißt, ohne deutsche Steinkohle gehen in Deutschland durchsetzen. Zudem zählt der Großteil der Exporteure zu also nicht die Lichter. den krisenpolitisch unbedenklichen Kandidaten wie etwa die USA oder Australien. Es besteht also mittel- Laut derzeitigem Plan wird sich die deutsche Stein- und wohl auch langfristig nicht die Gefahr, dass derkohle schon in naher Zukunft der Bedeutungslosigkeit in Importpreis der Steinkohle die Förderkosten der heimi- der Energieversorgung nähern. Bis 2010 sinkt der Anteil schen Kohle übersteigt. Der schlimmste Fall sollte natür- am Primärenergieverbrauch auf rund 3 Prozent und am lich niemals ausgeschlossen werden. Doch selbst bei ei- Stromverbrauch auf 9 Prozent, die Steinkohle insgesamt ner zeitlichen Lieferunterbrechung ist die Lagerung verbleibt aber bei 22 Prozent. einer strategischen Reserve die günstigere Alternative Für uns als Union stellten sich daher folgende Fragen: als die Aufrechterhaltung des deutschen Steinkohleberg- Ist daher die Ausgestaltung der Anschlussfinanzierung, baus. Denn jede Tonne inländische Kohle wird mitwie sie die Bundesregierung vereinbart hat, ausrei- 100 Euro subventioniert. Doch die Kosten der Lagerung chend? Muss die Steinkohleförderung in 2012 noch bei liegen gerade mal bei rund einem Zehntel des Betrags. 16 Millionen Tonnen liegen? Ist das nicht der falsche Weg in einen hoch subventionierten „Sockelbergbau“? Die derzeitige Koksknappheit dient vielen als Beleg für ein Festhalten an demModell des Sockelbergbaus. Im Jahr 2007 ist auf Grundlage des Ende 2006 vorlie- Doch trotz Subventionen in Milliardenhöhe gelingt es genden Monitoringberichts der EU-Kommission zu ent- nicht, den Engpass bei der Kokskohle aufzuheben und scheiden, ob und in welchem Umfang die Beihilfen nach ein Ansteigen des Stahlpreises zu verhindern. 2010 gewährt bzw. zu welchem Zeitpunkt sie endgültig Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10831

(A) eingestellt werden. Wir sehen derzeit den Korridor für sich die Politik zumindest offiziell nicht in die Entschei- (C) das Ende der Beihilfen zwischen 2010 und 2015. Über dungen des Unternehmens über die Standortschließun- diesen Zeitpunkt hinaus ist mit uns keine weitere Sub- gen- und -weiterführungen eingemischt. Angesichts der ventionierung der Steinkohleförderung in Deutschland sich dauerhaft abzeichnenden Folgekosten sollten wir zu machen. qualitative Kriterien bei der Novellierung des Steinkoh- lebeihilfengesetzes einführen. Ziel dabei sollte sein, die Natürlich muss dieser Abbau sozialverträglich gestal- Standorte (Zechen) mit den größten Folgekosten zuerst tet werden. Denn hinter jedem Arbeitsplatz im Bergbau zu schließen. steckt ein Gesicht, ein Mensch, meist sogar eine ganze Familie. Zu den Nachhaltigkeitskriterien gehören: mögliche Ganze Regionen in Deutschland sind vom Bergbau Folgeschäden durch Hochwasser oder ansteigendes geprägt. Doch auch Regionen mit anderer Altindustrie Grundwasser und die damit verbundenen Auswirkungen haben den Strukturwandel bewältigt, und das oft erfolg- auf die Bevölkerung, der Energiebedarf der Zeche auch reicher ohne milliardenschwere Subventionen. Für uns im Folgezeitraum, zum Beispiel für Pumpen über die geht es aber eben nicht nur um die Zukunft der Berg-nächsten Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte, Trinkwasserver- leute, sondern vor allen Dingen um die Zukunft ihrerschwendung, die Gefahr der Absenkung und der damit Kinder, für die wir neue Arbeitsplätze brauchen undverbundenen Betroffenheit der Bevölkerung. schaffen müssen. Diese werden in der Mehrzahl nicht Auch die unterschiedlichen Folgekosten der verschie- mehr im Bergbau liegen. denen Zechen, die durch mögliche Ausbaustufen noch Eine offene Politik, vor allen Dingen gegenüber den zunehmen werden, müssen in die Überlegungen einbe- Menschen in den betroffenen Regionen, ist allemal ehrli- zogen werden. Das Unternehmen sollte verpflichtet wer- cher als das Aufrechterhalten einer jahrzehntealten Illu- den, hier für jede Zeche vergleichbare Kennzahlen bzw. sion, dass die Steinkohleförderung in Deutschland eine Bilanzen vorzulegen. Zukunft hat. So fordern wir auch RAG und DSK auf, Nach unseren vorläufigen Einschätzungen sind fol- Fehleinstellungen zu vermeiden und ihre Personalpla- gende Abschaltungsprioritäten sinnvoll: 1. Priorität: nung sorgfältig auf die Degression rechtzeitig einzustel- Warndt/Luisental (Saar) und Walsum (Duisburg, NRW); len. Unsere Zukunft liegt eben nicht im Abbau unserer 2. Priorität: West (Kamp-Lintfort, NRW), Prosper- knappen Bodenschätze, sondern in der Investition inHaniel (Bottrop, NRW) und Ensdorf (Saar). Forschung und Bildung und damit in internationale wett- bewerbsfähige Technologieentwicklung, die gleichzei- Die Zeche Ensdorf im Saarland ist die – relativ zu den tig hilft, ambitionierte Klima- und Umweltschutzziele zu andern – wirtschaftlich effizienteste. Allerdings bergen (B) erreichen. die weiteren Ausbaustufen sehr große Gefahren für die (D) Umwelt mit starken Auswirkungen für Anwohner. Der finanzielle Spielraum für Bund und Länder, der Durch eine Schließung von Ensdorf würde das Saarland durch die Rückführung der Beihilfen geschaffen wird, – und damit das vorletzte Bundesland – die Steinkohle- sollte unserer Meinung nach dafür genutzt werden,förderung einstellen. Zukunftsbranchen und den Strukturwandel zu fördern. Heute fördern wir mit 2 Milliarden Subventionen ein Einer der herausragenden Punkte bei der Einigung Exportvolumen von gerade mal 1 Milliarde Euro in der war für uns die vorzeitige Stilllegung der Zeche Walsum. Branche. Ist da nicht mehr drin und kann dies nicht sinn- Eigentlich hatte dieses Bergwerk eine wasserrechtliche voller gestaltet werden? Genehmigung bis 2012, der Rahmenbetriebsplanung Insbesondere die Entwicklung hoch effektiver undging sogar bis 2019. Eine so lange Laufzeit hätte zu umweltverträglicher Kraftwerke – Stichwort Clean-unkalkulierbaren Risiken geführt. Um die Folgeschäden Coal-Technologie – kann mit den frei werdenden Mil- und auch die Hochwassergefahr in der Region deutlich liarden forschungsmäßig unterstützt werden. Dies sind zu reduzieren, haben wir darauf bestanden, dass der sinnvolle Investitionen in eine aussichtsreiche Zukunft, Bergbau unter dem Rhein nun spätestens Ende 2008 be- für den deutschen Export und auch für den Klimaschutz, endet wird. ohne dabei Versorgungssicherheit in Deutschland zu ge- Das gleicht einer kleinen Revolution;, denn erstmals fährden. werden damit auch ökologische und volkswirtschaftliche Kriterien sowie die Verantwortung gegenüber zukünfti- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen Generationen bei einer Zechenschließung berück- Ich weiß nicht, woher Ihr Verlangen kommt, sich immer sichtigt. Mit Walsum wird das Bergwerk mit den größten mit den Themen von gestern zu beschäftigen. Die kohle- Folgekosten vorrangig geschlossen – ein wichtiger Er- politischen Weichenstellungen sind bereits gestellt. Die folg, wie ich finde, vor allem für die Menschen, die dort Koalitionsfraktionen haben sich vor kurzem auf dieleben. Denn sie bekommen einen klaren Zeithorizont Finanzierung der Steinkohle bis 2012 geeinigt. Die Rah- aufgezeigt, an dem das Schrecken ein Ende hat. menbedingungen bis 2010 wurden bereits nach Brüssel gemeldet. Das ist aber kein Erfolg, auf dem wir uns ausruhen wollen. Neben Warndt/Luisental in 2006, Lohberg/ Da wir uns heute dennoch mit dem Thema befassen Osterfeld in 2007, Walsum in 2008 und Bergwerk Lippe müssen, will ich Ihnen gerne die einzelnen Punkte des in 2010 wird bis 2012 noch ein weiteres Bergwerk ge- Kompromisspapiers noch einmal erläutern: Bislang hat schlossen. Hier müssen die gleichen Kriterien angelegt 10832 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) werden wie bei Walsum: die ökologisch und volkswirt- dern. Schließen Sie doch einmal die Debatte in der eige- (C) schaftlich schädlichsten Zechen zuerst! nen Partei ab, bevor Sie sich hier wieder vergebens ab- mühen! Auch bei der zukünftigen Ausgestaltung der Subven- tionen haben wir einiges erreicht. Sie wurden weiter de- gressiv gestaltet: Die Bugwelle wird sofort ausgezahlt. Christoph Hartmann (Homburg) (FDP): In den Ge- Hätte man die Rückzahlung bis 2020 gestreckt, wären bieten, in denen Steinkohle in Deutschland unter be- Zinsen in dreistelliger Millionenhöhe hinzugekommen. wohntem Gebiet abgebaut wird, werden die Oberflächen- Die Subventionen werden statt monatlich nun zu Beginn eigentümer immer ungehaltener. Sie können nicht länger des Folgejahres ausgezahlt. Damit spart der Bund circa akzeptieren, dass jeder Arbeitsplatz im Bergbau jährlich 360 Millionen Euro. Bei der Berechnung der Subven- mit 82 000 Euro subventioniert wird und gleichzeitig tionsbeträge werden die Weltmarktpreise nun stärkerdurch diese staatlich subventionierten Arbeitnehmer ihr und zeitnäher einbezogen. Vorausgesetzt, der Weltmarkt- Eigentum zerstört wird. preis für Kohle bleibt hoch, werden damit mittelfristig Gerade weil der Bergbau staatlich subventioniert ist, Einsparpotenziale von mehreren Hundert Millionen muss er verantwortungsbewusst mit dem Eigentum an- Euro ermöglicht. derer Menschen umgehen. Gerade dieser verantwor- Trotz der Planung, bis 2012 fünf Zechen stillzulegen, tungsvolle Umgang findet aber nicht statt. Das zeigt sich werden keine betriebsbedingten Kündigungen ausge-zum Beispiel darin, dass statt dem so genannten Versatz- sprochen. Das ist auch gut so. Gleichzeitig haben wir uns bau seit einigen Jahren der kostengünstigere Bruchver- aber geeinigt, bestimmte Privilegien im Bergbau abzu- satz betrieben wird, der aber gleichzeitig die Häuser- bauen. Dazu gehören das Übergangsgeld und die Früh- schäden verdoppelt. verrentung. Es kann nicht sein, dass Büroangestellten im Bergbau mit 55 Jahren ein Ruhestand fast ohne finan- Das wollen wir stoppen. Wir Liberale wollen den zielle Verluste staatlich subventioniert wird, währendMenschen an Ruhr und Saar helfen. Wir wollen ihr Ei- dem Rest der deutschen Arbeitnehmerschaft harte Ein- gentum sichern. Die staatlich subventionierte Zerstörung schnitte in allen Bereichenzugemutet werden müssen. von Eigentum muss aufhören. Deswegen werden wir die entsprechenden Richtlinien Ich will Ihnen dazu einige Beispiele geben. Allein die anpassen. jährlichen Aufwendungen für Prophylaxe und Schadens- Sie sehen, die wesentlichen Punkte sind geklärt. Es regulierungen im Völklinger Ortsteil Fürstenhausen mit wäre sinniger, Sie würden Ihren Antrag zurückziehen. etwas über 700 Häusern belaufen sich auf über 30 Mil- Wir haben aktuell wichtigere Fragen zu klären, als dass lionen Euro bei einem Marktwert der hier pro Jahr geför- (B) wir uns mit den Themen beschäftigen könnten, diederten Steinkohle von circa 80 Millionen Euro. Wenn(D) längst entscheiden sind. man sich Fürstenhausen näher ansieht, so erschreckt man unwillkürlich. Lassen Sie uns gemeinsam durch Bevor ich es vergesse: Natürlich erwarten wir auch Fürstenhausen gehen. vom Saarland, dass es seinen Anteil am Bergbau finan- ziert. Mit welcher Begründung sollte dieses Bundesland Im ersten Haus steht eine Gaswarnanlage im Keller. einen gewissen Eigenanteil verwehren, den NRW unter Die Bewohner leben in ständiger Angst, dass es durch einer schwierigeren Ausgangsituation aufbringt? EinRisse zu Gasaustritt und damit zu einer Katastrophe klares Signal zum Ausstieg aus der Steinkohleförderung kommen könnte. 80 Prozent der Häuser sind mit solch habe ich aus Saarbrücken noch nicht vernommen. einer Gas Warnanlage ausgestattet. Dieses klare Signal vermisse ich im Übrigen auch bei Das zweite Haus ist seit einem Jahr eine Großbau- Ihnen von der FDP. Zwar wollen Sie uns hier glauben stelle. Unter das Haus werden Platten geschoben, unter machen, sie seien als tadelloser Ritter des Bundeshaus- die so genannte Federbeine montiert werden, die durch haltes für ein sofortiges Ende staatlicher Subventions- Hydraulik derart bewegt werden können, dass das Haus leistungen an den deutschen Steinkohlebergbau. Aber in der Waagerechten gehalten werden kann, auch wenn immer wenn Ihre Kollegen in Düsseldorf mit der SPD der Untergrund sich verschiebt. Die Bewohner des Hau- flirten, ist es vorbei mit dem Idealismus; dann hört man ses wurden für die Zeit der Reparaturen umgesiedelt. wieder Formulierungen wie „langfristigen Museums- Das dritte Haus wurde vom Bergbaubetreiber aufge- bergbau fördern“ – was auch immer Sie darunter verste- kauft und steht leer, weil es ein Totalschaden ist. In Fürs- hen. tenhausen betrifft das circa 50 von 700 Häusern. Den besten Husarenritt hat jedoch Ihr Kollege Sander All das ist trauriger Alltag in Fürstenhausen. Können aus Niedersachsen hingelegt: Sie sich vorstellen, was das, was ich hier geschildert Der Nutzung des in Deutschland insbesondere ver- habe, für ein soziales Leben vor Ort bedeutet, was es für fügbaren fossilen Energieträgers Kohle kommt un- die Menschen heißt, in ständiger Angst zu leben, zu se- ter dem Aspekt Versorgungssicherheit weiterhinhen, wie ihre Heimat zu einem Geisterort wird, wie eine entscheidende Rolle zu. Freunde und Verwandte wegziehen? Dem hätten Sie in seinem Amt als Umweltminister Das betrifft nicht nur Fürstenhausen, sondern viele vorher mal eine Kopie Ihres Antrags zuschicken sollen. Orte im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, wo Zehn- So bekam er wohl nachträglich den Aufruf, zurückzuru- tausende Menschen unter dem Bergbau unter bewohn- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10833

(A) tem Gebiet zu leiden haben. Es ist Zeit, hier einzuschrei- märkte, die wir haben, auf der Welt, in Europa und in(C) ten. Wir wollen es tun. Deutschland. Die FDP-Fraktion will den Menschen helfen, weil sie Wir reden auch über eine Branche, die in den Reihen machtlos sind: machtlos gegenüber dem Bergbauunter- der CDU/CSU und bei den Damen und Herren der FDP nehmen, machtlos aber auch gegenüber der rot-grünen einen Beißreflex auslöst. Erklären kann ich mir diese Bundesregierung und im Saarland gegenüber der CDU- irrationale Haltung nicht, stets wird über fehlendes Wirt- Landesregierung. schaftswachstum geschimpft und nun haben wir einen überproportional expandierenden Sektor und schon wird Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes, hat versucht, ihn in Grund und Boden zu reden. gesagt: Meine Damen und Herren, stabile Flächenzuwächse Sozialverträglichkeit heißt auch, dass die legitimen von über 5 Prozent im Jahr 2003 und ein Plus von 4 Pro- Interessen der Bergbaubetroffenen auf Schutz ihres zent auf 3,1 Milliarden Euro im Lebensmittelmarkt sind Eigentums und ihrer Gesundheit beachtet werden. Zeugen für die richtige Richtung. Er lässt diesen Worten keine Taten folgen. Rot, Nicht grundlos kaufen sich die internationalen Nah- Schwarz und Grün lassen die Bergbaubetroffenen im rungsmittelgiganten in den Bio-Markt ein: Coca-Cola, Stich. Vor der Wahl sagen sie das eine, nach der Wahl die Danone-Gruppe, Kellogg’s, Kraft und selbst aus eher tun sie etwas anderes. anderen Bereichen bekannte Unternehmen wie etwa No- Nicht so die FDP: Wir halten unser Wort. Wir haben vartis oder auch Aldi, sie alle wollen direkt oder indirekt eine Vielzahl von Initiativen in den Deutschen Bundes- über Tochterunternehmen an diesem lukrativen Markt tag eingebracht, in denen wir die Belange der Bergbau- partizipieren. Ich sehe in dieser Entwicklung nicht allein betroffenen ernst nehmen. Um nur einige zu nennen: Wir nur Chancen und werde aufmerksam beobachten, wie haben in der letzten Haushaltsberatung die Streichung sich der Markt auf der Erzeuger- und Handelsseite ent- von Steinkohlesubventionen gefordert, was von Rot-wickelt. Grün abgelehnt wurde. Auf unsere Initiative geht ein Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr Vor-Ort-Termin des Petitionsausschusses zurück, derProblem ist, dass Sie diesen fahrenden Zug aufzuhalten sich so ein Bild von den Schäden in Fürstenhausen ma- versuchen und nach wie vor polarisieren. Spricht jemand chen konnte. „für den Ökolandbau“, hören Sie „gegen den konven- Und wir kämpfen mit diesem Antrag weiter für die tionellen Landbau“ heraus. Das ist meines Erachtens Belange der Bergbaubetroffenen. Mit unserem Antrag vollkommen unnötig und selbst der Bauernverband hat mittlerweile akzeptiert, dass der Ökolandbau seinen fes- (B) wollen wir die Unausgewogenheit zwischen Bergbaube- (D) troffenen und dem Unternehmen wenigstens in Teilen ten Platz einnimmt, und dies zu Recht. ausgleichen helfen, insbesondere die Rechte der Berg- Öko ist nicht zwangsläufig besser. Auch hier können baugeschädigten stärken. wir es mit schwarzen Schafen zu tun bekommen. Unbe- Für uns gilt eben: vor der Wa hl sagen wir das, was wir stritten ist aber wohl, dass der Umwelt grundsätzlich nach der Wahl auch halten. Deswegen halten wir Wort Agrarchemikalien erspart bleiben. Öko ist nicht erwiese- und stehen dazu, den Bergbau unter bewohntem Gebiet nermaßen gesünder, doch die geringere durchschnittli- stoppen zu wollen. Wir werden die anderen Parteienche Schad- und Zusatzstoffaufnahme legt es doch wohl nicht an ihren Ankündigungen auf Wahlplakaten mes- nahe. sen, sondern an ihrem Abstimmungsverhalten in diesem Öko ist teurer – oberflächlich betrachtet vielleicht Haus. ja –, doch was bitte schön ist mit den externen Kosten, die durch die konventionelle Landwirtschaft entstehen, doch den Endprodukten nicht angelastet werden? Wer Anlage 22 zahlt die aufwendige und teure Wasseraufbereitung, die Beseitigung von Umweltschäden, die Kosten des zusätz- Zu Protokoll gegebene Reden lichen Energie-Inputs? Der Endverbraucherpreis kon- zur Beratung: ventionell erzeugter Lebensmittel ist ein bereinigter Preis und somit nicht mit Ökolebensmitteln zu verglei- – Große Anfrage: Situation des ökologischen chen, die wesentlich an den externen Kosten beteiligt Landbaus in Deutschland sind. – Gesetzentwurf: Änderung des Gesetzes zur Ökologisches Wirtschaften bedeutet auch Problembe- Durchführung der Rechtsakte der Europäi- wusstsein. Wer den Schritt macht, den eigenen Betrieb schen Gemeinschaft auf dem Gebiet des öko- auf ökologische Wirtschaftsweise umzustellen, hat die logischen Landbaus (Öko-Landbaugesetz – Probleme erkannt und logische Handlungsfähigkeit be- ÖLG) wiesen. (Tagesordnungspunkt 20 a und b) Die anhaltend attraktiven Wachstumsraten des Öko- marktes von derzeit global 15 bis 20 Prozent pro Jahr im Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute über den Vergleich zu 4 bis 5 Prozent im Gesamtlebensmittel- ökologischen Landbau, seine Situation und seine Zu-markt beweisen ein enormes Marktpotenzial, das er- kunft. Wir reden über einen der kräftigsten Wachstums- schlossen werden muss. 10834 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Wir können nicht zulassen, dass Sie, meine Damen heit, weiterer Produktbereiche wie Wein und in der Kon- (C) und Herren von der Opposition, dieses erfolgreichetrolle beschleunigt werden. Marktsegment zerreden und ihm Schaden zufügen. Der ökologische Landbau ist nicht zu reduzieren auf Ich darf zitieren: den Verzicht von chemisch-synthetischen Pflanzen- Das Nitrofen-Problem im ökologischen Landbau schutzmitteln und leicht löslichen Mineraldüngern. Der zeigt auf, dass die imÖko-Landbaugesetz veran- ökologische Landbau ist ein Stück Agrarkultur, sie be- kerten Meldepflichten nicht ausreichend sind. ginnt im innovativen Gedanken des Landwirts und endet in der Küche des Verbrauchers. Bereits der erste Satz im Gesetzentwurf des Bundes- rates ist irreführend und Kanzlerkandidat Stoiber strickt Der Ökolandbau hat auch nicht die Aufgabe eines gleich einen Ökoskandal aus einer konventionellenStellvertreters für die Ökologisierung der Landwirt- Schlamperei. Hier wurden Opfer zu Tätern gemacht und schaft, sondern er ist vielmehr Vorreiter und Leitbild. nur die strengen Kontrollen der ökologischen Lebens- Insgesamt muss die Landwirtschaft ökologischer wer- mittelwirtschaft haben den Skandal aufgedeckt und so den und hier setzen Strategien, wie das nationale ermöglicht, die Waren aus dem Verkehr zu nehmen. Die Pflanzenschutzmittelreduktionsprogramm, die Novellie- Stunden waren zu zählen und schon posaunte die Oppo- rung der Düngeverordnung oder Cross Compliants, an. sition in Bund und Land im Chor gegen die Agrarwende und den Ökolandbau. Hans-Michael Goldmann (FDP): Die FDP-Bun- Nitrofen war auch ohne ihre Angriffe ein schwerer destagsfraktion und ich persönlich stehen jeder Form un- Rückschlag für den Ökolandbau. Ich höre noch die Her- ternehmerischer Landwirtschaft, die sich an einem fairen ren Ronsöhr, Carstensen und Lippold feixend die Agrar- und freien Markt orientiert, außerordentlich positiv ge- wende infrage stellen und die Ministerin zum Rücktritt genüber. Für uns sind Prinzipien des nachhaltigen Wirt- auffordern, lange bevor bekannt war, wo die Wirkstoffe schaftens, also des Zueinanderbringens von ökonomi- herkamen. Meine Herren, das war weder witzig nochschen, ökologischen und sozialen Anforderungen, konstruktiv! besonders wichtig. Zurück zum Gesetzentwurf des Bundesrates. Die in- Eine fundierte, eine begründete Verbraucherschutz-, haltliche Verknüpfung des Nitrofen-Skandals mit einer ernährungs- und agrarpolitische Position kann nie eine Änderung des Öko-Landbaugesetzes wäre falsch und zu- Schwarz-Weiß-Position sein. Deshalb ist die ideologisch dem wenig zielführend. Die vorgesehenen Änderungen geprägte, aus dem Hause Künast kommende Agrarpoli- hätten keinen Nitrofen-Skandal vermieden. Auch hatten tik ein so großes Unheil für unser Land. Sie schiebt ge- (B) wir zum damaligen Zeitpunkt eine unzureichende Ge- gen besseres Wissen bestimmte Produktionsformen in(D) meinschaftsrechtslage, die sich nun geändert hat undden Markt hinein, diskriminiert andere wertvolle agrari- jetzt eine ausreichende Basis für eine Novellierung des sche Produktion und drängt diese aus dem Markt. Das Gesetzes bietet. hat den Verlust von Investitionen und Arbeitsplätzen in Wir werden die Zusammenarbeit der Kontrollstellen einer erschreckenden Größenordnung zur Folge. mit den zuständigen Behörden verbessern, die Möglich- Gerade in der letzten Zeit hat Frau Ministerin Künast keiten eröffnen, Informationen im Verdachtsfall zu ver- wieder diese Schwarz-Weiß-Politik an vielen Stellen dichten, die Kontrollen weiter ausdehnen und die Buß- deutlich werden lassen. Da soll mit Verboten gearbeitet geldvorschriften anpassen. Diese Überarbeitung istwerden, da werden Lebensmittel in „gut“ und wichtig und ein weiterer, richtiger Schritt, den Ökoland- „schlecht“, „gesund“ und „ungesund“ eingestuft. Ohne bau national zu entwickeln. sachliche Grundlage werden die an den Pranger gestell- Die intensive Aufklärung und die Heranführung der ten Lebensmittel oder deren Hersteller mit Verboten und Verbraucher an die Landwirtschaft im Allgemeinen und Auflagen überzogen. an den Ökolandbau im Speziellen sind Maßnahmen, die Eine solche Politik kann nicht erfolgreich sein. Die ganz vorne stehen und die Nachfrage ankurbeln sollen. Wirtschaftsergebnisse der deutschen Agrarwirtschaft Hand in Hand gehen diese Informationsprogramme und der Ernährungswirtschaft zeigen: Eine solche Politik mit systembereinigenden Schritten im Bereich der Verar- ist auch nicht erfolgreich – ganz im Gegenteil, sie führt beitungs- und Absatzstrukturen, wie sie ebenfalls im Eu- dazu, dass immer mehr verantwortungsbewusste „grüne ropäischen Aktionsplan für ökologische Landwirtschaft Unternehmen“ unserem Land, ja und auch unseren Ver- wiederzufinden sind, der jüngst vorgelegt wurde.brauchern, den Rücken kehren. 21 konkrete Maßnahmen sind hier zu finden, die den Lassen Sie mich zu den Fakten kommen: Heute wer- ökologischen Landbau in Europa weiter entwickeln sol- den in Deutschland 4,3 Prozent der gesamten landwirt- len: Abbau der Hindernisse, wie der mutmaßlich hohe schaftlichen Fläche ökologisch bewirtschaftet. Damit Preis, unzureichende Kenntnisse über die Vorteile des wird deutlich, wie unrealistisch die Zielvorgabe von Mi- Bioanbaus und zudem unterschiedliche Normen, die den nisterin Künast von 20 Prozent Ökolandbau bis 2010 ist. Verbraucher verunsichern. Ökologisch wirtschaftende Landwirte haben in der Ver- Ferner müssen die Bereiche der Absatzentwicklung, gangenheit bewiesen, dass sie marktwirtschaftlich den- Markttransparenz durch Kennzeichnung und die Weiter- ken und handeln. In den vergangenen Jahren ist ihnen al- entwicklung der geltenden Standards in Sachen Sicher- lerdings die Einkommensbasis nach und nach entzogen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10835

