Plenarprotokoll 18/124

Deutscher

Stenografischer Bericht

124. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015

Inhalt

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- c) Antrag der Abgeordneten Friedrich neten Wilfried Lorenz, Gabriele Groneberg Ostendorff, Dr .Valerie Wilms, Nicole und Heike Baehrens ...... 11943 A Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wahl der Abgeordneten Kerstin Radomski UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutsch- als ordentliches Mitglied der Parlamentari- land schon jetzt umsetzen – Den Hunger schen Versammlung ...... 11943 B beenden, Ernährungssouveränität und eine bessere Ernährung erreichen und Wahl des Abgeordneten Ansgar Heveling als eine nachhaltige Landwirtschaft fördern stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsra- Drucksache 18/6046...... 11944 B tes der Filmförderungsanstalt...... 11943 B d) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Elisabeth Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und nung ...... 11943 B der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland Absetzung des Tagesordnungspunktes 23 a. . . 11944 A schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für alle ermöglichen und fördern Drucksache 18/6047...... 11944 C Tagesordnungspunkt 3: e) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, a) Abgabe einer Regierungserklärung durch Beate Walter-Rosenheimer, , die Bundeskanzlerin: zu den Ergebnis- weiterer Abgeordneter und der Fraktion sen des Informellen Treffens der Staats- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- und Regierungschefs der Europäischen haltigkeitsziel 4 in Deutschland schon Union am 23. September 2015 in Brüs- jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und sel und zum VN-Gipfel für Nachhaltige hochwertige Bildung gewährleisten und Entwicklung vom 25. bis 27. September Möglichkeiten des lebenslangen Lernens 2015 in New York...... 11946 C für alle fördern Drucksache 18/6048...... 11944 C b) Antrag der Abgeordneten Dr .Wolfgang f) Antrag der Abgeordneten , Strengmann-Kuhn, Dr .V alerie Wilms, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, (Augsburg), weiterer Abge- weiterer Abgeordneter und der Fraktion ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltigkeitsziel 1 haltigkeitsziel 5 in Deutschland schon in Deutschland schon jetzt umsetzen – jetzt umsetzen – Geschlechtergerech- Armut in jeder Form und überall been- tigkeit und Selbstbestimmung für alle den Frauen und Mädchen erreichen Drucksache 18/6045...... 11944 B Drucksache 18/6049...... 11944 D II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . , Donnerstag, den 24 . September 2015 g) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, m) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dr . Valerie Wilms, Britta Haßelmann, Dr . Valerie Wilms, , weite- weiterer Abgeordneter und der Fraktion rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- haltigkeitsziel 6 in Deutschland schon keitsziel 12 in Deutschland schon jetzt jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und umsetzen – Für nachhaltige Konsum- nachhaltige Bewirtschaftung von Was- und Produktionsmuster sorgen ser und Sanitärversorgung für alle ge- Drucksache 18/6056...... 11945 C währleisten Drucksache 18/6050...... 11944 D n) Antrag der Abgeordneten Annalena Baer- bock, Dr .V alerie Wilms, Bärbel Höhn, h) Antrag der Abgeordneten Dr .Julia Verlin- weiterer Abgeordneter und der Fraktion den, Dr .V alerie Wilms, , BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- weiterer Abgeordneter und der Fraktion haltigkeitsziel 13 in Deutschland schon BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- jetzt umsetzen – Umgehend Maßnah- haltigkeitsziel 7 in Deutschland schon men zur Bekämpfung des Klimawandels jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlbarer, und seiner Auswirkungen ergreifen verlässlicher, nachhaltiger und zeitge- Drucksache 18/6057...... 11945 C mäßer Energie für alle sichern Drucksache 18/6051...... 11944 D o) Antrag der Abgeordneten , Dr .V alerie Wilms, Peter Meiwald, weite- i) Antrag der Abgeordneten , rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dr .V alerie Wilms, Claudia Roth (Augs- NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- burg), weiterer Abgeordneter und der keitsziel 14 in Deutschland schon jetzt Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: umsetzen – Ozeane, Meere und Meeres- UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland ressourcen im Sinne einer nachhaltigen schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, in- Entwicklung erhalten und nachhaltig klusives und nachhaltiges Wirtschafts- nutzen wachstum, produktive Vollbeschäfti- Drucksache 18/6058...... 11945 D gung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern p) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Dr .V alerie Wilms, , weiterer Drucksache 18/6052...... 11945 A Abgeordneter und der Fraktion BÜND- j) Antrag der Abgeordneten Dr .V alerie NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- Wilms, Kerstin Andreae, Claudia Roth keitsziel 15 in Deutschland schon jetzt (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der umsetzen – Nachhaltige Nutzung terre- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: strischer Ökosysteme schützen, wieder- UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland herstellen und fördern, Wälder nachhal- schon jetzt umsetzen – Eine belastbare tig bewirtschaften, die Wüstenbildung Infrastruktur aufbauen, inklusive und bekämpfen, die Bodendegradation auf- nachhaltige Industrialisierung fördern halten und umkehren sowie den Verlust und Innovationen unterstützen der biologischen Vielfalt stoppen Drucksache 18/6053...... 11945 A Drucksache 18/6059...... 11945 D k) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, q) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr . Frithjof Schmidt, Dr .V alerie Wilms, (Köln), Dr .V alerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nach- haltigkeitsziel 10 in Deutschland schon haltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb jetzt umsetzen – Friedliche und inklusi- und zwischen Staaten verringern ve Gesellschaften im Sinne einer nach- haltigen Entwicklung fördern, allen Drucksache 18/6054...... 11945 B Menschen Zugang zur Justiz ermögli- l) Antrag der Abgeordneten Christian Kühn chen und effektive, rechenschaftspflich- (Tübingen), Dr .V alerie Wilms, Britta Ha- tige und inklusive Institutionen auf allen ßelmann, weiterer Abgeordneter und der Ebenen aufbauen Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 18/6060...... 11946 A UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutsch- r) Antrag der Abgeordneten , land schon jetzt umsetzen – Städte und , Dr .V alerie Wilms, weiterer Siedlungsflächen inklusiv, sicher, stabil Abgeordneter und der Fraktion BÜND- und nachhaltig zu machen NIS 90/DIE GRÜNEN: UN-Nachhaltig- Drucksache 18/6055...... 11945 B keitsziel 17 in Deutschland schon jetzt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 III

umsetzen – Globale Partnerschaft für DIE LINKE: Das unbefristete Arbeits- nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbe- verhältnis zur Regel machen leben Drucksachen 18/1874, 18/2783...... 11970 A Drucksache 18/6061...... 11946 B Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 11970 A s) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Wilfried Oellers (CDU/CSU)...... 11971 C humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- geordneten Tom Koenigs, Claudia Roth Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 11972 D (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Menschenrechte in der DIE GRÜNEN)...... 11974 A neuen Nachhaltigkeits- und Entwick- lungsagenda der Vereinten Nationen Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 11975 B stärken Drucksachen 18/5208, 18/5451...... 11946 B Uwe Lagosky (CDU/CSU)...... 11977 B

Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin...... 11946 C Jutta Krellmann (DIE LINKE)...... 11979 A

Dr . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE). . . . . 11950 B Markus Paschke (SPD)...... 11980 C

Thomas Oppermann (SPD)...... 11952 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... Dr . (BÜNDNIS 90/ 11981 C DIE GRÜNEN)...... 11955 B Wilfried Oellers (CDU/CSU)...... 11982 C Volker Kauder (CDU/CSU) ...... 11957 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 11983 B (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 11959 D Bernd Rützel (SPD) ...... 11984 C

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 11961 A Jutta Krellmann (DIE LINKE)...... 11986 A

Dr . Lars Castellucci (SPD)...... 11961 C Tagesordnungspunkt 5: Heike Hänsel (DIE LINKE)...... 11962 C a) Antrag der Abgeordneten Ingbert Liebing, Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU)...... 11963 A Artur Auernhammer, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ der CDU/CSU sowie der Abgeordneten DIE GRÜNEN)...... 11964 D Bernhard Daldrup, Johannes Kahrs, Doris Dr. Bärbel Kofler (SPD)...... 11966 A Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für gleichwertige Le- Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU). . . . . 11966 D bensverhältnisse – Kommunalfreundli- che Politik des Bundes konsequent fort- Carsten Träger (SPD)...... 11967 D setzen Drucksache 18/6062...... 11986 D Jürgen Klimke (CDU/CSU)...... 11968 C b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weite- Tagesordnungspunkt 4: rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krell- bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von mann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Eisenbahnen und Straßen befreien Fraktion DIE LINKE: Kettenbefristun- Drucksache 18/3051...... 11987 A gen abschaffen c) Beschlussempfehlung und Bericht des Drucksache 18/4098...... 11970 A Innenausschusses zu dem Antrag der Ab- b) Beschlussempfehlung und Bericht des geordneten Kerstin Kassner, Susanna Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abge- dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krell- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: mann, Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kom- weiterer Abgeordneter und der Fraktion munen bei der Erarbeitung von Gesetzent- IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

würfen und Verordnungen sowie im Ge- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- setzgebungsverfahren rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- Drucksachen 18/3413, 18/6085...... 11987 A setzes zu dem Partnerschafts- und Ko- operationsabkommen vom 11. Mai 2012 zwischen der Europäischen Union und in Verbindung mit ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits Zusatztagesordnungspunkt 3: Drucksache 18/5577...... 12001 D Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amts- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dauerhafte setzes zu dem Abkommen vom 21. Au- und strukturelle Entlastungen für Kommu- gust 2014 zwischen der Bundesrepublik nen in Not Deutschland und dem Staat Israel zur Drucksache 18/6069...... 11987 B Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Ge- Ingbert Liebing (CDU/CSU)...... 11987 C biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Kerstin Kassner (DIE LINKE)...... 11989 A Drucksache 18/5578...... 12002 A

Bernhard Daldrup (SPD)...... 11990 C e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ zes zu dem Protokoll vom 3. Dezember DIE GRÜNEN)...... 11992 B 2014 zur Änderung des Abkommens Alois Karl (CDU/CSU)...... 11994 A vom 30. März 2011 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und Irland Petra Hinz (Essen) (SPD)...... 11995 D zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerver- Alois Karl (CDU/CSU)...... 11996 C kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 11997 D Drucksache 18/5579...... 12002 B

Bärbel Bas (SPD)...... 11999 A f) Erste Beratung des von der Bundesregie- Barbara Woltmann (CDU/CSU)...... 12000 B rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Batteriege- setzes Drucksache 18/5759...... 12002 B Tagesordnungspunkt 27: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten zes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 Gesetzes zur Änderung des Energiever- zur Änderung des Abkommens vom brauchskennzeichnungsgesetzes 30. März 2010 zwischen der Bundes- Drucksache 18/5925...... 12002 B republik Deutschland und dem Verei- nigten Königreich Großbritannien und h) Erste Beratung des von der Bundesregie- Nordirland zur Vermeidung der Dop- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- pelbesteuerung und zur Verhinderung zes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbe- der Steuerverkürzung auf dem Gebiet helfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils der Steuern vom Einkommen und vom des Europäischen Gerichtshofs vom Vermögen 7. November 2013 in der Rechtssache Drucksache 18/5575...... 12001 D C-72/12 Drucksache 18/5927...... 12002 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 19. Okto- ber 2010 zwischen der Bundesrepublik Zusatztagesordnungspunkt 4: Deutschland und der Föderation St. Kitts a) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- und Nevis über die Unterstützung in Schmeink, Dr . , Steuer- und Steuerstrafsachen durch In- Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abge- formationsaustausch ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/5576...... 12001 D DIE GRÜNEN: Sicher vernetzt, gut ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 V

sorgt – Digitalisierung im Gesundheits- j) Beratung der Beschlussempfehlung des wesen im Dienste der Patienten gestalten Petitionsausschusses: Sammelübersicht Drucksache 18/6068...... 12002 C 225 zu Petitionen Drucksache 18/5962...... 12004 B b) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gas- tel, weiterer Abgeordneter und der Frak- Zusatztagesordnungspunkt 1: tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffen- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen de Angaben beim Spritverbrauch und der CDU/CSU und SPD: Neue Dynamik zur Schadstoffausstoß von PKW beenden politischen Lösung der Syrien-Krise nutzen Drucksache 18/6070...... 12002 C Dr . Rolf Mützenich (SPD) ...... 12004 C

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 12005 C Tagesordnungspunkt 28: Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU)...... 12006 C a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ setzes zur Abwicklung der staatlichen DIE GRÜNEN)...... 12007 D Notariate in Baden-Württemberg Drucksachen 18/5218, 18/6087...... 12002 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU)...... 12009 A

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Christine Buchholz (DIE LINKE) ...... 12010 A des von der Bundesregierung eingebrach- Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) ...... ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem 12011 A Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ Übereinkommen vom 10. März 1988 zur DIE GRÜNEN)...... 12012 A Bekämpfung widerrechtlicher Handlun- gen gegen die Sicherheit der Seeschiff- Roderich Kiesewetter (CDU/CSU)...... 12013 A fahrt und zu dem Protokoll vom 14. Ok- tober 2005 zum Protokoll vom 10. März Stefan Rebmann (SPD)...... 12014 A 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU)...... 12015 A Plattformen, die sich auf dem Festland- sockel befinden Thorsten Frei (CDU/CSU)...... 12016 B Drucksachen 18/5268, 18/6084...... 12003 B

c) Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 6: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die internationale Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Zusammenarbeit zur Durchführung von schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- Sanktionsrecht der Vereinten Nationen trag der Abgeordneten Uwe Schummer, Karl und über die internationale Rechtshilfe Schiewerling, Jutta Eckenbach, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Hoher See sowie zur Änderung see- sowie der Abgeordneten Kerstin Tack, Katja rechtlicher Vorschriften Mast, Dr .Matthias Bartke, weiterer Abge- Drucksachen 18/5269, 18/6089 12003 B ordneter und der Fraktion der SPD: Integra- d) Zweite und dritte Beratung des von der tionsbetriebe fördern – Neue Chancen für Bundesregierung eingebrachten Entwurfs schwerbehinderte Menschen auf dem ers- eines Zweiten Gesetzes zur Änderung ten Arbeitsmarkt eröffnen Drucksachen 18/5377, 18/6086 ...... des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes 12017 B Drucksachen 18/5273, 18/6071...... 12003 C Kerstin Tack (SPD)...... 12017 B e)–h) Katrin Werner (DIE LINKE) ...... 12018 C Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- Uwe Schummer (CDU/CSU)...... 12019 D ten 220, 221, 222 und 223 zu Petitionen Drucksachen 18/5957, 18/5958, 18/5959, Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ 18/5960...... 12003 D DIE GRÜNEN)...... 12021 B VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr . Matthias Bartke (SPD)...... 12022 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD)...... 12040 A

Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) ...... 12023 B Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU)...... 12041 D

Tagesordnungspunkt 7: Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Dr .Franziska a) Antrag der Abgeordneten Matthias W . Brantner, Katja Dörner, Beate Walter-Ro- Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), senheimer, weiterer Abgeordneter und der Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: der Fraktion DIE LINKE: Erziehungsleis- Betreuungsgeld in Kitas investieren tung von Adoptiveltern würdigen – Müt- Drucksache 18/6063...... 12024 C terrente anerkennen Drucksache 18/6043...... 12043 C b) Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Gohl- b) Zweite und dritte Beratung des von den ke, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sa- on DIE LINKE: Betreuungsgeld für den bine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, Kitaausbau nutzen weiteren Abgeordneten und der Fraktion Drucksache 18/6041...... 12024 C DIE LINKE eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung des Sechsten Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung DIE GRÜNEN)...... 12024 D von Zeiten des Mutterschutzes Drucksachen 18/4107, 18/5279...... 12043 C Josef Rief (CDU/CSU)...... 12025 D Matthias W . Birkwald (DIE LINKE)...... 12043 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE). . . . 12027 C Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU)...... 12045 A Dr . Carola Reimann (SPD)...... 12029 A Matthias W . Birkwald (DIE LINKE)...... 12046 D Paul Lehrieder (CDU/CSU)...... 12030 B Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU)...... 12047 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD)...... 12032 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12047 D

Tagesordnungspunkt 8: Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) ...... 12048 D

– Zweite und dritte Beratung des von der Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 12050 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des natio- Dr . Martin Rosemann (SPD)...... 12051 A nalen Bankenabwicklungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanis- mus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanis- Tagesordnungspunkt 10: musgesetz – AbwMechG) Antrag der Bundesregierung: Beteiligung Drucksachen 18/5009, 18/5325, 18/5458 bewaffneter deutscher Streitkräfte an Nr . 3, 18/6091...... 12033 D der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Unterbindung des Geschäftsmodells der § 96 der Geschäftsordnung Menschenschmuggel- und Menschenhan- Drucksache 18/6092...... 12033 D delsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer Alexander Radwan (CDU/CSU)...... 12033 D Drucksache 18/6013...... 12052 C

Dr . Axel Troost (DIE LINKE) ...... 12035 A Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg...... 12052 D Manfred Zöllmer (SPD)...... 12036 B Stefan Liebich (DIE LINKE)...... 12054 A Dr . (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12037 C Niels Annen (SPD)...... 12055 B

Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) ...... 12038 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE). . . . . 12056 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 VII

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 13: DIE GRÜNEN)...... 12057 A Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr . Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 12058 B Petra Sitte, Halina Wawzyniak, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ver- Katja Keul (BÜNDNIS 90/ leihbarkeit digitaler Medien entsprechend DIE GRÜNEN)...... 12059 A analoger Werke in Öffentlichen Bibliothe- ken sicherstellen Dr . Fritz Felgentreu (SPD)...... 12059 C Drucksache 18/5405...... 12074 B

Stefan Liebich (DIE LINKE)...... 12060 A Sigrid Hupach (DIE LINKE)...... 12074 B

Florian Hahn (CDU/CSU) ...... 12060 D Dr . Stefan Heck (CDU/CSU)...... 12075 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12076 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Luise Christian Flisek (SPD) ...... 12077 A Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Ab- Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU)...... geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ 12077 D DIE GRÜNEN: Gesetzliche Grundlage für Siegmund Ehrmann (SPD)...... 12078 D Angehörigenschmerzensgeld schaffen Drucksache 18/5099...... 12061 D

Katja Keul (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 14: DIE GRÜNEN)...... 12062 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU). . . . . 12063 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verlängerung der Befristung von Jörn Wunderlich (DIE LINKE)...... 12064 B Vorschriften nach den Terrorismusbe- kämpfungsgesetzen Dr . Johannes Fechner (SPD)...... 12065 B Drucksache 18/5924...... 12079 D

Dr . Silke Launert (CDU/CSU)...... 12066 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes Dr . Matthias Bartke (SPD)...... 12067 C zur Änderung des Bundesverfassungs- schutzgesetzes Drucksache 18/5935...... 12080 A Tagesordnungspunkt 12: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Tagesordnungspunkt 15: eines Gesetzes zur Umsetzung der Pro- Beschlussempfehlung und Bericht des Finan- tokollerklärung zum Gesetz zur An- zausschusses zu dem Antrag der Abgeord- passung der Abgabenordnung an den neten Dr . Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Zollkodex der Union und zur Änderung Dr .Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter weiterer steuerlicher Vorschriften und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drucksachen 18/4902, 18/6094...... 12068 B NEN sowie der Abgeordneten Richard Pit- terle, Susanna Karawanskij, Dr . Axel Troost, – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE § 96 der Geschäftsordnung LINKE: Sonderermittler zur Aufarbeitung Drucksache 18/6095...... 12068 C der Cum-Ex-Geschäfte einsetzen Drucksachen 18/3735, 18/6088 ...... 12080 B Olav Gutting (CDU/CSU) ...... 12068 C

Richard Pitterle (DIE LINKE)...... 12069 C Tagesordnungspunkt 16: Dr . Jens Zimmermann (SPD)...... 12070 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ schusses für Bildung, Forschung und Technik- DIE GRÜNEN)...... 12071 A folgenabschätzung – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ Fritz Güntzler (CDU/CSU)...... 12072 A CSU und SPD: Prinzipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleichwertig- Andreas Schwarz (SPD)...... 12073 C keit und Durchlässigkeit der beruflichen VIII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

und der akademischen Bildung durch- Tagesordnungspunkt 18: setzen Erste Beratung des von der Bundesregierung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr .Ro - eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur semarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Bereinigung des Rechts der Lebenspartner Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- Drucksache 18/5901...... 12091 D ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbildungsqualität sichern – Gute Aus- Christian Lange, Parl . Staatssekretär bildung für alle schaffen BMJV...... 12092 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE). . . . 12093 A Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU). . . . 12094 A Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einer echten Ausbildungsgarantie Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ das Recht auf Ausbildung umsetzen DIE GRÜNEN)...... 12095 A Drucksachen 18/4928, 18/4931, 18/4938, Alexander Hoffmann (CDU/CSU)...... 18/6040...... 12080 C 12095 D Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD)...... Dr . Thomas Feist (CDU/CSU)...... 12080 C 12097 A

Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE)...... 12081 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU)...... 12097 D

Rainer Spiering (SPD) ...... 12082 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12098 A Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12083 C Tagesordnungspunkt 19: Uda Heller (CDU/CSU)...... 12084 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Willi Brase (SPD)...... 12085 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den Tagesordnungspunkt 17: zuständigen Behörden über den auto- matischen Austausch von Informationen a) Antrag der Abgeordneten Niema Movas- über Finanzkonten sat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, wei- Drucksache 18/5919...... 12098 C terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Versöhnung mit Namibia – Ge- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- denken an und Entschuldigung für den rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Völkermord in der ehemaligen Kolonie zes zum automatischen Austausch von Deutsch-Südwestafrika Informationen über Finanzkonten in Drucksache 18/5407...... 12086 D Steuersachen und zur Änderung weite- rer Gesetze b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Drucksache 18/5920...... 12098 C Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion c) Antrag der Abgeordneten , BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Bezie- Dr .Thomas Gambke, Britta Haßelmann, hungen zwischen Deutschland und Na- weiterer Abgeordneter und der Fraktion mibia stärken und unserer historischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgel- Verantwortung gerecht werden tungsteuer abschaffen Drucksache 18/5385...... 12087 A Drucksache 18/6064...... 12098 C

Niema Movassat (DIE LINKE) ...... 12087 A d) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Dr .Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Dr . Egon Jüttner (CDU/CSU)...... 12088 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transpa- DIE GRÜNEN)...... 12088 D renz von Kapitaleinkommen stärken – Automatischen Austausch von Infor- Dagmar Freitag (SPD) ...... 12089 C mationen über Kapitalerträge auch im Inland einführen Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) ...... 12090 D Drucksache 18/6065 ...... 12098 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 IX

Tagesordnungspunkt 20: Anlage 4 Erste Beratung des von der Bundesregierung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes – des von der Bundesregierung eingebrach- Drucksache 18/5865...... 12098 D ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehr- seitigen Vereinbarung vom 29 .Oktober 2014 zwischen den zuständigen Behörden Nächste Sitzung ...... 12099 C über den automatischen Austausch von In- formationen über Finanzkonten

Anlage 1 – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zum automa- Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 12101 A tischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Än- derung weiterer Gesetze Anlage 2 – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: DIE GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaf- – des von der Bundesregierung eingebrach- fen ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlänge- – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/ rung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen DIE GRÜNEN: Transparenz bei Kapital- einkommen stärken – Automatischen Aus- – der Unterrichtung durch die Bundesregie- tausch von Informationen über Kapitaler- rung: Evaluation nach Artikel 9 des Geset- träge auch im Inland einführen zes zur Änderung des Bundesverfassungs- schutzgesetzes (Tagesordnungspunkt 19 a bis d) ...... 12110 A (Tagesordnungspunkt 14 a und b)...... 12101 C Dr . Mathias Middelberg (CDU/CSU)...... 12110 A Clemens Binninger (CDU/CSU)...... 12101 C Andreas Schwarz (SPD)...... 12111 A Uli Grötsch (SPD)...... 12102 B Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 12112 A (DIE LINKE)...... 12102 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ 12112 D DIE GRÜNEN)...... 12103 C Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMF ...... 12114 A BMI...... 12104 A

Anlage 5 Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten der Beschlussempfehlung und des Berichts des Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Än- Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion derung des Atomgesetzes (Tagesordnungs- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderermitt- ler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte punkt 20)...... 12115 A einsetzen (Tagesordnungspunkt 15)...... 12104 C Steffen Kanitz (CDU/CSU)...... 12115 A Olav Gutting (CDU/CSU)...... 12104 D Florian Oßner (CDU/CSU) ...... 12116 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU). . . . . 12105 C Hiltrud Lotze (SPD) ...... 12117 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD)...... 12106 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE)...... Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 12108 B 12118 D

Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 12108 D DIE GRÜNEN)...... 12119 B

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11943

(A) (C) Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben

124. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 24. September 2015

Beginn: 9 .00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüße Sie herzlich zu unserer 124 . Plenarsitzung . Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Kommunen in Not dem Kollegen Wilfried Lorenz nachträglich zu sei- nem 73 . Geburtstag gratulieren und den Kolleginnen Drucksache 18/6069 Gabriele Groneberg und Heike Baehrens, die jeweils Überweisungsvorschlag: ihren 60 .Geburtstag gefeiert haben . Allen herzliche Haushaltsausschuss (f) Glückwünsche des Hauses und alles Gute für das neue Innenausschuss Lebensjahr! Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales (B) (Beifall) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (D) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Wir müssen noch zwei Wahlen durchführen . Die schätzung Fraktion der CDU/CSU schlägt vor, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Parlamentarischen ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Versammlung des Europarates die Kollegin Kerstin fahren Radomski für den verstorbenen Kollegen Philipp (Ergänzung zu TOP 27) Mißfelder als ordentliches Mitglied zu berufen . Ich darf a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Sie fragen, ob Sie dem zustimmen .– Das ist offensicht- Klein-Schmeink, Dr . Konstantin von Notz, lich der Fall . Des Weiteren schlägt die CDU/CSU-Frak- Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter tion vor, den Kollegen Ansgar Heveling aus gleichem Grund als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungs- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rates der Filmförderungsanstalt zu wählen .– Ich darf Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitalisierung auch hier Ihr Einverständnis feststellen . Dann sind die im Gesundheitswesen im Dienste der Patien- Kollegin Radomski und der Kollege Heveling für die ge- ten gestalten rade genannten Gremien gewählt . Drucksache 18/6068 Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord- Überweisungsvorschlag: nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punk- Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss te zu erweitern: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss Digitale Agenda ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan GO‑BT Kühn (Dresden), Oliver Krischer, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion zu den Antworten der Bundesregierung auf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Frage 15 auf Drucksache 18/6019 (siehe 123 . Sitzung) Zum Schutz der Verbraucher – Unzutreffen- de Angaben beim Spritverbrauch und Schad- ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen stoffausstoß von PKW beenden der CDU/CSU und SPD: Drucksache 18/6070 Neue Dynamik zur politischen Lösung der Sy- Überweisungsvorschlag: rien-Krise nutzen Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) 11944 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz UN-Nachhaltigkeitsziel 3 in Deutschland (C) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit schon jetzt umsetzen – Gesundes Leben für ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion alle ermöglichen und fördern BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 18/6047 Haltung der Bundesregierung zu unzutref- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) fenden Angaben beim Spritverbrauch und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Schadstoffausstoß von PKW lung Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden . Mutlu, Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Der Tagesordnungspunkt 23 a wird abgesetzt . Hier NIS 90/DIE GRÜNEN geht es um den Gesetzentwurf zur Versorgung von Flüchtlingen mit Leistungen der gesetzlichen Kranken- UN-Nachhaltigkeitsziel 4 in Deutschland versicherung . schon jetzt umsetzen – Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für Das ist der Fall . Dann können wir so verfahren . alle fördern Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 s auf: Drucksache 18/6048 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Bundeskanzlerin schätzung (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu den Ergebnissen des Informellen Treffens Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- der Staats- und Regierungschefs der Europä- lung ischen Union am 23. September 2015 in Brüs- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle sel und zum VN-Gipfel für Nachhaltige Ent- Schauws, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, wicklung vom 25. bis 27. September 2015 in weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- New York NIS 90/DIE GRÜNEN b) Beratung des Antrags der Abgeordneten UN-Nachhaltigkeitsziel 5 in Deutschland Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr . Valerie schon jetzt umsetzen – Geschlechtergerech- Wilms, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Ab- tigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen (B) geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE und Mädchen erreichen (D) GRÜNEN Drucksache 18/6049 UN-Nachhaltigkeitsziel 1 in Deutschland Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) schon jetzt umsetzen – Armut in jeder Form Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- und überall beenden lung Drucksache 18/6045 g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Überweisungsvorschlag: Meiwald, Dr . Valerie Wilms, Britta Haßelmann, Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- NIS 90/DIE GRÜNEN lung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union UN-Nachhaltigkeitsziel 6 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Verfügbarkeit und c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Ostendorff, Dr . Valerie Wilms, Nicole Maisch, Sanitärversorgung für alle gewährleisten weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/6050 Überweisungsvorschlag: UN-Nachhaltigkeitsziel 2 in Deutschland Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- schon jetzt umsetzen – Den Hunger beenden, heit (f) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ernährungssouveränität und eine bessere Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Ernährung erreichen und eine nachhaltige lung Landwirtschaft fördern h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia Drucksache 18/6046 Verlinden, Dr . Valerie Wilms, Oliver Krischer, Überweisungsvorschlag: weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit NIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung UN-Nachhaltigkeitsziel 7 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Zugang zu bezahlba- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria rer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemä- Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, ßer Energie für alle sichern Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/6051 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11945

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole (C) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Auswärtiger Ausschuss Maisch, Dr . Valerie Wilms, Luise Amtsberg, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung NIS 90/DIE GRÜNEN i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin UN-Nachhaltigkeitsziel 12 in Deutschland Andreae, Dr . Valerie Wilms, Claudia Roth (Augs- schon jetzt umsetzen – Für nachhaltige Kon- burg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion sum- und Produktionsmuster sorgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/6056 UN-Nachhaltigkeitsziel 8 in Deutschland Überweisungsvorschlag: schon jetzt umsetzen – Dauerhaftes, inklusi- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit (f) ves und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz produktive Vollbeschäftigung und menschen- Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe würdige Arbeit für alle fördern Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Drucksache 18/6052 n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) , Dr .V alerie Wilms, Bärbel Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms, Kerstin Andreae, Claudia UN-Nachhaltigkeitsziel 13 in Deutschland Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der schon jetzt umsetzen – Umgehend Maßnah- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen UN-Nachhaltigkeitsziel 9 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Eine belastbare Infra- Drucksache 18/6057 struktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Industrialisierung fördern und Innovationen heit (f) unterstützen Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Drucksache 18/6053 Haushaltsausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi (B) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (D) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Lemke, Dr .V alerie Wilms, Peter Meiwald, wei- heit terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin NIS 90/DIE GRÜNEN Andreae, Dr . Frithjof Schmidt, Dr . Valerie Wilms, UN-Nachhaltigkeitsziel 14 in Deutschland weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- schon jetzt umsetzen – Ozeane, Meere und NIS 90/DIE GRÜNEN Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen UN-Nachhaltigkeitsziel 10 in Deutschland Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen schon jetzt umsetzen – Ungleichheit innerhalb Drucksache 18/6058 und zwischen Staaten verringern Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Drucksache 18/6054 heit (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) lung Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Lemke, Dr . Valerie Wilms, Harald Ebner, wei- lung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Dr . Valerie Wilms, UN-Nachhaltigkeitsziel 15 in Deutschland Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und schon jetzt umsetzen – Nachhaltige Nutzung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN terrestrischer Ökosysteme schützen, wieder- herstellen und fördern, Wälder nachhaltig be- UN-Nachhaltigkeitsziel 11 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Städte und Siedlungs- wirtschaften, die Wüstenbildung bekämpfen, flächen inklusiv, sicher, stabil und nachhaltig die Bodendegradation aufhalten und umkeh- zu machen ren sowie den Verlust der biologischen Vielfalt stoppen Drucksache 18/6055 Drucksache 18/6059 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Überweisungsvorschlag: heit (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- Innenausschuss heit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft 11946 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Dann erteile ich das Wort zur Abgabe einer Re- (C) Keul, Volker Beck (Köln), Dr . Valerie Wilms, gierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin Angela weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Merkel . NIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) UN-Nachhaltigkeitsziel 16 in Deutschland schon jetzt umsetzen – Friedliche und inklusi- Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: ve Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang Kollegen! Meine Damen und Herren! Noch nie seit dem zur Justiz ermöglichen und effektive, rechen- Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der schaftspflichtige und inklusive Institutionen Flucht wie heute . Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten auf allen Ebenen aufbauen Nationen nennt eine Zahl von knapp 60 Millionen welt- weit . Es braucht nur diese eine Zahl, um zu verstehen, Drucksache 18/6060 dass wir es nicht allein mit einer deutschen Herausfor- Überweisungsvorschlag: derung, auch nicht allein mit einer europäischen Heraus- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) forderung, sondern mit einer globalen Herausforderung Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss zu tun haben, zu deren Bewältigung jede Region, jedes Ausschuss für Wirtschaft und Energie Land, jede politische Ebene, jede Institution ihren Teil Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beizutragen hat . Dies umfasst alles . Und alles hat Hand Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe in Hand zu gehen: die Bekämpfung der Fluchtursachen, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung der Schutz der Außengrenzen, menschenwürdige Le- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union bensbedingungen in Flüchtlingslagern und sogenannten Haushaltsausschuss Hotspots, deutlich schnellere Asylverfahren, die Rück- r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe führung derjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, Kekeritz, Anja Hajduk, Dr . Valerie Wilms, wei- die Integration der tatsächlich Schutzbedürftigen . Je kla- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- rer diese Herausforderung national, europäisch und glo- NIS 90/DIE GRÜNEN bal gemeinsam angenommen wird, umso schneller wird sie erfolgreich gemeistert werden . UN-Nachhaltigkeitsziel 17 in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schon jetzt umsetzen – Globale Partnerschaft ordneten der SPD) für nachhaltige Entwicklung jetzt wiederbele- (B) ben Genau in diesem Sinne versteht die Bundesregierung (D) gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen und der Drucksache 18/6061 ganzen Gesellschaft diese Aufgabe als nationale, als eu- Überweisungsvorschlag: ropäische und als globale Kraftanstrengung . Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (f) Am Dienstag letzter Woche haben wir mit den Minis- Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie terpräsidenten der Länder in vielen nationalen Einzel- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- fragen Verbesserungen vereinbart . Heute werden wir, so heit Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hoffe ich jedenfalls, weitere notwendige Beschlüsse fas- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- sen, insbesondere auch zur Frage der finanziellen Unter- schätzung stützung von Ländern und Kommunen durch den Bund . Haushaltsausschuss Ich will die Gelegenheit nutzen, neben den unverän- s) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- dert vielen ehrenamtlichen Helfern ganz ausdrücklich richts des Ausschusses für Menschenrechte und auch den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der humanitäre Hilfe (17 .Ausschuss) zu dem Antrag öffentlichen Verwaltung, der Polizeikräfte, der Bundes- der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth wehr, des Technischen Hilfswerks und im Übrigen auch (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeord- der Deutschen Bahn AG zu danken, die immer wieder neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alles geben, um auch in schwieriger Lage möglichst rei- NEN bungslose Abläufe sicherzustellen . Menschenrechte in der neuen Nachhaltig- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem keits- und Entwicklungsagenda der Vereinten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Nationen stärken geordneten der LINKEN) Drucksachen 18/5208, 18/5451 Dies gilt auch für die alles andere als einfache Durchfüh- rung der temporären Grenzkontrollen, die wir im Augen- Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungs- blick durchführen . antrag der Fraktion Die Linke vor . Es geht also um die Bewältigung der akuten, ganz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für praktischen Aufgaben, aber mindestens so sehr geht es die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- um die Bewältigung der längerfristigen Aufgaben, also rung 96 Minuten vorgesehen .– Auch das ist offensicht- vorneweg um die Integration der Menschen, die dauer- lich einvernehmlich . haft bei uns bleiben werden . Dazu gehört, dass wir von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11947

