Titel

Lufthansa-Flugzeug in Berlin-Tegel

JOSE GIRIBAS / IMAGES.DE Die Politiker und das Mehr Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, Bildungspolitik? Die Aufregung um die Bonusmeilen-Affäre hat alle anderen Wahlkampfthemen in den Hintergrund gedrängt. Der Frust über die Raffkes im Berliner Reichstag stärkt die Fraktion der Nichtwähler – und schwächt Rot-Grün.

ans Eichel war schwer zu bremsen. demokratie lustvoll in ihren Sommer- periodisch wiederkehrenden Diätenskan- Wortreich versuchte der Bundes- skandal. dalen und Dienstwagenaffären war die Hfinanzminister am vergangenen Hat sich der grüne Bundesumweltminis- neuerliche Empörung in Windeseile ab- Mittwoch, seinen Kabinettskollegen die Mi- ter Jürgen Trittin auf Kosten des Gemein- rufbar. „Durch Berlin weht ein Hauch von sere der Kommunen näher zu bringen. wesens um einen Aluminium-Rollkoffer Jakobinertum“, konstatierte die „Süd- „Organschaften“, „föderale Finanzbezie- der Marke „Rimowa“ für 410 Euro berei- deutsche Zeitung“. hungen“, „Gemeindefinanzreformkom- chert? Mit welchen Lufthansa-Sammel- Besonnene Stimmen wie die von Bun- mission“. Und immer wieder „strukturel- punkten buchte Ludger Volmer, grüner destagspräsident halten le und konjunkturelle Gegebenheiten“. Staatsminister im Auswärtigen Amt, 20 Den Ministern brummte der Kopf. Flüge für seine Frau und seinen Sohn? Dann unterbrach ihn der Kanzler. Musste PDS-Star tatsächlich Freundschaftlich. Der Hans solle doch mal als Berliner Wirtschaftssenator zurücktre- den Aufmacher der heutigen „Bild“-Zei- ten, weil Frau und Tochter mit den dienst- tung („Freiflug-Affäre – Jetzt auch zwei lich erworbenen Bonusmeilen in den Ur- grüne Minister?“) lesen. „Damit“, befand laub nach Kuba geflogen waren? Darf eine Gerhard Schröder knapp, „werden die uns CSU-Hinterbänklerin aus Nürnberg für die nächsten Wochen beschäftigen.“ ihren Sohn einen kostenlosen Trip nach Ende der Debatte. Arbeitslosigkeit, Australien buchen? Wirtschaftskrise, Bildungselend? Längst Das Berliner Parlament verwandelte sich hat die Affäre um die privat genutzten unter dem Gewittersturz solcher Fragen Bonusmeilen der Berliner Vielflieger alle schlagartig in eine einzige Grauzone. Wie- anderen Wahlkampfthemen in den Hin- der einmal standen sie alle unter General- tergrund gedrängt. Fast täglich outete verdacht, die Volksvertreter, die sich gera- Europas größte Tageszeitung neue „Raff- de noch mühten, die Wahlpropaganda kes“ im Parlament, die sich auf Kosten der ihrer Parteizentralen unters nur mäßig

braven Steuerzahler ein wenig Jet-Set interessierte Volk zu bringen. Nach den / ARTUR WERNER HUTHMACHER gegönnt hätten. Die Duftnote – leicht an- rüchig – stimmte, das Timing auch, und so Berliner Reichstag stürzte sich die bundesdeutsche Wallungs- „Ein Hauch von Jakobinertum“

22 der spiegel 32/2002 MIGUEL VILLAGRAN / DPA MIGUEL VILLAGRAN ARND WIEGMANN / REUTERS (L.); FRANK OSSENBRINK (R.) (L.); FRANK / REUTERS ARND WIEGMANN CARSTEN KOALL / DDP KOALL CARSTEN Gysi Özdemir Schlauch Nooke Meilen-Sünder im : Schlupflöcher für den kleinen persönlichen Vorteil dagegen. Der Sozialdemokrat sieht in den ge angezapft hatte, obwohl die Bonus- Hinsehen sei der betreffende Flug doch Vorwürfen „ein hohes Maß an Heuchelei“, punkte im Dienst am Wähler zusammen- auch dienstlich gewesen. da „viele Firmenangehörigen in diesem gekommen waren. Anlass für Özdemirs Zu gleicher Zeit meldeten sich die ers- Land“ sich guten Gewissens genauso ver- Selbstbezichtigungen: ein Fragenkatalog ten SPD-Abgeordneten aus ihrem Wahl- hielten wie die parlamentarischen Bonus- von der „Bild am Sonntag“, dem Schwes- kreis oder dem Urlaub nervös bei ihrem Reisenden (siehe Interview Seite 34). Dass terblatt von „Bild“. neuen Fraktionsvorsitzenden Ludwig Abgeordnete gegen Regeln verstoßen ha- Montag war Gysi-Tag. Der langjährige Stiegler. Auch sie, sagten einige, hätten es ben, die sie zuvor selbst formulierten, be- Bundestagsabgeordnete gestand ein, er mit dem Meilenprogramm der Lufthansa streitet auch Thierse nicht. Deshalb dreht habe es mit der Trennung dienstlicher und nicht immer so eng gesehen und fürchteten sich die Debatte nun auch um die kniffligen privater Lufthansa-Vorteile nicht so genau nun, als Raffkes an den Pranger gestellt zu Fragen, wer was darf und wo sich die genommen. Auch dem PDS-Mann saßen werden. Nur mühsam gelang es Stiegler, Schlupflöcher für den kleinen persönlichen die Boulevardjournalisten im Nacken. manche Kollegen davon abzuhalten, sich Vorteil auftun. Die politische Klasse reagierte hektisch öffentlich selbst anzuklagen. Die absurde Affäre um Meilen und oft wie bei einem jähen Blindflug. Am Diens- Es kam der Mittwoch. Wiederum war es nicht viel mehr begann vor zehn Tagen mit tag trat Günter Nooke, Fraktionsvize der die „Bild“-Zeitung, die zwei hochkarätige dem Rücktritt des „anatolischen Schwa- Union, über die SFB-„Abendschau“ die Grüne enttarnte – die Regierungsmitglie- ben“ Cem Özdemir. Der grüne Polit-Star Flucht nach vorn an. Ja, er auch. Später al- der Trittin und Volmer. Beide hielten da- räumte ein, dass er sein Lufthansa-Rabatt- lerdings stellte Nooke sein Coming-out als gegen, da sei nichts dran. In teilweise kühn konto ziemlich großzügig für private Flü- Missverständnis dar, denn bei genauerem anmutenden Erklärungen legten die Spit- zenpolitiker dar, der böse Anschein, sie PDS auf der Kippe hätten sich am dienstlichen Meilenkonto versündigt, sei falsch. Am Abend folgte der „Welche Partei würden Sie Paukenschlag. Berlins Wirtschaftssenator wählen, wenn am nächsten Gysi erklärte seinen Rücktritt. Er habe „ei- Sonntag Bundestagswahl wäre?“ nen Fehler gemacht, den ich mir nicht ver- zeihen will“. Am nächsten Morgen jubelte 35 „Bild“: „PDS-Gysi stürzt über Freiflüge – Platzt jetzt der rot-rote Senat?“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt war 40 das eher läppische Ärgernis um die Ab- zockereien einiger Abgeordneter fast auf die Dimension einer Staatsaffäre ange- 7 schwollen. Denn die Rücktrittswelle so kurz vor der Bundestagswahl – die mit der Entlassung von Verteidigungsminister 9 begonnen hatte – könn- te die politische Landschaft tiefgreifend Infratest-dimap-Umfrage verändern. vom 29. Juli bis 1. August 5 für „ARD-Bericht aus Berlin“, Wie keine andere Partei hat die PDS bis- 1821 Befragte her von der Stimmung im Osten „gegen die