(A) worden. Auch ökologisch wirtschaftende Betriebe müs- Es ist fast zwingend, in diesem Zusammenhang die(C) sen drastische Einkommenseinbußen hinnehmen. Eine Rede zu erwähnen, die Richard von Weizsäcker als Bun- entscheidende Ursache für diese Fehlentwicklung ist die despräsident am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag so genannte Agrarwende. Ministerin Künast hat damit gehalten hat. Besonders seine Feststellung, dass dieser nicht nur für die konventionellen, sondern auch für die Jahrestag in erster Linie und bei allem Leid ein Tag der ökologisch wirtschaftenden Bedingungen die Rahmen- Befreiung war, hat heute noch ihre Wahrhaftigkeit und bedingungen falsch gesetzt. Insbesondere folgendeBedeutung behalten. Diese Aussage war besonders im Punkte haben zu dieser negativen Entwicklung geführt: Ausland von enormer Wirkung. Von Weizsäcker gebührt dafür heute noch unser aller Dank. Erstens. Subventionen für den ökologischen Landbau haben zu einer Produktionsausweitung geführt, der keine Der ehemalige Bundespräsident hatte aber auch fest- ausreichende Nachfrage gegenübersteht. Aus Sicht der gestellt, dass der 8. Mai für uns Deutsche aus vielen FDP zeigt sich hier der Kardinalfehler der so genannten Gründen kein Tag der Freude ist – nicht nur wegen der Agrarwende: Auch der ökologische Landbau kann und zerstörten Städte und der Vertreibung, sondern schon sollte nicht vom Staat mit Steuergeldern gegen dendurch die Tatsache, dass sich dieses Datum nicht ohne Markt durchgepeitscht werden. den 30. Januar 1933 denken lässt. Dessen müssen wir uns bei allen Diskussionen bewusst sein. In keiner Hin- Zweitens. Zusätzlich hat sich das Biosiegel als einsicht dürfen wir die Erinnerung aus ihrem historischen „Herzstück der Agrarwende“ als eine enorme Belastung Zusammenhang reißen. für den ökologischen Landbau in Deutschland heraus- kristallisiert. Die FDP hat von Anfang an Ministerin Auch zehn Jahre später, in der Gedenkfeier am Künast davor gewarnt, die für deutsche Ökobauern tradi- 28. April 1995, wurde dieser „Tag der Befreiung“ in an- tionell strengen Anbaurichtlinien mit dem Biosiegel zu gemessener Weise begangen. Der damalige Bundesrats- unterlaufen. präsident Johannes Rau stellte für uns Deutsche fest, dass wir „gebrannte Kinder“ sind. Drittens. Zudem wurde unter Mitwirkung des Bun- desverbraucherministeriums in einer Studie festgestellt, Darum muss – so Rau – bei uns die Schwelle höher dass Lebensmittel aus ökologischem Anbau generell liegen als in jedem anderen Land. Darum haben wir nicht gesünder als konventionell hergestellte Nahrungs- eine besondere Verantwortung dafür, nie zu verges- mittel sind. Deshalb ist eine öffentliche Förderung des sen und nie zu verdrängen, was geschieht, wenn die ökologischen Landbaus allenfalls dort gerechtfertigt, wo Demokratie stirbt … dies eindeutige Vorteile für Umwelt und Tierschutz er- Diese Gedenkstunde hatte auch deswegen eine beson- bringt. dere Bedeutung, weil der damalige polnische Außenmi- (B) (D) Ministerin Künast hat in den vergangenen Jahren und nister Bartoszewski zu den Rednern gehörte, ein Mann, wird auch im Haushalt 2005 dramatische Einschnitte im der Auschwitz überlebt hat und auch unter dem kommu- Bereich der konventionellen Landwirtschaft vornehmen. nistischen Regime für Freiheit und Wahrheit eingetreten Gerechtfertigt und notwendig ist es, dass auch im Be- ist. Das war ein wichtiges Zeichen der Versöhnung an reich vieler Prestigeprojekte um den ökologischen Land- das wiedervereinigte Deutschland. bau gekürzt wird. Auch das gehört zu einer glaubwürdi- Doch Versöhnung ist nicht möglich ohne Erinnerung. gen Haushaltspolitik. Das Gedenken an das Kriegsende – und damit an den Krieg selber – ist für uns heute noch von zentraler Wich- tigkeit. Denn es zeigt uns immer wieder, dass unsere Anlage 23 heutige Demokratie etwas ist, das wir immer wieder ver- Zu Protokoll gegebene Reden teidigen müssen. Das Gedenken an die Opfer hilft uns, die richtigen Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Deswegen gilt es auch, angesichts des vor uns liegenden Berichts zu den Anträgen 60. Jahrestages, erneut die Erinnerung in angemessener Weise zu begehen und Chancen der Aufarbeitung zu nut- – Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahre zen. 2005 Jahrestage des Kriegsendes finden aber nicht nur in – Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs Gedenkfeiern des Bundestages oder des Bundesrates im Zweiten Weltkrieg statt. Sie werden auf verschiedensten Ebenen begangen (Tagesordnungspunkt 21) und durch die Forschung und die Gesellschaft flankiert. Das bedeutet auch, dass sich die Form des Gedenkens wandelt. Die weltpolitische Lage ändert sich, immer we- (SPD): Der 60. Jahrestag Angelika Krüger-Leißner niger Zeitzeugen leben noch, immer mehr Ergebnisse des Endes des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 2005 ist der historischen Forschung werden veröffentlicht, das ein bedeutendes Datum, das wir in angemessener Weise Kriegsende rückt immer mehr von der Erfahrung in die begehen müssen. Schon die Gedenkfeiern, die im Bun- Geschichte. Dieser Prozess ist nicht aufzuhalten. destag in der Vergangenheit anlässlich des 8. Mai gehal- ten wurden, zeigen, welche zentrale Bedeutung dieses Der Forschung kommt dabei eine zentrale und oft Datum für die deutsche Geschichte und für uns heutekontroverse Rolle zu. Diskussionen wie der Historiker- hat. streit, die Goldhagen-Debatte oder die Bewertung der 10836 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Wehrmachtsausstellung haben immer unser Gedenken rungen der deutschen Länder und die Bürgerinnen und(C) beeinflusst. Bürger – zu einem angemessenen Gedenken auffordern. Zurzeit ist es wieder so, dass politische und histori- Opfer unter der deutschen Zivilbevölkerung sind für sche Perspektiven unser Gedenken beeinflussen. Nennen uns dabei freilich mit eingeschlossen, denn auch sie ha- möchte ich hier nur zwei Dinge: erstens die in den letz- ben unter dem nationalsozialistischen Terror gelitten. Es ten Jahren – auch angesichts der EU-Osterweiterung – geht uns dabei nicht darum, Opfergruppen gleichzustel- wieder aufgeflammte Diskussion um die Bedeutung von len. Die Handlungsmöglichkeiten von Juden und ande- Flucht und Vertreibung, die – besonders was das euro- ren Verfolgten waren erheblich geringer als bei dem päische „Zentrum gegen Vertreibungen“ angeht – zu teil- deutschen Normalbürger. Das Gedenken muss vollstän- weise erheblichen internationalen Irritationen geführtdig sein, will es versuchen, dem Ausmaß des Grauens hat; zweitens die Reaktionen auf das Buch „Der Brand“, nahe zu kommen. das den Bombenkrieg der Alliierten gegen Deutschland Wir wollen die Chancen nutzen, die der 60. Jahrestag behandelt. In beiden Fällen handelt es sich um ge-bedeutet. Noch gibt es Zeitzeugen, die wir befragen kön- schichtliche Betrachtungen, in denen die Deutschen pri- nen – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. mär als Opfer vorkommen. Dies muss in diesem Zusammenhang geschehen, um Ge- Um es gleich vorwegzuschicken: Diese Tatsache be- schichte verständlich zu machen. deutet natürlich nicht, dass dies nicht möglich sein darf. Gerne wären wir diesen Weg interfraktionell gegan- Auch das gehört zur Erinnerung. Aber es darf nicht dazu gen. Auch wenn die Union versucht, dies anders darzu- kommen, dass wir so tun, als wäre diese Form des Ge- stellen: Versuche dazu hat es gegeben. Aber CDU und denkens völlig neu. In den ersten Nachkriegsjahren war CSU wollten nicht von der exponierten Stellung der es sogar das vorherrschende Gedenken. Erst in den letz- deutschen Opfer und der Konzeptionierung durch die ten Jahrzehnten sind die deutschen Opfer angesichts der Bundesregierung abrücken. Entsprechend vorgeschla- Auseinandersetzung mit dem Holocaust in den Hinter- gene Formulierungen wie: „Wer nicht die eigenen Toten grund gerückt. zu betrauern vermag, dem glaubt niemand die Trauer um die anderen“ führen in dieselbe Richtung wie andere An- Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass in der Öf- träge der Union. Denn Trauer um die Toten hat es immer fentlichkeit der Eindruck entsteht, wir würden diesegegeben und wird es weitergeben. Zu suggerieren, sie Teile der deutschen Geschichte isoliert betrachten kön- wären vergessen worden, ist schlichtweg falsch. nen. Flucht und Vertreibung sind ohne den nationalso- zialistischen Vernichtungskrieg ebenso wenig denkbar, Noch problematischer ist der Hang, das Wort wie Hamburg und Dresden es ohne Coventry und Rotter- „Deutschland“ durch „das Dritte Reich“ oder „die Natio- (B) (D) dam sind. Dies müssen wiruns bei allen Diskussionen nalsozialisten“ zu ersetzen. Das ist eine an Apologie vor Augen halten. grenzende Verwischung der deutschen Verantwortung. Auf diese Weise begrenzenSie das Unrecht auf einige Deswegen halten wir die Form, die die CDU/CSU, wenige Täter. Das ist historisch falsch. was das Gedenken angeht, in letzter Zeit vorschlägt, für falsch. Die FDP möchte ich dabei ausdrücklich ausnehmen. Wir haben Änderungsanträge der Freidemokraten über- Schon die Gedenkstättenkonzeption, die Sie fordern, nommen und konnten nur bei einem konkreten Vor- birgt die Gefahr in sich, Opfergruppen gegeneinander schlag zum Gedenken an die Bombenopfer nicht mitge- auszuspielen und dem Gedenken der deutschen Opfer ei- hen. Allerdings möchte ich betonen, dass dieser nen isolierten Raum zukommen zu lassen. Die Reaktio- Vorschlag eines internationalen Gedenkens durchaus nen waren entsprechend. Ich hoffe sehr, dass Sie insge- gute Ansätze hat, die bei der Ausgestaltung des Geden- samt von dieser neuen Geschichtsbetrachtung abrücken kens an den 60. Jahrestag in Teilen durchaus Eingang und mit uns wieder auf Grundlage der Gedenkstätten- finden können. konzeption des Bundes diskutieren. Es ist unser Ziel, den Zweiten Weltkrieg als zentralen Ebenso wenig ist es sinnvoll, dass wir Anträge zum Komplex des europäischen Geschichtsbewusstseins zu Gedenken an die Bombenopfer beschließen, die nicht im begreifen. Wir müssen die Chancen des zusammenwach- Zusammenhang mit den Ursachen des Krieges selbersenden Europas nutzen, unser Verständnis für den Krieg, stehen. So etwas muss ja nicht apologetisch gemeintseine Ursachen und seine Folgen erneut zu schärfen. Das sein. Die Gefahr, dass es so verstanden wird, bestehtVerständnis für die europäische Bedeutung und den eu- aber durchaus. ropäischen Kontext ist von besonderer Relevanz. Das gilt besonders dann, wenn dieses Gedenken eine In diesem Zusammenhang ist es eine große Geste, Monumentalisierung mit Mahnmalen und Ähnlichemdass der französische Staatspräsident den deutschen beinhaltet. So etwas ist immer problematisch und sugge- Bundeskanzler zu den Feiern zum 60. Jahrestag des riert, dass es um mehr gehen könnte als um das Geden- D-Day in die Normandie eingeladen hat. Das Verständ- ken an die Opfer. nis, das dem zugrunde liegt, bedeutet aus meiner Sicht, dass man uns zutraut, das Gedenken auch in Zukunft zu Daher möchten wir einen anderen Weg vorschlagen, erhalten. Die Feststellung des Bundeskanzlers, dass der wie wir ihn in unserem Antrag beschrieben haben. Wir D-Day ein Sieg für Deutschland war, bleibt auch ange- wollen alle Ebenen – die Bundesregierung, die Regie- sichts der deutschen Opfer richtig. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10837

(A) Deutschland hat eine wachsende Bedeutung auf inter- Weltkrieg wurden lange Zeit nicht wahrgenommen oder (C) nationaler Ebene. Wir sind zu einer anerkannten Demo- tabuisiert“ befassen. Dort heißt es, dass als passiv Betei- kratie geworden. Viele der Länder, die jetzt der EU bei- ligte – bei Kriegsende unter 18-jährig – heute noch getreten sind, haben unter dem nationalsozialistischen 7,9 Millionen Männer und 8,73 Millionen Frauen am Deutschland unendlich gelitten. Daher ist die Freund- Leben sind. schaft, die uns verbindet, eine, die wir besonders pflegen müssen. Ein angemessenes Gedenken an unsere Vergan- Nicht dass SPD und Grüne generell von der Erinne- genheit schafft hier Vertrauen nach außen und Wachsam- rungskultur und vom Leid der Opfer nichts wissen woll- keit bei uns selber, was die Bedeutung unserer Demokra- ten: Am gleichen Tag, dem 16. Juni 2004, da Sie den tie angeht. Deutschen selbst das kleinste Gedenken des Bundesta- ges an die Opfer des Bombenkrieges verweigerten, Unser Antrag berücksichtigt diese internationale Seite brachten Sie ein umfängliches Antragswerk ins Parla- ausdrücklich. Wir müssen diese Möglichkeit nutzen,ment ein, mit dem Titel „ Zum Gedenken an die Opfer dass Europa näher aneinanderrückt und immer nochdes Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwest- Menschen da sind, die sich an den Zweiten Weltkrieg er- afrika“. Damit wollten Sie – schrieben Sie den Mitglie- innern. Auf diese Weise tragen wir von politischer Seite dern des Hohen Hauses – „den Opfern (der Völker der dazu bei, dass sich Gedenken würdig und sinnvoll entwi- Herero und der Nama) ihre Würde und Ehre wiederge- ckelt. Das sollte unser aller Ziel sein. ben“. Begreifen Sie wirklich nicht, dass solche ethischen (CDU/CSU): Vor einem Jahr, Dr. Peter Gauweiler Postulate durch Ihre heutige Verweigerungshaltung am 5. Juni 2003, fand die erste Lesung unseres Antrages zwangsläufig ins Peinliche abgleiten? Wer die ganze „Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten Welt umarmen will, aber die eigenen Leute vergisst, der Weltkrieg“ statt. SPD und Grüne haben seitdem wenig handelt inhuman, selbst wenn er das Gegenteil behaup- unversucht gelassen, eine gemeinsame Entschließung tet. des Bundestages zu diesem ernsten und wichtigen Thema zu verhindern. In der Sitzung des Bundestagsaus- Waren wir uns nicht einig, dass Erinnerung nichts schusses für Kultur und Medien vom 16. Juni 2004 ha- auslassen darf und dass es eine halbe Erinnerung nicht ben wir die Stationen dieser unguten Verweigerung do- gibt? Wir dachten, es sei Gemeingut einer von der Wah- kumentiert. An SPD undGrüne: Diese Verweigerung rung der unveräußerlichen Menschenrechte bestimmten war einer vor unserem Volk verantwortbaren Erinne-Erinnerungskultur, dass auch gegen die Bevölkerung ei- rungskultur der Bundesrepublik Deutschland nicht ange- nes moralisch unterlegenen Unrechtsregimes nicht alles messen. (B) erlaubt ist, auch wenn diese Bevölkerung deutscher Na- (D) Selbst zu Ihrem eigenen Antrag, den Sie nach Mona- tion ist. ten des Hin und Her und dann des völligen Verstummens Vom Bombenkrieg waren 30 Millionen deutsche endlich zu Papier brachten, haben wir eine Einigung mit Stadtbewohner betroffen. Die daher rührenden Traumata folgenden Ergänzungen angeboten: sind bis heute akut. Dabei wurden 160 Städte und an die Das Land ist sich aber auch schuldig, der eigenen 1 000 Ortschaften bombardiert. Diese Bombardierun- Opfer zu gedenken. Sie müssen Bestandteil der ge- gen, die nach heutiger Rechtslage und auch nach dem meinsamen Erinnerung sein. Wer nicht die eigenen Vorkriegsverständnis der zivilisierten Welt ein schweres Toten zu betrauern vermag, dem glaubt niemand die Kriegsverbrechen waren, führten zum Verlust des histo- Trauer um die anderen. Der Deutsche Bundestag rischen Antlitzes der deutschen Stadt. Die Zerstörung wird sich zu diesem Gedenken am 13. Februar 2005 der deutschen Innenstädte betrug in der Regel zwischen in der Dresdner Frauenkirche versammeln. 50 und 90 Prozent. Dabei wurden über eine halbe Million Zivilpersonen getötet – verbrannt, erstickt, zer- Obwohl der Vorschlag eines Gedenkens des Bundes- stückelt – über 70 000 Kinder, übrigens auch über tages am 13. Februar 2005 in Dresden aus Ihrer Mitte 40 000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. kam, haben Sie auch den diesbezüglichen Teil des An- trages gleich wieder abgelehnt. Selbst das ging Ihnen zu Unser Volk befasst sich zu Recht mit der deutschen weit. Hier taucht wieder die Weltanschauung der natio- Verantwortung um die Furcht und das Elend, welches nalen Selbstverachtung auf, wie wir sie von den 68ern vom Dritten Reich ausging. Jeder Deutsche ist darüber zur Genüge kannten und von der wir annahmen, Sie hät- in einem Teil seines Herzens traurig bis er stirbt. Aber ten sich davon befreit. Diese Sicht der Dinge ist so arm- wir verbitten uns in aller Form, die Erwähnung der grau- selig. Wir sind über die Gefühllosigkeit von Rot undsamen Vorgänge des Bombenkrieges auch der Alliierten Grün hinsichtlich der Opfer des Bombenkrieges fas-und der Opfer dieser Kriege in einen zwanghaften Zu- sungslos. Die Verweigerung eines angemessenen Geden- sammenhang mit einer revisionistischen Geschichtsauf- kens durch die Mehrheit des Deutschen Bundestages ist fassung zu bringen. unerhört. Frau Kollegin , der ich heute für ihr Vielleicht sollten Sie sich mit einer dieser Tage publi- erinnerungskulturelles Engagement für die Millionen zierten Veröffentlichung des Deutschen ÄrzteblattesOpfer von Flucht und Vertreibung danke, hat mich dieser (2. Juli 2004) unter dem Titel „Kriegskinder im Alter – Tage auf einen Text von Carl Zuckmayer aufmerksam Die psychosozialen Folgen einer Kindheit im Zweiten gemacht: 10838 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Deutschland ist schuldig geworden vor der Welt. land und in der Welt vom verbrecherischsten Regime der (C) Wir aber, die wir es nicht verhindern konnten, ge- Menschheitsgeschichte. hören in diesem Weltprozess nicht unter seine Rich- Der 8. Mai ist für mich ein Tag der Erinnerung und ter. Zu seinen Anwälten wird man uns nicht zulas- der Trauer: der Erinnerung an und der Trauer um unsäg- sen. So ist denn unser Platz auf der Zeugenbank, liches Leid, die Ermordung der europäischen Juden, das auf der wir Seite an Seite mit unseren Toten sitzen, Leid der Menschen in den besetzten oder ausgebombten und bei aller Unversöhnlichkeit gegen die Peiniger europäischen Städten, die insgesamt 50 Millionen Toten. und Henker werden wir Wort und Stimme immer für das deutsche Volk erheben. Der 8. Mai ist für mich ein Tag des Rückblicks: eines Rückblicks auf die deutsche Nachkriegsgeschichte, die Zugelassene, berufene und vor allem gewählte An- lange – viel zu lange – die Zeit von 1933 bis 1945 ver- wälte des deutschen Volkes sind heute wir, die Mitglie- drängte. Der Antrag ist deshalb auch ein Signal gegen der des Deutschen Bundestages. Unser politisches Man- das Verdrängen und Vergessen. dat gilt niemand anderem als diesem einen deutschen Vo l k. Der 8. Mai ist für mich auch ein Tag des Ausblicks. Der 8. Mai 1945 ist nicht vom 1. Mai 2004 zu trennen. Mit einem anderen „deutsch geborenen Geist“ Das eine Datum gäbe es nicht ohne das andere. Der – Thomas Mann in seiner Selbstbeschreibung in 1. Mai 2004 – der Beitritt von zehn Staaten zur EU – sig- „Deutschland und die Deutschen“ – halten wir fest, nalisiert: Die Teilung Europas, die aus der Konsequenz dass es nicht zwei Deutschland gibt, ein böses und des Zweiten Weltkrieges entstanden ist, wurde überwun- ein gutes, sondern nur eines, dem sein Bestes durch den. Der Eiserne Vorhang wurde endgültig abgehängt Teufelslist zum Bösen ausschlug. und er ist in der Rumpelkammer der Geschichte ver- schwunden. Darum ist es für einen deutsch geborenenen Geist auch so unmöglich, das böse, das schuldbeladene Von Beginn an waren SPD und Bündnis 90/Die Grü- Deutschland ganz zu verleugnen und zu erklären: nen bereit, einen gemeinsamen Antrag mit der Oppo- Ich bin das gute, das edle, das gerechte Deutschland sition zu formulieren. Änderungsvorschläge von der im weißen Kleid, das böse überlasse ich euch zur FDP sind dabei in der Diskussion im Ausschuss in den Ausrottung. Nichts von dem, was ich Ihnen über Antrag eingegangen. Die Union hingegen beharrte fast Deutschland zu sagen oder flüchtig anzudeuten ver- ausschließlich auf einem herausgehobenen Gedenken an suchte, kam aus fremdem, kühlem, unbeteiligtem die deutschen Opfer im Bombenkrieg und bei Flucht und Wissen; ich habe es auch in mir, ich habe es alles an Vertreibung. Sie betreibt damit den Versuch eines Para- digmenwechsels im Umgang mit der deutschen Ge- (B) eigenem Leibe erfahren. (D) schichte. Diese Geschichtspolitik ist mit SPD und Bünd- Unser heutiges weißes Kleid, das wir mit so viel Stolz nis 90/Die Grünen nicht machbar – nicht an dieser Stelle in aller Welt herumzeigen, rechtfertigt nicht, den Toten und auch an keiner anderen. die Erinnerung und damit die Ehre zu nehmen. Hören Sie endlich auf, ständig Ethik und Heuchelei zu ver- In dem ebenfalls vorliegenden Antrag fordert die wechseln! Union die Bundesregierung auf, ein Konzept vorzule- gen, wie der Opfer des Bombenkriegs angemessen ge- dacht werden soll. Ich bin erstaunt über den Antrag. Oft Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Heute ist ein Abend gegen das Vergessen. Denn beruft sich gerade die Union auf die Kulturhoheit der Vergessen tötet. Heute ist ein Abend gegen das Verdrän- Länder. Gerade in diesem Fall existiert in den Ländern, gen. Denn was wir verdrängen, kommt zurück. in den Städten ein großer Reichtum an Erinnerungskul- tur. Vor Ort erinnern sich die Bürgerinnen und Bürger an Der 8. Mai 2005 ist der 60. Jahrestag des Kriegsendes die Opfer in der Zivilbevölkerung, an die Zerstörung his- in Deutschland, des Endpunktes des Zweiten Weltkrie- torischer Altstädte. Dafür braucht es wahrlich kein büro- ges hier in Europa. Der vorliegende Antrag dient derkratisches Regierungskonzept. Vorbereitung auf den bevorstehenden Gedenktag. Dieser kann und soll Anlass sein, insbesondere in der jüngeren Die Damen und Herren von der Union wollen doch Generation das Bewusstsein über die Ursachen, die Ge- eigentlich auch etwas ganz anderes. Unter dem Oberbe- schichte und die Folgen des Zweiten Weltkrieges wach griff des Opfergedenkens wollen sie alle zu Opfern und zu halten, so wie es der scheidende BundespräsidentLeidtragenden erklären, die historische Verantwortung Johannes Rau in seiner heutigen Rede angemahnt hat. Deutschlands entsorgen, Geschichte einseitig verkürzen und aufhören zu differenzieren. Natürlich macht eine Wenn ich allerdings die öffentlichen Debatten in den historische Differenzierung auf der Ebene der Leidens- letzten Wochen und Monaten– beispielsweise zum Ge- geschichte des Einzelnen keinen Sinn – auf der Ebene denkstättenkonzept der Union oder zu – der historischen Gesellschaftsverbrechen aber schon. Revue passieren lasse, dann muss ich sagen: Auch ein Teil der älteren Generationen hat eine solche Auseinan- Deutlich zeigt der Antrag der Union diesen Mangel dersetzung mit dem 8. Mai – trotz der Weizsäcker-Rede an Differenzierung von Ursache und Wirkung, indem er ohne Verweis auf die Kriegsverbrechen des Nationalso- von 1985 – immer noch oder schon wieder nötig. zialismus, auf den Vernichtungskrieg im Osten oder auf Der 8. Mai ist für mich zuallererst ein Tag der Befrei- die vorangegangenen Bombardierungen polnischer, hol- ung: ein Tag der Befreiung der Menschen in Deutsch- ländischer oder englischer Städte auskommt. Wer Ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10839

