InTeRVIeW: JennIFeR © PPVMEDIEN 2011

Jennifer Rostock Fünf Freunde sollt ihr sein Wer ist eigentlich diese , das fragten sich viele Rockfans, als die Band mit ihrem Debüt „“ 2008 die Charts stürmte. Dabei gibt es gar keine Frau Rostock, der Bandname entstand durch Zufall bei den Recording- sessions. Jetzt steht nach dem erfolgreichen Longplayer „Der Film“

das wichtige dritte für das Quintett an. SOUNDCHECK traf sich FOTO: ERIC WEISS, MARCUS DEMUTH exklusiv für einen gemütlichen Plausch mit den Wahl-Berlinern bei ihren Aufnahmen in Pompton Plains, New Jersey. Tour Dates Clubtour Jennifer Rostock 2011

04.05. München, 59:1 05.05. Köln, Underground 06.05. Hamburg, Logo 26 Soundcheck 05|11 07.05. , Lido © PPVMEDIEN 2011 SC: Könnt ihr den Sound, den ihr euch vorge- stellt habt näher beschreiben? Band Bio JJW: Ein Unterschied, wenn man deutsche und Sängerin Jennifer Weist und Keyboarder amerikanische Produktionen vergleicht, ist der Johannes „Joe“ Walter kennen sich bereits Bassdrum-Sound. Hier in den USA klingen die seit Kindertagen. Als Teenager begannen sie meisten Produktionen untenrum viel fetter. gemeinam Musik zu machen. 2006 zogen sie CD: Das Studio hier ist total verblüffend, schon nach Berlin um ihre Musikkarriere voranzu- alleine wegen des Drumsounds. Nachdem das bringen. Dort lernten sie auch Alex Voigt Schlagzeug mikrofoniert war und Baku angefangen (Gitarre), Christoph Deckert (Bass) und Christopher „Baku“ Kohl (Drums) kennen. In hat einzuspielen, saßen wir im Kontrollraum und dieser bis heute bestehenden Besetzung er- haben die rohen Tracks ohne irgendwelche Filter schien dann 2008 das Debütalbum „Ins offe- oder sonst etwas angehört und es klang sofort ne Messer“ das direkt in die Charts einstieg. so dass wir sagten: So soll unsere CD klingen! Der Nachfolger „Der Film“ kratzte dann sogar JJW: Wir wissen auch nicht wo das Geheimnis an den Top 10. Diese sollten jetzt mit dem kommenden Album leicht geknackt werden. ist, weil die hier dasselbe Zeug benutzen wie wir.

