Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz

25 Jahre Mensch, Umwelt, Zukunft Inhalt

Grußwort Hans-Heinrich Sander, Niedersächsischer Minister für Umwelt und Klimaschutz Seite 2

Grußwort David McAllister, Niedersächsischer Ministerpräsident Seite 3

„Gut sortiert sitzt Du zwischen allen Stühlen“ Seite 5 Dr. Werner Remmers, Umweltminister von 1986 bis 1990

„Wie eine Aktivistin, die gerade ein Schiff erobert“ Seite 18 Monika Griefahn, Umweltministerin von 1990 bis 1998

„In mühseliger Kleinarbeit hat er die Dinge befriedet“ Seite 28 Wolfgang Jüttner, Umweltminister von 1998 bis 2003

„An unserem Umweltminister werden Sie sich die Zähne ausbeißen“ Seite 34 Hans-Heinrich Sander, Umweltminister seit 2003

Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klimaschutz Seite 42

Innenleben Seite 44 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erinnern sich

Denkmal Umweltministerium Seite 50

2 13 Sehr geehrte Damen und Herren, Lieber Hans-Heinrich Sander, das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klima- beiden Autoren Rolf Zick und Hans Brinkmann auf sehr un- liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schutz blickt in diesem Jahr auf eine inzwischen 25-jährige terhaltsame Weise an die Anfänge des Umweltministeriums im Niedersächsischen Ministerium für Erfolgsgeschichte zurück. Entstanden als Reaktion auf die und die politische Entwicklung bis heute. verheerende Katastrophe von Tschernobyl, widmen sich Umwelt und Klimaschutz, mein Haus und seine engagierten Mitarbeiterinnen und Danken möchte ich zudem all den Menschen in unserem Mitarbeiter bereits seit dem Jahre 1986 der wichtigen Land, die für den Umweltschutz unverzichtbar sind. Damit zum 25-jährigen Bestehen Ihres Hauses spreche ich Ihnen In diesen Tagen schreibt das Umweltressort mit der Energie- Aufgabe des Schutzes unserer natürlichen Lebensgrundla- meine ich zum einen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herzliche Glückwünsche aus. 25 Jahre sind eine beeindru- wende besondere Geschichte. Niedersachsen liegt vorn gen. Der Umweltschutz als Daueraufgabe hat sich dabei im meines Hauses, ohne die die alltägliche Arbeit nicht zu be- ckende Zeit. Einige von Ihnen werden sicherlich noch gut bei der Erzeugung von Erneuerbaren Energien. Das ist die Laufe der Jahre zu einem Kerngebiet auch der niedersächsi- wältigen ist. Mein Dank geht aber auch an alle engagierten in Erinnerung haben, wie der damalige Ministerpräsident Zukunft. schen Landespolitik entwickelt, in dem wir bereits zahlrei- Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen, die allein oder Ernst Albrecht im Juli 1986 in der ersten Plenarsitzung che Erfolge erreichen konnten. gemeinsam in Verbänden durch ihre ehrenamtliche Arbeit seiner vierten Amtsperiode das Umweltministerium aus der Auf diesem Weg wünsche ich Ihnen anhaltenden Erfolg einen Beitrag dazu leisten, dass Niedersachsen weiterhin Taufe hob und Werner Remmers zum ersten Niedersächsi- und setze auch weiter auf das Engagement und den tat- Mensch, Umwelt, Zukunft – nach diesem Motto verfolgt die eine so gesunde und lebenswerte Heimat bleibt. Ohne schen Umweltminister ernannte. kräftigen Einsatz für den Umwelt- und Klimaschutz in Ihrem Niedersächsische Landesregierung das Ziel, unsere Umwelt dieses freiwillige Engagement wäre eine erfolgreiche und Hause. für die Bürgerinnen und Bürger und insbesondere auch nachhaltige Umweltpolitik in unserem Land nicht möglich. Vor 25 Jahren ist damit ein wegweisendes und bedeuten- für die kommenden Generationen nachhaltig zu schützen. des Kapitel für das Land Niedersachsen aufgeschlagen Moderne Umweltpolitik muss daher stets zwischen den Lassen Sie uns in diesem Sinne auch weiterhin gemeinsam worden. Der Naturschutz, die Luftreinhaltung und Ab- ökologischen, ökonomischen und den sozialen Interessen die vor uns liegenden Aufgaben angehen. fallentsorgung, der Hochwasserschutz und die Wasser- der Menschen abwägen. Es ist meine feste Überzeugung, wirtschaft und nicht zuletzt die Atomaufsicht und die dass Politik nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort Ihr Endlagerfrage sind seitdem wichtige politische Themen auf David McAllister erfolgreich sein kann. unserer Agenda. Erwähnen möchte ich auch das 2008 neu Niedersächsischer Ministerpräsident hinzugekommene Schwerpunkthema Klimaschutz. Mit dieser Festschrift bieten wir Ihnen einen kleinen Ein- blick in das Niedersächsische Ministerium für Umwelt Hans-Heinrich Sander Die Landesregierung ist stolz, das 25-jährige Jubiläum und Klimaschutz, seine Aufgabengebiete und die bisher Niedersächsischer Minister seines jüngsten Ressorts mit dem am längsten amtierenden erzielten Erfolge. Für ihr Engagement für unser Land danke für Umwelt und Klimaschutz Umweltminister zu feiern. Die Belange des Umwelt- und ich an dieser Stelle auch meinen Vorgängern im Amt. Mit Klimaschutzes liegen nun schon seit über acht Jahren in ihrem „Blick von außen“ erinnern in dieser Festschrift die den erfahrenen Händen von Hans-Heinrich Sander.

2 3 Umweltminister „Gut sortiert sitzt Du zwischen seit 1986 allen Stühlen“

Dr. Werner Remmers Umweltminister von 1986 bis 1990 Von Rolf Zick

Die Ursprünge des Niedersächsischen Umweltministeriums reichen bis weit in die 1970er Jahre zurück. Es war die Zeit, bei Celle in vertraulicher Runde berichtete, Ministerpräsi- als sich der Umweltschutz zu einer Bewegung entwickelte, dent Ernst Albrecht wolle die Abteilung V aus dem Nieder- begleitet von den ersten Mahnungen des Club of Rome sächsischen Sozialministerium in das Bundesratsministeri- und des damaligen niedersächsischen CDU-Bundestagsab- um verlagern. Offensichtlich glaubte man, Sozialminister geordneten Herbert Gruhl, der im Juli 1978 aus der CDU Hermann Schnipkoweit, ein gestandener Bergmann aus austrat, die erste deutsche Umweltpartei gründete und fort- dem Kalischacht, sei mit den künftigen Aufgaben fachlich an als erster „Grüner“ galt. Mit der friedlichen Nutzung der und politisch überfordert. So wechselten Gewerbeauf- Kernenergie und dem Bau der ersten Kernkraftwerke – in sicht, Immissionsschutz, anlagen- und produktbezogene Niedersachsen 1972 Unterweser, 1976 Grohnde und 1982 Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung sowie die Referate Lingen/Emsland – begann gleichzeitig die Antiatombewe- Kernenergie, Strahlenschutz und Kernkraftwerke, nukleare gung, die unser Land jahrzehntelang bis zum heutigen Tag Ver- und Entsorgung und Anlagensicherung bei kerntech- in Atem halten sollte. „Gorleben“ stand wie ein Menetekel, nischen Anlagen unter Hasselmanns und Haaßengiers wie ein geheimnisvolles Anzeichen eines drohenden Unheils Aufsicht. Ihnen war klar, dass in dieser neuen Abteilung am niedersächsischen Himmel über dem Wendland. viel politischer Sprengstoff steckte. Weil mit dem Umzug auch eine Reihe hochqualifi zierter Fachleute mit SPD-Par- Dr. Werner Remmers † Monika Griefahn Wolfgang Jüttner Hans-Heinrich Sander Ein Blick in die Vorgeschichte des ersten Umweltministeri- teibuch ins Bundesratsministerium wechselte, kam aus der 1986 bis 1990 1990 bis 1998 1998 bis 2003 seit 2003 ums in Niedersachsen ist sehr interessant. Die im Juni 1982 Opposition kein Widerstand. Viel weiter aber mochten mit absoluter Mehrheit wiedergewählte niedersächsische der Ministerpräsident und sein Stellvertreter Hasselmann CDU-Landesregierung ahnte offensichtlich, was auf sie „in offenbar nicht gehen. Der damalige umweltpolitische Sachen Umwelt“ zukommen würde. Der damalige Staats- Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Kurt-Dieter Grill aus sekretär im Niedersächsischen Bundesratsministerium, dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, der das erste Umwelt- Dieter Haaßengier, erinnert sich noch gut daran, dass sein programm der CDU in Niedersachsen ausgearbeitet hatte, Chef, Minister Wilfried Hasselmann, während seiner Ge- scheiterte im Februar 1986 auf dem CDU-Landesparteitag burtstagsfeier am 23. Juli 1982 auf seinem Hof in Nienhof mit dem von der Jungen Union eingebrachten Antrag auf

4 5 CDU-Allzweckwaffe Werner Remmers wird erster Dann war da noch die hochbrisante Baustelle Umwelt und Niedersächsischer Umweltminister Kernenergie. Die Gründung eines eigenen Ministeriums lag praktisch in der Luft. Und außerdem war da auch noch Bei der Regierungsbildung 1986 in Hannover gab es zwei Werner Remmers, die politische Allzweckwaffe der CDU in Knackpunkte. Zunächst wollte die FDP nicht, wie eigentlich Niedersachsen. Der 1930 in Papenburg an der Ems gebore- Einrichtung eines Umweltministeriums in der niedersächsi- angenommen worden war, für den FDP-Landesvorsitzen- ne Sozialwissenschaftler und Verfechter der reinen katho- ralsekretär Martin Biermann und Staatssekretär Haaßengier, schen Landesregierung. Der Abgeordnete Grill, Vorsitzender den, den Landwirt Heinrich Jürgens, das Landwirtschaftsmi- lischen Lehre war von 1978 bis 1982 Niedersächsischer erkannten, dass mit dem bisherigen Wahlkampfslogan der 1979 vom Landkreis Lüchow-Dannenberg gegründeten nisterium, sondern das Bundesratsministerium. Jürgens, von Kultusminister gewesen. Er hatte sich um die Schulpolitik „Weiter so“ unmöglich weitergemacht werden konnte. „Gorleben-Kommission“, wäre gern der erste niedersächsi- 1979 bis 1984 Mitglied des Europäischen Parlaments, hatte und den Schulfrieden im Land große Verdienste erworben, Sie setzten sich gegen den zunächst zögernden Minister- sche Umweltminister geworden. für sich und seine Partei Europa entdeckt und wollte in nachdem er sich mit seinem Vorgänger im Amt, dem präsidenten Albrecht mit einem neuen Konzept durch. Niedersachsen ein Europaministerium schaffen. Also musste niedersächsischen SPD-Chef und SPD-Chefi deologen Peter Der Regierungschef wollte mit einer Aufklärungsaktion die Minister Hasselmann weichen, er bekam das Innenministe- von Oertzen, im Landtag rhetorisch unvergessene Rede- Tschernobyl brachte die große Wende Wähler davon überzeugen, dass die deutschen Kernkraft- rium. schlachten geliefert hatte. In den insgesamt zehn Jahren werke einen weitaus höheren Sicherheitsstandard hätten als Kultuspolitiker hatte sich Remmers, der frühere Direktor Am 26. April 1986 geschah die Reaktorkatastrophe von und mit dem sowjetischen Meiler von Tschernobyl nicht zu des Ludwig-Windthorst-Hauses – Heimvolkshochschule, Tschernobyl in der Ukraine. Das brachte eine Wende in der vergleichen seien. Aber in der aufgeschreckten Bevölkerung Bildungsstätte und katholische Akademie – in Lingen-Holt- gesamten Umweltpolitik, insbesondere in Deutschland und ging es um Emotionen, nicht um rationale Argumente. hausen, vor allem auch als Brückenbauer zu den SPD-Vor- in Niedersachsen. Nichts war mehr so, wie es vorher einmal So hieß das neue Wahlkampfthema der CDU: „Stoppt stellungen von der Schulpolitik einen Namen gemacht. war. In der niedersächsischen Landesregierung wurde sofort Rot-Grün“. Die Grünen hatten zunächst offensichtlich ein Krisenstab eingerichtet, als die ersten Folgen der über andere, größere Sorgen. Denn auf ihrem Bundesparteitag Als nach der Landtagswahl 1982 die CDU-Fraktion keine den halben Erdball ziehenden Strahlenwolke bemerkbar in Mai 1986 in Hannover beschlossen sie die Forderungen, Freude mehr an ihrem Fraktionsvorsitzenden Bruno Brandes und überall radioaktive Verseuchungen von Boden und die politischen Gefängnisse, den Verfassungsschutz und hatte, weil seine Eskapaden und Kapriolen für manche Pfl anzen gemeldet wurden. Er tagte unter dem Vorsitz des die Bereitschaftspolizei abzuschaffen und aus der NATO Zeitgenossen zwar interessant und amüsant, aber für seine für Kernkraftwerke zuständigen Staatssekretärs Haaßengier auszutreten. Partei nicht gerade hilfreich waren, und weil der bisherige rund um die Uhr. CDU-Landtagspräsident Heinz Müller nicht wieder kandi- Bei der Landtagswahl am 15. Juni 1986 verlor die CDU diert hatte, so dass sein Amt frei war, wurde „Bruno“, wie Der Reaktorunfall von Tschernobyl hatte auch unmittelbare ihre absolute Mehrheit. Es reichte gerade noch für eine er „von Freund und Feind“ allenthalben nur genannt wur- aktuelle politische Folgen, denn er platzte mitten in den Koalition mit der FDP bei einer einzigen Stimme Mehrheit de, dorthin weggelobt beziehungsweise abgeschoben, wie Wahlkampf für die Landtagswahl am 15. Juni 1986 hinein. gegen SPD und Grüne im Landesparlament. Wahlforscher andere meinten. Remmers ließ sich in die Pfl icht nehmen Mit einem Mal hatte Atompolitik höchste Priorität. In der haben später bestätigt, dass die CDU, wenn 14 Tage früher und übernahm die Führung der CDU-Landtagsfraktion. Bevölkerung machte sich Angst breit. Die SPD unter ihrem gewählt worden wäre, die Wahl verloren, und wenn 14 Aber das war, wie sich schon bald herausstellte, „nicht Spitzenkandidaten Gerhard Schröder erkannte die Situation Tage später gewählt worden wäre, die Wahl klar gewonnen sein Ding“. Und eigentlich waren alle froh, als nach der sofort. Schröder witterte Morgenluft und sprang auf den hätte. Das waren die Auswirkungen von Tschernobyl auf nächsten Landtagswahl 1986 das neu geschaffene Umwelt- „Atom-Zug“ auf. Die Wahlkampfmanager der CDU, Gene- die Stimmung in der niedersächsischen Wählerschaft. Das neue Kabinett von Niedersachsen im Jahre 1986. Foto: dpa ministerium für ihn parat stand. Er selbst hatte sich nach