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) ihnen erwarten, die Regeln und Werte zu respektieren, In einigen Bereichen hat Europa bereits konkrete (C) die unsere Verfassung vorgibt, und sich auf dieser Grund- Fortschritte erzielen können . Wir haben uns im Grund- lage in unsere Gesellschaft zu integrieren, vorneweg mit satz auf eine gemeinsame europäische Liste sicherer der Bereitschaft, die deutsche Sprache zu erlernen und zu Herkunftsstaaten verständigt . Zudem haben die Innen- beherrschen . und Justizminister vorgestern eine Umverteilung von 120 000 Flüchtlingen aus besonders betroffenen Mit- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gliedstaaten beschlossen . Das Europäische Parlament Um denjenigen, die vor Krieg und Verfolgung nach hatte zu diesem Vorhaben bereits im Vorfeld des Minis- Europa geflohen sind, tatsächlich angemessen helfen zu terrats in einer Dringlichkeitssitzung seine notwendige können, ist es außerdem unerlässlich, die Asylverfahren Stellungnahme abgegeben . Das Europäische Parlament deutlich zu beschleunigen . So nachvollziehbar die jewei- hat damit ebenfalls ein hohes Maß an Verantwortungsbe- ligen Motive für ein Verlassen der Heimat auch sein mö- wusstsein bewiesen, und ich möchte dafür danken . gen, wir müssen gerade in den Fällen, in denen die Men- Eine solche Umverteilung kann jedoch nur funktionie- schen nicht aufgrund von Krieg oder Verfolgung zu uns ren, wenn wir an den EU-Außengrenzen zu einer kon- kommen, deutlich schneller entscheiden und die notwen- sequenten Registrierung und Überprüfung der Schutz- digen Rückführungen auch konsequenter durchsetzen . bedürftigkeit der einreisenden Flüchtlinge kommen . Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sollen die sogenannten Hotspots sicherstellen, die Grie- ordneten der SPD) chenland und Italien jetzt rasch einrichten müssen, gege- benenfalls auch Bulgarien . Meine Damen und Herren, neben der nationalen Ebe- ne muss die europäische Ebene ihren Teil leisten . Men- Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Europa nicht schenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Solidari- nur punktuelle Umverteilungen, sondern vielmehr ein tät verbinden uns in Europa nicht nur kulturell . Sie sind dauerhaftes Verfahren für eine faire Verteilung von Gründungsidee, sie sind fester Bestandteil der Verträge Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten braucht . Die Bun- und Grundlage des gemeinsamen Handelns der Europäi- desregierung unterstützt die Vorschläge, die die Europä- schen Union . Unser Umgang mit der aktuellen Krise wird ische Kommission hierzu vorgelegt hat . Das heißt, wir unseren Kontinent auf lange Sicht prägen . Ich möchte, haben jetzt einen ersten Schritt gesehen, aber wir sind dass Europa diese gesellschaftliche, ökonomische, kultu- noch lange nicht am Ende, also dort, wo wir hinkommen relle und moralische Bewährungsprobe besteht . müssen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Aber auch dieser erste Schritt hat viel Arbeit erfordert . (B) GRÜNEN) (D) Deshalb möchte ich unserem Innenminister Thomas de Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft Maizière ganz herzlich danken für die Arbeit, die da ge- und als solche eine Rechts- und Verantwortungsge- leistet wurde . meinschaft . Sie muss in der Praxis zeigen, dass dieser (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- Anspruch auch trägt . Dazu gehört, dass die Mindest- fall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des standards eingehalten werden müssen, die wir in Europa Abg . Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen GRÜNEN]) und für die Durchführung von Asylverfahren festgelegt haben . Wir erleben gegenwärtig eine Situation, in der Nach dem Treffen der Innenminister vorgestern fand diese Mindeststandards nicht überall gegeben sind . Zur gestern Abend ein informelles Treffen der Staats- und Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft gehört auch, Regierungschefs der Europäischen Union statt . Bei die- die Lage an den EU-Außengrenzen besser zu kontrol- sem Treffen haben alle Teilnehmer in Brüssel – ich beto- lieren und zu organisieren . Ebenso gehört dazu eine ef- ne: alle Teilnehmer – fektive Rückführung derjenigen, die keinen Anspruch (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Der Or- auf Schutz in der Europäischen Union haben . Und dazu ban war ja in Bayern! Der konnte ja nicht gehört die Einbindung und Unterstützung wichtiger Her- kommen!) kunfts- und Transitstaaten bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, bei der Eindämmung der die gesamteuropäische Dimension der Flüchtlingskrise Schleuserkriminalität sowie – das wird uns noch sehr anerkannt . Alle haben den Willen bekräftigt, gemeinsam fordern – bei der Bekämpfung der Fluchtursachen . Das und engagiert an tragfähigen Lösungen zu arbeiten . Die- kann nur gemeinsam mit unseren transatlantischen Part- ses Signal der Einigkeit müssen wir jetzt nutzen, um in nern wie den Vereinigten Staaten von Amerika sowie mit den vielen Einzelfragen weiter voranzukommen . Russland und mit den Staaten der Region des Nahen und Außerordentlich große Folgen hat die Lage in Syrien Mittleren Ostens gelingen . Denken wir nur an die deso- ja auch für die Nachbarstaaten: Jordanien, Libanon oder late Lage in Syrien . die Türkei, wo sich Millionen syrische Flüchtlinge auf- Die Europäische Kommission hat vor zwei Wochen halten, haben mit noch weit größeren Herausforderungen ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das zu kämpfen, als wir uns das in Europa vorstellen kön- aus unserer Sicht die richtigen Ansätze enthält . Auf die- nen – mit Herausforderungen, die ihre eigenen Kräfte bei ser Grundlage müssen wir jetzt schnell zu konkreten Er- weitem oder zumindest fast übersteigen . Der EU-Rat- gebnissen kommen . spräsident Donald Tusk hat deshalb gestern von seinen 11948 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Reisen berichtet, die er in den vergangenen Tagen in die 800 Millionen Menschen weltweit Hunger, noch immer (C) Region unternommen hat . Wir waren uns alle einig, dass sind Frauen besonders von Armut betroffen, diese Staaten unsere Unterstützung brauchen – nicht nur (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und Ihre aus Gründen der Humanität, sondern auch, weil dies di- Antworten?) rekt mit der Frage zusammenhängt, wie viele Menschen sich von dort aus auf den Weg nach Europa machen . In- noch immer haben Frauen einen viel schlechteren Zu- sofern war es richtig und wichtig, dass wir gestern be- gang zu Bildung, Ausbildung und zum Arbeitsmarkt als schlossen haben, 1 Milliarde Euro für UN-Institutionen, Männer, noch immer sterben zu viele Frauen bei der Ge- insbesondere für das Welternährungsprogramm, zur Ver- burt eines Kindes, obwohl sie gerettet werden könnten, fügung zu stellen, teils aus Mitteln der Kommission, teils und noch immer haben zu viele Menschen keinen Zu- aus Mitteln der Mitgliedstaaten . Deutschland wird sich gang zu menschenwürdigen Sanitäreinrichtungen . Um daran natürlich beteiligen . zentrale, globale Zukunftsaufgaben wie diese geht es in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die wir an Besonders ausführlich haben wir beim Europäischen diesem Wochenende in New York verabschieden werden . Rat darüber gesprochen, wie wir unsere Unterstützung für die Türkei stärken können, mit der die Europäische Im Oktober jährt sich der 70 .Jahrestag der Gründung Union eine gemeinsame Außengrenze teilt . Jean-Claude der Vereinten Nationen . Noch nie in ihrer Geschichte Juncker und Donald Tusk werden sich am 5 . Oktober mit stand die Menschheit vor so großen gemeinsamen Auf- dem türkischen Präsidenten Erdogan treffen . Wir haben gaben . Armut in ihrer schlimmsten Form kann und muss die beiden und alle europäischen Institutionen dazu er- endlich weltweit überwunden werden, um allen Men- muntert, intensive Gespräche mit der Türkei zu führen . schen ein Leben in Würde zu ermöglichen . Wir werden nur gemeinsam mit der Türkei unsere Au- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- ßengrenzen sichern können, meine Damen und Herren . wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Wir haben beim Europäischen Rat natürlich auch darü- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ber gesprochen, dass zu der Sicherung der Außengrenzen Gleichzeitig sind die Belastungsgrenzen unseres Pla- der Aufbau von sogenannten Hotspots gehört . Sie sollen neten zum Teil bereits weit überschritten . Das erfordert helfen, die Lage dort besser zu organisieren und zu kont- einen dringenden Wandel hin zu einer nachhaltigen Ge- rollieren . Ich freue mich, dass wir uns darauf geeinigt ha- staltung unserer Welt . Die 2030-Agenda setzt bei diesen ben und dass sowohl Italien als auch Griechenland bereit Missständen an und entwirft umfassende, nachhaltige sind, bis Ende November solche Hotspots aufzubauen, Lösungen; denn langfristige Erfolge werden wir nur ha- mit dem Ziel, dort Registrierungen vorzunehmen, Fin- ben, wenn wir globale Herausforderungen wie Ernäh- gerabdrücke abzunehmen, Identifikationen vorzunehmen (B) rungssicherung, Gesundheit, Bildung, Menschenrechte (D) und die Fähigkeit zu entwickeln, sowohl Verteilungen als oder die Gleichberechtigung der Geschlechter als Ganzes auch Rückführungen von dort aus durchzuführen . Wer annehmen und angehen, die entsprechenden Prozesse bei uns im Inland kennt, hat eine Ahnung davon, dass das eine sehr ambitionierte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Planung ist . Trotzdem habe ich mich gefreut, dass es von wenn wir die wirtschaftlichen, sozialen und ökologi- beiden Ländern, Italien und Griechenland, die Bereit- schen Aspekte gleichermaßen ins Auge fassen . schaft gab, diese Arbeiten jetzt zu beschleunigen . Meine Damen und Herren, die sich seit Jahren zuneh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mend zuspitzende Flüchtlingskrise zeigt wie kein anderes ordneten der SPD) Thema, wie notwendig der in der 2030-Agenda für nach- Wir sind an den Außengrenzen – ich hatte es am Bei- haltige Entwicklung gewählte Ansatz ist . Diese Agenda spiel der Türkei schon gesagt – auch ganz entscheidend kann somit auch als ein globaler Plan zur Verringerung auf die Zusammenarbeit mit unseren unmittelbaren von Fluchtursachen begriffen werden . Und alle sind Teil Nachbarstaaten angewiesen . Lassen Sie mich in diesem dieser Agenda, nicht mehr nur die Entwicklungsländer; Zusammenhang deshalb ausdrücklich auf die konstrukti- alle müssen ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung ve Rolle Serbiens hinweisen und auf die enormen Belas- leisten . tungen, die die bisherige Situation für Mazedonien mit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie sich gebracht hat . Auch das sollten wir vor Augen haben . bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Meine Damen und Herren, wir waren uns beim gest- GRÜNEN) rigen Europäischen Rat alle einig, dass die Bekämp- Das wird auch bei vielen Treffen und Gesprächen am fung von Fluchtursachen eine ebenso europäische wie Rande des Gipfels eine wichtige Rolle einnehmen . globale Aufgabe ist . Die globalen Ursachen von Flucht und Vertreibung sind sehr unterschiedlich; sie umfassen Ich will meine Begegnungen mit Kollegen aus den Gründe wie Kriege, Konflikte und politische Verfolgung, afrikanischen Staaten für die Vorbereitung der EU-Afri- wie wir es etwa in Syrien und in Eritrea erleben . Hinzu ka-Konferenz in Valletta im November nutzen . Ich be- kommen Flüchtlinge aufgrund von Naturkatastrophen grüße es, dass auch der Generalsekretär der Vereinten wie Überschwemmungen oder Dürre . Es gibt auch vie- Nationen zu einem hochrangigen Treffen einlädt, um eine le Menschen, die wegen Armut und Perspektivlosigkeit verbesserte Zusammenarbeit in Flüchtlings- und Migrati- flüchten; denn noch immer leben 1,3 Milliarden Men- onsfragen zu erreichen . Die Bundesregierung wird durch schen weltweit in extremer Armut, noch immer leiden den Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11949

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) treten sein . Ihm möchte ich dafür danken, dass er sich das Ziel gesetzt, die Emission von Treibhausgasen ge- (C) mit den Außenministern der G 7 sowie weiterer Staaten, genüber 1990 bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent und bis aber beispielsweise auch im Rahmen seiner Reise in die zum Jahr 2050 um mindestens 80 bis 95 Prozent zu sen- Türkei in der letzten Woche für eine verbesserte Unter- ken . stützung der Länder einsetzt, die unmittelbar an Krisen- und Konfliktherde angrenzen und einen großen Teil der Die Weltgemeinschaft hat sich mit der 2030-Agenda Flüchtlinge aufnehmen . Herzlichen Dank! für die kommenden 15 Jahre also viel vorgenommen . Die Bundesregierung verpflichtet sich zu einer ehrgeizigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Umsetzung dieser Agenda . Denn auch in Deutschland DIE GRÜNEN) sind wir an einigen Stellen noch zu weit von einem nach- haltigen Leben, Wirtschaften und Umgang mit unseren Meine Damen und Herren, einige der neuen Ziele natürlichen Ressourcen entfernt . werden nicht kurzfristig und nicht einfach zu erreichen sein . Wenn wir jedoch auf die im Jahr 2000 verabschie- Gleichwohl ermöglicht unsere nationale Nachhaltig- deten Millenniumsentwicklungsziele zurückschauen, keitsstrategie mit ihren konkreten Zielen und Indikatoren dann stellen wir fest, dass diese Millenniumsziele der bereits seit 2002 ein politikübergreifendes Monitoring erfolgreichste globale Plan gegen Armut waren . Beein- unserer Nachhaltigkeitsanstrengungen . Sie wird auch ein druckende Fortschritte wurden dabei erzielt, die Zahl der wesentlicher Rahmen für die Umsetzung der 2030-Agen- in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren und da durch Deutschland sein . Bis Herbst 2016 werden wir den Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu Trinkwasser sie unter Berücksichtigung der 2030-Agenda in allen zu erhöhen . Schon 2000 hatten viele nicht gedacht, dass wesentlichen Aspekten überprüfen und, wo nötig, auch man ein solches Ziel erreichen kann . Trotzdem ist es ge- lungen . Es gab Fortschritte im Gesundheitsbereich, etwa weiterentwickeln . Über die Strategie wird dann festge- im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose . Ebenso zeig- legt werden, mit welchen nationalen Zielen, Indikatoren ten sich sichtbare Verbesserungen bei der Grundschulbil- und Maßnahmen wir zu welchem Ziel der Sustainable dung, wenngleich längst nicht alle Ziele erreicht wurden . Development Goals beitragen wollen . Was wir in den kommenden Jahren erreichen wollen, Im Lichte einer globalen Partnerschaft baut die Bun- wird im Herzstück der 2030-Agenda festgelegt: 17 kon- desregierung dabei auf weitere Partner, auf die organi- krete Ziele mit 169 Unterzielen, also die sogenannten sierte Zivilgesellschaft mit ihren vielfältigen Aktivitäten, Sustainable Development Goals, die die Weltgemein- auf Wirtschaft und Wissenschaft, auf Länder und Kom- schaft bis zum Jahr 2030 umsetzen will . Zentraler Be- munen . Alle sind gefragt, eigene ehrgeizige Beiträge zu (B) standteil der neuen Agenda sind dabei unter anderem definieren, die sie jeweils zur Verwirklichung der Agenda (D) der Schutz des Klimas und die nachhaltige Nutzung der leisten können . natürlichen Lebensgrundlagen . Diese spielen für die heu- tigen, vor allem aber für die kommenden Generationen Auf der Ebene der Europäischen Union wirbt die in Entwicklungs- wie in Industrieländern eine übergeord- Bundesregierung in Brüssel mit Nachdruck für eine neue nete Rolle . EU-Nachhaltigkeitsstrategie . Auf der Ebene der Verein- Auf internationaler Ebene wollen wir im Dezember ten Nationen wird das sogenannte Hochrangige Poli- in Paris ein umfassendes und verbindliches Klimaab- tische Forum zentraler Akteur bei der Überprüfung der kommen erreichen . Die Europäische Union hat dazu Umsetzung der Agenda sein . Deutschland wird mit gu- ihre Position festgelegt . Das ist sehr erfreulich . Vom Pa- tem Beispiel vorangehen und im Rahmen dieses Gremi- ris-Gipfel muss, anknüpfend an die G-7-Beschlüsse von ums bereits im nächsten Jahr als einer der ersten Staaten Elmau, das klare Signal einer zukünftigen Dekarbonisie- weltweit seine Umsetzungsanstrengungen international rung unserer Wirtschaft zur Einhaltung des 2‑Grad‑Ziels vorstellen . ausgehen. Dafür müssen sich alle Staaten verpflichten, entsprechende nationale und internationale Maßnahmen Um alle Ziele zu erreichen, brauchen wir erstens effi- umzusetzen . ziente Strukturen . Auch im 70 . Jahr ihres Bestehens sind die Vereinten Nationen durch ihre einzigartige Legitimi- Für uns Industrieländer bedeutet dies darüber hinaus, dass wir unsere bereits 2009 in Kopenhagen gegebene tät unersetzlich; aber auch sie müssen sich an die neuen Zusage, nämlich jährlich 100 Milliarden US-Dollar an Herausforderungen anpassen . Deutschland wird sich in öffentlichen und privaten Mitteln ab 2020 für die Klima- den notwendigen Reformprozess aktiv einbringen . schutzfinanzierung in Entwicklungsländern zu mobili- Um alle Ziele zu erreichen, brauchen wir zweitens die sieren, glaubwürdig erfüllen müssen . Deutschland wird notwendigen finanziellen Ressourcen. Deutschland steht seine Mittel für die Klimaschutzfinanzierung bis 2020 zu seinen Verpflichtungen. Der Etat des Bundesentwick- gegenüber 2014 verdoppeln und geht damit mit gutem Beispiel voran . lungsministers wächst in den nächsten Jahren verlässlich . Wir werden Milliarden mehr für Entwicklungshilfe aus- Auf nationaler Ebene wird Deutschland die Umset- geben . zung der Ziele vorantreiben . Darüber hinaus setzen wir uns weiter für einen Wandel unserer Wirtschaft hin zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise mit verminderten bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE klimaschädlichen Emissionen ein . Dazu haben wir uns GRÜNEN) 11950 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Um aber sinnvoll Investitionen zu ermöglichen, müssen Taliban in Afghanistan erst wieder so stark gemacht ha- (C) wir auch privates Engagement fördern . Nur mit öffentli- ben, wie sie gegenwärtig sind . Und es waren westliche chen Mitteln werden wir das nicht schaffen . Interventionen, die die staatlichen Strukturen in Libyen zerstört und die auch in Syrien den Bürgerkrieg immer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- weiter angeheizt haben . Und es sind nicht zuletzt deut- neten der SPD – Zuruf der Abg . Heike Hänsel sche Waffen, die in all diesen Ländern Tod und Schre- [DIE LINKE]) cken verbreiten . In den nächsten Tagen werden wir all diese Fragen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) in den Vereinten Nationen diskutieren . Gemeinsam mit den ebenfalls nach New York reisenden Bundesministern Deshalb: Wer von Flüchtlingen redet, der darf über Krie- werde ich mich für die Lösung aktueller Fragen sowie ge, Drohnenterror und Waffengeschäfte nicht schweigen . für die Bewältigung der langfristigen Herausforderungen einsetzen . Dafür bietet uns die neue Agenda für nachhal- (Beifall bei der LINKEN) tige Entwicklung eine gute Grundlage . Werte Kolleginnen und Kollegen, wir werden das Meine Damen und Herren, um die großen Herausfor- Flüchtlingsproblem nicht durch weitere Einschränkun- derungen unserer Zeit erfolgreich bewältigen zu können, gen beim Asylrecht lösen und auch nicht durch Gefeil- wird es entscheidend sein, dass alle Maßnahmen, alle sche um europäische Quoten und schon gar nicht durch Ebenen und alle Institutionen sinnvoll ineinandergreifen . neue Mauern und noch höhere Zäune . Wir werden es Was wir auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebe- nur lösen, wenn Europa endlich aufhört, die Vereinigten ne tun können, besprechen wir heute und natürlich immer Staaten dabei zu unterstützen, immer größere Teile des wieder fortlaufend mit den Ministerpräsidenten der Län- Nahen und Mittleren Ostens in einen Brandherd zu ver- der . Was wir auf europäischer Ebene tun können, war am wandeln . Das muss endlich aufhören . Dienstag Thema bei den Innen- und Justizministern und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) gestern bei den Staats- und Regierungschefs . Was wir auf globaler Ebene tun können, besprechen wir in den kom- Stattdessen müssen wir sie unter Druck setzen, endlich menden Tagen in New York . den ihrer Verantwortung angemessenen Beitrag an den Kosten zu leisten . Die Bundesregierung wird auch in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren mit aller Kraft und auf (Beifall bei der LINKEN) allen Ebenen darauf hinwirken, dass die erforderlichen Frau Bundeskanzlerin, stoppen Sie sofort alle Waffen- Entscheidungen getroffen und dann auch umgesetzt wer- lieferungen in Spannungsgebiete, den . So wird es uns gelingen, auch die großen Aufgaben, (B) (D) vor denen wir stehen, erfolgreich zu meistern . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ Ich bin fest überzeugt: Die Chancen sind so viel grö- DIE GRÜNEN]) ßer als die Risiken . Wir müssen sie nur erkennen und nut- zen . Und wer, wenn nicht wir, hätte die Kraft dazu? Ich und erteilen Sie all denen eine Absage, die schon wieder bin überzeugt, dass wir das schaffen . dafür trommeln, dass wir nun auch in Syrien mitbomben sollen! Unter Bombenteppichen wächst kein Frieden, Herzlichen Dank . (Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE LIN- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – KE]) Beifall bei der SPD) sondern sie bewirken nur, dass noch mehr verzweifelte Menschen zur Flucht gezwungen werden . Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache . Für die Fraktion Die Lin- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder ke erteile ich das Wort der Kollegin Sahra Wagenknecht . [CDU/CSU]: Also Russland raus aus Syrien? Soll Russland raus aus Syrien? Sie sind ja (Beifall bei der LINKEN) nicht nur auf einem Auge blind, sondern auf beiden!) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Nur eine kleine Minderheit der Flüchtlinge schafft es Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! bis Europa . Millionen leben unter unwürdigen Bedingun- Frau Bundeskanzlerin, Sie selbst haben die Zahl genannt: gen in den Lagern der Nachbarstaaten . Vor kurzem muss- 60 Millionen Menschen sind weltweit gegenwärtig auf te die Welternährungsorganisation dort die Nahrungsmit- der Flucht . Viele von ihnen hatten ihre Heimat früher telrationen halbieren, weil selbst der erbärmliche Betrag in Ländern wie dem Irak, wie Afghanistan, Libyen oder von 27 Dollar pro Person und Monat nicht mehr finan- auch Syrien. Sie fliehen nicht vor Naturkatastrophen; zierbar war . sie fliehen vor Terrorbanden wie den Taliban oder dem IS, sie fliehen auch vor Assad, aber sie fliehen vor allem Ich muss sagen: Auch das, was jetzt als großes Ergeb- vor den Folgen westlicher Politik; denn es waren die als nis des gestrigen Gipfels verkündet wird, nämlich dass humanitäre Intervention maskierten Ölkriege der Verei- man 1 Milliarde Euro mehr an Mitteln zur Verfügung nigten Staaten und ihrer europäischen Verbündeten, die stellt, ist weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein . in Afghanistan und im Irak verbrannte Erde hinterlassen Das ist einfach lächerlich und unangemessen . Flüchtlinge haben und die Mördermilizen des IS und jetzt auch die hungern, und ihre Kinder bekommen keine angemessene Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11951