(A) schichte nicht mehr einbettet, wer Geschichte nicht mehr Besonders deutlich zum Ausdruck kam diese Haltung (C) differenziert betrachtet, wer stattdessen einseitig ver-erst kürzlich wieder in einer Stellungnahme der Leiter kürzt, der muss sich vorwerfen lassen, dass er historische der KZ-Gedenkstätten. Hierin wird der Wunsch nach ei- Verantwortung nur noch entsorgen will. nem Gedenken an die zivilen Bombenopfer als „Wieder- belebung des deutschen Opfermythos“ bezeichnet, der Auf den Weg ins Plenum komme ich, kommen sie, an „überwunden geglaubte (west-)deutsche Schuldent- kommen wir alle an den Graffiti der russischen Soldaten lastungsmechanismen“ anknüpfe. Die Reduktion der Er- vorbei, die diese vor 59 Jahren als Botschaft des Überle- innerung auf ein würdiges Gedenken aller Opfer bereite bens, des Sieges und der Freude hinterlassen haben.„revisionistischen Geschichtsbildern“ den Weg. Heute, aus Anlass dieser Debatte, habe ich mir die Graffiti erneut bewusst angeschaut, die Augen geschlos- In aller Deutlichkeit: Ich halte dies für ideologisch sen und mir vorgestellt, wie es hier vor 59 Jahren ausge- verbrämte Gefühlskälte, zudem zynisch und selbstge- sehen haben mag. Ich war und ich bin berührt über diese recht. Ich frage mich: Wie würden sich diese Männer ei- Vorstellung und vor allem darüber, was heute aus diesem gentlich verhalten, wenn ihre eigenen Frauen oder Kin- Ort geworden ist: ein transparentes Signal für unsere De- der im Bombenhagel verbrannt wären? Wollen wir mokratie, ein Ort des streitbaren Diskurses und von de- wirklich Opfer nach ihrer Nationalität sortieren? Wollen mokratischen Entscheidungen. Darüber bin ich, sind Sie, wir wirklich jedem Opfer, auch Kleinkindern und Babys, sind wir sicher bei allen Differenzen gemeinsam froh. vorhalten, sie seien schuld an Hitler, wofür der Tod die Die Graffiti bleiben gleichzeitig eine Mahnung, aus der gerechte Strafe sei? Geschichte zu lernen und Verantwortung für die Vergan- genheit anzuerkennen, um damit die Zukunft zu gestal- Unsere liberale Antwort ist eine andere: Lassen Sie ten. uns gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn und früheren Kriegsgegnern aller zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges gedenken. Das könnte zum Beispiel in Form Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Es ist Teil von europäischen Gedenkveranstaltungen in der Frauen- der deutschen Befindlichkeit, dass der Bundestag nicht kirche in Dresden und anderen Stätten der Zerstörung die Kraft oder zumindest die Zeit hat, die parlamentari- wie zum Beispiel in Coventry, Rotterdam und Warschau sche Debatte und Entscheidung über Inhalt und Form ei- geschehen. nes würdigen Gedenkens zum 60. Jahrestag des Kriegs- endes bzw. der Opfer des Bombenkrieges anders als auf Kein Demokrat leugnet die Schuld Deutschlands am eine halbe Stunde am späten Abend zu terminieren, so- Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und am unermessli- dass alle Redner veranlasst sind, ihre Reden zu Protokoll chen Leid Millionen Unschuldiger. Dies enthebt uns zu geben. Ich bin sicher, in jedem anderen Parlamentaber keineswegs unserer politischen und menschlichen (B) (D) würde dieser Thematik ein würdigerer Rahmen verlie- Verantwortung, aller Opfer dieses Weltkrieges gleich hen. welcher Nationalität in würdiger Form zu gedenken. Diesen demokratischen Grundkonsens müssen wir 60 Ich möchte also auf diesem Wege die Voten der FDP- Jahre nach dem Kriegsende in Deutschland endlich her- Fraktion zu den beiden Anträgen und unserem Ände-stellen. rungsantrag begründen: Ich erinnere Sie an Günter Grass, der es sich selbst als Der Unionsantrag hat sich durch Zeitablauf bedauerli- „bodenloses Versäumnis“ vorgeworfen hat, zu den Qua- cherweise erledigt. Aber auch wegen der Exklusivität len der Zivilbevölkerung zu lange geschwiegen zu ha- des Gedenkens an deutsche Bombenopfer kann die FDP- ben, aber auch an das Eingeständnis von Antje Vollmer, Fraktion diesem Antrag nicht die Zustimmung erteilen, es sei „kein Ruhmesblatt“ gewesen, wie sie und ihres- sondern enthält sich der Stimme. gleichen sich bei der Aufarbeitung historischer Wahrhei- Der Antrag von Rot-Grün („Der 60. Jahrestag desten geirrt haben. Kriegsendes im Jahre 2005“) ist nach den von der FDP- Es wäre beschämend, ein Armutszeugnis für dieses Fraktion initiierten Änderungen bei der Ausschussbera- Haus, wenn wir über Inhalt und Form eines angemesse- tung akzeptabel in dem, was er enthält. Er wird aber in- nen Gedenkens an den 60. Jahrestag des Kriegsendes akzeptabel in dem, was er auslässt. keine Übereinstimmung herstellen könnten. Bereits bei den Beratungen im Ausschuss hatte die FDP-Fraktion einen Ergänzungsantrag gestellt, wonach Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Der Regierungs- auch der Millionen von Opfern insbesondere unter der antrag mit dem Titel: „Der 60. Jahrestag des Kriegsendes Zivilbevölkerung in Form von gemeinsamen Gedenk- im Jahr 2005“ sollte eigentlich am 8. Mai dieses Jahres, veranstaltungen mit unseren europäischen Nachbarn ge- am Tag der Befreiung, behandelt werden, doch leider dacht werden solle. Diesen Ergänzungsantrag, den wir wurde er von den Fraktionen von der Tagesordnung ge- heute erneut zur Abstimmung stellen, haben SPD und nommen, was auch eine politische Aussage ist. Grüne abgelehnt – schlimmer noch: Sie sind hierfür jede nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben. Es ist Ich freue mich trotzdem, dass die Regierungsfraktio- ganz offenbar die von deutschen Intellektuellen 68ernen einen Antrag zur Vorbereitung des 60. Jahrestages Provenienz hochgehaltene These, deutsche Opfer seien der Befreiung Deutschlands vom Hitlerfaschismus in selbst schuld, schließlich hätten sie Hitler an die Macht den Bundestag eingebracht haben. Ihr Antrag hebt sich gebracht. erfreulich vom Antrag der CDU ab. 10840 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Der CDU-Antrag ist überschrieben: „Gedenken anAnlage 24 (C) die Opfer des Bombenkrieges im Zweiten Weltkrieg“. Allerdings finde ich es schon verwunderlich, dass die Zu Protokoll gegebene Reden CDU ein Konzept der Bundesregierung zur Erforschung zur Beratung des Antrags: Für eine schnelle des Bombenkrieges erwartet und sich dabei nur auf die Überwindung der politischen, wirtschaftlichen Zerstörung deutscher Städte bezieht. Warum wollen Sie und sozialen Krise in Venezuela (Tagesord- nicht auch das Schicksal der Menschen erforschen, die nungspunkt 23) durch deutsche Bomber in den Städten der Sowjetunion, Polens und Großbritanniens Opfer geworden sind? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Es ist gut, Die CDU hat bereits in anderen Anträgen bewiesen, dass sich der Deutsche Bundestag heute erneut mit der dass sie die deutsche Geschichte neu schreiben möchte. Situation in Venezuela befasst. Ich habe es an dieser Die CDU-Anträge zeigen auch an der CDU-Basis Wir- Stelle in den zurückliegenden Venezuela-Debatten im- kungen. Ein Beispiel: Der Chef der CDU-Fraktion im mer wieder gesagt: Wenn es etwas gibt, was auf Chavez Kreistag von Spree-Neiße, Herr Egon Wochatz, besuchte überhaupt noch Eindruck macht, so ist das internationa- am D-Day die alten Kameraden der SS-Divisionler Druck und internationale Aufmerksamkeit. In diesem „Frundsberg“, die in der Normandie gegen die Alliierten Sinne danke ich Ihnen allen, dass wir trotz der späten gekämpft hatten. Stunde diese Debatte heute auch tatsächlich führen und damit zum Ausdruck bringen, dass wir als Deutscher Meine Damen und Herren von der CDU, ich weiß, Bundestag ein wachsames Auge auf die Entwicklung in dass Sie versuchen, den rechten Rand der Gesellschaft in Venezuela haben. das demokratische Spektrum einzubinden – aber bitte doch nicht dadurch, dass Sie diesen Menschen nach dem Ich teile Ihre Freude und Erleichterung darüber, dass Munde reden! Sie müssen hier offensichtlich noch viel das Reparo störungsfrei ablief und sein Ergebnis von al- Bildungsarbeit leisten. Bei Leuten wie Wochatz hilftlen Seiten anerkannt wurde. Ich halte es für eine große wohl auch die beste Bildungsarbeit nichts, von diesen Chance für Venezuela, die inzwischen seit Jahren anhal- Leuten muss sich die CDU einfach trennen. tende tief greifende Spaltung des Landes zu überwinden und den Konflikt mit demokratischen Verfahrensweisen In diesem Zusammenhang ist die Feststellung im An- zu lösen. Es ist gut, dass sich die Oberste Wahlbehörde trag von SPD und Grünen besonders wichtig, dass den fortgesetzten Einflussversuchen des „officialismo“ im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Ende widersetzt und ihre Unabhängigkeit verteidigt hat. Das des Zweiten Weltkrieges … dabei die Tatsache ste- Referendum gibt dem venezolanischen Volk die Chance, (B) hen (muss), dass der von Deutschland begonnene selbst darüber zu entscheiden, auf welchem Weg sein(D) Eroberungs- und Vernichtungskrieg in der national- Land in die Zukunft gehen soll. Schon der Erfolg des sozialistischen Diktatur begründet war und die Be- Reparo ist deshalb ein echter Sieg für die Demokratie in freiung von dieser Diktatur erst durch die deutsche Venzuela. Kriegsniederlage möglich wurde. Der Nationalsozi- Ich will aber auch klar sagen: Ohne die strenge Auf- alismus war damit auch Voraussetzung für die euro- sicht von OAS und Carter-Zentrum, ohne die allzeit ge- päische und deutsche Teilung nach 1945 …“ wahrte internationale Öffentlichkeit hätte die Chavez- Ich stimme auch mit der Feststellung überein, dass es Regierung sich dem Willen der Bevölkerung sicher nicht nicht zugelassen werden darf, dass Ursachen und Wir- so leicht unterworfen. Ohnehin ist unter demokratischen kungen vertauscht und Gesichtspunkten schon wieder recht fragwürdig, mit welcher Propaganda und mit welchen Methoden das Re- die ganz unterschiedlichen Gründe, aus denen Men- gime das Referendum vorbereitet. Die internationale schen zu Opfern wurden, … verwischt werden. Wahlbeobachtung wird von der Regierung diskreditiert. Eine Tendenz, die sich leider auch in dem Antrag der Die oberste Wahlbehörde hat den Beobachtern untersagt, Regierungsfraktionen findet, ist, die brutalste und men- sich zum Ablauf des Referendums zu äußern. Gleichzei- schenverachtendste Diktatur in der Geschichte dertig mobilisiert Chavez alle staatlichen Institutionen und Menschheit immer wieder mit der DDR ins Verhältnis zu Organisationen und spannt sie ein für seine Kampagne. setzen. Die Medien im Land müssen weiterhin per Zwangs- schaltung Wahlwerbung für Chavez verbreiten. Opposi- Die Aufgabe aller demokratischen Kräfte ist es, den tionspolitiker werden weiterhin juristisch verfolgt, mit 60. Jahrestag der Befreiung so vorzubereiten, dass da- Beleidigungen und Polemik überzogen. Auch der Streit raus ein besseres historisches Verständnis und vor allem um den Zeitpunkt des Referendums lässt befürchten, mehr Zivilcourage erwächst. dass Chavez wohl noch weitere Winkelzüge aus der Trickkiste ziehen wird, um das Referendum bei Bedarf Abschließend will ich darauf verweisen, dass diezu torpedieren. Ich hätte mir gewünscht, dass Ihr Antrag PDS-Fraktion im Bundestag in der letzten Legislaturpe- nicht einfach über gerade diesen Punkt hinweggeht, der riode einen Gesetzentwurf mit dem Ziel eingebracht hat, ja immerhin geeignet ist, das Referendum insgesamt ins den 8. Mai zum Tag des Gedenkens an die BefreiungLeere laufen zu lassen. vom Nationalsozialismus zu erklären. Der Antrag wurde damals abgelehnt. Wir werden uns damit nicht abfinden All das zeigt, dass die Einhaltung der demokratischen und immer wieder diesen Gedenktag einfordern. Spielregeln in Venezuela keineswegs eine Selbstver- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10841

(A) ständlichkeit ist und dass die größten Hürden auf dem mokratische Wahl kein alles legitimierender Deckmantel (C) Weg zu einer neuen politischen Normalität und zu einem für das Verhalten danach ist. neuen „consenso pais“, wie ihn die demokratische Op- position anstrebt, noch bevorstehen. Nicht der Reformeifer der Regierung Chavez, son- dern die unverhohlene und offene Propagierung und Ich werde zum Zeitpunkt des Referendums in Vene- Durchsetzung der „Bolivianischen Revolution“ im Sinne zuela sein und die Lage beobachten. Ich bin froh darü- eines Systemwechsels durch Präsident Chavez sorgte für ber, dass die Europäische Union eine eigene Wahlbeob- die Verschärfung der innenpolitischen Spannungen. achtermission erwägt und diese derzeit auch mit derAuch hinsichtlich der Opposition gehen Sie zu undiffe- Unterstützung der Bundesregierung vorbereitet. Die in- renziert zu Werke. Sie reden pauschal von „der Opposi- ternationale Beobachtung wird einmal mehr der Schlüs- tion“, wo Sie doch genau wissen, dass es die demokrati- selfaktor für den geordneten Ablauf des Referendums sche Opposition gibt – die große Mehrheit – und eine sein. zum Teil gewaltbereite Opposition – die große Minder- heit –, die zum Beispiel den Putsch vom 11. April 2002 initiierte. Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Wir werden dem heute zu behandelnden Antrag der Regierungskoali- Der „dickste Hund“ allerdings ist, dass Sie doch allen tion nicht zustimmen, und zwar aus folgenden Gründen: Ernstes der „Revolutionsmär“ aufsitzen, der Putsch sei Der einleitende Text des Antrages führt zwar einige rich- dadurch beendet worden, dass Hunderttausende von tige Tatsachen auf, ist aber insgesamt zu undifferenziert, Menschen Regierungssitz und Parlament, die Kasernen zu einseitig zulasten der Opposition, was die Verant-und wichtigsten Sendeanstalten umstellt und so die Wie- wortlichkeit für die Polarisierung im Lande angeht, und dereinsetzung des verhafteten Chavez erzwungen hätten. geradezu verharmlosend, was die Verantwortlichkeit von Das ist wirklich schon geradezu naiv. Entscheidend war Hugo Chavez für die schleichende Abschaffung der De- doch vielmehr die Haltung der Streitkräfte, die Waffen mokratie und der Menschenrechte belangt. Der prinzipi- zur Verfügung hatten und die unter Führung von General ell richtige Forderungskatalog vermag diesen Antrag lei- Baduell die Rückkehr von Chavez verhandelten, wobei der nicht zu retten. die Militärs, die sich offen zum Ungehorsam bekannten, als Chavez den „Plan Avila“ – einen Notstandsplan, der Im Punkt 1 Ihrer Begründung haben Sie versäumt, auf gewaltsames Vorgehen gegen friedliche Demonstratio- die besondere Verantwortung von Präsident Chaveznen vorsah – aktivieren wollte, den Gehorsam verwei- selbst für die Verschärfung sowohl von Ton als auch von gerten. Das Oberste Gericht – in einer Zusammenset- Inhalt der Auseinandersetzung hinzuweisen. Chavezzung bestimmt nach der „Constituyente“ von der selbst hat in einer Regierungserklärung vor dem Parla- (B) eindeutigen Chavezmehrheit – hat im August 2002 er-(D) ment ausgeführt, dass es ihm gerade um den System-kannt, dass seinerzeit ein „vacio del poder“, ein Macht- wandel bei Wirtschaft und Justiz geht. vakuum, bestand und deshalb gegen die Generäle nicht vorgegangen werden dürfe. Zu Recht führen Sie aus, dass die strukturellen Ursa- chen der politischen Krise in den Legitimitätseinbußen Sie hätten sich als deutsche sozialdemokratische Par- der traditionellen Parteien begründet liegen. Hier sollte lamentarier auch einmal anschauen sollen, was für Ge- man durchaus erwähnen, dass dies AD, COPEI undsetze es waren, die von der demokratischen Opposition, MAS sind. wie von Ihnen vorwurfsvoll erwähnt, blockiert wurden. Es waren dies ausnahmslos Gesetze, die eine eindeutige Geradezu beiläufig erwähnen Sie in Ihrem Antrag den Veränderung des Rechtsstaates sowie der Parlamentsge- Putsch des Hugo Chavez, der, daran sei erinnert, über schäftsordnung bedeutet hätten, wobei „klassische“ Mit- 100 Menschen das Leben kostete. Auch im weiterenwirkungsrechte des Parlaments und vor allem der zu Verlauf wird Chavez einseitig beleuchtet. Sie lassen es jeder Demokratie gehörende „Minderheitenschutz“ in- einfach unerwähnt, dass der Verfassungsentwurf, den er frage gestellt wurden. Gerade im Hinblick auf das vom präsentierte, nicht nur das von Ihnen erwähnte „Feigen- Deutschen Bundestag betriebene Programm „Parlamen- blatt“ der Stärkung von Beteiligungs- und Schutzrechten tarier helfen Parlamentariern“ wäre es gut, wenn Sie sich für die indigenen Bevölkerungsgruppen enthielt, son-über diese Versuche der fundamentalen Beschneidung dern insbesondere auch einschneidende Änderungen be- von Parlamentarierrechten einmal klar würden und diese sonders zu Fragen des Militärs, als da wären: Der Präsi- auch verurteilten. dent ist alleiniger Oberbefehlshaber der Streitkräfte, dem Militär obliegt die Verantwortung für die integrale Ent- Immerhin sind Sie bereit, zuzugeben, dass „auch“ wicklung des Landes, Ausschluss des Parlaments in Fra- – „gerade“ wäre die richtige Formulierung – Präsident gen der Beförderungen ab Oberst, Verminderung parla- Chavez die Polarisierung vorantreibt; gleichwohl greifen mentarischer Möglichkeiten durch Einführung einesIhre Bewertungen ein ums andere Mal zu kurz. Chavez’ Einkammersystems, der „Rat der Bundesstaaten“ ist al- Diskurs richtet sich nicht gegen den „konservativen“ lein abhängig vorn Präsidenten. Es ist nur eine Kleinig- Teil des katholischen Klerus, sondern gegen die ge- keit, aber sie passt ins Bild: Auch die geringe Wahlbetei- wählte Bischofskonferenz, gegen katholische gesell- ligung, die die von Ihnen erwähnten 60 Prozent bei der schaftliche Gruppen, Medien und Vereine. Grund hierfür Chavez-Wahl im Juli 2000 ermöglichte, verschweigen ist, dass die katholische Kirche wegen ihrer Unabhän- Sie. Im Übrigen: Gerade als deutsche Parlamentariergigkeit den Wunsch von Chavez Anfang 1999 zurückge- sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen, dass eine de- wiesen hatte, mit vier Ministern in sein Kabinett und mit 10842 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Delegierten in die „Constituyente“ einzutreten. In ein- eint uns die Sorge um einen möglichen nicht demokrati- (C) stimmigen Beschlüssen, also auch der Teile der Bi-schen oder gar gewaltsamen Verlauf des Konflikts. Uns schofskonferenz, die Sympathie für Chavez haben, hat allen ist klar, dass ein solcher nicht nur die gesamte Re- die Bischofskonferenz zudem den ständigen Versuch zu- gion weiter erschüttern, sondern auch die regionalen In- rückgewiesen, Gott und Christus für die Revolution zu tegrationsprozesse um Jahre zurückwerfen würde. vereinnahmen. Der Ton des Präsidenten ist der Bischofs- konferenz gegenüber nicht angebracht. Über den Vorsit- Insofern ist allein schon die Tatsache, dass nun zenden Bischof Porras sagte er: „Unter seiner Soutane schließlich am 15. August eine Volksbefragung über den guckt der Teufelsfuß hervor.“ oder Porras wird in SS- Verbleib von Präsident Chavez im Amt stattfinden wird, Uniform und mit übergroßem Hakenkreuz statt Bi-eine erfreuliche Nachricht. Vorausgegangen war ein mo- schofskreuz vor der Brust und dem Titel „Lügner Por- natelanges Gezerre um die personelle Besetzung der ras“ dargestellt. Schließlich muß man deutlich sagen,obersten Wahlbehörde, die Durchführung der für das Re- dass die Feststellung, dassdas Referendum stattfinden ferendum nötigen Unterschriftensammlung und deren wird, nur unter offenem Druck von Ex-Präsident Carter Anerkennung. und OAS-Generalsekretär Gaviria getroffen wurde, die Carter-Zentrum und OAS vorliegenden tatsächlichen Er- Wie auch immer dieses Referendum ausgehen mag: gebnisse zu veröffentlichen, wenn der Wahlrat Manipu- An seiner gewaltfreien und verfassungskonformen lationen oder Verzögerungen vornimmt. Durchführung und späteren Umsetzung des Ergebnisses wird sich die demokratische Zukunft Venezuelas ent- Chavez’ Wahlkampfmaschinerie beginnt jetzt zu lau- scheiden. Diese kann – im optimistischen Fall – die fen: Jüngste Entwicklungen wie die unbegründete, poli- Grundlage für eine Rekonsolidierung des Staates bilden tisch motivierte Inhaftierung des Bürgermeisters Hen- und ein erster Schritt in Richtung einer dauerhaften de- rique Capriles, die paranoide Aufbauschung einesmokratischen Konsensfindung zwischen den beteiligten vermeintlichen Kampfes Chavez gegen Bush, die tägli- Konfliktparteien sein. Es gibt allerdings einige Anzei- chen Zwangsschaltungen des Fernsehens, die massive chen, die darauf hindeuten, dass das politische Klima Kampagne zur Ausstellung von Personalausweisennoch heißer zu werden droht, je näher der 15. August – Voraussetzung für die Teilnahme am Referendum – für rückt. die Nutznießer von Chavez’ Sozialprogrammen, die ju- ristische Verfolgung von Oppositionsführern, die Positi- Die rot-grüne Regierungskoalition hat daher ange- onierung gegen OAS und Carter-Zentrum und Verschär- sichts der Bedeutung des Referendums für eine demo- fung der Regeln für Wahlbeobachter, Verhaftungen im kratische Zukunft Venezuelas einen Antrag, Drucksache Fall der angeblichen kolumbianischen Paramilitärs ge- 15/3453, vorgelegt, für den ich um Ihre Zustimmung (B) ben Anlass zu großer Sorge. Die geplante Verwendung bitte. Ich halte diesen für ausgewogener und weitbli-(D) von Wahlmaschinen einer Firma, die zum Teil in vene- ckender als den von der CDU/CSU-Fraktion vorgeleg- zolanischem Besitz ist, eröffnet die Möglichkeit der Ma- ten, Drucksache 15/3438. nipulation und zeitlichen Verzögerung. So zeigen sich Mit unserem Antrag wollen wir allen Venezolanern auch Human Rights Watch und andere internationalesignalisieren, dass der Deutsche Bundestag die Entwick- Menschenrechtsorganisationen alarmiert über den ra-lungen in ihrem Land sehr aufmerksam und mit großer schen Verfall des Rechtsstaates. Sorge verfolgt. Allen beteiligten Parteien wird durch Ihren Forderungskatalog halte ich für richtig, insbe- diese Initiative unmissverständlich klar gemacht, dass sondere die Entsendung von geschulten Wahlbeobach- wir einzig in einer gewaltfreien Lösung der Krise einen tern, die den ordnungsgemäßen Ablauf des Referendums gangbaren und akzeptablen Weg für die Zukunft des bestätigen können. Andernfalls ist zu befürchten, dass Landes sehen. der Wählerwille gebeugt und betrogen wird. Im Gegensatz zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion blicken wir zudem über den Tag des Referendums Lothar Mark (SPD): In Venezuela ist seit vielen Jah- hinaus. Unser Antrag wird der Tatsache gerecht, dass ein ren ein rapider Verfallsprozess in Politik, Wirtschaft und ordnungsgemäßer Ablauf des Referendums eben nur Gesellschaft zu beobachten. Die Ursachen dafür – darü- notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für eine ber sind sich alle Fachleute einig – liegen weit vor 1998, danach zwingend erforderliche Festigung des demokrati- dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chavez. Das der- schen Grundkonsenses in Venezuela ist. Gerade vor dem zeitige politische Tauziehen zwischen der Regierung und Hintergrund allgemeiner Destabilisierungstendenzen in der Oppositionsbewegung allerdings hat das Land in un- der Andenregion – ich denke zum Beispiel an Kolum- geahntem Ausmaß polarisiert und das staatliche undbien, Ecuador, Peru und Bolivien – ist eine dauerhafte wirtschaftliche Gefüge bedrohlich ausgehöhlt. Rekonsolidierung der venezolanischen Demokratie von eminenter Wichtigkeit. In den zurückliegenden Debatten um den CDU/CSU- Antrag zu Venezuela vom Februar bzw. März dieses Jah- In diesem Zusammenhang macht der Antrag unmiss- res hatten wir bereits Gelegenheit, die verschiedenen Po- verständlich deutlich, dass Regierung und Opposition sitionen auszutauschen. Ich möchte daher an dieserdie Verantwortung dafür tragen, dass die Venezolanerin- Stelle nicht mehr auf die einzelnen Argumente bei der nen und Venezolaner wieder Vertrauen in ihre demokra- Beurteilung von Regierung und Opposition bzw. dentischen Institutionen und die Verfahrensweisen fassen Verlauf des Konflikts eingehen. Bei allen Differenzen können. Dies bedeutet insbesondere auch die Einhaltung Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10843

(A) der rechtsstaatlichen Ordnung mit richterlicher Unab- Präsident Chavez die politische, wirtschaftliche und so- (C) hängigkeit und die Anerkennung der Verfassung. ziale Lage nach anfänglichen Erfolgen deutlich ver- schlechtert. Mit seinen Gesetzen zur Agrarreform, zur Anders als der CDU/CSU-Antrag benennen wir die Regulierung der Gas- und Ölvorkommen sowie der Verantwortung beider Seiten für die desolate Lage Vene- Fischerei hat er sein Land in eine prekäre Lage versetzt. zuelas, auch wenn sie vielleicht graduell unterschiedlich Anstatt die Ursachen des politischen und wirtschaftli- beurteilt werden kann. Wir vermeiden aber jegliche Par- chen Niedergangs Venezuelas bei sich und seiner Regie- teinahme zugunsten einer Seite und ergreifen damitrung zu suchen, macht es sich Chavez einfach und umso mehr glaubwürdig Partei ausschließlich für denschiebt diese der Mittel- und Oberschicht zu und macht demokratischen Prozess. Insofern sprechen wir uns für diese für die Probleme verantwortlich. eine echte, unabdingbar notwendige Versöhnung inner- halb der venezolanischen Gesellschaft aus und nicht für Zu Recht gehen jetzt die Bürgerinnen und Bürger Ve- eine „Überwindung der Ära Chavez“ per se. Auch wir nezuelas auf die Straße und bekunden ihren Unwillen erkennen deutlich die Gefahren, welche die Einführung gegenüber dieser unredlichen Politik von Präsident eines automatisierten Abstimmungsverfahrens birgt.Chavez. Derzeit werden viele Befürchtungen in Venezuela laut: Für mich ist es im Übrigen völlig unverständlich, wie Die Regierung könne darauf setzen, dass sich durch ver- gerade die Grünen während der letzten Venezuela-De- meintliche technische Schwierigkeiten der ordnungsge- batte die Proteste vonseiten der Bürger, der Gewerk- mäße Ablauf über den magischen 19. August hinaus ver- schaften, der Arbeitgeberverbände und der Studenten als zögere. Ebenso sei das neue System anfälliger„Diskredition zur Regierungsübernahme“ abgetan ha- gegenüber Manipulationen. ben. Ich bin dennoch vorsichtig optimistisch: Angesichts Es ist jetzt wichtig, dass das anberaumte Referendum des massiven Drucks durch die Aufmerksamkeit der in- fair und ohne Beanstandungen abläuft. Wir Freidemo- ternationalen Gemeinschaft wird sich Präsident Chavez kraten begrüßen die Entscheidung von Präsident sehr sorgfältig überlegen müssen, ob er seinen letzten Chavez, sich endlich dem Votum seiner Bürger zu stel- Kredit verspielt. len. Er hätte die berechtigten Belange seines Volkes frü- Unser Antrag trägt seinen Teil dazu bei, diesen Druck her ernst nehmen müssen – er hätte erkennen müssen, nachhaltig zu erhöhen. So ist eine zentrale Forderung die dass seine Politik in die falsche Richtung geht –, dann nach einem aktiveren politischen Krisenmanagement der wäre seinem Land auch viel erspart geblieben. Vielleicht EU in Koordination mit der OAS und dem Carter-Cen- wäre dann auch der internationale Druck auf ihn nicht ter. Dementsprechend begrüßen wir ausdrücklich dienötig gewesen. (B) (D) Tatsache, dass sich zurzeit eine vorbereitende Mission Laut Umfragen sieht es derzeit so aus, dass die Mehr- der EU in Venezuela befindet, um die Bedingungen für heit der Wahlberechtigten gegen Chavez stimmen wird. die Entsendung europäischer Wahlbeobachter zu prüfen. Wie auch immer das Ergebnis des Referendums sein Wir messen einer solchen höchste Bedeutung zu, da wir wird, es muss von allen Seiten, also auch von der unter- wissen, dass Europa in Venezuela als „ehrlicher Makler“ legenen, anerkannt werden. Die internationale Staaten- gesehen wird. Aufgrund der großen Glaubwürdigkeit, gemeinschaft muss deshalb wachsam sein und darauf die uns dort entgegengebracht wird, könnten wir Euro- achten, dass nicht eine Seite plötzlich zu undemokrati- päer unseren Teil zum Gelingen des Referendums beitra- schen Mittel greift, um das Bürgervotum zu unterlaufen, gen. Aus Quellen der vorbereitenden EU-Mission wird um ihre Interessen durchzusetzen. allerdings aktuell die Sorge bezüglich zu sehr einengen- der Regelungen des obersten Wahlrats laut. Daher for- Venezuela darf nicht weiter polarisiert werden, son- dern wir die Bundesregierung auf, den obersten Wahlrat dern die tiefen Gräben zwischen den verschiedenen poli- auf die international üblichen und auch von der EU zu- tischen Gruppen müssen überwunden werden. Das Land grunde gelegten qualitativen und quantitativen Standards darf nicht vom Regen in die Traufe kommen. Ein Regie- für Wahlbeobachtung zu verpflichten. rungswechsel durch die Opposition ist leider auch kein Garant für eine Verbesserung der Situation in Venezuela. Aber damit ist es unserer Auffassung nach allein nicht Sowohl die Regierung Chavez wie auch die Opposition getan. Deshalb setzen wir uns im Antrag nicht zuletzt müssen endlich kompromissbereiter werden und auf- auch dafür ein, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um einander zugehen. die bilateralen Beziehungen im wirtschaftlich-techni- schen und kulturellen Bereich wieder zu beleben. Venezuela darf nicht zu einem neuen Nicaragua wer- den. Insgesamt gesehen, müssen große Anstrengungen un- Meine Damen und Herren von Rot-Grün, ihr vorlie- ternommen werden, damit Venezuela wiederum zugender Antrag ist uns zueinseitig – zu Chavez-freund- einem wichtigen, demokratischen Glied in unsererlich. Wir sollten uns jetzt – vor dem Referendum – nicht Wertegemeinschaft wird. auf eine Seite stellen, sondern es den Venezuelanern sel- ber überlassen, die politischen Weichen neu zu stellen. Harald Leibrecht (FDP): Venezuela galt bis vor ei- Wenn die Menschen in Venezuela unsere Hilfe benöti- nigen Jahren als eines der politisch stabilsten Länder La- gen, zum Beispiel in Form von Wahlbeobachtern, sollten teinamerikas. Die Wirtschaft entwickelte sich gut und wir ihnen diese nicht verweigern. Ich glaube, es wäre die Zukunft sah nicht schlecht aus. Leider hat sich unter gut, wenn die internationale Staatengemeinschaft, also 10844 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) auch wir Europäer, ein waches Auge auf den Ablauf des vorlegen lassen, gehört zu den fortschrittlichsten und de- (C) Referendums halten. Ich denke, diesen Beitrag können mokratischsten in Lateinamerika. Sie erkennt nicht nur und müssen wir leisten. endlich auch die Rechte indigener Völker an, sondern führt auch die Möglichkeit eines Referendums zur Ab- wahl des Präsidenten erstmals ein. Die Verfassung Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Eine wichtige Forderung zur Entwicklung in Ve- wurde mit großer Mehrheit in einer Volksabstimmung nezuela, über die wir hier im Bundestag mehrfach disku- angenommen. Die frühere Opposition hatte immer wie- tiert haben, ist erfüllt: Es gibt ein Referendum und einen der eine Verfassungsgebung ankündigt, dies aber nie festen Termin für die Durchführung des Referendums wahr gemacht. zur Abwahl des Präsidenten Chavez und neun Abgeord- Viertens. Die jüngsten Beschwerden über die geplan- neter, am 15. August. Das ist erfreulich und gut, das trägt ten Einschränkungen von Rechten der Abgeordneten der zur Entspannung des Konflikts bei. Präsident Chavez Opposition habe ich überprüft, soweit es mir anhand der will sich dem Votum fügen – allen Unkenrufen undTexte der Änderungen der Geschäftsordnung, die be- Schmähungen zum Trotz. Das verdient Respekt. schafft werden konnten, möglich war. Die Möglichkeit, Die Opposition unterstellt dem Präsidenten, er werde das Parlament auf Beschluss des Präsidiums außerhalb technische Probleme bei der Durchführung des Referen- seines Sitzes im Parlamentsgebäude, etwa in einem Bar- dums nutzen, um so den Termin des Referendums über rio, tagen zu lassen, ist tatsächlich sehr problematisch. den Stichtag 19. August hinauszuzögern. Dann müssten Die meisten anderen Änderungen bewegen sich aber keine Neuwahlen stattfinden. Nach der Verfassungdurchaus in dem Rahmen, der in anderen Parlamenten könnte dann sein Stellvertreter die Geschäfte bis zumStandard ist, so etwa das Recht jedes Abgeordneten im nächsten regulären Wahltermin fortsetzen. Die Regie- Parlament zu reden, sowohl was die Länge der Reden als rungstreuen unterstellen, die Opposition wolle ein klares auch deren Häufigkeit anbetrifft, oder Abstimmungen Wahlergebnis verhindern, weil sie keine konstruktive überprüfen zu lassen. und personalisierte Alternative sei, und die Institutionen Fünftens. Vorwürfe der Gleichschaltung und Unter- Venezuelas in den Augen der Weltöffentlichkeit diskre- drückung der Medien sind zumindest in ihrer Pauschali- ditieren, um eine Intervention von außen möglich zu ma- tät schwer nachvollziehbar. Das staatliche Fernsehen chen. wird vom Präsidenten offensichtlich extensiv zur Propa- Es ist nicht einfach vom fernen Europa her zutreffend ganda für seine Politik genutzt. Dies gilt gerade auch für zu beurteilen, was Desinformation und Propaganda ist, seine in jeder Woche stundenlang zelebrierten Reden die offenbar von beiden Seiten, von Opposition und Re- und Talkshows. (B) gierung, betrieben werden und was die politische Reali- Aber im Übrigen sind die Medien ganz überwiegend (D) tät und Wahrheit ist. in der Hand der Chavez-Kritiker. Dies gilt für die Presse, Ich selber hatte bisher nicht die Gelegenheit, Vene- aber auch für das halbe Dutzend an Privatsendern. Auch zuela zu besuchen, um eigene Eindrücke von der Situa- solche, die früher seine Politik unterstützt haben, sind tion zu bekommen. Ich bemühe mich aber, alle Informa- heute auf einem harten Anti-Chavez-Kurs. Die Kritik am tionsmöglichkeiten zu nutzen, um eine umfassendes und Präsidenten wird drastisch fast überall publiziert und differenziertes Bild jenseits der Propaganda aller Seiten nicht selten in einer Härte und Konsequenz, wie sie etwa von der Situation in Venezuela zu erhalten. nach deutschem Presserecht nicht zulässig wäre. So lief jüngst in einem der venezolanischen TV-Kanäle über Danach halte ich fest: eine Woche lang ein Spot, in dem zuerst Saddam Erstens. Chavez wurde zum Präsidenten in freierHussein gezeigt wurde sowie der Aufmarsch der US- Wahl gewählt, weil große Teile der heutigen Opposition Amerikaner im Irakkrieg, anschließend verwandelte sich in Korruption und Vetternwirtschaft verwickelt waren. das Gesicht von Saddam Hussein in das von Hugo Die abgelöste Regierung hatte eines der wohlhabendsten Chavez und quer über das Bild erschien der Spruch Länder Lateinamerikas in Misswirtschaft und große„Chavez, wir holen Dich!“ Ein solcher Spot würde in der Teile der Bevölkerung in Armut geführt. Gerade unter Bundesrepublik wohl sofort an rechtliche Grenzen sto- Armen im Land ist daher die Unterstützung des Präsi- ßen. Eine solche Kritik an einem Diktator wäre in einer denten groß, wie Umfragen und große Demonstrationen Diktatur nicht vorstellbar. Der mit diesem Spot ausge- mit vielen Hunderttausenden Teilnehmern zu entnehmen drückte Wunsch nach einer Intervention von außen ist. würde als Hochverrat mit härtesten strafrechtlichen Sanktionen verfolgt. Dieser Wunsch trifft wohl auch in Zweitens. Eine Opposition die – im Jahr 2002 nach Venezuela und anderen Ländern auf große Ablehnung einem Putsch an die Macht gekommen – zunächst alle der Menschen. parlamentarischen Institutionen einschließlich des Parla- ments auflöst, gebührt wenig parlamentarische Glaub- In meiner Einschätzung fühle ich mich bestätigt durch würdigkeit und zwar unabhängig davon, wie es zu dem die Stellungnahme der Vereinigung amerikanischer Ju- Putsch gekommen ist und wer in dessen Verlauf welche risten, AAJ. Diese weist in einer Stellungnahme darauf Rolle im Einzelnen gespielt hat. hin, dass es in Venezuela einen Rechtsstaat gibt, der das Funktionieren der verfassungsmäßigen Freiheiten garan- Drittens. Die Verfassung, die Präsident Chavez hat er- tiert. Sie betonen, dass dies nicht nur dadurch belegt arbeiten und dem Volk von Venezuela zur Abstimmung wird, dass die Opposition ein Referendum gegen den Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10845

