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Gipskuhle Othfresen (nördliches Harzvorland) – Von einer Mülldeponie zu einem artenreichen Bio- und Geotop Friedhart Knolle1, 3, Heinz-Gerd Röhling2 , Volker Schadach3, Regine Schulz3 1 Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz e.V., Grummetwiese 16, D-38640 Goslar, [email protected] 2 Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, Stilleweg 2, D-30655 Hannover, [email protected] sachsen.de 3 Natur- und Umwelthilfe Goslar e.V., Gutenbergstr. 3, D-38640 Goslar, [email protected]
Einführung
Abb. 1: Renaturiertes Bio- und Geotop „Gipskuhle Othfresen“ (Foto: Heinz-Gerd Röhling)
Während das südliche Harzvorland für seine Gips- tendes Dokument der erdgeschichtlichen Entwicklung karstlandschaften weithin berühmt ist, sind solche Ge- des nördlichen Harzvorlandes und des Geoparks Harz biete im nördlichen Harzvorland eher selten. Östlich . Braunschweiger Land . Ostfalen. von Liebenburg-Othfresen befindet sich die ehemalige Gipskuhle Othfresen. Hierbei handelt es sich um das Abstract einzige Gipskarstgebiet im Landkreis Goslar bzw. im nordwestlichen niedersächsischen Harzvorland. The southern Harz foothills are famous for their Das Gipsvorkommen wurde über lange Zeit durch gypsum-karst landscape, yet this type of landscape einen Steinbruch ausgebeutet, der auch zwei kleine is rarely found in the northern Harz foothills. East of Gipshöhlen angeschnitten hat. Lange nach Auflassung Liebenburg-Othfresen the abandoned gypsum quar- des Abbaus wurde dann das Abbauareal, das auch als ry Othfresen in situated. It is the only gypsum-karst wilde Mülldeponie diente, mit Fichten aufgestockt. Im area in the administrative district of Goslar or in the Rahmen seines Magerrasen-Naturschutzprogramms northwestern Harz foothills in Lower Saxony. The „Salzgitterer Höhenzug“ wurde diese Fehlbestockung gypsum quarry was exploited for a long time during dann durch den Verein Natur- und Umwelthilfe Goslar which at least two small caves were discovered. Af- e.V. beseitigt und das gesamte Gebiet renaturiert. Die ter quarrying, the site was misused as a landfill and ehemalige Gipskuhle Othfresen hat sich in den vergan- was afforested with spruce monoculture. During the genen Jahren nicht nur zu einem artenreichen Biotop course of the unimproved grassland nature conserva- entwickelt, sondern ist heute auch wieder ein bedeu- tion programme “Salzgitterer Höhenzug” this unsuit- SDGG, Heft 76 – Geotop 2011 69 able planting was replaced. In the past years, the for- röthlich, die oberen Massen sind spathig (Fraueneis), mer gypsum pit Othfresen has become a species-rich die unteren schuppig, körnig und dicht. Die hervorra- habitat and it is also now an important geosite within genden Kuppen sind sehr verwittert; Fasergips wird the GeoPark Harz . Braunschweiger Land . Ostfalen. nicht gefunden. Der Gips kömmt in Massen ohne ein erkennbares Streichen und Fallen vor und enthält Lage und geologische Situation einige Höhlen von nicht bedeutender Ausdehnung“. Etwa 1 km südöstlich von Othfresen bzw. ca. 500 m Als Mühlenberg wurden damals – gemäß der geolo- südwestlich von Liebenburg-Heimerode (Landkreis gischen Karte (Unger 1843) – die