© Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at Die Höhle von Shantipur bei (Nepal)

Von H. Daniel Gebauer (Schwäbisch-Gmünd)

Summary: In Kathmandu Valley hill is supposed to house a cryptic cave secreted away below the shrine Shantipur. The 16lh century text Swayambhu Purana, reports on the mystic drainage of Kathmandu palaeo-lake and the consequent creation of the supposedly cavernous hill. Basic facts are confirmed by geological investigation. At Shantipur a 17th century stone inscription in Sanskrit, and a roll painting on paper of the same age with mixed captations in Newari and Nepali describe and illustrate a cave trip by king Pralapa Malla in late June of 1658 a. d. The roll painting's rave plan shows a succession of subterrean chambers. Bats were encountered while descending to a final, substantially air-draughting constriction barring access to a hike beyond. Techniques of cultural history, especially line arts and literary archaeology are applied to interpret the anisotrope cave plan as a c ase of psycho physic portrayal of symbolic qualities. The cave map does not pretend to reproduce a rationally constructed Euklids space. Geological situation, ancient texts, oral tradition and historical facts are discussed to fathom the potential existence of a forbidden cave- site, where even partial access is restricted to an extremely limited number of outstanding and privileged persons.

Zusammenfassung: Der Hügel Swayambhunath im Tal von Kathmandu kann eine kryptischc Höhle enthalten, die unter dem Schrein von Shantipur verborgen ist. Die Trocken• legung des Paläo-Sees von Kathmandu und die Schaffung des vermutlich höhlen• führenden Hügels wird bereits im Sanskrittext Swayambhu Purana aus dem 16. Jahrhundert mythisch beschrieben und ist durch geologische Untersuchungen prinzipiell bestätigt. Zu Füßen der von Swayambhunath beiludet sich am Schrein von Shantipur eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Steininschrift auf Sanskrit, die eine Ilöhlenfahrt von König Pralapa Malla gegen Endejuni des Jahres 1658 schildert. Ein gleichzeitig geschaffenes Rollbild auf Papier mit gemischten Uberschriften in Newari und Nepali zeigt einen Höhlenplan mit unter• irdischen Räumen und deren Inhalt, z. B. Fledermäuse und andere, mythische Höhlenbewohner. Höhlenplan und Steininschrift geben als Höhlenende eine bewetterte Engstelle mit Durchblick auf einen See an. Der symbolisch gestaltete Höhlcnplan ist anisotrop und wird kunsttheoretisch als psychophysische Darstel• lung symbolischer Qualitäten interpretiert. Der Höhlenplan reproduziert keinen rational kontrollierten euklidischen Raum. Um die potentielle Existenz einer Höhle zu beurteilen, bei der sogar die teilweise Befahrung nur einem extrem begrenzten Kreis von privilegierten Personen zu seltenen Gelegenheiten möglich ist, werden Verfahren literarischer Archäologie angewandt, um orale Traditionen und historisch gesicherte Fakten in einen Kontext mit der geologischen Situation zu bringen.

Geographisch, geomantisch und ästhetisch schmiegt sich das fruchtbare, klima• tisch milde und von einem vormaligen See befreite Talbecken von Kathmandu an das Hochgebirge des Himalaya (Abb. 1 + 2). Für Buddhisten, Shivaiien und Vishmüten isi

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Abb. 1: Lage run Kalbinaniln in Nepal.

Abb. 2: Blockbild dei Tälbeckens von Kalhmandn. Entwurj: II. Daniel Gebauer. das Kalhinaiidu Valley ein heiliger Oil, der mil Indien Inkarnationen von Buddha. Vishnu und Shiva eng verbunden isi. Die Ur-Ereignissc sind in der Swayambhu Puruflä (Sanskrit) ungefähr: „Die alle Geschichte des Swayambhu" oder audi „Chronik des Swa\aiubhu") aul'gezeic hnei, einem Text der Gattung maha/ayam. welc he sowohl die ( icsi hic hie als auch die Bedeutung von heiligen ( )rien erläutert und zugleich als PilgCl - bzw. Reiseführer dient. Die Entstehungszeil der Swayambhu Eurana ist unbekannt, sie dürfte aber im 16. Jahrhundert niedergeschrieben worden sein. Vom Charakter her mythisch, ist sie offensichtlich eine Sammlung von verschiedenen Texten, die lange Zeit

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mündlich uberliefert worden sind. Wie der Name besagt, rankt sich die Swayambhu Purana1) um den vorzeitlichen Buddha swayambhu, der „Selbst-entstandcn-Seicndc" oder ,,Durch-sich-selbst-Seiendc".

Mythische \ Urgeschichte

Die Art der Weltbeschreibung in einer mittelalterlichen Purana basiert nicht aid abstrakten Konzepten, sondern illustriert Entstehungsgeschichte mit mythischen

Abb 3: Geologische Skizze des Talbeckens von Kathmandu nach G. S. 7'TTAPA et al. Es bedeuten: I = phylliiischer Sheopuri-Gneis; 2 = kambi isch-i in lovizisehe bis sihirische Schiefer und devonische Godavari-Kalke und -Dolomite; 3 = Frühkambrische Kalzo- phyllite, Schiefer, Sandsteine und Kalke; 4 = pliozäne bis pleistozäne Seealilagerungen; 5 = holozäne Seeablagerungen; 6 = holozäne Schwemm- und Marschablagerungen; 7 = Bergstürze und Schuttlacher; 8 = holozäne Flußablagerungen; 9 Erdgasvorki immen,

') Der Ausdruck „purana" (tibetisch: dkar chag) bedeutet ungefähr „der alten Zeit zugehörig", oder einlach ..alte Geschichte" im Sinne von „traditionelle I tistorie". Die Swayambhu Purana isl von Sylvain LEVY (1905, I: 207 -213) besprochen. Den Nachdruck einer sehr alten tibetischen Variante gibt TSOGYAL (1973). Eine Überset• zung ins Englische findet sich bei M FI'RA (1971: 245-255) und ein Nachdruck in klassi• schem Sanskrit bei SASTRI (1984).