Dr. Sahra Wagenknecht (A) Bildung, weil die reichen Länder Milliarden für Kriege bad leider nicht mehr zu halten ist, weil sonst die Miet- (C) ausgeben, aber nur lächerliche Beträge für humanitäre zuschüsse für Flüchtlinge nicht gezahlt werden können? Hilfe. Ich finde, das ist eine Schande. Es zeigt auch sehr Wollen Sie, dass die Finanzierung von Deutschkursen deutlich die wirklichen Werte der gelobten westlichen gegen die Finanzierung von Bibliotheken aufgerechnet Wertegemeinschaft . wird? Wer so etwas zulässt, der vergiftet das Klima in unserem Land . (Beifall bei der LINKEN) Ja, viele von denjenigen, die auf der Flucht sind, flie- (Beifall bei der LINKEN) hen auch vor wirtschaftlichem Elend und blanker Not . Auch die zusätzlichen Ausgaben des Bundes will Herr Aber auch dafür sind die Industriestaaten mitverantwort- Schäuble über Kürzungen in anderen Haushaltsposten lich . Frau Merkel, Sie haben hier sehr vieles gesagt, was finanzieren. Ist der Bundesregierung nicht klar, dass sie ich unterschreiben kann . Aber dann nehmen Sie doch so die hiesige Bevölkerung, und zwar gerade diejenigen, endlich die UN-Ziele zur Bekämpfung von Armut und denen es nicht gut geht – die niedrige Renten, schlech- Ungleichheit ernst, und beteiligen Sie sich nicht länger te Löhne haben oder von Hartz IV leben –, in unverant- daran, armen Ländern Freihandelsabkommen zu diktie- wortlicher Weise gegen die Flüchtlinge ausspielt? Denn ren, die ihre Landwirtschaft und ihre Industrie zerstören, nicht die Wohlhabenden, sondern vor allem die Ärmeren die ihre Menschen arm und ihre Märkte zur Beute inter- werden betroffen sein, wenn zur Finanzierung von Integ- nationaler Konzerne machen! Das sind doch die Folgen . ration andere Budgets gekürzt werden . Wenn Sie da nicht die entsprechenden Konsequenzen ziehen, dann nützen all die schönen Worte hier nichts . (Christian Petry [SPD]: Sich selbst erfüllende Prophezeiung!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Nicht die Wohlhabenden, sondern die Ärmeren woh- Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sie lernen nie nen in den Wohngebieten, in denen in Zukunft auch die etwas!) Flüchtlinge nach Wohnungen suchen werden . Es ist kei- ne irrrationale, sondern eine absolut plausible Angst, dass Niemand sollte sich wundern, dass immer mehr Men- dort dann die Mieten weiter steigen werden . Seit Jahren schen ihre letzte Hoffnung darin sehen, sich auf den ge- werden in diesem Land kaum noch Sozialwohnungen fährlichen Weg nach Europa zu machen . Dafür, dass die, gebaut . Viele Gemeinden haben ihren Wohnungsbestand die bis nach Deutschland kommen, hier eine freundliche privaten Renditejägern überlassen . Öffentliche Investiti- Aufnahme finden, haben in den letzten Wochen vor allem onen in guten und erschwinglichen Wohnraum sind seit das großartige Engagement der vielen ehrenamtlichen Jahren überfällig, und sie werden mit jedem ankommen- Helfer und die Spendenbereitschaft der Bevölkerung ge- den Flüchtling dringender . (B) sorgt . (D) Natürlich sind es auch nicht die Spitzenverdiener, son- (Beifall bei der LINKEN) dern diejenigen im ohnehin viel zu großen Niedriglohn- „Wir schaffen das“, haben Sie, Frau Bundeskanz- sektor, die es zu spüren bekommen werden, wenn Un- lerin, gesagt . Das klang gut . Dafür wurden Sie gelobt, ternehmen Flüchtlinge für Lohndumping missbrauchen . aber auch aus den eigenen Reihen kritisiert . Ich habe den Auch das könnten Sie verhindern: durch Erhöhung des Eindruck, inzwischen hat Sie die Angst vor der eigenen Mindestlohns und Abschaffung der Ausnahmen, durch Courage befallen . Verbot von sachgrundloser Befristung, Leiharbeit und Missbrauch von Werkverträgen . Es ist die verdammte (Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Haben Sie Verantwortung der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass gerade zugehört? Zuhören bildet!) die Integration nicht zu einer neuen Welle von Lohndum- Zumindest muss man sehen, dass die Politik der Bundes- ping und Sozialabbau führt . regierung mehr und mehr in Kontrast zu Ihren warmen (Beifall bei der LINKEN) Worten steht. Wir finden es unverantwortlich, Länder und Kommunen mit dem übergroßen Teil der Integrati- Denn wer das zulässt, der nährt genau die Ängste und onskosten alleinzulassen . So organisiert man nicht Will- Ressentiments, die rechten Hasspredigern den Boden kommenskultur, sondern Überforderung und Spannun- bereiten . Ist Ihnen, Frau Bundeskanzlerin Merkel, die gen . schwarze Null wirklich so heilig, dass Sie dafür in Kauf nehmen, braune Nullen beim Stimmenfang zu unterstüt- (Beifall bei der LINKEN) zen? Ich finde das unverantwortlich. Sie wissen doch, wie die Situation in vielen Städten (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund und Gemeinden ist, wie viele Krankenhäuser privatisiert [CDU/CSU]: Frechheit!) und wie viele marode Straßen nicht repariert wurden, weil die Kassen gähnend leer sind . Sie wissen, dass die Zumal Sie ja noch nicht einmal große neue Schulden meisten Bundesländer im Korsett der Schuldenbremse machen müssen . Ohne all die Steuergeschenke an die Probleme haben, ihre ganz normalen Aufgaben zu erfül- oberen Zehntausend und ohne Ihre Untätigkeit bei der len . Jetzt kommen Hunderttausende in unser Land, die Verhinderung von Steuerflucht hätten Bund, Länder und Deutschkurse und Hilfe brauchen, Wohnungen, Bildung Kommunen heute ganz andere Spielräume . Denn die für ihre Kinder und letztlich auch Arbeitsplätze . Wollen wirklich teuren Flüchtlinge sind nicht die, die vor Krieg Sie wirklich, dass Stadtkämmerer ihren Bürgern dem- und Terror fliehen. Die wirklich teuren sind die Steuer- nächst erklären müssen, dass das öffentliche Schwimm- flüchtlinge, die Konzerne und reichsten Familien, die mit 11952 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Sahra Wagenknecht (A) tausend Tricks die öffentliche Hand in Deutschland jedes niederschmetternd . Die Menschen leben unter erbärmli- (C) Jahr um bis zu 100 Milliarden Euro prellen . chen Verhältnissen: Es gibt keine Zukunftsperspektive, wegen Geldmangels muss das Welternährungsprogramm (Beifall bei der LINKEN) die Rationen kürzen, es gibt keine Arbeit, die Hälfte der Deswegen: Sorgen Sie endlich für eine ordentliche Kinder geht nicht zur Schule, und in den Lagern ist von Besteuerung der großen Vermögen, und machen Sie die einer verlorenen Generation die Rede . Grenzen dicht für Steuerflüchtlinge, Immer mehr Menschen sitzen jetzt auf gepackten (Beifall bei der LINKEN) Koffern . Wenn wir die humanitäre Situation und die Bil- statt die Kosten für die Integration ausgerechnet auf den dungsmöglichkeiten für Kinder in diesen Ländern nicht Teil der Bevölkerung abzuwälzen, der schon in den letz- schnell verbessern, dann werden sich viele auf die Reise ten Jahren durch Ihre Politik ständig an Wohlstand verlo- machen . ren hat! Ich bin überzeugt: Nur dann, wenn sich das Ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- fühl „Es geht bei uns gerecht zu“ wieder einstellt, werden ten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE wir es tatsächlich schaffen, die Integration zu leisten und LINKE]: Das weiß man seit Jahren!) die Willkommenskultur zu erhalten . Ich finde die Entscheidung der Staats- und Regie- (Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss (We- rungschefs von gestern Abend, mindestens 1 Milliarde sel I) [CDU/CSU]: Na ja, war auch schon mal Euro bereitzustellen, gut . Das wird aber nicht reichen . besser!) Deshalb ist es notwendig, dass die USA und die Golf- staaten diese Summe verdoppeln . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann der CDU/CSU) das Wort . Wenn wir erreichen wollen, dass die Menschen ihre (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fluchtentscheidung noch einmal überdenken oder auf- der CDU/CSU) schieben, dann brauchen wir auch ein weiteres Signal der Hoffnung . Ein starkes Signal für die Menschen wäre es, Thomas Oppermann (SPD): wenn Russland und die USA gemeinsam mit den Europä- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach ern und den Regionalmächten Gespräche aufnähmen, um Monaten ist die große Bereitschaft der Deutschen, Flücht- für Syrien eine Lösung zu finden. linge bei uns aufzunehmen und freundlich zu behandeln, (B) Dass man mit Russland in der Syrien-Frage konstruk- (D) ungebrochen . Der ehemalige polnische Botschafter Ja- tiv zusammenarbeiten kann, haben wir im Sommer 2013 nusz Reiter spricht in einem Zeitungsbeitrag von einem gesehen . Damals haben Russland, die USA und weitere „Triumph der Menschlichkeit“ . Ich glaube, wir können Staaten vereinbart, das syrische Chemiewaffenarsenal uns damit viel Respekt und eine große Wertschätzung in unter internationale Kontrolle zu stellen . Auch die Bun- der Welt erarbeiten . deswehr hat einen wichtigen Beitrag zur Vernichtung der Aber viele Bürgerinnen und Bürger sind auch verunsi- Chemiewaffen geleistet . Das könnte eine Blaupause für chert . Sie sind verunsichert, weil so viele Flüchtlinge in neue Syrien-Gespräche sein . so kurzer Zeit kommen . Ich denke, die Menschen glau- Ich bin Frank-Walter Steinmeier für seine Syrien-Ini- ben, dass wir es schaffen können, 800 000 oder 1 Mil- tiative dankbar . Es ist gut, dass jetzt möglicherweise alle lion Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren . Aber an einen Tisch kommen . Vielen Dank dafür . sie fragen natürlich auch: Wie geht es weiter? Können wir die Zahl der Flüchtlinge verringern? Kommen im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nächsten Jahr wieder 1 Million Menschen, oder werden bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE es sogar noch mehr? Wie verändert das unser Land, und GRÜNEN) wie verändert das das Leben der Menschen in diesem Ebenfalls finde ich gut, dass die Bundeskanzlerin ges- Land? – Die Ungewissheit erzeugt Angst, und ich finde, tern klar gesagt hat: Wir müssen auch mit Assad reden, diese Angst müssen wir ernst nehmen . auch wenn das schwerfällt . Wir müssen mit allen reden, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die dazu beitragen können, dass dieser Konflikt gelöst der CDU/CSU) wird . Deshalb gilt es jetzt, mit aller politischen und finanzi- Natürlich kann sich niemand vorstellen, dass Assad ellen Kraft, zu der wir in der Lage sind, dafür zu sorgen eine dauerhafte Rolle bei der Herstellung von Frieden in und dazu beizutragen, dass weniger Menschen die Flucht Syrien spielen kann . Die meisten der 250 000 Toten die- ergreifen, sodass wir die Geschwindigkeit des Flücht- ses Bürgerkriegs gehen auf seine Verantwortung, und wir lingszuzugs in Deutschland deutlich verringern . wissen, dass ein Kriegsverbrecher nicht der Garant für Frieden sein kann . Wir müssen jetzt aber mit allen reden, Zuallererst müssen wir die Lage der Flüchtlinge in um zu einer Befriedung dieses Konfliktes zu kommen. den Nachbarländern Syriens verbessern . Viel zu lange haben wir über die dramatische Verschlechterung der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lage der Flüchtlinge dort hinweggesehen . Was Sigmar der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Gabriel von seiner Reise nach Jordanien berichtet hat, ist DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11953

Thomas Oppermann (A) Eines steht für mich auch eindeutig fest, Frau Wochen in Ungarn, Serbien und Kroatien die Flüchtlinge (C) Wagenknecht – da bin ich ausnahmsweise Ihrer Mei- hin- und hergeschoben worden sind . nung; allerdings haben Sie kein Wort darüber gesagt, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Russland gerade Kampfflugzeuge nach Syrien gebracht hat –: Eine Eskalation der militärischen Auseinanderset- Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Auch in der zung kann diesen Konflikt ganz sicher nicht befrieden. Slowakei!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Auch in der Slowakei, auch in Slowenien .– Noch im- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ mer gibt es EU-Mitglieder, die eine solidarische Vertei- DIE GRÜNEN) lung der Flüchtlinge kategorisch ablehnen – ausgerechnet die Länder, die so sehr von der Solidarität der Europäi- Nicht nur bei der Bekämpfung der Fluchtursachen, schen Union profitieren. Tschechien bekam 2013 knapp sondern auch bei der Gestaltung einer neuen europäi- 3,4 Milliarden Euro mehr, als es eingezahlt hat . Ungarn schen Flüchtlingsordnung müssen wir die Unterstützung verbuchte ein Plus von 5 Milliarden Euro . Wer so viele aller Länder in Europa haben . Wenn wir Freizügigkeit Vorteile von der EU hat, der muss auch Verantwortung und offene Grenzen erhalten wollen, dann brauchen wir übernehmen und helfen, um humanitäre Katastrophen sichere EU-Außengrenzen, und wir brauchen Aufnahme- abzuwenden . zentren in den Hauptankunftsländern Italien und Grie- chenland . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Ich bin froh, dass der Europäische Rat bzw . die Staats- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Regierungschefs gestern informell eine klare Ent- scheidung für die Sicherung der Außengrenzen und die Wenn in Europa im Augenblick nur kleine Fortschritte Einrichtung von Hotspots getroffen haben . Die Siche- möglich sind, dann brauchen wir in der deutschen Innen- rung der Außengrenzen wird aber nur dann funktionie- politik einen großen Fortschritt . Heute Abend beim Tref- ren, wenn wir auch legale Möglichkeiten des Zuzugs von fen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten Flüchtlingen schaffen . werden die Grundlagen dafür geschaffen, dass wir in die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sem Jahr 800 000 Flüchtlinge aufnehmen und versorgen, der CDU/CSU) aber auch integrieren können – jedenfalls die meisten derjenigen, die bei uns bleiben werden . Diese Menschen Anders werden wir nicht in der Lage sein, den Zuzug der müssen in Kitas und Schulen . Wir brauchen Sprachkurse, Flüchtlinge besser zu steuern und vor allen Dingen den Lehrstellen, Arbeitsplätze und menschenwürdige Woh- Schleusern ihr menschenverachtendes Handwerk zu le- nungen . All das ist ein Kraftakt . (B) gen . (D) Was die Menschen deshalb zuallererst von uns erwar- Ich finde, Kontingente von Flüchtlingen zu überneh- ten, sind ein tatkräftiges Krisenmanagement und eine zü- men, wie es Herr de Maizière formuliert hat, ist kein gige Bearbeitung der Asylverfahren . schlechter Gedanke . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er aber nicht gemeint!) Die Menschen, die bei uns Asyl suchen, brauchen schnell Gewissheit, ob sie bleiben können oder nicht . Abgelehnte Die Resettlement-Programme der Vereinten Nationen Bewerber, die keine Perspektive haben, müssen schnell sind insbesondere für Frauen und Kinder oft die einzige in ihre Heimatländer zurückgeführt werden . Möglichkeit, wirklichen Schutz zu finden. Deshalb soll- ten wir darüber nachdenken . Dass Artikel 16 a Grundge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) setz davon nicht beeinträchtigt werden darf, halte ich für Wir haben bereits vor dem heutigen Treffen verabre- selbstverständlich . det, dass der Bund die Kapazitäten in der Erstaufnahme (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten deutlich erhöht . Wir müssen aber auch die ungeregelte der CDU/CSU) Einreise der Flüchtlinge an den Grenzen wieder unter Europa muss seine humanitären Verpflichtungen Kontrolle bringen . Ich war in der letzten Woche in Passau aus der Genfer Konvention erfüllen . Das geht aber nur, und habe mir das angesehen . Ich habe gesehen, wie die wenn wir die Flüchtlinge in Europa fair verteilen . Dass Bundespolizei dort die Flüchtlinge an unterschiedlichen sich die Innenminister am Dienstag – wenn auch nur Stellen aufgreift, sie einsammelt und auch registriert . mit Mehrheitsentscheidung – auf die Verteilung von Das ist hervorragend organisiert . Vor allen Dingen geht 120 000 Flüchtlingen verständigt haben, ist ein erster die Bundespolizei mit den Flüchtlingen respektvoll und Schritt . Ich bin froh, dass auch Polen dem Kompromiss sensibel um . Ich muss sagen: Bei dem ganzen Durchein- zugestimmt hat . Bundesinnenminister de Maizière hat ander in dieser Krise, in der vieles nicht, jedenfalls noch daran entscheidenden Anteil gehabt . nicht, rundläuft, ist die Bundespolizei ein stabiler Faktor, auf den man sich absolut verlassen kann . Deshalb bin ich Wir können aber natürlich bei diesem Kompromiss froh, dass wir hier 3 000 neue Stellen bewilligt haben . nicht stehen bleiben . Bei der Flüchtlingsfrage brauchen wir – genauso wie in der Griechenland-Krise – ein Min- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie destmaß an europäischer Solidarität . Es steht nicht in bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Einklang mit europäischem Recht, wie in den letzten GRÜNEN) 11954 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Thomas Oppermann (A) Aber die Registrierung, die zunächst durch die Bun- platz haben . Genau das ist der Weg, diese Gesellschaft zu (C) despolizei erfolgt, wird anschließend noch einmal und spalten . Den sollten wir nicht gehen . in manchen Fällen ein drittes Mal gemacht: Die Regis- (Beifall bei der SPD und der LINKEN so- trierung der Polizei landet am Ende im Papierkorb, weil wie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des die Erstaufnahmeeinrichtung sie noch einmal durchführt; BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dann macht das BAMF diese Arbeit unter Umständen noch einmal. Ich finde, wir können uns in diesen schwie- Wir brauchen ein kräftiges Wohnungsbauprogramm, rigen Zeiten doppelte und dreifache Arbeit nicht leisten . und zwar nicht nur für Flüchtlinge . Es gibt in Ballungs- zentren und Universitätsstädten in diesem Land auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unter Nichtflüchtlingen genügend Menschen, die auf der der CDU/CSU) Suche nach einer bezahlbaren Wohnung sind . Deshalb Heute Abend geht es vor allem um die finanzielle Ent- ist ein Wohnungsbauprogramm die entscheidende Vor- aussetzung für die Integration der Flüchtlinge, aber auch lastung der Kommunen und der Länder . Wir wollen, dass für alle anderen auf der Suche nach menschenwürdigen sich die Finanzhilfe an der tatsächlichen Entwicklung Wohnungen . orientiert . Dabei geht es nicht um eine einmalige groß- zügige Unterstützung, sondern es geht um eine auf Dauer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- angelegte und dynamisch an der Zahl der Flüchtlinge ori- ten der CDU/CSU und des Abg . Wolfgang entierte Mitfinanzierung des Bundes bei der Aufnahme Gehrcke [DIE LINKE]) und Integration von Flüchtlingen . Ich möchte kurz etwas zum Sicherheitsproblem sagen . Dabei handelt es sich um eine doppelte Integration: Der Kollege Hans-Peter Friedrich hat gesagt: Wir haben eine Integration in unsere Gesellschaft und eine Integrati- die Kontrolle verloren . on in unseren Arbeitsmarkt . Bei der Integration in unsere (Claudia Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/ Gesellschaft ist klar, dass die Flüchtlinge das Wertesys- DIE GRÜNEN]: Er hat die Kontrolle verlo- tem, das unserer Verfassung zugrunde liegt, akzeptieren ren!) müssen . Bei der Integration in den Arbeitsmarkt geht es Zigtausende strömen unkontrolliert ins Land . Wir darum, dass die Flüchtlinge möglichst bald ihren Lebens- können nicht abschätzen, wer ein islamistischer Schläfer unterhalt mit Arbeitseinkünften bestreiten können . Ange- ist . sichts dieser doppelten Integrationsanforderung ist es ein Glücksfall, dass wir mit Frank-Jürgen Weise künftig je- (Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ich habe mehr manden haben werden, der sowohl die Bundesagentur als Angst vor Nazis!) (B) auch das BAMF leitet . Ich glaube, das wird gut . Richtig ist, dass wir an den Grenzen die Kontrolle über (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die einreisenden Menschen zurückgewinnen müssen . der CDU/CSU) Wir dürfen es nicht zulassen, dass die staatliche Ordnung aus den Fugen gerät . Dass unter den Flüchtlingen auch Auch wenn wir gewaltig investieren müssen, dürfen Islamisten sein können, kann niemand ausschließen . wir nicht nur die Belastungen sehen, sondern wir müssen (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE auch die Chancen für eine alternde Gesellschaft erken- GRÜNEN]: Und unter Demonstranten auch nen . Deutschland hat nach Japan die älteste Bevölkerung Nazis!) aller Industrieländer . Ein Land, in dem schon heute über 1 nMillio Stellen vakant sind und über 40 000 Ausbil- Deshalb müssen wir auch wachsam sein . Aber für viel dungsplätze nicht besetzt werden können, ist auf Ein- gefährlicher halte ich es, wenn die 800 deutschen Got- wanderung dringend angewiesen . Wir wollen die Flücht- teskrieger, die auf der Seite des „Islamischen Staates“ linge schnell in Arbeit bringen . Dabei müssen wir auf kämpfen, wieder nach Deutschland zurückkehren . eine Sache ganz besonders aufpassen, nämlich dass die (Beifall bei der SPD) Flüchtlinge nicht eine billige Reservearmee für den Ar- Ich sage Ihnen: Die allermeisten Menschen, die aus Sy- beitsmarkt werden . rien kommen, haben die Nase gestrichen voll von Got- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten teskriegern und gewalttätigen religiösen Eiferern . Damit der CDU/CSU und der LINKEN) das so bleibt, sollten wir sicherstellen, dass die radikalen Salafisten in Deutschland jetzt nicht die Betreuung der Der Vorschlag, dass der Mindestlohn für Flüchtlinge aus- Flüchtlinge übernehmen, meine Damen und Herren . gesetzt werden soll, ist unverantwortlich . Genau das dür- fen wir nicht tun . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE So gesehen ist unsere Gastfreundschaft eine gute In- GRÜNEN) tegrationspolitik und eine Investition in die innere Si- cherheit . Muslime sagen vor laufenden Kameras: Die Wenn jemand, der lange darauf warten musste, dass er Dschihadisten sagen uns, ihr seid Ungläubige; aber in endlich 8,50 Euro in der Stunde verdient, sieht, dass Wirklichkeit seid ihr es, die den Muslimen in Not hel- Flüchtlinge für 6,50 Euro die gleiche Arbeit anbieten, fen .– So ganz nebenbei führen wir wahrscheinlich ge- dann muss er logischerweise Angst um seinen Arbeits- rade den effektivsten Kampf gegen den Islamismus, der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11955