6 7 Aufbau eines neuen Ministeriums

Nun galt es, dieses auf dem Papier neu geschaffene wurden daraus selbstständige Abteilungen unter den Umweltministerium erst einmal sachlich und personell Abteilungsleitern Hans-Rudolf Wälzholz (Gewerbeaufsicht) aufzubauen und mit Leben zu erfüllen. Denn es war das und Horst zur Horst (Kernenergie) gebildet. Dazu gab es die erste Mal in der niedersächsischen Nachkriegsgeschichte, Z-Gruppe als selbstständige Referatsgruppe mit Gruppenlei- einer neuen Aufgabe und Herausforderung gesehnt. Der dass neben den klassischen Ressorts Inneres, Finanzen, ter Wiedemann und Peter Müller als Stellvertreter. umweltpolitische Sprecher der DU-Fraktion, Kurt-Dieter C Wirtschaft, Kultus und Wissenschaft, Justiz, Soziales und Grill, der sich auch Hoffnungen auf das neue Ministerium Landwirtschaft ein völlig neues Ministerium geschaffen Mit Wirtschaftsminister Walter Hirche hatte sich Werner gemacht hatte, hatte bei Ministerpräsident Albrecht keine wurde - sieht man von den nachkriegsbedingten Ministeri- Remmers geeinigt, dass die Zuständigkeit für Energiepolitik hancen. Nun war Remmers gewiss kein Umweltfachmann C en für Vertriebene und Flüchtlinge sowie Aufbau und dem einschließlich Bergrecht im Wirtschaftsressort bleiben sollte. und - weiß Gott - kein „Ökofreak“. Aber wer ihn näher 1967 eingerichteten Ministerium für Bundesangelegenhei- Vom Landwirtschaftsministerium wollte der neue Umwelt- kannte, seine religiöse Einstellung, seine katholisch gepräg- ten ab. minister unbedingt den Bereich Wasser haben, „weil da te Herkunft und Weltanschauung, die der katholischen viel Geld drin steckt, man konnte mit etwa 450 Millionen Soziallehre verp ichtet war, der nahm ihm ab, dass es für fl Als Erstes baute der neue Umweltminister eine Grundsatz- D-Mark rechnen“, so Ansgar Holzknecht, der das sofort ihn, bei seinem ethisch-philosophischen Standpunkt, auch abteilung auf. Dazu holte sich Remmers als engste Vertrau- kapiert und alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte. Dazu um die Bewahrung der Schöpfung ging, um die Frage : te Hermann Kues als Büroleiter und den Diplomtheologen gab es dann noch den Abfallbereich. Aus dem Landwirt- Wie werden wir in Zukunft leben „Es war für mich eine ? Ansgar Holzknecht, der mit ihm auf der „katholischen schaftsministerium hätte Remmers auch noch gern den wesentliche Entscheidung in der Sache und in der Aufga- Schiene“ auf gleicher Wellenlänge lag und der ihm schon Naturschutz gehabt. Aber den verteidigte Landwirtschafts- benstellung und nicht ein politischer oder gar parteipoliti- Foto Naturpark Bourtanger Moor in der Fraktionsführung treu zur Seite gestanden hatte. minister Gerhard Glup (CDU) „mit Zähnen und Klauen“ als scher Gesichtspunkt, dass ich das neue Amt übernommen Dieses Dreigestirn wurde fortan der geistige Mittelpunkt ureigenste Aufgabe der Landwirtschaft für seine Bauern. habe“, sagte Remmers später einmal in einem Gespräch. und die entscheidende Zentrale des neuen Ministeriums. „Tschernobyl war ein politischer Re e , eine Reaktion, nur Moorschutzprogramm fl x Dazu kam Georg Redeker als Abteilungsleiter, der als Um- In der Startphase hatte das neue Umweltministerium 47 der Anlass, aber nicht der Grund für das Umdenken. Es weltbeauftragter der Landesregierung mit drei Mitarbeitern Planstellen. Das reichte hinten und vorne nicht. Außerdem ging vielmehr darum, den Gedanken des Umweltschutzes In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Hoch- vorher in der Staatskanzlei angesiedelt war. Holzknecht, musste sich das Ministerium mit weiteren Stellen selbst überhaupt erst einmal in der Wahrnehmung der Bevölke- moore wie in Niedersachsen. Die Moore prägen in ein außerordentlich agiler, wegen seines kleinen Wuchses fi nanzieren. So ging Staatssekretär Reinke auf Stellenjagd. rung zu verankern. Die Politik reagierte auf Tschernobyl weiten Teilen die Landschaft. Daraus ergibt sich für das hinter vorgehaltener Hand etwas spöttisch „Furchenda- Aus dem Kultusministerium gab es beispielsweise auf dem administrativ. Aber sie musste sich politisch dem Problem Land die besondere Verpfl ichtung, die Hochmoore als ckel“ genannt, wurde stellvertretender Abteilungsleiter. Die Papier einige Lehrerstellen. Eine davon hatte unter anderem stellen.“ So wurde es für Werner Remmers eine politische Lebensraum für bedrohte Pfl anzen- und Tierarten zu Organisation des neuen Ministeriums lag in den Händen Jan ter Horst inne, der bald in der Grundsatzabteilung einer Ansage, ein neuer Kraftakt. erhalten und dauerhaft zu sichern. Die Niedersächsische des neuen Staatssekretärs Hans-Joachim Reinke DU , der engen Vertrauten von Remmers wurde. „Im Prinzip“ Landesregierung hat daher im Jahre 1981 das Nieder- (C ) bislang Vizepräsident der Bezirksregierung Hannover. Von schaute der Minister nicht auf das Parteibuch der neuen Für seinen neuen Kabinettskollegen Walter Hirche von der sächsische Moorschutzprogramm auf den Weg ge- Remmers sagte man, er sei ein hervorragender Redner, aber Mitarbeiter. Für ihn war zuerst die fachliche Qualifi kation FDP war es eine nahezu logische Entscheidung, dass dem bracht. Das Ziel, 81.000 Hektar nicht abgetorftes sowie er habe ein chaotisches Organisationstalent. entscheidend. „Wenn die stimmte, konnten es auch ruhig nach der Abtorfung renaturiertes Hochmoor als Natur- pragmatischen, zupackenden Remmers die neue Aufgabe SPD-Leute sein“, erinnern sich frühere Mitarbeiter. Sie übertragen wurde. Vielleicht war aber auch dem Minister- schutzgebiet auszuweisen, wurde bisher zu etwa 60 Neben der Grundsatzabteilung sollten noch hinzukommen haben auch den ersten großen Krach nicht vergessen, als präsidenten die unkonventionelle Art von Remmers im Un- Prozent erreicht. Vollständig kann dieses Ziel erst nach die Abteilungen Wasser und Abfall aus dem Landwirt- der neue Haushaltsplan von der Landesregierung aufgestellt gang mit schulischen Streitthemen wie Orientierungsstufe Abschluss des genehmigten industriellen Torfabbaus, schaftsministerium mit dem Abteilungsleiter – im Jargon wurde und CDU-Finanzministerin Birgit Breuel tobte, als und Gesamtschule dubios geworden, so dass es ihm ganz der teilweise bis 2040 reicht, umgesetzt werden. Auf „Admiral Graf“ – Gerhard Veh, die Referatsgruppen Staatssekretär Reinke mit seiner Wunschliste kam. Aber Recht war, seinem Parteifreund, von dem man wusste, dass rund 12.000 Hektar industriell abgetorfter Fläche, das Gewerbeaufsicht und Immissionsschutz sowie Kernenergie, das neue Ministerium musste ja leben, zumal es eine Reihe er sich für den besseren Ministerpräsidenten hielt, auf den entspricht einem Anteil von mehr als 40 Prozent, laufen Strahlenschutz, Kernkraftwerke aus dem Bundesratsminis- außerordentlich wichtiger Aufgaben übertragen bekommen neuen Posten des Umweltministers zu setzen. bereits Renaturierungsmaßnahmen. terium, ehemals Abteilung V des Sozialministeriums. Später hatte.

8 9 cken. Es war schwer, den Bauern klarzumachen, gar nicht Bürgerinitiativen und von Gerichtsverhandlungen, versucht, erst so viel Dünger zu streuen oder Abwasser einzuleiten die Dioxin-Deponie zu sanieren. Es gelang mehr schlecht als und damit präventive Umweltpolitik zu betreiben, anstatt recht. hinterher zu reparieren. Umstrukturierung und Im März 1985 war in Buschhaus im Helmstedter Revier Anlaufschwierigkeiten Ein anderes Beispiel war das plötzliche Robbensterben in ein neues Braunkohlekraftwerk gebaut worden. Die der Nordsee. Auf einmal war „Holland in Not“. Niemand einen bezeichneten es als Dreckschleuder der Nation, die Es war kein Wunder, dass es zunächst überall im neuen wusste so recht, was zu tun war. Unter öffentlichem Druck anderen als modernstes Kraftwerk einer neuen Technikge- Umweltministerium Anlaufschwierigkeiten gab. So galt es, wurden an der Küste überall neue Kläranlagen gebaut neration. Es sollte betrieben werden mit schwefelhaltiger neben der personellen Ausstattung auch die sachlichen und und alte Anlagen modernisiert. Mit großem fi nanziellen Salzkohle, die in einem eigens neu eingerichteten Tagebau politischen Bereiche des zusammengewürfelten Ressorts Aufwand wurden auch alle Nordseeinseln mit Kläranlagen in der Umgebung Schöningens gefördert wurde. Den zu strukturieren. Einer der Schwerpunkte war zunächst die ausgestattet. Desgleichen mussten Schiffe umgerüstet wer- Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage, die nicht Modernisierung der Gewerbeaufsicht, die seit Beginn der den, um nicht mehr so viel Brackwasser und Ölrückstände dem neuesten Stand der Technik entsprach, aber von der Foto: GAV 1980er Jahre vorwiegend eine Arbeitsschutzverwaltung ins Meer abzulassen. Es gab großen Aktionismus, und wer niedersächsischen Landesregierung geduldet wurde, lehnte war. Nun musste sie zum Immissionsschutz hingeführt weiß, wohin das noch geführt hätte, wenn sich die Natur der Betreiber Braunschweiger Kohle-Bergwerke (BKB) ab. werden – mit dem Bestreben, alle Einleitungen auf ein für Gewerbeaufsicht nicht selbst geholfen hätte, denn auf einmal lebten die Die Nachrüstung sollte erst nach der Inbetriebnahme des Menschen und Umwelt langfristig vertretbares Maß zu Robben wieder mopsfi del weiter. Umweltminister Remmers Kraftwerks erfolgen. In einer Mitteilung hieß es dazu: „Der begrenzen. Dabei ging es um schädliche Umwelteinwir- Die Staatliche Gewerbeaufsicht des Landes Nieder- meinte, seine „Vorgänger“ hätten überhaupt nichts getan, niedersächsische Umweltminister Werner Remmers (CDU) kungen wie Lärm, Luftschadstoffe, Strahlen, Licht- und sachsen hat die Einhaltung der Vorschriften im Arbeits-, die Folgen könnten nicht von heute auf morgen repariert erteilt die Erlaubnis, dass das umstrittene Kohlekraftwerk Wärmeeinwirkung und das alles im Zusammenhang mit Umwelt- und technischen Verbraucherschutz in den werden. Außerdem sei alles auch eine Frage des Geldes. Buschhaus erheblich mehr Schadstoffe ausstoßen darf als Gewässerschutz, Bodenschutz sowie der Kreislauf- und Handwerks- und Industriebetrieben sicherzustellen. Die Aber erstmals wurde im niedersächsischen Umweltminis- ursprünglich geplant, da die Rauchgasentschwefelungsan- Abfallwirtschaft. Die Abfallwirtschaft mit den Aufgaben Gewerbeaufsicht ist eine sehr alte Institution. Die ersten terium eine Gewässerkarte mit allen Eintragungen über lage trotz aufwendiger Verbesserungsversuche nicht voll Vermeidung, Verringerung, Verwertung und Beseitigung Fabrikinspektoren auf dem Gebiet des heutigen Nieder- Gewässer-einleitungen und Wasserqualität erstellt. funktionsfähig ist.“ von Abfällen sowie vor allem der Aufgabe der Behand- sachsens wurden bereits 1894 eingesetzt, um Kinder lung des Sondermülls war eine weitere Herausforderung, und Jugendliche vor unmenschlichen Arbeitsbedin- Die großen Problemfelder desgleichen die Wasserwirtschaft mit den klassischen gungen zu schützen. Zu den Aufgaben der Staatli- Aufgaben der Gewässerunterhaltung und -überwachung, chen Gewerbeaufsicht zählen heute Genehmigung, Neben den diversen Baustellen in allen Abteilungen des dem Küstenschutz und dem Hochwasserschutz. Nach der Überwachung und Beratung der Betriebe in den oben neuen Umweltministeriums gab es vor allem drei große Pro- Einführung des Naturschutzes in diesen Bereich standen genannten Fachgebieten. Dazu verschafft sie sich durch blemfelder. Sie ließen sich an drei Ortsnamen festmachen: die Gewässerreinhaltung und - ualität, Gewässereinleitung regelmäßige Besichtigung der Betriebe eingehende q Münchehagen, Buschhaus und Gorleben. In Münchehagen sowie auch die Beseitigung der Nordseeverschmutzung mit Kenntnisse von den tatsächlichen Arbeits- und Betriebs- war es die Giftmülldeponie, in Buschhaus das neue Braun- allen ihren Folgen im Vordergrund. verhältnissen. Die komplexe Aufgabenstellung erfordert kohlekraftwerk mit Rauchgasentschwefelungsanlage und in eine gut ausgebildete, interdisziplinär besetzte Beleg- Gorleben die Kernkraft mit allen ihren Facetten. Wie hilfl os die Wasserpolitik damals war, mag das Beispiel schaft. Die Gewerbeaufsicht hat in ihren Reihen Ingeni- Nach Europas größtem Chemieunfall im Juli 1976 im des Dümmersees zeigen. Jahrzehntelang hatten die Bauern eure, Chemiker, Physiker, Biologen, Mediziner, Techniker, Mailänder Vorort Seveso geriet zum ersten Mal das Wort arglos ihre Felder mit Jauche und massenweise Dünger Juristen und Verwaltungsfachleute. Dioxin in die Schlagzeilen. Diese hochgiftige Substanz, bearbeitet. Gift und Schadstoffe wurden in Gräben und Die zehn Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter unterliegen damals Seveso-Gift genannt, wurde im Oktober 1985 in Bäche gespült und gelangten schließlich auch in den Düm- der Dienstaufsicht des Niedersächsischen Ministeriums der von 1977 bis 1983 betriebenen und inzwischen stillge- mer. Der See drohte umzukippen. Nun sollte zunächst der für Umwelt und Klimaschutz. Die Fachaufsicht teilt sich legten Giftmülldeponie Münchehagen in sehr gefährlicher Bornbach umgeleitet werden. Das war ein Unternehmen, das Umweltministerium mit dem Niedersächsischen Konzentration entdeckt. Das niedersächsische Umweltmi- das ewig dauerte, aber das Problem nicht löste, sondern Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit nisterium hatte eine schlimme Altlast am Hals. Mit größtem nur verlagerte, statt es buchstäblich an der Wurzel zu pa- und Integration. Aufwand wurde jahrelang, begleitet von Protesten der Braunkohlekraftwerk Buschhaus Foto: dpa

10 11 Ihm wurden von aufgebrachten Gorleben-Gegnern nicht Unter starkem politischen Druck verlangte die Bundesregie- Ein ganz besonderes Kapitel war – und ist bis heute – Gor- nur einmal die Reifen seines Autos durchstochen. Auch rung – gegen die Meinung der Niedersächsischen Landesre- leben. Seit dem Bau der ersten Atomkraftwerke Mitte der im Niedersächsischen Landtag spielte das Thema Gorle- gierung – das Kraftwerk Buschhaus erst zwei Jahre später, 1950er Jahre gab es Überlegungen für Rahmenbedingun- ben mit Kernenergie und Umweltschutz eine große Rolle. dann mit einer funktionierenden Rauchgasentschwefe- gen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle. Ein Arbeitskreis 1980 wurde der erste Umweltausschuss des Parlaments lungsanlage, in Betrieb zu nehmen. Die SPD beantragte im Deutsche Atomkommission hatte das Thema in den 1960er gegründet. Vorsitzender war der ältere Bruder von Werner Remmers, Landtagsvizepräsident Walter Remmers. Als der Juli 1984 eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages, Jahren vorangetrieben und eine Projektgruppe suchte bun- zu der viele Abgeordnete aus dem Urlaub gerufen werden desweit nach Standorten. In Niedersachsen gab es schließ- Salzstock Wippingen im Emsland in seinem Heimatwahl- kreis auch als Endlagerstandort im Gespräch war, setzte mussten. Nach einem Kompromiss sollte das Kraftwerk lich vier zur Auswahl, darunter Gorleben und Wahn im Foto: dpa sich Walter Remmers vehement für Gorleben ein. Im Herbst Buschhaus ohne Rausgasentschwefelungsanlage, aber Emsland. Die niedersächsische CDU-Landesregierung unter 1979 begann die übertägige Erkundung des Salzstocks, auch ohne schwefelhaltige Salzkohle, dafür mit „normaler“ Ministerpräsident Albrecht benannte am 22. Februar 1977 Atomaufsicht Braunkohle, ans Netz gehen. Das geschah im März 1985. Gorleben als möglichen Endlagerstandort für radioaktiven 1983 die untertägige, nachdem die Physikalisch Technische Bundesanstalt PTB in Braunschweig die Eignungshöf g- Eine neue Rauchgasentschwefelungsanlage wurde nach Abfall. Die SPD/FDP-Bundesregierung fasste am 15. Juni ( ) fi keit, also die Eignung vorbehaltlich des Abschlusses der Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Kli- modernster Technik auf Regenerationsbasis entwickelt 1977 den Beschluss zur Erkundung des Salzstocks Gorle- Erkundung, festgestellt hatte. Im April 1990 bestätigte das maschutz sorgt als atomrechtliche Genehmigungs- und und die BKB dafür 1987 mit dem deutschen Recyclingpreis ben. Ende 1977 berief der Landkreis Lüchow-Dannenberg Bundesamt für Strahlenschutz BfS die Eignungshöf gkeit. Aufsichtsbehörde im Zusammenwirken mit Betreibern ausgezeichnet. Dennoch war es für das Niedersächsische eine Gorleben-Kommission unter dem Vorsitz des CDU- ( ) fi und Sachverständigen dafür, dass die kerntechnischen Umweltministerium nicht leicht, wieder aus den negativen Landtags- und Kreistagsabgeordneten Kurt-Dieter Grill ein, Alles wurde von Widerstand und Protesten der Atomkraft- Anlagen den höchstmöglichen Sicherheitsanforderun- Schlagzeilen herauszukommen. als Forum für die Lokalpolitiker und Bürgerinitiativen. Ende gegner begleitet. Das Niedersächsische Umweltministerium war immer und für alles zuständig. Es kam mit Gorleben gen gerecht werden. Diese sind nicht statisch, sondern März, Anfang April 1979 fand auf dem hannoverschen werden ständig verbessert. Dabei werden neue Erkennt- Messegelände ein internationales „Gorleben-Hearing“ nie zur Ruhe. nisse aus Forschung und Entwicklung ebenso berück- statt. Es wurde von der Niedersächsischen Landesregie- sichtigt wie Erfahrungen aus dem Betrieb der kerntech- rung veranstaltet und vom Physiker und Philosophen Prof. Die Atomaufsicht wurde von den Ländern als Auftrags- verwaltung für den Bund wahrgenommen. Einen ersten nischen Anlagen. Ereignisse aus in- und ausländischen Dr. Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker moderiert. Im Anlagen werden systematisch ausgewertet und zur Mittelpunkt der Diskussion von über 60 Wissenschaftlern größeren Skandal gab es im neuen Umweltministerium kontinuierlichen Optimierung der Sicherheit einbezogen. aus aller Welt stand das Thema „Errichtung eines nuklearen Ende 1986, Anfang 1987 wegen der Aufsicht beim Trans- Das Umweltministerium ist für alle Genehmigungen Entsorgungszentrums und Wiederaufarbeitung bestrahlter port von abgebrannten Brennelementen. Nach internatio- ortsfester kerntechnischer Anlagen wie Kernkraftwerke Brennstäbe“, wie es damals gesetzlich vorgeschrieben war. nalen Verträgen mussten diese nach Cap de la Hague in und Brennelementfabriken in Niedersachsen zuständig. Für Gorleben hätte dies Investitionen in Höhe von vielen Frankreich oder Sellafi eld in England zur Wiederaufarbei- Als atomrechtliche Aufsichtsbehörde kontrolliert es die Milliarden D-Mark gebracht. Von Albrecht ist später der tung geschickt werden. Die Sicherheitsbeauftragten der Kraftwerksbetreiber hatten die Transporte freizugeben. Als Einhaltung aller Bestimmungen, die in atomrechtlichen Satz bekannt: „Technisch machbar, aber politisch nicht Genehmigungen verankert sind, sowie die Erfüllung durchsetzbar.“ Über Gorleben als Endlager wurde bei dieser hierbei Kungeleien entdeckt wurden, „explodierte Umwelt- von Anordnungen und Verfügungen. Die Atomaufseher Veranstaltung nur einen Tag lang gesprochen. minister Remmers“, wie sich Peter Müller aus der Abteilung 1 des Ministeriums erinnert. Auf Vorschlag von Staatssekre- bearbeiten sämtliche zustimmungspfl ichtigen Vorhaben, überprüfen die Einhaltung der Betriebsvorschriften so- Gegen Gorleben gab es von Anfang an Widerstand und tär Reinke wurde er zusammen mit dem Leiter des Rechts- wie die Anforderungen an wiederkehrend zu prüfende Proteste, aber auch breite Zustimmung, besonders von den referats für die Gewerbe- und Atomaufsicht, Klaus-Dieter sicherheitsrelevante Anlagenteile. Hinzu kommen die Kommunalpolitikern und Teilen der örtlichen Bevölkerung, Becherer, als Kontrolleur der Sicherheitsbeauftragten einge- setzt, um sie, soweit sie in staatsanwaltschaftliche Verfah- wichtige Aufgabe des Strahlenschutzes und der Umge- Demonstration gegen die atomare Aufbereitungsanlage die sich vom Bau der Atomanlage ein wirtschaftliches ren verwickelt waren, abzulösen. Als Abteilungsleiter zur bungsüberwachung. in Gorleben. Foto: dpa Paradies erhofften. Grill konnte ein Lied davon singen.