(A) Präsidenten durchführen kann, obwohl sie vor nicht Anhand dieser Lebensschicksale wird die Dramatik(C) allzu langer Zeit einen Putsch unternommen hat, derder Energiefrage fühlbar. Der mangelnde Zugang zu scheiterte, und erst vor kurzem einen Generalstreik ini- Energie ist ein großes Entwicklungshemmnis nicht nur tiiert hat, der erheblichen wirtschaftlichen Schaden für für den einzelnen Menschen, sondern insgesamt für das das Land zur Folge hatte. Wirtschaftswachstum der Schwellen- und Entwicklungs- länder. Während die Hauptursache für den wachsenden Aber ich will deutlich sagen, um Missverständnisse Energiebedarf neben der Industrieproduktion der stei- nicht aufkommen zu lassen: Diese Feststellungen sollen gende Lebensstandard ist, so ist umgekehrt der Energie- eine Reaktion und eine Antwort sein auf die zum Teilzugang für den menschlichen Wohlstand unbedingte Vo- maßlos übertriebenen Darstellungen der Missstände in raussetzung. Venezuela und auf undifferenzierte Kritik, die aus den Reihen der hiesigen Opposition in der Vergangenheit Der enorme Energieverbrauch in den Industrieländern vorgetragen wurde. Übrigens ergab auch ein Gespräch hat in der Vergangenheit große Schäden in der Natur an- mit Abgeordneten der venezolanischen Opposition ein gerichtet und trägt auch heute noch zu großen Umwelt- weitaus differenzierteres Bild. Keinesfalls will ich Präsi- schäden wie beispielsweise zur Klimaerwärmung bei. dent Chavez generell verteidigen und all sein Tun recht- Deshalb stehen viele Menschen dem mit steigender Ent- fertigen; dies ist nicht meine Intention. Vielmehr habe wicklung einhergehenden wachsenden Energiebedarf ich selbstverständlich auch die Vorwürfe, die gegen die der Entwicklungsländer skeptisch gegenüber. Regierung Chavez, seine Polizei, seine Armee und vor Entwicklung und Umwelt sind aber keine Gegen- allem seine bewaffneten Hilfstruppen erhoben werden, sätze. Sie gehen Hand in Hand. Mal zieht die eine Hand zur Kenntnis genommen. Ich nehme sie ernst. Allen Vor- kräftiger, mal die andere. würfen der Begehung von Menschenrechtsverletzungen muss rückhaltlos nachgegangen werden. Folter an Geg- Spätestens seit der Weltkonferenz über Umwelt und nern von Chavez oder gar die Tötung von Demonstran- Entwicklung – UNCED – im Jahr 1992 in Rio de Janeiro ten, Journalisten und Politikern müssen ohne Ansehen ist der Begriff der nachhaltigen Entwicklung – „sustai- der Person strafrechtlich verfolgt werden. nable development“ – eine feste Größe in der internatio- nalen Umwelt- und Entwicklungspolitik. Aber jetzt geht es erst mal darum: Das Referendum muss ordnungsgemäß durchgeführt werden. Seine Er- Wer von den ärmsten Ländern dieser Erde eine nach- gebnisse müssen verfassungskonform umgesetzt wer- haltige Entwicklung durch erneuerbare Energien fordert, den. muss auch bereit sein, hierfür Unterstützung bei der Fi- nanzierung zu gewähren. Vor diesem Hintergrund stellt (B) Die Regierung und die Opposition in Venezuela kann sich die Frage: Was kann die Weltbank dazu beitragen, (D) ich nur weiterhin auffordern, die Lage durch Repression den ärmsten Menschen den Energiezugang zu erleich- und Desinformation nicht weiter zu verschärfen. tern? Welche Rolle kommt der Weltbank im Energiesek- tor – sei es im Rohstoffbereich oder im Bereich erneuer- Wenn der Antrag zu einer differenzierten Beurteilung barer Energien – zu? Wie kann man der Kolumbianerin, und Beruhigung der Lage beitragen kann, hat er seinen dem Nigerianer und der Vietnamesin helfen, ohne dabei Zweck erfüllt. der Umweltzerstörung Vorschub zu leisten? Wo ist das Gleichgewicht zwischen Armutsbekämpfung und Um- welt? Und wie können wir dieses Gleichgewicht errei- Anlage 25 chen? Zu Protokoll gegebene Reden Die Weltbank ist eine internationale Organisation mit dem vorrangigen Ziel, Armut zu bekämpfen. Der Anteil zur Beratung des Antrags: Für eine nachhaltige der erneuerbaren Energien am Energieportfolio der Rohstoff- und Energiepolitik der Weltbank (Ta- Weltbank beträgt weniger als 10 Prozent. Die Auswir- gesordnungspunkt 8) kungen von Rohstoff-Projekten beispielsweise im Öl- sektor haben in der Vergangenheit immer wieder zu Kri- tik von Umweltschützern und der betroffenen lokalen Dr. Sascha Raabe (SPD): Zwei Milliarden Men- Bevölkerung geführt. Deshalb hat Weltbank-Präsident schen haben keinen Zugangzu Elektrizität und rund James Wolfensohn den ehemaligen indonesischen Um- 2,4 Milliarden Menschen sind für die Deckung ihrerweltminister Emil Salim damit beauftragt, eine Studie dringlichsten Energiebedürfnisse auf nicht nachhaltige über die Rolle der Weltbank im Rohstoff-Sektor unter Biomasse angewiesen. Was zunächst in Zahlen so abs- Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Aus- trakt klingt, kann man sichauch konkret versinnbildli- wirkungen zu erarbeiten. chen: Das junge Mädchen in Kolumbien kann abends nur mit den größten Anstrengungen ein Buch bei schwa- Vor diesem Hintergrund haben wir als Regierungs- chem Kerzenlicht lesen. Der politisch interessierte Nige- fraktion einen Antrag eingebracht, der sich mit den rianer kann keine Nachrichten über Radio, FernsehenEmpfehlungen der Salim-Studie beschäftigt. Dieser An- oder einen Internetanschluss empfangen. Die dreifache trag lobt an erster Stelle das Zustandekommen der Mutter in Vietnam verbringt täglich mehrere StundenSalim-Studie. Durch diesen Bericht hat ein Sensibilisie- mit der Holzsuche, um ihren Kindern eine warme Mahl- rungsprozess innerhalb der Weltbank begonnen, der zeit zubereiten zu können. fortgesetzt werden muss. Eines hat der Bericht bereits 10846 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) erreicht: Er hat die Diskussion angeregt und zu einerWir wollen weltweit die Abhängigkeit von Rohstoffen(C) grundsätzlich positiven Reaktion in der Weltbank ge-wie Öl überwinden und erneuerbare Energien verstärkt führt, was der erste Antwortentwurf zeigt. Innerhalb der fördern. Sonne, Wind und Wasser stehen allen Ländern nächsten 30 Tage sind die Betroffenen – sowohl Vertre- zur Verfügung, Öl hingegen nur wenigen. ter der Entwicklungs- und Industrieländer als auch die engagierte Zivilgesellschaft – aufgefordert, mit weiter- Unser Antrag soll helfen, dass das kolumbianische führenden Anregungen, konstruktiver Kritik sowie Ideen Mädchen beim Einbruch der Dunkelheit das Licht an- einen Beitrag zu leisten. Unser Antrag und die Debatte knipsen und sich für die Zukunft fortbilden kann, ohne heute Abend sind Beiträge der deutschen Parlamentarier dabei ihre Umwelt zu gefährden. In diesem Sinne hoffe zu diesem Prozess. ich, dass auch der Opposition ein Licht aufgeht und wir gemeinsam diesen Antrag beschließen. Ich möchte hier einige Forderungen aus unserem An- trag nennen, die für die Identitätsfindung und den Rol- lenwechsel der Weltbank als Leitlinien dienen sollen: Dr. Conny Mayer (CDU/CSU): Seit zwei Wochen Die Weltbank soll Energie- und Rohstoff-Projekte nur liegt uns nun die Antwort des Weltbankmanagements dann fördern, wenn dadurch positive Effekte zur Ar-auf den Salim-Bericht vor. Ich begrüße die konstruktive mutsverminderung ausgehen, Sozial- und Umweltstan- Auseinandersetzung der Weltbank mit den Empfehlun- dards und die Menschenrechte eingehalten werden und gen des ehemaligen indonesischen Umweltministers, somit eine gute Regierungsführung – good governance – Dr. Salim. Als unabhängiger Experte untersuchten er gegeben ist. Das Portfolio der Weltbank für die Förde- und seine Mitarbeiter zwei Jahre lang folgende Frage: rung erneuerbarer Energien und die Energieeffizienz soll Kann die Weltbank ihre Projekte in der Rohstoffwirt- mit substanziellen jährlichen Steigerungsraten konse-schaft mit dem globalen Ziel der Armutsbekämpfung quent ausgeweitet werden. vereinen? Oder anders gefragt: Wie effizient waren die Investitionen der Weltbank bei der Bekämpfung der Wir fordern die Weltbank auf, dass sie bei Energie- weltweiten Armut durch ihr Engagement im Bereich Projekten die lokale Bevölkerung früh in die Planung Rohstoffe und Energien? mit einbezieht. Dadurch wird eine größere Akzeptanz geschaffen, umso möglichst eine umfassende Zustim- mung zu erreichen. Hierzu liegt ein Antrag der Koalitionsfraktionen vor. Diesen habe ich leider gestern zum ersten Mal gesehen. Um die in der Vergangenheit immer wieder aufgetre- Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Antrag tenen Fälle von Korruption zu verhindern, fordern wir ist dadurch schwer möglich. Das finde ich persönlich mehr Transparenz bei den Vereinbarungen der Privat- sehr schade, denn es geht hierbei ja um die zentrale (B) wirtschaft mit den jeweiligen Regierungen. Die Welt- Frage der Armutsbekämpfung. (D) bank soll sich dabei auf Vorschläge von „Transparency International“ und der „Extractive Industries Trans- Lassen Sie mich zuerst kurz auf die Situation bei den parency Initiative“ der britischen Regierung stützen. Themen Armutsbekämpfung und Energieversorgung ein- gehen. Wo stehen wir bei diesen beiden Themen heute? Die Bundesrepublik Deutschland ist der drittgrößte Beitragszahler in der Weltbank. Deshalb werden unsere Auf dem Millenniumsgipfel in New York im Jahr Vorschläge in der Weltbank sicherlich auf fruchtbaren 2000 hatten sich die Staats- und Regierungschefs von Boden fallen. 189 Ländern auf die Beseitigung extremer Armut als oberstes Ziel geeinigt. Vier Jahre später steht die Erfül- An dieser Stelle möchte ich der Bundesregierung und lung dieses Ziels leider immer noch in weiter Ferne. UN- vor allem unserer Bundesministerin HeidemarieGeneralsekretär Kofi Annan wies in seiner letzten Neu- Wieczorek-Zeul ein großes Lob aussprechen, dass sie jahrsbotschaft darauf hin, dass die internationale Staa- sich in den vergangenen Monaten so vehement für eine tengemeinschaft im Jahr 2003 den Versprechungen des stärkere Förderung der erneuerbaren Energien – nicht Millenniumsgipfels nicht näher gekommen sei. Konkret nur innerhalb der Weltbank – eingesetzt hat. Als Gastge- heißt das: Wir sind leider noch nicht weit gekommen bei ber und Initiator der Erneuerbare-Energien-Konferenz in der Halbierung der Zahl der Hungernden und der Redu- Bonn vor einigen Wochen hat sich der deutsche Einsatz zierung der Zahl der Menschen, die täglich weniger als erfolgreich bestätigt. Die Weltkonferenz hat für die glo- einen Dollar zur Verfügung haben. bale Energiefrage neue Akzente gesetzt. Wie sieht nun die weltweite Energieversorgung aus? Auf dieser Konferenz hat der geschäftsführende Di- Derzeit haben rund 2,3 Milliarden Menschen keinen Zu- rektor der Weltbank, Peter Woicke, bereits angekündigt, gang zu Elektrizität. Durch schnelles Bevölkerungs- das Portfolio für erneuerbare Energien über die nächsten wachstum und die fortschreitende Technologisierung fünf Jahre um jährlich 20 Prozent steigern zu wollen. – gerade in Entwicklungsländern – wird die Nachfrage Das ist ein deutliches Zeichen für den Willen der Welt- nach Energie in Zukunft stark wachsen, und das beson- bank, ihre Energiepolitik nachhaltig zu verändern. Aber ders drastisch in Entwicklungsländern. Laut einer ak- auch ein Zeichen dafür, dass sich der hartnäckige Einsatz tuellen Studie der Europäischen Kommission wird sich der Bundesregierung im Management der Weltbank ge- der weltweite Energieverbrauch bis 2030 verdoppelt ha- lohnt hat. ben. Im Jahr 2030 werden die Entwicklungsländer zwi- Unser Antrag zeigt, dass Armutsbekämpfung undschen 40 und 50 Prozent der weltweiten Energie ver- Umweltschutz sich ergänzen und nicht ausschließen.brauchen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10847

(A) Das Thema Energie gewinnt in Zukunft für viele Ent- Darüber hinaus fordert Salim von der Weltbank größere (C) wicklungsländer an Bedeutung. Für deren wirtschaftli- Anstrengungen beim Kampf gegen Korruption und für che und soziale Entwicklung – und damit schließt sich höhere Transparenz. auch der Kreis zur Armutsbekämpfung – ist daher eine Wie können wir nun aber unsere Positionen bei der stabile Energie- und Rohstoffpolitik zwingend erforder- Weltbank hörbar machen? Welche Einflussmöglichkei- lich. ten hat Deutschland? Ich sehe da zwei Möglichkeiten: Damit kommt natürlich die Frage nach der richtigen erstens über eine aktive Personalpolitik und zweitens Energieform auf. Ich halte nicht viel davon, die fossilen über inhaltliche Vorbildwirkungen. Beide wurden bisher Energiearten generell abzulehnen; denn meiner Meinung von der Bundesregierung nicht genutzt. nach können wir Entwicklungsländern, die einen kosten- Ich teile jedenfalls nicht die optimistische, ja fast günstigen Zugang zu fossilen Energieträgern haben, naive Sichtweise der Ministerin auf den deutschen Ein- nicht ernsthaft empfehlen, auf die Nutzung dieser Ener- fluss bei Entscheidungen der Weltbank, die sie gestern in gieträger völlig zu verzichten. Für die Entwicklungs- der Ausschusssitzung vorgetragen hat, denn weder die länder ist ein auf ihre Verhältnisse zugeschnittener Weltbank und ihre internen Prozesse haben einen hohen Energiemix entscheidend. Er muss ökologische Belange Stellenwert im Ministerium, noch gibt es genügend deut- berücksichtigen, darf aber auch ökonomische Zwänge sche Mitarbeiter bei der Weltbank, die Entscheidungs- nicht aus den Augen verlieren. prozesse frühzeitig mitgestalten könnten. Genau das sind Die effizientere Nutzung von Energie und der Rück- grundsätzliche Probleme, die uns immer wieder begeg- gang der Importabhängigkeit, insbesondere vom Öl, sind nen; denn in den meisten internationalen Organisationen die parallel zu verfolgenden Ziele. Jene Entwicklungs- ist Deutschland, gemessen an seinen finanziellen Beiträ- länder, bei denen sich ein Einsatz der Energieträgergen, nicht angemessen repräsentiert. In der Weltbank Wasser, Sonne und Biomasse anbietet, bedürfen der stär- sind wir im Moment bei einem Personalanteil von nur keren Unterstützung. Dazu gehört eine intensive Zusam- 2,9 Prozent, und das bei einem Beitragsaufkommen von menarbeit bei der Erforschung regenerativer Energie-4,5 Prozent. Klar ist natürlich auch, dass eine bloße Mit- quellen. Diese kann Entwicklungsländern helfen, ihre gliedschaft in den Führungsebenen internationaler Orga- Energieversorgung zu verbessern. Die Zusammenarbeit nisationen wie der Weltbank allein nicht ausreicht, um ist auch im Interesse Europas, um zum Export wettbe- Politikentscheidungen aktiv mitzugestalten. Wir brau- werbsfähiger regenerativer Energien beizusteuern. Die- chen kooperationsbereite Ansprechpartner, wenn wir als ser kann dazu beitragen, die Abhängigkeit von konven- Nation bei der Weltbank mit entscheiden wollen. tionellen Energieträgern auch hierzulande zu verringern. Dazu ist erstens ein verlässliches Netzwerk von deut- Gerade die Energieforschung wurde jedoch von der rot- (B) schen Mitarbeitern in internationalen Organisationen(D) grünen Bundesregierung vernachlässigt und weist größte notwendig. Zweitens brauchen wir einen Pool von deut- Lücken auf. schen Experten, die in internationalen Organisationen tä- Kommen wir zurück zur Weltbank und deren Roh- tig sind. Beides ist bisher nicht der Fall. Offensichtlich stoff- und Energiepolitik. Mit 2 Prozent des gesamten hat die Bundesregierung die Erhöhung der Anzahl von Portfolios nehmen die Aktivitäten der Weltbank im Be- Deutschen in internationalen Organisationen bisher eher reich Energierohstoffe, also Öl, Gas und Bergbau, nur reaktiv betrieben. Fazit ist für mich daher, dass es einen geringen Anteil ein. Doch gerade dieser Bereich höchste Zeit ist, diese Defizite in der deutschen Perso- stand in den letzten Jahren häufig in der öffentlichennalpolitik auszuräumen, um tatsächlich auf Entschei- Kritik. Die Weltbank hat deshalb diese extraktiven In- dungsprozesse Einfluss nehmen zu können. dustrien und deren Vereinbarkeit mit dem Ziel der Ar- Können wir unseren Einfluss bei der Weltbank dann mutsbekämpfung von einem unabhängigen Gutachter eher über positive Erfahrungen in der Armutsbekämp- kritisch hinterfragen lassen. fung geltend machen? Die Politik der Bundesregierung Nach zwei Jahren intensiver Untersuchungen kommt zur Bekämpfung der weltweiten Armut hat die in sie ge- Dr. Salim zu folgendem Ergebnis: Ja. Die Aktivitätensetzten Erwartungen bislang nicht erfüllt. So warten wir der Weltbank in der Rohstoff- und Energiewirtschaftbis heute auf den Umsetzungsplan des nationalen Ak- können kompatibel sein mit dem Ziel der Armutsbe-tionsprogramms 2015. Wir blicken sowohl auf eine man- kämpfung. Drei Voraussetzungen müssen dabei jedoch gelhafte finanzielle und personelle Ausstattung der deut- zwingend erfüllt sein: erstens die verstärkte Ausrichtung schen Entwicklungszusammenarbeit als auch auf falsche der Projekte auf die Verringerung der Armut durch nach- regionale und sektorale Schwerpunktsetzungen in der haltige Entwicklung, zweitens bessere soziale und um- bilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Ein großes weltfreundliche Richtlinien und drittens die Achtung der Problem sehe ich insbesondere in dem Kohärenzdefizit Menschenrechte. im Handeln der Bundesregierung. Das heißt, auch bei der Armutsbekämpfung kann die Bundesregierung nicht Diese Voraussetzungen wurden bei vergangenen Pro- mitreden und Einfluss auf Entscheidungen der Weltbank jekten der Weltbank häufig nicht berücksichtigt. Um sie nehmen. künftig besser umsetzen zu können, fordert Dr. Salim grundlegende Reformen zu Verfahren und Regelungen Zurück zur Weltbank. Das Management und die Gou- innerhalb der Weltbank. Er fordert ein verstärktesverneure müssen nun beweisen, dass sie zu einer selbst- Engagement der Weltbank beim Aufbau von funktionie- kritischen Überprüfung von internen Regelungen und renden staatlichen Strukturen in Entwicklungsländern. Verfahren fähig sind, Verfahren übrigens, die schon 10848 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) lange hätten kritisch hinterfragt und verändert werden Bonn bei der Renewables 2004 und auch in dem vor kur- (C) müssen, auch von den Mitgliedsländern und damit auch zen vorgelegten Managemehtantwort-Entwurf zum von der deutschen Ministerin. Die Weltbank muss in der Salim-Bericht zum Ausdruck gebracht wird. Das ist eine Praxis, also in den Entwicklungsländern, zeigen, dass ihr Entwicklung, auf die die Bundesregierung maßgeblich Engagement in der Rohstoffwirtschaft eine wirklicheund erfolgreich gedrängt hat. Veränderung zur Erreichung unseres globalen Ziels, der Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklung, her- Nun aber genug des Lobes für die Weltbank. Es bleibt beiführen kann. noch eine ganze Menge zu tun, damit dieser enorm wichtige Player sein Gewicht für eine internationale Ich appelliere daher an die Bundesregierung und ins- Energiewende und für eine neue Rohstoffpolitik in die besondere an Sie, Frau Ministerin, als deutsche Welt-Waagschale wirft. bankgouverneurin: Setzen Sie sich stärker als bisher für Reformen innerhalb der Weltbank ein! Setzen Sie sich Mit unserem Antrag wollen wir der Weltbank Beine mit einer aktiven Personalpolitik für tatsächlichen Ein- machen, wollen sie antreiben, schneller und entschiede- fluss der deutschen Positionen bei Entscheidungen der ner in die Richtung zu schreiten, die sie aus meiner Sicht Weltbank ein! Und setzen Siesich dafür ein, dass die zu zaghaft eingeschlagen hat Weltbank ihre Aktivitäten im Bereich der Rohstoffwirt- Die Weltbank hat angekündigt, im Energieportfolio schaft auf unser gemeinsames Ziel der Armutsbekämp- jährlich um 20 Prozent im Bereich erneuerbarer Ener- fung ausrichtet und auch praktisch umsetzt! Auch Sie, gien zuzulegen. Das klingt besser, als es bei genauerer Frau Ministerin, tragen Verantwortung für das Gelingen Betrachtung ist. Da der aktuelle Anteil der erneuerbaren oder Scheitern dieses Prozesses. Energien im Energieportfolio gerade einmal 6 Prozent ausmacht, kann man schnell ausrechnen, dass im ersten Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Jahr nur bescheidene 1,2 Prozent hinzukommen. Das ist Rohstoff- und Energiepolitik der Weltbank muss mehr uns zu wenig. Wir wollen, dass die erneuerbaren Ener- als in der Vergangenheit zur Armutsbekämpfung undgien zügig zur primär von der Weltbank geförderten zum Erhalt der natürlichen Umwelt beitragen. Das ist die Energiequelle werden, und wir wollen, dass dies zulas- zentrale Forderung dieses Antrages und zugleich Emp- ten der fossilen Energieträger geht. Vor allem die Förde- fehlung des so genannten Salim-Berichtes zur Rohstoff- rung von Ölprojekten muss genauso entschieden sinken, und Energiepolitik der Weltbank. wie die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Dann können wir uns hoffentlich bald über den Zeitpunkt ver- Die Weltbank hat in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre ständigen, an dem die Weltbank ganz aus der Förderung schon einiges geleistet. Sie hat angefangen, neue ökolo- der fossilen Energien aussteigt. Mittelfristig muss sie das (B) gische und soziale Standards und neue Prüfverfahrentun, im Interesse von Mensch und Umwelt. Nicht auszu- (D) einzuführen. Diese Politik soll Umwelt und Menschen malen, was sonst in den nächsten 30 Jahren passieren vor zerstörerischen Auswirkungen von Projekten schüt- wird, wenn der Weltenergieverbrauch um zwei Drittel zen. Im Laufe der 80er-Jahre haben fehlgeschlagenesteigt und dabei wiederum zwei Drittel des Wachstums Großprojekte immer mehr Kritik hervorgerufen und die auf die Entwicklungsländer entfallen, wie mehrere Stu- Weltbank von allen Seiten unter Druck gesetzt. dien belegen. Ich möchte die Bereitschaft der Weltbank, auf diese Die Weltbankpolitik soll ihre knappen Ressourcen Kritik einzugehen, hier ausdrücklich würdigen. Ichzielgerichtet für eine Energiewende im Dienste von möchte auch sagen, dass die Weltbank wegen ihrer her- Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Armutsbekämpfung vorragenden Stellung als Entwicklungsbank enormeneinsetzen. Dies ist aus meiner Sicht parallel durch zwei internationalen Einfluss auf die Entwicklung und Einhal- Dinge möglich: durch Energieeffizienzmaßnahmen und tung von Schutzmechanismen für Menschen und Um- den Ausbau der erneuerbaren Energien. Um diese Ener- welt, für indigene Völker und Primärwälder hat. giewende auch intern in der Weltbankgruppe zu veran- kern, plädieren wir für den Aufbau einer speziellen Or- Auch private Investoren und Exporteure müssen sich ganisationseinneit für erneuerbare Energien und an den von der Weltbank gesetzten Standards messen. Energieeffizienz. Sie haben bei schwierigen Projekten in Entwicklungs- ländern gerne die Weltbank dabei, damit sie ihnen ein Wo wollen wir die Weltbank noch antreiben? Wir ökologisches und soziales Siegel auf das Projekt setzt. möchten, dass sie die soziale Akzeptanz von Projekten da- Wir führen diese Debatte auch im Zusammenhang von durch absichert, dass die betroffene Bevölkerung frühzei- Hermes-Bürgschaften und sehen Weltbankstandards und tig in die Projektplanung einbezogen wird, um so deren Prüfverfahren als wichtige Referenzen, die es mindes- Zustimmung zu erreichen. Darüber hinaus sollen für den tens zu erreichen gilt. gesamten Projektzyklus effektive Mechanismen für die Beilegung von Streit und Beschwerden eingerichtet wer- Ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich es sehr be- den. Kurz gesagt: Die Beteiligungsrechte der Betroffenen grüße, dass Weltbankpräsident Wolfensohn mit der Be- müssen entschieden gestärkt werden. Die Weltbank bietet auftragung des Extractive Industries Review die Debatte hier nur die Information – und Konsultation – der Bevöl- um eine nachhaltige Rohstoff- und Energiepolitik derkerung an. Dies ist uns entschieden zu wenig. Weltbank angestoßen hat. Anzuerkennen ist auch die grundsätzliche Bereitschaft, an der internationalen Ener- Ich nehme zustimmend zur Kenntnis, dass der Ent- giewende mitzuwirken, wie sie von der Weltbank inwurf der Managementantwort auf den Salim-Report be- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10849

