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FUSSBALL Der Firlefranz Die Kicker-Ikone Franz Beckenbauer ist der mächtigste Mann im deutschen Fußball. Mit ständig wechselnder Meinung ist er allgegenwärtig – und wird deshalb kaum noch ernst genommen. Beim FC Bayern München halten manche den Präsidenten für ein Sicherheitsrisiko.

ünther Jauch stellt die Frage der Nacht.Was, er muß das jetzt wissen, Gwar heute mit Lothar Matthäus los? Beckenbauer seufzt und beginnt mit ei- nem bayerischen „Joa“. „Man kennt den Lothar“, sagt er. Und dann erklärt er das Problem, das der Lothar mit Manchester United hatte: „Der Stock, äh, der Druck der Mannschaft von Manchester ist immer größer geworden, der Lothar hat sehr gut angefangen, er hat dann die gelbe Karte be- kommen, und das hat ihn ein bißchen be- schäftigt, denn er hat ja schon in Bröndby die gelbe Karte bekommen, und das heißt, daß er gegen Barcelona nicht spielen darf, und wer den Lothar kennt, der weiß, das wurmt ihn, diese Ungerechtigkeit, und des- wegen war er vielleicht nicht mehr ganz so konzentriert.“ Das kann Jauch so aber nicht stehenlas- sen. Er sagt nur ein Wort: „Trotzdem.“ Und dann wird Lothar Matthäus einge- blendet, man kennt den Lothar, und Lothar Matthäus sagt natürlich, daß ihm die gelbe Karte so was von egal war. „Gut“, findet Beckenbauer jetzt, „Lothar hat die Feh- lerkette in Gang gebracht.“ Damit wäre das geklärt. Jauch und Beckenbauer lächeln froh und können überleiten zu ihrem allerliebsten Running Gag, zu Beckenbauers „Freunden von Ro- senborg Trondheim“ (Jauch), was total iro- nisch gemeint ist, weil Beckenbauer nichts

Multi-Mann Beckenbauer H. RAUCHENSTEINER Werbeträger für E-Plus Präsident des FC Bayern München

140 der spiegel 50/1998 schlimmer findet als Fuß- Ämter geworden. Manchmal irritiert ihn ballclubs wie Rosenborg das; manchmal verläßt er das Münchner Trondheim. Selig wie die vor dem Abpfiff und zwei Chinesen der „Harald schimpft auf die Meute, die ihm folgt: „Was Schmidt Show“ kichern die fragt’s immer mich?“ beiden darum in ihre dicken Sie fragen ihn, weil er antwortet. Wer- gelben Mikrofone hinein. bemenschen lieben ihn dafür. Doch der So kichern sie immer, so Preis des Quassel-Ruhms ist, daß Becken- parodieren sie sich selbst. bauer in den inneren Zirkeln der Sportpo- Denn Günther Jauch, 42, ist litik seit einiger Zeit nicht mehr richtig als Mann, der für RTL im- ernst genommen wird. mer wieder mittwochs die Kaum ein Funktionär begriff, wieso Champions League präsen- Beckenbauer kurz vor der Wahl des neu-