der spiegel 32/2002 23 Titel da oben“ profitieren können. Der Fall Gysi noch die Chance, eine Mehrheit von Union Springer-Blatt „Bild“ bewusst vor allem könnte das Fanal dafür sein, dass die SED- und FDP zu verhindern. prominente Grüne und PDS-Abgeordnete Nachfolger längst „da oben“ angekommen Kein Wunder, dass der für Stimmungen angegriffen und gleichzeitig die Meilenda- sind und als Protestpartei nur noch be- sensible Kanzler die stückweisen „Bild“- ten aus dem schwarz-gelben Lager unter- dingte Tauglichkeit besitzen. Enthüllungen als Teil einer „gezielten“ Ak- drückt? Alles schien möglich, als am Don- Mit dem plötzlichen Abgang ihrer me- tion gegen Rot-Grün bewertet: „Es fällt nerstag durch das ARD-Magazin „Kontras- dienwirksamen Allzweckwaffe verliert die auf, dass das von großer Einseitigkeit ist.“ te“ bekannt wurde, dass auch ein Mann PDS zudem den einzigen Mann, der selbst Er habe den Verdacht, dass durch „Weg- mit offenkundiger Vorliebe für die FDP in im Westen bisher für die eine oder andere lassen und besonderes Betonen“ ein poli- der Meilenaffäre mitspielte. Unter den ech- Stimme gut war. „Ich vermute ten oder vermeintlichen Flugsündern war mal“, frohlockte Unionsfrak- DER ZUSTÄNDIGE MITARBEITER bis dahin kein einziger Politiker der Libe- tionschef nach ralen aufgetaucht – Ergebnis einer perfiden dem Rücktritt, „sie werden jetzt BEIM BUND DER STEUERZAHLER HAT parteiischen Auswahl? wirklich in die Nähe der Fünf- Im Interview mit den Fernsehleuten ließ Prozent-Grenze bei der Bun- JETZT EINEN JOB BEI DER FDP. Dieter Lau, Vizepräsident des Bundes der destagswahl geraten“. Steuerzahler, durchblicken, dass sein Ver- Schafft es die PDS am 22. September tisches Ergebnis erzielt werden solle. Und ein in Sachen Miles&More mit der „Bild“- nicht wieder ins Parlament, steigen Edmund auch Gattin Doris Schröder-Köpf, die Zeitung zusammengearbeitet habe. Eine Stoibers Chancen dramatisch, als Chef einer während ihrer journalistischen Karriere Pressemitteilung allein hätte zu wenig be- schwarz-gelben Koalition ins Kanzleramt auch bei „Bild“ war, warf ihrem früheren wirkt, so Lau, „wir brauchten einen starken einzuziehen. Dafür sorgt schon die Wahl- Arbeitgeber eine „parteipolitische Kam- Partner“ – die Redaktion des Boulevard- arithmetik (siehe Grafik Seite 23). Nur wenn pagne“ vor. blatts mit einer Auflage von 4,2 Millionen die PDS auch im nächsten Bundestag sitzt, Ist die Flugmeilen-Affäre also eine Ak- Exemplaren. Der zuständige Mitarbeiter hat Rot-Grün nach den jetzigen Umfragen tion des politischen Gegners? Hat das beim Bund der Steuerzahler habe nun

Auch ein Fall, den Däkes Ermittler im baden-württembergischen Plochingen aus- Selektive Empörung gemacht und als besonders krass gebrand- markt haben wollten, war eine Ente. Im Der Bund der Steuerzahler schießt manchmal übers Ziel hinaus. Schwarzbuch war vermerkt worden, dass bei der Landesgartenschau zwölf japanische ie Uhr über dem Eingang der weißen große Schwarzbuch der Steuerverschwen- Koi-Karpfen (Stückpreis: 5000 Mark) in ei- Gründerzeitvilla in der Wiesbadener dung vor. Mit Liebe zum Detail sind darin nem Tümpel ausgesetzt und kurz darauf ge- DAdolfsallee 22 ist so auffällig ange- alle Vergehen von Ämtern und Behörden zu stohlen worden seien. Däke empört: „Da bracht, dass kein Passant sie übersehen Lasten der Steuerzahler aufgelistet. hätte man gleich 60000 Mark an den Rand kann. Als Dieter Lau, Vizechef des Bundes Im Schwarzbuch von 1999 allerdings er- des Teiches legen können.“ der Steuerzahler (BdSt), am vergangenen wiesen sich gleich mehrere angebliche Fäl- Worin Däke sich allerdings irrte: Die Freitag bei strahlendem Sonnenschein über le von fahrlässigem Umgang mit Steuergel- Fisch-Preziosen aus Fernost kosteten den Bonusmeilen-Nassauer unter den Bundes- Steuerzahler keinen Pfennig – tagsabgeordneten richtet, steht sie bei sie waren das Geschenk eines 1239390382000 Euro. Jede weitere Sekun- Züchters. Plochingens Bürger- de kommen 1,33 Euro hinzu. meister Eugen Beck hämte auf Das digitale Chronometer vor dem Sitz Schwäbisch: „Herr Präsident des Steuerzahlerbund-Präsidiums zeigt den Däke hat keinen Koi-Karpfen aktuellen Stand der Staatsverschuldung an an der Angel, sondern koi und soll gleichsam als Menetekel gegen Ver- Karpfa.“ schwendung wirken. Seit seiner Gründung Kritiker werfen dem Ver- 1949 sieht sich der Verband, der mittlerwei- band seit längerem vor, manch- le 430 000 Mitglieder hat, darunter viele mal ungenau, selektiv oder Selbständige und Beamte, als Mahner und auch gar nicht zu recherchie- Wächter über den sorgsamen Umgang mit ren. In einigen Fällen hat der der Deutschen Steuergroschen. Steuerzahlerbund ohnehin nur Der eingetragene Verein, der ein eigenes Rechnungshof-Berichte abge- Forschungsinstitut unterhält und sich über kupfert oder auf vage Hinwei- Mitgliedsbeiträge finanziert, ist schon lange se von Informanten einfach die

zu einer Institution in Sachen Anstand und / DDP HEIMANN ALEXANDER Behörden um Stellungnahme Moral der politischen Klasse in der Bun- Vizepräsident Lau: „Vertrauen erschleichen“ gebeten. „Wenn keine Antwort desrepublik geworden. Ob in Talkshows erfolgt“, so ein Mitarbeiter oder Interviews der Boulevardpresse – die dern oder Politikermauscheleien als falsch. Däkes, „gehen wir davon aus, dass wir Ankläger gegen Selbstbedienungsmentalität Einem Bürgermeister im hessischen Wet- Recht hatten.“ von Politikern oder laxen Umgang mit Steu- teraukreis unterstellten die selbst ernannten Am Image des selbstlosen Wächters über ergeldern in der öffentlichen Verwaltung Kontrolleure, er habe seinen Söhnen ein Politikeranstand und Haushaltsdisziplin heißen Lau und Karl-Heinz Däke. Däke, Baugrundstück zum halben Preis zuge- kratzten auch Berichte über eine allzu große gelernter Volkswirt und Hobby-Tenor, ist schustert. In Wahrheit hatten sie den vollen Nähe zum Versicherungskonzern Hamburg- seit 1994 Präsident des BdSt. Preis bezahlt. Der Verband musste sich ganz Mannheimer. Denn seit über 30 Jahren Jedes Jahr im Herbst hebt Däke zum offiziell bei dem Kommunalpolitiker ent- wirbt die Versicherung („Hallo, Herr Kai- Fortissimo an. Dann stellt der Präsident das schuldigen. ser“) Mitglieder für den Steuerzahlerbund.

24 der spiegel 32/2002 sicher, aus vielen Quellen. Der Buchungscomputer der Luft- hansa steht für neugierige Au- gen ziemlich weit offen. Zwar wies die Airline empört jeden Verdacht zurück, die sensiblen Daten könnten aus ihren Reihen geliefert worden sein. Doch wer sonst könnte nahezu in Echtzeit mit- lesen, wer wann welchen Flug wohin gebucht hat? Firmensprecher Klaus Wal- ther musste denn auch Ende vergangener Woche einräu- men, dass 3500 bis 4000 Mit- arbeiter weltweit auf die Da- ten zugreifen können. Und schlimmer noch: Wer nur liest, nicht aber Daten ändert, kann offenbar nicht identifiziert werden. Um vielleicht den-