SC: Könnte die Benutzung von mehr Raummi- krofonen dafür verantwortlich sein? m 22 Uhr, New Jersey Turnpike: Der vor- JJW: ... und dann kommt noch hinzu, dass, wenn JW: Die Vorproduktion haben wir in einem Ber- letzte Studiotag des siebenwöchigen man in Deutschland aufnimmt, der Sound immer liner Studio gemacht, in dem sich Chris über- U Aufenthalts in den Portrait Recording sehr ähnlich ist, und wir wollen halt eine Platte haupt nicht auskannte. Wir haben dort mit ihm Studios ging gerade zu Ende. Die fünfköpfige machen die vom Sound heraussticht. Einfach eine Woche lang Demos gemacht und haben uns Band sitzt nun zusammen im Bandbus Richtung mal etwas Neues ausprobieren. schon am Ende des ersten Tages alle angeguckt Manhattan. Das langsam größer werdende Em- Jennifer Weist: Es stimmt schon, dass viele und nur gedacht: So geil! Es klang auf Anhieb pire State Building und der Rest der Skyline er- deutsche Bands irgendwie ähnlich klingen, und phantastisch und irgendwie anders, obwohl das scheinen wie eine kitschige Motivtapete. Die das ist der Hauptgrund gewesen, warum wir uns Dramatik beschränkt sich aber auf die Aussicht. entschieden haben, woanders aufzunehmen. Wir Anzeige Innerhalb der Band ist Drama jeglicher Art voll- haben uns ein bisschen umgeguckt, und haben kommen unbekannt. Entscheidungen werden im Laufe dieses Prozesses ein paar Vorschläge Wir waren positiv überrascht, wie » irrelevant die Sprachbarriere war.« zusammen und demokratisch gefasst und sofort bezüglich eines möglichen Produzenten bekom- umgesetzt. Das fängt bei der Auswahl der Bier- men. Wir haben geguckt, was diese Leute in der sorte an, geht über zur Auswahl des gemeinsamen Vergangenheit gemacht haben, und dass sie mit Urlaubsziels (Thailand), bis hin zur Arbeit in den vergleichbaren Bands gearbeitet haben. Wir ha- letzten 7 Wochen in den Portrait Recording Stu- ben dann mit dieser Vorauswahl gesprochen und dios, 20 Meilen westlich von New York City. ihnen unsere Vorstellungen geschildert, das SOUNDCHECK saß mit den fünf Musikern von heißt, welche Sounds wir benutzen und was wir Jennifer Rostock an einem kalten Winterabend mögen. Unser Material ist ja überwiegend rockig zusammen, um zu erfahren was die Band – neben und poppig, hat viel Keyboards und es ist viel der tollen Aussicht – in die USA zog, denn die hät- elektronisch. Es reicht natürlich nicht, hier ein- Jennifer Rostock te man ja in Berlin auch billiger haben können. fach hinzufahren, mit irgendjemanden aufzu- nehmen, und zu hoffen, dass das Ergebnis dann SC: New Yorker Bands reisen in den letzten so ausfällt, wie man es sich wünscht. Jahren vermehrt nach Berlin, um aufzuneh- CD: Wir waren positiv überrascht, wie irrelevant men. Ihr als Wahl-Berliner kommt jedoch die Sprachbarriere in den letzten sieben Wochen hierher, um aufzunehmen. Warum? war. So wenig, dass man eigentlich sagen kann Johannes „Joe“ Walter: Berlin kennen wir dass es sie gar nicht gab. Oder? (schaut in die schon. Und Berlin hält uns nur von der Arbeit ab. Runde, Anm. d. Verf.) Christoph Deckert: Wir finden es interessant, JW: Ja, das stimmt. Ich weiss noch als wir ins wenn man irgendwo aufnimmt, wo man nicht Studio gekommen sind und wir das erste Mal wohnt, da man dann weniger abgelenkt ist. Chris (Chris Badami, Produzent, Anm. d. Verf.) Zweitens dachten wir, dass die Sprache und die und John Ferrara (Assistent Engineer) getroffen Landesgrenzen ja keine Grenzen darstellen müs- haben, und mein erster Gedanke war: „Oh nein, sen um woanders aufzunehmen, und drittens jetzt zwei Monate lang Englisch sprechen.“ Aber war das Jennifers Idee … es war eigentlich gar nicht so schlimm. >

WWW.SOUNDCHECK.DE/ SOUNDCHECK 05|11 27 INTERVIEW: JENNIFER ROSTOCK © PPVMEDIEN 2011

Der Masterplan: Anhand dieser Tabelle behielt die Band den Überblick, was schon erledigt wurde.