drei Bergkuppen Goslar, Nordharzvorland) ist im Bereich der West- Flöte-, Galgen- und Grevelberg bezeichnet. flanke des Salzgitterer Höhenzuges am östlichen Für die Gipse werden bei Müller (2006) Mächtigkei- Grevelberg eine der geologischen Besonderheiten im ten von mindesten etwa 10 m angegeben. Anhand nördlichen Harzvorland zu finden – die sog. „Gips- einer Kette dolinenartiger Vertiefungen in der öst- kuhle Othfresen“ bzw. „Alabasterkuhle Othfresen“ lichen Fortsetzung, im tektonisch Hangenden des (Look 1984). Dieser ehemalige Gipsabbau liegt im Vorkommens, lassen sich die Rötgipslagen sowohl in Blattgebiet der TK/GK25 Blatt 3928 Salzgitter-Bad nördlicher als auch in südlicher Richtung weiter verfol- (Koordinaten: TK25 3928 Salzgitter-Bad, Rechtswert gen. Begleitet werden die Gipse sowohl im Liegenden 3596682, Hochwert: 5764575 (etwa Grubenmittel- als auch im Hangenden von roten Tonsteinen des Obe- punkt), s. a. Lageskizze Abb. 2). Heutiger Eigentü- ren Buntsandstein bzw. Röt, die dann im Westen an mer des Geländes ist der in Goslar ansässige Verein die diskordant überlagernden basalen Ablagerungen „Natur- und Umwelthilfe Goslar e.V.“ der Unterkreide grenzen. In älteren Arbeiten wird die- se Grenze noch als Störung gedeutet (u. a. Schroeder 1912, Dahlgrün 1934a). Beglei- tet werden die Gipslagen im Westen, also im stratigraphisch Hangenden, von einer perlschnurartigen Aufreihung von rund- lichen Muschelkalkschollen. Unmittelbar westlich der Gipskuhle liegen mindestens vier solcher Vorkommen, die einen Durch messer von etwa 10 bis 15 m erreichen. Schroeder (1912) sowie Dahlgrün (1935) deuten diese Muschelkalkvorkommen als an einer größeren Störung (s. o.) mitge- schleppte Schollen. Nach Müller (2006) handelt es sich dagegen um Relikte von Muschelkalk-Gleitschollen, die in Dolinen im Oberen Buntsandstein auf einer (prä-) Unterkreide-zeitlichen Landoberfläche er- Abb. 2: Lageplan (Ausschnitt aus der TK25 Blatt 3928 Salzgitter-Bad) halten geblieben sind.
In der Gipskuhle Othfresen steht östlich des Galgen- berges im Kern des Salzgitterer Sattels inmitten von kretazischen Kalksteinen, die weithin die Oberfläche des Liebenburger Salzstockes prägen, in überkippter Lagerung eine Schichtenfolge mit Gipsen und roten Tonsteinen an (siehe auch Müller 2006). Unger (1843) – er fertigte die erste geologische Karte des Salzgitterer Höhenzuges – beschreibt den Abbau wie folgt: „In dem Liebenburger Thale, vorzüglich nach dem Mühlenberg zu, tritt G i p s an mehreren Stellen aus den bunten Mergeln des bunten Sandsteins hervor und wird in einem Steinbruche am Fuße des Mühlenberges Abb. 3: Detailaufnahme mit Schlottenköpfen aus dem Bereich gewonnen. Seine Farbe ist ganz weiß, weiß mit grau- der ehemaligen nördlichen Abbauwand (Foto: Heinz-Gerd en Streifen und Wolken, ganz grau, fleischfarbig und Röhling) 70 SDGG, Heft 76 – Geotop 2011