tiert, die Karikatur jenes H. RAUCHENSTEINER en Weltverbands-Präsidenten vom eu- klugen Journalisten, der er Funktionäre Rummenigge, Hoeneß: Zu Diplomaten gereift ropäischen Kandidaten Lennart Johansson bei „stern TV“ sein kann – abrückte und sich für dessen Rivalen Jo- und Franz Beckenbauer, 53, beweist an die- den bedeutenden Gremien der Fußballwelt seph Blatter aussprach; Blatter ist unter sen Abenden auf erstaunlich drastische und selbst in der Chefetage des FC Bayern anderem ein Gegner der deutschen WM- Weise, daß er mittlerweile so ziemlich das Befremden auslöst. Bewerbung. Als dann in der Nacht vor der Gegenteil jenes Fußballweisen ist, den die Das hat sicherlich damit zu tun, daß Wahl reichlich Geld in Briefumschlägen Nation seit Jahrzehnten ehrt. Beckenbauers größte Begabung, die Fähig- durch Pariser Hotels getragen worden sein Franz Beckenbauer ist der mächtigste keit, in jedem Stadion besser zu sein als soll und am nächsten Tag Blatter gewann, Mann im deutschen Fußball. Er ist Präsi- alle anderen, ihm nicht mehr zur Verfü- sagte Beckenbauer: „Das wird alles viel dent des FC Bayern, Vizepräsident des gung steht, seit er den Rasen verlassen hat. zu wichtig genommen.“ Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Kolum- Er war ja früher kein anderer Mensch; er Auch die Frage, ob bei Weltmeister- nist bei „Bild“ und sonstwo (in England stellte sich schon in den Siebzigern vor, schaften weiterhin 32 Mannschaften oder, beispielsweise: „Why Germany will always „daß aus dem gleichen Boden eine Blu- wie früher, nur noch 16 oder 24 Nationen win the war of nerves“). Er ist Buchautor me, aber auch eine Brennessel sprießen mitmachen dürfen, ist für die Sportpolitik („Tour de Franz“) und Kommentator bei kann. Sollte etwa mein Bruder eine Brenn- heikelstes Terrain. Beckenbauer legt sich RTL und Premiere. Er soll die Weltmei- nessel sein“? Beckenbauer las Konfuzius, durchaus fest, allerdings gleich auf beide sterschaft 2006 ins Land holen und wirbt glaubte an die Wiedergeburt und wünsch- Positionen. „Diese Inspiration, diese Leich- für Opel, Warsteiner, , Würth und te sich, in einem künftigen Leben ein Kind tigkeit“ der „Exoten“ bejubelt er und will E-Plus: „Is’ denn heut’ scho’ Weihnach- auszutragen. Die „FAZ“ meldete: „Frühe- 32 Teilnehmer. Dann schläft er eine Nacht, ten?“ Der Multi-Mann ist allgegenwärtig, rer Teamchef plant Comeback als Frau.“ und am Morgen ist dieselbe Aufblähung weil er als einziger Journalist der Republik Doch damals wurde jede Peinlichkeit des Turniers ein einziger Alptraum. „Zu die Arbeit eines Präsidenten beschreibt, samstags grandios korrigiert. Letztlich galt viele mit viereckigen Füßen“ sind dabei, der er selber ist. Doch je größer sein Ein- der Mann, der „Kaiser Franz“ heißt, seit wer will das alles sehen? „Einige Spiele fluß, desto mehr Unsinn verzapft er. ihn mal ein Fotograf neben einer Büste des hätten auch neben dem Stadion auf einem Beckenbauer, Haare weiß, Krawatten- Kaisers Franz Joseph knipste, als kompe- Sandplatz stattfinden können.“ knoten tadellos, entlarvt sich zunehmend tent, weil er als Libero und später als Trai- So geht das ständig, mal linksrum, mal als eine Art lebendige Boulevardzeitung. Er ner bewies, daß er malochen kann. rechtsrum. Beckenbauer hält die WM-Be- ist unterhaltsam, aber er redet heute dies Diese Balance machte ihn zum Liebling werbung für „wirklich wichtig“, schwänz- und morgen das Gegenteil, ohne sich dem der Medien, zu einem deutschen Weltstar te indes den Termin der DFB-Oberen bei Verdacht auszusetzen, eine eigene Mei- ohne Konkurrenz. Wenn eine Becken- Kanzler Gerhard Schröder. Er nannte den nung zu vertreten. Daher wirkt er nicht bauer-Mannschaft gewann, galt hinterher mächtigen Ligaausschuß des Fußball-Bun- mehr wie der Kaiser von einst, sondern ihm das Lob. So ist er irgendwann ein des einen „Lachsack“ und wies den Bay- eher wie ein Hofnarr, ein Firlefranz, der in Mann für alle Fragen und damit für alle ern-Vertreter Fritz Scherer an, nicht mehr zu kandidieren; dann kandi- dierte er selbst für das Amt des DFB-Vizepräsidenten. Als solcher möchte er sich nun um den deutschen Fuß- ball an und für sich küm- mern. Jedoch: Was will er? Der deutsche Fußball ist, ei- nerseits, „nach wie vor an der Spitze. Ob er jetzt an er- ster, zweiter oder dritter Stelle ist, ich glaube, das ma- chen Nuancen aus“ – aber Spitze ist er, „des is kloar“. Obwohl, andererseits müs- sen sich mindestens alle Strukturen ändern, weil es ja um die Zukunft geht, und darum muß der Nachwuchs besser werden, „wo ist