12 13 Horst aufmuckte – „Der Müller schießt alle ab!“ – kam es zu Auseinandersetzungen mit dem Minister und der letzte Sicherheitsbeauftragte blieb auf seinem Posten. Spannungen auf höchster Ebene Remmers war seinem Ministerpräsidenten gegenüber im- Die Schwierigkeiten, mit denen der neue Umweltminister Die überall im neuen Ministerium aufgetretenen Anfangs- Remmers zu kämpfen hatte, waren zum großen Teil Alt- mer loyal, obwohl er selbst gern Ministerpräsident gewesen schwierigkeiten machten sich auch auf der politischen wäre und sich dieses Amt auch zugetraut hatte. Es war kein lasten, die die Vorgängerregierungen hinterlassen hatten. Ebene bemerkbar. Schon im ersten Jahr kriselte es in der So war das neue Ressort durchweg defensiv ausgerichtet. Geheimnis, dass er sich für den besseren Regierungschef obersten Spitze des Hauses. Von Anfang an hatte es Span- hielt. Aber er war klug genug, das nicht auf die Spitze zu Ministerpräsident Albrecht wollte aber gerade mit dem nungen zwischen dem Minister und seinem Staatssekretär treiben, zumal er auch die Verhältnisse in der CDU-Land- Umweltministerium positive Akzente setzen. Es sollte mehr gegeben. Zwischen Remmers und Reinke stimmte die Che- agiert und weniger reagiert werden. Doch Remmers blieb tagsfraktion zur Genüge kannte. Dort gab es nicht wenige, mie nicht. Das eskalierte nach einem legendären Interview, die ihn wiederum aus seiner Zeit als Fraktionsvorsitzender kaum etwas anderes übrig, als zu reagieren. Er tat es bei das der Minister den Evangelischen Monatsheften gegeben neuen Herausforderungen meistens sehr sensibel. Dabei kannten und nicht unbedingt mochten. Dort, in der Frakti- hatte und in dem er ausplauderte, wie er sein Personal zu- on, wo er für seine Leute da sein und für sie arbeiten muss- wusste er, dass er ein Ministerium übernommen hatte, in sammengesucht habe. Sicher hatte sich Remmers bemüht, te, konnte er seine Qualitäten nicht ausspielen. Die lagen dem man eigentlich nur verlieren konnte. „Es gibt Jobs, mit auch Mitarbeiter mit SPD-Parteibuch zu bekommen und denen man nur scheitern kann“, sagte er einmal in vertrau- eher in der Führung eines Ministeriums, wo viele Hundert dabei vor allem auf die Qualifi kation geguckt. Aber wenn Mitarbeiter für ihn arbeiten mussten. Es gibt da den klassi- Werner Remmers im Jahr 1995. Foto: dpa ter Runde, als wieder etwas schief gelaufen war. Er musste er sich nach der Konfession entscheiden musste, sei ihm auch oft erkennen, dass die Gesellschaft auf einen präven- schen Ausspruch von Werner Remmers über „Teamwork“: der katholische Glaube schon wichtig gewesen. Das brach- „Wir sind ein Team – ich teame und ihr workt.“ Daneben tiven Umweltschutz einfach noch nicht vorbereitet war. Das Mundwinkel nach oben ziehen hieß Alles in Ordnung, te Hans-Joachim Reinke, der auch Vorsitzender des Evange- war auch das Spannungsverhältnis zwischen Werner : zeigte sich deutlich, als er zum ersten Mal überhaupt einen weiter reden Mundwinkel nach unten hieß Es geht in lischen Arbeitskreises der CDU in Niedersachsen war, „auf Remmers und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, ; : Umweltbericht erstellte. Es war schon das richtige Signal die falsche Richtung, umstellen. Aber Remmers war ja ein die Palme“. Er wollte nicht wahrhaben, dass das protes- Innenminister Hasselmann, nicht zu übersehen. Hasselmann zur richtigen Zeit, aber die Gesellschaft war offensichtlich begnadeter Redner, er konnte viel reden, ohne etwas zu tantische Niedersachsen vom Katholizismus eingenommen war der getreueste Paladin seines „Herrn und Meisters“, noch nicht bereit, ihm zu folgen. sagen. Darin war er ein Meister. Seine Intelligenz wurde nur würde. Damit wurde vermutlich zwischen Minister und seines Freundes Ernst Albrecht. Remmers und Hasselmann noch von seiner Elo uenz übertroffen, hieß es über ihn. Staatssekretär der Keim des Misstrauens gesät. achteten und respektierten sich, aber Freunde wurden sie q nicht. Remmers und Reinke haben es dann auch nur zwei Jahre Dass Werner Remmers nicht abgehoben war, zeigte sich miteinander ausgehalten. Doch der Minister konnte auf sei- beispielsweise darin, dass er relativ spartanisch in einer nen Staatssekretär einfach nicht verzichten. Er war der Or- Mensch, Remmers Wohnung in der Hannoverschen Südstadt wohnte und, ganisator und der Macher, der Tag und Nacht arbeitete und wenn es irgendwie ging, mit dem Fahrrad ins Ministeri- die heißen Kohlen aus dem Feuer holte. Außerdem war Alle, die mit Werner Remmers lange zusammengearbeitet um fuhr. Auch war ihm sein geliebtes Mittagsschläfchen sein enger Kontakt zum Vorzimmer des Ministerpräsiden- und ihn näher kennengelernt hatten, mussten feststellen, heilig. Wenn es Zeit und Gelegenheit zuließen, radelte er ten nicht unbekannt. Im November 1988 kam als Nachfol- dass er ein Mensch mit außerordentlicher Vielseitigkeit durch die Straßen nach Hause, machte auf dem Sofa sein ger Franz Cromme aus Vechta, der zuvor Staatssekretär im war. Er war auch ein viel gefragter Mann. Überall musste Nickerchen und radelte seelenruhig wieder zurück. Humor, Niedersächsischen Justiz- und Innenministerium gewesen er Rede und Antwort stehen, im Kabinett genauso wie Mutterwitz und Schlagfertigkeit bewies er, wie sich sein war. Reinke wurde Geschäftsführer der 1986 gegründeten im Landtag, vor Verbänden und Institutionen wie vor der FDP-Kabinettskollege Walter Hirche gut erinnert, beim tra- Niedersächsischen Gesellschaft für Sonderabfall (NGS). Es Presse. Und immer wieder wurde der eloquente Redner ditionellen Oldenburger Grünkohlessen, als Hirche 1988 in war ein Glücksfall für ihn und für die Gesellschaft. zu Vorträgen eingeladen. Engste Untergebene, die mit Bonn zum Grünkohlkönig gekürt wurde und Remmers als ihm oft unterwegs waren, erinnern sich noch gut daran, sein Vorgänger die launige Festrede hielt. Die Gäste haben Es blieb auch nicht aus, dass so „agile Triebtäter“ wie dass Remmers, wenn es um konkrete Fachaussagen ging, sich vor Lachen den Bauch gehalten, wussten Teilnehmer Staatssekretär Reinke und Peter Müller-Gundermann mit oftmals seine Schwierigkeiten hatte und einen „Flüsterer“ zu berichten. Der blitzgescheite Remmers konnte auch dem abwägenden und nicht gerade konfl iktfreudigen brauchte. So musste sich der zuständige Fachreferent im urkomisch sein, weiß Hirche. Remmers war übrigens, außer Tschernobyl-Folgen – die damaligen Umweltminister Töpfer und Minister Remmers zusammenstießen, vor allem, wenn er Vortragssaal ihm gegenüber in einer Ecke postieren und dem FDP-Mann Heinrich Jürgens, der Einzige, mit dem er Remmers im ehemaligen Kernkraftwerk Lingen. Foto: dpa meinte, es könnte Ärger mit dem Regierungschef geben. wenn es brenzlig wurde, seinem Chef ein Zeichen geben. sich duzte.

14 15 mangels Beicht- und Vergebungsmöglichkeiten alle ihre Seine manchmal poltrigen, manchmal schlitzohrigen, immer Missetaten zeitlebens mit sich herumtragen. Das mache sie humorvollen und nie verletzenden Sprüche haben seine oft so miesepetrig. früheren engsten Mitarbeiter in der Zeit als Kultusminister anlässlich seines 50. Geburtstages 1980 in dem Büchlein Werner Remmers blieb vier Jahre Niedersächsischer Um- „Mensch, Remmers“ festgehalten. weltminister. Dann kam nach der Landtagswahl vom 13. Zur Charakterisierung ihres Chefs schrieben sie im Vorwort Mai 1990 die rot-grüne Landesregierung unter Minister- unter anderem: „Viele fällige Worte hast Du verschluckt, präsident Gerhard Schröder und es kam die - Dein Mut liegt auf Wiedervorlage. Blattlaus bist Du auf Aktivistin Monika Griefahn. Remmers übergab ihr seinen dem Feigenblatt der Union, vor das Mausoleum christde- Schreibtisch und blieb noch vier Jahre als Abgeordneter mokratischer Versäumnisse hast Du keine Kränze gelegt. im Niedersächsischen Landtag. Parteipolitisch hatte der Von Deinen bildungspolitischen Grimassen sind Dir Falten emsländische CDU-Bezirksvorsitzende sein Haus frühzeitig geblieben. Mit unverzollten Bildungsgütern bist Du durch bestellt und seine Nachfolge geregelt. 1992 folgte ihm der die Parteienlandschaft gestromert. Gut sortiert sitzt Du zwi- damals 33-jährige Osnabrücker Rechtsanwalt Christian schen allen Stühlen.“ Zu Werner Remmers’ in dem Büch- Wulff als Vorsitzender des CDU-Bezirks Osnabrück-Ems- lein festgehaltenen Erkenntnissen gehören beispielsweise: land. Remmers brachte ihn dann auch ins Spiel als Kandidat „Manche Beamte kennen nur Eingaben, aber keine Einge- für das Amt des Ministerpräsidenten, mit dem Argument, bungen“, „Der Regelungsperfektionismus ist die Perfektio- es sei am besten, gleich den Sprung in die nächste Gene- nierung der Gleichbehandlung ungleicher Probleme. Damit ration zu machen. Allerdings wurde Wulff erst nach neun werden selten Probleme gelöst, aber alle werden gleicher- Jahren harter Opposition 2003 Niedersächsischer Minister- maßen in die Zwangsjacke neuer Probleme gesteckt“, „Bil- präsident. Remmers selbst wurde Direktor der Katholischen dungspolitik ist wie Pinkeln gegen den Wind. Man macht Akademie in Berlin. Freunden sagte er, die vier Jahre als sich nur die eigene Hose nass.“ Den Journalisten schrieb Umweltminister hätten ihm sehr viel gegeben, er möchte er ins Stammbuch: „Sie sollen nicht das schreiben, was ich die Zeit nicht missen. Werner Remmers fand ein tragisches sage, sondern das, was ich meine.“ Und in aller Unschuld Ende, als er nach mehreren Schlaganfällen jahrelang ge- konnte er klarmachen, dass die Beichte die Katholiken zu pfl egt werden musste. Im Jahr 2011 ist er mit 80 Jahren in fröhlichen Menschen mache. Die Protestanten müssten ja seinem Heimatort gestorben.

Rolf Zick (90) ist ein „Urgestein“ des niedersächsischen Wie jung das Niedersächsische Umweltministerium ist kann man daran erkennen, dass noch heute 31 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Journalismus, er beobachtet und beschreibt die Landespolitik der ersten Stunde dabei sind. 1986 kamen sie aus verschiedenen Ministerien und Behörden zum Umweltministerium. seit einem halben Jahrhundert. Übrigens: Es war der damalige Abteilungsleiter Gert Lindemann, der die sogenannten Versetzungsverfügungen vom Landwirtschaftsministerium unterzeichnete. Foto: Walter Schmidt, NOVUM

16 17 „Wie eine Aktivistin, die gerade Am 3. Oktober 1954 in Mühlheim an der Ruhr geboren, studierte sie nach dem Abitur Mathematik und Sozialwis- senschaften an den Universitäten Göttingen und Hamburg. ein Schiff erobert“ 1979 erreichte sie den Abschluss als Diplom-Soziologin. Neben einer Tätigkeit als Bildungsreferentin beim Christli- chen Verein Junger Männer (CVJM) widmete sich Griefahn Monika Griefahn ab 1980 in Hamburg dem Aufbau eines deutschen Green- Umweltministerin von 1990 bis1998 peace-Büros. Bald wurde sie dessen erste Geschäftsführerin und organisierte Kampagnen gegen die Verschmutzung der Nordsee und Umweltbeeinträchtigungen von Chemieun- Von Hans Brinkmann ternehmen. Furore machte, wie die junge Aktivistin 1981 in einem Greenpeace-Team mit Gummibooten den Che- mietanker „Titan“ stoppte, sich später mit einer Rettungs- Das Landeskabinett 1990. Foto: dpa Die Aufbauphase unter Werner Remmers war schon lebhaft insel an das Verklappungsschiff „Kronos“ kettete oder die gewesen, doch was dann kam, war turbulent: Unter Moni- Schornsteinbesteigung im Hamburger Chemiewerk Böhrin- Rückschau an. Das Haus wurde förmlich durchgeschüttelt; ka Griefahn erlebte das Niedersächsische Umweltministe- Viel wurde damals gerätselt, welche Faktoren dieses Er- ger steuerte. Dank solch spektakulärer Aktionen schaffte die junge Chefi n – beseelt von unerschütterlichem Sen- rium die aufregendste Zeit seiner noch jungen Geschichte. gebnis beeinfl usst haben könnten. CDU und FDP haderten, es Griefahn 1984, als erste Frau in den internationalen dungsbewusstsein – setzte alles daran, den von Remmers Eigentlich war es ein kluger Schachzug des damaligen SPD- dass die Wahl am 13. Mai just in eine Stimmungsdelle nach Vorstand von Greenpeace in London gewählt zu werden. geprägten Apparat personell wie inhaltlich auf ihren Kurs Spitzenkandidaten Gerhard Schröder, die in der Ökoszene der anfänglichen Euphorie der deutschen Wiedervereini- zu trimmen. populäre Greenpeace-Aktivistin zur Landtagswahl am 13. gung geraten sei, also keine hausgemachte Niederlage Und dann kam Schröder. Er bat sie, als Quereinsteigerin in Mai 1990 in sein Boot zu holen. Die seinerzeit 35-jährige darstelle. SPD und Grüne sprachen dagegen offensiv von die Politik zu wechseln. Griefahn willigte ein – mit ausge- Einzug hielt ein neuer Stil, eine völlig andere Auffas- Hamburgerin hatte Pep, kam glänzend bei den Medien an einem Auftrag für ihr „Projekt“. Am Rande fragte man prägtem Selbstbewusstsein. Als sie sich im Februar 1990 in sung von Regierungshandeln. Angesagt war eine klare und eröffnete aus Sicht der Sozialdemokraten die Chance, sich aber auch, inwieweit der Zuwachs der SPD und der Beckmanns Restaurant in Hannover den landespolitischen Interessenvertretung, entschlossenes Durchsetzen selbst auch bei der Grünen-Klientel zu punkten und ein über- Abschwung der Grünen als eine Art „Griefahn-Effekt“ Journalisten als Ministerkandidatin vorstellte, tat sie das gesteckter Ziele im Schulterschluss mit Umwelt- und mäßiges Erstarken des designierten Koalitionspartners zu auszulegen sei. kess mit dem Satz: „Ich heiße Monika Griefahn, und ich Naturschutzverbänden. Plötzlich wurden Themenkomplexe verhüten. hab’ was geleistet.“ Auf die Frage, ob sie sich nicht eher als kampagnenartig inszeniert; unkonventionelles Agieren Wie auch immer: Dank des schillernden Imports aus Ham- Platzhalterin fühle, da das Umweltressort bei einem Wahl- ging bisweilen vor peniblem Verwalten. Damit hatte manch Das Kalkül ging auf. Gerhard Schröder, der sich vier Jahre burg gelang es Schröder, die Grünen von ihrem klassischen sieg doch wohl durch die Grünen besetzt werde, gab sie treuer Beamter ein Problem – erst recht aber mit der Linie, vorher noch an Ernst Albrecht die Zähne ausgebissen Ressort Umwelt fernzuhalten und es mit einer von der SPD schnippisch zurück: „Nein, gar nicht. Wenn die sehen, dass bei Bedarf selbst gegen staatliche Stellen Widerstand zu hatte, eroberte die Macht. Die SPD legte um 2,1 Punkte nominierten Parteilosen zu besetzen. Ein Unterfangen, das dieses Ministerium so gut besetzt ist, werden die Grünen organisieren. „Im Umgang mit der Verwaltung wäre ich auf 44,2 Prozent zu und überfl ügelte als stärkste Fraktion heute wohl undenkbar wäre. Die Ökopartei musste mit sich halt andere Ressorts aussuchen.“ heute zurückhaltender, diplomatischer“, räumt Griefahn die CDU, die nach einem Verlust von 2,3 Punkten nur noch dem Bundesratsministerium (Jürgen Trittin) und dem Frau- rückblickend ein. So aber geriet die neue Ministerin schnell 42 Prozent erreichte. Die FDP blieb bei 6 Prozent. Und die enressort (Waltraud Schoppe) vorliebnehmen. Und so zog Hoppla, jetzt komm ich – so empfanden im Sommer 1990 in den Ruf, eine kompromisslose Gesinnungstäterin zu Grünen? Sie büßten zwar 1,6 Punkte ein, doch reichten die Monika Griefahn nach ihrer Vereidigung am 21. Juni 1990 viele Griefahns Amtsaufnahme. Voller Dynamik, voller sein. Zumindest entsprach es nicht ihrem Naturell, geduldig 5,5 Prozent, um eine rot-grüne Mehrheit von einer Stimme als Umweltministerin in die Archivstraße ein. Es war der Tatendrang: „Wie eine Aktivistin, die gerade ein Schiff „dicke Bretter zu bohren“ und auch mal diplomatisch den im Landtag zu sichern. vorläufi ge Höhepunkt einer steilen Seiteneinsteigerkarriere. erobert“, mutet es einem alt gedienten Ministerialen in der politischen Konsens zu suchen.

