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Vom theoretischen Über den Gedankenspiel zur Tag hinaus: realistischen Option Schwarz-Grün

Stephan Eisel

Eine mögliche Zusammenarbeit zwi- baden-württembergischen Grünen vor- schen CDU/CSU und den Grünen be- sichtige Sondierungsgespräche, um nach schäftigt in schöner Regelmäßigkeit die dem Einzug der Republikaner in den politische Fantasie in Deutschland. Mal Landtag eine Alternative zu einer großen wirft ein Christdemokrat, das andere Mal Koalition wenigstens anzudeuten. ein Grüner einen schwarz-grünen Stein Auch bei den CDU-Bundesvorsitzen- ins Wasser, um dann gleich zu beteuern, den haben derartige Lockerungsübun- mit den entstehenden Wellen nichts zu gen Tradition: Helmut Kohl wies schon tun zu haben. Bei den Grünen herrscht er- auf das politische Talent von Joschka Fi- stauntes Erschrecken, bei der Union neu- scher hin, als dieser noch in weiten Krei- gierige Ängstlichkeit und bei den Medien sen der Union als persona non grata galt. begieriges Interesse nach dem wohlbe- Wolfgang Schäuble war nach der Bun- kannten Ritual, dass Neues interessant destagswahl 1998 zum Ärger der SPD ist, bis es Alltag wird. der Coup gelungen, ins Bundestagspräsidium zu lotsen, und in Berührungsängste nehmen ab dieser Zeit sorgte auch die so genannte Seit ihrer Gründung stehen Union und „Pizza-Connection“ zwischen jungen Grüne einander politisch und emotional Abgeordneten von Grünen und Union konfrontativ gegenüber. Zu groß waren erstmals für einen etwas ernsthafteren bisher die Unterschiede in Programma- Flirt. Man traf sich regelmäßig, am An- tik, Politikstil und Milieuverankerung – fang von viel Pressewirbel begleitet; die obwohl viele Grüne aus bürgerlichem Mi- Treffen wurden sehr schnell Normalität lieu kommen oder vielleicht gerade des- im politischen Alltag. So überraschte es halb, denn die meisten haben besonders nicht, dass sich auch als- radikal damit gebrochen. bald nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsit- Dennoch waren schwarz-grüne Ge- zenden mit den Grünen-Vorsitzenden dankenspiele bei den Grünen nie ganz Fritz Kuhn und Renate Künast zum tabu: Immerhin schon 1987 hatte der da- Plausch in einem Berliner Gartenrestau- malige Vorstandssprecher der Grünen, rant zusammensetzte. Lukas Beckmann, dafür plädiert, „auf al- Über diese atmosphärischen Annä- len Ebenen der Politik Tolerierungen und herungen hinaus haben in letzter Zeit Koalitionsgespräche mit der CDU nicht mehr oder weniger stabile kommunale auszuschließen“. Der heutige Grünen- schwarz-grüne Bündnisse wie in Köln, Chef Fritz Kuhn hat fast zeitgleich vor Gelsenkirchen, im Landkreis Reckling- der baden-württembergischen Landtags- hausen, Saarbrücken oder dem bevorzug- wahl 1988 eine Debatte über die Zusam- ten Wohnort der Frankfurter Banken- menarbeit mit der CDU angestoßen. Vier und Finanzwelt, Bad Homburg, schwarz- Jahre später führte Erwin Teufel mit den grüne Spekulationen angeheizt und die