Und sogar nach den Aufnahmen zieht es uns irgendwann wieder ins selbe Hotelzimmer. Selbst wenn wir uns Mühe geben, ge- hen wir uns nicht auf die Nerven. JJW: Wir wissen auch nicht wo- ran das liegt. Wir haben noch nie das Problem gehabt, dass wir zu viel aufeinander hocken. Ganz im Gegenteil. JW: Christoph wohnt auch in meinem Haus, und wir haben früher alle zusammen gewohnt und wir gehen eigentlich auch ständig miteinander weg. JJW: Und wir unternehmen viele andere Sachen gemeinsam wie … Ein Team und eine Seele: Jennifer Rostock und Produzent Chris Badami (2. von rechts). JW: … Hosen kaufen zum Beispiel! Wir unter- halten uns manchmal mit anderen Bands, die sagen, dass man sich nach einer Tour erstmal für nur die Vorproduktionen waren. Chris lachte immer men einzufangen und natürlich die Leute ab dem eine gewisse Zeit aus dem Wege geht. Wir sehen und sagte: Das ist doch noch gar nichts! Das sind ersten Song komplett wegzublasen. Alles was uns eigentlich immer ständig und ich glaube, ich nicht einmal 10% von dem was wir wollen. darüber hinaus geht, kann man sich nicht vor- könnte das auch gar nicht anders. Ich fände das CD: Die Raumhöhe ist sicherlich am meisten für nehmen, dass muss dann einfach passieren. Die- irgendwie komisch, wenn es nicht so wäre. diesen Sound verantwortlich, und wie der Raum ses Mal wurde gemeinsam über jedes einzelne geschnitten ist. Und es liegt natürlich auch am Detail, über jede einzelne Bassline diskutiert, SC: Wie seht ihr die letzten 3 Jahre im Produzenten, der irgendetwas anders macht. und man hat ständig zusammen überlegt und Rückblick? JW: Dazu kam noch, dass wir auf Anhieb einen nach Lösungen gesucht. Das waren oft Kleinig- JJW: Es ist ein Teufelskreis. Aber der schönste sehr guten Arbeitsrhythmus mit Chris entwickelt keiten, Sachen die wir früher vielleicht nicht so der Welt. haben, und gleich einen guten Weg gefunden ausdiskutiert haben. Dieses Mal wurde jeder ein- haben, miteinander klarzukommen. Wir haben bezogen. Es war nochmal ein riesiger Schritt SC: Ist die Masse an Ereignissen der letzten 3 Chris die Texte Zeile für Zeile übersetzt und ihm Richtung: mehr wir. Jahre ok für euch? erklärt, was der jeweilige Song für uns bedeutet. JW: Ja, auf jeden Fall. Wir setzen uns ja auch Obwohl Chris kein Deutsch spricht, hat er ganz SC: Ist die Band demokratischer geworden? immer selbst unsere Ziele, und das muss man, oft im Gefühl gehabt, ob das jetzt gut eingesun- JJW: Nee. Wir sind natürlich keine Demokraten! glaube ich, auch machen, damit man als Band gen wurde oder nicht. Er wusste genau, welches JW: Nö! (lachen) Nein, im Ernst, wir haben schon weiterkommt. Da mit man eine Motivation hat, Gefühl zu den jeweiligen Wörtern gehört. immer alle mit einbezogen. Wenn bei uns etwas und sich sagt: Okay, in zwei Wochen muss das CD: Unsere größte Sorge war anfangs der Gesang, entschieden wird, funktioniert es nach dem Prin- jetzt so und so sein. genauer gesagt die Verständlichkeit. Aber wir zip „Wenn drei dafür sind, wirds gemacht“. Das haben ganz schnell gemerkt, dass dieses Materi- war bei uns schon immer so. Aber wir al das am bislang verständlichste war. Und das, versuchen uns immer weiter zu entwi- obwohl es nur ein Demo war. ckeln, und immer noch etwas zu finden was man besser machen kann. Ich finde, das Album SC: Abgesehen vom Sound, wo wird es stilis- dass uns das im Moment sehr gut gelun- Mit dem so wichtigen tisch mit der neuen Platte hingehen? gen ist, und dass der Prozess ein sehr ge- dritten Album – dessen Titel zu diesem Zeit- JW: Auf der letzten Platte, das war ja alles ziem- sunder war. punkt noch nicht lich … da haben wir uns ja so ein bisschen verklei- ? feststeht – besinnen det. Wir haben eine Geschichte um die Platte SC: Zu den Stil- und Soundfragen kommt sich Jennifer Rostock herum aufgebaut. Wir wollen wieder zurück zu dann die tägliche Herausforderung, mit wieder auf ihre Wurzeln in Sachen Power dem was wir mit und auf der ersten Platte ge- vier anderen Individuen auf engsten Raum und Songwriting, profitieren aber gleichzeitig macht haben als wir uns als Band vorgestellt zusammen zu leben. von ihrer in den letzten Jahren gesammelten Erfahrung und dem besten Sound der Band- haben. JW: Das ist immer super toll. Immer wenn wir be- geschichte. Damit sollte das Quintett mit JJW: Und wir wollen dieselbe Energie auf die trunken sind, sagen wir uns gegenseitig, wie lieb dem im Juni erwarteten Album alte wie neue Platte bekommen, die wir auf der Bühne haben. wir uns haben, und dass wir unsere Familie sind, Fans problemlos begeistern können. Das Ziel war, dieses Live-Gefühl bei den Aufnah- besonders wenn wir miteinander unterwegs sind.