Früher wurde das verkarstete (siehe unten) Gipsvor- kleine Naturhöhlen angeschnitten (Wrede 1976), das kommen dem Zechstein zugeschrieben (Dahlgrün Große Zwergenloch (auch Zwergenloch A, Kat.-Nr. 1939). Nach den Ergebnissen jüngerer Kartierungen 3928/01 des Höhlenkatasters der heutigen Arbeitsge- durch das Institut für Geologie und Paläontologie der meinschaft für Karstkunde Harz e.V., s. a. Abb. 6) und TU Clausthal sprechen heute viele Argumente für eine das Kleine Zwergenloch (auch Zwergenloch B, Kat.-Nr. Zuordnung der Gipse zum tieferen, salinar geprägten 3928/02). Bei diesen mundartlich auch „Twarglöcher“ Oberen Buntsandstein (s. a. Müller 2006: Abb. 2) bzw. (Wrede 1976) genannten Höhlen handelt es sich um zur Röt-Formation. So ist beispielsweise im südöstlich die einzigen Gipshöhlen im Landkreis Goslar. Sie der Gipskuhle Othfresen gelegenen Tagebau Barley wurden von Cramer et al. (1969) erstmals vermessen. ein Gipsvorkommen in einer tektonisch verlagerten Das Kleine Zwergenloch wurde im Frühsommer 1975 Rötgipslinse angeschnitten (Kolbe et al. 1981, Kolbe durch Wrede (1976) aufgewältigt: „Aufwältigungsar- et al. 1984). beiten …. förderten zunächst die Scherben einiger Dutzend Bierflaschen zu Tage und öffneten dann den Weiter nördlich der Gipskuhle Othfresen streichen die Zugang zu einem schichtparallel mit ca. 50° nach Os- Gipse im Bruchfeld nahe des ehemaligen Schachtes ten einfallenden, niedrigen Raum von ca. 5 x 3 Meter Bismarck noch einmal zu Tage aus (Seitz 1954). Ausdehnung. Der Boden der Höh- le ist völlig mit Glasscherben und Verbruch bedeckt; Fortsetzungen scheint die Höhle nicht zu besitzen. Eine kleine Naturbrücke über dem Eingang des Kleinen Zwerglochs (3928/02) stürzte im Frühjahr 1975 ein. Sie deutete offensichtlich einen früher vorhanden gewesenen Schlot zur Oberfläche an. Der Eingang in das Große Zwergloch (3928/01) befindet sich in einer Doli- ne etwa 60 m südöstlich des Kleinen Zwerglochs. Er führt zunächst in südöstlicher Richtung in einen nied- rigen Raum, in den auch ein winzi- ger Nebeneingang aus nordöstlicher Abb. 4: Detailaufnahme der Gipse (Foto: Heinz-Gerd Röhling) Richtung einmündet. Von diesem Raum aus führt ein im Streichen der Nutzung der Gipse Schichten angelegter Gang etwa 10 Die Gipse bei Othfresen wurden nachweislich bereits Meter weit nach Süden. An der tiefsten Stelle des Ganges im 19. Jh. zur Bau- und Stukkaturgips-Gewinnung ab- sammelt sich zeitweise Wasser; die letzten 5 Meter steigt gebaut. Der Gipsabbau ist aber vermutlich bereits viel der Gang steil an und mündet in eine südost-nordwest älter. So hat z. B. die Gipsgewinnung im benachbarten verlaufende Querkluft, die sich nach Osten noch etwa Harly eine sehr lange Vorgeschichte. Aus diesem Ge- 8, nach Westen 3 Meter weit befahren läßt. Der Boden biet wurde bereits im Jahre 1571 der „Alabaster von des Eingangs und des Nord-Süd-Ganges ist mit Gips- Wöltingerode“ erwähnt (Trunz 2000). schutt bedeckt. Der Boden des Querganges bildet eine Halde aus eingeschwemmtem rotem Lehm mit aus dem Wo der Gipsofen stand, zu dem der Gips von Oth- Deckenverbruch stammenden Gipsbrocken“. fresen transportiert wurde, ist noch unklar. Aus dem Interessant sind Funde von Kieselschiefer- und Grau- Gebiet nördlich dieses Abbaugebietes ist u. a. ein Gips- wackegeröllen aus dem benachbarten Harz, die sich ofen in Gebhardshagen bekannt. häufig auf den Äckern im Umfeld der Zwerglöcher, vereinzelt aber auch in den Höhlen selbst finden. Die Naturhöhlen und Stollen auffallende Verebnungsfläche, in der das verkarstete Das Gipsvorkommen