Natur- und Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg Landeskunde Nr. 4–6 · 1 26 . Jahrgang · Husum, April–Juni 2019

WOLFGANG EICHLER Siegfried Lenz in Angeln – Poetische Landeskunde in Erzäh - lungen und Romanen?

1. Einleitung: Die Bedeutung geographi - gänge und Ereignisse als Inspiration für scher Orte für Siegfried Lenz seine Werke zu nutzen. Dem soll im Folgenden nachgegangen wer - Siegfried Lenz war dem Landesteil Schles - den, wobei die Darstellung auf einem von wig und besonders der Landschaft Angeln – mir 2017 publizierten Büchlein 1 beruht und mit der Flensburger Förde und der Schlei an dieses unter landeskundlichem Blickwinkel ihren Grenzen – immer sehr verbunden. zusammenfasst. Schon als Jugendlicher war er im Zweiten Alle Werke der Weltliteratur sind Heimatlitera - Weltkrieg (1940) auf ein Gut in der Nähe tur sagt Siegfried Lenz in einem Interview von verschickt worden und nicht mit Lutz Besch im DW Radio am 4.4.2007, zufällig taucht im gerade posthum erschie - ein mutiger Ausspruch, den man vielleicht nen Roman „Der Überläufer“ ein Soldat aus infrage stellen kann, aber für Lenz ein poe - Kappeln auf. tisches Programm: Die dichterische, erzäh - Lange hatte er mit seiner ersten und zweiten lerische Handlung braucht für ihn eine Ehefrau – nach einem längeren Aufenthalt stimmige geographische Verortung, eine in Dänemark auf Alsen – auch ein Ferien - echte Heimat. haus in bei Schleswig, von dem In einem Interview mit Peter Rüden vom 14. aus sie wohl mehr als Ausflüge in die Land - November 2002 hatte Lenz präziser ausge - schaft Angeln unternahmen. führt, wie er mit geographischen Orten in Und schon in der Dänemarkzeit lässt Lenz seinen Werken umgeht: mehrere Erzählungen („Das Feuerschiff“, Zuerst ist der Konflikt, die Idee oder das Problem „Der Geist der Mirabelle“…) in der Region da. Dann suche ich dem Konflikt einen geogra - spielen und versteht es immer wieder, in phischen Ort aus, an dem er ausgetragen wird. landeskundlich interessanter Weise Orte, Zu dem Ort entwerfe ich das Personal, also die Menschen und Charaktere und belegte Vor - Charaktere. Diese müssen in Übereinstimmung 65 mit den geographischen Gegebenheiten handeln nur die doch überwiegend deutschen […] Namen der Personen in der Erzählung und Wenn das von mir erfundene Personal die Kon - die Tatsache, dass es in eine Des - flikte […] austragen muss oder lebensfähig ma - tillerie(!) gibt (Titel: „Der Geist der Mira - chen muss, dann müssen die Schauplätze schon belle“), sondern auch die Art der Steilküste, zu den Menschen gehören oder die Menschen zu die Bewaldung mit den Windlücken und den Schauplätzen… 2 die Fischer-Flachs an der Küste bei Dol - Siegfried Lenz’ Romane und Erzählungen – lerupholz und . Hat sich Lenz im Folgenden benutzt und zitiert nach der hier eine kleine, für den Titel des Bandes jeweiligen Originalausgabe bei Hoffmann ausgesprochen humorvolle literarische und Campe – haben (also) reale Orte des Volte erlaubt? Auf jeden Fall „spielt“ er Geschehens als Hintergrund, und das wol - etwas mit den Personen und Orten, ja, das len/sollten wir „wörtlich“ nehmen. ganze Werk hat etwas Verspieltes an sich. Und: Die als erzählbereite Freunde in der Danksagung am Anfang des Buches ge - 2. „Der Geist der Mirabelle“: Die Insel nannten Personen dürften – wie bei Lenz Alsen? Nein, Dollerup an der Flensbur - üblich und oben im Interview (s. Anm. 1) ja ger Förde? auch ausgeführt – erfunden sein: es sind alles „Petersens“, eine eigentümliche, wohl Im Erzählband „Der Geist der Mirabelle – bewusst fiktive Inszenierung! Geschichten aus Bollerup“ (1975) nennt uns Und: Die Petersens tauchen auch in den an - Siegfried Lenz (scheinbar!) selbst den Ort deren Werken immer wieder auf, man der Handlung: die dänische Insel Alsen. In denke an die Protagonistin Stella Petersen in der Danksagung am Eingang des Buches der „Schweigeminute“, siehe unten 4. nennt Lenz die verlässlichen, erzählbereiten Freunde, Bauern und Fischer auf Alsen als Quelle und erwähnt, dass er in der Nachbar - 3. Einfahrt in die Flensburger Förde in schaft von Bollerup fünfzehn Sommer gelebt „Das Feuerschiff“ habe 3. Wir wissen, dass das Ehepaar Lenz damals auf Alsen, etwas südlich zwischen In der frühen Erzählung „Das Feuerschiff“ den Hafenorten Mommark und Hørup Hav, (1960, bereits 1963 verfilmt) erzählt Siegfried im Ort Lebøllykke ein Ferienhaus mit Blick Lenz von kriminellen Vorgängen, die in der auf das Wasser gehabt hat, ein Bollerup gibt letzten Saison des Einsatzes des Feuer - es allerdings dort nicht, und