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Handlungsträgern. Wie wir sehen werden, ergibt sieh sowohl aus dem sagenhaften (lam der überlieferten Erzählungen als auch aus dem wissenschaftlichen Band der Deduktio• nen ein überraschend ähnliches Strickmuster: In der Vorzeil war das Talbecken von Kathmandu ein Reich namens Nagavasa 11 leimstatl der [mythischen] Sc hlangen). Das Reich bestand ans einem See*), der nach der Schlangenköuigin Kalimlia ( leich der Kali), die dort residierte, hieß. Zu die ser Zeil geruhte tier Selbst -Fnslandene oder Dure h-sie h-selbst-Seiende Buddha sic h in der Mitte des Sees in Gestalt einer Flamme (sieh»- Abb. 5: Erdgasvorkommen) auf einem erblühten Lotus zu manifestieren. Als es Zeit war, entschloß sich dann der Bodhisattwa . den See abiließen zu lassen, um Swnyamhhu-jyolirupa (Swayainbhu in Li( hl gestalt) zugänglich zu machen. In heutzutage als umwehbewußt apostrophierter Manier überluhrie er erst den Schlangenkönig Karkolaka und die Sehlagenkönigin Kali-nagini. das (iclblge und den Thronse hatz in den talaufwärts gelegenen Teich läu- daha. Dann durchschlug er mit seinem Schwel l den Talrand an seiner tiefsten Stelle und schuf damit die Karstschlucht von Cobhar3). Die aufgestauten Wasser schäumten davon und die Insel Swayambhunath verlandete4). Schließlich gründete Manjushri in der Nähe von Swayainbhu-jyoürupa eine Stadl und bevölkerte sie mit Verehrern. Rechtzeitig, wie das alle Buddhisten Um sollten, kam der Mahasiddha Snal ikara. um dem berühmten Swayambhu in La higcsiah ') seine Verehrung zu erweisen. Auf• grund nicht bekannter I .eistungen hat t« Santikara, ein vormaliger Herrscher eines ent• legenen Reil lies, den Reifegrad eines Mahasiddha: er war einerseits ein Weiser und andererseits ein Zauberer im Besitz von unvorstellbaren Fähigkeiten und Kräften (GRÜNWEDEL 1916, DOWMAN und BEER 1988). Aul sein Geheiß hin umschloß Vishvakarma („Allesma« her"), der Architekt der (lütter und Schutzheilige der I land* werker. die Flamme Swayambhu mil einer gleißenden Siup;i (Abb. 4). So entstand .ml einem Inselberg im liil von Kathmandu das weltberühmte Bauwerk, das hcrausragende Wähl zeichen im Tale des Buddhismus. I )a der göttlic he An huckt \ lshvakarma anwe• send war und zur Verfügung stand, ließ sich Santikara bei dieser Gelegenheil einen Wohnort schaffen, wie er zu einem Heiligen paßt: eine Höhle namens Shanlipur, in bester Lage und zu Füßen der Stupa. hoch oben auf dem I I Ügel und in einer nach Son• nenaufgang gelegenen Schulter des I lügcls Sway.nabln mal Ii, mit weil cm Blick über das liil von Kathmandu.

Legendäre I brgeti hü hie

Der volkstümlichen Legende nac h, die- im Text der Swayambhu Purana aufgegrif• fen wird und in unzähligen mündlichen Varianten aiisgcspemncn ist, wurde das Tal Kathmandu einst von einer nachhaltigen I Kirre heimgesuc hl. Die verdorrten und dure h die Trockenheit hart gewordenen Felder, die zum Ausbringen de r jungen Reispflanzen unter Wasser Stehen müssen, konnten nicht bepflanzt werden. Furchterregende Aus• sicht auf Hungersnot drohte. Den regenbringenden (Schlangen-)Nagas war zwar aus• reichend gehuldigt worden und ununterbrochen strömten die Pilger zu den heiligen

•) Zur Sedtmentologie und Pedologie sich.- YOSHIDA und IGARASH1 (1984), Linen geographischen Überblick des Talkessels gibt BOESCH (1974). ;) Zur Karst- und Höhlenkunde die-ses Gebietes siehe (11 I.F.K und (i F.BAI 'F.K (1988). ') Eine Sammlung kultur- und architfktuihistori.se-her Beiträge zum Inselberg fmdet sieh bei Anna L. DALLAPICCOLA (1980). ') Ande re- sagen ..kristallene Erscheinung"- 78 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Abb. 4: Der Hügel mil der Swayambhu Slupa, dem Wahl zeichen des lalcs von Kathmandu. Foto: Jörn Land.