(A) reits eine Reihe von Anregungen konstruktiv aufgreift. der bei der Umsetzung der MDGs, aber gerade in vielen (C) Dies sind zum Beispiel die Achtung von ökologisch be- dieser Ländern spielen diefossilen Brennstoffe eine sonders artenreichen Gebieten, in der die Weltbankenorm wichtige Rolle beim Aufbau der Wirtschaft und grundsätzlich nicht tätig sein wird, den so genannten No- der Versorgung mit Energie! So wird den Entwicklungs- Go-Zones. Auch die Aussagen zu mehr Transparenz im ländern die Basis entzogen, ihren eigenen Anteil bei der Umgang mit Projektinformationen und ein besseres Be- Umsetzung der MDGs zu erfüllen – und wenn hier dann richtswesen sind ein Fortschritt. Darüber hinaus soll sys- noch gefordert wird, zum Beispiel in Punkt 4, die Förde- tematisch auf die Verwendung der Mittel zur Bekämp- rung von Ölprojekten stufenweise auslaufen zu lassen, fung der Armut geachtet werden und sichergestellt sein, dann müssen die Antragsteller auch Antwort geben, wie dass auch die lokal betroffenen Gebiete von den Projek- die 1,6 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu per- ten profitieren. Wenn dies gelänge, wären wir wirklich manenter Stromversorgung haben, und die 2,3 Milliar- einen wichtigen Schritt weiter. Nicht zuletzt will dieden Menschen, die von traditionellen Energieträgern ab- Bank die Korruption im Zusammenhang mit Projekten hängig sind, mit regenerativen Energien versorgt werden im Rohstoffbereich stärker bekämpfen. Die Entwicklung sollen, denn man muss kein Techniker sein, um sich vor- klarer Indikatoren und Instrumente dafür und derenstellen zu können, dass allein mit Solar und Windkraft Überwachung gilt es als Herausforderung anzunehmen. diese Entwicklungsziele nicht erreicht werden können. Die Bundesregierung hat durch die Ausrichtung der Bei allen guten und wünschenswerten Zielen der An- Renewables 2004 dazu beigetragen, dem Wort Ener-tragsteller muss die Umsetzung auf einem realistischen giewende weltweit einen guten Klang zu geben. Die Re- und pragmatischen Weg erreicht werden. Es ist wichtig, qierung wird in den nächsten fünf Jahren weiteregerade auch unter dem Umweltaspekt – Verwüstung 500 Millionen Euro zu Förderung von erneuerbarendurch Brennstoff für Kochstellen etc. –, dass die Welt- Energien und Energieeffizienz anbieten. Von deutscher bank die Entwicklungsländer dabei unterstützt, eine Ba- Seite daran mitzuwirken, die Weltbank schrittweise zu sis für eine Grundversorgung mit Energie zu schaffen – einer Förderbank für Energieeffizienz und erneuerbare eine Basis bei der alle Energiegewinnungsformen eine Energien umzubauen, ist die logische Konsequenz einer Rolle spielen, angepasst an die Bedürfnisse der Men- kohärenten Energiepolitik, die wir seit sechs Jahren im schen. eigenen Land durchführen. Dies macht uns auch interna- tional glaubwürdig. Wie das erreicht werden kann, zeigen die vielen Pro- jekte zur Energieeffizienzsteigerung, vor allem in China, SOE. Um so unverständlicher ist es in diesem Zusam- Markus Löning (FDP): Die FDP begrüßt die Initia- menhang, warum die Bundesregierung nicht mehr in tive von James Wolfensohn, das Thema Rohstoff- und (B) diesem Bereich unternimmt, hier hat Deutschland die(D) Energiegewinnung im Kontext der Bekämpfung derErfahrung und das Know-how. weltweiten Armut auf die Tagesordnung der Weltbank zu setzen. Der Bericht von Dr. Emil Salim geht in der Tendenz in eine begrüßenswerte Richtung. Die Weltbank spielt bei der Umsetzung der Millenium Development Anlage 26 Goals eine gewichtige Rolle. Zu Protokoll gegebene Reden Aber, bei der ganzen Diskussion um Armutsbekämp- zur Beratung des Antrags: Ungerechtfertigtes fung und dem Entgegenwirken von Umweltzerstörung, Steuerprivileg für schwere Geländewagen ab- darf das eigentliche Ziel – den Menschen in den Ent- schaffen (Zusatztagesordnungspunkt 7) wicklungsländern ein Leben in Würde und Eigenverant- wortung zu ermöglichen – nicht aus dem Auge verloren werden. Heidi Wright (SPD): Schwere Geländewagen und Sport Utility Vehicles – SUV – sind tolle Autos und eig- Die Menschen wollen hier, wie überall, in erster Linie nen sich für Wald und Wiese, also fürs Gelände, wie der finanzierbare Energie, die ihnen permanent zur Verfü- Name schon sagt. Sie sind jedoch auch populär fernab gung steht. Gerade in Schwellenländern muss aber auch jeden Geländes, auf Deutschlands Straßen in Stadt und der Nachfrage wachsender Ökonomien Rechnung getra- Land. Die Neuzulassungszahlen für Geländewagen in gen werden. Deutschland sind traumhaft und steigen überproportio- In diesem Kontext muss die Weltbank operieren und nal an. Sie verzeichneten im Jahr 2003 einen Zuwachs vor diesem Hintergrund sind viele Forderungen des An- von 22,8 Prozent. trages überhaupt nicht nachvollziehbar. Sie sind viel- Irgendwann kam jemand auf die clevere Idee, die Ta- leicht rot-grüne Seelenmassage, dem großen Ziel der Ar- rifgrenze von 2,8 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht im mutsbekämpfung und des Umweltschutzes laufen sie Kfz-Steuerrecht zu nutzen und schwere Geländewagen sogar entgegen. Hätten sich die Antragsteller die Mühe in diese Gewichtsklasse zu bringen. So gibt es regel- gemacht, bis zur Stellungnahme der Weltbank zum Be- rechte Auflastungsaktionen, um diese Gewichtsgrenze, richt von Dr. Salim vom 4. Juni zu warten, hätten mögli- die Einstufung als Nutzfahrzeug und somit einen günsti- cherweise einige Forderungen nicht den Weg in diesen gen Steuertarif zu erreichen. Die äußerst schweren und Antrag gefunden. intensiv kraftstoffverbrauchenden Fahrzeuge werden je- So fordern die Antragsteller auf der einen Seite zudoch meist als PKW und nicht als Nutzfahrzeuge einge- Recht mehr Eigenanstrengungen der Entwicklungslän- setzt und dienen als zeitgeistorientiertes Prestigesymbol. 10850 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Dieser Tatsache wird bisher steuerlich nicht ausrei- Auch unsere europäischen Nachbarn haben das Pro- (C) chend Rechnung getragen, da schwere Geländewagen blem erkannt und sind dabei, Maßnahmen zu ergreifen: von über 2,8 Tonnen nicht emissionsbezogen und nach Frankreich plant, ab 2005 den Kauf der SUV mit einer Hubraum versteuert, sondern nach zulässigem Gesamt- Sonderabgabe zu verteuern. Denn „den Parisern gewicht als „leichte“ Nutzfahrzeuge klassifiziert und be- stinkt’s“, wie ein Pressebericht – „Spiegel online“ – ti- steuert werden können, wodurch die Steuerlast auf weni- telt. Auch in London formiert sich der Widerstand gegen ger als 25 Prozent gesenkt werden kann. die tonnenschweren Geländewagen. Um nicht einen Generalverdacht über alle Gelände- Unser Antrag passt. Er kommt dem Klimaschutz, den wagen zu verhängen, will ich festhalten, dass die Steuer- schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und begünstigung längst nicht alle Geländewagen betrifft, ja Kindern sowie schlicht und ergreifend der Steuergerech- sogar die Mehrzahl der Geländewagen unprivilegiert ist tigkeit in unserem Lande zugute. Wir wissen uns hier und richtig besteuert wird. Rund ein Viertel der schwe- auch einig mit den Finanzministern und Umweltminis- ren Geländewagen genießt jedoch ein ungerechtfertigtes tern der Länder. Somit dürfte einer raschen Lösung Steuerprivileg, das es abzuschaffen gilt. nichts im Wege stehen. Deshalb wollen wir über den An- trag hier und heute direkt – ohne Überweisung und Be- Doch, wie bereits ausgeführt, ist der Einsatz meisthandlung im Fachausschuss – abstimmen. nicht im Nutzbereich, sondern vorwiegend völlig zweck- Ich bitte Sie alle um Ihre Zustimmung. entfremdet in den Städten. Schauen Sie sich einmal in Berlin um, wie viele dieser schweren Fahrzeuge hier auf asphaltierten und ausgebauten Straßen in der Innenstadt Heinz Seiffert (CDU/CSU): Das Verfahren um den herumfahren! Auf Geländetauglichkeit kommt es hierbei heutigen Antrag zur Abschaffung des Steuerprivilegs für wirklich nicht an. schwere Geländewagen ist wieder einmal ein Paradebei- spiel rot-grüner Regierungspolitik. Am Dienstagnach- Lassen Sie mich zu Ihrer Information dabei festhal- mittag dieser Woche lag Ihr Antrag auf dem Tisch des ten, welche Auswirkungen das freizeitmotivierte Fahren Hauses. Heute soll er – wenn es nach Ihrem Willen dieser kleinen „Geländepanzer“ in unseren Städten hat. geht – ohne Debatte und ohne Überweisung an die zu- ständigen Ausschüsse verabschiedet werden. Dieses Über 20 Liter verbrauchen einige der Geländewagen Hauruckverfahren ist der Sache nicht angemessen und im Stadtverkehr. Das ist nicht vereinbar mit unseren kli- vollkommen inakzeptabel. So lassen wir als Parlamenta- mapolitischen Grundsätzen. Dieses teure Tankvergnügen rier nicht mit uns umspringen! müssen wir nicht unbedingt durch günstige Steuerprivi- legien kompensieren. Über den Inhalt Ihres Antrags kann man sicher reden. Für die Abschaffung einer ungerechtfertigten Steuersub- (B) Mit ihrem als Kuhfänger bekannten absolut überflüs- vention finden Sie bei uns grundsätzlich offene Ohren,(D) sigen Rammschutz stellten sie in der Vergangenheitauch wenn es im Detail noch erheblichen Klärungsbe- selbst bei Unfällen mit niedrigster Geschwindigkeit eine darf gibt. Die von Ihnen geplante Vorgehensweise ist je- Gefahr für Fußgänger und insbesondere Kinder dar. Dies doch unmöglich. Man hat den Eindruck, hier soll konnten wir inzwischen abschaffen. klammheimlich etwas beschlossen werden – ohne Auf- „On top of the list“: Darüber hinaus konnten, wie aus- sehen und ohne großen Wirbel. Die betroffenen Auto- geführt, durch geschickte Anmeldeverfahren und durch käufer und -hersteller werden’s dann schon merken. so genannte Auflastung günstige Einstufungen des Kfz- Warum leiten Sie nicht ein ordentliches parlamentari- Steuertarifs erreicht werden. sches Verfahren ein? Warum lassen Sie uns den Antrag nicht in den zuständigen Ausschüssen beraten? Und wa- Es ist somit aus Gründen der Steuergerechtigkeit,rum legen Sie jetzt einen Antrag und stattdessen nicht nicht zuletzt aber auch unter ökologischen Aspekten und gleich einen Gesetzentwurf vor? aus Gründen der Verkehrssicherheit mehr als geboten, unberechtigte Steuervorteile für diese Prestigesymbole Der Herr Bundeskanzler, der sich so gerne als Auto- abzuschaffen. kanzler präsentiert, schädigt mit diesem Antrag ohne vorherige Absprache die Autoindustrie. Ob nun der An- Um eines klarzustellen: Wer ein solches Auto, das gut trag mit oder ohne ordentliches Verfahren verabschiedet und teuer ist, fahren will, soll das tun. Er soll und muss wird: Merken werden es die Konzerne aus Wolfsburg, es jedoch dann als PKW anmelden und als solches emis- München und Stuttgart trotzdem. Was ist damit also ge- sionsbezogen nach Hubraum versteuern. Es geht unswonnen? nicht um die höhere Besteuerung von Nutzfahrzeugen, die klar definiert und nachweisbar als Nutzfahrzeuge Wir von der Unionsfraktion sind gerne bereit, mit Ih- eingesetzt werden. Unser Ziel ist es, die Spreu vom Wei- nen über den Inhalt des Antrags und den eventuell da- zen zu trennen. Es geht uns darum, ungerechtfertigteraus hervorgehenden Gesetzentwurf konstruktiv zu dis- Steuerschlupflöcher zu schließen. kutieren. Zu diesem Zeitpunkt und wegen dieses Nacht- und-Nebel-Verfahrens lehnen wir den Antrag heute aber Dies erreichen wir mit dem vorliegenden Antrag. Ge- mit Bestimmtheit ab. Legen Sie einen Gesetzentwurf rade im Hinblick auf die Verringerung der Emissionen vor, den wir in einem ordentlichen parlamentarischen im Verkehrsbereich sowie die Schonung unserer Res-Verfahren in den Ausschüssen debattieren können! Dann sourcen ist eine Berücksichtigung der ökologischen Kos- werden wir uns mit Ihnen auch über die Sachargumente ten der schweren Geländewagen und SUV auch im Be- – über das Für und Wider dieser neuen Steuererhöhung – reich der Kfz-Steuer sicherzustellen. unterhalten! Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10851

(A) Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch nicht jeder Selbstständige braucht einen Allrad- (C) Es gehört zu den Vorzügen unserer Zeit, dass unsereantrieb, eher noch auf dem Land, wenn er über den Straßen immer besser werden und wir hier nicht mehr Acker fahren muss, aber nicht in der Stadt. Für Winzer, mit klapprigen Pferdekutschen über staubige Wege rat- Bauern, Förster und Handwerker – eben Gewerbetrei- tern wie im Wilden Westen. Aber es gehört zu den Per- bende – war die Steuerminderung für Nutzfahrzeuge versionen unserer Zeit, dass Fahrzeuge boomen, die eher vielleicht einmal gerechtfertigt – obwohl wir Grüne klar für steinige Pisten im Mittleren Westen der USA ge-sagen: Wir müssen ökologisch schädliche Subventionen macht zu sein scheinen. abbauen, und dies auch im Verkehrsbereich. Manchen Autofreunden reichen Luxuswagen nicht Wir sollten nicht – wie von Bundesverkehrsminister mehr aus; sie brauchen Sport Utility Vehicles – SUV.Stolpe angekündigt – neue Subventionstatbestände „Geländewagen“ ist eine eher verharmlosende Bezeich- durch großzügige Ausnahmen für viele Berufsgruppen nung. „Erlebnisfahrzeuge“ ist besser: mit Allradantrieb, schaffen, sondern eher Anreize setzen, damit auch diese Bodenfreiheit, strotzend vor Kraft und mit stets mehr als Berufsgruppen auf verbrauchsarme und emissionsarme sechs Zylindern unter der Haube schnell, stark, massiv Fahrzeuge setzen. Die SUV-Fahrzeuge aber dienen doch und unübersehbar. Den guten Blick über das Verkehrsge- ganz offensichtlich nicht dem Betreiben von Gewerben, schehen von da oben könnte man noch als Sicherheits- sondern dem Freizeitvergnügen. Die Besteuerung von vorzug dieser Wagen ansehen. Geländewagen als PKW ist also längst überfällig und muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Hoch zu Ross also kreuzt der zumeist eher wohlha- bende Mensch der Moderne nicht mehr sandige Pisten, Die bisherige Privilegierung ist sozial höchst unge- sondern die meist sechsspurigen Autobahnen Deutsch- recht. Es handelt sich um Modelle, die in der Anschaf- lands und fühlt sich trotzdem wie John Wayne. Ist es fung 50 000 Euro und mehr kosten. Wer sich solche Au- Lifestyle? Es ist Lifestyle! tos leistet, kann dafür auch die angemessenen Steuern zahlen. Zwischen 500 und 700 Euro sparen die SUV-Be- Dies ist freilich ein wenig überzeichnet, augenzwin- sitzer im Jahr. Wem will man dies vermitteln, angesichts kernd gemeint. Ich möchte hier nicht pauschal das indi- der breiten Debatte um das, was wir unseren Bürgern viduelle Glück von Autoliebhabern verteufeln. Aber es beim Umbau des Sozialstaats abverlangen? Die schät- kann nicht angehen, dass wir dieses Glück versilbernzungsweise 40 Millionen Euro Steuerausfälle im Jahr und die SUVs mit Steuererleichterungen subventionie- werden an anderer Stelle dringend gebraucht. ren. Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Gar nicht nachvollziehbar ist, dass wir mit einem Was ist das Problem? Aufgrund einer Gesetzeslücke Steuerprivileg Fahrzeuge fördern, die aus ökologischen (B) (D) können Fahrzeuge mit mehr als 2,8 Tonnen Gesamtge- Gründen höchst problematisch sind. Sie haben einen wicht als leichte Nutzfahrzeuge zugelassen werden. Ein enormen Spritverbrauch. Viele Modelle verbrauchen Mercedes-M-Klasse-Wagen rangiert also in der gleichen 15 bis 20 Liter Sprit auf 100 Liter. Die letzten 20 Jahre Klasse wie ein Lieferwagen. Fahrzeuge, die als PKWFahrzeugtechnologieentwicklung hatten unter anderem aufgrund ihres hohen Schadstoffausstoßes nicht mehrdie Reduktion von Verbrauch und Schadstoffen im Zen- zugelassen werden können, weil sie die PKW-Normtrum. Es gibt viele gute Gründe, Sprit zu sparen: ökolo- Euro 3 nicht erfüllen, schaffen dies nur als Nutzfahr-gische, politische und ökonomische. Dramatisch ist die zeuge. Obendrein sparen die Besitzer Kfz-Steuern, weil klimaschädigende Wirkung durch den hohen Treibstoff- die Steuer für die gewerblich genutzten Lieferfahrzeuge verbrauch. bewusst niedriger ist als für gleich große PKW. Die Selbstverpflichtung des Europäischen Verbandes Beim Ausnutzen des Steuerschlupflochs waren ver- der Automobilhersteller besagt, bis 2008 den durch- schiedene Seiten trickreich: Autohersteller, Gutachter, schnittlichen CO2-Ausstoß ihrer Neuwagen auf Werkstätten. Auch die Zulassungsstellen unterstützen 140 Gramm pro Kilometer absenken zu wollen. Aber der die verbreitete Praxis der „Auflastung“. Wenn noch zu VW Touareg emittiert zum Beispiel im Durchschnitt leicht für das 2,8-Tonnen-Kriterium, werden die Autos 329 Gramm pro Kilometer. Andere Modelle liegen noch mit eher marginalen Umrüstungen schwerer gemacht. höher. Wenn die Neuzulassungszahlen der SUV-Fahr- Gutachter, Umrüster, Werkstätten haben daran mitgetan, zeuge weiter zunehmen, wird dieses Ziel wohl verwäs- alles im Grunde ganz legal. Gegen eine geringe Gebühr sert. Damit rückt das Erreichen der Selbstverpflichtung – oft nach Vorlage eines nicht kostspieligen Gutach-der Industrie einmal mehr in die Nähe des Unwahr- tens – wird dann von der Zulassungsstelle das zulässige scheinlichen. Gesamtgewicht im Fahrzeugbrief auf 2,8 Tonnen erhöht. Für SUV, die wie Nutzfahrzeuge besteuert werden, gelten wesentlich großzügigere Vorschriften für die Was der Bundesfinanzhof in seinem Urteil 1998 ent- Schadstoffemissionen. Die Fahrzeuge dürfen somit mehr schieden hatte – Fahrzeuge, die sowohl für Güter- alsSchadstoffe ausstoßen als vergleichbare PKW. Auch im auch für die Personenbeförderung eingerichtet sind, eine Sinne des Gesundheitsschutzes ist es nicht verantwort- umlegbare Rückbank haben und die über 2,8 Tonnenbar, diese Fahrzeuge zu privilegieren. wiegen, nicht wie PKW mit emissionsbezogener Hub- raumbesteuerung, sondern wie Nutzfahrzeuge zu besteu- Wir brauchen für die Reduktion der Emissionen im ern –, galt wohl eher alsErleichterung für Handel und Verkehrsbereich dringend eine angemessene Berück- Gewerbetreibende, für KMU. sichtigung der ökologischen und sozialen Kosten des 10852 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Straßenverkehrs. Alle sehen es ein. Alle sind sich einig: Das Gegenteil ist der Fall. Jeder gut begründeten Aus- (C) die Finanzminister der Länder, die Umweltminister der nahme wird eine weitere, sicher ebenso gut begründete Länder, der Bundesumweltminister, der Bundesver-Ausnahme folgen. Dies führt im Ergebnis zu Steuerge- kehrsminister. Also sollte es doch gelingen, dieses Privi- setzen, die weder von der Verwaltung noch vom Bürger leg endlich abzuschaffen. zu verstehen und damit anzuwenden sind. Trotzdem fühlt sich die Mehrzahl der Steuerbürger ungerecht be- Jenseits des Schließens von Steuerschlupflöchern ist handelt, weil der Nachbar ja möglicherweise noch an- Phantasie gefragt, um zumindest die wildesten Aus-dere steuerliche Ausnahmen kennt und nutzt, und sei es wüchse unserer automobilverliebten Gesellschaft zu zü- nur, weil er besser beraten ist. geln. Vor wenigen Tagen erreichte uns die Nachricht, dass die Pariser mit radikalen Maßnahmen gegen die Dieses kollektive Ungerechtigkeitsgefühl führt dazu, wachsende Zahl von Geländewagen vorgehen wollen, dass das Unrechtsbewusstsein für Steuerverkürzung oder weil sie ihre schöne Stadt verpesten, die Fußwege ver- -hinterziehung in der Bevölkerung in nicht hinzuneh- parken und mit „Kuhfängern“ die Fußgänger gefährden. mendem Maße ausgehöhlt wird. Immer mehr Bürger glauben, es sei ein Kavaliersdelikt, Steuern nicht zu zah- Von einer Ökoabgabe bis zu 3 200 Euro ist die Rede. len. Immer weitere Teile der Gesellschaft entziehen sich Sie soll nach den Kriterien Benzinverbrauch und Schad- ihrer Steuerpflicht: der kleine Mann durch Schwarzar- stoffausstoß festgesetzt werden. Der Pariser Stadtrat ord- beit, Unternehmen durch Investitionsverlagerung, der nete mit rot-grüner Mehrheit Maßnahmen an, um die Sparer durch Kapitalflucht. Die Steuerbasis in Deutsch- Nutzung von Geländewagen möglichst schnell einzu- land wird brüchig. schränken. Es muss deshalb oberstes Ziel des Steuergesetzgebers Bald werden derlei Maßnahmen auch in deutschen in Deutschland sein, die bestehenden Steuergesetze wie- Ballungsräumen diskutiert werden müssen, wenn ab der auf ihren eigentlichen Zweck zurückzuführen. Die 1. Januar 2005 die schärferen Grenzwerte der EU-Luft- steuerlichen Tatbestände müssen klar definiert sein und reinhalte-Richtlinie gelten. Dann werden sowohl schad- keine Ausweichmöglichkeiten zulassen. Dies gilt natür- stoffmindernde Eingriffe an Fahrzeugen nötig – wie lich auch für die Kraftfahrzeugsteuer. Trotz der jetzt ge- etwa der Einbau von Rußpartikelfiltern und Nachrüstun- planten Abschaffung des ungerechtfertigten Steuerprivilegs gen – als auch verkehrsbezogene Maßnahmen. für schwere Geländewagen bleibt die Kraftfahrzeugsteuer City-Maut, Straßensperrungen für bestimmte Fahr- aber kompliziert. Einen Regelsteuersatz gibt es nicht. zeuge – vieles ist denkbar und zum Schutz der Bevölke- Ökologische Zielsetzungen verkomplizieren die Berech- rung und der Umwelt nötig. Mit der Abschaffung desnung der Kraftfahrzeugsteuer zusätzlich. Statt dieser un- (B) Steuerprivilegs für SUV-Fahrzeuge tun wir einen Schritt nötigen Reglementierung und Bürokratisierung könnten (D) von vielen. ökologische Ziele viel einfacher erreicht werden. Wir wollen keine Straßensperrungen, sondern um- Die FDP fordert die aufkommensneutrale Umlegung weltfreundliche Fahrzeuge. Schließlich stellt sich auch der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer. Ein solches Vor- die Frage, wie viele Sheriffs wir bräuchten, um die Cow- gehen hat zweierlei Vorteile. Durch die Abschaffung ei- boys in ihren SUVs beim Überschreiten der Luftschad- ner ganzen Steuerart wird ein nicht zu unterschätzender stofflimits aus den Städten zu verbannen. Beitrag zur Steuervereinfachung in Deutschland geleis- tet. Gleichzeitig ist gewährleistet, dass nicht mehr der ru- hende Verkehr besteuert wird, sondern die gefahrenen Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Unabhängig von der Thematik des Antrages möchte ich zunächst einmal Kilometer. Durch die Besteuerung nach den tatsächli- die Methode kritisieren, mit der Sie diesen Antrag hier chen Emissionen werden Kfz mit höherem Verbrauch durchpeitschen wollen. Es ist dem Ansehen des Parla- stärker belastet als diejenigen mit niedrigem Verbrauch. mentes nicht förderlich, wenn Sie dieses für die Betrof- Eine solche Regelung ist ökologisch sinnvoll. Die circa fenen wichtige Thema in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 4 000 Finanzbeamten, die mit der Bearbeitung der Kfz- abhandeln. Es ist einfach unangemessen, wenn der An- Steuer beschäftigt sind, könnten nutzbringender einge- trag, den wir hier debattieren wollen, erst am Tag vor der setzt werden. Für parteiübergreifende Konsensgespräche Debatte überhaupt vorliegt. mit diesem Ziel steht die FDP zur Verfügung. Inhaltlich stimme ich Ihrem Antrag, der ja auf eine Iris Gleicke, Parl. Staatssekrtärin beim Bundes- Initiative der Finanzminister der Länder zurückgeht, zu. minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Be- Das deutsche Steuerrecht leidet unter seiner Kompli-kanntlich fallen weder die Steuergesetzgebung noch ihr ziertheit. Dies betrifft nicht nur die Kompliziertheit ein- Vollzug in den Geschäftsbereich meines Ministeriums. zelner Steuergesetze, sondern auch die Vielzahl der in Auf den ersten Blick mag es deshalb verwundern, dass Deutschland erhobenen Steuern. Ein erster wichtigerich als Vertreterin des Bundesministeriums für Verkehr, Schritt zur Steuervereinfachung ist deshalb, Ausnahme- Bau- und Wohnungswesen das Wort ergreife zum Antrag regelungen konsequent zu beseitigen. Wir müssen weg- der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit kommen von einer immer differenzierteren Ausgestal- der Zielsetzung, das „ungerechtfertigte Steuerprivileg tung der Steuergesetze. Es ist ein Irrglaube, dass es zu für schwere Geländewagen abzuschaffen“. mehr Steuergerechtigkeit kommt, wenn jeder Einzelfall eine genaue Abbildung in einem Steuergesetz finden Es geht dabei um Fahrzeuge, die wahlweise zur Per- muss. sonenbeförderung oder zur Güterbeförderung benutzt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10853