von Othfresen ist – wie Abb. 5. Gipsvorkommen liegt, wurde von Spreitzer (1931) als zeigt – z. T. stark verkarstet, wobei die Karstschlotten ältester Talboden der Innerste gedeutet. Nach Wrede mit roten Ton- und Schluffsteinen gefüllt sind. Zudem (1976) macht dies eine Höhlenentstehung im damaligen gibt es im Bereich des Gipsausstriches neben Doli- präglazialen Grundwasserniveau wahrscheinlich. nen und Abbauresten zahlreiche Karstschlotten und Thielemann (1959) beschreibt aus der Umgebung Schlottenköpfe. Im Steinbruchbereich selbst sind zwei der Zwerglöcher archäologische Funde von mittel SDGG, Heft 76 – Geotop 2011 71
ca. 15,5 m unter Böschungsoberkante angesetzt wor- den. Eine Wiederöffnung zu Zwecken des Fleder mausschutzes verbot sich aufgrund dieser tiefen, von Hangschutt verdeckten Position somit aus Kosten- gründen. Ob diese Teufe der tiefsten Steinbruchsohle entspricht, ist unklar.
Die Gipskuhle als schutzwürdiges Geotop Aufgeschlossene Anhydrite bzw. -gipse im Bereich von Salzstrukturen sind in Deutschland seltene Erschei- nungen (Fulda 1938, Herrmann 1964, Look 1984, Rein- both 2005); der Erhalt und die Pflege dieser Geotope ist daher von überregionaler Bedeutung. Vergleichba- re Gipsaufschlüsse gibt es in Norddeutschland nur an wenigen Stellen, so in bzw. bei Bad Segeberg, Bee- senlaublingen, Drohndorf, Lüneburg, Lübtheen, Salz- gitter-Thiede, Sperenberg, Westeregeln und Staßfurt. Insbesondere die bereits oben kurz angerissene geolo- gische Situation, der Nachweis einer alten kreidezeitli- chen Landoberfläche mit einer frühen Verkarstung des evaporitischen Oberen Buntsandstein und den damit verbundenen Subrosions- und Rutschungsphänome- nen (siehe Müller 2006) sowie die wirtschaftliche Nut- zung der Gipse macht die „Gipskuhle Othfresen“ in Verbindung mit anderen Geotopen aus der Umgebung Abb. 5: Verkarsteter Gips in der „Gipskuhle Othfresen“ (Foto: zu einem wichtigen Dokument der erdgeschichtlichen Heinz-Gerd Röhling) Entwicklung des Salzgitterer Höhenzuges und des gesamten nördlichen Harzvorlandes. steinzeitlichen Geräten und deutet die Möglichkeit Aus Sicht des Geotopschutzes war es daher beson einer frühzeitlichen Besiedlung der Höhlen an. ders wichtig, dass ein großer Teil der natürlichen Im Bereich der westlichen Steinbruchwand wurde der bzw. anthropogen überprägten Morphologie dieses sog. „Gipsbruchstollen“ zu Zwecken der Eisenerz Sulfatvorkommens erhalten bzw. wieder freigelegt prospektion angesetzt und nach Westen aufgefahren. wurde und damit für Forschung, universitäre, aber Er stieß nach ca. 40 m Vortrieb auf den hier 12,5 m auch schulische Ausbildung sowie für heimatkundli- mächtigen Eisenerzhorizont, der mit 45° nach NE che Exkursionen auch zukünftig zur Verfügung steht. überkippt ansteht (Dahlgrün 1935). Nach Rissen des Bergamtes Goslar und Nachvermessungen von Sieg Renaturierungsarbeiten 1988 - 2008 fried Wielert 2005 und 2008 ist das Stollenmundloch Auf dem Gipskarst mit seiner stark reliefierten Ober- fläche und im historischen Gipssteinbruch mit sei nen Steilwänden hatte sich seit Auflassung des Ab- baues ein besonders schutzwürdiger Lebensraum ausgebildet. Wirtschaftlich kaum zu nutzen, wurde die Gipskuhle über längere Zeit