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prinzipielle Machbarkeit einer solchen konservative und auch solche des Rechts- Zusammenarbeit gezeigt. Dabei darf frei- staatsliberalismus“, und „jenseits des ein- lich in Großstädten die gemeinsame Frus- dimensionalen Rechts-links-Schemas zu tration über das unbewegliche Verhalten einer eigenständigen politischen und ge- der SPD als Motiv nicht unterschätzt wer- sellschaftlichen Perspektive zusammen- den. CDU und Grüne finden einander, gefunden“. weil sie jeweils der SPD als Partner ent- In dieser Selbstdefinition sind kaum fliehen wollen. noch Reste des alten Selbstverständnisses Auf der Kommunalebene bleiben zu- der links-ideologischen Protestpartei zu dem Themen ausgespart, die für die Lan- finden, die allen möglichen linken Son- des- und Bundespolitik von entscheiden- dergrüppchen bis hin zur linksradikalen, der Bedeutung sind. Die Frage, ob und ge- autonomen Szene Heimat bieten wollte. gebenenfalls wann sich die Perspektive Ganz offen räumt der Grundsatzpro- schwarz-grüner Bündnisse auf Landes- grammentwurf der Grünen ein, die Partei und Bundesebene eröffnet, lässt sich nur habe sich seit dem (radikalen) Grundsatz- durch eine gründliche Betrachtung wich- programm von 1980 deutlich verändert: tiger Politikfelder solide beantworten. „Bei der Gründung der Grünen war die Dabei ist das tatsächliche Verhalten bei Vorstellung des ,ganz Anderen’ prägend. politischen Entscheidungen ebenso zu [. . .] Nach über zwanzig Jahren aber sind berücksichtigen wie die programmati- wir nicht mehr die ,Anti-Parteien-Partei’, sche Ausrichtung der Parteien. Natürlich sondern die Alternative im Parteiensys- sind für die Bundestagswahl 2002 die tem.“ Konstellationen festgezurrt, aber wie Dazu passt, dass Fritz Kuhn kundtat, sieht es mit der Perspektive für die Jahre er halte nichts davon, die Grünen links danach aus? von der SPD zu positionieren. In Fragen der Ökologie oder Wirtschafts- und Sozi- Auffällige Programmwende alpolitik komme man mit dem Rechts- der Grünen links-Schema nicht weiter. So darf man Die Grünen haben mit der Vorlage des jetzt auch die Grünen im Allparteienwett- von vielen überraschenden programma- bewerb um die Mitte begrüßen. tischen Neuansätzen geprägten Entwur- fes für ein neues Grundsatzprogramm im Gemeinsames und Trennendes Juli 2001 ein bemerkenswertes Zeichen in Wertefragen gesetzt. Natürlich wird man sehen müs- Manche Gemeinsamkeit haben Christ- sen, inwieweit dieser Entwurf die Bera- demokraten und Grüne jüngst zur eige- tungen von Parteigremien und schließ- nen Überraschung bei der Bewertung lich einen Grünen-Parteitag überlebt. des Umgangs mit der Biotechnologie Aber immerhin gehören der Programm- entdeckt. Im Nordrhein-Westfälischen kommission, die den Entwurf vorgelegt Landtag führte dies zum gemeinsamen hat, wichtige Repräsentanten unter- Abstimmungsverhalten gegen die wirt- schiedlicher Flügel der Partei wie Fritz schaftspragmatische Position des von ei- Kuhn, Bärbel Höhn, Renate Künast, Clau- ner rot-grünen Koalition gestellten Minis- dia Roth, Antje Radcke und Reinhard terpräsidenten Clement. Bütikofer an. Sie beschreiben die Grünen Die Grünen fordern bei der Gentech- in ihrem Programmentwurf als eine Par- nologie „Behutsamkeit und Bedachtsam- tei, die ein „Kreis von Grundwerten, nicht keit“ und lehnen verbrauchende Embryo- eine Ideologie“ verbindet. Man habe nenforschung unmissverständlich ab: „linke Traditionen aufgenommen, wert- „Wir wollen nicht, dass der bisher unan-