Thomas Oppermann (A) möglich ist . Auch das sollten wir sehen, meine Damen der Flucht sind, sind 120 000 maximal ein Tropfen auf (C) und Herren . den heißen Stein . Da muss doch noch viel mehr erfolgen . (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Marieluise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beck (Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Angesichts dessen, was gerade in Ungarn passiert, wo NEN]) wir einen Regierungschef haben, der Flüchtlinge nieder- Es ist gut, dass inmitten der größten Flüchtlingskri- knüppeln lässt – es gibt Bilder, auf denen sich Mädchen se seit dem Zweiten Weltkrieg am Wochenende die weinend um ihre Mütter kümmern, weil sie von ungari- UN‑Vollversammlung in New York stattfindet. Auf der schen Grenzpolizisten niedergeknüppelt und mit Tränen- Tagesordnung steht die Verabschiedung einer nachhal- gas beschossen worden sind –, und angesichts dessen, tigen, weltweit gültigen Entwicklungsagenda, und die dass es eine Regierungspartei gibt, die, statt heftig dage- Kanzlerin hat zu Recht darauf hingewiesen: Die Agenda gen zu protestieren, den dafür Verantwortlichen hofiert, 2030 richtet sich nicht nur an Entwicklungsländer, son- hätte ich mir von Ihnen, Frau Merkel, sehr, sehr deutliche dern sie verpflichtet alle Länder auf diesem Globus, ihre Worte gewünscht . Aufgaben zu erfüllen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wie viele Flüchtlinge in den nächsten 10 oder 20 Jah- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ren nach Deutschland und Europa kommen, hängt ganz der SPD) wesentlich auch davon ab, ob die Verhandlungen in New York gut laufen . Deshalb, Frau Bundeskanzlerin, wün- Es ist nicht so, wie viele behauptet haben – ich gebe sche ich Ihnen gutes Gelingen bei der UN‑Vollversamm- offen zu, dass ich selbst das ebenfalls vermutet habe –, lung . nämlich dass Sie, Frau Merkel, gar nicht zu klaren Wor- ten in der Lage sind . Das dachte man lange Zeit . Aber Sie Vielen Dank . haben in letzter Zeit den einen oder anderen klaren Satz (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gesagt: „Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolg- te kennt keine Obergrenze “. Sie können also klare Sätze Präsident Dr. Norbert Lammert: sagen . Dann sagen Sie doch auch einen klaren Satz in Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, Richtung CSU und Herrn Seehofer, möchte ich darauf hinweisen, dass die heutige Regie- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind unsere rungserklärung und die Debatte zum ersten Mal live in Freunde!) Gebärdensprache und mit Untertitelung im Internetange- (B) bot des Deutschen Bundestages übertragen werden einen Satz, der deutlich zum Ausdruck bringt, dass es so (D) nicht geht, dass man mit unseren Werten so nicht umge- (Beifall) hen kann und dass das ein Herumtrampeln auf der euro- und dass wir das in Zukunft für alle Kernzeitdebatten päischen Wertegemeinschaft ist . und besondere Veranstaltungen im Bundestag als zusätz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liches Angebot ermöglichen . Ich begrüße deswegen alle, und bei der LINKEN ) die davon heute zum ersten Mal Gebrauch machen, und hoffe, dass Sie lange dabeibleiben . Wenn man jetzt wieder auf Abschottungspolitik setzt, dann schädigt man die europäische Wertegemeinschaft . (Beifall) Dann haben wir vielleicht noch eine EU, aber eine EU, Nun hat der Kollege Anton Hofreiter für die Fraktion die im Kern nichts mehr wert ist, weil wir unsere Werte Bündnis 90/Die Grünen das Wort . nicht verteidigen . Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dafür sorgen, dass die europäischen Werte verteidigt werden Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und dass man nicht erneut auf Abschottungspolitik setzt . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sowie bei Abgeordneten der LINKEN) früher öfters gesagt: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa .– Aus heutiger Sicht müssten wir eigentlich sa- Wir alle haben – ich muss traurigerweise sagen: in den gen: Scheitern wir an einer humanen Flüchtlingspolitik, letzten Jahren – die schrecklichen Bilder davon gesehen, dann scheitert Europa . was im Mittelmeer passiert, dass dort Menschen regel- mäßig ertrinken . Deshalb hätte ich erwartet, dass beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gipfel etwas zu sicheren Wegen gesagt und Beschlüsse sowie bei Abgeordneten der LINKEN) gefasst worden wären, die es den Menschen ermöglichen, Sie haben selbst davon gesprochen, Frau Merkel, dass den schrecklichen Bürgerkriegen in Richtung Europa zu weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind . Bei entkommen, damit sie nicht auf Schlepper angewiesen dem Gipfeltreffen gestern haben sich die europäischen sind und darauf, auf vollkommen unsichere Boote zu ge- Länder immerhin darauf geeinigt, 120 000 Menschen in hen und sich in Lastwagen zu quetschen, in denen sie un- Europa zu verteilen . Jetzt kann man sagen: Ja, das ist ein ter Umständen ersticken . Wenn Europa wirklich zeigen erster richtiger Schritt in die richtige Richtung . Aber an- will, was es wert ist, dann sorgen Sie, dann sorgen wir gesichts von 60 Millionen Menschen, die weltweit auf gemeinsam dafür, dass es sichere Wege nach Europa gibt 11956 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Anton Hofreiter (A) und dass die Menschen nicht auf Schlepper angewiesen Länder des globalen Südens gelten würden und als ob bei (C) sind . uns alles toll wäre . Das Besondere ist diesmal, dass die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UN und die reichen Länder anerkennen, dass die Nach- und bei der LINKEN) haltigkeitsziele uns alle betreffen . Sie haben einen weiteren richtigen Punkt gesagt . Sie Frau Merkel, Sie haben davon gesprochen, dass wir mehr haben gesagt: Wir müssen unbedingt das World Food Geld für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben wollen . Programme ausreichend ausstatten .– Dieses Programm Es gibt das 0,7-Prozent-Ziel, das das erste Mal 1970 auf soll nun 1 Milliarde Euro erhalten . Aber können wir uns UN-Ebene beschlossen wurde . Das ist das Jahr, in dem nicht darauf einigen, dass das in Zukunft vorausschau- ich geboren worden bin . Es ist also schon ziemlich lang end passiert? Es ist dieses Jahr nicht das erste Mal, dass versprochen, dieses Ziel zu erreichen . Jetzt haben Sie dem World Food Programme das Geld ausgeht, dass die gesagt, zur Erreichung dieses Ziels sollen weitere Mil- Flüchtlinge hungern müssen und dass die Portionen auf liarden Euro zur Verfügung gestellt werden . Aber wenn 50 Cent pro Tag heruntergesetzt werden . Das ist bereits ich mir die mittelfristige Finanzplanung des Bundes an- letztes und vorletztes Jahr vorgekommen . Können wir schaue, dann stelle ich fest, dass der Anteil am Bundes- uns nicht wenigstens darauf einigen, wenn wir schon haushalt, der zur Erreichung dieses Ziels zur Verfügung nicht die ganz großen Krisen von heute auf morgen lösen gestellt wird, weiter bei 0,4 Prozent stehen bleibt . Des- können, dass wir, das reiche Deutschland – es geht um halb: Es hilft nicht, hier nur zu sagen, dass Milliarden einige Millionen Euro; das ist für eine Privatperson viel Euro mehr zur Verfügung gestellt werden sollen, sondern Geld; aber für uns als Bundesrepublik Deutschland ist das Ganze muss sich auch im Haushalt niederschlagen das leistbar –, rechtzeitig dafür sorgen, dass dieses Pro- und umgesetzt werden . Das ist es, was wir jetzt erwarten . gramm ausreichend finanziert wird, bevor ihm das Geld ausgeht . Das sollte der Mindestkompromiss sein . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler (SPD)) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Immer wieder ist die Rede von der Bekämpfung der der SPD und des Abg . Volker Kauder [CDU/ Fluchtursachen . Ja, sie ist richtig und wichtig . Auch wir CSU]) sind der Meinung, dass die Fluchtursachen dringend be- kämpft werden müssen . Es gibt auf der einen Seite die Ich möchte ganz herzlich den Ehrenamtlichen danken, Fluchtursachen Krieg und massive Verfolgung . Zu deren die innerhalb Deutschlands Unglaubliches leisten und Bekämpfung brauchen wir mehr diplomatische Initiati- sehr viel auf die Beine stellen . ven, eine Stärkung der UN und ihres Systems . (B) (Beifall im ganzen Hause) (D) Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Flucht- Man muss auch den Menschen in der öffentlichen Ver- gründe. Aus Westafrika zum Beispiel fliehen Menschen, waltung danken, die zum Teil bis zum Anschlag arbeiten . weil ihnen die Lebensgrundlage entzogen worden ist . Aber deshalb ist es umso wichtiger, dass am heutigen Warum ist Menschen dort die Lebensgrundlage entzogen Nachmittag beim Gipfel mit den Ministerpräsidenten worden? Weil mit europäischem Geld, auch mit deut- wirklich realistische Lösungen herauskommen, Lösun- schem Geld, große Fischfangflotten dorthin fahren, die gen, die wirklich tragen . Es dürfen nicht weitere Schi- Meere leerfischen. Dadurch haben die Fischer dort keine kanen beschlossen werden, und es darf keine seltsame Möglichkeit mehr, Fische zu fangen . Symbolpolitik betrieben werden . Man sollte nicht glau- ben, dass die Menschen nicht mehr aus Syrien flüchten, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- weil nur noch ein Taschengeld gezahlt wird . Vielmehr SES 90/DIE GRÜNEN) müssen echte Entlastungen für die Kommunen und ech- Was glauben Sie, warum die Leute von dort fliehen? te Hilfen für die Flüchtlinge beschlossen werden . Man Dennoch wird hier so getan, als wären es Wirtschafts- muss bestimmten bürokratischen Unsinn abschaffen, flüchtlinge. Erst helfen wir mit, ihnen ihre Lebensgrund- zum Beispiel die Regelung, dass nach drei Jahren alle lage zu entziehen, und dann diffamieren wir sie hier als anerkannten Flüchtlinge noch einmal überprüft werden . Wirtschaftsflüchtlinge. So kann es doch nicht gehen; so Ich erwarte vom Gipfel am heutigen Nachmittag, dass man die Probleme tatsächlich angeht, den Kommunen etwas muss man doch abstellen . und den Flüchtlingen hilft und dafür sorgt, dass die Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beit der Ehrenamtlichen nicht entwertet wird . sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LINKEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir in den letzten Wochen und Monaten wirk- Frau Merkel, Sie haben auch vom Gipfel in New York lich etwas gelernt haben, dann ist es, dass wir keine gesprochen, bei dem es darum geht, die Nachhaltigkeits- Wohlstandsinsel sind und dass unser Wohlstand von den ziele zu beschließen, die es dann zu erreichen gilt . Der Problemen der restlichen Welt nicht abgekoppelt ist . Gipfel in New York ist etwas Besonderes; denn wir be- Deshalb sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass es schließen diesmal Nachhaltigkeitsziele, die nicht nur für nicht nur uns gut geht, sondern auch der restlichen Welt die Länder des globalen Südens gelten . Bei den letzten und den zukünftigen Generationen gut geht; dann haben Millenniumszielen haben wir noch so getan, als ob sie wir eine richtige Politik gemacht, und dann haben wir uns kaum etwas angingen, als ob sie nur für die armen wirklich etwas geschafft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11957

Dr. Anton Hofreiter (A) Vielen Dank . ist das, was erreicht worden ist, noch nicht groß genug, (C) liebe Kolleginnen und Kollegen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Präsident Dr. Norbert Lammert: DIE GRÜNEN) Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für die Ich möchte schon, dass die Menschen in unserem Land CDU/CSU-Fraktion . von Europa nicht den Eindruck haben: In kleinen Dingen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ist Europa groß, aber in den großen Dingen ist Europa ordneten der SPD) klein .– Das kann nicht die Botschaft für Europa sein, liebe Kolleginnen und Kollegen . Volker Kauder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Das, was uns zurzeit als Aufgabe gestellt ist, ist wahr- DIE GRÜNEN) scheinlich die größte Herausforderung im Nachkriegs- deutschland . Wir hatten schon viele schwierige Aufgaben Natürlich höre und sehe ich das eine oder andere, was zu lösen . Aber dies ist deswegen eine große Herausfor- in dem einen oder anderen Land stattfindet. Aber wenn derung, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die un- wir Lösungen wirklich weiter fortentwickeln wollen, tergebracht werden müssen, für die wir eine Perspektive dann müssen wir immer alles betrachten . Ich höre, dass schaffen müssen; das ist die eine Gruppe . Außerdem ha- an Ungarn Kritik geübt wird . ben wir es mit Menschen zu tun, die wir ebenfalls anstän- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE dig und menschenwürdig behandeln müssen, aber denen GRÜNEN]: Ja! – Weiterer Zuruf vom BÜND- wir auch sagen müssen, dass sie in unserem Land keine NIS 90/DIE GRÜNEN: Zu Recht!) Zukunft haben können . Dies ist nicht immer einfach, und trotzdem muss es geleistet werden . Beides muss von uns Da gefällt mir das eine oder andere auch nicht . Aber ich allen geleistet werden . Es geht nicht, dass die einen glau- muss Ihnen sagen: Ich habe kein Wort dazu gehört – auch ben, wir kümmerten uns nur um diejenigen, die bleiben nicht aus der Fraktion unseres Koalitionspartners –, dass könnten, und ließen die anderen die andere, nicht minder es einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten der schwere Aufgabe allein machen . So geht es nicht in un- Slowakei gibt, der Sachen sagt, die genauso unerträglich serem Land . Beides ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe . und nicht akzeptabel sind . (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Christine (D) Für beides müssen auch die Voraussetzungen ge- Lambrecht (SPD): Wir laden den aber nicht schaffen werden . Der entscheidende Punkt ist, dass die ein! – Weitere Zurufe von der SPD) Menschen in unserem Land wissen: Es wird alles getan, - Ja, ja, es ist immer so: Die Wahrheit ist konkret, und das was möglich ist, um diese Aufgabe erfüllen zu können . muss im ganzen Umfang betrachtet werden . Ich habe es Auch ich weiß, dass es da Fragen gibt, dass es da Zweifel mir gerade noch einmal angeschaut . Da ist gesagt wor- gibt . Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich als den: Wir nehmen keine muslimischen Flüchtlinge, weil junger Beamter in einem Landratsamt mit einem großen wir keine Moscheen haben . Wir wollen nur Christen .– Andrang von Menschen zu tun hatte . Auch ich musste Jetzt, wo man eine gemeinsame Lösung mit Mehrheit ge- damals Hallen belegen und mit Sportvereinen sprechen . funden hat, wie es in der Demokratie üblich ist, sagt der Ich erinnere mich, wie auch ich damals Fragen gehört slowakische Ministerpräsident, er akzeptiere das nicht habe wie: Kann man das nicht einfach abstellen? und werde dagegen klagen . So wird es mit einem starken Da ist natürlich dann auch mal die Versuchung groß, Europa nichts . In beiden Fällen muss dies klar und deut- in diese Fragen und in das, was kritisch angemerkt wird, lich gesagt werden . einzustimmen . Aber ich kann Ihnen nur sagen: Das hilft nichts . Die Menschen erwarten von uns in einer Situati- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- on, wo sie Fragen haben und sich auch unsicher fühlen, ordneten der SPD) nicht, dass wir sie in ihrem Unsichersein bestätigen, son- Ich wünsche der Bundeskanzlerin weiterhin viel dern sie erwarten, dass wir ihnen sagen: Wir – Kommu- Kraft . Es ist nicht einfach für uns, diese Herausforderung nen, Länder und die Bundesregierung – haben die Kraft zu bewältigen . in diesem Land, um dieses Problem zu lösen .– Das ist die Ansage, die wir machen müssen . Aber ich finde auch, dass dieses Land in einer Sache, die doch ziemlich schnell und überraschend auf uns zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gekommen ist – natürlich gibt es ein paar, die das schon ordneten der SPD) letztes Jahr gewusst haben –, Enormes leistet . Aus eige- Dafür gibt es natürlich mehrere Ebenen . Die Bundes- ner Erfahrung – ich musste selber so etwas einmal ma- kanzlerin hat von gestern Abend, Thomas de Maizière chen – kann ich nur sagen: Ich habe großen Respekt vor hat von Anfang dieser Woche berichtet darüber, was man dem, was Thomas de Maizière leistet . Die Bundespolizei auf der europäischen Ebene gemacht hat . Ich muss sagen: gehört genauso in seinen Bereich wie das BAMF . Des- Es sind richtige Schritte, aber für die Größe der Aufgabe wegen haben wir allen Grund, Thomas de Maizière dank- 11958 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Volker Kauder (A) bar zu sein für das Engagement, das er aufbringt, liebe Meine bisherigen Erfahrungen sind folgende: Wenn (C) Kolleginnen und Kollegen . wir Geld für die Kommunen zur Verfügung stellen, dann kommt es meistens nicht zu 100 Prozent bei den Kom- (Beifall bei der CDU/CSU) munen an . Und wenn ich mir die Ausstattung der Kom- Ich bin dem SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel munen anschaue, dann stelle ich fest, dass Bayern die sehr dankbar dafür, dass er in der ihm eigenen klaren Kommunen jetzt schon zu 100 Prozent ausstattet . Sprache die Kritik an Thomas de Maizière als Quatsch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bezeichnet hat . Ich wünsche ihm jetzt nur noch viel Er- ordneten der SPD) folg dabei, diese Erkenntnis bei seinen eigenen Truppen wirklich durchzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich weiß ja, dass ihr bei Kritik an NRW besonders sen- sibel seid . (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Ich werde ihm dabei hel- (Christine Lambrecht [SPD]: An Hessen viel- fen! – Weiterer Zuruf des Abg . Swen Schulz leicht!) (Spandau) [SPD]) Aber die Wahrheit ist ja nie Kritik . Und es stimmt halt, – Ja, lieber Thomas Oppermann, wenn du mir zusagst, dass NRW seine Kommunen besser ausstatten muss, als dass du dich daran beteiligst, dann ist das eine sehr gute es das bisher gemacht hat . Entscheidung . Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der CDU/CSU – Christine (Beifall bei der CDU/CSU) Lambrecht [SPD]: Hessen auch!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir schaffen also Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich geht es die Voraussetzungen, um weitere gute Ergebnisse zu er- auch darum, dass wir angemessen reagieren . An die- zielen . ser Stelle möchte ich schon darauf hinweisen, dass es gar nicht in erster Linie um das Asylrecht geht – darü- Jetzt muss ich einmal sagen, Herr Hofreiter: Es macht ber werden ja Diskussionen geführt ; denn nicht einmal keinen Sinn, rein pragmatische Fragen ideologisch zu 2 Prozent derjenigen, die zu uns kommen, erhalten nach überhöhen . Wir sollten uns vielmehr danach richten, was Artikel 16 a des Grundgesetzes Asylrecht . 98 Prozent der jetzt notwendig ist . anerkannten Flüchtlinge erhalten vielmehr nach der Gen- (Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE fer Flüchtlingskonvention diesen Schutz . GRÜNEN]: Ja!) Deswegen, glaube ich, muss man auch klar sagen: Und wenn Sie – mit Recht – sagen, dass wir den Kom- Diejenigen, die vom Westbalkan stammen, haben we- (B) munen helfen müssen, die vor Ort die Verantwortung der nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch nach (D) haben – auch den Ländern, aber vor allem den Kommu- unserem Grundgesetz Anspruch auf Schutz . Sie haben nen –, dann würde ich Ihnen doch raten, den Experten, einen Anspruch darauf, dass ihr Asylantrag konkret ge- die Sie in Ihren eigenen Reihen haben, nämlich Ihren prüft wird . Aber es muss auch klar sein, dass diejenigen, Oberbürgermeistern aus Baden-Württemberg, mal ein die eine gute Perspektive haben, hierzubleiben, anders bisschen besser zuzuhören . Die sagen Ihnen nämlich, behandelt werden müssen, was Leistungen, die wir für was gemacht werden muss . Boris Palmer hat es for- Integration usw . gewähren, angeht, als diejenigen, die muliert und zugleich gesagt, dass das für Sie noch ein übermorgen wieder in ihr Land zurückkehren müssen . schmerzlicher Erkenntnisprozess werden würde . Okay . (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Wenn man also schon eigene Oberbürgermeister hat, die Thomas Oppermann [SPD]) etwas Richtiges sagen, dann sollte man auch in Berlin darauf hören, liebe Kolleginnen und Kollegen . Dafür dürfen auch keine zusätzlichen Anreize gesetzt werden . Dazu haben wir im Koalitionsausschuss gemein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . sam Ergebnisse erzielt . Thomas Oppermann [SPD] – Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gehört, was gestern und heute Morgen dazu Alle anderen Oberbürgermeister von uns sa- gesagt wurde, und ich werde mir anhören, was heute den gen was anderes!) ganzen Tag noch dazu gesagt wird . Ich kann nur sagen: Wenn wir als Fraktionsvorsitzende im Koalitionsaus- Ja, Thomas Oppermann, auch ich finde, dass das schuss stundenlang mit verhandeln und Ergebnisse erzie- Ergebnis, das wir heute zu erwarten haben, natürlich len, dann dürfen wir auch erwarten, dass diese Ergebnis- auch die finanzielle Seite mit einbeziehen sollte. Dabei se eins zu eins umgesetzt werden . Ich erwarte auch, dass ist wichtig, zu berücksichtigen, dass derjenige, der die dieses heute Nachmittag geschieht . Aufgabe erfüllt, auch die Mittel bekommt . Und in dem Umfang, in dem der Bund bei den Erstaufnahmeplätzen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . eigene Aktivitäten entwickelt, muss der Bund dafür auch Thomas Oppermann [SPD]) die Mittel erhalten . Und an den Stellen, an denen die Danach werden wir auch die Ergebnisse beurteilen . Kommunen die Aufgabe erfüllen, müssen die Kommu- nen die Mittel erhalten . Da kann ich die Verhandler und Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeskanzle- die Bundesregierung nur bitten, bei den Verhandlungen rin hat auch von der Nachhaltigkeitsstrategie gesprochen, heute Nachmittag darauf zu achten, dass dies auch ein- die jetzt bei der UNO beraten wird . Diese passt natürlich tritt . sehr gut in die konkrete Situation . Denn viele Probleme, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11959