irgendwie schiffs, neun Jahre nach dem großen Krieg „umspielt“ Lenz den Ort auch etwas am (also 1954) am Eingang der Flensburger Ende des Vorwortes, wo es heißt (S. 10): Ich Förde geschehen. Er erinnert sich selbst meine allerdings nicht die Einwohner des be - dazu: kannten Bollerup, sondern die aus einem ande - Von meinem Fenster [des erwähnten Ferien - ren Dorf gleichen Namens, nördlich von Kiel hauses in Lebøllykke] sehe ich weit draußen gelegen bzw. südlich von Aabenraa. auf der Bucht den brandroten Rumpf eines Feu - Also: Es gibt kein Bollerup , aber es gibt ein erschiffes: Ansteuerungspunkt für die Schiff - Dollerup und Dollerupholz auf der deut - fahrt, ein Symbol der Sicherheit […]. Ich schen Seite, Alsen gleich gegenüber gelegen, versuche, mir einen Konflikt zwischen unbewaff - nahe Westerholz, und der Schriftsteller Uwe neter und bewaffneter Macht auf dem Feuer - Herms, selbst ein Duz-Freund von Lenz, schiff vorzustellen .5 nimmt an, dass hier „Der Geist der Mira - Das „Feuerschiff Flensburg“ – in der Tat rot belle“ situiert sei, er schreibt in seiner Kurz - gestrichen – sollte die Schifffahrt an dem geschichte „Die Abbruchkante des Jahres. weit in die Förde hineinragenden Kalk - Westerholz an der Flensburger Förde“: „ Hat grund-Riff bei der mit sei - nicht auch Siegfried Lenz im Geist der Mirabelle nen Sandbänken dicht an der dänischen „Geschichten aus Bollerup“ eingesammelt oder Küste der Insel Alsen vorbeiführen. Es gut erfunden? Aus Bollerup oder Dollerup wurde wie fast alle deutschen Feuerschiffe oder […]. 4 (z. B. auch die Elb-Feuerschiffe, Kiel kam Für Dollerup(holz) spricht manches, nicht sehr viel später dran) in den Sechzigerjahren 66 eingezogen und durch eine große Leucht - 4. Maasholm – Schlei und die Novelle tonne ersetzt. Es lag dort auch tatsächlich „Schweigeminute“ eine kleinere Ausgabe, ein, wie Lenz aus - führt, Reservefeuerschiff . Der Einzug der Feu - Die Novelle „Schweigeminute“ (2008) ist erschiffe konnte auch deshalb geschehen, ein Spätwerk des Dichters. In außerordent - weil die Minenräumung nach dem Zweiten lich anrührender Weise wird die zarte Lie - Weltkrieg langsam beendet war – die Feu - besgeschichte eines jungen Mannes, Sohn erschiffsbesatzungen sollten auch nach eines Steinfischers, der an der neuen Mole eventuell treibenden Minen Ausschau hal - des Hafens mitarbeitet, beschrieben. Er ver - ten. liebt sich in seine Englischlehrerin. Diese, in Es liegt heute noch ein Feuerschiff im einer großen Liebe einmal sehr enttäuscht, Museumshafen Flensburg, ein Besuch mit lebt mit ihrem alten Vater zusammen, lässt dem Text der Novelle in der Hand könnte das Werben langsam zu, und die eigentlich viel Mit-Erleben bedeuten – war auch schon unmögliche Liebe zwischen Schüler und sehr alt, sodass entweder eben diese Lehrerin endet dramatisch mit einer „uner - Umstellung oder der Bau eines neuen hörten Begebenheit“: die Lehrerin wird bei Feuerschiffs notwendig gewesen wäre. einem Segelunfall eben an dieser neuen Stattdessen gab es in den siebziger Jahren Mole unter den Augen des Jungen tödlich dann den Bau des großen Leuchtturms verletzt und stirbt im Krankenhaus. Ja, und „Kalkgrund“ an der Nordspitze eben dieses dann gibt es eben die Schweigeminute in Riffs. der Schule, mit der die Novelle beginnt. Auf dieses Feuerschiff kommen nun die Über die Entstehung des Werkes wissen wir Verbrecher, die mit einem Boot nach der dä - einiges, Lenz sagt 2008 dazu in einem Inter - nischen Hafenstadt Faaborg auf der Insel view mit Ludwig Greiner 6: Fünen fliehen wollen, und sie überrumpeln Meine Frau [das ist seine erste Frau Liselotte, die Besatzung. Die dänische Küste ist zwar die 2006 starb] hat noch die ersten dreißig, vier - nah, aber damals gab es – die deutsche Be - zig Seiten der Schweigeminute gehört. Wir setzung Dänemarks war ja gerade erst neun haben es immer so gehalten, dass ich ihr vorge - Jahre vorbei – kaum Kontakte. Und die lesen habe. Sie war sehr einverstanden damit. deutsche Küste ist fern, flach und einsam, Dann starb sie. Ich habe zweimal versucht, die ein Flaggen- oder Winksignal wird kaum Geschichte wiederaufzunehmen. Ich hatte den gesehen, sodass die Besatzung ihre Hoff - Eindruck, dass es katastrophal missglückte. Es nung auf vorbeifahrende Schiffe setzen ging so weit, dass ich glaubte, die Imagination muss, die die Verbrecher natürlich auch habe mich verlassen. Aber dann, mit der Zeit hat sehen! es sich wieder geregelt. Eine Freundin [das war Wenn man einmal zu dem alten Standort seine zweite Ehefrau Ulla, Dänin