UWE LEIN / AP UWE LEIN noch verräterische Kollegen Lufthansa-Schalter (in München): Strafanzeige gegen unbekannt zu enttarnen, erstattete die Lufthansa am Freitag Straf- gerade einen Job als Fraktionsmitarbeiter anzeige gegen unbekannt bei der Staats- Die gedeihliche Kooperation mit der bei der nordrhein-westfälischen FDP des anwaltschaft Frankfurt. Darin führt das Versicherung löste denn auch im vergan- Jürgen Möllemann angenommen. Unternehmen aus, es gebe einen „Täter- genen Jahr im Berliner Landesverband er- Die Verblüffung war gewaltig. Bahnte hinweis auf einen namentlich benannten hebliche Turbulenzen aus. Der ehemalige sich eine Affäre in der Affäre an – eine Mitarbeiter unserer Gesellschaft, für des- BdSt-Verwaltungsrat Werner Notz be- Mischung aus Polit-Intrige und Medien- sen Täterschaft uns hier jedoch keinerlei zeichnete die Verquickung als „unerträg- skandal mit verschworenen Akteuren, die Anhaltspunkte vorliegen und von der wir lich für eine Organisation mit so hohem Schröder & Co. um jeden Preis aus dem nicht ausgehen“. ethischem Anspruch“. Erst stellten sich die Amt jagen wollen? Bei dem Mann handelt es sich pikanter- Versicherungsvertreter „als Mitarbeiter des Am Tag danach ruderte der Bund der weise um einen Ermittler der Fluglinie in BdSt vor und erschleichen sich so das Ver- Steuerzahler heftig zurück. Alles irgendwie Sachen Meilenbetrug. Der firmeninterne trauen der Menschen“, und dann machten ein Missverständnis. Fahnder habe, so ein Lufthanseat, bereits sie „einen Termin für die Versicherungs- Auch die vom Kanzler nicht zum ersten mehrere Prozesse gegen Politiker geführt, beratung“. Auf die umstrittene Zusam- Mal gerüffelten Springer-Journalisten wie- die öffentlich nie bekannt geworden seien menarbeit, konterte daraufhin Präsident sen den Vorwurf der Kampagne am Freitag und über die er auch jetzt nichts Näheres Däke, könne man nicht verzichten. Für von sich. „Bild“-Chefreporter Dirk Hoeren sagen könne. Um jeden Verdacht auszu- eine eigene Mitgliederwerbung fehlten erklärte: „Es geht hier doch nicht um Wahl- schließen, werde nun der Computer des dem Verband schließlich hauptamtliche kampf, sondern darum, einen Missstand Kollegen durchleuchtet. Mitarbeiter. aufzudecken. Den Zeitpunkt für die Ver- Zudem beabsichtigt das Unternehmen, Verzichten möchte der Bund der Steu- öffentlichung konnten wir uns nicht aus- die Sicherheitsvorkehrungen zu verschär- erzahler, der sich gern seiner Überpartei- suchen.“ fen. Bundestagsabgeordnete oder ihre Mit- lichkeit rühmt, wohl auch nicht auf das Informationen über die Fluggewohnhei- arbeiter sollen nicht mehr von einfachen Wohlwollen des Kanzlerkandidaten der ten der Abgeordneten kommen, so viel ist Call-Center-Agenten betreut, sondern Union. Der pries schon 1995 „die höchst se- müssen sofort zu Abteilungsleitern durch- gensreiche Arbeit“ des Verbandes. Kurz gestellt werden. zuvor war Edmund Stoiber gerade mit dem Ob’s nützt? Per E-Mail gingen beim SPIE- „Sparlöwen“ geehrt worden. Diese Aus- GEL neue Informationen aus dem Miles zeichnung vergibt der bayerische Steuer- &More-Bestand ein. Daraus ergibt sich, dass zahlerbund, dem – ganz überparteilich – auch der grüne Fraktionsvorsitzende Rezzo der langjährige Augsburger CSU-Stadtrat Schlauch zu den Rabattsündern zählt. Rolf von Hohenau vorsteht, jedes Jahr als 180000 Prämienmeilen kostete der Frei- Anerkennung für besondere Verdienste um flug, der Schlauch am 22. März dieses den Steuerzahler. Jahres von Berlin-Tegel nach Frankfurt Stoiber war nicht der erste prominente und von dort in der ersten Klasse nach CSU-Mann, der die Auszeichnung erhielt. Bangkok führte. Am 5. April ging es den Vier Jahre zuvor hatte den „Sparlöwen“ gleichen Weg zurück. Gegenwert: rund der damalige bayerische Finanzminister 7000 Euro. Gerold Tandler bekommen, der später aus- Nach dem Rücktritt seines Kollegen Öz- gerechnet wegen Steuerhinterziehung an- demir dämmerte Schlauch offenbar, dass geklagt wurde. Das Verfahren stellte das auch er einen kleinen Fehler begangen hat-

Landshuter Landgericht im September / AP KNIPPERTZ J. HERMANN te. In mehreren Anrufen bei der Lufthan- 2000 gegen eine Geldbuße von 150 000 Mark ein. Andreas Wassermann Kanzler-Ehefrau Doris „Parteipolitische Kampagne“ 25 Titel Wie Abgeordnete zu Senatoren wurden Die Lufthansa versorgt Volksvertreter mit Privilegien, die denen gar nicht zustehen. ergangene Woche wollte Ralf Te- der Gratisflüge zu besteuern, wie das auch die von der nötigen Mindestzahl an Flügen ckentrup, 44, ausnahmsweise mal et- in anderen Branchen üblich ist. meilenweit entfernt waren. Doch als der Vwas kürzer treten. Der oberste Dennoch beschlossen die Abgeordneten, Bund 1997 seine letzten Anteile an der Luft- Netzmanager der Deutschen Lufthansa, im die bis 1994 schon einmal selbst für kurze hansa verkaufte, war es mit der Großzügig- Nebenberuf Chef des Bonusprogramms Zeit dienstlich Bonuspunkte bunkern durf- keit des Großkonzerns vorbei. Um Protes- „Miles & More“, hatte sich ein paar Tage ten, 1996 für die Meilengutschriften eine ten erboster Kleinaktionäre vorzubauen, freigenommen, um eine unangenehme Ope- Sonderregelung, die in der Branche seither zog die Airline die Gratiskarten ein – unter ration hinter sich zu bringen. als „Lex Lufthansa“ gilt. Wer bei Ge- lautem Protest von Promis und Politikern, Doch statt seine schmerzende Wunde zu schäftsreisen Gratisflüge einsammelt, erhält die ihre Privilegien nicht missen wollten. kühlen und sich von dem Eingriff zu erholen, dafür einen Freibetrag von 1224 Euro. Wer im edlen Club der Senatoren oder hing der Lufthansa-Manager pausenlos am Fallen darüber hinaus Bonusflüge an, Frequent Traveller (FTL), der Billig-Varian- Handy, um seinem obersten Chef Jürgen We- übernimmt die Airline die Abgabe an te für Ein- und Aufsteiger, Mitglied werden ber beizuspringen. An dem Vorwurf, der Kon- den Fiskus – zum Dumpingtarif von zwei will, muss seither mindestens 150000 be- zern würde Volksvertreter durch sein Rabatt- Prozent. ziehungsweise 50000 Meilen erflogen ha- system zu Raffkes erziehen, sei nichts dran, Zufall oder System? Kurze Zeit später ben. Umgerechnet sind dafür fast 20 One- wiederholte Teckentrup gebetsmühlenhaft. stattete die Lufthansa die Volksvertreter, die way-Business-Class-Flüge nach New York „Wenn Abgeordnete Regelverstöße begehen“, zu diesem Zeitpunkt dienstlich überhaupt für den Senator-Status in einem Jahr oder machte er gegenüber Vertrauten seinem Är- keine Meilen sammeln konnten, zum Null- rund ein Dutzend Flüge in der Economy ger Luft, „ist das doch nicht unser Problem.“ tarif mit der heiß begehrten Senator-Karte Class für FTL-Aspiranten nötig. Das „Miles & More“-System der Lufthansa... Mit dem Vielflieger-Prämiensystem sollen Kunden an die Lufthansa und deren Partnerunternehmen gebunden werden. Für Flüge, Übernachtungen in bestimmten Hotels, die Buchung von Mietwagen oder die Nutzung der „Lufthansa Visa Card“ gibt es so genannte Bonusmeilen, die dem Kunden gutgeschrieben werden. Diese Meilen kann der Kunde gegen Prämien eintauschen, z. B. Freiflüge, Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche oder Sachprämien. ... und ein Rechenbeispiel Einen innereuropäischen Freiflug gibt es für 20000 Meilen Diese Bonusmeilen können beispielsweise gesammelt werden durch • zwei Business-Class-Flüge Berlin–Frankfurt–Wien und zurück 16000 Meilen