Volker Kauder (A) die im Zusammenhang mit dieser Nachhaltigkeitsstrate- kann . Aber sich dann als Russlandfreundin an diesem (C) gie diskutiert werden, sind, wenn das entsprechende Ziel Rednerpult im Deutschen Bundestag hinzustellen, ohne bisher noch nicht erfüllt wurde, durchaus eine Fluchtur- zu sagen, was nicht in Ordnung ist, finde ich einfach sache . nicht wahrheitsgemäß . Ein Thema – vielleicht das schwerste; obwohl die an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- deren auch nicht einfach sind – wurde im Rahmen der ordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LIN- Diskussion über diese Nachhaltigkeitsstrategie noch KE]: Sie verdrehen mal wieder alles! Sie sind nicht erwähnt . Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und ein Meister des Verdrehens!) Kollegen, die am letzten Wochenende in New York da- bei waren, als 150 Abgeordnete aus fast der ganzen Welt Jetzt muss ich Ihnen einmal eines sagen: Wenn ich über auch über dieses Thema gesprochen haben . Es treiben dieses Thema spreche, ist mir nicht zum Lachen zumute . Menschen nämlich nicht nur Armut, Wassernot und viele (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal andere Dinge aus ihrem Land . Viele Menschen – auch lieber was zu Heckler & Koch!) die aus Syrien, die im Augenblick die Hauptgruppe der Flüchtlinge bilden – sind nicht in erster Linie wegen Das zeigt einiges, wenn Sie hier lachen können; das muss Armut aus ihrem Land fortgegangen, sondern weil eine ich auch einmal sagen . Mir ist da nicht zum Lachen zu- verantwortungslose Terrorgruppe ihnen nach dem Leben mute . trachtet . Wenn Menschen in Syrien sehen, dass der IS (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sagen Sie mal selbst Kindern die Köpfe abschneidet, dann werden sich was zu Heckler & Koch, Herr Kauder! Da hört die Eltern überlegen, ob sie dort eine Perspektive haben man gar nichts!) oder nicht . Die Aufgabe ist schwer genug . Besonders dort, wo es keine staatliche Autorität mehr gibt, sehe ich seit einiger Zeit eine ganz schlimme Ent- Wenn ich zum Beispiel Afrika betrachte und sehe, dass wicklung . Dort sind die Menschen am meisten betroffen, aus Eritrea Flüchtlinge kommen und aus dem Nachbar- sowohl was die Religionsfreiheit als auch was andere land Äthiopien nicht, dann hat das natürlich auch etwas Menschenrechte angeht . Wenn es keine ordnende Kraft damit zu tun, wer in diesem Land Macht ausübt . Ich mei- mehr gibt, dann können Verbrecher und Terroristen mit ne, über diese Dinge müssten wir schon auch klar reden . anderen Menschen machen, was sie wollen . Deswegen (Abg . Marieluise Beck (Bremen) [BÜND- gehören die Frage nach guter Regierungsführung und die Frage „Was können wir tun, um so etwas zu verhindern?“ NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (B) ebenfalls zur Nachhaltigkeitsstrategie . (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Frau Kollegin Beck, normalerweise lasse ich keine Fra- ordneten der SPD) gen zu . Bei Ihnen mache ich eine Ausnahme . Daher ist es auch richtig, dass man mit Assad spricht . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das lässt ja tief Vielleicht hätte man schon viel früher ernsthafter darüber blicken!) reden müssen . Präsident Dr. Norbert Lammert: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir haben das vorgeschlagen!) Das nehmen wir so zu Protokoll .– Bitte schön, Frau Kollegin Beck . Zu Ihnen komme ich gleich . Bleiben Sie mal ganz ruhig . Vielleicht muss man noch öfter und noch eingehen- Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE der darüber reden – damit komme ich zu Ihnen, Frau GRÜNEN): Wagenknecht; das gehört auch dazu –, dass nicht nur Sie haben recht, wenn Sie auf die schützende Hand Menschenrechte unteilbar sein müssen, sondern auch von Staatlichkeit verweisen . Aber sind Sie auch bereit, die Wahrheit unteilbar sein muss . So zu tun, als ob die mit einzubeziehen, dass gerade in Syrien derzeit und Russen überhaupt keinen Beitrag zu den Irritationen in auch in der Vergangenheit der überwiegende Teil der Afghanistan geleistet hätten, ist schon eine Frechheit, um Menschen vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit ge- es einmal so zu formulieren . flüchtet ist, die von der Staatlichkeit, die dort herrscht, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . ausgegangen sind? Thomas Oppermann [SPD]) Kenneth Roth von Human Rights Watch hat uns für Sie stellen sich hierhin und fordern: „keine Gewalt diese Debatte noch einmal in Erinnerung gerufen, dass und keine Waffen“, sagen aber kein Wort zu dem, was das Assad-Regime vor allen Dingen durch den bewuss- Russland unabgesprochen tut . ten Einsatz von Fassbomben in zivile Bereiche hinein – eindeutiger Bruch des Völkerrechts – einen wesentli- (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: So ist chen Teil der Flucht ausgelöst hat . Insofern meine ich: es!) Wenn wir nach den Ursachen fragen und alle sagen, dass Hat Russland nun Kampfhubschrauber und 1 700 Solda- Fluchtursachen bekämpft werden müssen, dann gehört ten dort hingeschickt oder nicht? Ich habe ja gar nichts dazu der Dialog mit allen Seiten, aber auch eine klare dagegen, dass man gemeinsam überlegt, was man tun Sprache, wer wofür verantwortlich ist . 11960 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Hofreiter, als Sie die Fluchtursachen genannt (C) Frau Kollegin Beck, ich teile diese Auffassung hun- haben, habe ich Ihnen ausdrücklich Beifall gespendet . dertprozentig . Deswegen habe ich auf das Beispiel Erit- Ich habe die Flüchtlingslager in Zaatari, aber auch in rea hingewiesen . Sie können dort noch so viele Food-Pro- Kurdistan gesehen . Ich habe im Übrigen sehr frühzeitig gramme machen, und doch wird sich nichts daran ändern, hier im Deutschen Bundestag darauf hingewiesen: Wenn dass die jungen Leute von dort verschwinden . es uns nicht gelingt, dafür zu sorgen, dass die Flücht- lingseinrichtungen in Erbil und Dohuk besser ausgestat- Ich habe gesagt, dass wir staatliche Gewalt brauchen, tet werden, dann kommen die Menschen ins Laufen .- Es die Ordnung schafft . Das muss ich noch einmal klar be- steht wieder ein Winter vor uns, und noch immer sind tonen . Aber dies hat Assad nicht gemacht, sondern er hat Hunderttausende in dieser Region in Lagern . Wenn es in sein eigenes Volk bekämpft . Hier kommt die entschei- diesem Winter nicht besser wird als im letzten, werden dende Frage, von der ich sage, dass sie so verdammt sie sich natürlich überlegen, ob sie den nächsten Sommer schwer zu beantworten ist: Hätten wir dort früher mehr dazu nutzen sollten, sich auch auf den Weg zu machen . tun müssen? Müssten wir nicht häufiger in der UNO mit Deswegen ist es richtig, dass wir Geld geben, damit das heißem Herzen öffentlich darauf hinweisen, dass natür- World Food Programme weiterlaufen kann . Dazu muss lich auch in Syrien Stellvertreterkriege stattgefunden ich jetzt allerdings sagen: Wegen jedes kleinen Themas haben und dass es wahrscheinlich ein Vorteil gewesen kommen UNHCR und andere UN-Organisationen auf wäre, mit dem Iran schon viel früher zu Ergebnissen zu mich zu; aber dass das Geld für das World Food Pro- kommen . Völlig richtig, völlig klar . Hier sieht man, dass gramme ausgeht, haben sie mir nicht gesagt . Sonst hätten es manchmal schwer ist, in außenpolitischen Fragen vor- wir uns früher darum kümmern können . anzukommen . Sie haben völlig recht . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das haben sie Ich meine auch: Wenn alle miteinander – Putin und letztes Jahr schon in unserem Ausschuss ge- die Amerikaner – zusammen zu einer Lösung kommen sagt!) können und mit Assad gesprochen wird, dann ist das der einzige Weg . Wir sind uns sicher auch darin einig, dass es Jetzt stimme ich Ihnen zu, dass wir dies selber aktiv sehr schnell eine ordnende Gewalt geben muss, sonst gibt begleiten und beobachten müssen sowie dafür sorgen es in Syrien ein Verbluten von noch mehr Menschen, als müssen, dass Ernährung und Versorgung in den Lagern es ohnehin der Fall ist . Es reicht eben nicht – das haben sichergestellt werden, damit die Menschen nicht aus die- wir im Irak, in Libyen und anderswo gesehen –, dass eine sem Grund woandershin unterwegs sein müssen . schlechte, schlimme Regierung geht . Man muss auch da- Dieses Unterwegs-sein-Müssen, liebe Kolleginnen für sorgen, dass dann in diesem Land Stabilität herrscht . (B) und Kollegen, bedeutet für viele Menschen, vor allem (D) Jetzt kommt noch ein weiteres schwieriges Thema . Es für Kinder, den sicheren Tod, bevor sie sich richtig auf wird im Zweifel nicht allein aus der Luft möglich sein, den Weg gemacht haben . Es wird sehr viel darüber ge- sondern es muss am Boden einiges getan werden . Jetzt sprochen, dass die Situation auf dem Mittelmeer unhalt- fragt mich Frau Göring-Eckardt sicher: Wollen Sie auf bar ist und man die Flüchtlinge retten muss . Aber wenn einmal Bodentruppen entsenden, obwohl Sie doch etwas ich mir vor Augen führe, wie viele Menschen auf dem ganz anderes gesagt haben? Ich sage: Nein, das will ich Weg von Zentralafrika durch die Wüste bis nach Nordaf- nicht . Das machen wir auch nicht . – Bei der Klausurta- rika sterben, wie viele Menschen auf dem Weg von Erbil gung des Fraktionsvorstandes hatten wir den jordani- oder Dohuk durch Krisengebiete sterben, dann muss ich schen Außenminister zu Gast . Bei der Tagung in New sagen: Wir müssen alles dafür tun das hat auch etwas York, bei der es um Religionsfreiheit weltweit ging, ha- mit Menschlichkeit zu tun , dass die Menschen nicht auf ben sich dazu christliche und auch muslimische Theolo- diesen gefährlichen Weg geschickt werden, liebe Kolle- gen aus dieser Region geäußert . Sie sagen: Das ist nicht ginnen und Kollegen . eure Aufgabe, sondern es ist unsere Aufgabe . Die müs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sen wir machen, nicht ihr im Westen müsst den IS in die ordneten der SPD Heike Hänsel [DIE LIN- Schranken weisen . Das ist unsere Aufgabe . Die müssen KE]: Wie denn, Herr Kauder?) wir als Muslime annehmen . Wir haben eine Reihe von Aufgaben . Ich kann nur Wenn Länder wie Jordanien sagen, dass sie das tun hoffen, dass sich Ministerpräsident Ramelow besser ein- müssen, dann müssen wir sie bei dieser Aufgabe unter- bringt - ich habe den Eindruck - als Sie von der Linken stützen und ihnen helfen, dass sie diese Aufgabe bewälti- hier im Deutschen Bundestag . gen können . Hier müssen wir auch sagen – ich will jetzt niemanden von meinen Kollegen aus anderen Fraktionen (Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Machen des Deutschen Bundestages zitieren –: Es gibt Situati- Sie sich keine Sorgen!) onen, wo ISIS allein mit Worten nicht daran gehindert So ist es meistens: Wenn man konkret vor Ort Verantwor- werden kann, den Menschen die Köpfe abzuschneiden . tung trägt, sieht es anders aus, als wenn man hier in der Das gehört auch zur ganzen Wahrheit, meine sehr verehr- Opposition in der ersten Reihe sitzt und ein bisschen vor ten Damen und Herren . sich hin redet; das ist eine ganz andere Sache . Nein, wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sagen den Menschen: Wir wissen, dass die Lage schwie- ordneten der SPD und des Abg . Cem Özdemir rig ist, wir wissen, dass ihr es vor Ort auch nicht leicht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) habt, aber wir wissen auch, dass wir in diesem Land die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11961

Volker Kauder (A) Kraft und die Stärke haben, um diese Aufgabe zu meis- Zeigen Sie nicht nur auf uns, sondern reden Sie auch über (C) tern . Ihre eigenen Fehler . Wenn jeder über seine Fehler redet, kommen wir ein Stückchen weiter . Herzlichen Dank . Schönen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Dr. Norbert Lammert: NEN]) Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gehrcke das Wort . Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Lars Castellucci für (Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU die SPD-Fraktion . und der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): der CDU/CSU) Schönen Dank, Herr Präsident .– Nicht aufregen! Das müssen Sie jetzt ertragen . Dr. Lars Castellucci (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kauder, ich bin wirklich dafür, dass jede Frak- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir verbinden tion, jeder Abgeordnete über seine Fehler auch hier im heute zwei Themen miteinander, nämlich den Nachhal- Bundestag offen redet . tigkeitsgipfel der Vereinten Nationen, auf dem globale (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Das Entwicklungsziele für mehr Nachhaltigkeit verabschie- sagen ausgerechnet die Linken!) det werden sollen, mit der Flüchtlingspolitik . Es ist sehr gut, dass wir diese Themen miteinander verbinden; denn Nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, bringt über- die Ziele, die in New York verabschiedet werden sollen – haupt nichts . Ich gestehe Ihnen – ich habe das schon Armut endlich entschlossen bekämpfen, den Klimawan- mehrfach hier im Plenum gesagt –: Es war ein Fehler del erfolgreich bekämpfen, den Menschen Zugang zu meiner Politik, den russischen Einmarsch in Afghanistan sauberem Wasser geben, Gleichberechtigung durchset- zu rechtfertigen . zen –, sind nichts anderes als ein globales Programm zur (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Der Anfang von Bekämpfung von Fluchtursachen, und das ist genau das, allem!) was wir heute brauchen . (B) Wir haben mehrfach darüber gesprochen; ich habe es nie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) verhehlt: Es war ein Fehler . der CDU/CSU) Gerade weil wir in unserer Fraktion über diese Fehler Die angekündigten Beschlüsse halte ich für unglaub- gesprochen haben, waren wir uns einig: Wir wollen diese lich . Obwohl wir derzeit in der Welt ein großes Durchei- Fehler nicht mit anderen Argumenten wiederholen . Ge- nander erleben, obwohl so viel auseinanderläuft, schaf- nau deshalb konnten wir ehrlich und überzeugt die NA- fen es alle Staaten der Welt, sich auf ein gemeinsames TO-Intervention und das Vorgehen der USA in Afghanis- Programm zu verständigen . Das ist eine gute Nachricht, tan kritisieren . Das halte ich für eine vernünftige Politik . die wir nach draußen tragen müssen . Ich danke allen, die vonseiten unserer Ministerien daran mitgewirkt haben, Jeder soll über seine Fehler reden; Sie haben viel über die Verhandlungsergebnisse schon so weit vorzubereiten, unsere geredet . wie sie heute vorliegen . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ich viel Gestern hatte ich eine Schülerklasse zu Besuch, und geredet hätte, wäre ich ja noch nicht fertig!) die hat die entscheidende Frage gestellt, nämlich: „Jetzt Über die Fehler Ihrer Fraktion habe ich kein einziges habt ihr das alles aufgeschrieben . Aber passiert denn jetzt Wort gehört . Das ist eine gewisse Art der Selbstgerech- auch etwas?“ Frau Bundeskanzlerin, ich nehme Sie beim tigkeit . Wort . Sie haben eben gesagt: Das wollen wir jetzt ent- schlossen umsetzen . Lassen Sie mich in diesem Zusam- Was Syrien angeht, sage ich Ihnen: Viele meiner menhang drei Punkte nennen: Freunde in Syrien – ich habe sehr viele dort – haben über Jahre, Jahrzehnte in den Gefängnissen von Assad geses- Erstens . Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie soll sen . Wer die Haftbedingungen in Syrien kennt, kann .plä- im nächsten Jahr fortgeschrieben werden . Sie muss diese dieren – andere haben das gemacht –, Leute nach Syrien globalen Entwicklungsziele aufgreifen, und sie muss zur auszuliefern; denn sie werden in den Gefängnissen dort leitenden Strategie unserer Regierungspolitik werden . verhört und gefoltert . Auch darüber ist mal zu reden . Ge- Zweiter Punkt . Wir sehen bei der Flüchtlingspolitik, rade meine Freunde, die in Syrien in den Gefängnissen dass wir alleine – als Politik, als Verwaltungen und als waren, haben mir immer wieder gesagt: Man muss mit Hauptamtliche – überfordert sind, die notwendigen Maß- Assad verhandeln, man muss eine politische Lösung her- nahmen umzusetzen . Wir brauchen ein breites Bündnis, beiführen; eine militärische Lösung wird es nicht geben . um die großen Fragen unserer Zeit zu bearbeiten . „Alle Ich finde, in dieser Art und Weise sollten die Frakti- sollen einen Beitrag leisten können “. – Ich möchte noch onen miteinander umgehen . Ich würde Sie sehr bitten: einmal die Bundeskanzlerin zitieren . Wir brauchen, wie 11962 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Lars Castellucci (A) wir das auch 1992 nach dem UN-Gipfel hatten, einen Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) Aufbruch für mehr Nachhaltigkeit, der die Zivilgesell- Heike Hänsel ist die nächste Rednerin für die Fraktion schaft, die Wissenschaft, die Politik und die Wirtschaft Die Linke . einschließt . (Beifall bei der LINKEN) Dritter Punkt . Was würden Sie machen – da spreche ich alle Kolleginnen und Kollegen, aber insbesondere Heike Hänsel (DIE LINKE): unsere Haushälter an –, wenn wir sagen würden: Um das Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Thema Bundeshaushalt kümmert sich die Regierung al- legen! Die Weltgemeinschaft will am kommenden Wo- leine, wir nehmen ihn nur zur Kenntnis? Ich sage an die- chenende in New York neue Entwicklungsziele verab- ser Stelle: Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie muss schieden. Alle Staaten wollen sich verpflichten, Armut eine Strategie für das ganze Land werden . Wir müssen zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung und den sie im Parlament beraten und beschließen . Schutz des Klimas zu befördern . (Beifall bei der SPD) Nach wie vor 1 Milliarde Menschen, die hungern, und Zur Flüchtlingspolitik . Wir werden unserer Verant- zahllose Flüchtlinge, die nach Europa kommen, zeigen wortung gerecht, wenn wir auf unsere Sprache achten, uns, dass die herrschende Wirtschaftsordnung und die und wir werden unserer Verantwortung gerecht, wenn politische Ordnung nicht dazu geeignet sind, für alle ein wir beherzt handeln . Ich möchte noch einmal die Bun- menschenwürdiges Leben zu organisieren . Deswegen deskanzlerin ansprechen . Ich danke ihr ausdrücklich für brauchen wir eine neue Politik, um weltweit ein gutes ihre Entscheidung, die Menschen, die in Ungarn festge- Leben für alle zu erreichen . sessen haben, ins Land zu lassen . (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Claudia [CDU/CSU]: Unsere Wirtschaft ist so anzie- Roth (Augsburg) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hend!) NEN]) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben heute viel über Ar- Lassen Sie mich folgenden Satz zitieren: „Wenn wir uns mut gesprochen, aber Sie haben kein Wort zu dem im- jetzt noch entschuldigen müssen dafür, dass wir in Not- mensen Reichtum in der Welt, zu dieser Konzentration situationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das von Reichtum gesagt . 86 Menschen auf der Welt besitzen nicht mein Land “. Ich halte diesen Satz schon heute für so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung . Ge- einen der wichtigsten Sätze ihrer Kanzlerschaft . nau deswegen fordern die Staaten des Südens, dass wir endlich zu einer Politik der weltweiten sozialen Umver- (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeord- teilung kommen . Diese ist überfällig . Am besten fangen neten der LINKEN und des Abg . Gunther wir mit den Milliardären hier in Deutschland an . Krichbaum [CDU/CSU]) (Beifall bei der LINKEN) – Vielleicht könnte man an dieser Stelle den Beifall ge- trennt ausweisen . Denn wenn ich nach Bayern schaue, Angesichts von 2,5 Billionen Euro Privatvermögen in Frau Hasselfeldt und alle, die hier sitzen, muss ich schon Deutschland muss ich sagen, sagen: Dem Geist eines Klosters hätte eine prominente (Manfred Grund [CDU/CSU]: Mit Enteig- Pfarrerstochter als Gast besser entsprochen als der Gast, nungen habt ihr ja Erfahrung!) den Sie eingeladen haben . dass die 1 Milliarde Euro der gesamten EU für die Flücht- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- lingslager mehr als bescheiden ist . Da muss deutlich mehr ten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Dietmar kommen . Deshalb müssen wir auch die Reichen für diese Bartsch [DIE LINKE]) Politik der Umverteilung zur Verantwortung ziehen . Noch ein paar Worte zu Herrn Orban, der uns mora- (Beifall bei der LINKEN) lischen Imperialismus vorgeworfen hat . Wenn er damit meint, dass wir glauben, dass Europa eine Wertegemein- Frau Merkel, Sie haben auch nichts zur Handelspolitik schaft ist, dann hat er sogar etwas verstanden . der Europäischen Union gesagt . Obwohl Entwicklungs- hilfeminister Müller, der gerade auch nicht anwesend ist, Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gesagt immer von fairem Handel spricht, habe ich nichts von Ih- worden, mit welcher Haltung wir nach draußen gehen nen dazu gehört, ob vielleicht ein Überprüfen der europä- müssen . Herausforderungen sind dazu da, dass wir sie ischen Handelspolitik notwendig ist, welche Auswirkun- annehmen . Krisen können auch Chancen bergen . gen diese hat und wie sie sich konkret in Afrika auswirkt, wenn Märkte geöffnet werden, wenn die afrikanischen Wenn wir das so betrachten, dann können wir das Länder gezwungen werden, ihre Zölle zu senken, wenn nicht nur schaffen, sondern dann können wir an dieser im Grunde genommen mit den Wirtschaftspartnerschafts- Aufgabe auch wachsen . Mit dieser Haltung werden wir abkommen ein TTIP für Afrika verabschiedet wird . weiterarbeiten . So können wir nicht weitermachen . Wir müssen eine Vielen Dank . andere Handels- und Wirtschaftspolitik entwickeln, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wenn wir einen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit in der der CDU/CSU) Welt leisten wollen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11963