( )i ICH (Irr Wasscrgottheiien. Aber ungeachtet aller Hillen der (»pierbereiten Verehrer Kielten die Nagas die falligen Geschenke zurück, und es liel kein Regen. Sogar die Gebete des hingebungsvollen Königs Gunakamadcva wurden nichl erhört. Da suchte Gunakamadcva Rat beim berühmten Mahasiddha Santikara. der die Stupa geschaffen halle. Mahasiddhas'1) waren durch unvorstellbare Leistungen physischer und mentaler AN großartige Vervollkommnete geworden. Sie waren machtvolle Magier und tantri- sche Praktiker, die unglaublich weise und gleichzeitig mil ungeheuren Zauberkräften versehen, zu den außergewöhnlichsten Taten fähig waren. Sie konnten fliegen, über weile Entfernungen sehen und hören, geheime Gedanken \'>n Menschen lesen und wußten alle Dinge der Vergangenheit und Zukunft. Sie konnten nach Belieben sterben i ni 11 geboren werden, wie und wo es ihnen gefiel. Vor allem abei konnten sie den (.Ottern selbst Befehle erteilen. Es ist daher nicht überraschend, daß König Gunakamadeva sich an den Maha• siddha um Hilfe wandte. Er wurde nicht enttäuscht, denn der allwissende Santikara wußte genau, an wen er sich wegen des ausbleibenden Regens zu wenden hatte Un< I wies den König an, umgehend das Notwendige in die Tat umzusetzen: Wenn die Nagas nichl willig seien, den fälligen Regen zu spenden, dann müßten sie eben gezw ungen werden. I )a sogar die Götter den Mahasiddhas Untertan sind, würde Santikara die Nagas schon zurechtweisen. Aber zuerst mußte der König die neun wichtigsten Schlangen ties Reiches versam• meln, um die Nagas zu einem mystischen Diagramm, einem anzuordnen, damn Santikara das launische Ritual naga uidlmnn würde durchführen können.

") Vormals Könige oder Beider. Weber oder Händler. Mouc he ode r Fährleute unterschiedlicher Herkunft. Klasse oder Kaste. 79 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at um damit dm benötigten Regen zu erwirken. Es wai Voraussetzung, daß die exakte Anzahl von Schlangen, die der Zauberer verlangle, anwesend war. Zur bestimmten Zeil versammelten sich aufCichciß des Königs alle Nagas. bis au feine: Nagaraja Karkotaka. die dun Ii ihre Abwesenheit das Mandala vereitelte. Der Mahasiddha Santikara abei unterwies den König in einem magischen Ritual, mil dessen Hille- er die säumige Schlange zur Räson brachte. Weil das Mandala mm vollständig war. fuhr Santikara mit (ler Beschwörung fori und die St hlangen konnten der Macht des Zauberers nicht ent• gehen. Die befreiten Regen ergossen sich über die Felder. Um an das Ereignis zu erinnern, ließ (Junakamadeva (nach einer anderen Über• lieferung Santikara selbst) unmittelbar neben der Stupa von Swayambhu einen S« hrein errichten, de r als riagaftura (Behausung der Schlangen, Abb. '») be kannt ist. Der schlaue Santikara war abe r mil eleu Schlangen noch nicht fertig. Vorausahnend, elaß sie- be i anderer Gelegenheit versucht sein konnten, eleu Re ge n noch einmal zurückzuhalten, ve rhinderte er ihre Entlassung, bis jede ein bißchen Blut ge spe ndet hatte ). Damit rekonstruierte er das Sc hlangen mandala. indem er es auf Tuch eitler Papier (oder beides) malte- und entließ die- Nagas zu ihre n Flüsse n und Seen. Mil I lille des Ersatzinanelalns, so belehrte er den König, können die Schlangen in Zukunft zum (rchorsam gezwungen werden, falls sie- noch einmal versuchen sollten, re-i bt/e-ilige- Regenlälle zurückzuhalten. Um dieser Eventualität vorzubeugen, wurde das Mandala tief im Innern des Schreins Nagapura (oder tief im Innern des Höhlen-Schreins Shantipur) sorgfältig verwahrt. 1 )ie- I .egenden der Swayambhu Purana verweben, w ie- alle I .egende-n des Tales Vi »n Kathmandu, Tatsachen und Gerüchte. Die Geologen habe n zum Beispiel geze igt, daß die- TklbÖdcn latsäe hlie h Ablagerunge n eines Se e s siuel (Abb. !5; B( )ESCH. 1**71). daß die Entwässerung des Se-e-s erst spät im I lolozän stattfand und elaß subaquatischc Gase als Brennstoff für flainmcntragcndcs Wässe r, das «Ii«- Le ge nde- von Swayarabhunath < haraktcrisiert, auch im Li« hie- Wissenschaft H< her Betrachtung dun haus haltbar sind (YOSHIDA und IGARASH1, 1984), Die wundersame Entstehung der Swayambhu Stupa wird jedoch durch das fast sichere Wisse n in Frage- ge ste llt, daß sie- im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung durch e ine n frühbuddhistischen König errichtet wurde Andererseits keimen wir latsäe hlie h dre i nepale sise he- Könige- mit dem Namen Gunakamadcva, eie ren Regierungszeiten ne bst Date n einiger ihrer Unternehmungen um leidlicher Verläßlichkeit feststehen (SHEPARD-SLUSSER, 1980). Darüberhinaus wissen wir in zumindest einem l all. WO ehe- Lege nde- endet und ehe- (ie-se hie hie- be-ginnt: An einem Frühlingstag im Jahre 1 <»!t.