(A) werden können, wie vor allem schwere Geländewagen heben, und der rot-grüne Antrag gibt uns dafür den poli- (C) oder so genannte SUV – Sport Utility Vehicles. Solche tischen Flankenschutz. Fahrzeuge können ab einer bestimmten Gewichtsklasse von den Finanzbehörden der Länder steuerrechtlich als Die entsprechende Verordnung zur Änderung der LKW eingestuft werden und werden dann entsprechend StVZO kann damit endgültig auf den Weg gebracht wer- günstig, nämlich nur nach Gewicht besteuert. Ursache den. Sie soll so rasch wie möglich dem Bundesrat mit hierfür ist eine Bestimmung in der Straßenverkehrs-Zu- der Bitte um Zustimmung zugeleitet werden. lassungs-Ordnung (StVZO). Die seinerzeit bei der Änderung der StVZO überhaupt Es handelt sich um den § 23 Abs. 6 a StVZO, der be- nicht beabsichtigte steuerliche Privilegierung schwerer sagt: Geländewagen ist mit dem Gedanken der Steuergerech- tigkeit nur schwer in Einklang zu bringen. Auch im Hin- Als Personenkraftwagen sind auch Kraftfahrzeuge blick auf den hohen Kraftstoffverbrauch und die im all- mit einem zulässigen Gesamtgewicht von nichtgemeinen auch höheren Schadstoffemissionen ist diese mehr als 2,8 t zu bezeichnen, die nach ihrer Bauart Privilegierung erfehlt. und Einrichtung geeignet und bestimmt sind, wahl- weise vorwiegend der Beförderung von Personen Nach der Änderung bzw. Aufhebung des § 23 Abs. 6 oder vorwiegend der Beförderung von Gütern zu StVZO ist es Sache der Länder, die steuerrechtlichen dienen, und die außer dem Führersitz, Plätze fürKonsequenzen zu ziehen und diese in den Fahrzeugpa- nicht mehr als acht Personen haben. pieren als „Personenkraftwagen“ bezeichneten Kraft- fahrzeuge so zu besteuern, wie es ihrem Verwendungs- Diese Bestimmung wurde 1969 zur verkehrsrechtli-zweck und ihrer technischen Beschaffenheit entspricht. chen Klarstellung eingeführt, damit Kombinationskraft- wagen bis einschließlich 2,8 Tonnen bei Überholverboten Ob hierzu eine Änderung des Kraftfahrzeugsteuerge- mit dem Zusatz „ausgenommen Personenkraftwagen“ setzes erforderlich ist, wird vom zuständigen Bundes- ohne weiteren Zusatz mit ausgenommen waren. ministerium der Finanzen zusammen mit den Ländern geprüft werden müssen. Dabei ist auch zu berücksichti- Die Steuerverwaltung der Länder und auch gen, die dass Fahrzeuge, die Gegenstand des Antrages sind, höchstrichterliche Rechtsprechung der Finanzgerichte teilweise auch gewerblich als Nutzfahrzeuge eingesetzt hat aus dieser verkehrsrechtlichen Bestimmung im Um- werden, zum Beispiel in der Land- und Forstwirtschaft, kehrschluss gefolgert, dass Fahrzeuge dieses Typs, wenn von Winzern und auch von Handwerkern. Damit wäre ihr zulässiges Gesamtgewicht 2,8 Tonnen überschreitet, auch die Frage zu prüfen, ob eine kraftahrzeugsteuerli- steuerrechtlich LKWs sind. Sie werden deshalb – wie che Differenzierung zwischen schweren Geländwagen, (B) bereits dargelegt – lediglich nach Gewicht und nichtdie außschließlich oder ganz überwiegend zu privaten(D) hubraum- und emissionsbezogen besteuert. Zwecken genutzt werden, und solchen, die gewerblich Das Kraftfahrzeugsteuergesetz, für das der Bund die als Nutzfahrzeuge verwendet werden, geboten ist. Gesetzgebungskompetenz hat, sagt hierzu selbst nichts Das Anliegen des rot-grünen Antrags ist jedenfalls aus. § 23 Abs. 6 a StVZO ist somit sozusagen Steigbü- berechtigt. Mit unserem Vorhaben, den § 23 Abs. 6 a gelhalter für eine Steuerrechtspraxis, die die Halter der- StVZO ersatzlos aufzuheben, sind wir als Bundesregie- artiger – wie wir alle wissen – nicht ganz billiger Fahr- rung auf dem richtigen Weg. Ich bitte Sie, dem Antrag zeuge kraftfahrzeugsteuerlich privilegiert. zuzustimmen. Verkehrsrechtlich ist diese Bestimmung seit langem überflüssig, weil daran zumindest im Straßenverkehrs- recht keine Rechtsfolgen mehr geknüpft sind. Außerdem Anlage 27 steht diese Bestimmung nicht mehr im Einklang mit dem Zu Protokoll gegebene Reden Recht der Europäischen Gemeinschaften. zur Beratung des Antrags: Für eine qualifi- Auch deshalb begrüße ich als Vertreterin der Bundes- zierte Mitbestimmung bei grenzüberschreiten- regierung den gestern eingereichten Antrag der Fraktio- den Fusionen (Zusatztagesordnungspunkt 8) nen von SPD und Bündnis /Die 90 Grünen. Es macht Sinn, diese Vorschrift des Straßenverkehrsrechts ersatz- los aufzuheben. Doris Barnett (SPD): Das Zusammenwachsen von Europa erfasst auch den Bereich der Unternehmen. So Nun ist das mit Privilegien ja bekanntlich so eine Sa- ist es im Jahre 2001, nach über 20-jähriger Verhandlung che. Sobald in unserem Lande an irgendeinem Privileg gelungen, eine Regelung zur Europäischen Aktiengesell- gerüttelt wird, machen zumindest einige der Privilegier- schaft zu finden, der alle Partnerländer zugestimmt ha- ten mehr oder weniger überzeugende Argumente für die ben. Beibehaltung des Privilegs geltend. Wir kennen das alle auch aus anderen Zusammenhängen. Aber wir haben Besonders wichtig für uns hier in Deutschland ist, alle Einwände und Bedenken selbstverständlich sorgfäl- dass wir die Mitbestimmung sichern konnten. Die Rege- tig geprüft. Im Ergebnis bleiben wir bei unserer mit dem lung dazu ist eine Kombination von Verhandlungen zwi- Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesminis- schen Unternehmens- und Arbeitnehmerseite, die aller- terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dings für den Fall, dass man sich nicht einigt, auch eine abgestimmten Absicht, den § 23 Abs. 6 a StVZO aufzu- Auffanglinie hat. Diese Lösung könnte auch für andere 10854 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) gesellschaftsrechtliche Vorhaben nach Meinung derdarin, auch bei den jetzt anstehenden Verhandlungen zur (C) Kommission Vorbild sein. Fusionsrichtlinie darauf hinzuwirken, dass diese Rechte in gleichem Umfange erhalten bleiben. In Europa haben wir verschiedene Traditionen, was die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- In einem sozialen Europa müssen wir auf fairen Wett- mer am Wirtschaftsleben angeht. Unser Verständnis von bewerb achten. Dazu zählt, dass wir nicht ohne Not be- Mitbestimmung gründet sich auf dem Gedanken derwährte Strukturen zerschlagen. Gerade unser Mitbestim- Wirtschaftsdemokratie. Die Beteiligungsrechte sind in mungssystem hat dazu geführt, Firmen und ihre den anderen europäischen Ländern unterschiedlich aus- Belegschaft in Krisenzeiten wieder fit für den Wettbe- geprägt. Aber eines sollte uns allen wichtig sein: Wirwerb zu machen. Statt Firmenzusammenbrüchen mit brauchen nicht nur ein wirtschaftlich starkes Europa, es vielen Arbeitslosen konnten mit Unterstützung kreativer muss auch ein soziales Europa sein. Die Mitbestim-und engagierter Betriebsräte Unternehmen saniert wer- mung, die Beteiligung der Belegschaft, gehört zu denden, sich regenerieren und wieder zu starken Marktteil- unabdingbaren sozialen Aspekten. nehmern werden. Nun arbeitet die EU-Kommission aber auch schon Die Verlockung, durch Verschmelzung mit Firmen- seit vielen Jahren an einem Entwurf einer Richtlinie zur töchtern bzw. Niederlassungen in europäischen Ländern Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, der Fusions- mit niedriger bzw. ohne Mitbestimmungsregelung Kos- richtlinie. Ähnlich wie bei der Richtlinie zur Europäi- ten zu sparen, Entscheidungen einfacher zu machen, schen Aktiengesellschaft scheiterte die Fusionsrichtlinie über die Belegschaft ganz alleine zu bestimmen, ist für bisher an der schwierigen Frage, wie die Beteiligung der manches Unternehmen groß. Aber – das belegen ja die Arbeitnehmer zu regeln ist. vielen einschlägigen Untersuchungen, die nicht von Ge- Ursprünglich sollte ja die Regelung der Europäischen werkschaften finanziert wurden – die deutsche Mitbe- Aktiengesellschaft auch auf Unternehmen, die grenz-stimmung ist kein Wettbewerbs- oder Standortnachteil, überschreitend fusionieren, Anwendung finden. Diessondern hat sich schon oft segensreich ausgewirkt. würde bedeuten, dass die Regelung der Beteiligung der Arbeitnehmer in der durch Fusion entstandenen Gesell- Deshalb können wir die Bundesregierung nur auffor- schaft vorrangig zwischen Arbeitgeber und Arbeitneh- dern, sich dafür einzusetzen, dass die Mitbestimmungs- mer zu verhandeln ist. Wenn mindestens 25 Prozent der regelungen der Europäischen Aktiengesellschaft als Mi- Arbeitnehmer der an der Gründung beteiligten Gesell- nimum auch für grenzüberschreitende fusionierte schaft einer Mitbestimmungsregelung unterliegen, wäre Gesellschaften gelten. Mit unserem vorliegenden Antrag im Falle des Scheiterns der Verhandlungen zwingendunterstützen wir die Bundesregierung in ihrem Bemü- (B) vorzusehen, dass auch inder neuen Gesellschaft eine hen, ein entsprechendes Verhandlungsergebnis zu erzie- (D) Mitbestimmung auf dem höchsten bisher vorhandenen len. Niveau einzuführen wäre. Dass auch andere Mitgliedstaaten wie Frankreich und Der nun vorgelegte Vorschlag einer Fusionsrichtlinie Belgien die Auffassung der Bundesregierung unterstüt- der EU-Kommission weicht aber davon ab. Im Gegen- zen, zeigt, dass wir mit unserer Forderung nach entspre- teil, jetzt soll sich die Mitbestimmung nach dem System chender Verankerung der Mitbestimmung im ganzen des Landes richten, in dem die fusionierte Gesellschaft Unternehmens- und Gesellschaftsrecht nicht alleine da- ihren Sitz hat. Nur wenn die fusionierte Gesellschaft sich stehen. Auch Großbritannien hat Unterstützung in dieser in einem Mitgliedsland befindet, das kein Mitbestim-Angelegenheit signalisiert. Wir sind also mit unserem mungssystem hat – wie zum Beispiel Spanien –, sollen Anliegen in bester Gesellschaft. die Regelungen entsprechend der Richtlinie über die Eu- ropäische Aktiengesellschaft gelten. Zum Schluss möchte ich noch auf eines hinweisen: Wenn bisher Unternehmen andere Unternehmen in Eu- Fusionieren also zwei Aktiengesellschaften und wäh- ropa gekauft haben, hat sich für das erworbene Unter- len ihren Sitz in einem Land mit ganz niedrigschwelliger nehmen und seine Mitarbeiter – wenn zum Beispiel ein Mitbestimmung, dann gilt automatisch dieses nationale französisches Unternehmen ein deutsches kauft – hin- Mitbestimmungssystem. Verhandlungen über ein Mehr sichtlich der Mitbestimmung nichts geändert. Genauso an Beteiligung der Arbeitnehmer finden erst gar nicht verhält es sich, wenn ein italienisches Unternehmen eine statt. Somit geht dann auch immer das höhere Mitbe-Niederlassung in Deutschland einrichtet. In diesem Falle stimmungsniveau verloren. Durch die Wahl des Sitzstaa- gilt auch deutsches – nationales – Recht. tes hätte die Unternehmensseite es folglich in der Hand, die Mitbestimmungsstandards zu verringern. Bei Fusionen sieht das aber ganz anders aus: Es ent- steht eine neue, eine einzige Gesellschaft. Eine solche Diese von der Kommission vorgelegte Regelung Verschmelzung hat – das wissen wir nicht zuletzt auch kommt einer Flucht aus der Mitbestimmung gleich, die aus einheimischen Erfahrungen mit Fusionen – aber er- wir nicht hinnehmen werden. hebliche Auswirkungen auf die Arbeitnehmerschaft. Nachdem sich die Bundesregierung in den Verhand- Wenn diese keinerlei Möglichkeit hat, sich zu informie- lungen und bei dem Abschluss zur Europäischen Aktien- ren und auch Einfluss zu nehmen, zum Beispiel was gesellschaft erfolgreich dafür eingesetzt hat, dass die be- Beschäftigungsverhältnisse angeht, dann werden grenz- troffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihreüberschreitende Fusionen eher als Gefahr wahrgenom- Beteiligungsrechte behalten können, unterstützen wir sie men – auf keinen Fall als Chance. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. 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(A) Deshalb kann ich die anderen Fraktionen dieses Hau- darf nicht überbewertet, aber auch nicht ignoriert wer-(C) ses nur dazu einladen, unseren Antrag zu unterstützen den. und damit einem Europa der Arbeitnehmer auch bei Fusionen den Weg zu bereiten. Das deutsche Mitbestimmungsrecht ist seit einiger Zeit im Fokus der Diskussionen über die Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts. Das liegt nicht nur Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Es ist offensicht- an der Europäischen Aktiengesellschaft und der geplan- lich, von welcher Motivation der Antrag getragen ist,ten Fusionsrichtlinie, sondern auch an den Urteilen des über den wir heute sprechen. Vor allem die Damen und Europäischen Gerichtshofs – Daily Mail, Centros, Über- Herren Kollegen von der SPD versuchen verzweifelt, ihr seering und zuletzt Inspire Art –, die sich mit der Verein- Verhältnis zu den Gewerkschaften zu verbessern, dasbarkeit deutscher gesellschaftsrechtlicher Bestimmun- man inzwischen wohl nur noch als zerrüttet bezeichnen gen mit dem europäischen Recht beschäftigten. kann. Weil der Erhalt des deutschen Mitbestimmungs- rechts zu den zentralen Anliegen der Gewerkschaften Zwar ging es in diesenEntscheidungen nie explizit gehört und in den Diskussionen um die Entwicklung des um das deutsche Mitbestimmungsgesetz, doch die mög- europäischen Gesellschaftsrechts immer häufiger thema- lichen Konsequenzen dieser Rechtsprechung gerade auf tisiert wird, stricken sie schnell und mit heißer Nadeldie Mitbestimmung in Unternehmen werden längst nicht einen Antrag, um den Gewerkschaften zu zeigen, dass mehr nur in juristischen Fachzirkeln diskutiert, sondern sie doch noch in Treue fest auf deren Seite stehen. haben die wirtschaftliche Realität längst erreicht. Die Möglichkeit, eine Dachgesellschaft mit Sitz in Deutsch- Dass sie für dieses Signal an die Gewerkschaften so- land unter ausländischer Rechtsform zu gründen und die gar in Kauf nehmen, in einem Antrag ein Misstrauensvo- Anteile deutscher Gesellschaften auf diese Holding zu tum gegenüber ihrer eigenen Regierung auszusprechen, übertragen, ist nicht nur theoretische Spekulation, son- weil sie offensichtlich befürchten, diese werde sich bei dern ein realistisches Szenario, und zwar deshalb, weil den Verhandlungen über die europäische Fusionsrichtli- sich dadurch möglicherweise – jedenfalls in großen nie im Ministerrat nicht hinlänglich für die Interessen Konzernen – das deutsche Mitbestimmungsrecht umge- der Gewerkschaften und für das deutsche Mitbestim-hen lässt. mungsrecht einsetzen, ist immerhin positiv zu vermer- Der Befund, den Sie in Ihrem Antrag formulieren, ist ken. Wir erleben es schließlich nicht allzu oft im Bun- zwar richtig: Es gibt hinsichtlich des Mitbestimmungs- destag, dass die Fraktionen von SPD und Grünen sich rechts tatsächlich eine Unwucht zwischen der geplanten kritisch mit der Arbeit der Bundesregierung auseinander Fusionsrichtlinie und den Bestimmungen zur Europäi- setzen. schen Aktiengesellschaft. Doch die Schlussfolgerung, (B) (D) Das ist allerdings auch das einzig Positive, das zu die- die Sie in Ihrem Antrag daraus ziehen, zeigt, dass Sie sem Antrag zu sagen ist. Ansonsten zeigt er, dass Siesich mit der Problematik nicht auseinander gesetzt ha- ebenso wie die Gewerkschaften, deren Sprachduktusben. Das aber müssen wir tun – gründlich, in parlamen- auch in anderen aktuellen politischen Diskussionen sehr tarischen Beratungen und mit der Hilfe externen Sach- an die 70er-Jahre erinnert, eines nicht erkannt oder für verstands. die Anbiederung an die Gewerkschaften verdrängt ha- Bevor Sie fordern, die Fusionsrichtlinie an die Rege- ben: Die Zeiten haben sich verändert. Der Wirtschafts- lung zur Europäischen Aktiengesellschaft anzugleichen, wettbewerb ist internationaler geworden, die Harmoni- sollten Sie sich mit der Diskussion um die Europäische sierung des Wirtschaftsrechts in Europa schreitetAktiengesellschaft beschäftigen. Denn in dieser Diskus- unaufhörlich voran. sion ist immer wieder zu vernehmen, dass die Europäi- Der internationale Wirtschaftswettbewerb ist auch ein sche Aktiengesellschaft für deutsche Unternehmen je- Wettbewerb der Rechtsordnungen. Diesem Wettbewerb denfalls dann nicht in Frage kommt, wenn ausländische müssen wir uns stellen und überprüfen, ob unser Recht Unternehmen beteiligt sind, weil sich diese nicht das noch zeitgemäß und damit wettbewerbsfähig ist. Denn deutsche Mitbestimmungsregime aufoktroyieren lassen nur so können wir unserem Recht auch internationalwollen. langfristig Geltung verschaffen. Wenn sich also abzeichnet, dass unser Recht im inter- nationalen Wirtschaftsleben gemieden wird und eine im- Das funktioniert jedoch nur, wenn wir nicht nur als mer kleinere Rolle spielt, dann müssen wir darüber starre Bewahrer unserer Traditionen auftreten. Natürlich nachdenken, wie wir unsere Rechtsordnung international hatte unser Mitbestimmungsrecht seine Berechtigung, besser verkaufen können, ohne sie aufzugeben. Denn als es 1976 in Kraft trat. Natürlich müssen wir die positi- was spricht dagegen, dass auch ausländische Unterneh- ven Aspekte dieses Rechts, die übrigens nicht nur diemen deutsches Gesellschaftsrecht favorisieren, wenn sie Gewerkschaften betonen, sondern auch in der Wirtschaft es verstehen und die Vorteile sehen? Wettbewerb muss gesehen werden, bewahren und verteidigen. Aber wirschließlich nicht bedeuten, dass wir uns und unser Recht müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass unser Mitbe- verstecken, nur weil es anders ist – das ergibt sich schon stimmungsrecht international nicht verstanden und sogar aus den grundsätzlich unterschiedlichen Rechtstraditio- als Bedrohung empfunden wird, was sich letztendlich als nen – und im Ausland nicht auf Anhieb verstanden wird. Nachteil für deutsche Unternehmen und damit auch für die Arbeitnehmer erweist, wenn internationale Investo- Sie aber wollen offenbar in eine andere Richtung ren deshalb einen Bogen um Deutschland machen. Das gehen. Sie fordern die Bundesregierung auf, darauf 10856 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) hinzuwirken, dass europäische Regelungen die Mitglied- Der Kompromiss zur Europäischen Aktiengesellschaft(C) staaten nicht zu einem Wettbewerb um möglichst nied- ist gut. Er wird von allen EU-Mitgliedern getragen. Er rige Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerinnen und muss auch für alle Unternehmen, die sich in der EU Arbeitnehmer einladen, damit sie als Sitzstaat für diegrenzüberschreitend durch Zusammenschluss konstituie- durch die grenzüberschreitende Fusion entstehende Ge- ren, gelten. Ansonsten würden wir eine Möglichkeit sellschaft in Betracht kommen. Die Bundesregierungschaffen, die deutschen Mitbestimmungsstrukturen solle verhindern, dass die „Flucht aus der deutschen Mit- durch die Hintertür auszuhebeln. bestimmung“ ermöglicht wird. Auf europäischer Ebene sollten wir weder den Wett- Aber könnte nicht genau das die Konsequenz sein,bewerb um die günstigsten Steuersätze noch um die wenn Sie europaweit eine Regelung fordern, die nach Existenz von bzw. die niedrigsten Mitbestimmungsstan- Meinung vieler dazu führt, dass deutsche Unternehmen dards führen. Ein solcher Kampf um die Mitbestimmung isoliert werden, weil sie für ausländische Investoren we- geht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. niger interessant sind – was sich im Ergebnis auf deren Mit Regelungen, die leicht unterlaufen werden können, Zukunft und die Zukunft der Arbeitsplätze auswirkenlässt sich das nicht stemmen. Wir brauchen Bedingun- kann? gen, die für alle gelten. Wir wollen ein soziales Europa, das zugleich im Wettbewerb bestehen kann. Der internationale Wirtschaftswettbewerb und der Wettbewerb der Rechtsordnungen ist ein Standortwett- Die Regeln zur Mitbestimmung bilden zusammen mit bewerb. Darüber haben Sie offensichtlich nicht nachge- der Betriebsverfassung und der Tarifautonomie das Drei- dacht. Darüber müssen wir aber nachdenken, bevor sol- gestirn der Arbeitnehmerbeteiligung. Es muss oft als che Schnellschüsse wie dieser Antrag in die Welt gesetzt Prügelknabe herhalten. Ihm werden alle Probleme des werden, damit das beabsichtigte positive Signal für die Arbeitsmarktes und die Wachstumsschwäche angelastet. Gesellschaften international nicht als negatives Signal Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Gerade die Mitbe- aufgefasst wird. stimmung trägt durch Co-Management und die erfolgrei- che Vermittlung von Entscheidungen des Managements Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das in die Belegschaften hinein dazu bei, dass sich Unter- deutsche Mitbestimmungssystem ist im Großen undnehmen modernisieren und an globalisierte Märkte an- Ganzen ein Erfolg. Unser Modell der Sozialpartner-passen können. schaft trägt zu einem beachtlichen Maß an sozialem Entgegen den Behauptungen der Spitzenverbände Frieden in unserem Land bei. und der Union wissen die Unternehmensleitungen selbst Tatsächlich ist das Tarifsystem auch viel flexibler als sehr wohl, was sie an der Mitbestimmung haben. 1998 (B) sein Ruf. In 35 Prozent der Betriebe und 22 Prozent der wurden Führungskräfte von DAX-Unternehmen in einer (D) Dienststellen werden tarifliche Öffnungsklauseln ange- Unternehmensbefragung gefragt, ob sie für oder gegen wandt. Die Betriebs- und Personalräte zeigen sich ver- die Aufsichtsratmitbestimmung seien. 53 Prozent spra- antwortlich. Wer sich vom deutschen Modell der Sozial- chen sich tendenziell und18 Prozent ohne Einschrän- partnerschaft verabschiedet, wird kämpferische undkung gegen die Abschaffung der Mitbestimmung aus. politische Auseinandersetzungen in die Betriebe tragen Nur 23 Prozent votierten für die Abschaffung. wie zum Beispiel in Frankreich. Dort ist der Organisa- In Deutschland haben wir in der letzten Legislaturpe- tionsgrad der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer we- riode das Betriebsverfassungsgesetz modernisiert. Das sentlich geringer, dafür die Auseinandersetzung härter, hieß nicht nur, die Wahl der Betriebsräte zu vereinfa- und der Staat erledigt letztlich den Job, den hier die Ta- chen, um die tarifpolitisch weißen Flecken zu verklei- rifparteien machen. nern. Grüne haben mit Erfolg durchgesetzt, dass auch Die Mitbestimmung ist eine Stärke, keine Schwäche Minderheitenpositionen in den Leitungsgremien der Be- des Standorts Deutschlands; sie ist mitverantwortlich für triebsräte vertreten sind. Ebenfalls war es ein grüner Er- die international vergleichsweise geringe Streikhäufig- folg, auch ökologische, antirassistische und gleichstel- keit in den Betrieben. lungspolitische Belange zum Thema für die Betriebsräte zu machen. Deswegen brauchen wir klare Regelungen, um die Mitbestimmung in den Gesellschafter- und Aufsichts- So starr, wie die Arbeitgeber behaupten, ist das Tarif- gremien auch in internationalisierten Märkten zu erhal- system nicht; das zeigen die Öffnungsklauseln in einem ten. Wenn ein Unternehmen sich umstrukturiert, dürfen Drittel der Betriebe. Die Gewerkschaften haben viele darunter nicht die bestehenden Mitbestimmungsmög-Forderungen aus dem Bündnis für Arbeit umgesetzt. Die lichkeiten leiden. Rollback in der Mitbestimmung durch Arbeitgeber müssen auch klare Angebote machen. Sen- Zusammenschluss oder Verlagerung ins Ausland darf es kung von Standards ist nicht alles. nicht geben. Flexibilisierung der Mitbestimmung ist für Grüne Deswegen wollen wir die Verhandlungslösung derdann ein gangbarer Weg, wenn sie auf eine Modernisie- Europäischen Gesellschaft – SE – auch in der Fusions- rung und damit Stärkung hinausläuft. Eine Flexibilisie- richtlinie der EU und wie dort bei Scheitern der Ver-rung, die nur ein anderes Wort für den Abbau von Ar- handlungen diejenige Mitbestimmungslösung als Auf- beitnehmerrechten ist, lehnen wir ab. Eine moderne fangregel, die die Vertretung der beteiligtenMitbestimmung sichert Stakeholder-lnteressen, statt nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am besten sichert. kurzatmige Shareholder-Interessen zu bedienen. Sie ist Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10857