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gefochtene Grundsatz von der Gleich- Doch die jeweils jüngeren Generatio- wertigkeit jeden Lebens aufgegeben nen in beiden Parteien kommen einander wird. Genetisch begründete Mechanis- näher. Manche Symbole machen es deut- men der Auswahl und der Konstruktion lich: Lockere Kleidung ist bei CDU-Ver- von Menschen lehnen wir ab. Die jeweils anstaltungen inzwischen gang und gäbe, schwächsten Mitglieder unserer Gesell- bei den Grünen dominiert schon lange schaft sind unser Maßstab für die ethische nicht mehr der Alternativlook der Grün- Güte von Entscheidungen.“ Angesichts derzeit. Gutes Essen oder schnelle Autos dieses hohen Maßstabes des Schutzes von lösen längst nicht mehr den Vorwurf vorgeburtlichem Leben ist es wohl mehr bürgerlicher Dekadenz aus. Man trifft als ein Zufall, dass im neuen Grundsatz- sich sowohl beim Rockkonzert als auch in programmentwurf das frühere grüne der Oper. Kampfthema des Rechtes auf Abtreibung Jüngere Unionsvertreter sind in Le- (Paragraf 218) nicht mehr auftaucht. Aus bensstilfragen oft offener als ihre Eltern- der Parteiführung ist zu hören, die Ab- generation, jüngere Grüne messen den treibungsfrage sei bei den Grünen nicht Lebensstilfragen keine so zentrale ideolo- mehr konsensfähig – wer hätte das vor gische Bedeutung mehr zu wie die Grün- zehn Jahren vorhergesehen! dergeneration der Partei. Beidseitige Ent- Themen wie die Abtreibungsfrage ha- ideologisierung führt zur Entkrampfung ben Union und Grüne bisher besonders zwischen Schwarz und Grün. scharf getrennt. Die Liebe der Grünen zu antiautoritären Modellen, der Einsatz für Begegnungsfeld die Homo-Ehe, ihre Offenheit gegenüber Demokratieverständnis Drogen und die Forderung nach Legali- Die Grünen werfen in ihrem Grundsatz- sierung der Prostitution sind nur einige programmentwurf selbst alte Glaubens- Stichworte, die zeigen, dass der Vorrat an sätze wie basisdemokratische und plebis- Gemeinsamkeiten zwischen Union und zitäre Visionen – lange ein wichtiger Iden- Grünen auch in Fragen der Wertorientie- tifikationspunkt der Grünen – über Bord rung durchaus begrenzt ist. oder relativieren sie stark. Sie werden nun Hinzu kommt die Prägung durch un- dem Ziel der „Stärkung der parlamentari- terschiedliche Milieus. Daneben spielt schen (!) Demokratie“ zugeordnet. Es die Generationenfrage eine nicht zu un- heißt sogar: „Wir wollen die Rolle der terschätzende Rolle: Die bisherige Füh- Parlamente und der Abgeordneten im po- rungsgeneration der Union ist in ihrer Ju- litischen Willens- und Entscheidungspro- gend eher von den späten fünfziger und zess aufwerten.“ Nur „ergänzend zur frühen sechziger Jahren geprägt; die meis- parlamentarischen Demokratie“ werden ten Gründer der Grünen sind aus der 68er- Elemente der direkten Demokratie noch Zeit in die siebziger Jahre hineinge- vorgeschlagen. In der Union wird die De- wachsen. Diese Generationen sind durch batte ganz ähnlich geführt. unterschiedliche Lebensstile geprägt. Eine ganz erstaunliche Wendung voll- Dass Walter Wallmann die Grünen-Akti- ziehen die Grünen auch, wenn sie im vistin Jutta Ditfurth in einer Fernsehdis- neuen Grundsatzprogrammentwurf ei- kussion einmal mit aus seiner Sicht selbst- nen lange verpönten Begriff aufnehmen verständlicher Höflichkeit konsequent und sich als „antitotalitäre Partei“ defi- mit „gnädige Frau“ angesprochen hat, nieren. Im gleichen Abschnitt wird die während die Angesprochene sich da- „staatlich organisierte Verletzung von durch böswillig auf den Arm genommen Menschenrechten“ im Nationalsozialis- sah, macht dies beispielhaft deutlich. mus und im Stalinismus verurteilt.