Die Geschü hie

In Jahre 1635 trug I.akshnü Narasiinha Malla noch ehe Krone- des Königreiches von Kathmandu, aber er regierte nicht mehr, Er galt als unzurechnungsfähig und wurde schließlieh deswegen löH abgesetzt. Se in IHjähriger Sohn l'ratapa Malla ( Abb. ">) bestieg den I hrem. Dieser siellte sich als bemerkenswerte IVsönlie hke-it heraus. Erwai einer der hervorragendsten und brillantesten in eh r lange n Reihe der nepalischen Monarchen, auch wenn er recht anmaßend und augeberisc h war. Er hielt sie h für ein Sprachengenie und einen Pnelen und Meisler alle r Künste- de s Friedens und des Krie ges. Maler. Dichter und Dramatiker ware n an seinem I lol willkommen, WO es von Astrolo• gen und Prie stern nur se> wimmelte unel auch manch schillernder Iantriker aultauchte

) I.s gibt noch eine- andere Fassung de r (ie se hie lue. nach welcher de r Ritus de-s Zauberers unwirksam ist. bis schließlich die- Sc 'hlangen selber ihr Blut zur Verfügung stellen und Santikara unterweisen, wie es verwendet werden soll. 80 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Abb. 5: Porträt des Java Pratapa Alalia. Stü h einem vermutlich aus dem 17. Jalirhundet stammenden Rollbild.

Die Talen des Königs waren zahllos, und er gab sorgfältig darauf acht, daß sie alle auf Kuplerlaleln und Sieinsielen dokumenlierl wurden, und dalssie an den Sialuen und Malereien aufschienen, welche er in Auftrag gab. Er achtele auch darauf, daß sie an den vielen Tempeln und öffentlichen Gebäuden angebracht wurden, die er errichten ließ. Manch frommes Werk, das andere zu seiner Regierungszeil ausführen ließen, erwähn) seinen Namen oder enthält sogar sein Porträt. Aus König Pratapa Mallas Regierungszeit sind unzählige I nschriften erhalten. Für den Höhlenkundler ist jedoch keine so interessant wie jene, die er in der Nähe der Swayanibhu Stupa indem Schrein anbringen ließ, derShantipurgenannt wird und übei• der Höhlenbehausung des Santikara errichtet ist (Abb. 6). 81 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Abb. i>: Steif im Schrtin Sani ipur mit einem Hein hl von der HöhiMbtfahrung des taten- und rulimesduisli gen Königs l'mlapa .Malta Foto. II D. Gebauer. 82 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Der Schrein Shantipur

Die Behausung des Sanlikara ist ein mysteriöser Ort, der heute von verriegelten Türen (Abb. 7 + 8) behütet und von schreckenserregenden Gottheiten bewacht wird. Shantipur ist der Wohnort des Mahasiddha Sanlikara, so wird behauptet, und ist eine I löhle, die im Schatten der Stupa entstanden ist, und die der Magier auf wundersame Weise entstehen ließ». Es ist eine von fünf Behausungen (Sanskrit: /mm), einem Satz von berühmten tantrischen Schreinen, die um die Stupa herum angeordnet sind. Eine andere Behausung ist Nagapura, kein Gebäude, sondern ein hypadiralcr Schrein, der

Abb. 7: Das öffentlich zugängliche Portal zum Vorraum des Schreines von Santipur. Polo: H. D. Gebauer, März 1992. (Vergleiche dazu die Darstellung auf dem Kollbild aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Abb. 12.) 83 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Abb. IS: Die verriegelte (innere) für zum ..Sanctissimum" und ZW rennu/etrn Iloh/r. /•hin: II l) Gebauer, 1994 einer in den Boden eingelassenen Badewanne nielu unähnlich isi (Ahl». '*) und zwischen Shantipur und der Stupa liegt. Dies isi der Sc hrein, der laul Aussage der Swavambhu Purana von Gunakamadcva zu Ehren der Schlangen errichtei worden ist, um das regen- bringende Mandala aufzubewahren, das mil ihrem Blui geuiall worden war. Praiapa Malla") aber glaubte, wie die meisten Nepali heule, daß das Mandala im Sthrein Shantipur aufbewahrt worden war, woes sein Eigentümer, der Mahasiddha, \erste< kl hielt.

") Als das Geburtsjahr von Praiapa Malla gill der Nepal Samvat 7P> |vesiha (1623 a.d.). 84 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Abb. 9: Der hypathrale Schrein Nagapura, der zu Ehren der legenlninghcnden Schlangen errichte! wurde.

Die Höhlenbefahrung im Jahre 1658

Im 17. Jahr der Regentschaft von Pratapa Malla, so ließ der Herrscher an einer Steintafel an der inneren Tür des Schreins von Shantipur dokumentieren, herrsehte eine anhaltende Dürre im Königreich'1). Wie zur Zeit von Gunaka- madeva konnten die vertrockneten Felder nicht bestellt werden und Hungersnot drohte. Pratapa Malla erkannte, daß die Zeit gekommen war, das Schlangenman- dala hervorzuholen, dessen Anwendung Sanlikara schon vor langer Zeit vorausgese• hen hatte. Indem er sich an die Yajracaryas wendete, die buddhistischen Priester, die den Schrein von Shantipur hüten, bat er-sie, nachdem regenspendenden Zauber zu suchen. Paralysiert aus furcht vor den Mysterien von Shantipur konnten die Priester der könig• lichen Bitte nicht Folge leisten. Unerschüttert entschloß sich Pratapa Malla, selbst nach dem Zauber zu suchen. Die Höhle betretend, fand er sie in 27 Räume unterteilt, darunter den e rsehnten einen, weicherden Zauber enthielt. Als er mil ihm ans Tageslicht zurückkehrte, begann auf der Stelle Regen zu lallen.