und des Feuerschiffs hinausfährt, stellt sich exakt Freundin des Hauses, die er 2010 heiratete] genauso wie hier und bei Lenz beschrieben hat mir unendlich viel geholfen. So ist es ge - die Küstenlinie dem in die Flensburger glückt. Ich möchte sagen, dieses Buch war meine Förde einfahrenden Seemann dar, und auch Selbstrettung. das in der Erzählung erwähnte Wrack an Und Ulla erinnert sich auch: Ja, ich habs ab - der deutschen Seite hat es gegeben: Die getippt. Ich habe [gemeint ist das Maschine - Wracktonne lag noch in den 90er-Jahren vor schreiben] nie gelernt. Also das war mit Ort. unendlich vielen Fehlern, aber sie habens ge - Ich war einmal am ehemaligen Standort des schafft im Verlag. Feuerschiffes und die Szenerie ist in mir Und Siegfried Lenz sagt weiter in dem dort eindrücklich aufgestiegen: Ja, Siegfried Interview: Lenz muss, als es das Feuerschiff noch gab, Die Wahl fiel deshalb auch auf den jungen Mann – hier in der Nähe sowohl auf der dänischen auch in anderen Büchern, der Deutschstunde als auch auf der deutschen Seite gewesen zum Beispiel –, weil das Erzählen für mich sein, und nicht immer wird die Flensburger gleichbedeutend damit ist, leben zu lernen. Mir Förde ihm vor dem Fenster seines Hauses klar zu werden über dies unglaubliche Dickicht als, wie er einmal schrieb, eine schöne ergie - des Lebens. Erzählen ist eine Selbstbefreiung. bige Langeweile gewesen sein. Erzähl es, damit du es besser verstehst. Darum 67 delegiere ich den Impuls des Erzählens an einen Einsamkeit und eine alleinstehende kleine jungen Menschen, der im Prozess des Erzählens Fischerhütte, ein Vogelwärterhaus. zu sich selbst kommt und zu leben lernt. Lenz könnte hier, wie die Abbildung 1, La - Und Heide Soltau zitiert in Die Welt vom gekarte von Maasholm und der Schleimün - 17.6.2008 Siegfried Lenz weiter, dass er dung, zeigt zwei Orte synthetisiert haben: einen Steinfischer auf Alsen kennengelernt - einmal die „Lotseninsel“ am Schlei-Ein - hätte, und dann weiter mit den Worten: Er gang, die Richtung Vogelschutzgebiet hat zum Wohl der kleinen und unscheinbaren, sehr einsam ist, wo auch eine Vogelwär - aber vielbesuchten Häfen auf der Insel Steine ge - terhütte steht und die einen Ostseeblick fischt. Er hat sie herangefahren und er hat Molen und Ostseezugang ermöglicht, gebaut – für deutsche Lustsegler . [Unterstrei - - zum anderen die sehr abgelegene Halb - chung vom Verfasser]. insel „Fischerhütte“, die zwar in der Mittlerweile gibt es eine Dramatisierung Schlei gelegen, aber an dieser Seite eben - und Verfilmung der Novelle, der Drehort falls nur mit dem Boot erreichbar ist. Dort des Filmes wurde lange gesucht und ist gibt es die einsame Fischerhütte. Bornholm, der reale geographische und li - Hinzu kommt noch einiges mehr: terarische Ort ist aber Maasholm an der Die bei dem Segelunfall schwer verletzte Schlei, auch wenn er bei Lenz Hirtshafen Lehrerin Stella Petersen wird in das Kreis - heißt. krankenhaus Scharmünde gebracht, wo sie Nun muss man wissen, dass der kleine, Lehrer und Schüler/innen ein letztes Mal schon sehr alte Fischerort Maasholm 1974 besuchen. Ein Krankenhaus dieses Namens einen großen Jachthafen (dänisch „Lystbä - gibt es nicht, aber auf der Lotseninsel ist der dehavn“) bekam und dass dieser bei einem kleine Schutz- und Nothafen(!) „Schlei - heftigen Winter-Ost-Sturm im Januar 1979 münde“ situiert. Man darf sich als Leser schwer beschädigt wurde; ganz Nord -Schles - oder Interpret zu dem zarten Fingerzeig von wig-Holstein war damals von der Außenwelt Siegfried Lenz etwas denken: Kehrt die Ster - abgeschnitten. Ein weiterer Ost -Sturm mit bende in die Nähe des Ortes ihrer Liebe schweren Schäden am Hafen war dann im noch einmal zurück und fühlt sie sich in August 1997. ihrer Not dort noch etwas beschützt? Ja, so Nach einer Notreparatur wurden in Maas - ist Siegfried Lenz in seinen literarischen holm bis ins neue Jahrhundert hinein große Orten, er „verwebt“ sie förmlich mit Deichsicherungsarbeiten durchgeführt und menschlichen Schicksalen. unter anderem am Hafen auch eine neue Und weiter geht es: Ostmole aus Steinen aufgeschüttet und die Im Text wird mehrmals das Hotel-Restau - Westmole mit einer Steinaufschüttung ver - rant Seeblick genannt, in dem auch die inter - längert. nationale Fischereikonferenz stattfindet: Es ist Bei der Steinaufschüttung für die neue Mole das reale „Schleieck“, das wirklich einen wirkten auch die bei Lenz beschriebenen außerordentlichen Blick aufs Wasser, auf Steinfischer mit: Fischer mit flachgehenden das Wormshöfter Noor