18 19 Griefahn bildete eine Art „Küchenkabinett“, einen Zirkel von Vertrauten, über die alle wichtigen Weichenstellun- gen liefen. Dazu gehörten etwa Heinz Davidsohn, den die Foto: Designritter/ photocase.com Ministerin in bewegten Hamburger Zeiten kennen- und schätzen gelernt hatte, Peter Grabowski als Büroleiter, Mitte der 1980er Jahre nahm das neue Abfallgesetz die Peter Müller-Gundermann als Abteilungsleiter Allgemeine Schacht Konrad 1 Foto: dpa Vermeidung und Verwertung als vorrangige Option in Verwaltung, Pressesprecherin Barbara Mussack und später den Fokus. Dies führte auch in Niedersachsen zur Etablie- in vielfacher Funktion Reinhard Schmalz. Für Wirbel bei Bei Sonderabfällen sorgten undichte und dioxinbelastete Abfallwirtschaft rung der thermischen und später zur mechanisch-biologi- der Umbesetzung zentraler Posten sorgte vor allem die Lagerstätten wie Münchehagen und Hoheneggelsen für schen Abfallbehandlung von Siedlungsabfällen sowie zu Auswechslung von Horst zur Horst, dem bundesweit aner- anhaltenden Wirbel. Mit viel Aufwand und teils auch dem In Niedersachsen ist die Aufstellung des Abfallwirtschafts- anspruchsvollen Spezialverfahren im Bereich der Sonder- kannten Leiter der Kernenergie-Abteilung. Letztlich gelang Einsatz von Mediatoren gelang es, die unter Remmers plans und dessen Fortschreibung Aufgabe des Nieder- abfallentsorgung. Mit der Sanierung der früheren privaten der Ressortchefi n aber eine durchaus elegante Lösung: schon eingeleitete Sicherung dieser Altlasten erfolgreich sächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz. Sonderabfalldeponie und späteren Altlast Münchehagen Sie beförderte zur Horst zum hochdotierten Chef des neu zu forcieren. Energisch trieb die Umweltministerin eine Da die Abfallwirtschaft schnellen Veränderungen und zog das Land einen Schlussstrich unter das Kapitel der gegründeten Landesamtes für Ökologie. grundsätzliche Trendwende voran: Weg von der unsortier- Entwicklungen unterworfen ist, werden im Abfallwirt- Deponierung unbehandelter Abfälle. ten Deponierung hin zu Vermeidung und Verwertung. „Der schaftsplan keine starren Vorgaben gemacht. Überwacht Auch aus diesem Grunde wurde vor 25 Jahren die Doch die neuen Besen kehrten nicht alle gut. Es knirschte beste Müll ist der, der gar nicht erst entsteht“ – für diese werden die Entsorgungswege und Entsorgungsanlagen Niedersächsische Gesellschaft zur Endablagerung von vor allem an der Spitze des Hauses, wo Griefahn als Polit- Devise musste seinerzeit erst noch das Bewusstsein ge- von den Staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern und den Sonderabfall mbH (NGS) vom Land Niedersachsen (51 und Verwaltungsneuling erfahrene und durchschlagskräf- schärft werden. Heute wertet Griefahn den Einstieg in eine kommunalen Abfallbehörden. Prozent Gesellschaftsanteile, 49 Prozent Beteiligung der tige Staatssekretäre benötigt hätte. Doch Peter Bulle, ein „echte Kreislaufwirtschaft“ und die drastische Reduzierung Der Grundstein für eine geordnete Abfallwirtschaft im niedersächsischen Wirtschaft) gegründet mit dem Ziel, Grüner aus der Bezirksregierung Hannover, hielt sich gera- des Abfallaufkommens als eine der wichtigsten Errungen- heutigen Sinne wurde auf Bundesebene 1972 mit dem Niedersachsens Unternehmen als kompetente und ver- de einmal ein gutes Jahr, und dessen Parteifreund Jan-Hen- schaften ihrer Amtszeit. Aber während viele andere Länder ersten Abfallbeseitigungsgesetz gelegt. Bis dahin waren lässliche Partnerin und Dienstleisterin in allen Fragen der drik Horn, ein inzwischen verstorbener Verwaltungsrichter beim Restabfall auf Verbrennung setzten, führte Griefahn Abfälle vorwiegend dezentral in Gruben abgelagert Sonderabfallentsorgung zur Seite zu stehen. aus Stade, agierte kaum effektiver. Um das Haus zu stabi- einen fl ammenden Kampf gegen thermische Behandlungs- worden – ohne spezielle Vorkehrungen zum Schutz Die Organisation der Sonderabfallentsorgung und Ge- lisieren, schickte Schröder zu Beginn der zweiten Periode anlagen. Als Alternative setzte sie zum Teil auf technische der Umwelt. Noch heute stellen in Niedersachsen mehr währleistung der Entsorgungssicherheit für Niedersach- 1994 Abteilungsleiter Dietmar Schulz aus der Staatskanzlei Neuerungen wie die kalte Rotte, die Pyrolyse oder mecha- als 8.000 solcher Altablagerungen eine Belastung dar. sen, die Notifi zierung bei grenzüberschreitender Abfall- quasi als „Staatskommissar“ ins Umweltressort. Das wirkte. nisch-biologische Systeme, die anfänglich aber noch so Grundwasserbelastungen durch austretendes Sickerwas- verbringung, die Beratung über Sonderabfallverwertung unausgereift waren, dass manche Anlage den Betreibern ser und Vegetationsschäden durch Deponiegas haben und Altlastensanierung sowie die Planung und Errichtung Bei den inhaltlich neuen Akzenten lagen Schwerpunkte in förmlich um die Ohren fl og. Einstweilen gelang es der zu der Entscheidung geführt, die Abfallbeseitigung nur von Deponien – das sind die Aufgabengebiete der NGS. der Abfall- und Atompolitik. Sowohl beim Haus- als auch Ministerin, rund zehn geplante Verbrennungsanlagen in noch auf zentralen geeigneten Standorten zuzulassen Heute werden so rund 30.000 Erzeuger von Sonderabfall beim Sondermüll hatte Griefahn gravierende Probleme ge- Niedersachsen zu verhindern. Dafür schickte man über- und technische Anforderungen an die Ausstattung der in Niedersachsen mit fast 200 verschiedenen Entsorgern erbt: In manchen Kreisen herrschte beinahe Notstand, weil schüssigen Sondermüll lange Zeit zur thermischen Behand- Deponien zu entwickeln. zusammen gebracht. Deponien für den häuslichen Unrat fehlten. lung nach Hamburg und Bremen. Im Gegenzug handelte

20 21 Griefahn der niedersächsischen Industrie allerdings die gen doch noch darin einwilligte, an der ordnungsgemäßen Verpfl ichtung ab, die Sonderabfallmengen binnen drei Betriebsgenehmigung für die Konditionierungsanlage Jahren zu halbieren. mitzuwirken. Unter dem Strich jedoch, so meint Griefahn heute, habe sich diese Konfl iktbereitschaft gelohnt. „Dass Das zweite große Thema, das sich wie ein roter Faden 2001 der erste Atomausstieg vereinbart wurde und wir jetzt durch die achtjährige Amtszeit Griefahns zog, bildete die vor dem endgültigen Aus bei der Kernenergie stehen, ist Atompolitik. Die Ministerin und ihre Mitstreiter hatten sich der späte Erfolg eines langen Kampfes.“ zum Ziel gesetzt, im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten vorhandene Anlagen wie insbesondere das damals noch Kurzfristig verliefen andere politische Initiativen der Um- Foto: Siegfried Richter produzierende Kernkraftwerk Stade stillzulegen und die weltministerin Griefahn erfolgreicher. Als großen Fortschritt Realisierung neuer Projekte zu torpedieren. Doch schon verbuchten vor allem Umwelt- und Naturschutzverbände, bald musste die resolute Amtschefi n in der Archivstraße dass zersplitterte Verwaltungszuständigkeiten in die- Nationalpark Harz erkennen, dass die niedersächsischen Befugnisse für einen sem Bereich in einem zentralen Landesamt für Ökologie Monika Griefahn mit ihrer Tochter. Foto: dpa landesspezifi schen Atomausstieg nicht reichten. Die Länder zusammengefasst wurden. Ein mit rund 125 Millionen Der Nationalpark Harz ist im Jahr 2006 aus der Fusion übten die Atomaufsicht schließlich nur in Auftragsverwal- Euro dotierter Umweltfonds förderte alternative Ansätze von Natur und Landwirtschaft. Aktionen reichten bis hin zweier bereits e istierender Nationalparks entstanden x tung für den Bund aus; Bonn und danach Berlin saßen am und die Ausbreitung der Windenergie wurde mit einem zum „Beten gegen den Nationalpark“, ehe die neuen – aus dem seit 1990 bestehenden „Hochharz“ in längeren Hebel und konnten zum Beispiel Genehmigungen „Windatlas“ vorbereitet. Geschick und Durchsetzungsver- Schutzgebiete – in einem Fall erst nach einem Gerichtsent- Sachsen-Anhalt und dem 1994 gegründeten „Harz“ für bestimmte Projekte erzwingen. mögen bewies die Ministerin in Sachen Wasserpfennig. Die scheid – ein nötiges Maß an Akzeptanz fanden. in Niedersachsen. Mit der Fusion wurde der regionalen Einführung dieser Abgabe als Ausgleich für Landwirte, die Einheit des Harzes Rechnung getragen. Entstanden ist Wo immer sich Griefahn auch querstellte – ob mit dem zugunsten einer verbesserten Wasserqualität auf intensives Ungeachtet solcher Highlights war das Wirken der Umwelt- der erste länderübergreifende Nationalpark Deutsch- Versuch, das Planfeststellungsverfahren für das geplante Düngen verzichten, hatte bereits Werner Remmers ange- ministerin aber auch stets durchsetzt von Eskapaden, Affä- lands. Er umfasst eine Fläche von fast 25.000 Hektar. Endlager für schwach- und mittelaktive Atomabfälle im strebt. Doch er lief damit im eigenen Lager auf, weil man ren und schillernden Auftritten. So geriet die Geburt von Der Nationalpark Harz ist damit der größte Waldnatio- Schacht Konrad auszubremsen; ob mit der Weigerung, die eine unbotmäßige Belastung der Industrie befürchtete. Monika Griefahns Tochter Nora-Sophie Anfang 1992 zu nalpark in Deutschland. Sein hoher Waldanteil ver- Einlagerung eines Castorbehälters mit Brennelementen aus Solche Skrupel kannte Griefahn nicht: Sie holte den fertigen einem bundesweiten Medienereignis. Der Grund: Die Poli- mittelt Ursprünglichkeit; der Harz ist die Heimat vieler Phillipsburg im Zwischenlager Gorleben zuzulassen oder mit Plan aus der Schublade und setzte ihn erfolgreich um. tikerin war die erste Ministerin in Deutschland, die ihr Baby Wildtiere. Es ist sogar gelungen, den fast ausgestorbe- der schroffen Ablehnung, Genehmigungen für die Pilot- mit ins Büro nahm und es dort wickelte und stillte. Negativ nen Eurasischen Luchs wieder anzusiedeln. konditionierungsanlage in Gorleben zu erteilen: Es hagel- Für Furore sorgte die Ausweisung zweier großer National- in die Schlagzeilen geriet die Politikerin zum Beispiel, als Neben den ausgedehnten Waldgebieten nehmen im te jeweils aufsichtliche Weisungen durch die damaligen parks in der Amtszeit von Monika Griefahn. Zum Schutz- sie einem Beamten ihres Hauses trotz allgemeinen Beför- Nationalpark Harz Moore wegen ihrer besonderen Bundesumweltminister Klaus Töpfer und gebiet Wattenmeer gesellten sich der Nationalpark Harz derungsstopps eigenmächtig ein höheres Salär verschaffte. Ausprägung eine besondere Stellung ein. Ferner prägen (beide CDU). Mehr noch: Im Juli 1994 wurde Niedersachsen und die Elbtalaue, die heute zwar als Biosphärenreservat Ein anderes Mal ließ sie sich von einer Agentur für 1.500 Granitklippen und Bergbäche die Landschaft. Der im ersten Schadensersatzprozess, den die Bundesrepublik fi rmiert, inhaltlich aber einem Nationalpark gleichkommt. Euro eine Rede über Grundzüge der Umweltpolitik schrei- Nationalpark Harz ist ein Lebensraum von europäischer gegen ein Bundesland führte, vom Landgericht Hannover „Das waren für mich die schönsten Erfolge“, sagt die Politi- ben. Wiederholt geriet sie wegen teurer Gutachten und Bedeutung und daher Teil des europaweiten Biotop- grundsätzlich zu Wiedergutmachungsleistungen verurteilt. kerin im Rückblick. In beiden Fällen mussten erhebliche Vor- Broschüren, aber auch einer verlustreichen Prozesslawine verbundes „Natura 2000“. Seltene Vogelarten wie der 1997 verzichtete die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) behalte in der Bevölkerung ausgeräumt werden. Vor allem ins Kreuzfeuer der Kritik. Besonders peinlich: Für eine Ur- Schwarzstorch und der Sperlingskauz sind im Harz zu nur deswegen auf umgerechnet 7,5 Millionen Euro Scha- im Grenzraum zur früheren DDR bestand die Befürchtung, laubsreise nach Süddeutschland stieg Griefahn in Hannover Hause. densersatz, weil Griefahn nach erheblichen Bauverzögerun- erneut über Gebühr eingeengt zu werden in der Nutzung umweltbewusst in den Schnellzug – ihre Koffer ließ sie