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SC: Es ist also nicht wie bei Metallica, wo terschiede in der Mentalität oder Arbeits- James Hetfield seine Auszeit braucht, und weise zwischen hier und Berlin erleben kön- danach nur noch vier Stunden am Tag zum nen? Proben erscheint … AV: Die Mentalität beim Aufnehmen ist eine JJW: … und auf Bärenjagd gehen muss … ganz wichtige Sache. Die Produzenten hier, und JW: Klingt symphatisch. auch die Leute im allgemeinen, sind ja erst ein- CD: Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns diese mal grundsätzlich viel netter, und man ist auch DVD (Some Kind of Monster, Anm. d. Verf.) ein- nicht so direkt miteinander. Wenn man in mal gemeinsam auf Tour ansehen, damit wir Deutschland irgendetwas einspielt und es nicht Wir sehen uns eigentlich ständig und ich »glaube, ich könnte das auch nicht anders.« merken wie gut wir es als Band haben. perfekt ist, heisst es sofort: „Oh Gott ist das Alex Voigt: Aber Du musst auch überlegen Scheiße! Mach’ dass noch mal!“ Hier ist es dass es Metallica als Band schon 25, 30 Jahre mehr: „Oh great, this was not sooooo bad …“ lang gibt. (Die 5 lachen. Anm. d. Verf.) JW: Ja, aber entschuldige mal bitte. Ich kann JW: Ja, genau, das ist schon witzig. Jetzt wis- mir das einfach nicht bei uns vorstellen, der sen wir natürlich, wenn er (Chris Badami, Anm. Christoph, der dann 50 ist und dann … d. Verf.) etwas sagt, wie er es meint. Und wenn JJW: … vielleicht ist es auch das Geld, das die er dann mit “hmmmmm …” anfängt, dann weiß Leute so … man natürlich: “Alles klar, dass muss ich noch- JW: … das werden wir ja nie haben, deswegen mal einsingen.” In Deutschland wäre das eine fällt das bei uns sofort flach! andere Kommunikationsebene gewesen.

SC: Könnt Ihr euch vorstellen Texte auf eng- SC: Chris ist also motivierender, offener, lisch zu singen um ein größeres Publikum zu freundlichher? erreichen? JW: Ja. CD: Das würden wir jetzt erstmal nicht kom- JJW: Oh ja, auf jeden Fall. plett ausschließen, aber im Moment konzent- CD: Ansonsten ist New York auch ganz hübsch rieren wir uns ausschließlich auf deutsche Tex- und wir haben uns hier ganz gut unterhalten. te, und dieses Album ist erst einmal auf JW: Ja, das war wirklich gut hier. Wir wollen Deutsch. Aber diese Frage kam schon öfter auf demnächst auch Mal nach Tokyo, und nach Ku- … ba möchte ich auch Mal. Wir waren ja schon JJW: You never know! einmal mit Jennifer Rostock in Brasilien, und CD: Wir werden das sicher hin und wieder mal hoffentlich werden wir in der Zukunft zusam- probieren, aber bis auf Weiteres bleiben wir bei men noch mehr herum reisen. den deutschen Texten. CD: Die Aufnahmen waren eine gute Entschul- digung, irgendwo mal einen netten Urlaub zu SC: Übermorgen seid ihr wieder auf dem haben. Weg nach Hause. Rückblickend, habt ihr Un- JW: Das einzig Blöde war, dass es hier wirklich

Überarbeiteter Look: Auf der Website www.jennifer-rostock.de gibt es jetzt schon das neue Design und aktuelle Infos.