DPA er denn, der Nachwuchs“? Fernsehkommentator für RTL (mit Jauch) DFB-Vizepräsident (mit Fifa-Chef Blatter) Deutschland ist „meilenweit

der spiegel 50/1998 141 Sport von der Spitze entfernt“, und „wenn wir der Dortmunder Manager Michael Meier, ne Kolumnen gab, kein Privatfernsehen, nicht aufpassen, werden wir auf dem Ni- „aber falls sich das einer von uns erlauben keinen Jauch. So blieb von der Ikone my- veau von Albanien wach“. würde, wäre es schnell vorbei für den“. stisch verhüllt, was heute vom öffentlichen Es waren nicht einmal solche Wider- Es war natürlich jahrelang so, daß Beckenbauer als blanker Nonsens aus je- sprüche, die dazu führten, daß auch in der Beckenbauer gerade von seiner Noncha- dem Bildschirm quillt. Bayern-Zentrale an der Säbener Straße zu lance lebte; er plauderte und schien über Nichts läßt er aus – mit dem Kom- München inzwischen die Zweifel am Kai- den Dingen zu stehen – ein idealer Fest- pagnon Jauch hält er sogar Völkerkunde- ser wachsen. Für geschäftsschädigend hält redner. In seinem ersten Jahr bei RTL war unterricht ab. Man erzählt halt, was man man dort eher, was Beckenbauer über das er sogar bestens informiert, weil er damals so erlebt hat, und folgert, daß Reisende in wichtigste sportliche Ziel des Clubs ein- auf direktem Weg von Europas wichtigsten den Orient „Ohrenstopfen oder sonstwas fiel: „Was ist schon so eine Scheiß-Mei- Fußballplätzen kam und über die Spieler mitnehmen“ sollten: Lärm und Radau sterschaft? Wir legen überhaupt keinen ziemlich viele Geschichten erzählen konn- „sind halt so die Gepflogenheiten in der Wert auf Titel.“ te, die sonst kaum jemand wußte. Das Türkei“ (Beckenbauer), wo sich nur der Völlig egal auch, daß man sich im Verein schafft heute nur noch Günter Netzer; Präsident von Be≠ikta≠ Istanbul 14 Jahre darauf geeinigt hatte, die Personalpolitik Beckenbauer sitzt in Kitzbühel und damit im Amt halten konnte. Beckenbauer: „Das im stillen zu betreiben. Mancher Spieler- weit weg von der Quelle. ist Weltrekord in der Türkei.“ transfer wurde schon in Beckenbauers Hausblatt „Bild“ diskutiert, bevor er ab- geschlossen war; Wutausbrüche („Ihr seid eine Scheiß-Mannschaft“) sorgen bei Ma- nager Uli Hoeneß und Vizepräsident Karl- heinz Rummenigge für nachhaltige Irrita- tionen. Und hin und wieder gibt es auch im Fußball diffizile Angelegenheiten wie zum Beispiel das Ringen um das neue Stadion, das sich die Bayern wünschen. Daß Beckenbauer auf der Jahreshaupt- versammlung 1997 eine neue Arena ver- sprach und 1998 von den Mitgliedern aus- gepfiffen wurde, weil er nun im Olympia- stadion bleiben will, entging dem Strategen Hoeneß nicht. Neulich riet CSU-Stadtrat Franz Forchheimer dem Präsidenten, sich zu informieren, „bevor er so etwas Dum- mes sagt. Allmählich verliert er Ansehen“. Öffentlich schwärmen die längst zu Di- plomaten gereiften Kameraden Hoeneß und Rummenigge weiterhin von ihrem