') Die Inschrift in Sanskrit belaßt sich vorwiegend mit der I.ohpreisung der Göt• ter, aber einige Verse beziehen sich auf das End« - der Dürre. Sie sind von VA J RAI Ü IV RYA (1954, v. s. 2010) in der Originalfassung wiedergegeben und die Schhißvcrsc in Nepali übersetzt. 85 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Ahh 10 Reproduktion des Pauhha (Rnllhildes) uu\ dn Mitte des 17. Jahrhunderts. • Das Kol Ibi ld siel Ii die verborgene 1 löhle unl er dein Schrein von Sann pur dar. Ks isi aus mehrfach laminiertem Papier unter Verwendung von Wassel färben hergestellt,

Die I Jöhlendokumentation

Die regenbringenden Abenteuer von Pratapa Malla sind auf einem Rollbild dar• gestellt (Abb. 10+ II). Das volkstümliche Gemälde in rein nepalischem Sül ist mit Was• serfarben auf dickes, handgeschöpftes, mehrschichtiges Papier gemalt. Im zufälligen Besitz einer Familie in Kathmandu befindlich, ist das ungeschützte Kunstwerk so heruntergekommen und verwahrlost, daß ein großer Teil verloren ist. Die Malerei, die an einen comic strip erinnert, versuch! die Abenteuer von Pratapa Malla in der mehr• stöckigen Höhle in Form von vereinfacht repräsentierten Fin/.clhohbäumen darzustel• len. Gemischte Uberschriften in Newari und Nepali, die innerhalb der einze lnen 11 old räume montiert sind, unterstützen die Darstellung. Auch über- und unterhalb der Malerei sind im Original lange Inschriften angefügt10). I )ie Flöh len fahrt beginnt links unten, WO wir den wagein tili gen Monarchen mil der Lampe in der Hand den abenteuerlichen Besuch beginnen sehen (Abb. 12). Mit sich ttägl er, so bestätigen es die- Überschriften. ..Risch. \chwarzt Sojiihohiicn und andere üp/ci- gaben". Aus der rechtwinkligen Vorhalle, die- auc h heute der Öffentlichkeit zugänglich ist und als ..dreifache/ Raum des südlichen 'leiles" bezeichnet wird, sehen wir den Monarchen durch die l iu treten. Dahinter liegen sec Iis weitere, quadratisch dargestellte Räume. In diesen Räumen, die das oberste- Nive au ( Erdgeschoß) darstellen, hält sie h der König nicht lange auf, sonde rn steigt über e ine Treppe") zum initiiere n Niveau ab Hier befinden sich neun Räume. Im zentralen Kaum ist ein Mandala in Form eines Lotus abgebildet, an desse n Seite sie Ii eine- Lampe und andere sakrale Gegen• stände befinden. Bis zu diesem Punkt, so erklären uns die- Uberschriften, haben die Prie• st er den König begleitet. Aber das zweite Niveau, c las sie für c las Ei xle der Fl öl de hielt en, ist ihr gewöhnlicher Umkehrpunkt. Da sie den „Weg nitht kennen" '-'). gehen sie nicht weiter. Indem wir che Malerei auf den Kopf stellen, sehen wir das drille Niveau, zu dem Pratapa Malla allein abste igt. Wieder linde n sich neun Räume, von denen aul dein beschädigten I lühlenplan-Gcinälde nur vier vollständig erhalten sind. Der Abstieg führt zu einem Raum, in dem dre i stattliche Fledermäuse hausen, „so groß wie Drachen oder Raiken", deren Hadernde Sc hw ingen die Lampe-des Königs zum Erlöschen bringen

'") VAJRACHARYA(1965, v. s. 2021) bespricht die Male re i und transkribiert teil• weise die zweisprachig newarisc h-nepalisc hen Überschriften. Auf Seile '54 berie hlet er. daß weitere, ähnliche Malereien erhalten seien. ") Architektonische Eingriffe zur Förderung des Befahrungskomforts in natür• lichen Höhlen des Kathmandu Valley sind auch aus der meist klcinräumigen, doch mehr als 1,2 km langen Chakra Tin ha/Parahamsa Gupha bekannt, in der Engstellen erweitert und Steilstrecken mit Treppenstufen versehen worden sind ((M I.F.K und GEBAUER, 1988). '-') Diese Erklärung wird im zehnseitigen tibetischen Pilge r- und Reiseführer Bai- yul mchod-rten phags-pa shing-kun dang de-'i gnas ghzan-i nams-kvi dkar-chag (etwa: Reiseführer für das Kathmandu-Ial) von NAS-gl.UNG d(JAG-elBANG rDORJE (1695) gegeben, der von WYLIE (1970) nachgedruckt und iranslitcriert, von Ke ith DOWMAN (1981) ins Englisc he übersetzt ist.

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Abh. 12: Jaya Praiapa Malla schickt sich an, durch das öffentliche Portal von Sanlipur zu schreiten, um dir I lölilenbejahrung anzutreten. Er ist mil einer Öllampe ausgerüstet mal führt ein Körbchen mil Holmen und Fisch sowie einen Milchhchällcr aus Bambus mit sich.