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sehr kalt war in den letzten Wochen. Obwohl New York schon ziemlich viel Spass gemacht hat, sind wir aber alle auch wieder froh, nach Berlin zu kommen um dort wieder feiern zu ge- hen. Das Einzige, was mich hier richtig gestört hat, war, dass es hier morgens nur bis um vier Uhr geht. Das regt mich extrem auf. Ich möchte die Möglichkeit haben, länger feiern zu können. Auch wenn ich es dann letztendlich nicht mache. In Berlin gehe ich jetzt erst einmal schön um 3 Uhr ins Bett, einfach nur, weil ich es kann! Und in den Delis hier kannst du dann auch ab 4 Uhr morgens kein Bier mehr kaufen. AV: Und du darfst nicht auf der Strasse trinken. Ein paar Sachen nerven hier einfach, aber im Grossen und Ganzen ist es schon ganz geil.

SC: Wie sieht das Jahr 2011 weiterhin für euch aus? JW: In den nächsten 2 Wochen haben wir immer noch an den Songs zu tun und überhaupt ... CD: ... wenn wir übermorgen nach Hause flie- gen, ist die Platte ja noch nicht fertig. Es wird dann noch viel gemischt. Dazu kommen dann noch zwei weitere Songs, die wir hier bewusst nicht aufgenommen haben. Diese beiden Songs werden wir in Deutschland noch fertig schreiben und dann aufnehmen. Danach geht es weiter mit den Vorbereitungen für die Album-Veröffentli- chung. Und dann kommen auch schon die Tour- proben … Interview JJW: ... und der Teufelskreis geht wieder von vorne los. JW: Wir spielen dann in Mai vier Club-Konzerte, mit Chris Badami danach gehen die Festivals los, und am Ende des Jahres machen wir dann auch noch einmal eine Tour. Diese Tour ist dann etwas länger, so etwa “Worlds can’t meet Worlds, einen Monat. but People can meet People.” SC: Was ist denn die Strategie hinter den vier arum nimmt eine Band die Strapa- sich aber vor allem in der warmen, offenen und Club-Konzerten? zen und Kosten auf sich, um einer lebendigen Persönlichkeit unseres Gastgebers: CD: Wir hatten einfach wieder Bock, ein paar W Stadt zu entfliehen, die fast so viele Chris Badami. Dessen Erfolg, seine Persönlich- eigene Konzerte zu spielen bevor die Festivals Recordingstudios wie Kreuzberg Dönerbuden keit und sein sofort infizierender Enthusiasmus losgehen. hat? Und warum in aller Welt in die Einöde von für Musik und die Menschen die sie machen, ist JW: Wir wussten, dass unser Album bis dahin New Jersey? Diese Frage stellte sich SOUND- schwer voneinander zu trennen. Die Mischung noch nicht draußen ist und da gibt es halt ein- CHECK während der Busfahrt vom New Yorker dieser Zutaten liefert auf Anhieb ein halbes Dut- fach nicht so viele Möglichkeiten. Es ist schon Busbahnhof nach Pompton Plains, New Jersey. zend gute Gründe, warum Jennifer Rostock sich gut diese vier Konzerte zu machen bevor wir im Die Frage gewann während des unerwarteten entschieden haben, hier aufzunehmen. Sommer dann auf die großen Bühnen gehen. Wir halbstündigen Marschs durch Schneematsch zu werden in den Clubs vor weniger Leute spielen, den „Portrait Recording Studios“ noch an Inten- SOUNDCHECK: Chris, was umfasst deine Auf- die meisten dieser vier Termine sind auch schon sität. Hier trafen wir Chris Badami, der gerade gaben bei der Jennifer-Rostock-Produktion? ausverkauft, und man spielt dann halt wieder die letzten Spuren der neuen Jennifer-Rostock- Chris Badami: Alles! Produzieren, Aufnehmen etwas gemütlicher. Also vor ein bisschen weni- Platte aufnahm. Alle Fragen und Gedanken an und Mischen. Wir sind nun am Ende des siebenwö- ger Leuten, was ja auch mal wieder schön ist und nasse Füße waren jedoch verflogen, bevor unser chigen Recordingprozesses, aber wir haben uns die Leute kriegen exklusiv die neuen Songs vom Interview überhaupt begann. Die Antworten zuvor schon in Berlin für die Vorproduktionen ge- Album zu hören. hängen in der Form von fast einhundert CDs an troffen. Wir sind dann hierher gefahren, haben ✖ Marcus Demuth den Wänden der Lounge, mit Namen wie Dillin- angefangen aufzunehmen und sind morgen mit ger Escape Plan oder The Early November, zeigen damit fertig. Und dann gehts ans Mixen.