Obersten. Aber es gibt Menschen in der BONGARTS Geschäftsstelle, die erzählen, daß die DFB-Teamchef Beckenbauer (1988): „Was fragt’s immer mich?“ Troika brüchig und das Klima gestört sei. Beckenbauer habe zwei V-Männer in der Inzwischen erfleht Jauch für ein Spiel Genaugenommen kämpfen die zwei Ko- Zentrale sitzen, die ihn in bis zu 20 Tele- „eine Note zwischen 1,0, sehr gut, und miker mit der Kalamität, daß sie Herbergers fonaten am Tag über Fehler der Angestell- 6,0, ungenügend“, und Beckenbauer sagt: Satz vom runden Ball alle paar Wochen auf ten informierten. Hoeneß und Rummenig- „Ich würd’ sagen, irgendwo dazwischen.“ ungefähr viereinhalb Stunden Fernsehun- ge wiederum hielten Beckenbauer für ein Es kommt vor, daß er sich vor dem Spiel terhaltung blähen müssen. So etwas gebiert Sicherheitsrisiko. „ein frühes Tor“ wünscht und nach- vermutlich zwangsweise die reine Leere. Die Konkurrenten vernehmen es genüß- her klagt, das Tor sei „zu früh“ erzielt Beckenbauer: „Ich denke, der Ball ist im- lich. Sie reden über Beckenbauer mittler- worden. mer länger.“ Oder: „Man spielt ja nicht al- weile mit jener Mischung aus Mitleid und Dann verkündet er: „Morgen werden lein, man spielt gegen elf Gegner.“ Respekt vor den Leistungen von einstmals, Tore fallen.“ Jauch: „In der laufenden Soll das nun immer so weitergehen, die vielen Senioren vertraut ist. Spielzeit?“ Beckenbauer: „In der laufen- künftig, wenn die Champions League er- Rudi Assauer, Manager von Schalke 04, den Spielzeit.“ Denn das ist „ein Vor- weitert wird, gar zweimal pro Woche? erzählt von der „Lichtgestalt“, die „14 Tage kommnis, das nicht alle Tage vorkommt“. Beim FC Bayern zumindest haben einige vor der Wahl eine Partei hätte gründen Nicht jeder darf so etwas gleich im Fern- Menschen schon darüber nachgedacht. können und Kanzler geworden wäre“ – sehen sagen; daß Beckenbauer es darf, Vielleicht, diese Theorie wurde an der Sä- Beckenbauer sollte bloß jetzt, da er DFB- liegt daran, daß sein Manager Robert bener Straße diskutiert, läßt sich der Kai- Weihen hat, „eine kleine Bremse einbau- Schwan den Sohn eines Postobersekretärs ser ja ganz zum DFB wegloben. en“. Da er es nicht tut, behält Assauer sei- aus München-Giesing, der es vom Versi- Da würde er durchaus hinpassen. DFB- ne ehrliche Meinung über den Fernseh- cherungskaufmann bis zum Fußball-Welt- Präsident Egidius Braun ist schließlich Vielredner „lieber für mich“. meister brachte, mit Geschick in diese Po- selbst ein Mann, der schon mal sagt, daß Willi Lemke, Assauers Kollege aus Bre- sition gehievt hat. Meist spielte Schwan da- „meine Meßlatte nicht mehr so lang“ ist. men, findet ja auch, daß Beckenbauer bei Doppelpaß mit der „Bild“-Zeitung, und Der Herr ist 73, und in drei Jahren könnte „freundlich, lieb und nett“ sei und damit die rief, wenn ein Posten frei war, den na- Beckenbauers Zeit kommen. all das ausstrahle, „was Uli Hoeneß ab- tionalen Notstand aus, aus dem – „Franz, Der Kaiser verhält sich vorerst clever geht“. Doch wenn der Kaiser neben Jauch hilf“ – nur Beckenbauer wieder heraus- wie immer und dementiert: „Ich kann mit auf dem Bildschirm erscheint, sucht Lem- führen konnte. Sicherheit ausschließen, eines Tages nicht ke fix nach dem nächsten Spielfilm. Der Es war vermutlich Beckenbauers Glück, DFB-Präsident zu werden.“ „Franz genießt besondere Rechte“, sagt daß es in den Jahren seines Aufstiegs kei- Klaus Brinkbäumer

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