Dessen ungeachtet, stößt er in den nächsten Raum vor. Erwird von schreckenserregen• den Kreaturen, „bettelnden Geistern, fleisch)rcssenden Gespenstern und hungrigen Unholden" bevölkert, die Kein ig Pratapa Malla keine Schwierigkeiten bereiten, weil der kluge Monarch sich mit Nahrungsmitteln für hungrige Geister (,,fisch, schwarze Sojaboh• nen. Kuhmilch") eingedeckt hat. Seine Erkundung fortsetzend, trifft der König auf (Schlangcn-)Nagas, die er mit Milch besänftigt") und in einem weiteren Raum aul den alten Mahasiddha Santikara persönlich. In (ein meditativer Zustand) sit• zend wird Santikara als vertrocknete Mumie dargestellt, weil ..nur seine Knochen und sein Geist übrig" sind. Neben ihm befindet sich der regenspendende Zauber, das Ziel der könglichen Eorschungsfahrt. Weiter kann Pratapa Malla nicht vorstoßen, denn er wird von einer unsc hliclbarcn Engstelle aulgehalten, durch die eine ,,kühle Brise wehte" und hinter der das . A Misse? eines uiiergribidbaren Sees plätscherte und Wellen schlug''. 11 ier versetzt sich der König selber in Samadhi. konteiupliert seine ihn begleitende Lampe (die ohne weitere Begründung wieder brennt ), meditiert und untersuch) seine Umgebung, bevor er seine Aufgabe vollendet und an das Tageslicht zurückkehrt.

Der Höhlenplan

Die durchgehend rechtwinkelige Darstellung der Höhle von Shantipur wider spricht einer natürlichen Höhlenanlage und läßt auf Räume künstlichen Ursprungs schließen. Dafür spricht überdies, daß sich artiliziell hergestellte Hypogäen auch

) Die Darstellung dieses Höhlenteiles ist verlorengegangen. 89 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at andernorts11) im liil von Kalumandti befinden. So sind /.um Beispiel die künstlichen Hohlräumen von Sankhu (Abb. l.'i) speziell zur Ausübung tantrischer Praktiken ein• gerichtet worden. 0 METER 5

'-7 3 :-y - Abb, 13: Fine der neun uns drrn massiven Fels geschnittenen Meditationshiilden (sCirub phitg) bei Sankhu (Nr. 3, etwa 20 in westlieh des f/an/iltempeh von Hajrayogini). Sie dürfte dem Zeil hner des I löhlenplanes von Santipur, der die zu zeichnende I löhle nicht befahren durfte, bekannt gewesen sein. Es ist denkbar, daß die quadratische Architektur des künstlichem Hohlraumes die Darstellung der natürlichen Höhle inspiriert hat.

") Ein Ort wird bereits in tibetischen Pilgerführern des 12. Jahrhunderts als wich• tiger Anziehungspunkt für Pilger erwähnt (persönliche Mitteilung von 1 [ubcrl I teeleer) und heißt eigentlich „Achtzig Mahasidelhas"; andere sagen „84 Zauberer" (tibetisch grub clien brgyad beu, ncarisch gub vihara, nepalisch g/ium viliara). Er liegt im Tempelbezirk Bajrayogini am Berg über der Stadt Sankhu am nordeis die heu Talrand (siehe: Abb. 2. 11). Insgesamt neun, meist einzellige- und durchwegs quaderräumige Meditationspra- xishöhlen (tibetisc h igrubphug) in Form von bescheidenen mannsgroßen Zellen konnte der Autor bisher auffinden. Von die-sen neun Höhlen stehl eine jedoch aul dem Kopf: der ausgehöhlte und würfelförmig zugehauene Felsblock isl bei einem Bergrutsch zu läl gestürzt.

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Gegen diese Annahme spricht, daß der unbekannte Illustrator der Befahrungs- geschichte mit größter Wahrscheinlichkeit an der Höhlcnbeiährung nicht teilgenom• men bat, weil der Zugang zur Höhle nur einem auserwähllcn Zirkel geistlicher oder gesellschaftlicher Größen erlaubt war und ist. Da der Planzeichnerdas Objekt seiner Darstellung nicht sehen durfte, was durch• aus als erschwerendes Hindernis für eine wahrheitsgetreue Abbildung gelten darf, blieb ihm nichts anderes übrig, als vom Gebäude über der I löhle aid die Höhle selbst zu schließen. Der viereckige, rundum verputzte Schrein, tier heute mil Wellblech gedeckt ist, midi ihm als Vorlage für die ,.konstruiert" anmutende Verbildlichung der unbesehe- nen Höhlenteile gedient haben. Dem Künstler blieb einlach nichts anderes übrig, als die recht winklige Architektur des von außen sichtbaren Schreines von Shantipur in eine rechtwinklige Architektonik der unzugänglic hen Höhle Shantipur zu übertragen. Die Botschaft des im Goeiheschen Sinne „Unzulänglichen"1'), also Niehl Erreichbaren der kryptischen Höhle, gelang dem Künstler zu vermitteln. Auf dem Weg von der allgemein öffentlichen Seite zum tiefsten I nnein au in der Höhle weisi das Gestal• tungsmittel Raumübergang darauf hin, daß nac h jedem Erreichen eines Raumes der darauf folgende schwieriger zu erreichen ist: Die äußere- Eingangstür zum Schrein mit ihrem ausladenden Fries ist in der Höhlendarslellung die am prunkvollsten elaborierle Tür (Abb. 7, 10), gefolgt von Durchgängen mil mehrfach gefalzten Zargen im hinteren Teil des Erdgeschosses. Im milderen Niveau treten nur noch einfache Türformen mit schlichten Zargen auf11'). Im unteren Niveau bestehen die Raumverbindungen nur noch aus ganz schlichten Durchgängen, während schlußendlich die als unschliclbar bewertete Verbindung zum post-terminalen I löhlenscc nur mehr als halbkreisförmiges Loch dargestellt ist. Aus dieser hierarchisch gestaffelten Abfolge kann geschlossen werden, daß 0) der offensichtlich gemauerte Schrein von Shantipur über einem -1) nahezu kellerbau-technisch erweiterten Iiühleniiiveau sieht, unter dem -2) ein künstlich erweitertes Höhlenniveau ansetzt, das über eine unschließbare Eng« stelle -3) mit einer natürlich belassenen Höhle in Verbindung steht. E.s trifft jedoch auch zu. daß die hierarchisch gestaffelte Abfolge der von Niveau zu Niveau schlichter werdenden Durchgänge in einem spiegelbildlich umgekehrten Ver• hältnis zu der im Hausbau statisch sinnvollen Verschlii-fitting der Gefache beim nächst überlagernden Stockwerk entspricht17).