ermöglicht. Prahmen , wie die Lenzsche Katharina 2 , die Es sei die Frage erlaubt: Hatte Siegfried Steine direkt aus der Ostsee fischten, sie zur Lenz, das Ehepaar Lenz vielleicht hier ein - Baustelle der Mole brachten und dort ins mal gegessen oder gar gewohnt? Jedenfalls Wasser warfen. Der Autor hatte seinerzeit kennt Siegfried Lenz sowohl die in Leder ge - die Arbeiten beobachtet und gesehen, dass bundene Speisekarte , und auch ein Gericht auch ein dänischer Steinfischer dabei war. aus dieser bestellt die Protagonistin der No - Der Jachthafen erhielt dabei auch eine velle, nämlich Finkenwerder Scholle, in Speck zweite (östliche) Einfahrt, und dort, am gebraten, dazu Kartoffelsalat (S. 71). Und da - neuen Ostmolenkopf, könnte bei starkem mals, seit 1986, besaßen die Lenzens ca. Wind der Segelunfall passiert sein. 60 km entfernt, in der Nähe von Schleswig, Nun spielt in der Novelle auch eine ein - in Tetenhusen ein Ferienhaus. same, nur mit einem Boot/Schiff erreich - Weiter gibt es in der Novelle Beschreibun - bare Vogelinsel eine Rolle, auf die die gen von Lagerstätten von Netzen und Fi - Liebenden sich mehrmals zurückziehen schereigerät am Hafen, die als leicht bzw. sich ihre Liebe gestehen. Es gibt dort verborgene Treffpunkte/Begegnungsorte 68 Abb. 1: Karte von Maasholm und der Schleimündung (Quelle: www.openstreetmap.de) der Liebenden dienen, und auch ein Fi - 5. Der Ort Lindaunis in der „Landes - scher-Treffpunkt wird erwähnt, den es bühne“ heute mit eben dieser Lagerstätte am Maas - holmer Hafen noch gibt. Auch die Kapelle Ebenfalls ein Spätwerk ist die „Landes - auf dem Berg und den Neptun mit der Aal - bühne“ (2009), eine humorvolle, anregende stechgabel gibt es unmittelbar am Hafen. Erzählung über den Ausbruch einer Häft - Kurz zusammengefasst: Es stimmt einfach lingsgruppe mit dem Bus der Landesbühne, alles und dieser Zusammenhang mehrerer – einer umherreisenden Schauspielertruppe. eigentlich aller Orte – lässt uns sicher sein, Diese reisende (staatliche) Theatertruppe dass der Ort Maasholm der „Beheimatungs - gab es wirklich, von ihr wurden Provinzthe - ort“ für die Novelle war. ater in Schleswig-Holstein bespielt. Und noch etwas sei erwähnt: Diese Theatertruppe kommt zu einer Auf - Im Roman „Die Auflehnung“ (1994) (Nähe - führung in die der Landeshauptstadt Kiel res dazu siehe unten 6.) taucht auch zwei - nahegelegene Haftanstalt Isenbüttel – ich mal die Beschreibung eines Hafenfestes auf, konnte sie nicht identifizieren, der Name mit Rettungsbooteinsatz und Rettungsma - kommt aber als Personenname im Roman növern mit einem Hubschrauber, mit dem „Die Deutschstunde“ vor und es gibt ein Auftreten von Shantychören usw. Dies passt Isenbüttel in Niedersachsen. Während die - genau zum Programm des jährlichen Ha - ser Aufführung kapern eine Reihe von Häft - fenfestes in Maasholm. In Balnis = Arnis, lingen den Bus der Gruppe und verlassen wohin das Fest literarisch verlegt ist, wäre das Gelände der Haftanstalt. Sie kommen ein solches Manöver mit dem Hubschrau - auf der Flucht nach Grünau , in der Realität ber schon von den beengten Ortsverhältnis - ist das Lindaunis, ein Ortsteil von Lindau an sen nicht möglich. der Schlei; spielt hier die Assoziation „lind - Lenz verwendet also nicht nur wiederkeh - grün“ hinein? rend Namen in seinen Werken, sondern Zunächst wird die Anfahrt beschrieben: offenbar auch Bausteine seiner Beobachtun - Schnell fuhr der Bus die abfallende Straße hinab gen frei: ein interessanter Ansatz für die […] Über dem fernen See stand ein tadelloses Motivforschung, der in allen Werken noch Abendrot, […] der Bus schwankte, legte sich in vieles ans Tageslicht bringen wird. den Kurven zur Seite, wir im Inneren wurden hin und her geschüttelt und mussten uns an den 69 Sitzen festhalten. In der Ulmenchaussee, die über den Ort oder die Menschen, die dort leben, nach Grünau führte […], nachdem wir eine Brü - das ist die Voraussetzung jeder schriftstelleri - cke überquert hatten, sahen wir das Transparent, schen Arbeit. Dann aber kann man alles erfin - das über die Chaussee gespannt war: „Grünau den . Ja, das ist die „Beheimatung“ von heißt Euch willkommen zum Nelkenfest“ . Texten oder umgekehrt poetische Landes - Und dabei stimmt praktisch alles: die abfal - kunde. lende Straße mit den Bäumen, die Brücke – Also suchen wir noch etwas weiter in Lin - es ist die alte, kombinierte Straßen- und Ei - daunis: senbahnbrücke vor Lindaunis – ja, und im In der Erzählung spielt auch das Bauerncafé Sommer ist oft ein Transparent mit „Will - Hedwig eine