INGRID FRIEDL / LUFTHANSA • zwei Aufenthalte in einem Lufthansa-VIP-Lounge (in Frankfurt): Champagner zum Nulltarif Lufthansa-Partnerhotel + 1000 Meilen Standhaft weigerten sich die Lufthansa- aus. Nur die PDS gab da- • zwei Mietwagenbuchungen über Verantwortlichen vergangene Woche, Bun- mals Protest zu Protokoll, Partnerunternehmen + 1000 Meilen destagspräsident Wolfgang Thierse eine Lis- ohne Erfolg. • Bezahlung einer Reiserechnung über te sämtlicher Abgeordneten zu übermitteln, Besitzer der VIP-Card 2000 Euro mit der „Lufthansa Visa Card“ + 2000 Meilen die Bonusflüge genutzt haben. „Das ver- müssen nicht, wie norma- stößt gegen den Datenschutz“, empörte sich le Bürger, am Lufthansa-Schalter Schlange Auch längere Auszeiten können sich die ein Lufthansa-Sprecher. stehen, sondern können als Senatoren, wie rund 80 000 Senatoren und 300 000 FTL- Den Anlass für den erbitterten Streit zwi- sie im Branchenjargon genannt werden, am Card-Inhaber nicht erlauben, wenn sie ihren schen der Regierung und der ehemaligen First-Class-Schalter einchecken, 40 Kilo VIP-Status nicht verlieren wollen. Sonst er- Staats-Airline bildet ausgerechnet ein Bo- Gepäck aufgeben und erhalten auf ihre halten sie von der Lufthansa einen Brief mit nussystem, das es ohne die Unterstützung Meilengutschriften sogar noch einen Zu- der freundlichen, aber bestimmten Auffor- der Politiker in dieser Form heute über- satzbonus von 25 Prozent. Die Wartezeit derung, ihr Meilenkonto schleunigst aufzu- haupt nicht geben würde. können sich die Statuskunden in speziell bessern, weil der Konzern die VIP-Card Als die Lufthansa 1993 begann, treue eingerichteten Wartelounges vertreiben, wo sonst leider zurückfordern muss. Kunden nach dem Vorbild großer US-Air- sie mit Champagner und Kanapees ver- Ausnahmen gelten nur für die Bundes- lines mit Meilengutschriften zu ködern, wur- wöhnt werden. tagsabgeordneten, die ihren Status auch de ihr vorgeworfen, Bessergestellte auf Fir- Bis zur Privatisierung der Lufthansa ver- dann behalten, wenn sie als Hinterbänkler menkosten mit Bonuspunkten zu bestechen. teilten die Airline-Manager die Plastikkar- überwiegend per Bahn zwischen Berlin und Der damalige Bundesfinanzminister Theo te großzügig an Bundes- und Landespoliti- ihrem Wahlkreis pendeln. „Wir wollen den Waigel drohte gar, den geldwerten Vorteil ker oder Verbandsfunktionäre, auch wenn Volksvertretern eben die Möglichkeit ge-

26 der spiegel 32/2002 ben“, wirbt Miles&More-Chef Teckentrup um Verständnis, „in einer unserer Flugha- fen-Lounges auch mal eine vertrauliche Besprechung abzuhalten.“ Um ihre Topkunden bei Laune zu hal- ten, verabschiedeten die Lufthansa-Mana- ger im Sommer 2000 zudem eine Neure- gelung, die sich nun als gewaltiger Spreng- stoff für jene Abgeordneten erweist, die ihre Meilen privat verwendeten, anstatt sie, wie vorgeschrieben, dienstlich zu nutzen. Bis September 2000 durften Statuskunden der Airline Flugprämien nur an Familien- mitglieder verschenken oder mussten bei den Bonustrips selbst mit an Bord gehen. Doch weil Vielfliegern wie dem Luft- hansa-Meilenkönig und McKinsey-Mana- Aktenkoffer, Besitzer Trittin ger Thilo Mannhardt (letzter bekannter Auf Steuerkosten bereichert? Prämienstand: zwei Millionen) häufig die Zeit für zusätzliche Freizeittrips fehlt, eröff- sa drängte er darauf, den Bonusflug nete die Airline gestressten Geschäftsleuten nachträglich bezahlen zu dürfen. Zu spät, die Möglichkeit, ihr Guthaben auch in die Lufthansa spielte nicht mit. Schlemmerwochenenden, Zigarrenkist- Schlauch erklärte am vergangenen Frei- chen oder Luxusköfferchen umzuwandeln. tag, er habe inzwischen „die Summe für Gleichzeitig erlaubte sie VIP-Kunden erst- den Kauf des Tickets an den Deutschen

mals, private Prämienflüge auch an Freun- Bundestag überwiesen“. Den peinlichen (O.);ARD AKTUELL / DDP (U.) MICHAEL KAPPELER de und Bekannte zu verschenken, ohne Vorgang habe er nicht selbst in die Öffent- selbst mitzureisen. lichkeit tragen wollen, um der seiner Mei- Mit weiterer Verwirrung ist zu rechnen. Großkonzerne wie Siemens, BMW oder nung nach laufenden Kampagne gegen die Die Affäre um die Privatflüge erzeugt viel die Telekom nutzen die neue Freiheit seit- Grünen nicht neue Nahrung zu geben. Ein Qualm – und schadet so nicht nur den her, um ihre Reisekosten zu drücken. Wer bisschen Reue zeigte Schlauch ebenfalls: Grünen und der PDS. Der Frust über die auf Firmenkosten viel fliegt, muss seine „Das war eine Riesendummheit von mir. vermeintlichen Raffkes in Berlin dürfte Meilen in eine zentrale Datenbank ein- Ich hätte wissen müssen, dass die Buchung auch die ohnehin nicht geringe Politikver- speisen. Die Reisestelle nutzt die Guthaben des privaten Tickets auf diese Weise falsch drossenheit weiter nähren. dann für Trips, die zu einem späteren Zeit- ist.“ Er bedaure seinen Fehler, gehe aber Wohl keine Berufsgruppe ist so sehr Pro- punkt geplant sind und bei denen An- davon aus, „dass durch die Zahlung an den jektionsfläche für hehre Ansprüche und Er- kunfts- und Abflugzeit feststehen. Bei Bundestag die Sache bereinigt ist“. wartungen wie die der Politiker. Von ihren BMW müssen Mitarbeiter neben ihrer Cor- Volksvertretern erwarten die Bür- porate Card ausdrücklich eine zusätzliche NACH DEM RÜCKTRITT VON ÖZDEMIR ger all das, was sie selbst nicht Miles&More-Karte beantragen, wenn sie leisten: Ehrlich sollen sie sein, ma- privat Meilen sammeln möchten. DÄMMERT AUCH SCHLAUCH, DASS teriell anspruchslos, unbestechlich Nach Angaben der Lufthansa machen und nur dem Allgemeinwohl ver- zurzeit immerhin 297 der 666 Bundestags- ER EINEN FEHLER BEGANGEN HAT. pflichtet. Kein Wunder, dass kaum abgeordneten von der Möglichkeit Ge- jemand diesem Bild genügen kann. brauch, dienstliche und private Ausgaben Anonyme Hinweise hatten auch den Oft sind es deshalb gerade die kleinen, sauber zu trennen. Bund der Steuerzahler im vergangenen die alltäglichen Affären, die für besonders Bereits Ende Juni 2001, knapp ein Jahr September erreicht. „12 bis 15 Namen“ von großen Unmut sorgen. Sie sind so schön nachdem Flugprämien erstmals an Dritte Bundestagsabgeordneten, die Bonusmei- einfach, griffig, leicht verständlich – und übertragen werden konnten, forderte len privat verfliegen, seien in einem Tele- sorgen damit für besonders große Auf- Bundestagspräsident Thierse seine Kolle- fonat zwischen dem Informanten und dem regung. gen auf, ihre Bonuspunkte verstärkt für Vereinsmitarbeiter Axel Müller gefallen, Welcher Journalist kann es sich schon Dienstreisen zu nutzen. Um die Abwick- der inzwischen für die FDP arbeitet. Rei- entgehen lassen, wenn beispielsweise lung über die hauseigene Reisestelle zu seziele und Flugdaten seien genannt wor- Günther Krause, Verkehrsminister unter erleichtern, hatte der Ältestenrat mit der den, Müller habe einen Vermerk angefer- , seine Putzfrau vom Arbeits- Lufthansa extra ein vereinfachtes Bu- tigt. Unter den mutmaßlichen Sündern sei- amt subventionieren lässt? Oder wenn Wal- chungsverfahren vereinbart. „Dies setzt en Abgeordnete aller Parteien gewesen. ter Momper, der frühere Regierende Bür- jedoch voraus“, schrieb er in seinem Einen Fall habe der Vereinskollege selbst germeister von Berlin, seine Reinigungs- Brandbrief, „dass Sie die Prämiengut- recherchiert, die Sache sei aber in Ord- kraft schwarz beschäftigt? schriften und die Ihnen von der Lufthansa nung gewesen. Bei Nachforschungen hät- Natürlich ist die Empörung groß, wenn zugeteilte Code-Nummer der Reisestelle te man sich überfordert gefühlt. Als „star- Bremens ehemaliger Bürgermeister Klaus zuleiten.“ ker Partner“ sei „Bild“-Reporter Hoeren Wedemeier seinen Strom daheim zum hal- Wie viele Abgeordnete der Aufforde- erschienen, zu dem Müller ohnehin gu- ben Preis bezieht oder wenn Kurt Bieden- rung vom vergangenen Sommer nachge- ten Kontakt pflegte. In einem Gespräch kopf als sächsischer Ministerpräsident für kommen sind und Kontenstand nebst PIN- sei herausgekommen, der Journalist ha- 1857 Mark Warmmiete nicht nur eine 130 Nummer rausgerückt haben, ist nicht be- be ohnehin schon über „ähnliche Infor- Quadratmeter große Dienstwohnung in kannt. Dinah Deckstein mationen“ verfügt wie der Steuerzahler- Dresden bekommt, sondern auch Koch, bund. Gärtner und weiteres Hauspersonal.