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SC: Woran habt ihr während der Vorproduk- offenen Klang. Das gegenseitige Vertrauen hat bearbeitet werden kann. Bei dieser Hör- und Ar- tionen in Berlin gearbeitet? sich in der Woche in Berlin entwickelt. Obwohl ich beitsweise wird jedoch die Performance ver- CB: Es ging fast ausschliesslich um Arrange- ja überhaupt kein deutsch spreche war da keinerlei nachlässigt, das A und O von Musik im Allgemei- ments. Die Band hatte mir vorab Demos von den Barriere zwischen uns. Es war meine allererste nen. Dies ist eventuell ein Grund, warum viele Songs gesendet, die sie aufnehmen wollten, und Produktion auf deutsch, und Jennifer Rostocks Produktionen zur Zeit einfach so ähnlich klingen. sie haben mich gefragt, ob ich Interesse hätte, erste Zusammenarbeit mit einem US-Produzenten. Als Jennifer Rostock mich kontaktierten, haben nach Berlin zu kommen, um mit ihnen an den Insofern war das für uns alle eine neue Erfahrung, sie mir ihre Auftritte auf Video und YouTube ge- Songs zu feilen. Wir haben dort ein Studio ange- aber es gab überhaupt keinen Grund warum wir sendet, und das erste was mir aufgefallen ist, mietet und sind sofort an die Arbeit gegangen. miteinander gefremdelt haben sollten. Ganz im war ihre unglaubliche Live-Energie und Origina- Wir sind zusammen durch alle Demos gegangen Gegenteil! Es ist eine durch und durch positive Er- lität. Mir hat dieser Vibe auf Anhieb sehr gut und ich habe hier und da einige Änderungsvor- fahrung, die ich nur jedem empfehlen kann … gefallen. Von dem Moment an richtete ich mein schläge gemacht. Anschließend haben wir einige (lacht). Hinzu kommt, dass es ein deutlicher Hauptaugenmerk darauf, diese Energie auf die Rohaufnahmen der Songs gemacht, an denen wir Wunsch der Band war mit mir zusammenzuarbei- Platte zu bekommen. Meiner Meinung nach ist dann weiter gearbeitet haben, um herauszufinden ten. Ich wurde also nicht von außen hereingeholt diese Kraft auf den vorherigen Alben einfach wie die verschiedenen Änderungen und Vorschläge oder der Band in irgendeiner Form aufgezwungen. nicht präsent. Ich war überzeugt dass wir diese im Endeffekt klingen werden. Das waren keine Energie erfolgreich auf die Platte transferieren offiziellen Aufnahmen, nur eine Art Vorbereitung, SC: Wie würdest du den Sound und die Ar- könnten. Natürlich arbeiten wir auch mit Pro um zu garantieren, dass die Songs im bestmögli- beitsweise beschreiben, den ihr auf dieser Tools, aber das eine muss das andere ja nicht chen Zustand sind wenn wir hier aufnehmen. Platte verwirklicht habt? ausschliessen. Es geht uns einzig und allein um CB: Meine größte Priorität liegt auf der Perfor- die Band