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Umso problematischer ist die neue Zukunft einer Zusammenarbeit nicht im Bereitschaft mancher Grüner – wie des Wege stehen dürfte. Berliner Landesverbandes –, auch Koa- litionen mit der PDS einzugehen. Daraus Entdeckungsreise könnte sich ein ernsthaftes Hindernis Gesellschaftspolitik für eine schwarz-grüne Zusammenar- Im Grundsatz vertreten Union und Grüne beit ergeben. Die Grünen sollte nach- gesellschaftspolitische Konzepte, die ei- denklich machen, wie viele frühere nander näher stehen als jeweils dem sozi- Bürgerrechtler aus ihrem Umfeld in- aldemokratischen Gesellschaftsentwurf. zwischen den Weg zur Union gefun- Subsidiarität und Skepsis gegenüber den haben, weil die SPD die PDS staatlicher Intervention sind für Christde- immer näher zu sich rücken lässt. Die mokraten und Grüne durchaus verbin- Grünen würden den Namenszusatz dende Leitgedanken auch in Abgrenzung „Bündnis 90“ endgültig verspielen, wenn zu sozialdemokratischem Etatismus. sie dem Kurs der SPD gegenüber der Im neuen Grundsatzprogramment- PDS folgten. wurf der Grünen finden sich Sätze, die Im Grundsatzprogrammentwurf fin- klingen, als seien sie CDU-Programmen det sich andererseits auch ein für die Grü- entlehnt: „Freiheit und Verantwortung nen lange schwer vorstellbares Bekennt- gehören zusammen [. . .] Selbstbestim- nis: „Wir verteidigen den Rechtsstaat ge- mung findet ihre Grenze, wo sie die Frei- gen seine Feinde. [. . .] Der Schutz vor Ge- heit und Selbstbestimmung anderer ein- walt gehört zu den wichtigsten Aufgaben schränkt [. . .] Individualisierung ist auch des Rechtsstaates.“ Solche Formulierun- eine Herausforderung, da sie Vereinze- gen belegen einen Wandel der Grünen in lung und Entsolidarisierung mit sich brin- der für eine eventuelle schwarz-grüne gen kann. Traditionelle soziale und kul- Zusammenarbeit zentralen Frage des turelle Bindungen werden schwächer.“ Verhältnisses zur Gewalt. Die Partei hat Im Bekenntnis zu Subsidiarität, den die Tage der bürgerkriegsähnlichen „kleinen Einheiten“ und Dezentralisie- Schlachten von Brockdorf, Grohnde und rung gab es schon immer Berührungs- an der Startbahn West hinter sich gelas- punkte zwischen Union und Grünen. sen. Dem trauern allenfalls noch Altakti- Auch ihr Verständnis von der Rolle des visten mit biografischen Wurzeln in der Staates ist ähnlich. Wo die Union unter extremistischen Szene wie Jürgen Trittin dem Leitgedanken „Starke Bürger – Star- nach. ker Staat“ die Rücknahme staatlicher Re- Die jüngere Generation der Grünen glementierung und mehr Freiraum für hat sich Verschwommenheiten in der bürgerschaftliches Engagement fordert, Gewaltfrage viel seltener geleistet. Frei- formulieren die Grünen in ihrem Grund- lich gibt es immer wieder Versuchungen, satzprogrammentwurf ganz ähnlich: den Rubikon erneut zu überschreiten, „Wir wollen keinen Nachtwächterstaat, wie es die Konzepte vom angeblich sondern einen gestaltenden Staat, der so „gewaltfreien Widerstand“ nahe legen stark ist, dass er sich zurückhalten kann, (etwa im Zusammenhang mit Castor- einen Staat, der auf das Engagement der Transporten und der Anti-Globali- Bürgerinnen und Bürger setzt und dieses sierungs-Bewegung). Die Gewaltfrage fördert.“ bleibt für das Verhältnis der Union zu Auch in der Frage der Kompetenzauf- den Grünen von zentraler Bedeutung, teilung zwischen den staatlichen Ebenen scheint jedoch bei den Grünen so weit ähneln die Vorstellungen der Grünen de- geklärt, dass sie aus Sicht der Union in nen der traditionell föderal ausgerichte-