zu einer Mülldepo nie degradiert. Vor etwa 50 Jahren wurde das Stein- bruchareal dann durch die Feldgemeinde Othfresen mit Fichten aufgestockt; bis auf den tiefsten Punkt der Gipskuhle war das gesamte Areal mit einer finsteren Fichtenmonokultur überwachsen. Den Zustand vor der Aufforstung im Bereich des Großen Zwergenlo- ches zeigt ein Foto auf Tafel 1 bei Thielemann (1959). Ende der 1980er Jahre waren die Fichten schließlich so Abb. 6: Mundloch des Großen Zwergenlochs 2008 (Foto: Sieg- groß geworden, dass die hier heimischen Pflanzenar- fried Wielert). ten fast vollständig verdrängt worden waren. Es war 72 SDGG, Heft 76 – Geotop 2011 somit höchste Eile geboten, gegen diese Bedrohung eine zuvor vereinbarte Entschädigungssumme für den vorzugehen. Das Ausmaß der Gefährdung ließ rein abzuholzenden Baumbestand. Nach Abschluss eines kosmetische Naturschutz-Pflegearbeiten in geringem Pachtvertrages im November 1988 wurden die Fichten Umfang nicht mehr zu. im nördlichen Teil der Gipskuhle gefällt. Die Stäm- me wurden entastet und noch vor Ort zu Zaunpfählen Erste Renaturierungsphase weiterverarbeitet, die dann auf anderen Flächen des Fördervereins Natur- und Umwelthilfe Goslar e.V. zum 1988 nahm daher der Förderverein Natur- und Um- Schutz neu angepflanzter Büsche vor Wildverbiss ein- welthilfe Goslar e.V. im Rahmen seines Magerrasen- gesetzt wurden. Möglich wurden diese Arbeiten nur Naturschutzprogramms „Salzgitterer Höhenzug“ mit durch die tatkräftige Hilfe vieler Vereinsmitglieder und der Feldgemeinde Othfresen Verhandlungen auf. Ziel Freiwilliger. So konnte z. B. die Bundeswehr gewon- der ersten Projektphase war es, den aufgewachsenen nen werden, die – um der Natur wieder auf die Beine Fichtenwald zu entforsten und die ursprüngliche Ve- zu helfen – regelmäßig mit ca. 30 Rekruten zu den getation zu renaturieren. Arbeitseinsätzen anrückte. Nachdem Beseitigung des Nach langen Verhandlungen überließ die Feldgemein- Baumbestandes galt es den wieder freigelegten Erdbo- de Othfresen dem Verein mit dem nördlichen Teil die den von allem zu befreien, was die standortgerechten Hälfte der Gipskuhle für die geplanten Renaturierungs- Pflanzen vertreiben könnte. So wurden dicke Schichten arbeiten. Mit Datum vom 26.7.1988 stellte der Verein aus Fichtennadeln abgeräumt, alle Stuken gerodet, zu der Feldgemeinde eine detaillierte Arbeitsplanung für dicke Mutterbodenschichten abgetragen, steil abfal- die Entforstungsmaßnahmen zu. Gleichzeitig zahlte er lende Felswände wieder freigelegt und der über viele Jahre angesammelte Müll beseitigt. Schließlich wurde mit dem Bagger das natürliche, stark wellige Relief der Gipskuhle wiederhergestellt. Die zahlreichen, verschiedenen und eng beieinander liegenden Le- bensräume, die sich durch unter- schiedliche Hangneigung, Beson- nung und Wasserversorgung bil- den konnten, waren eine optimale Voraussetzung dafür, dass sich in der Gipskuhle schon bald wieder die Pflanzenarten ausbreiten konn- ten, die hier vor der Aufforstung heimisch waren. In den Bereichen der ehemaligen Fichtenbestände wurde mit vielen Helfern und der Bundeswehr eine standortgerechte Samenaussaat, die zuvor im wei teren Umfeld gesammelt worden war, verteilt und eingeharkt.