Rolle, und in einem der Gäste - kommen in Lindaunis“ über die Zufahrts - zimmer übernachtet der Professor. Es heißt straße gespannt. Und dann eben auch: im Text S. 53: Den wortärmsten Glückwunsch Lindau assoziiert über „lindgrün“ gut mit zu meinem Vortrag erhielt ich von Hedwig, sie Grünau . zeigte mir eine entwertete Eintrittskarte und Dann landet der Bus auf einem abgelegenen sagte mir nur: „Das war toll, das hat sich ge - Parkplatz am See, und diesen gibt es noch lohnt“. Und dann fragte sie auch, ob ich bereits heute fast unverändert, es ist eine etwas be - eine Bleibe für die Nacht finden konnte, Grünau festigte Wiese, wo u. a. eine Badestelle und sei mit Fremdenzimmern nicht gerade gesegnet, ein Bolzplatz genutzt werden kann. in ihrem Café habe sie zwei ansprechende Unter - Im Text heißt es (S. 43): Der Bus, der unter künfte, ihr Hauptlieferant schlafe da mitunter, Erlen am Seeufer stand, war nicht mehr voll be - in jedem Fall sei es dort angenehmer als im Bus . setzt und S. 48: Wer als erster ins Wasser ging, Nun, ein solches Bauerncafé gibt es tatsäch - habe ich nicht gesehen, auf einmal standen sie - lich in Lindaunis, und auch ein paar einfa - ben meiner Gefährten im flachen Wasser des che Gästezimmer sind wie beschrieben Sees, alle nackt; sie planschten, sie bespritzten vorhanden. einander, sie versuchten, sich gegenseitig unter Auch ein Heimatmuseum wird in der Erzäh - Wasser zu drücken […] Der Badeplatz wird lung eingerichtet, und in der Tat, etwas von den entflohenen Häftlingen, die im Bus Vergleichbares gibt es gleich bei dem Bauern - wohnen bleiben, auch zum Waschen und café, ein Haus, das eine kleine Sammlung Baden genutzt. von Kunst- und Gebrauchsgegenständen Weiter wird in der Erzählung ausführlich enthält, aber nicht zu verwechseln mit dem beschrieben, wie ein Fußball-Freundschafts - neueren „Kunsthaus“. spiel zwischen dem örtlichen Sportverein Nur wenig schwieriger gestaltet sich die und den Häftlingen stattfindet, weiter gibt Realiensuche nach dem sogenannten Stadt - es nahe dabei eine kleine Ringstraße, die als haus – es soll ein repräsentatives Äußeres Kehrwiederstraße erscheint. haben. In ihm finden die Vorträge und Ver - In der Erzählung geht es um allerlei kultu - anstaltungen anlässlich des Grünauer Nel - relle Tätigkeiten der so überraschend Hin - kenfestes statt. eingeschneiten. So hält der Protagonist der Der Ort Lindau und Lindaunis hat kein Erzählung, ein Professor, der wegen Begüns - Stadthaus und keinen Saal mit Bühne und tigung von Studentinnen verurteilt ist, einen den Möglichkeiten der Verköstigung, die ja Vortrag über die Fantasie . ausführlich beschrieben werden. Ich tippe Hierzu äußert sich Lenz 2009 in einem Inter - daher auf das dem Hedwig-Café nahegele - view mit Gernot Bartels 7. gene „Torhaus“ mit dem repräsentativen Bartels führt zunächst ein Zitat aus dem Eingang und den im Roman auch genann - Vortrag an, in dem der Professor ausführt, ten Parkmöglichkeiten. er glaube sie, die Fantasie, helfe, Verzweif - Ich bin auf Lindaunis eher systematisch ge - lung zu ertragen, Hoffnungslosigkeit auszuhal - kommen: Der Ort musste an einem See oder ten, Entbehrungen zu überwinden . Und an einer seeartigen Ausbuchtung liegen, wo Siegfried Lenz sagt dazu im Interview: Er, es flach genug ist zum Baden – beides bietet der Professor, verweist auf die lebensrettende der Ort. Dazu die Anfahrt über eine Brücke, Funktion der Fantasie. die alte Eisenbahn-Auto-Brücke bei Lindau - Und wieder auf literarische Orte gerichtet nis, und nicht zuletzt die in der Erzählung sagt Lenz: Man muss genau Bescheid wissen genannten Herkunftsorte der Besucher - 70 busse, die – so heißt es in der Erzählung - fach zu finden, er ist abgelegen, gewisser - aus Eckernförde, Kappeln und zum maßen „höchst privat“, es gibt kaum Orts - Nelkenfest kommen, man ziehe eine Stand - hinweise, wohl aber sehr detaillierte ort-Kreuzlinie. Beschreibungen des Teichsystems mit Schie - Interessant ist: Lindaunis ist ein kleiner Ort bern, Zu- und Abfluss des Quellwassers, und alle aufgefundenen literarischen Orte dem großen Hauptdamm zur abfallenden liegen auf ca. 300 m beieinander und der Seite hin und den Gebäuden: das alte Wohn - ganze Ausflug und das Nelkenfest in Grü - haus, das Nebengebäude für die Wirtschaft nau haben ja etwas ganz liebevoll Klein-Pro - und Räucherei und ein neuerbautes Gäste - vinzielles! haus , in dem der Protagonist untergebracht Und abschließend kann man nur wieder wird. eines feststellen: Siegried Lenz muss sehr Der Roman ist zwar zu Lebzeiten