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ten Union. Im Grundsatzprogramment- ten zu haben. Helmut Kohl hat dies im wurf heißt es dazu: „Für die demokrati- Rückblick des Öfteren als Fehler in seiner sche Legitimation unseres föderalen Sys- Verantwortung als Fraktionsvorsitzen- tems müssen die unübersichtlichen Kom- der bezeichnet. Herbert Gruhl, Autor des petenzen der verschiedenen staatlichen Bestsellers Ein Planet wird geplündert, Ebenen zu Gunsten von mehr Gestal- wurde bald nach seinem Austritt aus der tungsfreiheit für Länder und Gemeinden CDU Gründungsvater der Grünen. neu geordnet werden.“ Dazu gehöre „ein Die Union versuchte in den Jahren da- höheres Maß an Autonomie für die ver- nach auch in Reaktion auf den Erfolg der schiedenen föderalen Einheiten“. Grünen in mühsamer Kleinarbeit, um- In manchen anderen gesellschaftspoli- weltpolitische Kompetenz zurückzuge- tischen Grundfragen wurden Polarisie- winnen (Einführung des bleifreien Ben- rungen zwischen Union und Grünen in zins und des Katalysators, Schaffung ei- den letzten Jahren entschärft. Bei den nes Bundesumweltministeriums, rigo- Grünen wird plötzlich darüber diskutiert, rose Luftreinhaltungsvorschriften für die die Familie zum entscheidenden Bezugs- Industrie angesichts des Waldsterbens, punkt der Gesellschaftspolitik zu ma- wesentliche Mitinitiierung des Rio-Pro- chen. Gerade jüngere Grünen-Abgeord- zesses gegen Treibhauseffekt und Klima- nete stellen fest, dass ihre eigene Philoso- katastrophe). Klaus Töpfer und Angela phie der Nachhaltigkeit in Kindern kon- Merkel standen als Bundesumweltminis- krete Gestalt annimmt. Die Granden der ter für diese Politik. Partei wie Rezzo Schlauch stemmen sich Zugleich setzten die Grünen nach ihrer diesem Trend noch entgegen, aber selbst Gründung leichtfertig aufs Spiel, was Fritz Kuhn beschreibt die Grünen schon ihren eigentlichen politischen Erfolg aus- als „Partei der Kinder“. Im Grundsatz- gemacht hat. Sie profilierten sich weniger programmentwurf ist von dem Ziel einer als Anwalt der Umwelt, sondern ent- „kinderfreundlichen Gesellschaft“ zu le- wickelten sich zur linken Protestpartei. sen – ein Begriff, den Helmut Kohl oft ver- Der Kampf gegen den NATO-Doppelbe- wandt hat, was ihm nicht zuletzt von den schluss, basisdemokratische Experimente Grünen manchen Spott eingetragen hat. (wie zum Beispiel das Rotationsprinzip) Umgekehrt hat die CDU mit ihrem – und die Rechtfertigung angeblich „ge- von der CSU in allen wesentlichen Punk- waltfreien“ Widerstandes gegen Parla- ten mitgetragenen – Integrations- und mentsbeschlüsse wurden zu den eigentli- Zuwanderungskonzept ihre Haltung in chen Identifikationspunkten der Partei. einem aus Sicht der Grünen besonders Herbert Gruhl, Baldur Springmann wichtigen Politikfeld aktualisiert und da- und viele andere Umweltaktivisten der mit eine gemeinsame Diskussionsebene Gründungsphase verließen enttäuscht die bei diesem zwischen den Parteien lange Partei und suchten zum Beispiel in polarisierenden Thema geschaffen. der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) ihre neue Heimat. Bei den Grünen Annäherungen in der reduzierte sich Umweltpolitik fast völlig Umweltpolitik auf die radikale Ablehnung der Kernkraft. Bei der Umweltpolitik hat sich in der In der Außenwirkung profitierten sie frei- Union schon vor vielen Jahren die Ein- lich nicht zuletzt vom Parteinamen „DIE sicht durchgesetzt, dass es politisch kurz- GRÜNEN“ – ein genialer Marketing- sichtig war, den damaligen ersten „grü- schachzug – und später vom konsequen- nen“ Bundestagsabgeordneten Herbert ten Griff nach den Umweltressorts. Fischer Gruhl nicht in der Unionsfraktion gehal- in Hessen und Trittin in Niedersachsen sa-