Zweite Renaturierungsphase Die zweite Projektphase startete im Jahre 2005 im südlichen Bereich der Gipskuhle, als von der Feldge meinde Othfresen die Flurbereini- gung beschlossen, beantragt und vom Land auch bewilligt worden war. Während der Anfangsphase hatte der Verein Natur- und Um- welthilfe Goslar e.V. mit diesem Abb. 7: 1983 aufgenommenes Luftbild (Lage siehe Abb. 2) vor der Renaturierung – nur Verfahren Probleme, weil aus dem wenige Flächen hatten die Verfichtung überstanden (Pfeil) (Archiv Natur- und Um- überplanten Bereich die vereins welthilfe Goslar e.V.) eigenen Grundstücke – warum SDGG, Heft 76 – Geotop 2011 73
Abb. 8: Renaturierungsarbeiten im Jahre 2008 (Foto: Regine Abb. 9: Maschinelle Bearbeitung der Steinbruchsohle vor der Schulz). Wildblumen-Einsaat 2008 (Foto: Regine Schulz). auch immer – ausgegrenzt waren. Diese Grenzlegung bulbosus), Tauben-Skabiose (Scabiosa columbaria), wurde in einem nachfolgenden Erörterungstermin ge Kleiner Wiesenknopf (San-guisorba minor), Golddistel ändert, so dass der Verein danach als nunmehr be- (Carlina vulgaris), Scharfer Mauerpfeffer (Sedum acre), troffener Grundstückseigentümer automatisch in die Behaarte Gänsekresse (Arabis hirsuta), Stengellose Planungen mit einbezogen wurde und an allen Bespre- Kratzdistel (Cirsium acaule), Fieder-Zwenke (Brachy- chungen und Erörterungsterminen teilnehmen konnte. podium pinnatum), Aufrechte Trespe (Bromus erectus), Dabei zeigte sich bereits frühzeitig, dass die geplante Frühlings-Fingerkraut (Potentilla neumanniana), Klei- Flurbereinigung durchaus Positives für den Natur- und nes Habichtskraut (Hieracium pilosella) und Rapunzel- Geotopschutz bringen konnte. So beantragte der Ver- Glockenblume (Campanula rapunculus). Aber auch ein bereits in der Planungsphase, dass der Kalkrücken gefährdete Pflanzenarten haben sich wieder ausbrei- auf dem Grevelberg und die große Grünbrache am ten können; so finden sich hier wieder Fransen-Enzian Galgenberg den Vereinsflächen zur Abrundung und (Gentianella ciliata), Deutscher Enzian (Gentianella besseren Biotopvernetzung zugeordnet werden soll germanica), Silberdistel (Carlina acaulis), Teufelsab- ten. Als Ausgleichsmaßnahme erwarb der Verein eine biss (Succisa pratensis), Heide-Nelke (Dianthus delto- hochwertige Ackerfläche, die dann in den Flächenpool ides), Karthäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum), der Flurbereinigung eingebracht wurde. Pracht-Nelke (Dianthus superbus), Türkenbund-Lilie (Lilium martagon), Manns-Knabenkraut (Orchis mas- Der Hauptbestandteil dieser Bemühungen war die Ge- cula), Gewöhnlicher Wundklee (Anthyllis vulneraria), samtfläche der Gipskuhle Othfresen – mit ihr würden Wiesen-Salbei (Salvia pratensis), Großer Ehrenpreis sich in der Folge der Flurbereinigung die vereinseige- (Veronica teucrium), Gewöhnliches Sonnenröschen nen Kalkvegetationsflächen Othfresen um insgesamt (Helianthemum ovatum), Echte Schlüsselblume (Pri- ca. 5 ha Vereinsfläche vergrößern. Die Gespräche und mula veris), Berg-Klee (Trifolium montanum), Nicken- Verhandlungen mit der Feldgemeinde Othfresen, dem des Leimkraut (Silene nutans), Gewöhnliche Akelei Amt für Landentwicklung Göttingen und dem Pla (Aquilegia vulgaris) und Acker-Rose (Rosa agrestis). Im nungsbüro GfL (Bremen) gestalteten sich konstruktiv tiefsten Teil der Gipskuhle, der in niederschlagsreichen