22 23 wurde mit 44,3 Prozent der Stimmen wieder stärkste Kraft damit war die Affäre keineswegs beendet. Die Opposition und holte sogar die absolute Mehrheit, weil die FDP aus hakte nach und setzte einen Parlamentarischen Untersu- dem Landtag fl og und CDU und Grüne zusammen nur auf chungsausschuss ein. In 77 Sitzungen ging das Gremium 43,8 Prozent kamen. Schröder sah daher keine Veranlas- dem Verdacht der Begünstigung nach. Einen Beweis im sung, das Amt des Umweltministers – worauf die Grünen klassischen Sinne erbrachte die Untersuchung zwar nicht, schon spekuliert hatten – neu zu besetzen. doch blieben Zweifel, ob wirklich alles koscher war. So hat- te Griefahn das Braungart-Aktionsprogramm „2000 Lösun- Monika Griefahn geriet allerdings bald darauf arg in die gen“ für die Ausgestaltung der Weltschau dem damaligen Bredouille. Im Frühjahr 1995 enthüllte die Bild-Zeitung, Expo-Chef gleich bei dessen Amtsantritt mit wärmsten dass die Umweltministerin versucht habe, ein von ih- Empfehlungen in die Hand gedrückt. Später reichte sie eine rem Ehemann Professor Michael Braungart entwickeltes an der Koordinierungsstelle der Landesregierung vorbei Foto: Dieter Damschen ökologisches Konzept für die Weltausstellung Expo 2000 geschleuste Tischvorlage für den Expo-Aufsichtsrat nach, in in Hannover durchzudrücken. Griefahn saß seinerzeit für der ihr Ministerium die Ideen von Braungarts Institut Epea UNESCO-Biosphärenreservat das Land im Aufsichtsrat der Ausstellungsgesellschaft. Die noch einmal ausdrücklich pries. Flusslandschaft Elbe Aufregung war so groß, dass Schröder zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit einen politischen Kunstgriff vollführ- Als Epea gleichwohl nicht zum Zuge zu kommen drohte, Nach der deutschen Wiedervereinigung haben Sachsen- te. Er beurlaubte Griefahn und beauftragte den früheren wurde die holländische Partner rma Imsa eingeschaltet, die fi Anhalt, Brandenburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vor- Verfassungsrichter Helmut Simon, in einem Gutachten nun ihrerseits die Braungart-Vorstellungen zu vermarkten Griefahn besichtigt 1996 „schwarze Flecken“ im Watt. Foto: dpa pommern und Schleswig-Holstein beschlossen, entlang die Frage von Schuld oder Unschuld der Politikerin zu versuchte. Eine Besprechung, in der es um die taktische der Elbe ein länderübergreifendes Großschutzgebiet klären. Zwei Monate zuvor hatte sich dieses Instrument Marschroute des Konsortiums für den Kampf um einen auszuweisen, um das weitgehend naturnahe Stromtal aber parallel per Dienstwagen an den weit entfernten schon einmal bewährt. Schröder setzte seinen damaligen Expo-Auftrag ging, verzeichnete am 6. Juli 1994 als Teilneh- der Mittelelbe in seiner Gesamtheit zu schützen. 1997 Zielort bringen. Den damaligen Vorsitzenden der CDU- Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke vorübergehend merin auch eine prominente Politikerin: Monika Griefahn. wurde es als UNESCO-Biosphärenreservat „Flussland- Landtagsfraktion, Jürgen Gansäuer, brachte das „unkon- ab, nachdem Polizeibeamte schwere Vorwürfe gegen den Der ersehnte Auftrag indes blieb aus – und auch eine schaft Elbe“ anerkannt. Es repräsentiert das Auenöko- ventionelle“ Agieren von Griefahn o. schon 1991 derart beliebten, aber bisweilen derb auftretenden Agrarpolitiker geschlossene „Verurteilung“ durch den Untersuchungsaus- & C system eines mitteleuropäischen Flusses. Diese Aner- in Wallung, dass er in einer Sitzung des Landtages wetter- erhoben hatten. Nach einem feucht-fröhlichen Ausfl ug mit schuss. Standhaft hielten die Sozialdemokraten an der Um- kennung würdigt die Einmaligkeit, die Qualität und das te „Die Spitze des Umweltministeriums gleicht eher einer seinen deutschen Amtskollegen auf dem Jadebusen hatten weltministerin fest. Ohnehin hatte es sich Gerhard Schröder : hohe Entwicklungspotenzial der Flusslandschaft – bei der konspirativen Untergrundorganisation als einer ordnungs- Demonstranten ein Anlegen des Schiffes zunächst vereitelt, zum Prinzip gemacht, in Bedrängnis geratene Parteigänger Erhaltung der biologischen Vielfalt und einer modellhaf- gemäßen Landesverwaltung.“ was Funke in Rage brachte und er den örtlichen Polizisten nicht auf Drängen von außen fallen zu lassen. ten Regionalentwicklung. anlastete. Voller Verachtung soll er sie beleidigt und dabei Das Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“ erstreckt Doch gerade auch außerhalb Niedersachsens fand die auch uriniert haben, die Beamten reagierten mit einer Für eine weitere Amtszeit allerdings wurde Monika sich über 400 Elbe-Kilometer und hat eine Gesamtfl äche forsche Art der einstigen Greenpeace-Aktivistin durchaus Strafanzeige. Später entschuldigte sich der Minister, die Griefahn nicht nominiert. Schröder verschaffte seiner von 3.430 Quadratkilometern. Auf Niedersachsen ent- Anklang. Wie groß das Ansehen der langmähnigen, streit- Ordnungshüter zogen ihre Anzeige zurück – und Schröder langjährigen Wegbegleiterin 1998 die Direktkandidatur fallen davon 567 Quadratkilometer entlang 95 Stromki- baren Politikerin war, ließ sich 199 daran ablesen, dass der hievte Funke wieder ins Kabinett. im Bundestagswahlkreis Harburg. Griefahn gewann das 4 lometern. Der hoheitliche Schutz der auf die einzelnen damalige SPD-Spitzenkandidat Monika Mandat und widmete sich bis zu ihrem Ausscheiden 2009 Länder entfallenden Flächenanteile erfolgt nach jewei- Griefahn als Umwelt- und Landwirtschaftsministerin in sein Bei Monika Griefahn dauerte die Auszeit länger. Am 10. im höchsten deutschen Parlament der Kulturpolitik. 2010 ligem Landesrecht. Die zuständigen Verwaltungen der Schattenkabinett für die Bundestagswahl holte. Zwar ver- März suspendiert, holte Schröder sie am 5. April wieder versuchte sie dann noch einmal, in der Landespolitik Fuß zu fünf Bundesländer arbeiten bei der Gebietsentwicklung fehlte Scharping die Mehrheit, aber auf Landesebene gab zurück, nachdem Simon – wie erhofft – die Umweltministe- fassen und he n der Niedersachsen-SPD zu werden. Doch C fi zusammen. es für die Sozialdemokraten einen Riesenerfolg: Die Partei rin vom Vorwurf des „Familienfi lzes“ entlastet hatte. Doch das Manöver misslang.

24 25 Sommer 2011: Umweltminister Hans-Heinrich Sander und Staatssekretär Dr. Stefan Birkner gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Innenhof des Umweltministeriums.n im Innenhof des Umweltministeriums. Foto: Walter Schmidt, NOVUM

26 27 Doch Schröder blieb stur. 1998 war es dann aber so weit. Die Sozialdemokraten fuhren bei der Landtagswahl am 1. März einen triumphalen Sieg ein, eroberten 47,9 Prozent „In mühseliger Kleinarbeit hat er der Stimmen und bauten ihre absolute Mehrheit auf 83 Mandate aus – gegen 75 Mandate von CDU und Grünen. Maßgeblich befördert worden war dieses sensationelle die Dinge befriedet“ Abschneiden durch die Konstellation, dass ein Superer- gebnis für Schröder die SPD-Kanzlerkandidatur zugunsten des Niedersachsen und zu Lasten des Saarländers entscheiden konnte. Und so kam es dann auch. Wolfgang Jüttner Doch bevor Schröder im Herbst nach gewonnener Bundes- Umweltminister von 1998 bis 2003 tagswahl die Kanzlerschaft übernahm, galt es erst einmal, das Landeskabinett neu zu ordnen. Und da kam er nun – zumal Monika Griefahn eine neue Herausforderung auf Von Hans Brinkmann Bundesebene suchte – nicht mehr an Wolfgang Jüttner vorbei. Der Hannoveraner hatte sich als umweltpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion profi liert und galt als Dies bedeutete jedoch nicht, dass Schröder ihm als maß- uneingeschränkt ministrabel. Aus Sicht von Wolfgang Jüttner waren es „sehr lebendige geblicher Gönner und Förderer den Weg geebnet hätte, Jahre“, die er von 1998 bis 2003 an der Spitze des Nieder- eher im Gegenteil. Die Chemie zwischen den beiden Der neue Chef in der Archivstraße ließ es nach der Amts- sächsischen Umweltministeriums verbrachte. Verglichen grundverschiedenen Typen – hier der hemdsärmelige, übernahme am 30. März 1998 behutsam angehen. Er Das Landeskabinett 1998. Foto: dpa mit den Phasen davor und danach steuerte das Ressort machthungrige Schröder, dort der bedächtige, programma- krempelte das Ministerium nicht völlig um, auch wenn er unter Jüttners Ägide allerdings in ausgesprochen ruhigem tisch orientierte Jüttner – stimmte nie so recht. Womöglich mit der Zeit einige Schaltstellen neu besetzte. So erkor er zielten. Regierungskommissionen unter Einbindung der Fahrwasser. Der SPD-Politiker wurde am 21. März 1948 als mag dazu auch beigetragen haben, wie manche Zeitgenos- etwa Friederike Witte zur Staatssekretärin, und für den Wirtschaft kümmerten sich um Vermeidung und Verwer- Sohn eines Eisenbahners und einer Kassiererin in Lüdersfeld sen mutmaßten, dass Schröder eine ausgeprägte Abnei- Griefahn-Vertrauten Heinz Davidsohn bestellte er Reinhard tung von Abfällen sowie um eine zukunftsfähige Wasser- im Kreis Schaumburg geboren und wuchs in Hannover auf. gung gegen Lehrer pfl egte. Einmal tat er sie sogar pauschal Schmalz zum Abteilungsleiter. Jüttner hatte es Davidsohn versorgung. Auch beim Bodenabbau und beim umstrit- Dort absolvierte er auch das Abitur und studierte – nach als „faule Säcke“ ab. Wiederholt bremste er jedenfalls den übel genommen, dass dieser sich 1994 – angeblich in der tenen Deichbau-Management sorgten Kooperationen für dreijährigem Dienst bei der Bundeswehr – Politologie, Ger- Aufstieg des ehrgeizigen Pädagogen. Erst 1993 – Jahre Hoffnung auf einen Staatssekretärsposten – auf die Seite Entspannung. manistik und Soziologie. Berufl ich betätigte sich Jüttner ab nach dem Aufstieg zum Ministerpräsidenten – überließ der Grünen schlug; nun wurde er in die Staatskanzlei 1976 als Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Langen- Schröder Jüttner den Vorsitz im traditions- und einfl uss- versetzt. Doch auf einem anderen Feld gab es völlig verhärtete Fron- hagen und danach als Dozent an der Heimvolkshochschule reichen SPD-Bezirk Hannover, den zuvor so prominente ten – und das weit über ein Jahrzehnt hinweg. Die Umset- Springe. 1986 verschrieb er sich als Landtagsabgeordneter Politiker wie Kurt Schumacher, Egon Franke und Peter von Auch inhaltlich ließ es Jüttner moderat angehen. Er ver- zung der FFH-Richtlinie (Fauna, Flora, Habitat) der Europä- voll und ganz der Politik. Oertzen geführt hatten. stand sich als „pragmatischer Linker“, dem es erfolg- ischen Union aus dem Jahr 1992 brachte die Landespolitik versprechender erschien, Umwelt- und Naturschutz auf arg in Bedrängnis. 1998 – passend zu Jüttners Amtsantritt Sein politisches Engagement hatte allerdings schon weit Erst recht zögerte Schröder, den erfahrenen Landespoliti- kooperative statt auf konfrontative Art voranzubringen. Das – spitzte sich die Lage zu, weil nun per Bundesgesetz dem vorher begonnen. 1970 trat Jüttner der SPD bei und ker und Chef der mit Abstand größten Parteigliederung schloss gelegentliche Härte in strittigen Punkten nicht aus. EU-Anliegen Nachdruck verliehen wurde, zehn bis 15 Pro- machte bei den Jungsozialisten (Jusos) rasch Karriere. So in Niedersachsen in sein Kabinett zu holen. Eine gute So setzte Jüttner verstärkt auf Modelle, die – angefangen zent der Landesfl äche in zusammenhängenden Gebieten übernahm der Parteilinke 1973 den Vorsitz des Juso-Bezirks Gelegenheit hätte sich zum Beispiel 1994 geboten, als die mit dem noch unter Griefahn entwickelten Mediationsver- stärker unter Schutz zu stellen. Später drohte Brüssel, bei Hannover – als Nachfolger des späteren Ministerpräsiden- SPD die absolute Mehrheit gewann und auch über die frei- fahren zu Münchehagen – auf eine möglichst einvernehm- ausbleibender Meldung geeigneter Gebiete den Hahn bei ten und Bundeskanzlers Gerhard Schröder. gewordenen Kabinettsposten der Grünen verfügen konnte. liche Lösung konfl iktträchtiger Probleme im Umweltbereich Förderprogrammen zuzudrehen.

28 29 Landwirte und Wirtschaftsverbände gingen auf die Barrika- den. An der Ems fürchtete man gar, dass traditionsreichen Unternehmen wie der Meyer-Werft durch Einschränkung der Schifffahrt das Aus drohen könnte. Viel Arbeit für Po- litiker wie Jüttner, der in einem Fall – in Otterndorf – sogar aufgebrachte Bürger beschwichtigen musste, die wegen der FFH-Richtlinie schon ihre schmucke Freibadanlage den Bach runtergehen sahen. Doch das war nur ein Klacks gegen das, was auf Jüttner mit dem Thema Atom zukom- Castor-Transport Foto: dpa men sollte. Dieses Problem drückte seiner Amtszeit in allen möglichen Facetten den Stempel auf. umso erstaunlicher anmutet, als es eben dieser Wolfgang Jüttner war, der zusammen mit der heutigen Grünen-Euro- Es begann gleich 1998 mit einem Transportskandal. Im Juni paabgeordneten Rebecca Harms nach der Bundestagswahl stellte sich heraus, dass bei jedem fünften von insgesamt 1998 als Leiter einer Arbeitsgruppe die energiepolitischen Sonnentaler/ photocase.com 600 Atomtransporten aus niedersächsischen Kernkraftwer- Festlegungen in der Koalitionsvereinbarung von SPD und ken in französische und englische Wiederaufarbeitungs- Grünen auf Bundesebene vorbereitet hatte. Dies bildete Natura 2000 anlagen die zulässigen Strahlengrenzwerte überschritten einen wesentlichen Grundstein für den späteren Atomkon- wurden. Jüttner wies Versäumnisse der Atomaufsicht sens mit einer schrittweisen Abschaltung von Meilern und „Natura 2000“ ist der Titel eines europaweiten Schutz- chen Grundlagen und die Verfahrensvorgaben zur Errich- zurück und forderte seinerseits den Bund auf, mit gesetzli- einer vorerst auf zehn Jahre ausgesetzten Erkundung des gebietsnetzes, das aufgebaut werden soll, um naturnahe tung des Natura-2000-Netzes genau beschrieben. Auf chen Vorschriften Lücken bei der Meldepfl icht zu schließen. Salzstocks Gorleben. Lebensräume sowie bestandsgefährdete wild lebende dieser Grundlage muss jeder EU-Mitgliedsstaat Gebiete In einem ähnlichen Fall kam es Anfang 2000 zu einem Tier- und Pfl anzenarten zu erhalten und gegebenenfalls benennen, erhalten und gegebenenfalls entwickeln, die noch stärkeren Konfl ikt zwischen den Umweltministerien in „Wenn man mich fragt, was der wichtigste Erfolg in meiner zu entwickeln. Hierzu hatte bereits der Rat der Europäi- für gefährdete Lebensräume und Arten wichtig sind. Hannover und Berlin. Damals ging es um manipulierte Si- politischen Laufbahn gewesen ist, dann war das dieser schen Gemeinschaft im Jahr 1979 eine Richtlinie über die Niedersachsen hat diese Aufgabe in vollem Umfang erfüllt cherheitsnachweise bei Brennelementen aus dem britischen Beitrag zur Verständigung auf eine Energiewende“, sagt Erhaltung der wild lebenden Vogelarten erlassen. Zum und insgesamt 385 FFH-Gebietsvorschläge gemeldet und Sellafi eld, die für den niedersächsischen Atommeiler Unter- der heute 63-Jährige in der Rückschau. Klug hatte Jüttner Schutz der übrigen Tierarten sowie von Pfl anzen und landesweit 71 Areale zu europäischen Vogelschutzgebie- weser bestimmt waren. Jüttner und Bundesminister Jürgen seinerzeit in einem viel beachteten Grundsatzpapier klarge- Lebensräumen folgte im Jahr 1992 dann die FFH-Richtli- ten erklärt. Die niedersächsischen Natura-2000-Gebiete Trittin bezichtigten sich gegenseitig der zu späten Unter- stellt, dass es „einen sofortigen Totalausstieg aus der Atom- nie (FFH = Fauna, Flora, Habitat) der Europäischen Union umfassen einschließlich des Küstenmeeres innerhalb richtung. Schroffer Originalton Trittins im März 2000: „Statt energienutzung in Deutschland nicht geben“ könne – und (EU). Diese beiden Richtlinien verfolgen das Ziel, die bio- der 12-Seemeilen-Zone insgesamt 861.900 Hektar. Dies dem BMU [Abkürzung für das Bundesumweltministerium] drei Säulen für einen tragfähigen Ausstieg vorgegeben: logische Vielfalt in Europa zu erhalten. Sie leisten damit entspricht 16,2 Prozent der Landesfl äche Niedersachsens. mangelnde Hellhörigkeit vorzuwerfen, sollte Herr Jüttner Bedingungen, unter denen die Atomkraftwerke befristet einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele Für die Sicherung der Natura-2000-Gebiete sind in Nieder- die Frage beantworten, warum seine Behörde ihr Wissen betrieben werden können, eine Strategie der Entsorgung des UN-Übereinkommens über die Biologische Vielfalt. sachsen die unteren Naturschutzbehörden der Landkreise nicht bereits im September 1999 an das Bundesumwelt- des radioaktiven Mülls sowie Maßnahmen zur Förderung In der FFH-Richtlinie sind die Ziele, die naturschutzfachli- und Städte zuständig. ministerium weitergegeben hat.“ Ein rauer Umgang, der von umweltverträglichen Formen der Energieerzeugung.