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hen in diesen Ämtern wiederum fast aus- Aber der Weg dorthin ist sehr weit. schließlich Instrumente gegen die Kern- Immerhin stellen sich die Grünen im kraft (Hanau, Gorleben). Trittin setzt die- neuen Grundsatzprogrammentwurf we- sen Kurs als Bundesumweltminister fort. nigstens ansatzweise der Dramatik der Die erste Grünen-Umweltministerin, Herausforderung, wenn es dort heißt: für die weniger die Ablehnung der Kern- „Die Klimaveränderung hat bereits be- energie, sondern eher andere umweltpo- gonnen. Sie wird bisher nicht überseh- litische Themen im Mittelpunkt stehen, ist bare weltweite Auswirkungen mit sich in Nordrhein-Westfalen Bärbel Höhn bringen. Gelingt es nicht, die Tendenz (Garzweiler, BSE). Renate Künast hat die umzukehren, drohen gewaltige Katastro- Chance, den Verbraucherschutz für die phen.“ Entsprechend defensiv fällt die Grünen zu okkupieren, wohl verspielt. Je Ablehnung der Kernenergie aus. Fast ver- mehr eine neue Generation der Grünen zweifelt wird formuliert, „die Atomkraft sich auf Umweltpolitik als umfassende po- (sei) auch keine Lösung für das Klima- litische Aufgabe zurückbesinnt und die Fi- problem“. Man wolle „vom fossilen und xierung auf den Atomausstieg überwin- atomaren Zeitalter in die solare Zukunft“. det, desto mehr Gemeinsamkeit kann sich Hier blitzt die alte grüne Wirklichkeits- mit der Union entwickeln, die ihrerseits ferne noch auf – dennoch hat sich die Ra- Umweltpolitik längst als integrales Poli- dikalität der Verteufelung der Nutzung tikfeld entdeckt hat und praktiziert. Hier der Kernenergie in früheren Programmen könnten beide Seiten auf einem gemein- und Beschlüssen der Partei relativiert. samen (im besten Sinne des Wortes kon- servativen, das heißt bewahrenden) Fun- Verbindendes in der Wirtschafts- dament aufbauen, dem Helmut Kohl in und Finanzpolitik seiner Regierungserklärung 1987 die Überraschend ähnlich sind die wirt- Überschrift „Bewahrung der Schöpfung“ schafts- und finanzpolitischen Forderun- gegeben hat. Auch diesen Begriff haben gen von Union und Grünen. Im neu- die Grünen längst übernommen. en Grünen-Grundsatzprogrammentwurf Bleibt der Komplex Kernenergie. Für finden sich wahre Lobeshymnen auf die die Union hat in ihrem Bekenntnis dazu Soziale Marktwirtschaft: „Sie setzt die längst die umweltpolitische Begründung schöpferischen Kräfte des Menschen frei die wirtschaftspolitische überholt. Kern- [. . .] Die Soziale Marktwirtschaft hat sich

energie als CO2-freie Energiequelle ist ein in unserem Land in der Vergangenheit als entscheidender Beitrag im Kampf gegen effizientes Element wirtschaftlicher Steu- Treibhauseffekt und Klimakatastrophe. erung erwiesen, weil sie menschliche Die Grünen haben sich bisher mit dieser Kreativität und Eigeninitiative freisetzt umweltpolitischen Güterabwägung nicht und eine große Vielfalt in der Konsum- wirklich auseinander gesetzt: Inwieweit auswahl ermöglicht [. . .] (Sie) ist auch ein lässt sich die reale Gefährdung des Welt- Rahmen der Verwirklichung von Selbst- klimas tatsächlich leichter verantworten bestimmung. Wirtschaftliche Betätigung als das vermutete Risiko beim Betrieb dient den Menschen nicht nur zur Siche- deutscher Kernkraftwerke? Je mehr diese rung ihrer ökonomischen Existenz. Sie ist Frage gestellt wird, umso eher gerät Be- auch der Ort, an dem viele Menschen ihre wegung in das Thema und erhöhen sich Ideen verwirklichen und Lebenspläne die langfristigen Chancen auf Gemein- umsetzen möchten.“ samkeiten in der Problemlösung zwi- Die Grünen bekennen sich folgerichtig schen Union und Grünen selbst in diesem zu einer „klaren ordnungspolitischen schwierigen Feld. Orientierung – so viel Markt wie möglich,