Kunst historische Interpretation Die hochverdichtete Gliederung der Anlage in drei Niveaus von drei mal drei über dem Wasserspiegel liegenden Räumen ist wahrscheinlich von tantrischer Zahlenmystik

ir>) Faust, letzter Akt, „Im Himmel": „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Das Unzulängliche, hier wirds Ereignis. Das Unvergleichliche" etc. "') Diese „Rahmen" lassen sich aber auch als Steinmetz-technische Nachbildun• gen hölzerner Zargen verstehen, wie sie auch in der monolithischen Meditationshöhlc von Sankhu (Abb. 11) vorkommen. I7) Die Verkehrung des mehrstöckigen Hochhaus in einen inve-rs mehrstöckigen Tiefbau hat der Künstler bei der Treppengestaltung (noch':') nicht bedacht: Währe nd vom mittleren zum unteren Stockwerk eine großzügige Treppe führt, gelangt man in das obere Stockwerk nur über eine minimale Treppe. Ob der Planzeichner, wie bei einem Hauseiuwurf, zuerst den Grundriß erstellt hat und dann mil der Ausarbeitung der Räume fortfuhr? 91 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at beeinflußt, die- sowohl der Bauherr de r handwerklich erstellten Anlage als auch der Illustrator dei unbekannten Mühle- als gestalterisches Mittel eingesetzt haben mögen. Auch die Bilder der fortgeschrittenen Moderne- tendieren nicht mehr dahin, über die Materialität ihrer Oberlläc he hinauszudeuten, sondern beharren als binncnlogische Zeichens) steine und entgegen der sklavischen Repräsentation de s Draußcnlicgcnden auf sic h selbst. Die nebeneinander auf dem zweidimensionalen Malgrund untergebrachten I l©h- lenniveaus sind eindeutig relativiert dargestellt, wahrend die- ( )rientation der einze lnen Kammern unklar ist. Dadurch sind die divergierenden Formen des Kaumerlebens ein• geschlossen, weil die Fläc higkeit der Syinbolelarstellung keinen Anschein mimet i.srhcr Repräsentation vorgeben will, welche illusionistisches Hintereinander durch einen ein• heitlichen Blickraum ersetz) (PANOFSKI, 1967). Der/die Planleser/in bedarf einer Auflassung des Raumes, bei der die Gestalt und Körperausdehnung Hauptsache, der Absland, die Orientierung und die Relation dei' dargestellten Körper zueinander unwesentlich sind. Der/die- Betrachter/in ist gezwun• gen, den Plan wiederholt von verschiedenen Seiten her zu betrachten, weil die Orientie• rung der Durc hgänge und Sc hrili/.üge häufig wechselt, ohne daß ein konsequent dure h- gehaltcncs System ersic htlich wäre, das als Ariadnefaden dienen könnte. I )ie symboli• schen und gc sialdic hen Qualitäten der Körper(F.inzehüunie-, (regenstände, Protagoni• sten und Akteure), die in den Bildraum hineingesetzi sind, habe n Vorrang vor der Fin heil des visuellen Bildeindrucks. Die I löhlcndarstcllung des anonymen (• raphikdesigners arbeitet mit der Neigung des menschlichen Raumerlebens, einzelne- Zonen und Gegenstandsbereiche für sieh wahrzunehmen und affektiv zu besetzen, Er läßt die Formen de r Rezcptivität, des Durchdrungenwerdens zu. Der Höhlenplan isi frei von der Fiktion e-ines simultanen, plan perspektivischem und monokularen Sehens, wie- c-s die europäischen Kunsttheoreti- ker der Renaissance entwickelt haben, in dem sieden Ktinsii aum mathematisch von psye hophysise her Rclailätswahi'iichmung"1) abgekoppelt habe n, die beidäugig und der Krümmung del Netzhaut entsprechend winkelperspektivisch mit wanderndem Blick erfolgt. Im Gegensatz zum metrischen Raum der euklidischen Geometrie wird im inhomogenen und anisotropen Raum der Shantipur - Darstellung die axiomatische Gleichartigkeit des Sichtbaren durch die symbolische Partizipation des Teiles am Gan• gewährleistet. Nur weil kein homogener Konnex /wise hen dem Einzelbild und der Gesamtheil der anisotrop dargestellten I )inge zugelassen wird, ergib) sich für die abend• ländische Variante des gesunden Menschenverstandesl!)) die- Schwierigkeit, die anisotrope, inhomogene und nicht-planare I löhlcndarstcllung a priori als gerechtfertig• ten I löhlcnplan auszulegen.