30 31 Doch so weitreichend eine solche Weichenstellung war, sie die ungeliebte Deponie zu geben. Aber ihm gelang es, we- biss sich mit dem politischen Tagesgeschäft. Denn ungeach- nigstens noch in zwei Punkten kleine Nadelstiche zu setzen: tet aller Ausstiegspläne galt es damals, auf der Grundlage So verweigerte er die Anordnung des Sofortvollzugs für Während des Gesetzgebungsverfahrens gab es plötzlich des geltenden Rechts Anträge auf neue kerntechnische den Planfeststellungsbeschluss, was Kritikern langwierige Aufruhr an der Küste: Die dem Text beigefügten Karten des Anlagen wie etwa das geplante Endlager für schwach- und Klagen vor Gericht ermöglichte, und er beschränkte die im Gebiets stimmten – vor allem auf den ostfriesischen Inseln – mittelaktive Abfälle im Schacht Konrad zu bescheiden. Es Höchstfall einzulagernde Menge auf 303.000 Kubikmeter, nicht mit der ursprünglichen Kartierung überein. Ein Flüch- entwickelte sich ein Schwarze-Peter-Spiel zwischen Berlin weniger als die Hälfte des ursprünglich begehrten Volu- tigkeitsfehler oder ein mutwilliger Akt? Rücktrittsforderun- und Hannover. Jüttner hoffte vergeblich, dass Trittin die mens. gen wurden laut; nur mit Mühe konnte der Umweltminister bundesaufsichtlichen Weisungen der vorherigen Umwelt- am Ende die Kritiker besänftigen und seinen Kopf aus der minister Angela Merkel und Klaus Töpfer aufheben und so Bei einem anderen Atomprojekt, bei dem es nach Jüttners Schlinge ziehen. das Projekt in Salzgitter zu Fall bringen würde. Der Grüne Ausscheiden zum großen Knall kam, biss der Niedersachse fürchtete offenbar, bei willkürlicher Verhinderung eines in Berlin ebenfalls auf Granit: Sein Vorstoß, die Schließung Weniger Fortüne hatte Jüttner beim Schielen nach höheren fachlich einwandfreien Antrags von der Atomwirtschaft der maroden Versuchsdeponie Asse II bei Wolfenbüttel politischen Weihen. So buhlte er 2001 nach dem Rücktritt Foto: TMN in Regress genommen zu werden. Jüttner blieb schließlich nicht nach Bergrecht, sondern per Atomgesetz abzu- des überforderten Ministerpräsidenten Gerhard Glogoswki keine andere Wahl, als am 22. Mai 2002 grünes Licht für wickeln, fand beim Bund als Betreiber kein Gehör. „Da um dessen Nachfolge. Doch der Hannoveraner musste Nationalpark Wattenmeer stand eine knallharte Front dagegen“, klagte Jüttner im sich mit 32 gegen 49 Stimmen dem bulligen Fraktionschef Untersuchungsausschuss des Landtages über die Ignoranz beugen. Der bisweilen unberechenbare der eigenen, rot-grünen Bundesregierung. Allerdings, das Politikstil des Harzers – einmal verkündete er ohne Rück- Das Wattenmeer ist eins der größten Gezeitengebiete der räumt der SPD-Mann ein, war die Asse seinerzeit auch sprache mit seinem Umweltminister in einer Leseraktion der Welt. Es besteht aus Inseln, Rinnen, Prielen und Platen, die nicht annähernd so präsent im politischen Alltag wie heute. Bild-Zeitung ein schroffes Nein des Landes zum Dosenpfand ständig ihre Form und manchmal auch ihre Lage verän- „Die Asse befand sich im Abwicklungsprozess und spielte – mündete 2003 in einem Wahlfi asko. Das beendete auch dern. Das Wattenmeer ist einzigartig. Es ist das einzige eigentlich keine Rolle“, erinnert sich der Exminister an Jüttners Karriere als Kabinettsmitglied. Watten- und Inselküstensystem der Welt mit einem die Zeiten weit vor der alarmierenden Entdeckung radio- gemäßigten Klima und zudem noch weit ausgedehnt. So aktiv verseuchter Laugen. Aber auch schon damals habe „Er hinterlässt ein geordnetes Haus“, bescheinigte ihm da- nutzen jedes Jahr zehn bis zwölf Millionen Zugvögel das er wegen der Unwägbarkeiten der Atompolitik und des nach der in Hannover erscheinende Rundblick. Und weiter: Wattenmeer. Ständig leben im Wattenmeer rund 10.000 jederzeit möglichen Auftretens von Pannen und Fehlern „Er hat es in mühseliger Kleinarbeit geschafft, die Dinge zu verschiedene Pfl anzen- und Tierarten, an Land und im einige Unruhe verspürt, bekennt Jüttner. „Manchmal habe befrieden, und selbst mit der Wirtschaft so etwas wie einen Wasser. ich mich morgens gefragt: Na, bis du heute Abend noch Interessenausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie zu- Seit über 25 Jahren wird das Wattenmeer vor der nieder- Minister?“ Und einmal hätte es ihn tatsächlich fast erwischt mindest auf den Weg zu bringen.“ Dass er ein Aktivposten sächsischen Nordseeküste als Nationalpark geschützt. Mit – aber in einer gänzlich anderen Angelegenheit. Es war in der Regierung gewesen war, schlug sich später noch in der Novelle des Nationalparkgesetzes vom März 2010 1990, als der SPD-Politiker nach rechtlichen Problemen mit herausragenden Funktionen nieder. Wolfgang Jüttner wur- wurde die Fläche auf 345.000 Hektar erweitert. Damit ist der Ausweisung der Elbtalaue zum Nationalpark vorsorglich de Partei- und Fraktionschef und ging 2008 sogar als SPD- das Niedersächsische Wattenmeer der zweitgrößte deut- beim Wattenmeer eine Sicherung einbauen wollte mit der Spitzenkandidat gegen den damaligen Ministerpräsidenten sche Nationalpark. Darüber hinaus wurde das Wattenmeer Umwandlung der ursprünglichen Nationalparkverordnung Christian Wulff (CDU) ins Rennen. Doch die Rückkehr an 2009 in die UNESCO-Liste „Welterbe der Menschheit“ Wolfgang Jüttner besucht 1999 den Salzstock Gorleben. Foto: dpa in ein Gesetz. die Macht misslang. aufgenommen.

32 33 „An unserem Umweltminister werden Sie sich die Zähne ausbeißen“

Hans-Heinrich Sander Umweltminister seit 2003 Die CDU beanspruchte diesen Posten vehement für sich, weil sie sich traditionell als Bauernpartei verstand und mit Hans-Heinrich Ehlen einen gestandenen Vertreter dieser Von Hans Brinkmann Zunft für das Ministerium aufzubieten hatte. Die Liberalen schwenkten um und begehrten nun das artverwandte und ihrer Ansicht nach ebenfalls reichlich Gestaltungsspielraum bietende Umweltressort. Die FDP sah darin auch bundes- Den einen gilt er als deplatziert, für andere ist er schlicht Auch in der Partei wuchs Sander zu einer festen Größe. weit eine Chance, sich auf diesem immer noch jungen Der damalige Ministerpräsident Wulff stellt 2003 sein Kabinett vor. Kult: Hans-Heinrich Sander, der vierte Chef im Niedersächsi- 1968 in die FDP eingetreten, übernahm er bald Führungs- Politikfeld zu profi lieren. Auf das Umweltministerium war Foto: dpa schen Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, hat es mit ämter und rückte bis zum stellvertretenden Landesvorsit- allerdings – mit entsprechender Funktion im Schattenkabi- acht Amtsjahren inzwischen zum dienstältesten Umwelt- zenden auf. In dieser Funktion gilt er seit Langem als einer nett des CDU-Spitzenkandidaten Christian Wulff – bereits „von oben her“ den Umgang mit Wasser, Wald und Boden minister Deutschlands gebracht. Sander wurde am 18. der einfl ussreichsten Köpfe bei den Freien Demokraten und der Oldenburger Christdemokrat Lutz Stratmann fi xiert. prägte. Sanders Credo: Pragmatisch vorgehen, Betroffene April 1945 als Sohn eines Landwirts in Golmbach im Kreis als gewiefter Strippenzieher. Doch der musste zurückstecken und auf das Wissenschafts- beteiligen, Bürokratie abbauen. Naturschutz zum Beispiel Holzminden geboren. In die Fußstapfen seines Vaters trat er ressort ausweichen. Und so übernahm Sander am 4. März solle fortan nicht gegen, sondern mit den betroffenen gleich doppelt: Zum einen ließ er sich ebenfalls zum Bauern Kein Wunder, dass Sander nach der erfolgreichen Land- 2003 in der Archivstraße das Kommando. Landbesitzern entwickelt werden. ausbilden, zum anderen zog es ihn wie seinen Vater Hein- tagswahl am 2. Februar 2003 eine wichtige Rolle bei der rich, der lange für die FDP im saß, in die Politik. Kabinettsbildung spielte. Fulminant hatten die CDU auf Er sorgte in jeder Beziehung für anderen Wind – inhalt- Typisch für diese Denkweise ist eine der ersten Anordnun- Berufl ich musste der Erbe eines Obsthofes allerdings früh 48,3 Prozent und die Liberalen auf 8,1 Prozent zugelegt, lich, personell und auch vom Stil her. Anders als sein auf gen Sanders: Er verfügte, dass sich Mitarbeiter von Natur- umsatteln. Bei einem Arbeitsunfall verlor Sander den linken während die SPD nach einem desaströsen Wahlkampf auf Ausgleich bedachter Vorgänger war Sander darauf erpicht, schutzbehörden des Landes bei der Erfassung von Tier- und Unterarm; er holte daraufhin das Abitur nach und studierte 33,4 Prozent abstürzte. Für die bis dahin allein regierenden die Umweltpolitik ganz gezielt neu auszurichten. Insofern Pfl anzenbeständen auf Privatgrundstücken vorher bei den auf Lehramt. 1973 wurde er in den Schuldienst übernom- Sozialdemokraten reichte es nicht einmal mehr zu einem hatte er – bei allen Gegensätzen in der Sache – einen ähn- Eigentümern anmelden müssen. Zuvor hatten Bauern ge- men. Bis 2002 wirkte er als Rektor der Grund- und Haupt- Bündnis mit den Grünen (7,6 Prozent). Schnell wurde lichen Grundantrieb wie zuvor Monika Griefahn: Auch er klagt, dass sich ohne ihr Wissen unbekannte Personen auf schule in Bevern. Der Liberale, der den Obsthof zusammen klar, dass in der nun bevorstehenden CDU/FDP-Koalition polarisierte. Doch während die SPD-Frau auf einen Pakt von ihren Feldern und Wiesen tummelten. Ein weiteres Beispiel mit seiner Frau noch heute im Nebenerwerb betreibt, – neben dem als Nummer eins gesetzten Parteichef Walter Staat und Verbänden setzte, um die Ökologie auch gegen dafür wie Sander die eigene Bürokratie an die Kandare machte politisch rasch Karriere. 1973 wurde er Mitglied des Hirche – Hans-Heinrich Sander einen Kabinettsposten für Widerstände voranzutreiben, war Sander dieser Ansatz nahm: Er hebelte nach ein paar Monaten eine Verordnung Golmbacher Gemeinderates und des Kreistages Holzmin- die Liberalen übernehmen würde. Für Hirche hatte die höchst suspekt. Ihm behagte es nicht, welch‘ großen Ein- aus, die landesweit nur zwei Brenntage für die Beseitigung den. 13 Jahre fungierte er als stellvertretender Landrat; von Partei logischerweise das Wirtschaftsressort gegriffen; San- fl uss die Umwelt- und Naturschutzverbände auf die Politik von Gartenabfällen erlaubte. Seitdem dürfen Kommunen 2001 bis 2003 bekleidete er das Amt des Bürgermeisters der hingegen war eher auf Agrar programmiert. Und das des Landes nehmen konnten, und es störte ihn gewaltig, selbst entscheiden, wann und wie oft sie Brenntage anset- der Samtgemeinde Bevern. erwies sich als kniffl ig. wie machtvoll seiner Ansicht nach die Umweltverwaltung zen.

34 35 (zum Beispiel drei von fünf Abteilungsleitern), während führende Mitarbeiter mit SPD-Zugehörigkeit wie der frühere Abteilungschef Reinhard Schmalz und die Referatsgrup- penleiterin Marita Rickels zurückgestuft wurden. Indes: Mit Almut Kottwitz ist immer noch ein Grünen-Mitglied als Abteilungsleiterin aktiv, und mit Jutta Kremer-Heye greift Sander weiterhin auf die bewährten Dienste der früheren Pressesprecherin des SPD-Umweltministers Wolfgang Jütt- ner zurück. Doch es blieb nicht bei solch kleinen Korrekturen: Der FDP- Mann setzte auch zu großen Schnitten an. So löste er das Getrennt hat er sich hingegen von einem langjährigen Landesamt für Ökologie unter massiven Protesten von politischen Weggefährten: Christian Eberl (FDP) musste als Opposition und Verbänden auf, verlagerte eine Vielzahl Staatssekretär seinen Hut nehmen und wurde 2008 durch von Zuständigkeiten auf die kommunale Ebene und fasste Foto: Peer Frings, fotolia.de Stefan Birkner ersetzt. Zuvor hatten CDU und FDP bei der Foto: Schwadleger/ Zietz restliche Verwaltungsaufgaben in einer neuen Behörde mit Landtagswahl am 27. Januar ihre Macht souverän vertei- dem sperrigen Namen „Niedersächsischer Landesbetrieb für Regierungskommissionen digt. 42,5 Prozent der Wähler votierten für die Christde- NLWKN Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz“ (NLWKN) mit mokraten, 8,2 Prozent für die Liberalen. Die SPD fi el auf Direktion in Norden zusammen. Die Opposition kritisierte 30,3 Prozent zurück, die Grünen landeten bei acht Prozent Seit 1988 setzt die Niedersächsische Landesregierung das als „Zerschlagung einer funktionierenden Umweltver- und die erstmals ins Parlament einrückenden Linken bei Der Name ist Programm, denn er zählt quasi alle Auf- Regierungskommissionen ein. Die Grundprinzipien der waltung“. 7,1 Prozent. Dabei hatte die Opposition im Wahlkampf gaben des NLWKN auf: „Landesbetrieb für Wasserwirt- Arbeit von Regierungskommissionen folgen der Leitidee einen Schwerpunkt auch auf die Umweltpolitik gelegt und schaft, Küsten- und Naturschutz“. Seit 2005 sind die Lan- der Pluralität. Daher sollen möglichst viele gesellschaft- Parallel dazu schickte Sander sich an, den Einfl uss der Minister Sander zu einer besonderen Zielscheibe der Kritik desaufgaben der Wasserwirtschaft und des Naturschutzes liche Gruppen und Perspektiven in ihnen vertreten sein, komplett beim NLWKN konzentriert. Mit der Direktion in Verbände zu stutzen. Ob bei der institutionellen Förderung, erkoren. bei der Besetzung von Gremien, bei der Gestaltung von damit die gefassten Beschlüsse möglichst von weiten der Stadt Norden (Ostfriesland) und elf Betriebsstellen ist Beteiligungsrechten oder bei der Neuordnung der Stiftungs- Teilen der Gesellschaft getragen werden. In den Regie- der NLWKN an insgesamt 15 Standorten in ganz Nieder- rungskommissionen arbeiten daher Vertreter der Wirt- landschaft: Stets fühlten sich die bis dahin gehätschelten sachsen vertreten. Die dezentrale, nicht an Verwaltungs- schaft, Gewerkschaften, Wissenschaft, Umweltverbände, grenzen gebundene Organisation gewährleistet eine traditionellen Organisationen ein Stück weit geschwächt. Besonders heftig elen die Proteste aus, als Sander dafür Kommunalen Spitzenverbände, Stiftungen sowie der fl ächendeckende regionale Präsenz und kurze Wege zum fi sorgte, dass bei der Vergabe von Fördermitteln der Bingo- Verwaltung mit. nächsten Ansprechpartner. Derzeit arbeitet die 6. Regierungskommission. Sie hat die Konkrete Aufgaben des NLWKN sind die Errichtung, der stiftung in Millionenhöhe die Umwelt- und Naturschutzver- bände ihre Dominanz verloren und neben anderen verstärkt Aufgabe, die Niedersächsische Landesregierung hinsicht- Betrieb und die Unterhaltung von Projekten und Anlagen lich der Strategien zum Thema „Energie- und Ressour- der Wasserwirtschaft. Im Zuge dessen warnt der NLWKN auch Jäger und Fischer zum Zuge kamen. Und so geschah es schon mal, dass Verbände in ihrem Zorn zum Boykott ceneffi zienz“ zu beraten und Empfehlungen an Politik vor Sturmfl uten und Hochwasser. Aufgabe im Natur- und Wirtschaft abzugeben. Die Themen spiegeln konkre- schutz ist insbesondere die Sicherung und Entwicklung aufriefen – etwa bei der Verleihung von Umweltnadeln durch den Minister an verdiente Ehrenamtliche im Natur- te niedersächsische Frage- und Problemstellungen wider, des europäischen Schutzgebietsnetzes „Natura 2000“. zu denen in Arbeitskreisen Lösungsvorschläge erarbeitet Zu den weiteren praktischen Aufgaben des Landebetriebs schutz. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU), dem Sander selbst seit Langem angehört, entzog dem FDP-Poli- werden. Im Mittelpunkt steht dabei die nachhaltige gehört die Sicherstellung des fachbehördlichen Strahlen- Stärkung des Standortes Niedersachsen und in diesem schutzes im Land. Darüber hinaus ermitteln, analysieren tiker sogar die Schirmherrschaft für eine Tour zum 60-jähri- gen Bestehen des Verbandes. Zusammenhang die Unterstützung der den Standort und veröffentlichen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prägenden kleinen und mittleren Unternehmen. umweltbezogene Daten. Hierzu stehen dem NLWKN auch 2008 hat die Landesregierung darüber hinaus die Re- eine Reihe von landeseigenen Laboren zur Verfügung. Die Opposition schoss sich zugleich auf die hausinterne Personalpolitik von Sander ein. „Parteibuchwirtschaft“ gierungskommission Klimaschutz eingerichtet. Aufgabe Außerdem ist der NLWKN Genehmigungs- und Bewilli- dieses Gremiums ist es, ein grundlegendes praxisnahes gungsbehörde. wurde ihm unterstellt, weil im Ministerium auf einfl ussrei- chen Posten zunehmend Liberale zum Einsatz gelangten Klimaschutzkonzept für Niedersachsen zu entwickeln. Ministerpräsident David McAllister mit dem Landeskabinett 2011. Foto: EUROMEDIAHOUSE 36 37 Und fürwahr: „Futter“ war ihnen vom unorthodoxen seit jeher in tiefer Abneigung verbunden, sprach martia- und streitbaren Haudegen der FDP mit einigen Eskapa- lisch von einem „Kettensägen-Massaker“ und strengte ein den durchaus geliefert worden. Zum Beispiel durch einen Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen das provozierenden Auftritt Sanders bei einer Besichtigung des Naturschutzrecht bei der EU-Kommission in Brüssel an. geplanten Endlagers Schacht Konrad. Der Minister – seit jeher ein forscher Anhänger der Kernenergie – ließ sich vor Die Untersuchung endete zwar mit einer Einstellung des Ort mit einem T-Shirt ablichten, auf dem das schwarzgelbe Verfahrens, doch im politischen Raum sorgte der Fall noch Kernkraftzeichen und die Aufschrift „kerngesund“ prang- lange für heftige Auseinandersetzungen. So stellte die ten – das T-Shirt hatte ihm kurz zuvor der Betriebsratsvorsit- Opposition im April 2007 einen förmlichen Antrag auf Ent- zende als Geschenk überreicht. Das sorgte landauf, landab lassung des FDP-Politikers. Ein Minister, „der Umweltzerstö- für Empörung. Heute sagt der FDP-Mann selbstkritisch: rung in den Mittelpunkt seiner politischen Arbeit stellt“, sei „Das würde ich nicht mehr machen, weil es die Gefühle untragbar, hieß es polemisch. Grünen-Fraktionschef Stefan vieler Menschen verletzt hat.“ Wenzel attestierte Sander gar „die ökologische Sensibilität einer Kettensäge“. Das Regierungslager nahm Sander in Eine andere Aktion, die sogar noch mehr Wirbel auslöste, Schutz. Der damalige Ministerpräsident Christian Wulff betrachtet Sander weiter ungerührt als angemessen: Das ei- stufte den Umweltminister als bürgernahen Praktiker ein, genmächtige Kappen von Büschen und Bäumen in der Elb- der sich für die Belange der Menschen einsetze und stets talaue. Bei einer Besichtigung vor Ort war dem Umweltmi- um Interessenausgleich bemüht sei. Die „Entbuschung“ nister im November 2006 aufgefallen, dass der zum Schutz an der Elbe habe auch nur dem Ziel gedient, die Fließge- vor Überschwemmungen eigentlich notwendige zügige schwindigkeit des Flusses zu erhöhen und so den Hochwas- Wasserabfl uss durch zu üppiges Grün beeinträchtigt schien. serschutz zu verbessern. Kurzerhand holte Sander eine Motorkettensäge aus seinem Wagen und köpfte eine Zwillingsweide. Die Aufregung „Sie werden sich an unserem Umweltminister die Zähne Foto: Purestock/ gettyimages danach war gewaltig. Die Deutsche Umwelthilfe, Sander ausbeißen“, versicherte seinerzeit FDP-Fraktionschef Philipp Rösler, heute Bundeswirtschaftsminister. Und der inzwi- schen zum Kultusminister aufgerückte CDU-Abgeordnete Küstenschutz Bernd Althusmann hatte zuvor bereits, als es um eine Missbilligung Sanders wegen unfl ätiger Attacken („kor- Der Küsten- und auch der Hochwasserschutz sind vorsor- Küste, aber auch in Großprojekte wie die Baumaßnahmen rupte Bande“) auf Vertreter kommunaler Spitzenverbände gende Aufgaben. Ohne ist ein dauerhaftes Siedeln und an der Leybucht, den Bau des Emssperrwerkes und die ging, vollmundig erklärt: „Sander hat in Niedersachsen Wirtschaften in den Niederungsgebieten Norddeutsch- aktuell erfolgende Verkürzung der Deichlinie in Cuxhaven. inzwischen Kultcharakter.“ Diesen Status, den er durchaus lands und auf den Ostfriesischen Inseln nicht möglich. Im Küstenschutz setzt die Landesregierung neben hoheit- in Teilen der Bevölkerung genießt, hat Sander sich aus Sicht Rund 6.600 Quadratkilometer – das sind etwa 14 Prozent lichem Handeln vor allem auf die Eigenverantwortung der seiner Anhänger durch seine unbekümmert direkte Art, – von Niedersachsens Landesfl äche müssen und werden Menschen, die in Deichverbänden zusammengeschlossen aber auch durch unkonventionelles, pragmatisches Handeln heute wirksam vor dem „Blanken Hans“ geschützt – für sind. Das Deichwesen ist damit eine Selbstverwaltungsauf- und eine ausgeprägte Hilfsbereitschaft verdient. So ist sich die 1,2 Millionen Menschen, die in den Küstengebieten gabe der Deichverbände von Papenburg-Herbrum an der der 66-Jährige nicht zu schade, auf dem „kleinen Dienst- leben. Heute stellen mehr als 1.100 Kilometer Deiche von Ems über Jade und Weser bis zur Staustufe Geesthacht in weg“ auch mal Probleme aufzugreifen, die anderen gering bis zu neun Metern Höhe, Schutzdünen auf knapp 100 der Elbe. Ohne die tatkräftige Arbeit der Verbände wären erscheinen. Ein Beispiel: Als es an der Fulda in Südnieder- Kilometern Küstenlänge und zahlreiche Sperrwerke den die Erfolge im Küstenschutz nicht möglich gewesen. Aber sachsen immer wieder Uferabbrüche gab, die Anwohner Sturmfl utschutz sicher. auch ein guter Schutz bleibt immer relativ. Deshalb bleibt aber nirgendwo eine zuständige Stelle für Unterstützung Die großen Fortschritte im Küsten- und Hochwasserschutz die stete Aufgabe, den Schutz weiter zu verbessern. Das fanden, machte Sander kurzerhand einige Tausend Euro im in den vergangenen Jahrzehnten waren nur möglich, weil Land entwickelt hierfür langfristige Strategien und setzt Landesetat locker und sorgte mit Fuhren von Steinen für das Land kontinuierlich in die Verbesserung der Schutzein- Prioritäten, um die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit 140 Kinder mit Umweltminister Sander 2009 im Wattenmeer. eine Befestigung der Flussgestade. Eine kleine Rüge des richtungen investiert. Seit 1955 sind knapp zweieinhalb der erforderlichen Maßnahmen in enger Abstimmung mit Foto: dpa Rechnungshofs nahm er billigend in Kauf. Milliarden Euro gefl ossen in Projekte vielerorts entlang der den Trägern der Deicherhaltung zu gewährleisten.