und um die Rhythm Section. Das Fun- SC: Inwieweit warst du in Songaufbau, Kon- mance. Die Performance bedeutet für mich alles, dament für unsere Arbeit ist Chris’ solides zept und so weiter involviert? und danach kommt erst einmal lange überhaupt Drumming, was uns ermöglichte, einen offenen CB: Die Band war mir und meinen Vorschlägen nichts. Es gibt heutzutage einfach viel zu viele großen Rock-Punkrock-Drumsound aufzunehmen. gegenüber sehr aufgeschlossen. Einige Songs haben einfach schon sehr gut gepasst, bei ande- Meine größte Priorität liegt auf der Performance. ren haben wir Sachen herausgenommen oder Parts hinzugefügt, und andere Songs wurden Die Performance bedeutet für mich alles.« sogar komplett umgebaut. Die Zusammenarbeit » hat auf Anhieb sehr gut geklappt. Der Haupt- Platten auf denen rumgedoktert wird bis der Der grosse Aufnahmeraum hier hat dabei sehr grund dafür war, dass die Band meinen Kom- Arzt kommt, worunter immer die Performance geholfen. Es ging dann weiter mit dem Layering mentaren gegenüber unglaublich offen war. leidet. Das Motto ist heutzutage mehr und mehr: der Gitarren, der Keyboards, und natürlich Bass Wir haben einen Computer, also lasst uns auf und Gesang, um diesen großen Sound zu reali- SC: Wo kam dieses Vertrauen her? biegen und brechen das Beste aus ihm heraus- sieren. Bei jedem Schritt den wir gemacht ha- CB: Die Band hat mich kontaktiert, da sie einige holen. Mit dieser Denkweise werden einfach viel ben, lag unser Hauptaugenmerk jedoch auf der der Platten, die ich produziert habe, kannten und zu viele Dinge vernachlässigt. Warum? Da wäh- Performance und dem offenen Live Sound. wohl auch mochten. Jennifer Rostock wollten mit rend der Trackings jeder bereits daran denkt wie dieser Platte mehr „Bandsound“, also einen sehr dies oder jenes später in Pro Tools korrigiert und SC: Es ist interessant, dass ihr euch trotz die- ser Prioritäten dafür entschieden habt Track für Track aufzunehmen, anstatt live. CB: Ja, das Live-Ding, also alle zusammen in ei- nem Raum aufnehmen, ist klasse und macht vollkommen Sinn. Aber es ist nicht in allen Situ- ationen möglich oder wünschenswert, und es ist auch nicht das Standardrezept, um einen ener- getischen Bandsound zu erzielen. Vom kreativen Standpunkt ziehe ich es vor, Track by Track auf- zunehmen, da es erlaubt, sich auf eine Sache nach der anderen zu kon- zentrieren. Um die Sterili- tät, die mit diesem Pro- zess oft assoziiert wird, zu vermeiden, haben wir Demotracks zum Click aufgenommen, zu denen dann Chris seine Tracks eingespielt hat. In die- sem Sinne war es für In der Ruhe liegt die Kraft: Die Portrait Recording Studios außen und innen. ihn fast wie live. Mit