(A) eine treibende Kraft für entscheidende Zukunftsfragen in Arbeitsplätze werden so einer nur kurzfristigen Siche-(C) den Unternehmen, wie zum Beispiel Arbeitszeitgestal- rung von Lohnniveaus geopfert. tung, Gesundheitsschutz und nachhaltige betriebliche Personalpolitik, aber auch soziale Belange und Fragen Ein Beispiel der Auswüchse paritätischer Mitbestim- der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. mung lieferte Verdi-Chef Bsirske, der als Arbeitnehmer- vertreter im Lufthansa-Aufsichtsrat sitzt und gleichzeitig Gleichzeitig ist bei internationalen Unternehmen auch als Gewerkschafter beschäftigungsfeindliche Lohnerhö- die Herstellung von Öffentlichkeit wichtig, um die be- hungen gefordert und teilweise durchgesetzt hat. Diese trieblichen Standards zu verbessern. Wir unterstützenKonstellation, dass Mitspieler wieder einmal gleichzei- Kampagnen gegen solche Missstände. Europa muss hier tig Schiedsrichter sind, lahmt das Wachstumstempo an einem Strang ziehen und Standards setzen. Deutschlands und hebelt den Wettbewerb aus. Der Auf- sichtsrat als Kontrollorgan muss deshalb gestärkt wer- Die Europäische Union braucht eine gemeinsame So- den. Statt Konsenssuche mit den Gewerkschaften sind zialethik. Das heißt nicht,starre Regelungen umzuset- offenere Diskussionen und schnellere Entscheidungen zen, sondern faire Spielregeln. Auf nationaler Ebenedurch kompetentere Aufsichtsräte notwendig. werden soziale Auseinandersetzungen immer leichter durch Produktionsverlagerungen unterlaufen. Wir müs- Die Rückkehr zur Drittelbeteiligung der Arbeitneh- sen diesen Prozess auf europäischer Ebene einholen. Da- mer in Aufsichtsräten von Kapitalgesellschaften mit bei ist das deutsche Modell der Selbstregulation durch mehr als 2 000 Mitarbeitern ist deshalb geboten. Außer- die Sozialpartner bürokratischen Direktiven vorzuzie- dem sollte meiner Meinung nach sichergestellt werden, hen. dass unternehmensfremde Gewerkschaftsfunktionäre nicht als Arbeitnehmervertreter auftreten. Gleichzeitig gehört zur Sozial- eine Umweltethik. Je besser der soziale Standard, desto leichter auch die Durchsetzung von Umweltstandards. Dumping führtAnlage 28 beide Bereiche nach unten, faire Spielregeln sind für bei- des gut. Für uns Grüne gehen sozialer und ökologischer Zu Protokoll gegebene Rede Fortschritt Hand in Hand. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung Rainer Brüderle (FDP): Die Regierungsfraktionen und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG versündigen sich mit ihrer protektionistischen Haltung (SUPG) (Tagesordnungspunkt 26) bei der Mitbestimmung am Wirtschaftsstandort Deutsch- (B) land. Unternehmenszusammenschlüsse mit deutscher Gerd Friedrich Bollmann (SPD): Wir beraten heute (D) Beteiligung werden verhindert und als Holdingstandort in erster Lesung das Gesetz zur Einführung der Strategi- wird Deutschland noch unattraktiver. Am deutschenschen Umweltprüfung und damit die Umsetzung der Mitbestimmungswesen wird die Welt sicherlich nichtEU-Richtlinie zum „Übereinkommen über die Umwelt- genesen. verträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rah- Statt notwendige Entwicklungen in Europa zu verhin- men“, die so genannte Strategische-Umweltprüfungs- dern, sollte Grün-Rot endlich die deutsche Konzernmit- Richtlinie. bestimmung modernisieren. Eine Rückkehr zur Drittel- Den größten Schritt zur Umsetzung dieser Richtlinie parität wäre da ein erster Schritt Die paritätischehaben wir aber schon gemeinsam getan, und zwar in Mitbestimmung schwächt den Standort Deutschland.vorbildlicher Weise: Denn schon beim Europarechtsan- Empirische Studien belegen den negativen Einfluss der passungsgesetz Bau ging es – neben vielen anderen He- Mitbestimmung auf die Unternehmensrenditen. Auslän- rausforderungen – darum, die Prüfung der Umweltaus- dischen Investoren ist oftmals kaum zu vermitteln, dass wirkungen bestimmter Pläne und Programme in unser das Entscheidungsrecht der Anteilseigner durch die pari- nationales Recht aufzunehmen. Das bald europaweit ein- tätische Mitbestimmung hierzulande stark eingeschränkt geführte Instrument der Umweltprüfung ist nun Bestand- ist. Die paritätische Mitbestimmung hat auch dazu bei- teil des Bauleitplanverfahrens und wird in die bestehen- getragen, dass deutsche Aufsichtsräte mit häufig 20 Mit- den Verfahrensschritte integriert. Zur Erleichterung der gliedern sehr groß sind. Das erschwert offene Diskussio- kommunalen Planungspraxis ist die Umweltprüfung im nen und zügige Entscheidungen. Es ist bedauerlich, aber Rahmen des Baugesetzbuchs jetzt ein so genanntes „Trä- auch bezeichnend, dass die Regierungskommission, die gerverfahren“. Das heißt, die bislang nebeneinander den Corporate Governance Kodex entwickelt hat, zustehenden planungsrechtlichen Umweltverfahren, die Fragen der paritätischen Mitbestimmung „in Abstim-Umweltverträglichkeitsprüfung, die Verträglichkeitsprü- mung mit dem Kanzleramt“ – Kommissionsbericht –fung nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und die keinerlei Empfehlungen abgegeben hat. naturschutzrechtliche Eingriffsregelung sind in der Um- weltprüfung sinnvoll zusammengefasst worden. So ist Fast alle wichtigen Vorstandsentscheidungen müssen das Prüfverfahren jetzt umfassender, unbürokratischer, heute im Konsens mit den Gewerkschaftsvertretern im eindeutiger und praktikabler als in der Vergangenheit. Aufsichtsrat gefällt werden. Die Konstellation birgt sys- tematisch die Gefahr in sich, dass die langfristigen Un- Wir sind bei der Novellierung des Baugesetzbuches in ternehmensziele den kurzfristigen Gewerkschaftsinteres- fairer und lösungsorientierter Diskussion zu einer sen zu stark untergeordnet werden. Langfristig sichere schnellen und alle zufrieden stellenden Einigung gekom- 10858 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) men, obwohl wir dort noch viel einschneidendere Verän- sollen. Da ist sicher etwas dran und doch ist es auch in(C) derungen vorgenommen haben: Außer der Einführung diesem Fall spannend zu schauen, was sich denn dahin- der Strategischen Umweltprüfung haben wir zumter verbirgt. Beispiel eine Vereinfachung des Planungsrechts vorge- nommen, städtebauliche Fragen aufgegriffen und einer Zunächst gilt es festzustellen, dass es sich bei dem Lösung zugeführt. Ferner haben wir neue Regelungen, Gesetzgebungsverfahren um eine typische Überführung insbesondere zu Biomasseanlagen, eingeführt, bei denen einer EU-Richtlinie in nationales Gesetz handelt. Wir ein angemessener Ausgleich zwischen dem Anliegen der sind dazu verpflichtet, diese Richtlinie umzusetzen und Förderung der Landwirtschaft und der erneuerbarendies auch in festgelegtem Rahmen. Kurz gesagt: die Zeit Energien einerseits und dem Schutz des Außenbereichs drängt. und der Sicherung einer geordneten städtebaulichen Ent- Der Gesetzesentwurf des BMU, der die EU-Vorlage wicklung andererseits vorliegt. zur Umsetzung in nationales Recht zur Grundlage hat, ist umfangreich und ambitioniert. Er zielt auf Umset- Wir haben mit dem Europaanpassungsgesetz Bau ge- zung des „Übereinkommens über die Umweltverträg- zeigt, dass wir gemeinsam und ohne viel Gezeter dazu in lichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen – der Lage sind, unser Recht überzeugend dem europäi- Espoo-Konvention“ und einzelner Elemente der Aarhus- schen anzupassen. Konvention wie die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Nach dem Bundestag hat nun auch der Bundesrat der Zugang zu Gerichten. Kurz, es geht um eine EU-Harmo- Novellierung des Baugesetzbuchs zugestimmt. nisierung und Modernisierung der Umweltverträglich- keitsprüfung, UVP. Ein zweiter, kleinerer Schritt zur Umsetzung der SUP-Richtlinie liegt jetzt vor uns: das Gesetz der Um- Unsere Aufgabe als Parlamentarier ist es, den Ent- weltverträglichkeitsprüfung zu einem Gesetz der Strate- wurf zu prüfen, ihn in inen se Auswirkungen auf die gischen Umweltprüfung zu machen. Dies sollten wirBundesrepublik – auf Bund, Länder und Gemeinden – ebenso vernünftig handhaben wie beim Baugesetzbuch. zu betrachten und zügig sowie in bestmöglicher Form in nationales Gesetz umzusetzen. Das Baugesetzbuch spezifiziert konsequent die allge- meinen Regelungen des Gesetzentwurfes zur Einführung In der heutigen ersten Lesung möchte ich einige Aus- der Strategischen Umweltprüfung. Das SUP-Gesetz ist wirkungen skizzieren: quasi die Basis, das so genannte „Stammgesetz“ zu allen Erstens. Mit dem SUPG wird das UVPG an die neue ergänzenden oder speziellen SUP-Bestimmungen imEU-Richtlinie angepasst. Das bedeutet, dass das UVPG Fachrecht. Das betrifft neben dem Baugesetzbuch auch nicht mehr nur die Umweltverträglichkeitprüfung regelt, (B) noch das Wasserhaushaltsgesetz, für das die fachrechtli- sondern auch die strategische Umweltprüfung, die be-(D) chen Anforderungen der Strategischen Umweltprüfung sagt, dass UV-Prüfungen schon im Stadium der Plan- außerdem durch den vorliegenden Entwurf geregelt wer- und Programmphase durchgeführt werden müssen. den. Im SUP-Gesetz sollen die Durchführung der Um- weltprüfung bei der Ausarbeitung, Annahme oder Ände- Zweitens. In ähnlicher Form hat das zu schaffende rung bestimmter Pläne und Programme und SUPG die auch wesentlichen Einfluss auf das Wasserhaus- wesentlichen Verfahrenselemente, wie zum Beispiel die haltsgesetz – WHG –, welches ebenfalls durch frühzei- Ausgestaltung des Umweltberichts oder die der Öffent- tige strategische Umweltprüfungen in der Planphase mo- lichkeitsbeteiligung, festgelegt werden. dernisiert wird. Es können in diesem Gesetz nur allgemeine und Drittens. Aufgrund der früheren Intervention des SUP grundsätzliche Regelungselemente verankert werden.bereits in der Planungsphase von Programmen ergeben Und die sind von Europa vorgegeben. Der Entwurf hält sich zusätzliche Verfahrensanforderungen wie die Erstel- sich sehr eng an die europäische Richtlinie und ich bin lung eines Umweltberichtes oder der früheren Öffent- überzeugt, dass wir es auch hier wieder schaffen, dielichkeitsbeteiligung sowie der dazugehörenden Überwa- Strategische Umweltprüfung als eine Chance für unsere chung. Umwelt sinnvoll und unbürokratisch umzusetzen. Viertens. Die gerade dargestellte frühere Intervention Im Sinne dieser gemeinsamen Aufgabe bitte ich Sie, betrifft die ganze Bandbreite von umweltauswirkenden meine Damen und Herren, um eine sachliche und lö-Planungen und Projekten, wie zum Beispiel Lärmminde- sungsorientierte Diskussion und eine uneitle Zusammen- rungs- und Luftreinhaltepläne, alle Bereiche des Hoch- arbeit. wasserschutzes, die Abfallwirtschaft, die Verkehrswege- planung, forstliche Rahmenplanungen, Landschaftspläne sowie FFH-Verträglichkeitsprüfungen. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Zu später Stunde beraten wir heute in erster Lesung den Entwurf eines Ge- Fünftens. Ein letzter Bereich der Auswirkungen des setzes zur Einführung der Strategischen Umweltprüfung SUPG, nämlich die Bereiche Raum- und Bauordnung, und zur Umsetzung der SUP-Richtlinie (SUPG). sind bereits vorbildhaft durch die Formulierungen im EAG Bau umgesetzt. Wären noch Besucher auf den Zuhörertribünen wür- den sie – wie sicher auch mancher Kollege – zu Recht Das zu schaffende SUPG hat erhebliche Veränderun- denken: SUP – wieder ein neues Richtlinenkürzel aus gen in der Umsetzung von umweltauswirkenden Vorha- dem wir das SUPG, ein neues Gesetzeskürzel, machen ben zur Folge. Es wird aber notwendig, weil sich gezeigt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10859

(A) hat, dass unser bisheriges Handwerkszeug, das UV-Prüf- die europäischen Richtlinien vorsehen. Insbesondere die (C) verfahren, oft zu spät kam, um unliebsame Folgen für Paragraphen 14 b), f), g), und i) gehen weit über den die Umwelt und unseren Lebensraum auszuschließen. Es Richtlinientext hinaus. wird nötig, weil es gerade im Umweltbereich zur Akku- mulation von negativen Auswirkungen in den Folgejah- Ich möchte die Kurzsichtigkeit dieses Vorgehens kurz ren kommt, die mit dem bisherigen UV-Prüfverfahren am Beispiel des Umweltberichtes erläutern. Die Erstel- nicht berücksichtigt werden konnten. Andererseits sind lung des Umweltberichtes durch die zuständige Behörde die Auswirkungen auf die deutsche Gesetzgebung gerin- ist ein wesentlicher Verfahrensschritt der strategischen Umweltprüfung. Für die Bewertung des Umweltberich- ger, weil wir mit dem Instrument des UVP schon den tes wird auf den autonomen Bewertungsmaßstab der Vorläufer gesetzlich verankert haben. Umweltverträglichkeitsprüfung verwiesen. Mit diesem Ein wesentlicheres Ziel als die EU-weite Rechtshar- Bewertungsmaßstab haben die zuständigen Behörden monisierung durch Umsetzung in nationales Recht ist, bereits Erfahrungen gesammelt, die gezeigt haben, dass dass viele Länder durch die SUP-Richtlinie erstmalig ein dieser Ansatz nur bedingt praxistauglich ist. Die verunsi- Gesetz erhalten, das Umweltprüfverfahren zwingendcherten Behörden verlangen von den Planungsträgern vorschreibt. zum Teil Untersuchungen, die für die Planungsentschei- dung letztlich nicht relevant sind. Es werden also völlig Ich schlage vor, dass wir in ähnlicher Form wie in der überflüssige Anforderungen gestellt, die keinerlei oben genannten EAG-Bau-Gesetzgebung vorgehen, um Zweck erfüllen. Das bedeutet nicht nur zusätzliche Kos- eine zügige Umsetzung der SUP EU-Richtlinie zu errei- ten für den Vorhabenträger, sondern auch einen Kosten- chen. Das Verfahren war geprägt durch konstruktive Zu- sprung für die öffentliche Verwaltung! sammenarbeit zwischen Regierungskoalition und Oppo- sition sowie zielführende Gesprächskultur. Des Weiteren sollte die strategische Umweltprüfung mit der Umweltverträglichkeitsprüfung ausreichend ge- Ich bin der Überzeugung, das gelingt uns wieder.koppelt werden. Die Abgrenzung der beiden Instrumente Meinen Teil trage ich gerne dazu bei. Die von uns Be- fällt selbst Fachleuten schwer. Auch sind die Anforde- richterstattern auf den 29. September 2004 festgesetzte rungen weitgehend deckungsgleich. Allein in der Phase Anhörung wird uns vermutlich eine Reihe von Anregun- der Anwendung besteht der entscheidende Unterschied. gen geben, die wir in die parlamentarische Arbeit auf- Deswegen ist eine Substituierung der Anforderungen bei nehmen werden. gleichzeitiger Erfüllung des anderen Instrumentes die lo- gische Schlussfolgerung. Doppelregelungen und Dop- Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Am Dienstag war es pelbelastungen können dadurch vermieden werden. auf Seite 4 des „Tagesspiegels“ zu lesen: „Die Bundesre- (B) gierung nimmt einen neuen Anlauf zum Bürokratieab- Es muss das Ziel sein, die Umsetzung des EU-Rechts (D) bau“. Im Bundeskabinett gibt es aber eine Person, die so zu erfüllen, dass staatliche Planung weiterhin in ver- permanent in entgegengesetzter Richtung tätig wird:tretbaren Zeiträumen und mit vertretbarem Aufwand zu Bundesumweltminister Jürgen Trittin. richtigen Entscheidungen kommen kann. Neuester Beweis ist das Gesetz über die Strategische In Deutschland brauchen Planungsverfahren mitunter Umweltprüfung. Kein geringerer als der deutsche Um- einige Jahre. In Anbetracht der Fülle der Regelungen, weltminister hat das Thema der strategischen Umwelt- die bei einem solchen Vorhaben einzuhalten sind, sollte prüfung in den Verhandlungen im Rat 1999 forciert. Zu- sich der Gesetzgeber mit weiteren Normierungen zu- vor war das SUP-Projekt von den jeweiligenrückhalten, jedenfalls dann, wenn sie – so wie hier – kei- Präsidentschaften nicht mit Priorität verfolgt worden.nen zusätzlichen Nutzen haben. Nun muss die aus diesen Bemühungen entstandene Die Gelegenheit war günstig. Im Zuge der Integration Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. der strategischen Umweltprüfung hätten auch die Insgesamt ist dies ein voller Erfolg für den Bun-Schwachstellen des Stammgesetzes, des UVP-Gesetzes, desumweltminister. Nur leider sind die schönen neuen behoben werden können. Das geltende Recht hätte ver- Regelungen in Deutschland überflüssig. Das geltende einfacht und korrigiert werden können. Aber anstatt aus deutsche Umweltrecht stellt auch ohne Einführung einer den bereits begangenen Fehlern zu lernen, werden diese strategischen Umweltprüfung sicher, dass Umweltbe- im Falle der strategischen Umweltprüfung wiederholt. lange vollständig und umfassend bei der Entscheidung Anstelle einer schlanken, bürokratiearmen Umsetzung, über einen Plan oder ein Programm berücksichtigt wer- erleben wir die Perpetuierung des Bürokratismus. den. Es handelt sich daher bei der Umsetzung der EU- Richtlinie um die Integration überflüssiger Vorschriften, Franz Obermeier (CDU/CSU): Fast schon gewohn- also um die Erledigung einer formalen Pflicht ohne er- heitsmäßig wird auch diese EU-Richtlinie wieder einmal kennbaren materiellen Ertrag. Das Thema der unnötigen in letzter Minute umgesetzt. Heute die erste Lesung, soll Bürokratie zieht sich wie ein roter Faden nicht nur durch sie bis zum 21. Juli schon in nationales Recht umgesetzt die Vita des Herrn Trittin, sondern auch durch das ge- worden sein. Für eine intensive sachliche Auseinander- samte SUP-Gesetz. Zum einen wird die Richtlinie nicht setzung fehlt eigentlich die Zeit. 1:1 umgesetzt. Wie schon bei der Umweltverträglich- keitsprüfung ist auch hier wieder die Beschreitung eines Grundsätzlich zu begrüßen ist der Gedanke, dass eine deutschen Sonderweges zu beobachten. Bundesdeut-Umweltprüfung nunmehr bereits ganz am Anfang von sches Recht wird stärker einschränkend umgesetzt, als es Planungen stehen soll. Das betrifft unter anderem Pläne 10860 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) im Abfallrecht, Immissionsschutzrecht, Wasserrecht, im für die Ausarbeitung, Annahme und Änderung von Ab- (C) Baurecht bzw. Raumordnungsrecht. Es wird also nicht fallwirtschaftsplänen, Lärmminderungs- und Luftrein- erst am Ende, erst bei der Zulassung von Einzelprojek- halteplänen zuständig sind. ten, eine systematische Umweltprüfung durchgeführt. Das bedeutet im Prinzip eine Stärkung der Positionen Gelebte Subsidiarität als Ausdruck von Kostenbe- des Umweltschutzes, wenn es richtig gemacht wird. wusstsein. Lassen Sie die Länder selbst bestimmen wie sie die Strategische Umweltprüfung am besten und kos- Herausgreifen möchte ich den Bundesverkehrswege- tengünstigsten einbauen. Das wäre auch ein wichtiger plan. In der Vergangenheit hat man sich in der Regel erst Beitrag zum sparsamen Umgang mit Steuermitteln. bei der Linienbestimmung nach dem Fernstraßengesetz intensiv auch mit den Umweltaspekten befasst. Resultat Zu diesem Thema passt, dass die Bundesregierung war, dass diese angesichts der Festschreibungen im Bun- den Behörden im SUPG auch gleich die Möglichkeit desverkehrswegeplan kaum mehr Eingang gefunden ha- einräumen will, externe Sachverständige und Dritte zu ben. Das könnte jetzt besser werden. beauftragen (geregelt in § 14 f. Abs. 4, Satz 3 SUPG). Das geht eindeutig über den Richtlinientext hinaus. Ich Ich sage ausdrücklich: könnte. Denn ich möchte aus denke, man sollte den Behördenmitarbeitern ruhig etwas gegebenem Anlass davor warnen, dieses neuerliche Prü- zutrauen und nicht gleich Beraterverträge wie einen Au- fungsverfahren mit allzuviel Regelungen zu überfrach- tomatismus einbauen. Der Bürger hat dafür sicher kaum ten. Die vorgeschriebenen Umweltprüfungen, wie die Verständnis. Also weg damit. neue Strategische, die Umweltverträglichkeitsprüfung Ich fordere Sie auf: Setzen Sie das Europarecht mit und die Verträglichkeitsprüfung nach FFH müssen mög- Klugheit und Umsicht um! Wählen Sie integrative An- lichst parallel und in Abschichtung durchgeführt wer- sätze und nutzen Sie Synergien im Verhältnis zu bereits den. Da auch landesrechtliche Pläne und Programme be- bestehenden Vorschriften. troffen sind, auch solche unterschiedlicher Ressorts, müssen neue Regelungen getroffen werden. Wir brau- Bei uns in Bayern gilt dazu der Grundsatz der Eins- chen schlanke, unbürokratische Gesetze auch auf Lan- zu-eins-Umsetzung von Europarecht. Das möchte ich desebene. Es ist schon schade genug, dass der deutsche auch allen anderen Ländern und besonders der Bundes- Einfluss von Bund und Ländern nicht gereicht hat, die regierung ans Herz legen. Wir haben bei uns bereits hohe EU-Richtlinie verfahrensmäßig gehörig abzuspecken. Umweltstandards. Bei allem Bemühen dürfen wir nicht Aber immerhin konnte das Schlimmste verhindert wer- über das Ziel hinauszuschießen und unsere Nachbarn den. umweltpolitisch links auf der Raserspur überholen. Ich appelliere an alle Beteiligten im künftigen Gesetz- Wir müssen auch an unseren Wirtschaftsstandort (B) (D) gebungsverfahren auf Bundes und Landesebene: Tun sie Deutschland denken und dürfen uns nicht noch selbst zu- alles, um Überregulierungen abzuwehren und zu vermei- sätzliche Fesseln anlegen, die wir nicht mehr abstreifen den! können. Die Hauptlast bei der Umsetzung werden die Länder zu schultern haben. Die notwendigen Ergänzungen der Birgit Homburger (FDP): Das SUP-Gesetz dient Landesplanungsgesetze müssen mit Augenmaß vorge- der Umsetzung der Richtlinie über die Prüfung der Um- nommen werden. So müssen beispielsweise im Raum- weltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme ordnungsrecht die Träger der Landes- und Regionalpla- vom 27. Juni 2001. Die Richtlinie muss bis zum 20. Juli nung erst noch Erfahrungen sammeln, wie die Richtlinie 2004 in nationales Recht umgesetzt werden. Diesen Ter- in der planerischen Praxis adäquat umgesetzt werdenmin werden wir – wieder einmal – nicht einhalten kön- kann. Hier brauchen wir realistische Vorgaben, die von nen, da Bundesumweltminister Trittin sich wieder ein- den Trägern auch leistbar sind. Kontraproduktiv ist hier mal nicht rechtzeitig um eine Umsetzung gekümmert eine zu große Einengung der Länder bei der Ausgestal- hat. Daher kann der Gesetzentwurf erst heute in erster tung der Verfahrensvorschriften. Die Bundesregierung Lesung debattiert werden. sollte sich speziell beim UVPG-Entwurf noch einmal ge- Ziel der Regelungen ist es dazu beizutragen, dass nauer mit dem Begriff „materieller Standard“ in § 140 Umwelterwägungen bei der Ausarbeitung und Annahme Abs. 2 befassen. Man könnte zu der Auslegung gelan- von Plänen und Programmen einbezogen werden. Es soll gen, dass er sich unter anderem auf die detaillierten Re- dafür gesorgt werden, dass bestimmte Pläne und Pro- gelungen der §§ 14 ff. UVPUG-E bezieht. Das aber wäre gramme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswir- das Aus für den Landesgesetzgeber. Denn damit hätte kungen haben, einer strategischen Umweltprüfung ent- der Bund bereits eine Vollregelung getroffen. Spielraum sprechend der Richtlinie unterzogen werden. Diese für die Länder gäbe es dann keinen mehr. Also fordere Umweltauswirkungen können und sollen frühzeitig be- ich hier mindestens eine Klarstellung. Im Ergebnis muss reits auf der Ebene der Planung und nicht erst im Zulas- den Ländern genügend gesetzgeberischer Handlungs- sungsverfahren erkannt werden. spielraum zugestanden werden. Denn nur so können die zusätzlichen Belastungen durch die SUP – das sind ein Die FDP unterstützt das Ziel der frühzeitigen Berück- hoher Verwaltungs- und Vollzugsaufwand und natürlich sichtigung der Umweltbelange, denn damit wird verhin- auch entsprechend höhere Kosten – noch am besten auf- dert, dass ökologische Fragen übersehen werden und gefangen werden. Am Ende sind es die Kommunen, bei Fehler passieren, die sich im Zulassungsverfahren nicht denen noch mehr Kosten entstehen, denn sie sind es, die mehr korrigieren lassen. Auch für die Wirtschaft ist dies Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10861

(A) von Vorteil, denn damit kann frühzeitig Klarheit undweltprüfung schafft Klarheit und Transparenz. Die Be- (C) Planungssicherheit geschaffen werden. hörden müssen künftig neben dem Planentwurf einen Umweltbericht ausarbeiten. Darin müssen sowohl alle Aus Sicht der FDP muss bei der Umsetzung derrelevanten Umweltauswirkungen des Plans aufgeführt Richtlinie auf praktikable, unbürokratische Regelungen und bewertet werden als auch Planungsalternativen. Das geachtet werden. Überflüssige deutsche SonderwegeGesetz gibt dafür ein Prüfraster und Bewertungsmaß- lehnt die FDP ab. Laut Antwort der Bundesregierung auf stäbe vor. Damit wird sichergestellt, dass Behörden und eine Kleine Anfrage der FDP setzt das SUPG die Richt- Parlamente eine belastbare Daten- und Entscheidungs- linie „europarechtssicher“ um. Damit wird umschrieben, grundlage bekommen. dass wieder einmal eine EG-Richtlinie nicht eins zu eins umgesetzt werden soll. In der Tat scheint es wenigDie Öffentlichkeit muss von Anfang an am Planungs- plausibel, wenn selbst Pläne, die aus spezifischen Um- prozess beteiligt werden. Das schafft mehr und breitere weltschutzgründen aufgestellt werden, selbst in den Gel- Informationen und zugleich mehr Akzeptanz. Der Plan- tungsbereich des Gesetzes einbezogen und auf Umwelt- entwurf und der Umweltbericht müssen öffentlich aus- auswirkungen geprüft werden sollen. gelegt werden, damit Bürger und Verbände ihre Vorstel- lungen einbringen können. Die Behörde darf diese Zweifellos wird die strategische Umweltprüfung auf- Äußerungen nicht ungeprüft zur Seite legen, sondern sie grund der neuen Prüfpflichten mit weiterem Zeitauf-muss sich mit ihnen auseinander setzen und anschlie- wand und Kosten verbunden sein. Die Kosten sindßend erklären, wie sie die Stellungnahmen berücksich- derzeit laut Gesetzesbegründung noch nicht einmal ab- tigt hat. Die Beteiligung steht also nicht nur „auf dem schätzbar. Der Gewinn für die Umwelt muss aber den Papier“, sondern sie muss wirksam und nachprüfbar Aufwand rechtfertigen und darf nicht nur marginal aus- praktiziert werden. fallen. Überflüssige Prüfpflichten und Prüfverfahren Der Gesetzentwurf setzt die Richtlinie zur Strategi- lehnt die FDP ab. Sie verursachen nämlich nicht nur un- schen Umweltprüfung europarechtssicher um. Sie ken- nötige Kosten, sondern binden auch Personal, das an an- nen das leidige Problem der UVP-Gesetze früherer Re- derer Stelle zum Beispiel auch für Umweltschutzaufga- gierungen, die dem Europäischen Gerichtshof nicht ben nicht eingesetzt werden kann. Sie sind damit unter standhielten. Das wird es bei der Strategischen Umwelt- ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten kon- prüfung nicht mehr geben. traproduktiv. Das Gesetz zur Strategischen Umweltprüfung setzt Die FDP wird sich konstruktiv an den weiteren Bera- hohe Prüfanforderungen einfach und effizient um. Die tungen beteiligen, in der Hoffnung auf eine vernünftige Sorge, hier kämen neue bürokratische Erschwernisse auf Umsetzung der Richtlinie. Voraussetzung dafür ist, dass (B) die Behörden zu, ist unbegründet. Der Gesetzentwurf(D) Rot-Grün endlich einmal eine gründliche politische Aus- enthält klare Regelungen, um Mehrfachprüfungen und einandersetzung im Umweltausschuss zulässt. überflüssigen Aufwand zu verhindern. Vor allem können die Ergebnisse der Strategischen Umweltprüfung auch Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- für andere Planungs- und Zulassungsverfahren genutzt schutz und Reaktorsicherheit: Das Gesetz zur Einfüh- werden. Das erspart Arbeit. Die Strategische Umwelt- rung einer Strategischen Umweltprüfung passt das deut- prüfung kann auch mit anderen Prüfverfahren – zum sche Planungsrecht an die europäische Richtlinie zurBeispiel einer FFH-Verträglichkeitsprüfung – verbunden Strategischen Umweltprüfung an. Bei umweltbedeutsa- werden. men Planungsverfahren sollen künftig die Folgen für die Die Verwaltungen sollten diese Möglichkeiten nut- Umwelt systematisch geprüft werden – also zum Bei- zen. Tun sie es nicht, müssen sie sich im Falle vermeid- spiel bei der Bundesverkehrswegeplanung, der Abfall- barer Mehrarbeit an die eigene Nase fassen. wirtschaftsplanung und bei Plänen zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz. Das Gesetz bringt ein deutliches Plus für die Umwelt und mehr Planungssicherheit. Davon profitieren Bund, Das Gesetz ist in mehrfacher Hinsicht eine deutliche Länder, Kommunen, Unternehmen und die Umwelt glei- Verbesserung: Es verhindert Fehlplanungen. Es verbes- chermaßen. sert die Beteiligung der Bürger. Es schließt europa- rechtskonform die Lücke zur Umweltverträglichkeits- prüfung. Anlage 29 Planerische Entscheidungen darüber, wo Industriean- Zu Protokoll gegebene Reden lagen errichtet oder Hauptverkehrsstraßen gebaut wer- den, sollen künftig erst getroffen werden, nachdem zu- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vor systematisch Umweltauswirkungen geprüft und Verbesserung des unfallversicherungsrechtli- bewertet wurden. Das nützt der Umwelt und verhindert chen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter teure Fehlplanungen. und weiterer Personen (Tagesordnungs- Die bisherige Umweltverträglichkeitsprüfung setzt punkt 30) erst im Genehmigungsverfahren an. Sie kann Umwelt- defizite früherer Planungsverfahren nicht erfassen. Des- Peter Dreßen (SPD): „Bürgerschaftliches Engage- halb brauchen wir auf der Planungsebene eigenständige ment ist eine unverzichtbare Bedingung für den Strategische Umweltprüfungen. Die Strategische Um- Zusammenhalt unserer Gesellschaft“. Mit dieser 10862 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Grundüberzeugung hat der Deutsche Bundestag in der Mit diesen Neuregelungen verbessern wir die Rah-(C) vergangenen Legislaturperiode die Enquete-Kommis- menbedingungen für ehrenamtlich Engagierte und damit sion „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ist dieses Gesetz ein weiterer richtiger Schritt bei der eingesetzt. Nach ihrer zweijährigen Arbeit hat die Kom- Förderung und Anerkennung von bürgerschaftlichem mission den politischen Entscheidungsträgern Hand-Engagement. lungsempfehlungen gegeben, wie wir die Rahmenbe- dingungen für bürgerschaftlich Engagierte verbessern Gerald Weiß (CDU/CSU): Im Grundsatz begrüßt die können. Ein zentrales Anliegen der Kommission war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den vorliegenden Ge- Gewährleistung eines angemessenen Unfallversiche-setzentwurf. Allerdings sehen wir im Detail Nachbesse- rungsschutzes. rungsbedarf. Ehrenamtlich engagierte Personen leisten einen wich- Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird der tigen Beitrag für unser Gemeinwesen. Deshalb sollte die Deutsche Bundestag noch bestehende Lücken im Versi- Solidargemeinschaft diesen Personenkreis gegen Unfall- cherungsschutz der Ehrenamtlichen in privatrechtlichen risiken absichern. Diese Ansicht teilen wir und deshalb Organisationen schließen. setzen wir nun die Empfehlung der Kommission um. Mehr als 2 Millionen bürgerschaftlich Engagierte wer- Zu den aus unserer Sicht noch offenen Detailfragen: den künftig von einem verbesserten Unfallschutz profi- Der Gesetzentwurf sieht eine Neufassung des § 2 tieren. Abs. 1 Nr. 10 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vor. Der § 2 SGB VII definiert den Kreis der kraft Gesetzes Wichtig ist es mir, an dieser Stelle zu bemerken, dass Versicherten. Im Gesetzentwurf findet sich in der Nr. 10 wir mit dem vorliegenden Gesetz keinen umfassenden jetzt eine Untergliederung in die Buchstaben a bis c. Da- Versicherungsschutz für Tätigkeiten jedweder Art bieten mit wird der Kreis der Versicherten sinnvoll erweitert. können, nicht nur angesichts der leeren öffentlichen Kassen, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Frei- Die Erfahrung zeigt, dass Gebietskörperschaften Auf- willigenarbeit sich eben genau dadurch auszeichnet, dass gaben, die sie bislang selbst wahrgenommen haben, ver- kein Gegenwert – beispielsweise durch eine Berücksich- mehrt durch bürgerschaftlich Engagierte unentgeltlich tung bei der Rente – erwartet wird. Deswegen geht es erfüllen lassen. Deshalb erfolgt die Neufassung des § 2 uns bei dem vorliegenden Gesetz vor allem darum, be- Abs. 1 Nr. 10 a. stehende Sicherheitslücken zu schließen. Der geltende § 2 Abs. 2 SGB VII besagt, dass Perso- Künftig gilt: Wer im öffentlichen Interesse ehrenamt- nen, die wie Beschäftigte tätig werden, wie diese kraft Gesetzes versichert sind. Die angesprochenen bürger- (B) lich tätig wird, ist versichert. Das kann in Hilfsorganisa- (D) tionen, in Gewerkschaften, in Arbeitgeberverbändenschaftlich Engagierten fallen jedoch nicht unter diese oder in Kommunen sein. Bei der ehrenamtlichen Tätig- Bestimmung, weil sie nicht als Einzelpersonen, sondern keit in der Kommune wird es von nun an nicht einmal für ihre privatrechtliche Organisation – zum Beispiel ih- mehr eine Rolle spielen, ob der Engagierte direkt für die ren Verein – auftreten. Deshalb besteht nach der gelten- Kommune oder mittelbar als Vereinsmitglied aktiv ist. den Rechtslage bislang kein Versicherungsschutz. Konkret heißt das: Wenn, wie in meinem Wahlkreis Mit dem vorliegenden Gesetz soll erreicht werden, Emmendingen-Lahr, Freibäder durch Bürgerinitiativen dass der Versicherungsschutz besteht, wenn die Gebiets- betrieben werden, so sind die dort Engagierten künftig körperschaft zur Durchführung eines konkreten Vorha- unfallversichert. Ebenso werden im Sportverein von nun bens einen Auftrag erteilt oder ihre Zustimmung erklärt an nicht mehr nur der Übungsleiter, sondern auch derhat. Notfalls genügt eine nachträgliche Einverständniser- Vereinsvorsitzende und der Sportwart unfallversichert klärung. Die Zuständigkeit für den Versicherungsschutz sein. Auch Personen, die für Gewerkschaften oder Ar- liegt – so die Begründung des Gesetzentwurfes – bei den beitgeberverbände in Tarifkommissionen tätig sind, wer- Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand. Wenn den künftig vom Schutz der gesetzlichen Unfallversiche- diese Zuordnung auch nach den parlamentarischen Bera- rung profitieren. Dasselbe gilt ebenso für kommunale tungen bestehen bleiben sollte, sollte dies zur Klarstel- Mandatsträger, Schöffen bei Gericht oder Schülerlotsen. lung auch im Gesetzestext verankert werden. Ehrenamtliche beim Roten Kreuz, beim Technischen Eine Ausweitung religionsgemeinschaftlicher Aufga- Hilfswerk oder bei einer anderen Hilfsorganisation be- ben findet auch im kirchlichen Bereich statt. Auch hier kommen künftig Sachschäden ersetzt. Das kann dasübernimmt zumeist eine privatrechtliche Organisation Handy sein, das bei der Rettung von Ertrinkenden verlo- den Auftrag oder erhält die Zustimmung einer Kirche. ren oder die Uhr und die Brille, die beim Einsatz zuHierfür wird die gleiche Lösung gefunden wie beim En- Bruch geht. Damit werden auch diese ehrenamtlich En- gagement für die Gebietskörperschaften. Die Mehrkos- gagierten durch unser Gesetz besser gestellt. ten für diesen Versicherungsschutz tragen die öffentlich- rechtlichen Religionsgemeinschaften. Der Gesetzent- Kirchen und gemeinnützige Organisationen, wie zum wurf schätzt diese Mehrkosten auf etwa 4 Millionen Beispiel Sportvereine, können ihre Ehrenamtsträger mit Euro. dem vorliegenden Gesetz künftig freiwillig versichern. Auch wird der Schutz auf Beschäftigte ausgeweitet, die Der Gesetzentwurf sieht vor, diese beiden Gruppen zeitweise für internationale Organisationen arbeiten und Ehrenamtlicher durch die Unfallversicherungsträger der sich bislang privat unfallversichern mussten. öffentlich-rechtlichen Körperschaften versichern zu las- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10863