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so viel Staat wie nötig“. In solchen Liebes- kratischen und solidarischen Welt“. Aus- erklärungen an die Soziale Marktwirt- drücklich bekennen die Grünen „Wir schaft ist nichts mehr von der alten ideo- sind gegen eine Renationalisierung der logischen Kapitalismuskritik der Grünen Märkte . . .“. Zwar liege in der Globalisie- zu finden. Amüsant ist am Rande, dass rung die Gefahr der „Spaltung der Erde in die Grünen in ihrem Grundsatzprogram- Regionen ungleicher Entwicklung“, aber mentwurf das Etikett der „Ökologischen auch wenn die „Herausbildung eines po- und Sozialen Marktwirtschaft“ überneh- litischen und rechtlichen Ordnungsrah- men wollen, das die CDU wegen man- mens für den globalen Markt“ noch zu gelnder Vermittelbarkeit unauffällig ent- wünschen übrig lasse, sei sie in den letz- sorgt hat. ten Jahren vorangekommen. Längst haben die Grünen auch ent- Die „Globalisierungsgegner“ werden deckt, dass die Förderung des Mittelstan- das sicher anders sehen, und Daniel des zentrale Aufgabe vernünftiger Wirt- Cohn-Bendit hat in seiner provokativen schaftspolitik ist. Sie stehen dem Kinder- Art die Grünen schon auf die hierin lie- glauben der SPD an staatliche Beschäfti- gende Problematik hingewiesen. Es wird gungsprogramme misstrauisch gegen- spannend sein zu beobachten, ob sich die über. Gewerkschaften und Grüne zählen Partei wieder eher auf den emotionalen einander trotz mancher Lockerungs- Bewegungspfad begibt oder die Gestal- übungen ebenso wenig zum jeweiligen tungsmöglichkeiten realer Wirtschafts- Fanclub wie Gewerkschaften und Union. politik nutzen wird. Grüne haben die Riester’sche Renten- reform nicht nur hinter verschlossenen Übernahme der Außen- und Türen wie die Union als nicht zukunfts- Sicherheitspolitik fähig kritisiert. In der Finanzpolitik un- Die größte Nähe haben Union und Grüne terscheiden sich die Vorschläge der Fi- wohl in der Außenpolitik gefunden – und nanzpolitiker beider Parteien kaum, zwar durch fast vollständige Übernahme wenn man das übliche Rollenspiel zwi- der Politik der Regierung Kohl durch schen Regierung und Opposition einmal Außenminister Fischer. Das Ziel der euro- beiseite lässt. Die Grünen-Vorschläge päischen Einigung hat die beiden Par- zur Steuerreform sind mit denen der teien schon immer geeint. Für die Grünen Union durchaus einigungsfähig. Gefor- soll die Europapolitik im neuen Grund- dert werden „leistungsgerechte Steuer- satzprogramm zum „wichtigsten Feld“ sätze, ein einfaches und transparentes ihrer Außen- und Sicherheitspolitik wer- Steuersystem“. Es bleibt die Ökosteuer den. Robert Schumann und Jean Monet als gravierender Unterschied – aber wäre werden als Vorbilder sogar ausdrücklich sie auch ein grundlegendes Hindernis erwähnt. Die Europapartei CDU kann für die Zusammenarbeit, oder liegt hier sich darüber nur freuen. die Möglichkeit einer Annäherung in der Inzwischen unterstützen die Grünen von der Union geforderten europäischen auch die Beteiligung der Bundeswehr Lösung? an bewaffneten friedensichernden Aus- Selbst dem für ihre Klientel schwieri- landseinsätzen mit großer Selbstver- gen Thema Globalisierung nähern sich ständlichkeit. Sie fordern nicht mehr die die Grünen in ihrem neuen Grundsatz- Auflösung der NATO – im Gegenteil, die programmentwurf realistisch und be- Notwendigkeit der NATO wird im schreiben sie mit fast positivem Tenor als Grundsatzprogrammentwurf der Grü- „eine Herausforderung zur Gestaltung nen so selbstverständlich vorausgesetzt, einer nachhaltigen, freiheitlichen, demo- dass sie keiner Begründung mehr bedarf.