und 2008 konnte die Renaturierung tatsächlich abge- Frühjahren geflutet ist, hat sich ein Massenbestand der schlossen werden. Mit erheblichem Engagement eh- Sibirische Schwertlilie (Iris sibirica) angesiedelt. renamtlich tätiger Vereinsmitglieder und schwerem Gerät wurde der Rückbau des dort in der Gipskuhle Das Große Zwergenloch dient in der kalten Jahreszeit nicht standortgerechten Fichtenwaldes zum Kalk-Halb- als Tier-Überwinterungsquartier und ist auch aus die- trockenrasen durchgeführt und gleichzeitig Teile des ser Sicht schutzwürdig. Das Gelände ist frei zugäng- Gipskarst-Geotops wieder hergestellt (Abb. 4, 5, 6). lich, bei jeder Begehung ist jedoch auf die wertvollen Biotope Rücksicht zu nehmen. Die Gipskuhle als schutzwürdiges Biotop Öffentlichkeitsarbeit, Umweltbildung und Die natürlichen Prozesse reagierten außerordentlich schnell auf die initialen Renaturierungsarbeiten. Heute geotouristische Nutzung finden wir im schon früher renaturierten nördlichen Bereits im Vorfeld der geplanten Renaturierungsar- Teil der Gipskuhle wieder viele Arten der Kalkhalb- beiten an der ehemaligen Gipskuhle Othfresen wur trockenrasen wie Knolliger Hahnenfuß (Ranunculus de die Öffentlichkeit eingebunden. Auch während der 74 SDGG, Heft 76 – Geotop 2011
rung statt, so dass das gesamte Projekt letztlich eine breite Akzeptanz fand. Geotouristisch ist die Gipskuhle Othfresen in die „Landmarke 18 Schloss Liebenburg“ (s. a. Abb. 12) des Geoparks Harz . Braunschweiger Land . Ostfalen eingebunden. Landmarken im eigentlichen Wortsinn sind weithin sichtbare Objekte in der freien Land schaft (Berggipfel, Fördertürme, Burgen, Schlösser u. a.). Mittlerweile existieren 18 solcher Landmarken. Bislang decken sie – flächendeckend – vor allem den Harz und die ihm im Süden vorgelagerte Gipskarst- landschaft ab. Schrittweise soll nun auch das nördliche Harzvorland – das Braunschweiger Land bzw. Ostfa- len – durch Landmarken abgedeckt werden. Innerhalb der Grenzen einer Landmarke gruppieren sich um den „Leuchtturm“ – im Falle der Liebenburger Landmarke Abb. 10: Biotop- und Geotopschutz – kein Gegensatz. Im Foto: das Schloss Liebenburg – auch für den Laien geolo- Dr. Klaus George vom Geopark Harz . Braunschweiger Land . gisch interessante „Geopunkte“. Zu jeder Landmarke ist Ostfalen (Foto: Heinz-Gerd Röhling) ein informatives Faltblatt erschienen, das Sehens- und Wissenswertes zur Landmarke und ihrer Umgebung Arbeiten hat die heimische Presse, insbesondere die beschreibt und Routentipps gibt. Anhand dieser Falt- Goslarsche Zeitung, ausführlich über alle Aktivitä- blätter kann jeder die Geopunkte (z. B. Geotope, Mu- ten im Zusammenhang mit dem Kalkvegetations seen, Schaubergwerke, Höhlen oder Halden) auf indi- programmes der Natur- und Umwelthilfe Goslar viduell zusammengestellten Touren besuchen, die Welt e.V. berichtet (www.goslarsche-zeitung.de). Daneben unter seinen Füßen entdecken und eine Zeitreise in die wurden durch den Verein Exkursionen angeboten, die Vergangenheit unternehmen. Vor Ort geben spezielle stets öffentlich waren. Außerdem fand eine spezielle Informationstafeln Aufschluss über die Bedeutung des Informationstour für den Ortsrat von Othfresen und jeweiligen Objektes. Für weitere Informationen zum weitere Gäste aus dem Dorf zum Zwecke der Aufklä- Landmarkenprojekt siehe auch George (2008).