des aufmerksam hier gewesen sein, vielleicht Autors 2010 verfilmt worden, aber die hatte er im Bauerncafé mit seiner Frau Kaf - Drehorte in Niedersachsen – Eschede, Bie - fee getrunken und eines der Fremdenzim - nenbüttel und Jesteburg – sowie in Ham - mer gebucht oder zumindest angesehen, burg entsprechen nicht den wirklichen denn sein Protagonist übernachtet ja auch Orten – Lenz verschweigt offenbar die Orte. dort in einfachen Verhältnissen. Wir hatten ja schon bei „Der Geist der Mira - belle“ und bei der „Schweigeminute“ gese - hen, dass Ortsangaben räumlich etwas 6. Der Roman „Die Auflehnung“: Süder - „umspielt“ werden. Ein erster Ortshinweis brarup, Böklund und Umgebung mit Au - mag aber die Tatsache sein, dass Siegfried wiese, Langensee und Arnis Lenz, wie bereits erwähnt, ab 1986 einen Fe - rienbungalow in Tetenhusen bei Schleswig Im Roman „Die Auflehnung“ (1994) erzählt hatte und dass Schleswig im Roman mehr - Siegfried Lenz die „Flucht“ eines älteren mals genannt wird. Mannes aus Hamburg, nachdem ihm der Die Ortsfindung lief diesmal über genaue überempfindliche Geschmackssinn abhan - Umgebungskarten, und die Suche beginnt dengekommen ist. Er arbeitete als Teever - schon bei der Anreise des Protagonisten mit koster für ein Hamburger Teeimportunter - der Bahn, vgl. den folgenden Text: Der Trieb - nehmen und lebte in einer ebenfalls durch wagen fuhr durch hügeliges Land […] An einer große Empfindlichkeit gekennzeichneten, dieser stillen, weltvergessenen Stationen, die aber erstarrten Ehebeziehung. Er flieht, Süderwullstrup hieß, stieg ein einzelner Reisen - nachdem er gekündigt hat, zu seinem der zu […] (S. 59/60). Die Station Süderwull - bodenständigen, aber auch etwas verhärte - strup ist ganz sicher Süderbrarup, auch nahe ten Bruder, der mit seiner Familie eine dem Schleifjord gelegen, und es gibt in der Teichwirtschaft (Fischaufzucht und Fisch - Tat nur eine Triebwagenverbindung von verwertungsbetrieb) führt. In Wirklichkeit Kiel über Eckernförde über Süderbrarup ist diese Flucht eine Auflehnung gegen sein nach Flensburg. Schicksal und gegen die Erstarrung in seiner Dann kommt im Buch die Station Barglund , Beziehung. das ist die nahegelegene Kleinstadt Bök - Alle Menschen werden sich in diesem lund. Mit der Ankunft des Protagonisten Roman irgendwie auflehnen, denn insbe - wird auch die angebliche Bahnstation de - sondere die unglückliche Tochter Ute des tailliert beschrieben, vgl. im Roman S. 62: Teichbesitzers, sein sympathischer Sohn Kai Die Station Barglund hatte sich nicht verändert; und auch seine Ehefrau Sofia leiden unter das ockerfarbige, von wildem Weinlaub bewach - der Enge, Strenge und Abgeschiedenheit sene Stationshäuschen lag da […] der leicht ge - dieses Lebens, und daraus ergeben sich die buckelte sandige Bahnsteig war immer noch Handlungsstränge und Konflikte. Der nicht mit Platten ausgelegt, und auf dem toten Teichwirt selbst versucht, sich gegen die ge - Gleis, verwittert und mit zerbrochenen Fenstern, fräßigen Kormorane und indirekt gegen sei - stand wie ehedem der ausrangierte Wohnwagen nen Bruder als einen vorsichtigen Kritiker für Streckenarbeiter . aufzulehnen. Nun gibt es in Böklund keine Bahnstation, Der Hauptort des Geschehens war nicht ein - aber die ausführliche Beschreibung passt 71 genau auf die Bahnstation von Süderbrarup Fensterplatz für die Begegnung mit Süverkopp vor der kürzlich vorgenommenen Renovie - reservieren zu lassen. An der Treppe, die zur um - rung, samt der Farbe des Gebäudes, den un - laufenden Plattform hinaufführte, sprachen ihn gepflasterten Bahnsteigen und dem Wagen zwei Kinder an […]. auf dem Abstellgleis, also wieder ein Ver - In Arnis konnten über die Beschreibung satzstück, das von Siegfried Lenz zur poeti - mehrerer Besuche der Protagonisten die fol - schen Situierung des Milieus eingesetzt genden Örtlichkeiten gefunden werden wird. konnten: Böklund wird im Roman öfter auch für Ein - - Das Kanton , in Wirklichkeit die „Schlei - käufe und für Fischlieferungen an das perle“, ein auf einem Steg gelegenes Hotel-Restaurant Quellenhof aufgesucht, Café-Restaurant mit umlaufender Ter - und dort findet auch ein verunglücktes Fa - rasse (so auch im Roman beschrieben 9), milienessen statt. Dieses Hotelrestaurant das als Ort differenzierter Tee-Angebote gibt es unter gleichem Namen noch heute in vom Protagonisten zur Erprobung seiner Böklund, man kann es im Internet finden, Geschmacksfähigkeiten mehrfach aufge - und die genaue Lage-Beschreibung im sucht wird. Es gibt für dieses Restaurant Roman