(A) sen. Dies bedeutet in der Zuordnung einen systemati- Weitere Details sollten den Ausschussberatungen vor- (C) schen Bruch im SGB VII. Denn bislang entscheidet sich behalten bleiben. die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers immer nach dem Arbeitgeber bzw. der Organisation, für die die Der Gesetzentwurf ist ein begrüßenswerter Schritt in jeweils Tätigen aktiv werden. Es richtet sich nicht nach die richtige Richtung undwir hoffen auf konstruktive dem Auftraggeber. Ein Bauarbeiter ist bei seiner Bau- Beratungen im Ausschuss. BG versichert und nicht bei der Metall-BG des Stahl- werks, für die er ein neues Gebäude hochzieht. Gerlinde Kaupa (CDU/CSU): Über 21 Millionen Der Gesetzentwurf orientiert sich bei der Versiche- Menschen sind in Deutschland ehrenamtlich engagiert. rung der Ehrenamtlichen am Auftraggeber, also der öf- Ohne bürgerschaftliches Engagement geht in vielen ge- fentlichen Hand oder einer Kirche. Setzt man die beste- sellschaftlichen Bereichen in unserem Land gar nichts: hende Systematik fort, müssten die Ehrenamtlichen über nicht im sozialen, nicht im kirchlichen, nicht im kulturel- ihre privatrechtliche Organisation grundsätzlich bei ei- len Bereich, nicht im Sport, nicht in der Rechtspflege, ner gewerblichen Berufsgenossenschaft versichert sein. nicht beim Gesundheitsdienst, nicht beim Katastrophen- Es spricht viel dafür, die bestehende Systematik fortzu- schutz und nicht im Rettungswesen. setzen. Allerdings müsste man in der Ausschussberatung Überall setzen sich die Menschen freiwillig, uneigen- ein möglichst einfaches Verfahren erarbeiten. nützig und unentgeltlich für einen gemeinnützigen Bleibt man bei der Zuordnung zu den Unfallversiche- Zweck ein. Man kann also mit Fug und Recht sagen: Die rungsträgern der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Ehrenamtlichen halten unsere Gesellschaft zusammen. dann liegt es nahe, zwischen den in den Nr. 10 a und b Wer sich engagiert, läuft natürlich auch Gefahr, in genannten Körperschaften und den in deren Auftrag oder Ausübung seiner ehrenamtlichen Tätigkeit an Leib, Le- mit deren Zustimmung ehrenamtlich für eine privat-ben und Gesundheit Schaden zu nehmen. Das damit ver- rechtliche Organisation Tätigen eine „die Versicherung bundene finanzielle Risiko wird er aber nicht tragen kön- begründende Beziehung“ anzunehmen. Vereinfacht ge- nen und wollen. Da er sich für das Gemeinwesen sagt, es wird so getan, als wenn Herr Müller, der Mit- einsetzt, ist es nur gerecht, dass der ehrenamtlich Tätige glied eines Bürgervereins ist und ehrenamtlich für seine auch den solidarischen Schutz der Gemeinschaft bean- Gemeinde arbeitet, mit seiner Gemeinde ein „Arbeits- sprucht, wenn es einmal notwendig werden sollte. verhältnis“ hätte. Der Bürgerverein stünde in der rechtli- chen Betrachtung nicht zwischen der Gemeinde und Der Gefahr von möglichen Schadensereignissen und Herrn Müller. Es gäbe ein direktes Verhältnis zwischen den daraus resultierenden finanziellen Folgen sind sich (B) Herrn Müller und seiner Gemeinde. Rechtstechnischdie ehrenamtlichen Helfer, aber auch die Vereine nicht(D) könnte dies zum Beispiel durch die Ergänzung des § 136 immer hinreichend bewusst. Der Versicherungsschutz ist Abs. 3 SGB VII um eine fünfte Ziffer sichergestellt wer- oftmals lückenhaft. Deshalb tut eine Verbesserung des den. gesetzlichen Versicherungsschutzes für bürgerschaftlich Engagierte Not. Diese würde dann lauten: Unternehmer ist, Das unionsregierte Hessen und Niedersachsen haben „5. … in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 10 a und b zwischenzeitlich für ihren Bereich gehandelt. Sie haben der Rechtsträger, in dessen Auftrag oder mit dessen als Auffangregelung Rahmenverträge für einen Unfall- Zustimmung ehrenamtliche Tätigkeiten oder hierauf und sogar einen Haftpflichtversicherungsschutz abge- gerichtete Ausbildungsveranstaltungen im Rahmen schlossen. Damit sind die dort lebenden Bürger während privatrechtlicher Organisationen erfolgen.“ der Ausübung ihres Ehrenamtes unfallversichert. Die Ehrenamtliche in Arbeitgeberorganisationen oder Ge- Arbeit der verantwortlich Tätigen im Vorstand genießt werkschaften erhalten künftig ebenfalls den umfassen- kostenlosen Haftpflichtschutz, Selbstbehalt. den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Damit wird eine Gleichstellung mit ehrenamtlich Tätigen in den Wir begrüßen, dass jetzt auch die Regierungskoalition Handwerkskammern und in den Industrie- und Handels- für den Zuständigkeitsbereich des Bundes die bestehen- kammern hergestellt. Als Mitglieder in öffentlich-recht- den Lücken beim Unfallversicherungsschutz schließen lichen Körperschaften genießen sie bereits nach bisheri- will. Der Gesetzentwurf war allerdings auch überfällig, ger Rechtslage Versicherungsschutz. Selbstverständlich nachdem Sie Zeit haben verstreichen lassen, weil sie ist diese wünschenswerte Ausweitung des Versicherten- sich offenbar geziert haben, mit uns gemeinsam einen schutzes allerdings nicht. Sie kann deshalb erfolgen,Entwurf hier im Bundestag einzubringen. Es ist ohnehin weil Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände wie auchwenig genug, was die Bundesregierung für das Ehren- Gewerkschaften Träger der verfassungsrechtlich ge-amt tut. Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürger- währleisteten Koalitionsfreiheit sind. Deshalb erscheint schaftlichen Engagements“ hatte in der vergangenen Le- auch uns die Erweiterung trotz des privatrechtlichengislaturperiode in ihren Handlungsempfehlungen eine Charakters dieser Organisationen gerechtfertigt. Reihe von Forderungen aufgestellt, denen die Regie- rungskoalition bis heute nicht nachkommt. Im Unteraus- Außerdem erscheint es sinnvoll, das Verhältnis zwi- schuss „Bürgerschaftliches Ehrenamt“ drücken Sie sich schen dem bislang kraft Gesetzes bestehenden Versiche- nach wie vor um entsprechende Anträge der Union, mit rungsschutz für ehrenamtlich Tätige und der Möglich- denen die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kom- keit der freiwilligen Versicherung eindeutiger zu regeln. mission aufgegriffen werden. 10864 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Die mit dem vorgelegten Gesetzentwurf verbundenen tiger Schritt zur Würdigung und Unterstützung dieser (C) finanziellen Belastungen für den Bund sind absolut zu unbezahlten Leistung – sicherlich ein eher kleiner, aber vernachlässigen. Vielleicht ist es diesem Umstand zuim konkreten Einzelfall – wenn es zu einem Unfall kom- verdanken, dass zugunsten des Ehrenamtes wenigstens men sollte – ein sehr bedeutender Schritt. der Versicherungsschutz für Ehrenamtliche behandelt Bürgerschaftliches Engagement findet an vielen Or- wird. Für die Kommunen mit 150 000 Euro Kostenbe- ten statt: in Vereinen, Organisationen, aber auch spontan lastung und die öffentlich-rechtlichen Religionsgemein- im Zusammenschluss für ein bestimmtes Vorhaben. schaften mit 4 Millionen Euro sind da die erheblich grö- Grüne Wurzeln liegen eher in den sich spontan gründen- ßeren Belastungen zu schultern. Aber sei es drum: Die den Bündnissen, aber viele unserer Mitglieder sind auch Gesetzesvorlage entspricht in ihrer Zielsetzung der For- in traditionellen Organisationen wie Sportvereinen oder derung der Enquete-Kommission, das ehrenamtliche Kirchengemeinden verankert. Engagement nachhaltig zu fördern. Der Gesetzentwurf erweitert den Personenkreis, für den ein gesetzlicher Un- Die Erweiterung der Pflichtversicherung auf weitere fallversicherungsschutz besteht. Er trägt der Entwick- Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements kommt lung Rechnung, dass der Kreis privatrechtlicher Organi- mehr als 1,5 Millionen Frauen und Männern zugute. sationen, die mit der Wahrnehmung ehrenamtlicherDiese engagieren sich in Kommunen, Kirchen, Gewerk- Tätigkeiten betraut sind, im Bereich öffentlicher Aufga- schaften und Arbeitgeberorganisationen oder sind im benerfüllung und religionsgemeinschaftlichen Wirkens Auftrag von Kirchen und Kommunen tätige Freiwillige ständig ausgeweitet wird und er sorgt mit seiner einheit- und Ehrenamtliche aus Vereinen oder Verbänden. lichen Regelung für mehr Transparenz und Vereinfa- chung. Das ist gut so. Auf das Engagement von mehr als 5 Millionen Frauen und Männern in diesen Bereichen können und Ich möchte zwei Beispiele nennen. Erstens:wollen wir nicht verzichten. Dadurch, dass zukünftig Schwimmbad. Wenn Bürger den Betrieb Kirchen eines und Kommunen die Beiträge für die Unfallver- Schwimmbades von der Kommune übernehmen, dann sicherung aufbringen, machen sie deutlich, dass sie die macht es nach bisher gültiger Rechtslage einen Unter- Arbeit dieser Menschen wertschätzen und nicht als schied, ob sich die Bürger zu diesem Zweck als Verein selbstverständlich wahrnehmen. Das ist wichtig, denn haben eintragen lassen oder nicht. Vereinsmitglieder ha- unsere Gesellschaft braucht neben der bezahlten Fach- ben bisher keinen gesetzlichen Unfallversicherungs-lichkeit den tätigen Bürger und die tätige Bürgerin. schutz; eine nicht so organisierte Vereinigung kann ihn Es sind etwa die Mitglieder eines Vereins, die Zeit dagegen in Anspruch nehmen. Nach dem neuen Recht und Energie für die Gestaltung und die Instandsetzung wird diese verwirrende Handhabung beendet. Gesetzli- eines Kinderspielplatzes einbringen. Oder ein Verein (B) cher Versicherungsschutz würde in diesem Fall jetzt un- (D) übernimmt den Betrieb des kommunalen Schwimmba- abhängig von der Organisationsform der Ehrenamtlichen des und seine Mitglieder leisten die gesamte Organisa- gewährt. tion und den Bademeisterdienst. Aber auch das Engage- Zweitens: Sportverein. Hier erscheint mir die Rege- ment Jugendlicher, die Woche für Woche für ihre lung sehr wichtig, die den gewählten Ehrenamtsträgern Kindergruppe verantwortlich sind, zeigt, dass Verant- jetzt wenigstens die Möglichkeit einräumt, sich freiwil- wortung und Selbstverwirklichung zusammengehören. lig zu versichern. Das heißt, der Verband versichert sei- Sportvereine und gemeinnützige Organisationen kön- nen Vorsitzenden freiwillig auf Kosten des Verbandes. nen zukünftig ihre gewählten Ehrenamtsmitglieder frei- Es war bisher auch gar nicht einzusehen, dass ausgerech- willig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern. net die Vorstandsmitglieder eines Vereins, die in dieser Dies ist sicherlich günstiger als der Abschluss einer pri- Funktion in besonderer Weise Verantwortung tragen, vaten Versicherung. Hier wird eine Möglichkeit geschaf- weder einen gesetzlichen noch einen freiwillig erzielba- fen, die von einer hoffentlich großen Zahl von Vereinen ren Versicherungsschutz genießen sollten. und Verbänden genutzt wird. Perspektivisch sollte unser Einen Haken hat die Sache allerdings für die nichtZiel sein, eine Versicherung aller dort freiwillig Enga- rechtsfähigen Vereine wenn es dabei zugegebenermaßen gierten zu ermöglichen. auch nur um den kleinsten Teil der Vereine geht: Sie Für einige der im Ausland für zwischen- oder über- bleiben von der Regelung ausgeklammert. Nur die als staatliche Organisationen tätige Deutschen und bei deut- gemeinnützig anerkannten Vereine, also die eingetrage- schen staatlichen Einrichtungen Beschäftigten wird der nen Vereine – e. V. –, werden von der Regelung einbezo- Unfallschutz ebenfalls verbessert. Im Laufe des Gesetz- gen. Hier sind ergänzende Regelungen wünschenswert. gebungsverfahren sollten wir überprüfen, ob durch die Alles in allem ist der Gesetzentwurf eine lang erwar- vorgesehenen Regelungen auch ehrenamtliche Wahl- tete Maßnahme, die dem Anspruch gerecht wird, den eh- beobachterinnen und -beobachter versichert sind oder renamtlich tätigen Bürgern Anerkennung zu zollen und wie diese noch einbezogen werden können. Diese ehren- die Förderung des Gemeinsinns in unser aller Interesse amtlichen Wahlbeobachterinnen und -beobachter sind voranzutreiben. weltweit über das Zentrum für internationale Frie- denseinsätze zu fünftägigen Kurzeinsätzen unterwegs zu Wahlen, die von der OSZE überwacht werden. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der verbesserte Unfallversicherungsschutz für ehrenamtliche Vielfältiges Engagement im neuen und alten Ehren- Arbeit und bürgerschaftliches Engagement ist ein wich- amt wird durch diesen vorliegenden Gesetzentwurf un- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004 10865

(A) terstützt. Das entspricht auch den Forderungen der En- nach dem Recht des ausländischen Beschäftigungsstaa- (C) quete-Kommission „Bürgerschaftliches Engagement“ tes unfallversichert sind. Ich denke, hier sind Konstella- aus der letzten Legislaturperiode. Es ist gut, wenn diese tionen vorstellbar, die es sinnvoll erscheinen lassen, dass Arbeit nicht folgenlos bleibt. der Umfang der Absicherung nach deutschem Recht ge- regelt wird. Eine Anhörung wird hierbei die Meinungs- Ina Lenke (FDP): Für Liberale ist die Bürgergesell- findung unterstützen können. schaft Leitbild und Bezugsrahmen. Wir verstehen hie- runter ein Gemeinwesen, in dem sich die Bürgerinnen Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär bei der Bun- und Bürger im Rahmen der Demokratie selbst organisie- desministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: ren und auf die Geschicke des Gemeinwesens einwirken. Gerade dieses Engagement, welches zumeist in der Frei- Willst Du froh und glücklich leben, zeit ehrenamtlich und somit unentgeltlich für die Gesell- Lass kein Ehrenamt dir geben! schaft erbracht wird, genießt unsere größte Wertschät- Wie viel Mühen, Sorgen, Plagen zung. Wie viel Ärger musst du tragen, Gibst viel Geld aus, opferst Zeit – Die Tätigkeit Ehrenamtlicher ist allerdings mit Risi- Und der Lohn? – Undankbarkeit! ken verbunden, die der Einzelne im Rahmen seines En- gagements selten bedenkt oder die ihm nicht bewusst Diesem Rat von Wilhelm Busch wollen wir mit dem sind. Gerade vor dem Hintergrund, dass Ehrenamtliche Gesetz zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtli- ihre anerkennenswerte Leistung unentgeltlich für diechen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Gesellschaft zur Verfügung stellen, sollten sie weitestge- Personen heute ein Stück Dankbarkeit entgegenstellen. hend vor Risiken geschützt und davon entlastet werden. Ohne Ehrenamt würde es in unserer Gesellschaft we- Die rechtlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaft- sentlich weniger Zusammenhalt geben. Gerade in Zeiten lich Engagierte müssen so ausgelegt sein, dass Bürgerin- der Veränderung und des Wandels ist die ehrenamtliche nen und Bürger nicht dadurch besondere Nachteile erlei- Arbeit unentbehrliches Bindeglied für unsere Gemein- den, wenn sie im Zusammenhang mit der Ausübungschaft. ihres bürgerschaftlichen Engagements geschädigt wur- 22 Millionen Menschen in Deutschland engagieren den. sich ehrenamtlich und bürgerschaftlich mit im Durch- Die FDP spricht sich dafür aus, den versicherungs- schnitt 174 Stunden im Jahr. Für sie steht die Aufgabe rechtlichen Schutz bürgerschaftlich Engagierter breiter im Vordergrund, nicht eine Bezahlung. Dies sollte uns in der Öffentlichkeit zu thematisieren, um das notwen- veranlassen, diesen Menschen nicht nur die verdiente so- (B) dige Problembewusstsein zu schaffen. ziale Anerkennung zu geben, sondern auch den notwen- (D) digen sozialen Schutz. Es war ein besonderes und zentrales Anliegen der En- quetekommission „Bürgerschaftliches Engagement“ aus Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen der letzten Legislaturperiode, dass bürgerschaftlich En- haben deshalb einen Gesetzentwurf zum Unfallschutz gagierte sowohl im haftungsrechtlichen Bereich als auch bei bürgerschaftlichem Engagement eingebracht. Einen im Bereich der Unfallversicherung geschützt und abgesi- gleichlautenden Entwurf hat die Bundesregierung am chert werden. Bereits heute sind Teilbereiche des bürger- Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen. Ziel unserer schaftlichen Engagements durch die Einbeziehung in die Initiative ist es, mehr ehrenamtlich Engagierten als bis- gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Wir begrü- her den Schutz der Unfallversicherung zu ermöglichen. ßen daher das Anliegen des Gesetzentwurfes, für weitere Wir greifen damit die Empfehlungen der Enquete- Teile der ehrenamtlich Engagierten Rechtssicherheit im Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engage- Bereich der Unfallversicherung zu schaffen. ments“ auf. Diese hat sich für eine schrittweise Auswei- Die Enquete-Kommission hat hierzu festgestellt: tung der gesetzlichen Unfallversicherung auf weitere Felder der ehrenamtlichen Arbeit ausgesprochen. Dies Als weiterer staatlicher Beitrag wird zur Vermin- setzen wir nun um. derung der Haftpflichtrisiken eine sukzessive Aus- weitung der gesetzlichen Unfallversicherung auf Schon in der Vergangenheit ist zugunsten der bürger- weitere Felder bürgerschaftlichen Engagementsschaftlich Engagierten viel erreicht worden. Unter- empfohlen, wenn und soweit auf andere Art undschiedlichste Personengruppen, die sich im Interesse der Weise eine zufrieden stellende Lösung des Pro-Allgemeinheit engagieren, sind gegen Unfallrisiken ge- blems nicht erreicht wird. schützt. Für sie tritt die Unfallversicherung bereits heute mit Heilbehandlung, Rehabilitation und Unfallrenten Hier stellt sich die Frage, ob die im Gesetzentwurfein. festgelegte Lösung vielleicht noch verfeinert werden könnte. Das gilt insbesondere für das Ehrenamt in Wohl- fahrtsverbänden wie der Caritas oder der Diakonie, aber Dies gilt auch insbesondere für den weiteren Perso- auch für neue Formen des Engagements, zum Beispiel in nenkreis, der von diesem Gesetzentwurf erfasst wird. Es der Aids-Hilfe oder in der Hospizbewegung. Im Gesund- muss zum Beispiel noch einmal genau hinterfragt wer- heitsdienst und in der Wohlfahrtspflege besteht schon den, ob die Änderungen in § 3 Abs. 1 SGB VII tatsäch- nach geltendem Recht ein vergleichsweise umfassender lich nur dann greifen sollen, wenn die Personen nichtUnfallschutz. 10866 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 118. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2004

(A) Auch bei den Kirchen haben wir bereits ein festes Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages(C) Fundament geschaffen. Wer sich als Mitglied im Kir-hat die Bundesregierung darum gebeten, künftig auch chenvorstand oder als Ministrant engagiert, steht unter den Freiwilligen in den Rettungsorganisationen einen dem Schutz der Unfallversicherung. Insgesamt sind dies Sachschaden-Ersatzanspruch zu geben. Anlass war der immerhin 1,6 Millionen kirchliche Ehrenamtsträger, die Schaden einer DLRG-Rettungsschwimmerin, die beim heute schon bei der Berufsgenossenschaft gemeldet sind. Rettungseinsatz Brille und Uhr verloren hatte. Wir haben Allerdings gibt es auch Kritik an der bestehenden Be- das Votum des Petitionsausschusses aufgegriffen. Derar- grenzung: So ist der Messdiener im Jugendgottesdienst tige Sachschäden unterliegen künftig auch dem Versi- unfallversichert, der Leiter eines kirchlichen Jugendla- cherungsschutz. gers aber nicht. Das wollen wir ändern. Das wird jetzt Ein ganz anderer, aber ebenso wichtiger Aspekt unse- besser. res Vorhabens ist der Schutz von Beschäftigten, deren 2,7 Millionen ehrenamtlich Aktive haben wir imArbeitsverhältnis hierzulande ruht, weil sie im interna- Sport. Sie leisten in den entsprechenden Vereinen und tionalen Bereich tätig werden. Verbänden über 500 Millionen Stunden engagierte Ar- beit. Hier sind die im Verein ehrenamtlich tätigenUnsere Welt vernetzt sich zusehends. Deshalb ist es Übungsleiter bereits in die gesetzliche Unfallversiche- im Interesse unseres Landes, wenn sich zum Beispiel rung einbezogen. Sportwarte, Abteilungsleiter oder Ver- deutsche Pädagogen vom Auswärtigen Amt an Schulen einsvorsitzende sind dagegen von dieser Sicherungsleis- in anderen Teilen der Welt vermitteln lassen, oder dass tung ausgeschlossen. Das soll anders werden. Das wird Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zwischenzeitlich jetzt besser. Sie können wie künftig auch andere ge-zu überstaatlichen Organisationen wechseln. wählte ehrenamtlich Aktive in gemeinnützigen Vereinen und Organisationen in der Unfallversicherung versichert Auch hier verbessern wir den sozialen Schutz. Die werden. Betroffenen sollen künftig gegen Unfallrisiken gesetz- lich versichert sein. Damit leisten wir einen wichtigen Auch im kommunalen Bereich sind schon jetztBeitrag, noch mehr Menschen für solche Aufgaben zu 1,7 Millionen Ehrenamtliche versichert: Von den Schöf- gewinnen. fen bei Gericht über den Kommunalpolitiker bis hin zum Schülerlotsen. Viel ist hier bereits erreicht. Doch wir Wer Leistungen vorsieht, muss deren Finanzierung si- wollen und wir müssen den Schutz für die Menschenchern. Versicherungsschutz zum Nulltarif kann es natür- ausweiten. Deshalb wird er jetzt besser werden. lich nicht geben. Menschen, die im Interesse der Allge- meinheit tätig werden und sich dabei zeitlich und Dafür gibt es auch gute Gründe: Es haben sich neue (B) (D) Formen des bürgerschaftlichen Engagements herausge- persönlich einsetzen, dürfen nicht noch finanziell belas- bildet. Verstärkt sind die Kommunen in den letzten Jah- tet werden; denn der Staat spart durch die Arbeit Freiwil- ren dazu übergegangen, Eigenleistungen ihrer Bürgerin- liger nicht nur viel Geld, sondern er ist auch auf der Ge- nen und Bürger einzufordern und Projekte in solcherwinnerseite. Wenn bürgerschaftlich Engagierte etwa im Eigenleistung durchführen zu lassen. kommunalen Bereich Bauleistungen erbringen, erhalten die Kommunen auch einen Vermögenszuwachs im Wert So werden bereits einige städtische Freibäder vonder errichteten Baulichkeiten. Fördervereinen bewirtschaftet und organisiert. Bürger- häuser werden durch örtliche Betreibergemeinschaften Die notwendigen Finanzmittel sind daher von denje- geführt. Schulvereine übernehmen die Renovierung von nigen aufzubringen, die auch etwas von der Arbeit bür- Klassenzimmern. Anwohner bauen eigenständig einen gerschaftlich Engagierter haben. Auch für die gemein- Kinderspielplatz. nützigen Vereine und Organisationen, die ihre Ehrenamtler versichern wollen, wird der finanzielle Auf- Hier wollen wir den Versicherungsschutz ermögli- chen, wenn das Vorhaben im Auftrag oder mit Zustim- wand für die Unfallversicherung vertretbar sein. Die mung der Kommune durchgeführt wird. große Zustimmung der Verbände, die hierzu an vorberei- tenden Gesprächen teilgenommen haben, zeigt uns dies. Bereits unfallversichert sind schließlich auch die Ak- tiven in den verschiedenenRettungsorganisationen: in In diesem gemeinsamen Interesse sollten wir das Ge- der Freiwilligen Feuerwehr, dem THW, dem DRK, dem setzgebungsverfahren noch in 2004 zum Abschluss brin- ASB, dem Malteser-Hilfsdienst, den Johannitern, beim gen. Dann können die Verbesserungen mit Beginn des Roten Kreuz, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesell- kommenden Jahres greifen. Wir hätten etwas Gutes dazu schaft und anderen. Hier geht es nicht darum, den Kreis beigetragen, dass Bürgersinn und Verantwortungsgefühl der Versicherten zu erweitern, sondern eine ergänzende in unserer Gesellschaft gestärkt und besser gegen Risi- Leistung vorzusehen. ken versichert sind.

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