Abb. 11: Ausschnitt aus dem Projektflyer Abb. 12: Infoblatt „Landmarke Schloss Liebenburg” SDGG, Heft 76 – Geotop 2011 75
Dank Knolle, F., Schadach, V. & Schulz, R. (2010): Renaturierung der Gipskuhle Othfresen, Nordharzvorland. – Braunschw. Für Hinweise danken wir Dr. Thomas Becker, Prof. Naturkundl. Schriften, 9, 1:81-90; Braunschweig. Carsten Brauckmann, Dr. Klaus George, Frank Ja- Kölbel, H. (1944): Die tektonische und paläogeographische cobs, Wolfgang Janz, Konrad Motz, Dr. Rainer Müller, Geschichte des Salzgitterer Gebietes. – Abh. Reichsamt Fritz Reinboth, Jürgen Thielemann, Dr. Uwe Wegener, Bodenforsch., N.F., 207: 1-100; Berlin. Siegfried Wielert und Dr. Henning Zellmer. Kolbe, H., Pilger, A. & Rösler, A. (1981): Erläuterung zu ei- ner Exkursion am nördlichen Harzrand bei Oker und im südlichen Salzgitterer Sattel. – Clausthaler Geol. Abh. 41: Schriftenverzeichnis 135-168; Clausthal. A.A. (1988): Der Kalkmagerrasen kann nun wieder üppig Kolbe, H., Pilger, A. & Rösler, A. (1984): Exkursion im süd- wachsen. – Goslarsche Zeitung, 9.11.1988; Goslar. lichen Salzgitterer Sattel. – Clausthaler Geol. Abh., Son- A.A. (2008): Ein Platz für den Fransen-Enzian. – Goslarsche derbd. 2: 157-177; Clausthal. Zeitung 9.10.2003; Goslar. Landkreis Goslar (2001): Der Salzgittersche Höhenzug – eine Arbeitsgemeinschaft für Karstkunde Harz e.V. (fortlaufend): besonders artenreiche Pflanzen- und Tierwelt in einer ur- Niedersächsisches Höhlenkataster, Katasterblätter Gro- alten Kulturlandschaft. Ein Exkursionsführer für den 22. ßes Zwergenloch (3928/01) und Kleines Zwergenloch August 2001. – 21 S.; Goslar. (3928/02); Goslar – Bad Harzburg. Look, E.-R. (1984): Geologie und Bergbau im Braunschwei- Appel, D. & Groetzner, J.-P. (1981a): Exkursionsführer „Sub- ger Land (Nördliches Harzvorland, Asse, Elm-Lappwald, herzynes Becken“, 12. bis 14.5.1981. – Geol.-Paläont. In- Peine-Salzgitter, Allertal). Dokumentation zur geologi- stitut der TU Hannover, 20 Manuskriptseiten; Hannover schen Wanderkarte 1 : 100.000. – Geol. Jb., A 78: 3-467; [unveröff.]. Hannover. Appel, D. & Groetzner, J.-P. 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