38 39 Sanders Naturell als das Fixieren auf Probleme. Kennzeich- nend: Seit 2006 veröffentlicht der Umweltminister „weiße Listen“ mit dem Nachweis positiver Bestandsentwicklungen bei bedrohten Vogelarten sowie Säugetieren – ein Kontra- punkt zur üblichen „roten Liste“ gefährdeter Tiere und Pfl anzen. Auf der Habenseite verbucht der FDP-Minister auf jeden Fall die nach vielen Mühen gelungene Zusammenfüh- rung der beiden Nationalparks im Harz. Gleiches gilt für die 2009 erfolgte Aufwertung des Nationalparks Wattenmeer nach. Das wiederum verwarf den ursprünglich verfolgten durch die Aufnahme in die UNESCO-Liste des „Welterbe Plan, das Bergwerk zwecks Dauerstilllegung zu fl uten. Als der Menschheit“. neues Ziel wurde die Rückholung des radioaktiven Inventars unter Anwendung des Atomrechts ausgegeben. Doch was wäre ein Niedersächsischer Umweltminister ohne Hochwasser in Niedersachsen - Umweltminister Sander 2006 in der das leidige Thema Atom? Auch Sander, der sich nach eige- Um zu klären, wer für das Desaster um die Asse die Verant- Altstadt von Hitzacker. Foto: dpa nem Bekenntnis anfangs noch per Schnellkurs in dieses Feld wortung trägt, setzte die Opposition nach anfänglichem einarbeiten musste („So viel wie da habe ich in vier Wochen Zögern der SPD einen Parlamentarischen Untersuchungs- Mit großem persönlichem Einsatz kämpfte Sander auch da- noch nie gelernt“), wurde Mitte 2008 kalt erwischt vom ausschuss durch. Dieser lud als Zeugen auch drei der bishe- für, vom Hochwasser geplagten Elbanrainern zu helfen. So Asse-Skandal. Aus einem Zeitungsbericht wurde bekannt, rigen Umweltminister Niedersachsens – und die pochten drückte er durch, dass in Hitzacker mit Millionenaufwand dass in dem maroden Lager für schwach- und mittelaktive unisono darauf, in ihrer Amtszeit keine Versäumnisse mit Tag des Baumes 2008 Umweltminister Sander übergibt je einen eine Schutzmauer um die malerische Altstadt gezogen Atomabfälle radioaktiv belastete Laugen ausgetreten wa- Blick auf die Asse begangen zu haben. Doch während SPD, : wurde, und im kleinen Alt-Garge brachte er zur Freude der ren. Ein Alarmsignal, denn dies deutete auf Lecks unter den Walnussbaum an Landtagspräsident Dinkla sowie Ministerpräsident Grüne und Linke den Deponieskandal zum Anlass nahmen, Wulff. Foto: dpa Bewohner im Alleingang ein Deichbauprojekt auf den Weg. 126.000 Fässern in dem vom Einsturz bedrohten ehema- Salz generell die Eignung als Endlagermedium abzuspre- „Da ist Herzblut drin“ bekennt Sander, der sich ausgerech- ligen Salzbergwerk hin. Politisch brisant: Im zuständigen chen und einen forcierten Ausstieg aus der Atomkraft net nach erfolgreicher Bekämpfung der letzten großen Umweltministerium in Hannover wusste man zunächst von zu fordern, hielt Sander zunächst unbeirrt am Projekt allerdings schon jetzt, dass Hans-Heinrich Sander an jedes Flut mit einem Vorstoß der SPD für einen Untersuchungs- nichts. Die Wogen schlugen hoch; erst nach umfangreichen Gorleben fest, und er kämpfte auch unverdrossen für die Amtsjahr tief wurzelnde Erinnerungen behält: Seit Dienst- ausschuss konfrontiert sah. Doch die Sozialdemokraten Recherchen konnte in einem sogenannten Statusbericht zwischenzeitlich wieder einkassierte Laufzeitverlängerung beginn 2003 hat er stets zwei Dutzend Exemplare vom machten fl ugs einen Rückzieher, zumal die Jungen Libera- die Sachlage geklärt werden. Es stellte sich heraus, dass das der Kernkraftwerke. jeweiligen „Baum des Jahres“ erworben und die meisten len feixten, dass ausgerechnet Oppositionsführer Jüttner Helmholtz-Zentrum als Betreiber und das Landesbergamt davon in Garten, Wald und Feldesrand gepfl anzt – Eber- während des Großeinsatzes an der Elbe schnorchelnd in der als unmittelbare Aufsichtsbehörde schon geraume Zeit von Wie er mit der eigenen politischen Laufzeit umgehen will, eschen, Walnuss, Wildkirschen oder auch Schwarzpap- Karibik abgetaucht war. den Vorgängen wussten und sogar kontaminierte Laugen lässt der mit acht Dienstjahren bundesweit zum Rekord- peln als lebendiger Nachlass einer ausgedehnten Ära als eigenmächtig und offenbar ohne rechtliche Erlaubnis in minister aufgestiegene Liberale indes offen. Fest steht Umweltminister. Freunde weiß der FDP-Politiker nicht zuletzt in den Reihen tiefere Schichten abgeleitet hatten. der Landwirte, Jäger und Fischer. Sie betrachtet er mehr als alle Verbandsfunktionäre als wahre Hüter von Umwelt Es begann eine turbulente Phase, die gerade auch für das und Natur. Entsprechend umgarnt er sie, bisweilen zum Landesumweltministerium eine enorme Herausforderung Argwohn der Christdemokraten: „Der wildert bei unserer darstellte. Und es hagelte Konsequenzen: Die bisherige Klientel“, hört man gerade in Wahlkampfzeiten oft aus Konstruktion der Trägerschaft wurde – übrigens in unge- Kreisen der Union über den liberalen „Stimmenfänger“. wohntem Zusammenwirken der beiden Umweltminister Immerhin, einige Kooperationen haben Früchte getragen, Sander (Land) und Sigmar Gabriel (Bund) – komplett aufge- etwa die Zusammenarbeit mit den Jägern bei der Wieder- geben. Anstatt des Bundesforschungsministeriums über- ansiedlung von Luchsen im Harz oder bei der angepeilten nahm das Bundesumweltministerium die Zuständigkeit für Hans Brinkmann ist Journalist und seit 1988 landespoliti- Rückkehr des Wolfes in heimische Gefi lde. Überhaupt: die Asse. Der bisherige Betreiber Helmholtz-Zentrum bekam scher Korrespondent der Neuen Osnabrücker Zeitung. Solche und andere Erfolge herauszustellen entspricht mehr den Laufpass, es rückte das Bundesamt für Strahlenschutz

40 41 Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt und Klimaschutz

… ist eins von neun Ministerien in der Niedersächsischen (NLWKN) mit seinem Hauptsitz in Norden und landesweit Landesregierung und mit 25 Jahren das jüngste Ministeri- elf Betriebsstellen, insgesamt zehn Gewerbeaufsichtsämter, um in Niedersachsen. Heute arbeiten 336 Mitarbeiterinnen verteilt über ganz Niedersachsen, der Nationalpark Nieder- und Mitarbeiter in der Archivstraße 2. Zu den vielfältigen sächsisches Wattenmeer mit Sitz in Wilhelmshaven und der Themen des Umweltministeriums zählen Wasserwirtschaft Nationalpark Harz mit Sitz in Wernigerode – außerdem das und Küstenschutz, Hochwasser- und Bodenschutz, Abfall- Biosphärenreservat Elbtalaue mit Sitz in Hitzacker sowie die wirtschaft und Immissionsschutz, Energie sowie der Na- Alfred-Toepfer Akademie für Naturschutz in Schneverdin- turschutz. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im gen. Havariekommando in Cuxhaven tätig. Diese gemeinsame Einrichtung des Bundes und der Küstenländer ist zuständig Darüber hinaus hat das Ministerium die Fachaufsicht über für ein gemeinsames Unfallmanagement auf Nord- und weitere Behörden, soweit sie Aufgaben aus dem Geschäfts- Ostsee. bereich des Umweltministeriums wahrnehmen. So zum Beispiel über das Landesamt für Bergbau, Energie und Hinzugekommen ist noch das Thema Klimaschutz, dessen Geologie (LBEG) bei der Hydrogeologie und der Überwa- Bedeutung so hoch ist, dass das Niedersächsische Umwelt- chung von Altlasten sowie in Fragen des Bergrechts, soweit ministerium im Jahr 2008 umbenannt wurde und seitdem es im Zusammenhang mit Anlagen zur Lagerung und „Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klima- Behandlung radioaktiver Stoffe angewendet wird. Seit dem schutz“ heißt. Bereits seit seiner Gründung ist das Umwelt- 1. Januar 2005 übt das Ministerium für Umwelt und Klima- ministerium überdies die atomrechtliche Genehmigungs- schutz zudem direkt die Fachaufsicht über die Landkreise, und Aufsichtsbehörde für die kerntechnischen Anlagen in die Region Hannover sowie die kreisfreien und großen Niedersachsen und damit zuständig für die Überwachung selbstständigen Städte aus, soweit es um die Fachbereiche der Sicherheit der Kernkraftwerke und kerntechnischen Natur- und Wasserschutz, Immissions- und Bodenschutz Anlagen sowie für die Überwachung der Entsorgung radio- sowie um Abfall geht. Und schließlich befi nden sich im aktiver Abfälle. Ministerium noch die Geschäftsstelle der Niedersächsischen Wattenmeerstiftung sowie die Koordinierungsstelle des Bei der Wahrnehmung der vielfältigen Aufgaben wird Portal U Deutschland. das Umweltministerium von rund 2.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den ihm nachgeordneten Behörden Weitere Informationen über das Niedersächsische Ministeri- unterstützt. Dazu gehören der Niedersächsische Landes- um für Umwelt und Klimaschutz gibt es auf den Seiten des betrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz Ministeriums im Internet: www.umwelt.niedersachsen.de Foto: ant236/ fotolia.de