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Klassisches Equipment dann so ist … (schmunzelt). An manchen Aben- für modernen Sound: Die den wurde es etwas später, aber dafür haben wir Backline der Portrait nur 5 Tage die Woche aufgenommen. Wir hatten Recording Studios. an den Wochenenden frei, um etwas Ruhe zu haben und um dann Montags mit Abstand und dem Schlagzeug auf- frischen Ohren wieder zum Projekt zurückzukeh- gebaut, um den ren. Du brauchst einfach eine gewisse Zeit, um Sound-Eindruck des ein Projekt qualitativ zu vollenden. Es macht kei- Publikums zu simulie- nen Sinn, mit dem Kopf duch die Wand zu ren- ren. Ein weiteres Mikro nen und gegen diese Mammut-Studiotage, ei- war über dem Kopf des nem nach dem anderen, anzukämpfen. Norma- Schlagzeugers aufge- lerweise haben wir so 10 - 12 Stunden gearbeitet. baut, um eine weitere Option zur Verfügung SC: Wo wird das Mixing gemacht? zu haben. Die Mikro- CB: Das mache ich hier. fonplatzierung macht unheimlich viel aus. Ich bin kein Fan von Trigge- SC: Ganz alleine? ring. Insgesamt haben wir 16 Spuren Drums auf- CB: Ja, ganz alleine. Ich sende natürlich so oft der Ausnahme, dass wir später dann alles, außer genommen. Zusätzlich zu den drei Raummikrofo- wie möglich Mixes nach Berlin. So kann die Band den Drums natürlich, noch einmal neu aufge- nen die ich gerade erwähnte, hatten wir zwei den Mix anhören und das geht dann so lange hin nommen haben. Wir wussten, dass wir zu einem Mikrofone in der Bassdrum, zwei an der Snare, und her, bis jeder zu 100% zufrieden ist. Das Click aufnehmen müssen, da Jennifer Rostock Stereo Overheads etc. Also eine Menge Mikrofone, klappt eigentlich immer sehr gut. eine starke elektronische Komponente hat. Wir um den besten natürlichen Sound zu erzielen. haben aber trotzdem versucht, eine Live-Atmo- SC: Fühltest du dich manchmal benachteiligt sphäre zu kreieren. SC: Welches Mikrofon wurde für den Gesang weil du kein Deutsch sprichst? benutzt? CB: Nein. Aber wir fürchteten, dass verschiedene SC: Habt Ihr spezielle Instrumente, Mikrofone CB: Wir benutzten ein Neumann U87. Wir haben Dinge einfach unter den Tisch fallen würden, da und sonstiges Equipment benutzt? hier eine Menge Grossmembraner, aber das Neu- ich die Texte ja nicht verstehe und immer erst CB: Ja und nein. Eine wichtige Komponente war, mann U87 hat einfach am besten zu Jennifers alles für mich übersetzt werden muss. Beim Musik dass wir die Drums mit vielen Raummikrofonen Stimme gepasst. Wir haben ausschliesslich mit machen geht es fast ausschliesslich um das Fee- aufgenommen haben. Bei allen anderen Mikrofo- diesem Mikrofon gearbeitet. Es war das normale ling, und das ist international und hat mit nierungen, wie für Bass oder Gitarre, war überall U87, wie man es im Laden kauft. Der Bass wurde Sprachgrenzen zum Glück wenig zu tun. Darüber mindestens ein zusätzliches Raummikrofon mit mit einem Aguilar Preamp und einem Ampeg hinaus wurden die Texte alle für mich übersetzt, aufgebaut, immer mit dem Ziel, einen lebendige- SVT aufgenommen. Der Aguilar Preamp ist ein so dass ich fast Zeile für Zeile wusste worum es ren Sound zu bekomen. Die Frage war ständig: wunderbar klingendes Teil. ging. Jennifer, Joe und ich haben zusammen sehr Wie kriegen wir diesen Livesound, wie er jetzt und intensiv an den Vocals gearbeitet, und wir sind hier im Raum klingt, durch das Mischpult und auf SC: Wie lange waren eure Arbeitstage? mit dem Gesamtergebnis sehr zufrieden. das Tape? Zu der üblichen Drum-Mikrofonierung CB: Wir haben versucht, es auf 10-12-Stunden- etwa hatten wir ein zusätzliches Stereopaar vor Tage zu begrenzen, aber, naja, du weißt ja wie es ✖ Marcus Demuth Bio chris Chris Badamis Studiokarriere begann, als er als Jugendlicher einen Vierspurrecorder zum Geburtstag geschenkt bekam. Wenig später begann er, die Garage seiner Eltern zum Aufnahmestudio umzubauen wo er seine eigene Musik und befreundete Bands recordete. Während seines Studiums arbeitete er nebenbei auch immer live und im Studio, um sich die nötige Praxis anzueignen. Dabei bekam er die Chance, mit legendären Produzenten wie Andy Wallace und Eddie Kramer zu- sammenzuarbeiten. Seine Portrait Recording Studios gibt es nun bereits seit 1995. Dort betreute er unter anderem Bands wie The Dillinger Escape Plan, The Early November und nun eben auch Jennifer Rostock. Mehr Infos: www.portraitrecordingstudios.com

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