der spiegel 32/2002 27 Titel

noch Anrechnungspflichten. Ein sozialis- tischer Abgeordneter, der jahrelang frei- willig seine Steuererklärung beim Par- Präsentkorb vom Sultan lamentspräsidium hinterlegte, wurde als Wie in den Parlamenten Europas und „gläserner Herr“ verspottet. Der Mann blieb – wen wundert’s – ein Einzelgänger. der USA Nebenjobs kontrolliert werden Ganz so düster sind die Verhältnisse er in Italien wissen will, was ein bei den Finanzbehörden jederzeit detail- im Europäischen Parlament nicht. Aber Parlamentarier besitzt und wer lierte Auskünfte einholen. auch die EU-Volksvertreter halten sich, Wihn im Wahlkampf unterstützt, In Frankreich ist es Politikern und Par- wenn es um das eigene Portemonnaie der muss nur in die römische Via Ufficio teien seit 1995 verboten, Spenden von geht, gern zurück. Als das Präsidium des del Vicario Nummer 21 gehen. In dem Ge- Unternehmen, Verbänden und Vereinen EU-Parlaments im letzten Jahr beschloss, bäude gleich neben dem Parlament liegen anzunehmen. Privatleute dürfen nicht alle Mitglieder sollten im Internet unter im 2. Stock die Einkommens- und Vermö- mehr als 4600 Euro für den Wahlkampf www.europarl.eu.int über ihre Finanzen genserklärungen italienischer Politiker aus. spendieren. Ein Parlamentsgremium mit Auskunft geben, war das manchen zu viel Spaltenlang ist dort etwa der Aktien- dem schönen Namen „Kommission für der Transparenz. Von den 99 deutschen besitz des italienischen Premiers Silvio die finanzielle Transparenz des politi- Vertretern etwa machen viele keine An- Berlusconi aufgelistet. Auch über die fünf schen Lebens“ soll zudem den Erwerbs- gaben. Und wer sich doch dazu durchge- Mailänder Eigentumswohnungen des re- trieb französischer Parlamentarier kon- rungen hat, belässt es oft bei einem dür- gierenden Medienmoguls, die Marken sei- trollieren. Am Anfang und am Ende ih- ren „gelegentliche Vortragstätigkeit“, ner vier Autos und die Namen seiner res Mandats müssen die Abgeordneten „Veröffentlichung“ oder Mitglied im Yachten kann sich der interessierte Besu- eine Vermögensliste hinterlegen. „Aufsichtsrat der Raiffeisen Hauptgenos- cher informieren. Selbst senschaft“. Angaben über Berlusconis Steuererklä- die Bezahlung? Fehlan- rung ist dort zu besichti- zeige. gen: Unter der Nummer Da bekommt, wer die BRLSLV36P29 F 205 W Website des britischen nannte der Ministerpräsi- Unterhauses anklickt, dent dem Fiskus für das mehr geboten. Etwa das vergangene Jahr Einkünf- Bekenntnis von Premier- te von 16717250000 Lire minister Tony Blair, in – etwa 8,6 Millionen Euro. den Weihnachtsferien Wie der mächtigste und 2001 mit seiner Familie reichste Mann Italiens sechs Nächte im ägypti- sind alle Parlamentarier in schen Scharm al-Scheich Rom seit 1982 gesetzlich verbracht zu haben – auf verpflichtet, ihre Steuer- Einladung der dortigen erklärungen offen zu le- Regierung. Zum Dank, so gen sowie über ihre Ver- Blair, habe er für wohl- mögensverhältnisse und tätige Zwecke gespendet. finanziellen Abhängigkei- Wie der Premier müs-

ten Auskunft zu geben. AP sen alle Unterhausmit- So viel Transparenz ist Premier Blair (r.), Ehefrau Cherie in Ägypten*: Zum Dank gespendet glieder seit 1974 ihre pe- in Europa die Ausnahme. kuniären oder sonstigen Vor allem verglichen mit den USA, wo sich Vom Schmuck bis zur Lebensversiche- Zuwendungen veröffentlichen. Der kon- die Abgeordneten an strikte Regeln halten rung, vom Immobilienbesitz bis zu wert- servative Oppositionsführer Iain Duncan müssen, sind die Vorschriften in Europa vollen Möbeln muss alles penibel aufge- Smith meldet, dass seiner Frau Kleider beim Umgang mit Nebenjobs und den Ge- führt sein. Der Öffentlichkeit bleiben die für offizielle Anlässe geliehen wurden. fälligkeiten von Lobbyisten eher lax. Angaben, die ein Notar oder die Bank Parteifreund William Hague bekennt, dass In Belgien, Luxemburg und den Nie- beglaubigen muss, allerdings verborgen. der Sultan von Brunei ihn zu Weihnach- derlanden müssen Nebentätigkeiten etwa In Belgien und den Niederlanden kön- ten mit einem Präsentkorb beglückt habe. als Lobbyist nicht öffentlich gemacht wer- nen Parlamentierer maximal eine Lob- Säße Hague im US-Parlament, könnte den. Vom Zuverdienst französischer Ab- bytätigkeit oder ein Aufsichtsratsmandat ihm die Gabe des Sultans Schwierigkei- geordneter in einer Privatfirma erfährt annehmen. Reicher werden belgische ten bereiten. Im Land der unbegrenzten allenfalls der Fiskus, Posten in staatlichen und niederländische Politiker durch die- Möglichkeiten müssen Parlamentarier Unternehmen sind jedoch – mit einigen se Mehrarbeit nur bedingt: In Holland nämlich nicht nur ihr Einkommen und Ausnahmen – verboten. In Schweden sol- werden die Nebeneinkünfte vollständig ihr gesamtes Vermögen offen legen, auch len zusätzliche Einnahmen der Parla- auf die Diäten angerechnet. In Belgien die Annahme von Geschenken ist streng mentarier zwar in einem besonderen Re- gibt es Abzüge, wenn das Zusatzein- reglementiert. Penibel wird in einer Be- gister vermerkt werden, aber die Teil- kommen die Hälfte dessen übersteigt, nimmfibel aufgelistet, was unter Korrup- nahme ist freiwillig. was der Abgeordnete an Diäten verdient. tionsverdacht steht – vom Gefälligkeits- Ganz ungezügelt bleiben die Volks- Lediglich an Luxemburg scheinen all darlehen bis zur Einladung zum kosten- vertreter allerdings auch hier nicht: Weil die Debatten um Korruption und Lobby- losen Golfspiel ist alles dabei. Die dienst- Steuererklärungen in Schweden ohnehin ismus spurlos vorübergegangen zu sein. lich erworbenen Flugmeilen allerdings öffentlich sind, können Interessierte über Der Mini-Staat kennt weder Publikations- dürfen US-Abgeordnete privat verflie- das Steuergebaren eines Politikers – wie gen. Karen Andresen, Hans-Jürgen Schlamp, Sylvia Schreiber über das eines jeden anderen Bürgers – * Am 27. Dezember vor der Großen Pyramide in Giseh.