42 43 Bodenständig und zukunftsgewandt Ministerial, aber jovial Die Renovierungsarbeiten am Dienstgebäude dauern Innenleben mehrere Jahre, vor allem, weil umfangreiche Arbeiten am Auftretende Überschneidungen der Themen des jungen Fundament notwendig sind. So müssen die freistehenden Ministeriums mit den Interessensphären anderer Häuser Eichenpfähle unter dem Gebäude nach dem Trockenle- werden in den ersten Jahren unter anderem von den drei Was die Chronisten nicht aufgeschrieben haben: gen des alten Leinearmes, der vorher unmittelbar an das großen B behandelt – drei leitenden Ministerialbeamten, Regierungsgebäude angegrenzt hatte, nachträglich durch die in verantwortungsvoller Position in Umwelt-, Landwirt- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erinnern sich ein Betonfundament ergänzt werden. Im Innenhof werden schafts- und Wirtschaftsministerium eingesetzt sind. Wegen unter provisorischen Zeltdächern dieselbetriebene Ma- seiner ausgeprägten Kompetenz und Erfahrung, gepaart schinen aufgestellt, die über die Dauer mehrerer Wochen mit dem gewissen ministerialen Habitus wird der Beamte Tausende Tonnen Beton ins Fundament verpressen. Ein Vor- aus dem Umweltministerium in der Nordwest-Zeitung – es Versetzt, aber wohin gang, der jeden seiner Konzentration beraubt, der noch nie ging um eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zu den einen Wasserschaden im eigenen Keller maschinell trocknen Umweltbelastungen aus der Metaleurop-Hütte in Friedrich- Die Landesregierung fasst den Beschluss, eine Reihe von durfte oder der Vorbeifahrt einer Kompanie Kampfpanzer August-Hütte – leicht spöttisch beschrieben: „Der joviale B., Mitarbeitern aus dem Landwirtschaftsministerium in ein im Vorgarten beigewohnt hat. den man eher im Kölner Karnevalspräsidium denn in der neu zu gründendes Umweltministerium umzusetzen. Der Ministerialbürokratie vermutet.“ bisherige Landwirtschaftsminister Gerhard Glup dankt ab, Als ein bis dato ungenutzter Kellerraum im Gebäude Am Anfang falsch verbunden und der ehemalige Finanzminister Burkhard Ritz übernimmt ausgeräumt wird, kommen verschollen geglaubte Teile Die zu Weihnachten 1990 von der Hausleitung ange- das Amt. In seiner Antrittsrede macht er deutlich, dass er eines Baus des bekannten Hannoverschen Stadtplaners und kündigte „Anpassung der Organisation“ an die „neue Sehr früh an einem Morgen Ende April des Jahres 1986: Bei die betreffenden Kollegen so schnell wie möglich loswer- Architekten Georg Ludwig Friedrich Laves zum Vorschein: Umweltpolitik“ bedeutete für das Umweltministerium im einem Kollegen aus der damals noch im Landwirtschafts- den wolle, nicht zuletzt, weil man dringend Büroräume Das Friederikenschlösschen. Dieses im Jahre 1817 erbaute Wesentlichen eine Verstärkung des Personals um rund 170 ministerium angesiedelten Wasserwirtschaft klingelt das brauche. Von Stund’ an bekommen die betroffenen Kolle- Stadtschloss hatte das Schicksal der Garnisonskirche am Mitarbeiter, darunter viele neue Kolleginnen und Kollegen Telefon. Eine besorgte Mutter will wissen, ob sie ihre Kinder gen in ihren Büros häufi g Besuch von Mitarbeitern aus an- Goetheplatz und der Wasserkunst am Landtag geteilt und in Batik-T-Shirts und Sandalen – von der Traditionslinie der noch zum Spielen nach draußen schicken könne. Sie habe deren Abteilungen, die schon einmal die Räumlichkeiten in- war 1966 abgerissen worden. Danach waren einige Teile drei großen B so weit entfernt „wie ein Vegetarier vom All- von einem Atomunfall in der Ukraine gehört. Davon habe spizieren wollen. Gerüchteweise soll es außerdem ein nicht im jetzigen Umweltministerium aufbewahrt worden. Die you-can-eat-Buffet im Steakhaus.“ er noch nichts gehört, lautet die Antwort. Und warum nachvollziehbares Verfahren geben, wonach festgelegt damalige Bezirksregierung hatte Anweisung gegeben, die rufe sie ausgerechnet ihn an, er befasse sich eigentlich wird, welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Teile vorher zu katalogisieren, was aber nicht geschehen mit ganz anderen Themen. Von der Anruferin erfährt der Abteilungen man bei dieser Gelegenheit ebenfalls loswer- war und wodurch die mehr oder weniger gut erhaltenen Präzise geplant Kollege Einzelheiten über die Katastrophe in Tschernobyl. Er den könne – über den Erfolg ist nichts bekannt. Schließlich Bruchstücke in Vergessenheit geraten waren. Den Fund antwortet schließlich, dass er auch Kinder hätte und seine bleiben den Kollegen ihre alten Büroräume wider Erwarten bekommt das Historische Museum Hannover, er dient einer Für Heiterkeit sorgt eine an alle Abteilungsleitungen und Frau angewiesen habe, das Spielen im Sandkasten bis auf doch etwas länger erhalten, weil es nach Erhalt der Ver- Inszenierung mit dem prägnanten Titel „Trümmerhaufen“. das Ministerbüro verschickte Hausmitteilung von Staatsse- Weiteres zu unterbinden. Eine Notlüge. Aber die Anruferin setzungsverfügungen – unterzeichnet von einem gewissen kretär Reinke. Darin übermittelt er einen präzisen persön- scheint damit sehr zufrieden zu sein und bedankt sich für Herrn Lindemann „mit Dank für die geleistete Arbeit“ – im Das Gebäude des Umweltministeriums wird zu Beginn häu- lichen Arbeits- und Zeitplan mit der Bitte um Einhaltung: die Auskunft. Den ganzen Vormittag lang folgen weitere neuen Dienstgebäude in der Archivstraße 2 noch gar keine fi g noch „Altes Archiv“ genannt. Ein Umstand, den ein in- „Bis 9.00 Uhr: Für keinen Menschen zu sprechen (Ausnah- Anrufe, die der Wasserbauingenieur zwar nach „bestem freien Räume gibt. Selbst Niedersachsens erster Umweltmi- teressierter und aufmerksamer Bürger in einem Brief an die me: Minister, Staatssekretäre, Ehefrau). 9.00 bis 9.30 Uhr: Gewissen“, aber „ohne Ahnung“ beantwortet. Später nister Werner Remmers muss sein Büro zunächst an abgele- neue Behörde als „Quatsch mit Traditionssoße“ beschreibt. Nur Telefonate. 9.30 bis 12.30 Uhr: Besprechungen, Ende stellt sich heraus, dass die Landesregierung eine Hotline für gener Stelle im 2. Stock einrichten, weil der überwiegende Er schlägt vor, dass man es besser „Alte Regierung“ nennen pünktlich. 12.30 bis 14.00 Uhr: Pause und Arbeitszeit, Fragen zu Tschernobyl geschaltet hatte, in die einige Mit- Teil des Hauses der Renovierung bedarf. Der neu gewählte solle. Der damals zuständige Kollege entgegnet schriftlich, keine Störungen (Ausnahme: Ehefrau, Minister, Staatssekre- arbeiter aus den Wasserwirtschaftsreferaten des Landwirt- Personalrat fordert in seinem ersten Informationsschreiben dass Volksmund und Sprachgebrauch beim Namen des Ge- täre). 14.00 bis 15.00 Uhr: Wenn nötig, Zeit für Telefonate, schaftsministeriums aus Versehen und vor allem ohne ihr im Januar 1987, dass binnen drei Jahren die Unterbringung bäudes „mindestens mittelfristig“ die Nutzung als Dienstge- keine Besprechungen. 15.00 bis 18.00 Uhr: Besprechungen Wissen eingebunden worden waren. aller Kollegen sichergestellt werden solle. bäude des Umweltministeriums berücksichtigen würden. und Telefonate.“

44 45 Neu und ganz anders

Die neue Chefi n Monika Griefahn stürmt zu Beginn ihrer Als „Staatsvertrag“ besiegelt Amtszeit erwartungsgemäß die „Festung Atomabteilung“. Der vormalige Sicherheitsbereich, der für einzelne Kollegen Sein erster Ansprechpartner ist die Feuerwehr, die – weil nur mit Chipkarten zu betreten war, wird „geöffnet“ und Die Neubesetzung von Schlüsselpositionen Anfang der der Leiterwagen nicht durch die Toreinfahrt passt – versu- das bemerkenswert große, maßstabsgetreue Modell eines 1990er Jahre läuft nicht ohne Spannungen. Als ein Referat chen soll, das Vogelnest mit einem gezielten Wasserstrahl Kernkraftwerkes mit seinen vielen elektrischen Funktion aus zur Abfallvermeidung mit dem bisherigen Referenten anzuheben. Das Ganze aus dem Fenster des am nächsten dem 2. Stock verbannt. Ein Baudirektor aus dem Referat für nukleare Entsorgung geschaffen wird, kommt es zu gelegenen Büros eines Kollegen. Als Löschwagen und für Sonderthemen wie Altöl, Batterien, Verpackungen, den erheblichen Konfl ikten mit dem Referat für Sonderabfälle. -mannschaft eingetroffen sind und der Schlauch bis in den Kollegen gern als „Beamten der alten Schule“ beschreiben, Aus zwei Gründen: Die Arbeitsbereiche des neuen Referats zweiten Stock verlegt ist, kommt der Funkbefehl „Wasser legt sich mit der Behördenleitung wegen einer großen sind noch nicht defi niert und dazu kommt wohl auch der marsch!“ offensichtlich ausgerechnet für den am Schlau- Landkarte an, die seit Jahrzehnten ebenfalls im Flur des 2. Wunsch handelnder Personen, sich vor den Kollegen und chende eingesetzten Truppführer zu überraschend, sodass Obergeschosses hängt und Deutschland in den Grenzen vor vor allem der neuen Hausleitung „darzustellen“. Nach lan- ihm der Schlauch entgleitet und das Büro des just an 1945 zeigt. Das Bild muss ebenso wie das Kernkraftwerk- gen Auseinandersetzungen schließen die Referate eine von diesem Tage abwesenden Kollegen gefl utet wird. Daraufhin modell verschwinden. beiden Referatsleitern unterzeichnete Vereinbarung, die als werden der Brandmeister und dessen Mitarbeiter unter „Staatsvertrag“ die Runde über die Hausfl ure macht. „rauen“ Bemerkungen des Initiators gebeten, das Gebäu- In einem Brief an alte Mitstreiter äußert Ministerin Griefahn, de schnellstmöglich zu verlassen. Nun soll der damalige dass man gezwungen sei „nach wie vor mit den alten Tierisch Kreisjägermeister den Faden mit einem gezielten Schuss Leuten und all den damit verbundenen Problemen arbei- durchtrennen – natürlich ebenfalls aus dem Büro des ten zu müssen“. Die Reaktion der entrüsteten Beamten Dem wachen Auge des Hauptbüros im neuen Ministerium abwesenden Kollegen. Also wird das Gewehr geladen, der erfolgt prompt. In einem Schreiben an die Hausleitung ist entgeht nicht die erste Meerschweinchenzucht der Lan- Fenstergriff als Anschlag genutzt und auf das schmale Ziel von „tiefer Bestürzung“ und „Verunsicherung“ die Rede. desverwaltung, die nach wenigen Wochen ohne Angabe angehalten. Als nach dreimaligem Versuch immer noch kein Die Presse – mit der Bild Hannover an der Spitze – greift die von Gründen verboten wird. Seitdem geht es kaum mehr Schuss bricht, fällt dem Waidmann auf, dass sein Gewehr Geschichte dankbar auf und titelt: „Rebellion im Umwelt- tierisch zu im Umweltministerium. Man trifft nur noch nicht entsichert ist. Daraufhin wird auch er, begleitet von ministerium.“ Griefahns Sprecherin äußert daraufhin, dass gelegentlich auf ein zierliches Exemplar der Familie der einer neuerlichen Tirade des Kollegen, zum sofortigen Ver- die Ministerin niemanden habe persönlich angreifen wollen Canidae, das sich vor allem – ebenso wie Frauchen – durch lassen des Dienstgebäudes aufgefordert. In diesem Moment und man deshalb den „anstehenden Betriebsausfl ug“ sein ausgeprägtes Modebewusstsein auszeichnet. krächzen nur noch die Vogeleltern, denn der kleine Vogel nutzen wolle, um wieder „Frieden zu stiften“. Staatssekre- hat die Aufregung zwischenzeitlich mit dem Leben bezahlt. tär Bulle wird etwas später in der Hannoverschen Allgemei- In einer inzwischen nicht mehr vorhandenen Akazie im Die dem Büroinhaber hinterlassene Notiz lautet: „Lieber nen Zeitung dahingehend zitiert, dass die „unverblümte Innenhof hatte sich einst eine Krähe in einem Faden S., am Montag werde ich versuchen, Dir dieses Chaos zu Ausdrucksform“ der Chefi n „erfrischend“ sei. Man wolle verfangen. Sie machte durch erbärmliches Krächzen auf erklären!“ Die Akazie kippt später bei einem Sturm – auf sich dem offenkundigen „Defi zit“ durch „mehr Motivieren“ sich aufmerksam. Deshalb schreitet ein selbsternannter drei im Innenhof geparkte Polizeifahrzeuge, die daraufhin annehmen, nicht zuletzt, weil man „eine ganze Abteilung Rundblick aus der Zeit der Gründung des Umweltministeriums. Artenschützer zur Tat, er will das arme Geschöpf befreien. verschrottet werden müssen. wohl nicht austauschen könne“.

46 47 Zurückgepfi ffen

Staatssekretär Schulz muss einen Mitarbeiter zurückpfeifen und sich bei der Stadt Diepholz entschuldigen. Denn dieser hatte einer dienstlichen Antwort an die Stadtverwaltung die Kopie eines Schildbürgerstreiches beigefügt. Auslöser war ein Bittbrief aus Diepholz, wegen einer Saatkrähen- plage solle das Ministerium den Einsatz von abgerichteten Falken genehmigen. In der Antwort des Referenten heißt es: „Im erbitterten Ringen mit den Saatkrähen“ setze Diepholz „ganz offensichtlich auf Sieg“. Der Antrag sei an die zuständige Bezirksregierung weitergeleitet worden. Der Beamte schrieb schließlich noch: „Achtung! Vorsicht beim Einsatz von Falken! Die Erfahrungen der Kollegen in Schilda mit dem Maushund sollten Ihnen eine Lehre und Mahnung zugleich sein.“ Als Anlage beigefügt erhielt die Stadt Diep- holz die Fabel „Die Bürger von Schilda und der Maushund“ in der geschildert wird, was den Schildbürgern einst wider- fahren war, als diese unter zu vielen Mäusen litten, da das Halten von Katzen verboten war: Zur Lösung der Mäusepla- ge verkauft ein gewitzter Wandersmann den Schildbürgern einen „Maushund“ – in Wahrheit ist es eine Katze. Auf die Wer zuletzt lacht … Frage, was das Tier fresse, ruft der Wandersmann: „Was man ihm beut.“ Die Schildbürger verstehen jedoch „Vieh Das Ministerium wird 2008 um die schriftliche Beantwor- und Leut“, versuchen vor Schreck, den Maushund zu töten, tung einer Landtagsanfrage unter dem Titel „Lärmbelästi- brennen dabei versehentlich ihre Stadt ab und wohnen gung durch lautes Lachen?“ gebeten. Grundlage war ein fortan im Wald. Der Ministeriums-Mitarbeiter schrieb dazu: Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung über das „traurige „In ähnlich verzweifelter Lage“ seien jetzt offensichtlich die Schicksal“ eines Mannes, der gegen Mitternacht so lange Diepholzer. und so laut lachte, dass ein Nachbar die Polizei verstän- digte. Der Mann musste eine Anzeige wegen erheblicher Als ein „Lieblingsmitarbeiter“ bei Staatssekretär Schulz Lärmbelästigung hinnehmen. Im Namen der Landesregie- Mitte der 1990er Jahre eine Dienstreise zu einer „wichtigen, rung mit „Nein“ beantwortet der Mitarbeiter folgende grenzüberschreitenden abfallwirtschaftlichen Obliegenheit“ Fragen nach: – es ging um die Wiederverwertung von toten Walen – in 1. Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz, obwohl Lachen den osteuropäischen Raum beantragt, genehmigt dieser die als „die beste Medizin“ gelte, Reise – allerdings nur die Hinfahrt. Als dem Mitarbeiter we- 2. der Gefahr einer Bußgeldverhängung gegenüber der nig später abermals eine Dienstreise in den Osten verwei- Landesregierung selbst, weil diese Niedersachsen häufi g gert wird, reist er auf eigene Faust. Von dort schickt er dem als das „Land des Lächelns“ bezeichnet, und Staatssekretär „mit tiefster Hochachtung“ eine Postkarte. 3. der Notwendigkeit zur Einsetzung eines „Runden Tisches Der damalige Hauptbüroleiter, Hartmut Lukat, mit einem der im Keller gefundenen Teile des Friederikenschlösschens. Sie zeigt: Albert Einstein mit seiner berühmten Zunge. zur Lachprävention“. Foto: Udo Heuer/HAZ

48 49 Denkmal Umweltministerium

Anfang des 19. Jahrhunderts kaufte die damalige Regie- der Nordfl ügel bei einem Luftangriff in der Nacht auf den rung an der Archivstraße und an der Calenberger Straße 9. Oktober 1943 stark beschädigt. Insbesondere am West- liegende einzelne Gebäude auf, um darin das Königlich fl ügel sind die Minenschäden an der Fassade noch heute Hannoversche Finanzministerium unterzubringen. 1837 deutlich zu erkennen. Der Wiederaufbau erfolgte von 1945 begann die eigentliche Bautätigkeit, und binnen 42 Jahren bis 1951. Heute steht das Gebäude unter Denkmalsschutz. wurde die heute noch bestehende Vierfl ügelanlage ge- Zwischen 1989 und 1996 wurde es grundsaniert. Schwierig schaffen. Der Entwurf zu dem Gebäudekomplex stammt dabei war vor allem, dass das Bauwerk auf Eichenpfählen von dem Architekten Hermann Hunaeus (* 12. April 1812 ruhte, die im Leineschlick und Grundwasser standen. Zur in Clausthal, † 5. September 1893 in Bad Lauterberg). Sicherung wurden viele Kubikmeter Beton ins Fundament Hunaeus war 1836 als Kriegsbaumeister nach Hannover verpresst. gekommen. Er wird der Hannoverschen Architekturschule zugerechnet. Im Königreich Hannover waren in dem eigens errichteten Regierungsgebäude die Hannoversche Domanial- und Zunächst (1837 bis 1840) wurde an einem Seitenarm der Forstverwaltung sowie die Generaldirektion des Wasserbaus Leine der weniger repräsentative Ostfl ügel gebaut. Erst und ein Teil des Finanzministeriums untergebracht. Später nach Anlage des Leibnizufers Anfang der 1850er Jahre kam auch das Ministerium der Auswärtigen Angelegenhei- wurde der Leinefl ügel zur Vorderseite des Regierungs- ten hinzu. So wurde in diesem Gebäude am 15. Juni 1866 gebäudes. Der Südfl ügel an der Straße Am Archiv ent- auch die preußische Kriegserklärung an Österreich überge- stand zwischen 1841 und 1846. Er wurde – wie auch der ben. Im folgenden Deutschen Krieg wurde das Königreich nachfolgend gebaute Westfl ügel – im „Hannoverschen Hannover durch Preußen annektiert. Nach 1866 zogen der Rundbogenstil“ errichtet. Der Südfl ügel war seinerzeit das Oberpräsident der Preußischen Provinz Hannover und die größte Gebäude dieser Stilart des Historismus in Hannover. Landdrostei Hannover ein. Nach 1945 wurde das Gebäu- Der Westfl ügel entstand im dritten Bauabschnitt (1862 bis de zunächst vorübergehend noch vom Oberpräsidenten 1867) an der Archivstraße. Dort ist heute das Hauptportal. und nach Gründung des Landes Niedersachsen dann nur Der Nordriegel mit seiner Natursandsteinfassade an der Ca- noch vom Hannoverschen Regierungspräsidenten (ab 1978 lenberger Straße wurde zuletzt gebaut, von 1876 bis 1879, Bezirksregierung) genutzt. Seit 1986 beherbergt es das als Hannover schon preußische Provinz war. Im Giebel Niedersächsische Umweltministerium. Im Februar 2008 befi ndet sich – der Zeit entsprechend – in einem Tondo der wurde es umbenannt in: Niedersächsisches Ministerium für Reichsadler. Im Zweiten Weltkrieg wurden der West- und Umwelt und Klimaschutz.

50 51 Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz Referat für Presse und Öffentlichkeitsarbeit Archivstraße 2, 30169 Hannover

Redaktion: Jutta Kremer-Heye (v.i.S.d.P) Inka Burow Niklas Grebe

Gestaltung und Layout: Justina Lethen Monika Runge

Titelfoto: Jade Brookbank, gettyimages

15. Juli 2011 [email protected] www.umwelt.niedersachsen.de

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