"') ErflSI CASSIRER (\95H. I. 105): „Der homogene Raum ist ... niemals der gegebene, sondern der konstruktiv erzeugte - wie denn der geometrische Begriff der Homogenität geradezu durch das Posiulat ausgedrückt we rden kann, daß von jedem Raumpunkte aus nach allen Orlen und nach allen Richtungen gleiche Konstruktionen vollzogen werden können. Im Raum der unmittelbaren Wahrnehmung is) dieses Posiu• lat nirgends erfüllbar. Hier gibt es keim- strenge Gleichartigkeit der Orte und Richtun• gen, sondern jeder Ort ha) seine Ar) und seinen eigenen Wert." ' ') Zum Verdacht, daß der abendländisc he- Logozentrismus durch die Konstitu• tion eines subjektivierten Blickfeldes entstanden ist, siehe Albrecht KOSCHORKE (1990). 92 © Verband Österreichischer Höhlenforscher, download unter www.biologiezentrum.at

Schlußbetrachtung

Yum Standpunkt des 20. Jahrhunderts aus gesehen isi es schwierig, die Authcniizi- tät von Konig Pratapa Mallas Abenteuer, die objektive Existenz, der Höhle Shantipur oder gar deren Gestalt zu beurteilen. Eine Kontrollbefahrung ist nicht möglich, denn die Tür zur vielleicht fiktiven Höhle i.st verriegelt, versc hlossen und aufmerksam bewacht. Zugangsberechtigung haben nur wenige Priester der buddhistischen Vajracharya-Kastc und Seine Königliche, doch speläologisch dcsinlcressicrle Hoheit. Majestät von Nepal und statusgemäß die kontemporäre Inkarnation des Gottes Shiva, Wie in den Parallelen gezeigt werden konnte, ist offensichtlich, daß ein Großteil vim Pratapa Mallas s|)ät mittelalterlichem Abenteuer von der I rühm it Ii-1 alterlichen Ii-xl- sanunhmg Swayambhu Purana beeinflußt ist. Es ist ein Text, dessen Inhalt er von seinen Beratern gehört haben mag, wenn er ihn nicht sogar selbst öfters gelese n hat. Viele der pittoresken Details '") von Pratapa Mallas I Iöhlcnbclährung sind jeden Ii allein in späte• ren Erzählungen zu finden; ihr Ursprung muß deshalb außerhalb der Swayambhu Purana gesucht werden. Vielleicht entstande n sie in der fruchtbaren Imagination de s eitlen und ruhmsüchtigen Königs. Doch selbst das Datum des Ereignisses spricht zugunsten von Pratapa Malla. Es fand am 14. Tag des abnehmenden Mondes im Monat Asadha des Jahres 778 der Nepal-Samvat-Zeitrechnung st au: das entspricht dein spätem Juni des Jahres 1658 unserer Zeitrechnung. Da die sommerlichen Monsunregen, von denen die- Reiskulturen des Tales von Kathmandu abhängen, normalerweise im April oder Mai beginnen, entspricht das Datum sehr wohl einem verzögerten Beginn der Regenzeit. Es mag in diesem Jahr ein guter Grund bestanden haben, die unzuverlässi• gen Nagas linier Druck zu setzen. Was der König tatsächlich in den drei Stunden unternahm, von denen man annimmt, daß er sie tief im Innern von Shantipur verbrachte, und worauf der fürchter• liche Lärm beruhte, den die in Sicherheit verharrenden Priester und Höllinge vernah• men, entzieht sich unserer Anschauung. Die volkstümliche Überlieferung bestätigt jedoch, so wie- es der König aufzeichnen ließ, daß die Suche nach dem Mandala der Schlangen erfolgreich verlief, die Diirre- periode deshalb beendet wurde, und der regenbringende- Zauber wieder in die Obhut von Santikara zurückgebracht worde n ist. Wer eleu Erfolg und den Wagemut von Pra• tapa Malla nachvollziehen wird, wenn die kapriziösen Nagas wiederden Regen zurüek- halte-n wollen, wird sich zeigen.

) Redermäuse, erloschene Lampe, Mumie, bewetterte- Engstelle, Wasserspiegel etc.

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UNION INTERNATIONALE DE SPE LEOLOGI E m Abschied von verdienstvollen Karst- und Höhlenforschern

Die Karst- und Höhlenforschung und vor allein «Ii*- Internationale Union für Speläologie haben in der letzten Zeil knapp nacheinander Persönlichkeiten duo h den Tod verloren, die die Entwicklung der Speläologie nie hl nur in ihrem engeren Wir• kungskreis geprägt haben, sondern auch aufinternationaler Ebene wesentlich zum fach• liehen Erfahrungsaustausch beigetragen haben. Am 21. Februar 1995 starb Russell H, Gurnee, noch bevor eine beabsichtigte Lebertransplantation durchgeführt werden komm-. Russell, am 23. September 1992 geboren, war durch seine intensive Mitarbeit in der Internationalen Union für Speläolo• gie weltweit bekannt. Er vertrat dort nicht nur die Speläologen der Vereinigten Staaten bei einer Reihe von Kongressen, sondern engagierte sich vor allem in f ragen der I Iöh- lenerschlicßung und des I löhlenschutzcs, zuletzt auch in dem erst vor wenigen Jahren gegründeten Internationalen Schauhöhlenverband. /.u bleibenden Leistungen zählen die Erforschung und Ausarbeitung eines Fast hließungsprojcktes für die Hohlen des Rio Camuy in Puerto Rico, die Erforschung von Höhlen in Guatemala und Unter-

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