28 der spiegel 32/2002 MARCO-URBAN.DE (L.); HCP (R.) MARCO-URBAN.DE FDP-Politiker Rexrodt (l.)*, Christdemokrat Fink: „Direkte Interessenvermittlung zwischen Wirtschaft und Politik“

Das sind Affären, über die sich jeder auf- Spät, viel zu spät haben SPD und Grü- riers, wäre vonnöten. Erst einmal sind die regen kann. Weil sie viel eingängiger und ne jetzt den Versuch gestartet, das rampo- Politiker, die sich und ihresgleichen offen- nachvollziehbarer sind als komplizierte Fäl- nierte Image der Abgeordneten vielleicht bar selbst für maßlos halten, dabei, neue le von Steuerhinterziehung und unsaube- doch noch zu verbessern. Denn die aufge- Standesregeln zu entwerfen. rer politischer Einflussnahme. Deshalb hat regte Diskussion um den Missbrauch der Aufgeschreckt durch den Wirbel um die ausgerechnet ein Ärgernis wie das um die Bonusmeilen hat zumindest deutlich ge- Lobbyisten-Beziehungen Özdemirs und privat abgeflogenen Dienstmeilen der Ab- macht, wie wenig sich offensichtlich man- Scharpings, will die rot-grüne Koalition geordneten alle Zutaten für einen deftigen che Volksvertreter um die selbst gesetzten nun immerhin in der Sondersitzung des Skandal. Regeln kümmern. Bundestags am 12. September die Verhal- Das Ergebnis ist jedesmal das gleiche: Die Freiflug-Affäre mag in ihren politi- tensregeln für Abgeordnete verschärfen: Noch mehr Bürger fühlen sich in ihrem schen Folgen gravierend sein, in der Sache Künftig soll transparent gemacht werden, negativen Urteil über die Politik bestätigt ist sie es nicht. Die Abgeordneten haben ob ein Abgeordneter neben Beruf und und bleiben am Wahltag zu Hause. Alles gegen eine „freiwillige Selbstverpflich- Mandat durch Berater- oder Gutachter- spricht dafür, dass es auch dieses Mal so tung“ verstoßen. Das ist nicht illegal, noch verträge oder Nebentätigkeiten an Unter- sein wird. nicht einmal illegitim, nur „unkollegial“, nehmen, Verbände oder andere Interes- Immer häufiger ist die Gruppe der meint der Bundestagspräsident. Juristische sengruppen gebunden ist. Nichtwähler bei Wahlen die zweitstärkste Konsequenzen zumindest hat es nicht. Die bestehende Regelung lädt zum Ab- Fraktion. „Langfristige Bindungen an Doch der laxe Umgang der politischen kassieren geradezu ein. Zwar sind die Par- Parteien sind am Ende der neunziger Jah- Klasse mit dieser eher unbedeutenden Re- lamentarier schon jetzt verpflichtet, ihre re auf ein Maß geschrumpft, das jedem gel zeigt aufs Neue, dass es im Parlament Nebenjobs dem Bundestagspräsidenten an- Wahlkampfmanager die Schweißperlen längst nicht mehr nur um die Res publica, zuzeigen. Doch der untersteht praktisch auf die Stirn treibt“, hat der Kasseler die Sache aller, geht: Ist der Politiker einer, der gleichen Verschwiegenheitspflicht wie Sozialwissenschaftler Detlef Sack beob- ein Beichtvater. Wer welchen Be- achtet. ZWEI DRITTEL DER ABGEORDNETEN ratervertrag mit welcher Firma Der Schritt zur Wahlurne ist längst kei- hat – Wolfgang Thierse muss sein ne Selbstverständlichkeit mehr. Immer SITZEN IN AUFSICHTSRÄTEN, Wissen für sich behalten. Veröf- mehr Bürger fragen sich: Gehe ich hin? fentlicht wird nur, welchen Be- Und wenn ja, wen wähle ich? Das bedeu- VERBANDSVORSTÄNDEN, STIFTUNGEN. ruf der Volksvertreter erlernt hat tet, dass die Wahlentscheidung immer oder nebenher ausübt und in kurzfristiger fällt, dass aktuelle Ereignisse der für die Politik lebt, oder nicht in zu- welchen Aufsichtsräten oder Vorständen immer wichtiger sind. nehmendem Maße jemand, der von der er wirkt. Vor diesem Hintergrund könnten die Af- Politik lebt? Ist der Gedanke des Gemein- Aber selbst Thierse erfährt nur einen fären und Skandale der letzten Zeit das wohls bereits so weit zur Ulknummer ver- Bruchteil. Rund 2500 Euro monatlich oder Regierungslager besonders empfindlich kommen, dass selbst die Weltverbesserer 15000 Euro jährlich können Abgeordnete treffen: Die eigenen Anhänger, so das mög- von einst nicht mehr bereit sind, sich den zusätzlich zu ihren Diäten kassieren, ohne liche Szenario, laufen zwar nicht zu Union Minimalstandards zu unterwerfen? dies mitteilen zu müssen. So kann ein Ab- und FDP über – sie bleiben schlicht zu Der aktuelle Fall, der in der Sommerhit- geordneter wie der FDP-Gesundheitsex- Hause und verhelfen so Edmund Stoiber ze die Gemüter bewegt, ist vor allem perte Dieter Thomae gefahrlos verschwei- zum Einzug ins Kanzleramt. deshalb so wirkungsvoll, weil er auf ein gen, dass er Anteile an Kliniken im Ahrtal kollektives Nervenkostüm trifft, das sich besitzt – Unternehmensbeteiligungen sind * Am 25. November 1999 mit dem Vorstandsvorsitzenden überreizt von all den Skandalen von der po- erst ab 25 Prozent meldepflichtig. von Schwäbisch-Hall, Alexander Erdland, und dem Lob- byisten Moritz Hunzinger auf einem Parlamentarischen litischen Bühne abwendet. Ein neues Be- Vier Jahre haben die rot-grünen Koali- Abend der Bausparkasse in Berlin. rufsbild, eine neue Ethik des Parlamenta- tionäre gebraucht, um schärfere Regeln 29 Titel vorzulegen – und das nur unter dem Druck in Artikel 38, „sind Vertreter des ganzen en und Männern“ interessiert oder der der aktuellen Skandale. Doch FDP und Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht Bundestag etwas über den „Struktur- und Union ist selbst dieses Schneckentempo gebunden und nur ihrem Gewissen unter- Motivationswandel bürgerschaftlichen En- zu schnell. worfen.“ gagements unter besonderer Berücksichti- Die Opposition lehnt jede Änderung ab. Schön wär’s. Tatsächlich geht es hand- gung der Gender-Perspektive“ wissen will Kanzlerkandidat Stoiber kritisiert die Re- fester zu unter der realen Reichstags- – kaum ein anderes Institut hat sich in den gierungspläne nebulös als „Fehler“, FDP- kuppel. vergangenen Jahren so viele sozialpoliti- Fraktionschef ereifert Mehr als zwei Drittel der Abgeordneten sche Gutachteraufträge an Land gezogen sich über die angebliche „Schauveranstal- tummeln sich in Aufsichtsräten, Verbands- wie die zwölfköpfige Forschertruppe des tung“, und der Parlamentarische Ge- vorständen oder Stiftungsgremien. Unab- umtriebigen SPD-Professors. schäftsführer der Unionsfraktion, Eckart hängig und dem großen Ganzen verpflichtet, „Der bettelt einfach überall“, ätzt ein Ge- von Klaeden, bremst übervorsichtig: „So wie das Grundgesetz verlangt, sind sie damit sundheits-Funktionär. Und das nicht selten erfolgreich. Welch anderes Wissenschaftsinstitut kann sei- nen Kunden schließlich ver- sprechen, den Vorhaben nicht nur wissenschaftliche, sondern auch politische Rückende- ckung bieten zu können? Ein ähnliches Geschäftsmo- dell wie Pfaff verfolgt auch der CDU-Bundestagsabgeordnete . Der erfahrene Sozial- politiker gründete 1994 das Berliner WISO Institut für Wirtschaft und Soziales, vor- geblich, um „Wege aus den Denk- und Handlungsblocka- den“ in der Sozialpolitik auf- zuzeigen. Auf welche Weise, lässt sich jedes Jahr bei einem „Haupt- stadtkongress Medizin und Gesundheit“ beobachten. Mit freundlicher Unterstützung von Pharmakonzernen wie Bristol-Myers Squibb und Johnson & Johnson debattie- ren Politiker, Medizinfunk-