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Die Grünen sehen auch in den USA Längst hat bei den Grünen im Übrigen nicht mehr den Hort allen Übels – jetzt ist eine Auseinandersetzung um die Defini- ein „enges und freundschaftliches Ver- tionshoheit der Ziele grüner Politik be- hältnis zu Amerika“ ihr Ziel –, und die gonnen. Die Erben der 68er-Generation Tage der Unterstützung für fast jede be- aus der Anti-Atom- oder der Frauenbe- waffnete Guerillabewegung in Latein- wegung besetzen zwar noch wichtige amerika liegen lange zurück. Zur Bun- Führungspositionen der Partei, sind aber deswehr haben die Grünen zwar kein Lie- im geistigen Diskurs zunehmend in der besverhältnis entwickelt, aber allenfalls Defensive. Ideologie ist bei den jüngeren unverbesserliche Alt-Linke wie Jürgen Grünen nicht mehr populär. Trittin ergötzen sich noch am Protest ge- Insgesamt steht der Partei der Genera- gen Rekrutengelöbnisse. Und auch die tionswechsel bevor, den die CDU bereits Forderung der Grünen nach Abschaffung vollzogen hat. Dieser Generationswechsel der Wehrpflicht wäre kein tatsächliches wird die Grünen ähnlich verändern wie Koalitionshindernis, wird sie doch auch der Sieg der Realos über die Fundis und von der FDP und selbst in Teilen der der Eintritt in Landes- und Bundesregie- Union erhoben. rungen. Bundestagsabgeordnete wie Ka- Wiewohl der außenpolitische Wandel rin Göring-Eckhardt, , der Grünen eigentlich erst mit ihrem Ein- Cem Özdemir, Oswald Metzger oder Si- tritt in die Bundesregierung eingesetzt hat, mone Probst haben ein anderes Poli- erntet heute nur noch ungläubiges Stau- tikverständnis als , Jürgen nen, wer an die früheren Forderungen der Trittin oder Daniel Cohn-Bendit. Daraus Partei erinnert. In der neueren deutschen könnte auch jener Grundstock an persön- Parteiengeschichte findet sich kein ebenso lichem Vertrauen entstehen, der für eine schneller und radikaler Politikwechsel. Er politische Zusammenarbeit ebenso wich- wird von Joschka Fischer als Außenmi- tig ist wie ein Fundament programmati- nister geradezu sinnlich zelebriert. scher Einigkeit, die Erfahrung gemeinsa- men politischen Handelns und eine ver- In babylonischer Gefangenschaft bindende strategische Interessenlage. vereint Grüne und CDU/CSU sollten sich mit Über die geschilderten programmati- dem Gedanken vertraut machen, dass schen Annäherungen hinaus teilen Grüne eine politische Zusammenarbeit nicht die und Union miteinander auch immer Verschmelzung der Parteien bedeutet, mehr die Erfahrungen der babylonischen sondern Unterschiede – wie bei Koalitio- Gefangenschaft, die das Bedürfnis nach nen üblich – respektiert bleiben. Entschei- neuen strategischen Optionen wecken: dend ist die Frage, ob einer solchen Zu- Solange die Grünen eine Zusammenar- sammenarbeit grundsätzliche Hinder- beit mit CDU/CSU ausschließen, bleiben nisse im Weg stehen. Anders gefragt: Sind sie ebenso von der SPD abhängig, wie sich die Unterschiede zwischen Grünen und die Union zur Mehrheitsbildung bisher CDU/CSU größer als die zwischen praktisch ausschließlich an die FDP ge- Union, SPD, und FDP, die sich jeweils bunden hat. Von dieser Lage profitieren wechselseitig miteinander für koalitions- nur Gerhard Schröder, indem er sich alle fähig halten? Die Antwort auf diese Frage möglichen Koalitionsoptionen offen hal- legt nahe, dass Schwarz-Grün auf dem ten kann, und die FDP, die – allerdings bei Weg vom theoretischen Gedankenspiel Gefahr der Irritation ihrer Wähler – je zur realen politischen Option ist. Der Weg nach politischer Stimmungslage mit SPD mag noch lang sein, aber die Richtung und Union flirtet. zeichnet sich ab.

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