Heike Hänsel (A) Sie haben auch nur wenig zu den aktuellen Entwick- GRÜNEN]: Die Staatsregierung ganz sicher (C) lungen in der Außenpolitik gesagt . Die Friedensnobel- nicht! Stadt München zum Beispiel!) preisträger haben zu viel mehr Abrüstung und dazu auf- gerufen, die Ressourcen zu mobilisieren, um eine neue Zur Wahrheit über die Situation im Land gehört aber soziale und gerechte Weltordnung zu finanzieren. auch, dass sich die Menschen – zu Recht – fragen: Wie viel können wir noch schultern? Ist unsere Integrations- Was erleben wir aber im Moment? Wir erleben die kraft an der Grenze? Zur Wahrheit gehört, dass wir or- Gefahr einer neuen atomaren Aufrüstungsspirale mitten ganisatorisch, personell und in manchen Bereichen auch in Europa . Modernisierte neue US-Atomwaffen werden derzeit in Deutschland stationiert, konkret in Büchel in finanziell an der Grenze angelangt sind. Rheinland-Pfalz . Das ist eine brandgefährliche Politik . (Heike Hänsel [DIE LINKE]: 21 Milliarden Der Bundestag hat aber bereits 2010 beschlossen, dass Mehreinnahmen!) wir diese Atomwaffen abziehen wollen . Jetzt wird im Oktober im Rahmen eines NATO-Manövers der Einsatz Deshalb muss klar sein: Diese große Aufgabe der Bewäl- dieser Atomwaffen trainiert . Diese Politik einer neuen tigung der Flüchtlingsströme kann nicht nur mit natio- Aufrüstungsspirale, die so viele Ressourcen für mehr nalen Anstrengungen bewältigt werden, sondern das ist Rüstung bindet, muss beendet werden . eine globale Aufgabe, der sich alle Europäer in globaler (Beifall bei der LINKEN) Verantwortung widmen müssen und für die globale Ant- worten gefunden werden müssen . Denn – und das fordern die Friedensnobelpreisträ- ger – Friedenspolitik bekämpft Fluchtursachen und ist (Beifall bei der CDU/CSU) der beste Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung . Es ist gut – das ist der richtige Zeitpunkt –, dass an (Beifall bei der LINKEN) diesem Wochenende der Gipfel der Vereinten Natio- nen stattfindet, auch wenn dort nicht nur diese Frage im Präsident Dr. Norbert Lammert: Mittelpunkt stehen wird . Wenn wir Fluchtursachen be- Das Wort erhält die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die kämpfen wollen und eben nicht nur Symptome kurieren CDU/CSU-Fraktion . wollen, dann müssen wir uns alle miteinander weltweit um eine nachhaltige Entwicklung in allen Teilen der Welt (Beifall bei der CDU/CSU) kümmern . Deshalb ist dieser Gipfel von ganz besonderer Bedeutung . Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): (B) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir (Beifall bei der CDU/CSU) (D) erleben in diesen Tagen immer wieder aufs Neue eine Dass sich gestern die Staats- und Regierungschefs und überwältigende Hilfsbereitschaft, eine überwältigende am Tag zuvor die Innenminister auf europäischer Ebe- Solidarität von vielen Menschen im Land: in den Hilfs- organisationen, von Mitarbeitern von Behörden, in den ne intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt Kirchen, von Privatmenschen, von den Sicherheitskräf- und intensiv um Lösungen gerungen haben, wenigstens ten, bei der Polizei, bei der Bundeswehr und vielen an- um Teillösungen, und dabei auch einiges erreicht ha- deren Einrichtungen . Vor dem Hintergrund der Erfahrun- ben, macht deutlich: Das geht nicht nur mit nationalen gen, die ich in meiner Heimat unmittelbar gemacht habe, Anstrengungen . Europa ist hier in besonderer Weise ge- darf ich sagen: Diese Hilfsbereitschaft und der Einsatz fordert . Ich unterstreiche ausdrücklich das, was Volker der Beamten sowie der Mitarbeiter der Organisationen Kauder vorhin gesagt hat: Europa darf sich nicht nur mit ist in Bayern ganz besonders gefragt und ganz besonders allem möglichen Kleinkram beschäftigen . Wenn wir uns ausgeprägt gewesen; Sie haben das alles mitbekommen . so manche EU-Richtlinie und so manches Vertragsver- Bayern war in den letzten Wochen verstärkt gefordert . letzungsverfahren anschauen, müssen wir sagen, dass Die bayerische Bevölkerung hat hervorragend gearbeitet vieles davon angesichts der Probleme, die wir heute zu und hervorragend reagiert . Ich danke dafür sehr herzlich . bewältigen haben, Kleinkram ist . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN – Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ Europa muss sich um die Sicherheit Europas, um die Be- DIE GRÜNEN]: Die Bevölkerung schon! Im wältigung der Flüchtlingsströme, um die Sicherheit der Gegensatz zur Staatsregierung! – Gegenruf Menschen in den Krisengebieten und außenpolitisch um des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU]: Die die Bekämpfung der Fluchtursachen und nach Möglich- Staatsregierung war spitze! Die Staatsregie- keit auch um die Beseitigung der Krisen kümmern . rung war die ganze Zeit am besten!) – Lieber Herr Hofreiter, die Staatsregierung hat einen Dazu ist es notwendig, mit allen zu reden, offiziell, in maßgeblichen Anteil daran, dass das alles hervorragend den Gremien, aber auch unter uns, auf Parteiveranstal- organisiert, durchgeführt und rechtsstaatlich ausgerichtet tungen und in Fraktionsgremien . Deshalb war und ist es wurde . Auch das gehört in diesem Kreis einmal gesagt . auch richtig, dass die bayerische Landtagsfraktion der CSU mit Viktor Orban gesprochen hat . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr .Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE (Zuruf der Abg . Christine Lambrecht [SPD]) 11964 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Gerda Hasselfeldt (A) Er ist ein Hauptbetroffener an der Außengrenze zu Euro- der gesichert sind, die es ermöglichen, dass Arbeits- und (C) pa . Wenn wir mit den Leuten nicht reden, wie sollen wir Ausbildungsplätze geschaffen werden . dann die Probleme gemeinsam lösen? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das können Sie (Beifall bei der CDU/CSU – Christine nicht alles mit 1 Milliarde Euro machen!) Lambrecht [SPD]: Er ist das Problem! – Heike Das alles trägt dazu bei, dass die Menschen in ihrer Hei- Hänsel [DIE LINKE]: Vielleicht sprechen Sie mat oder in der Umgebung ihrer Heimat bleiben können einmal mit der griechischen Regierung! Da und dort auch mithelfen können, ihre Heimat wieder kommen noch viel mehr Menschen an!) aufzubauen . Auch das ist weltpolitische Verantwortung, Das Gleiche gilt natürlich für andere Situationen . Wir ist humanitäre Verantwortung, ist Verantwortung für die haben vorhin viel über die Situation in Syrien gehört . Menschen dort . Insgesamt sind 60 Millionen Menschen weltweit auf (Beifall bei der CDU/CSU) der Flucht, 12 Millionen allein in und um Syrien . Fünf Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges dort ist es an der Wir haben in den letzten zwei Wochen intensiv dar- Zeit, den außenpolitischen Stillstand zu überwinden . Alle an gearbeitet, auch bei uns unsere Hausaufgaben im Zu- müssen an einen Tisch . Ich bin sehr dankbar dafür, dass sammenhang mit diesem Problem zu machen. Ich finde, dies auch von einer ganzen Reihe von Europäern erkannt dass Gutes auf den Weg gebracht wurde, immer mit dem wird, dass Initiativen ergriffen werden, dass miteinander Grundgedanken bzw . mit der doppelten Aufgabe, zum gesprochen wird, dass miteinander gerungen wird, um einen im Zeichen von Humanität und Solidarität für eine nicht nur in dem Land, sondern in der gesamten Region menschenwürdige Versorgung der Menschen, die zu uns Frieden zu erreichen . Ich weiß auch, und wir alle wissen, kommen, zu sorgen, und zum anderen aber auch deut- dass das nicht von heute auf morgen geht, dass das nicht lich zu machen, dass wir nicht alle Probleme dieser Welt schnell geht, dass wir einen langen Atem dazu brauchen, auf deutschem Boden lösen können und dass diejenigen, aber ein Stillstand der Gespräche wird mit Sicherheit die aus rein wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, nicht zur Lösung der Probleme führen . nach einem rechtsstaatlich sauberen Verfahren wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten und dies auch von den (Beifall bei der CDU/CSU) Ländern so praktiziert werden muss . Der Bund hat jetzt 95 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben noch ir- die Weichen für schnellere Verfahren und alles, was dafür gendwo dort in der Region; sie sind in Flüchtlingslagern notwendig ist, gestellt . Er wird auch die Weichen dafür im Libanon, in Jordanien untergebracht, und zwar zum stellen, dass die Kommunen und die Länder bei der Be- Teil unter katastrophalen Zuständen . Es ist vorhin ange- wältigung dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden, meine Damen und Herren . Das haben wir in der Vergan- (B) sprochen worden: Die Mittel beim Welternährungspro- (D) gramm sind reduziert worden . Es ist dringend notwendig, genheit unter Beweis gestellt, und das werden wir auch es ist ein Gebot der Moral, hier aufzustocken und mit künftig tun . zusätzlichen Mitteln im Welternährungsprogramm, aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auch mit einer Winterhilfe angesichts des jetzt nahenden ordneten der SPD) Herbstes und Winters zu helfen . Auch hier hat die Eu- ropäische Union gestern meines Erachtens die richtigen Das, was wir heute leisten, was unsere Gesellschaft Zeichen gesetzt . leistet, können wir deshalb leisten, weil wir stark sind: stark durch eine solide Haushaltspolitik, stark durch eine Es geht aber auch darum, dass wir nicht nur in den solide Investitionspolitik, stark durch Mitmenschlich- Flüchtlingslagern, sondern auch in den Krisengebie- keit, stark durch eine hohe Stabilität unserer Gesellschaft ten insgesamt Zeichen dafür setzen, dass die Menschen und unseres Landes insgesamt . Damit wir in der Zukunft dort bleiben können . Es ist ein Gebot der Moral, diesen stark bleiben, ist es aber notwendig, auch die Grenzen Menschen dort in den Flüchtlingslagern zu helfen, und der Integrationskraft zu sehen und klar zu erkennen, dass es ist meines Erachtens ein Gebot der Klugheit, alles zu wir nicht die Probleme der ganzen Welt bei uns lösen tun, dass die Menschen in ihrer Heimat oder zumindest können, sondern auch alles tun müssen, um Gerechtig- in der Nähe ihrer Heimat, in ihrem Kulturkreis bleiben keit, sowohl bei uns als auch in Europa, walten zu lassen . können und nicht den weiten Weg woandershin gehen, wo sie dann in fremden Kulturen und fremden Gebie- Herzlichen Dank . ten völlig neu beginnen müssen, wenn sie überhaupt dort (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ankommen und beginnen können . Das ist ein Gebot der ordneten der SPD) Klugheit . (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Deshalb möchte ich dem Bundesentwicklungsminis- Das Wort erhält die Kollegin Claudia Roth für die ter herzlich dafür danken, dass er mit einem neuen In- Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen . frastrukturprogramm in den Flüchtlingsgebieten dafür ein Zeichen gesetzt hat und setzt . Dadurch gibt es dort Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neue Programme, die es ermöglichen, dass Zigtausen- NEN): de Kinder in die Schulen kommen, die es ermöglichen, Lieber Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kolle- dass die Stromversorgung und die Wasserversorgung für gen! António Guterres hat es sehr deutlich gesagt: Das Hunderttausende von Menschen in diesen Gebieten wie- akute und beispiellose Flüchtlingselend ist ein Symptom Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11965