CHRISTIAN DITSCH / VERSION DITSCH CHRISTIAN tionäre und Konzernlenker im Wahlkämpfer Schröder*: Bleiben die SPD-Anhänger am 22. September zu Hause? Berliner ICC aktuelle Proble- me des Gesundheitswesens. kurz vor der Wahl ist eine Neuregelung nicht mehr, sondern Teil organisierter Son- Anbieter von Medizingeräten, Klinik- seriös nicht zu machen.“ derinteressen, als Gewerkschafter, Arbeit- betreiber und private Pflegeeinrichtungen Dabei sind die Pläne der Koalition alles gebervertreter oder Verbandsfunktionär. bekommen ausreichend Gelegenheit, sich andere als radikal. Danach bleiben Ein- Doch diese Fälle sind bekannt. Beunru- und ihr segensreiches Wirken vorzustellen. künfte aus dem Hauptberuf weiterhin higend wird es, wenn die Abhängigkeiten Kaum durchschaubar ist das stille Wir- Privatsache des Abgeordneten. Nur die nicht offen sind und wo Abgeordnete das ken der Lobbyisten im Parlament. Beson- Nebentätigkeiten sollen publik gemacht Mandat dazu nutzen, ihre Diäten mit al- ders diskret geht naturgemäß die Rüs- werden. Ob und in welchem Umfang die lerlei Zusatzhonoraren und Nebenver- tungsindustrie vor, die ihre politischen In- Einkünfte daraus veröffentlicht werden, diensten aufzubessern. teressen vor allem über den „Förderkreis geht aus dem rot-grünen Antrag nicht Der SPD-Abgeordnete Martin Pfaff zum Deutsches Heer“ verfolgt. zweifelsfrei hervor – wirkliche Transpa- Beispiel leitet seit mehr als 25 Jahren das Der eingetragene Verein will in Öffent- renz scheint kaum mehrheitsfähig. Sozialforschungsinstitut Inifes in Stadtber- lichkeit und Parlament die Belange der Doch nur die kann dafür sorgen, dass die gen bei Augsburg. Als Gesellschafter. Un- Landstreitmacht befördern und für eine Wähler wissen, welche Interessen ihre Ab- ter erschwerten Bedingungen. Schließlich angemessene Bewaffnung der Soldaten geordneten in Wirklichkeit vertreten – und werde der Think-Tank trotz einer „Emp- sorgen. Das Büro befindet sich an der Ber- damit das Mindestmaß an Vertrauen wie- fehlung des Wissenschaftsrates“ nicht mit liner Topadresse Gendarmenmarkt – gleich der herstellen, das die Politik so dringend Landesmitteln gefördert, wie das Institut neben der Repräsentanz des Rüstungs- nötig hat. auf seiner Homepage beklagt. konzerns Rheinmetall. An das hehre Bild vom Parlamentarier, Da fügt es sich gut, dass der Ökonom als Die Sponsorenliste („fördernde Mitglie- der in endlosen Sitzungswochen von mor- Bundestagsabgeordneter stets frühzeitig der“) liest sich wie ein „Who’s who“ der gens bis abends nichts als Gemeinwohl informiert ist, wenn in irgendeinem Minis- Branche: Der Luft- und Raumfahrtkonzern und Wählerauftrag im Sinn hat, glauben terium, einem Spitzenverband oder einer EADS ist dabei, die Panzerschmiede selbst politische Romantiker nicht mehr. Parlamentskommission eine gut dotierte Krauss-Maffei-Wegmann, Rheinmetall. Un- „Die Abgeordneten des Deutschen soziologische oder wirtschaftswissenschaft- ter dem Vorsitz von General a. D. Franz- Bundestages“, verkündet das Grundgesetz liche Expertise anzufertigen ist. Ferdinand Lanz, einst zuständig für Hee- Ob das Familienministerium die „Be- resrüstung, sind die Chefs der Waffen- * Am vergangenen Donnerstag in Stralsund. rufs- und Einkommenssituation von Frau- industrie mit aktiven Generälen und

32 der spiegel 32/2002 Bundestagsabgeordneten von CDU, CSU, nen Kanzleien der Volksvertreter lukrative Schultz, dessen Beratungsunternehmen FDP und SPD ein trautes Bündnis einge- Aufträge. Mal ist es ein umfangreiches Gut- Schultz Projekt Consult im münsterländi- gangen. Die meisten der Volksvertreter sitzen achten, mal ist es der Auftrag für einen schen Everswinkel die Hamburgischen im Verteidigungsausschuss des Bundestags. langwierigen Rechtsstreit oder die äußerst Electricitäts-Werke (HEW) bei ihren Doch die machen aus ihrer Mitglied- lukrative Beurkundung von Grundstücks- Bemühungen zur Übernahme der ostdeut- schaft gern ein Geheimnis. Wehrexperten geschäften, die – ganz zufällig – in der je- schen Braunkohleverstromer Laubag und wie Werner Siemann (CDU) und Peter weiligen Kanzlei landen. Veag beriet. Inzwischen steht der Deal un- Zumkley (SPD) verschweigen im Hand- Beispiel: Ex-Postminister Wolfgang ter dem Dach des schwedischen Staats- buch des Bundestags die Pöstchen in dem Bötsch. Am 1. Januar 2001 trat der konzerns Vattenfall. Reinhard Schultz zog Militär- und Rüstungsverein. Ebenso hält es langjährige CSU-Politiker in Frankfurt ei- im vergangenen Jahr in die Aufsichtsräte die SPD-Abgeordnete Verena Wohlleben, ner renommierten Anwaltskanzlei bei. Und von Veag und Laubag ein – „in Anerken- die im Handbuch zwar über Mitgliedschaft ganz zufällig erhält diese Kanzlei von Post nung seiner Verdienste für die Unterneh- bei Arbeiterwohlfahrt, Rheumaliga und „verschiedenen kulturellen Vereinen“ so- wie „Frauen in Not“ berichtet, nicht aber über die Mitwirkung im Präsidium des Förderkreises. Ständiger Begleiter der SPD-Frau ist aus- gerechnet Förderkreis-Chef Lanz. Selbst Parteifreunde spotten, dass in Wahrheit wohl der Ex-General die Feder führe, wenn seine Lebensgefährtin in Zeitungsartikeln für Panzerexporte in die Türkei wirbt und in der „Welt“ fordert, die Bundeswehr sol- le sich in Europa auf Landstreitkräfte mit hochmodernen Waffen deutscher Proveni- enz spezialisieren. Der FDP-Politiker und frühere Wirt- schaftsminister Günter Rexrodt hingegen schreibt seine Artikel selbst. Zusammen mit den früheren „Bild“-Chefredakteuren Hans-Erich Bilges und Hans-Hermann Tied- je gehört ihm die Beratungsfirma WMP Eu- rocom. Laut Eigenwerbung fühlt sich das Unternehmen zuständig für „vertrauliche Dialoge oder direkte Interessenvermittlung zwischen Wirtschaft und Politik“. Der ame- rikanische Immobilienmilliardär Donald Trump zählt ebenso zu den Kunden wie die