passt. ein absolutes Alleinstellungsmerkmal, Auch die sich anschließende Fahrt des Pro - heißt es doch im Text S. 205: In einer Ni - tagonisten von Böklund zur Teichwirtschaft sche zum Eingang des „Kanton“ stand, kaum gleicht eher einer Fahrt von Süderbrarup benutzt, eine Bürstenwalze, die noch Willys nach und der Auwiese, da kann man Onkel Oswald hatte anbringen lassen, um nämlich den Schleifjord , wie mehrmals be - dem Gast Gelegenheit zu geben, seine Schuhe schrieben, sehen, bei einer Fahrt von Bök - vom Staub oder, wenn es geregnet hatte, von lund aus geht das nicht. So heißt es denn im Spritzern und Lehmklümpchen zu säubern. Text (S. 63): Als sie den Hügel mit der stillge - Willy trat auf den Bedienungsknopf […]. Ja, legten Mühle erreichten, sah Willy in der Ferne und genau diese Walze gibt es, am ange - den Fjord, die Schlei, ein grün gesäumtes Band, gebenen Ort (nur) bei der Schleiperle auf dem reglos in der abendlichen Flaute und wie noch heute! für einen Prospekt arrangiert, ein paar Segel - Weiter wird das Restaurant Altes Fähr - leuchteten . haus erwähnt, auch heute noch mit glei - Sehr leicht war auch noch der Nebenschau - chem Namen versehen, mit dem bei Lenz platz Arnis an der Schlei – verschlüsselt in verwaisten, aber in Wirklichkeit in Be - Balnis – zu finden. Es handelt sich um die trieb befindlichen Fähranleger , kleinste deutsche Stadt mit Stadtrechten, - dann die Hauptstraße mit Fischerhäusern dies wird auch erwähnt, was der folgende, und dem charakteristischen Kopfstein - etwas längere Textauszug belegt. Er zeigt, pflaster , alles so vorhanden, wie Lenz die Beschreibung des Ortes mit - weiter die Schiffs- und Bootswerft mit dem Milieu und der Romanhandlung ver - der Schienenslipanlage – es gäbe da zwei webt 8: Möglichkeiten: die große Werft Matthies - Balnis war gefegt, geschrubbt; Balnis, der einstige sen und Paulsen und die kleinere Boots - Fischerort mit altem Stadtrecht, war aufgeräumt werft. Genaues Lesen hilft: Die junge und beflaggt und wie zur Besichtigung herge - Sekretärin des Protagonisten stammt aus richtet: Vielleicht brauchen sie die Idylle, die der Mini-Stadt und ist mit der Tochter Kehrseite, wenn sie von See kommen, vielleicht des Teichwirts befreundet. Sie sucht in zeigt sich in der heimeligen Enge ihr Verlangen Arnis ihre heimatlichen Wurzeln und nach Geborgenheit, und in der Sommersonne findet sie, ihren Halbbruder Dirk, ihr an den niedrigen alten Häusern vorbeigehend, Elternhaus. Die Beschreibung ihres dachte er: zu Hause ist einer nur am begrenzten Zimmerfensters: sie deutete auf ein Eckfens - Ort. Er war dem Wanderweg am Fjord gefolgt, ter im oberen Stock im Haus aus rotem Klin - hatte lange am Werftgelände gestanden und von ker 10 und die Tatsache, dass auf der Werft ferne zugesehen, wie ein repariertes Fischerboot auch große Fischereifahrzeuge repariert zu Wasser gelassen wurde [...]. und geslippt werden können, lässt die Und wenig weiter heißt es: Es war Zeit, ins Entscheidung für die große Werft ausfal - „Kanton“ einzukehren, nicht zuletzt, um einen len. 72 Und nicht zuletzt ist da auch die kleine sen (Lenz schildert, dass es schon damals Badestelle mit Steg, an der der Protago - ökonomisch schwierig war), aber es ist alles nist und jene ehemalige Sekretärin etwas noch da – etwas zugewachsen, die Teiche mehr als eine Badegelegenheit suchen mit Entengrütze bedeckt – aber gut erkenn - und finden. bar: die drei Gebäude, der Hauptdamm und Und jetzt sind wir schon ganz nah am zen - die Teiche mit den Schiebern. tralen Handlungsort, der Teichwirtschaft, Das Gästehaus ist heute umgebaut und jetzt dran: Denn auch der nahegelegene Langen- Wohnhaus, das alte Wohnhaus sieht ein See mit seinem Landgasthof , in den öfter wenig heruntergekommen aus, ansonsten Fische zu liefern sind, war in Süderfahren - ist das Grundstück sehr gepflegt. stedt zu finden. Der See ist der „Langsee“ Der Autor muss zugeben, dass er den vom und der Gasthof heißt auch heute noch Protagonisten benutzten, von des Bruders „Landgasthof (Munkeby)“, er liegt schon Tochter Ute oft heimlich gegangenen Weg ganz nahe an der Teichwirtschaft. entlang der Maisfelder und durch den kleinen Und siehe da, eine Detailkarte deutet bei Wald hin zu einer angeblichen Bauernkate Auwiese eine Teichgruppe an und ein nahes mit dem „geliebten“ Bösewicht Berni mit Wäldchen, das eine Rolle spielt, der kleine Andacht und vorsichtiger Erwartung ge - Zuweg endet hier, genau wie im Roman, wo gangen ist: der kleine Wanderweg – der es auf S. 65 heißt: Als sie den Hang hinabroll - auch heute noch an einem Maisfeld vorbei ten, als unter ihnen, verschwommen im bläu - und dann durch ein Wäldchen geht – führt lichen Abenddunst, das System der terrassierten in der Tat zu einem bäuerlichen Anwesen Teiche zu erkennen war und das Haus und die mit altem, reetgedecktem Bauernhaus. überdachten Bassins, bat Willy den Jungen, Die bei Lenz beschriebene Verwahrlosung einen Augenblick zu halten, und Kai hielt, ohne der Nerzfarm ist heute sorgfältiger Ordnung den Motor abzustellen. Nicht suchend oder be - gewichen, und auch die hölzerne Treppe unruhigt blickte Wittmann ins Tal, sondern ge - zum Eingang, die oft Warteort oder Erwar - lassen und zufrieden, erfüllt von einem Gefühl tungsort im Roman ist und die der Autor wiedergefundener Zugehörigkeit […]. bei seinem ersten Besuch noch vorfand, ist Die Abb. 2 zeigt die Lagekarte. inzwischen abgebrochen. Dafür ist jetzt eine Und so war sie denn gefunden. ganz neue Haustür da und der verwilderte Heute ist die Teichwirtschaft zwar aufgelas - Garten ist nun eine „moderne“ Schotter-

Abb. 2: Lage der Auwiese (Quelle: www.openstreetmap.de, verändert)

73 Parkfläche, ansonsten aber passt die Be - Inspiration für literarische Orte und menschli - schreibung genau. che Lebenssituationen bei Siegfried Lenz, be - Wieder verblüfft die Präzision auch der sonders in den Ostsee- und Schlei-Geschichten Wegbeschreibungen entlang des Maisfeldes, 2 Interview ausgestrahlt in der Reihe „Talk“ am 26. Dezember 2002 beim Deutschlandfunk. mit dem kleinen Wäldchen, dem Kamm Alle folgenden Erscheinungsdaten und Nach - und dem Abhang der Endmoräne, wieder weise zum Werk beziehen sich auf die Origi - muss man sagen: Siegfried Lenz war hier, nalausgaben beim Verlag Hoffmann und länger hier, vielleicht hat er die Teichwirt - Campe, Hamburg; es ist eine wissenschaftliche schaft im Urlaub besucht, war in jenem Gäs - Gesamtausgabe in Vorbereitung, die an der tehaus, das er auch von innen so genau Universität Göttingen betreut wird und in die beschreibt? Und die Schönheit der umge - auch die folgenden Erkenntnisse einfließen benden Landschaft legt das auch nahe: eine werden. 3 Vorwort, S. 10 der Erstausgabe, Hoffmann und vorübergehende „Flucht“ und Auflehnung Campe, Hamburg 1975 gegen das überdifferenzierte Leben in Ham - 4UWE HERMS im Sammelband: Im Land zwi - burg? Wir können es so deuten, denn es schen den Meeren. Reisen in das unbekannte passt zu dem, was Lenz in Interviews gesagt Schleswig-Holstein, Rasch und Röhring Verlag, hat. Hamburg 1996 5 siehe Anm. 1. 6 abgedruckt in „Die Zeit“ vom 14. Mai 2008, Er - klärungen in [ ] vom Verf. Anmerkungen 7 abgedruckt im „Tagesspiegel“ vom 21.9.2009 8 „Die Auflehnung“, S. 403 1WOLFGANG EICHLER , Siegfried Lenz: Weltlitera - 9 ebda. S. 405 tur ist Heimatliteratur? Geographische Orte als 10 ebda. S. 217 in Verbindung mit S. 420

BERNHARD ASMUSSEN Allerhöchster Besuch an der Geltinger Bucht

Ministerpräsidentin Heide Simonis war berg, und er war sicherlich hier, wenn er auf schon in Steinberg und lange vor ihr zur Schloss Gottorf residierte. Aber das ist lange Einweihung der „Nordstraße“ im März her, und kaum jemand außer den Chronis - 1953 der Ministerpräsident Friedrich Wil - ten weiß noch davon. 2 helm Lübke. Ministerpräsident Gerhard Auch dem dänischen König Christian VII. Stoltenberg und der Finanzminister und (1749–1808) wurde in besonderer Weise ge - vorherige Flensburger Landrat Gerd Lausen huldigt, als man das Innere der Steinberger machten auf ihren Wahlkampftouren Sta - Kirche beim Umbau zu einem barocken Saal tion in Gelting und in Steinberg, ebenso der im Jahre 1766 mit seinem Monogramm weithin bekannte Politiker Egon Bahr in „C 7“ schmückte. In der zweiten Hälfte des Norgaardholz. Aber das reicht bei Weitem 18. Jahrhunderts blühten Handel und nicht an das heran, was die Geltinger Bucht Handwerk auch im Herzogtum Schleswig an „Politprominenz“ im 19. Jahrhundert er - auf und beförderten so manches Bauvorha - lebte, als das Steinberger Haff 1 in königli - ben. Es war eine friedliche Zeit, die man chem und kaiserlichem Licht erstrahlte. auch die „florissante [blühende] Periode“ Zwar hatte schon Christian I., König von nannte. 3 Christian VII. war am 14. Januar Dänemark, Norwegen und Schweden und desselben Jahres – wenige Tage vor seinem Herzog von Schleswig als Besitzer des Ad - 17. Geburtstag – als Nachfolger seines ver - ligen Gutes Steinberggaard von etwa 1460 storbenen Vaters Friedrich V. gekrönt wor - bis 1470 seinen „Zweitwohnsitz“ in Stein - den und heiratete im November seine 74