Energiekonzerne E.on und BP, die in einem CHARISIUS / REUTERS CHRISTIAN umstrittenen Deal Aral-Tankstellen gegen Schröder-Herausforderer Stoiber*: Beste Chancen, wenn die PDS scheitert Anteile an der Ruhrgas tauschen wollen. Während die FDP das wettbewerbs- und Telekom auch lukrative Aufträge. men“, frotzelte später ein hoher Veag- feindliche Milliarden-Monopoly pro- Über Art und Umfang will Bötsch nichts Manager. grammkonform ablehnt, setzt sich Rexrodt sagen: „Das lässt sich mit meiner Tätigkeit Auf seiner privaten Homepage schreibt („Wirtschaft muss in der Wirtschaft statt- als Anwalt nicht vertreten.“ Schultz über Schultz: „Er hält Politik und finden“) gegen den Meinungs-Mainstream Informationen aus den Unternehmen, Geschäft strikt auseinander, auch wenn die und zur Überraschung seiner Parteifreun- nach denen es sich beispielsweise um die Erfahrungen des Unternehmers seine Poli- de für das Geschäft ein. „Aus europäischer einträgliche Beurkundung von Grund- tik beeinflussen.“ Perspektive“, behauptet er forsch, sei ein stücksgeschäften handeln soll, will der ehe- Der permanente Interessenkonflikt zwi- Zusammenschluss von E.on und Ruhrgas malige Postminister deshalb nicht kom- schen Mandat und Nebentätigkeit, den et- „richtig“. Um seine Position näher erläu- mentieren. liche Abgeordnete längst zu Gunsten ihrer tern zu können, bot Rexrodt sich der „Fi- Dass irgendwelche Aufträge allerdings Nebentätigkeit entschieden haben, lässt nancial Times Deutschland“ als Ansprech- einen Gesinnungswandel herbeigeführt sich nicht durch Berufsverbote verhindern. hätten, streitet Bötsch vehement Niemand kann ein Interesse daran haben, GERN VERGEBEN UNTERNEHMEN AN ab. Sein plötzliches Eintreten für dass noch mehr Studienräte, Verwaltungs- weniger scharfe Regulierung der juristen und Politologen das Parlament be- DIE ANWALTSKANZLEIEN VON VOLKS- Telekom und sein in der Presse völkern. geäußertes Verständnis für eine Wenn überhaupt, ist nur ein einziges VERTRETERN LUKRATIVE AUFTRÄGE. Verlängerung des Postmonopols Mittel erfolgreich: maximale Transparenz. hätten nichts mit irgendwelchen Meldet sich dann beispielsweise der partner an – ein Ansinnen, das das Blatt als Mandaten für seine Kanzlei zu tun. Ent- Abgeordnete Rexrodt öffentlich in Ener- „ärgerlichen Verstoß gegen die politische sprechende Wünsche, so der Ex-Minister, giefragen zu Wort, kann jeder Interessier- Hygiene“ ablehnte. seien nicht an ihn herangetragen worden. te wissen, dass der Mann nicht nur vom Wie man aktive Politiker für das eigene Als gänzlich unabhängig und Vertreter Bundestag, sondern auch von BP bezahlt Unternehmen einfängt, ist in der Industrie des ganzen Volkes fühlt sich vermutlich wird. ein offenes Geheimnis – zumindest wenn auch der SPD-Abgeordnete Reinhard Allerdings: Mit kaum etwas tun sich die es Juristen sind. Dann nämlich vergeben Volksvertreter schwerer, als schein- die Unternehmen an die meist angesehe- * Am vergangenen Montag in Schierke im Harz. bar einfache Entscheidungen in eigener

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Sache zu fällen. Debatten etwa um die Frage, was Abgeordnete verdienen sollen, gehören regelmäßig zu den quälends- ten Veranstaltungen auf der politischen Bühne. „Hohes Maß an Heuchelei“ Wer – wenn auch in engen Grenzen – selbst bestimmt, welcher Betrag am Ende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse über die auf seinem Konto aufleuchtet, kann dem Argwohn derer, die davon nur träumen Miles&More-Sünden der Abgeordneten und die Rücktritte können, nicht entgehen. Ob Abgeordnete von Cem Özdemir und Gregor Gysi für das, was sie leisten, zu viel oder zu wenig Diäten kassieren, tung eingeladen war. In einem Fall spielt dabei kaum eine Rolle und kam statt meiner Frau kurzfristig lässt sich pauschal auch nicht meine Tochter mit. Für beide Flü- beantworten. Verletzt ist in je- ge wurden Meilen-Bonuspunkte dem Fall das Gleichheitsprinzip, genutzt. auf dem alle demokratischen SPIEGEL: Sie brauchten zur Klä- Regeln gründen: Die einen dür- rung nicht die Lufthansa. Warum fen etwas, was den anderen ver- machen Sie dennoch so großen wehrt ist. Druck auf die Fluggesellschaft, Dass den Abgeordneten der dass sich bereits der Datenschutz- Geruch von Privilegienwirtschaft beauftragte eingeschaltet hat? schwer in den Kleidern hängt, wis- Thierse: Ich habe eine Fürsor- sen sie selbst am besten. Und doch gepflicht gegenüber den Bundes- gelingt es ihnen kaum, energisch tagsabgeordneten, die sich gegen dagegen anzugehen – auch dafür Verdächtigungen wehren müs- ist die Bonusmeilen-Affäre ein sen. Um ihnen die eigene Prüfung Beispiel. zu erleichtern, habe ich die Luft- Seit fast zehn Jahren bemüht hansa lediglich darum gebeten, sich die Bundestagsverwaltung, die Namen derjenigen zu nen mit der Lufthansa eine klare Re- nen, die Bonusmeilen genutzt gelung zur Trennung dienstlicher haben. und privater Meilen zu treffen. SPIEGEL: Jeder Abgeordnete hat Vergebens: Aus Sicht der Airline ist es selbst in der Hand, sich an die es vorteilhafter, wenn der einzelne Verabredung des Bundestags zu Abgeordnete der Kunde ist und halten, dienstlich erworbene Punk- nicht das Parlament. te nicht privat zu verfliegen. So schrieb im August 1997 das Thierse: Natürlich muss jeder sei- damalige Lufthansa-Vorstands- ne Reisepraxis überprüfen. Das mitlied Hemjö Klein, es sei „aus ist aber nicht ganz einfach. Zu

datenrechtlichen Gründen nicht / IMO MASKUS NICOLE mir sind in den letzten Tagen Ab- möglich, bei der Meilengutschrift Präsident Thierse: „Am liebsten Heilige“ geordnete gekommen, denen es zwischen privaten und dienst- schwer fällt, genau zu rekonstru- lichen Meilen zu unterscheiden“. Nur SPIEGEL: Herr Präsident, haben Sie einen ieren, wann welcher Flug mit wem wie ab- auf besonderen Wunsch erlaubt es die Überblick über Ihr Meilenkonto bei der gerechnet wurde. Fluglinie mittlerweile, dass Abgeordnete Lufthansa? SPIEGEL: Wie viele haben denn gebeichtet? zwei Karten und zwei Konten führen Thierse: Da ich an meinem Wohnort Berlin Thierse: Einige. Abgeordnete aus allen po- dürfen. arbeite, fliegen mir nicht so viele Bonus- litischen Lagern haben Fehler eingestan- Rund 150 Parlamentarier nutzen das in- punkte zu wie anderen. Weil ich aber den. Sie können nun den geldwerten Vor- zwischen, die saubere Lösung hat sich also dienstlich – obwohl es mir zusteht – fast nie teil auf ein Konto des Bundestags über- unter der Hand ziemlich weit herumge- die Flugbereitschaft der Bundeswehr nut- weisen. Der Eindruck, hier sei das halbe sprochen. Eine Sprecherin der Bundes- ze, sondern Linie fliege, kommen dennoch Parlament verwickelt, entspricht jedoch tagsverwaltung zeigte sich Ende vergange- ein paar Meilen zusammen … nicht den Tatsachen. ner Woche indessen noch überrascht: Das SPIEGEL: … die Sie dann privat abgeflogen SPIEGEL: Würden Sie das Verhalten der Zwei-Karten-System sei für sie „eine ab- haben? Flugsünder Cem Özdemir oder Gregor solute Neuheit“. Thierse: Ich bin in den letzten Jahren nie Gysi als Skandal bezeichnen? Manche Politiker sind sogar optimistisch, privat geflogen. So kam ich nicht einmal in Thierse: Das war ein ärgerliches Fehlver- dass die Debatte um die Bonusmeilen und die Versuchung, die Meilenpunkte einzu- halten – aber kein Skandal, für den man Privilegien der Abgeordneten auch ihr setzen. zurücktreten muss. Es war weder illegal Gutes hat. So hofft der Kieler Sozialde- SPIEGEL: Dennoch geriet Ihr Name auf die noch illegitim. Aber unkollegial, weil sie mokrat Hans-Peter Bartels, der die Ver- ominöse Liste. gegen eine freiwillige Selbstverpflichtung haltensregeln endlich verschärfen will, der Thierse: „Bild“ hat mich nach je einem verstoßen haben. öffentliche Druck möge anhalten: „Das Flug meiner Frau und meiner Tochter ge- SPIEGEL: Ein Beitrag zur Steigerung des kann uns nur helfen, die überfällige Re- fragt. Ansehens der Politik war es sicher nicht. form noch durchzubringen.“ SPIEGEL: Und? Thierse: Deshalb kritisiere ich es ja auch. Stefan Berg, Petra Bornhöft, Thierse: Natürlich war das auch eine Aber in der Aufregung darüber liegt auch Konstantin von Hammerstein, Per Hinrichs, Schrecksekunde. Aber die Sache war ein hohes Maß an Heuchelei. Die beiden Dietmar Pieper, Gerd Rosenkranz, Barbara Schmid, Alexander Szandar schnell erledigt. Es handelte sich um zwei haben sich nicht anders verhalten als vie- Dienstreisen, zu denen ich samt Beglei- le Firmenangehörige in diesem Land.

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