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) für den aktuellen Zustand der Welt, einer Welt, die in Un- Eine wirkliche Nachhaltigkeitsagenda kann die Welt ge- (C) ordnung ist, einer Welt, in der wir die Auflösung der post- rechter machen . Sie ist damit auch eine aktive Fluchtur- kolonialen Staatenordnung erleben, einer Welt, in der die sachenbekämpfung und Konfliktprävention. Klimakatastrophe droht, die viele weitere 100 Millionen Menschen zur Flucht zwingen wird, in der wir ein gi- Ich warne aber davor, so zu tun, als sei Deutschland gantisches Artensterben und eine Vermüllung der Meere schon jetzt Nachhaltigkeitsweltmeister . Wir sind näm- erleben, in der die reichsten 80 Menschen genauso viel lich weltspitze im Fleischverbrauch, in der Kohlever- haben wie 3,5 Milliarden Menschen . Es ist eine Welt, in stromung und im Kleidungsverbrauch, und wir sind in der noch nie so viele Menschen auf der Flucht waren; die der Euro-Zone Meister in der sozialen Ungleichheit . Das schlimmste Zahl ist vielleicht, dass darunter 31 Millio- heißt, wir sind überhaupt nicht gut auf die Anforderun- nen Kinder sind . gen der globalen Nachhaltigkeitsagenda vorbereitet . Wir erleben das Entstehen einer Weltgesellschaft, Weil es nicht schon wieder passieren darf, dass man wie Dirk Messner es ausgedrückt hat, wenn Klimakol- von der UNO am Wochenende nur feierliche Erklärun- laps, Ebola, Griechenland-Krise, Charlie Hebdo und gen hört und dass Minister Müller, dem ich es wirklich die derzeitige Fluchttragödie in unseren Hauptstädten, abnehme, dass diese 17 Ziele Herzensanliegen für uns in unseren Dörfern ankommen und uns so gezeigt wird, sind, nur gut gemeinte Worte spricht, haben wir Grünen- dass die Probleme dieser Welt nicht mehr weit weg blei- fraktion 17 Anträge zu den 17 Zielen erarbeitet und ge- ben . Das wird auch jedem klar, der die Bilder von der zeigt, was zur Erreichung dieser Ziele für Deutschland dramatischen Einreise nach Europa sieht, der sieht, wie und für unsere Politik konkret notwendig ist . Wir haben Menschen versuchen, über Stacheldrahtzäune von Ser- diese 17 SDGs aus dem Elfenbeinturm herausgeholt, her- bien nach Ungarn zu klettern, der sieht, wie sie in völlig unterdekliniert und konkrete politische Handlungsanfor- überfüllten Booten von Libyen oder von der Türkei aus derungen daraus gemacht: über das Mittelmeer kommen wollen, der die Bilder von Zügen und Lastwagen sieht, mit denen Menschen inner- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halb Europas von Land zu Land geschickt werden . für artgerechte Tierhaltung statt Massentierqual, für Ich sage: Mein Europa ist nicht das Europa eines Vik- Wohlstand statt blindem Wachstum, für eine faire Han- tor Orban, der zum Dank für Mauern, Zäune, Tränengas delspolitik statt TTIP, für einen Stopp des Artensterbens und für den Einsatz von Militär gegen Flüchtlinge von statt einer Überfischung der Weltmeere, für eine voraus- der CSU ins Kloster Banz eingeladen wurde . schauende Friedenspolitik statt Rüstungsexporten, für eine humanitäre Schutzverantwortung statt neuen Mau- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) ern, für eine globale Partnerschaft und für das 0,7-Pro- (D) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) zent-Ziel, das endlich erreicht werden muss . Er ist als Ehrengast eingeladen worden, als Ehrengast, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der rechtspopulistisch gegen Muslime hetzt, Stimmung sowie bei Abgeordneten der SPD) gegen Humanität und Menschenwürde macht und – mit Verlaub – unflätig gegen Angela Merkel hetzt. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin . sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Diese EU muss endlich gemeinsam Verantwortung in der Welt und für die Welt übernehmen . Denn Europa Ich komme zum Schluss, lieber Herr Präsident .– Wir er- trägt mit seiner Menschenrechtspolitik, die gescheitert warten jetzt, dass wirklich jede und jeder von Ihnen ge- ist, mit seiner Rüstungspolitik, seiner Handelspolitik, nau das Gleiche tut, nämlich herunterdekliniert und sagt, seiner Fischereipolitik, seiner Ressourcenpolitik, seiner welche Verantwortung die 17 Ziele für jedes Ministerium Agrarpolitik und mit gebrochenen Versprechen, wenn es mit sich bringen . Dann muss es an die Umsetzung gehen . um globale Gerechtigkeit und Klimaschutz geht, doch Nur dann ist diese Politik kohärent, und nur dann ist es dazu bei und hat eine große Mitverantwortung dafür, glaubwürdig, dass auch diese Regierung die Fluchtursa- dass überhaupt so viele Menschen gezwungen sind, ihre chen bekämpfen will . Heimat zu verlassen . Vielen Dank . Deutschland als reiches Industrieland in der EU trägt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine ganz besondere Verantwortung . Genau darum geht sowie bei Abgeordneten der SPD und der es bei der neuen globalen Nachhaltigkeitsagenda . Denn CDU/CSU) anders als noch bei den Millenniumszielen steckt in den SDGs das Wissen, dass die Welt nur dann gerechter wird, wenn sich alle bewegen, also auch und zuerst die reichen Präsident Dr. Norbert Lammert: Industrieländer, also auch und mit zuerst wir . Bärbel Kofler ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) 11966 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Dr. Bärbel Kofler (SPD): den SDGs gefordert –, damit die Staaten ihren Menschen (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegin- all das bieten können . Was braucht man dazu als Staat? nen und Kollegen! Viele Vorredner sind auf das Thema Man braucht – das haben wir in den Haushaltsberatun- Flucht eingegangen, das uns alle berührt . Die Bilder, die gen erlebt – vernünftige Mittel und Einnahmen . Es geht wir sehen, und die Situation, in der die Menschen dort also auch um die Steuereinnahmen der Staaten und um leben und die sie erleiden müssen, berühren uns, glaube die Frage, wie wir Steuerflucht bzw. Steuerhinterziehung ich, alle – sowohl hier im Land als auch in Europa . Viele verhindern können und welche Beiträge wir hier leisten, Menschen müssen in den Flüchtlingslagern seit Jahren damit Steuerhinterziehung den ärmsten Ländern der Erde unter wirklich schrecklichen Umständen existieren . nicht die wirtschaftliche Grundlage für ihr Handeln ent- zieht . Das Entscheidende für dieses Wochenende und, ich glaube, auch in dieser Debatte ist, dass wir uns dauer- (Beifall bei der SPD) haft dafür einsetzen müssen, die Flucht von morgen zu Weiter geht es darum, menschenwürdige Arbeitsbe- vermeiden . dingungen – Ziel Nummer 8 der SDG-Agenda – umzu- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe setzen . Es geht darum, dass Menschen, die hart arbeiten, Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) von dieser Arbeit leben können . Die ILO hat Anfang die- ses Jahres Zahlen herausgebracht, die uns alle erschüt- Genau dazu dient der Nachhaltigkeitsgipfel, genau dazu tern müssen . Fast 900 Millionen Menschen auf diesem dienen die 17 Ziele . Es ist unsere Aufgabe, diese Ziele in Planeten arbeiten Vollzeit und verdienen unter 2 Dollar ganz konkrete Handlungsschritte und eine ganz konkrete am Tag. Das entspricht der Definition für Armut bzw. Politik zu übersetzen . extreme Armut . Das kann nicht das sein, was wir auf (Beifall bei der SPD) diesem Planeten befördern, um Menschen aus Armut zu erlösen . Wir brauchen vernünftige Arbeitsbedingungen Ich versuche, das einmal an ein paar Beispielen deut- und Mindeststandards . Ich betone es noch einmal: Wir lich zu machen: müssen sie in Handelsverträgen verankern, sonst sind sie Wir haben 17 Nachhaltigkeitsziele aufgeschrieben . nur auf dem Papier beschlossen . Dabei geht es ganz global um die Themen „Extreme Wir müssen uns in den nächsten Wochen und Monaten Armut abschaffen“, „Bildung und Gesundheit für Men- darum kümmern, dass gute Messzahlen, gute Indikato- schen“, „Menschenwürdige Arbeit“, „Die Grenzen des ren und gute Implementierungsmechanismen entwickelt Planeten respektieren und einhalten“ und – das ist neu – werden, damit wir all das, was an diesem Wochenende „Die Bekämpfung von Ungleichheit auf diesem Plane- richtigerweise in New York von der Staatengemeinschaft (B) ten“ . Das halte ich für eine ganz zentrale Aufgabe dieses beschlossen wird, auch wirklich in Handeln umgesetzt (D) Prozesses, die mit den SDGs verbunden ist . Daran kön- wird . nen wir uns nämlich messen lassen, ob es uns gelingt, die Armut wirklich nachhaltig zu bekämpfen . Die Nachhaltigkeitsziele sind ambitioniert und auch komplex . Nun ist es sicher schwierig, sie immer wieder (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sabine in der öffentlichen Debatte am Leben zu erhalten; aber Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]) sie sind unverzichtbar . Sie sind die einzige Chance, wenn In Ziel 10 geht es um das Thema Ungleichheit . Da- wir Elend, wie wir es heute in vielen Bildern aus Flücht- bei geht es auch um die Staatlichkeit, also darum, dass lingslagern sehen, in Zukunft vermeiden wollen . Staaten existieren können, dass sie eine administrative, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten finanzielle und wirtschaftliche Basis haben, um ihren der CDU/CSU) Menschen Schutz, Bildung und Nahrung bieten zu kön- nen und um Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftliche Wertschöpfung erzielen zu können . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin .– Schönen Vormittag von Es muss uns gelingen, unser Verhalten hier in unse- hier aus. Es gab gerade einen fliegenden Wechsel. Ich ren Handelsbeziehungen zu ändern . Ich möchte das be- grüße Sie recht herzlich, grüße auch die Gäste auf unse- tonen: Wir brauchen verbindliche Standards in unseren rer Tribüne und rufe die nächste Rednerin in der Debatte Handelsverträgen mit unseren Partnern, mit denen wir auf: Kollegin Sabine Weiss für die CDU/CSU-Fraktion . Transparenz bei Rohstoffentnahmen, die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzrechten und Kernarbeitsnormen und (Beifall bei der CDU/CSU) das Verbot von Kinderarbeit einfordern . Das muss sank- tionierbar und in all unseren Handelsverträgen verbind- Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): lich sein . Nur daran können wir uns messen lassen, ob Verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen wir hier einen Beitrag zur Bekämpfung der Ungleichheit und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf der leisten . Tribüne! Wir haben es heute mehrfach gehört: „Fluchtur- sachen bekämpfen“ . Der Begriff ist in aller Munde . Für (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Klaus die Entwicklungspolitik allerdings sind weder dieser zu- Ernst [DIE LINKE] – Max Straubinger [CDU/ gegebenermaßen etwas sperrige Begriff noch die Zielset- CSU): Dann müssen Sie aber für TTIP sein!) zung neu . Schon Bundesentwicklungsminister Spranger Es geht also um das Ziel einer friedlichen, inklusiven sah in den 90er-Jahren angesichts des damaligen Flücht- Gesellschaft, die Institutionen aufbaut – genau das ist in lingszustroms in der Entwicklungspolitik zu Recht ein Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11967

Sabine Weiss (Wesel I) (A) zentrales Mittel, um Fluchtursachen entgegenzuwirken . ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt . Dafür gebührt (C) Heute ist diese Zielsetzung der Entwicklungspolitik unserem Minister ein herzlicher Dank . drängender denn je . (Beifall bei der CDU/CSU) Wir konnten gerade noch aus dem Munde der Kanz- Auf den Punkt gebracht: Die Umsetzung der Nachhaltig- lerin hören, dass wir in den nächsten Jahren weiterhin keitsziele ist ein Schlüssel zur langfristigen Vorbeugung mit einer deutlichen Erhöhung der Haushaltsansätze im von Flüchtlingskrisen . Entwicklungsetat rechnen können . Dafür an dieser Stel- le – sicherlich im Namen aller Entwicklungspolitiker – Erlauben Sie mir, kurz auf ein Ziel einzugehen, das herzlichen Dank . mir besonders am Herzen liegt, nämlich die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen, damit Frauen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und Mädchen in Zukunft selbstbestimmt leben können . Ich habe die Debatte heute verfolgt . Ein kurzes Wort Hierzu ein paar Aussagen zum aktuellen Zustand . In Ent- wicklungsländern zum Beispiel sind es überwiegend die zu den Kolleginnen und Kollegen insbesondere von den Frauen, 80 Prozent, die für die Produktion der Nahrung Linken, aber auch von den Grünen: Natürlich ist die Op- zuständig sind . Der Boden aber, auf dem die Nahrung position zur Kritik verpflichtet. Das ist die natürliche produziert wird, gehört überwiegend den Männern . In Aufgabe der Opposition . Angesichts der vergangenen vielen Entwicklungsländern verdienen arbeitende Frau- Tage, Wochen und Monate sehe ich hier aber nieman- en nur 60 bis 75 Prozent dessen, was arbeitende Männer den – und erst recht nicht bei Ihnen –, der auch nur im bekommen . Ansatz diese Leistung erbringen würde, die unsere Kanz- lerin und andere Mitglieder der Bundesregierung in der Entwicklungspolitik kann und muss künftig einen letzten Zeit erbracht haben und noch erbringen werden . stärkeren Beitrag dazu leisten, diese Ungleichheiten ab- zubauen . Man könnte diese Liste unendlich lange fort- (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping führen, aber die Zeit dafür ist heute leider nicht da . Ich [DIE LINKE]: Vor allen Dingen der de wünsche mir, dass aus dem anlaufenden starken Mittel- Maizière!) zuwachs ein substanzieller Teil in unseren Bereich flie- Klar ist: Fluchtursachenbekämpfung – das haben wir ßen wird . auch gehört – ist eine Gemeinschaftsaufgabe . Deshalb ist Ein starkes Signal für die Verbesserung der Situation es umso wichtiger geworden, dass die Vereinten Natio- von Frauen hat auch das Gipfeltreffen führender Frau- nen am Ende der Woche durch ihre Staats- und Regie- en aus 30 Ländern im Bundeskanzleramt letzte Woche rungschefs in New York die Nachhaltigkeitsagenda 2030 ausgesandt . Das ist angesichts der derzeitigen Situation (B) (D) beschließen werden. Ich finde, es ist ein hoffnungsvolles, etwas untergegangen . Aber auch wegen solcher Initiati- ja vielleicht sogar in diesen Zeiten imposantes Zeichen, ven mitten in arbeitsreichen Zeiten gilt mein besonderer dass sich die Vereinten Nationen – das sind immerhin Dank unserer Bundeskanzlerin für ihr Engagement in der 193 Länder – in einem drei Jahre andauernden Prozess Entwicklungspolitik . auf 17 Ziele mit 169 Unterzielen geeinigt haben . Zusam- (Beifall bei der CDU/CSU) mengefasst ist dies ein grundlegendes Versprechen auf ein menschenwürdiges Leben . Ab morgen – da bin ich sicher – wird sie beim New Yor- ker Gipfel wieder eine führende Stimme sein . Wichtig ist auch, dass alle Länder – dieses Mal eben Ich fasse zusammen: Die Agenda ist ambitioniert und Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer – in die detailliert . Manche meinen, zu detailliert; andere ver- Pflicht genommen werden. Wichtig ist auch, dass alle missen Punkte . Diese Kritik ist bekannt und dennoch Akteure, auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft kurzsichtig . 193 Länder auf dieser Welt haben sich auf und die Wissenschaft, ins Boot genommen werden und diese Agenda geeinigt . Das ist beachtlich und ein Erfolg . den Kurs mitbestimmen können . Wir sollten diesen jetzt nicht zerreden . Es ist nun an uns, Interessanterweise kommt im Katalog der 17 Ober- diese Agenda mit Leben zu erfüllen . Wie wichtig und ziele und der 169 Unterziele das Wort „Flüchtling“ kein dringend dies ist, erleben wir tagtäglich und immer mehr . einziges Mal vor . Dabei hätte dieses Wort sicherlich bei Gehen wir es also an! jedem einzelnen Unterziel auftauchen können . Alle Ziele Herzlichen Dank . und Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Men- schen nachhaltig verbessern, sind eben ein Beitrag zur (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Fluchtursachenbekämpfung . Genau dies leistet unser Entwicklungsministerium seit seiner Gründung von 1961 Vizepräsidentin Claudia Roth: bis zum heutigen Tag . Ich möchte nicht wissen – Dagmar Vielen Dank, Kollegin Weiss .– Nächster Redner in Wöhrl hat es letztens schon angesprochen –, wie unsere der Debatte: Carsten Träger für die SPD . Welt aussähe, wenn diese Arbeit nicht seit 54 Jahren ge- (Beifall bei der SPD) macht worden wäre . Auch unser Bundesminister Dr . Müller hat diese Ziel- Carsten Träger (SPD): setzung der Entwicklungspolitik gerade durch seine Son- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen derinitiative zur Fluchtursachenbekämpfung frühzeitig und Herren! Wir haben heute und die letzten Tage und 11968 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Carsten Träger (A) Wochen viel über Krisen und Kriege, Flüchtlinge und nenne nur die Stichworte Klimaschutz und Biodiversität . (C) Fluchtursachen debattiert und auch darüber, wie wir die- Mit einem Nachlassen drohen wir die Belastungsgrenzen se Herausforderungen stemmen können . All das ist rich- unseres Planeten zu überschreiten . tig und wichtig . Sehr geehrte Damen und Herren, die heutige Debatte Trotzdem darf neben all dem eine wirklich gute Nach- hat gezeigt, wie umfassend die Herausforderungen sind – richt nicht untergehen . Am Wochenende werden die international und national –, und sie zeigt mit dem Nach- Staats- und Regierungschefs auf dem UN-Gipfel in New haltigkeitsgipfel nun einen Pfad auf . Ich bin überzeugt, York 17 neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung dass wir mit der gemeinsamen internationalen Arbeit an verabschieden . Sie werden gewissermaßen den Weltzu- der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zwei Ziele errei- kunftsvertrag unterschreiben . Angesichts der schweren chen können: Durch Verhandlungen finden Völker und internationalen Krisen ist es mehr als ein Lichtblick – es Nationen friedlich zueinander, und ein ganzes Bündel ist fast ein kleines Wunder –, dass sich über 190 Staaten von Fluchtursachen wird langfristig minimiert . der Welt auf diesen Zukunftsvertrag verständigen konn- ten . Es ist noch ein langer Weg, der vor uns liegt . Aber mit dem Weltzukunftsvertrag von New York erreichen wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen historischen Meilenstein . Das ist die wirklich gute der CDU/CSU) Nachricht der heutigen Debatte . Dafür herzlichen Dank an Bundesumweltministerin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Barbara Hendricks und an den Minister Gerd Müller, die der CDU/CSU) das auf deutscher Seite verantwortlich begleitet haben!

In dem Vertrag verpflichten sich alle Staaten – das ist Vizepräsidentin Claudia Roth: das Neue: alle Staaten, und damit auch der sogenannte Vielen Dank, Herr Kollege Träger . – Der letzte Red- reiche Norden – auf gemeinsame Entwicklungsziele . ner in dieser Debatte ist Jürgen Klimke für die CDU/ Alle Staaten heißt: auch unser Land. Damit ist es offizi- ell: Deutschland ist ein Entwicklungsland . CSU‑Fraktion . Wir erkennen an, dass auch wir als hochindustrialisier- (Beifall bei der CDU/CSU) tes Land noch einen weiten Weg zu gehen haben . Längst nicht bei allen 17 Zielen sind wir vorbildlich . Eine Stu- Jürgen Klimke (CDU/CSU): die der Bertelsmann-Stiftung vergleicht den Stand der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Entwicklung der 34 OECDStaaten . Insgesamt schneidet Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte der Bun- (B) Deutschland mit Platz 6 sehr ordentlich ab, aber es lohnt deskanzlerin noch einmal ein ausdrückliches Danke- (D) sich ein zweiter Blick, der ein differenzierteres Bild er- schön dafür sagen, dass sie in dieser Debatte über die gibt . Nachhaltigkeitsziele gesprochen hat, einerseits deshalb, Während wir bei der Wirtschafts- und Beschäftigungs- weil das ein gutes Signal für das Wochenende ist, und förderung mit führend sind und auch unsere Umwelt- andererseits dafür, dass sie auch persönlich in New York schutzanstrengungen ausdrücklich gelobt werden, ist der dabei sein wird . Wir waren mit dem Unterausschuss Ver- Einsatz von Stickstoff und Phosphor eine ernsthafte Be- einte Nationen kürzlich in New York, und auch dort war drohung für die Nachhaltigkeit unserer Landwirtschaft . es schon ein Thema, dass dies ein hervorragendes Signal Auch bei der Bekämpfung der Luftverschmutzung durch ist . Feinstaub kommen wir nicht entscheidend voran . Das Wir hatten in den vergangenen Monaten eine heterogene sind nur zwei Punkte, die angepackt werden müssen, und Debatte zu der Tragfähigkeit der neuen Ziele . Für 2015 zwar ressortübergreifend . gab es acht Ziele, von denen nur zwei oder drei, wenn Gegen Umweltschäden, die etwa eine überzogen in- überhaupt, richtig erreicht worden sind . Jetzt gibt es tensive Landwirtschaft anrichtet, kann keine noch so en- 17 Ziele mit 169 Unterzielen . Das ist eine Herausforde- gagierte Umweltministerin alleine erfolgreich angehen, rung . Es geht auch nicht um einen Eckpunkt oder darum, und der angesprochene Feinstaub entsteht in erster Linie das Ganze jetzt zu beenden, sondern um eine Roadmap durch die Abgase von Autos und Lkws . Das müssen wir bzw . eine Agenda für die nächsten Jahre . Es ist im Übri- angehen, und zwar alle gemeinsam . gen unsere Agenda . Es ist nicht nur eine To-do-Liste für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Entwicklungszusammenarbeit, sondern wir müssen der CDU/CSU) alle dahinterstehen . Wir alle müssen als Entwicklungs- politiker für eine kohärente Politikgestaltung sorgen, Wir sind dafür gut aufgestellt: mit unserer nationalen zum Beispiel auch in unseren Ministerien . Wir müssen Nachhaltigkeitsstrategie und einer ganzen Reihe von In- die Verbände und die Wissenschaft, aber vor allem auch stitutionen, die ihre Umsetzung begleiten, zum Beispiel die Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft einbezie- mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Ent- hen; das ist ganz wichtig . Denn wir wollen mit den neuen wicklung, um den uns viele Nationen beneiden . Entwicklungszielen nicht nur Armut und Krankheit be- Wir sind in einer sehr guten Ausgangsposition . Nun kämpfen – „nur“ ist relativ zu verstehen –, sondern auch gilt es, die Nachhaltigkeitsstrategie im Lichte der Be- die Globalisierung sozial und ökologisch nachhaltig ge- schlüsse von New York weiterzuentwickeln und vor al- stalten und damit auch auf die akute Flüchtlingssituation lem anzupacken . Wir dürfen uns nicht zurücklehnen . Ich reagieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11969

Jürgen Klimke (A) Wir wollen auch den Bereich der Geber- und der Neh- wir insbesondere von deutscher Seite besonders intensiv (C) merländer neu aufstellen . Wir wollen nicht mehr von neue Punkte angesprochen . Wir müssen funktionierende Gebern und Empfängern, sondern von Partnerländern Steuer- und Zollsysteme in den Entwicklungsländern vo- sprechen und damit der Eigenverantwortung aller Staa- ranbringen . Es kann nicht sein, dass bei uns die öffentli- ten für die eigene Entwicklung einen höheren Stellenwert chen Einnahmen 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geben; das begrüßen wir ganz ausdrücklich . Gleichzeitig ausmachen, während es in den Entwicklungsländern in schreiben die neuen Ziele erstmals nachhaltige und glo- der Regel noch nicht einmal 10 Prozent sind . Nein, auch bale Entwicklungsvorhaben für alle Unterzeichner vor . da müssen Steuern gezahlt werden . Dafür müssen ent- Somit werden mit den neuen Zielen klare Erwartungen sprechende Systeme eingeführt werden . Zudem muss die an die bisherigen Geberländer insbesondere in den Be- Korruption bekämpft werden; das ist in diesem Zusam- reichen Klimaschutz, Produktion und Konsumgewohn- menhang ebenfalls ein wichtiger Punkt . heiten formuliert . (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Für die Erreichbarkeit und die Akzeptanz der Ent- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wicklungsziele kommt es darauf an – ich möchte das be- Meine Damen und Herren, wir sind gut aufgestellt . tonen –, dass wir alle an einem Strang ziehen . Ob dies in Deutschland hat in diesem Zusammenhang klare Be- der Breite möglich sein wird, wird man in den nächsten kenntnisse und klare Maßnahmen formuliert . Außer- Jahren sehen . Für den schnellen Erfolg im Verhandlungs- dem darf ich in Bezug auf Entwicklungsziele bis zum prozess war die Inflation von Zielen und Unterzielen Jahr 2030 sagen: Wir schaffen auch das . zwar ein gutes Rezept . Aber in der Umsetzung muss sich das erst beweisen . Danke sehr . Deutschland ist eigentlich gut aufgestellt . Wir leisten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- mit unseren Entwicklungsprojekten bereits sehr inten- ordneten der SPD) siv Hilfe vor Ort . Die Schaffung einer wirtschaftlichen Grundlage in den Entwicklungsländern ist ein wichtiges Vizepräsidentin Claudia Roth: Instrument . Wer eine gute Arbeit in seiner Heimat hat Vielen Dank, Kollege Klimke .– Damit schließe ich und für seine Familie sorgen kann, wird sich nicht auf die Aussprache . eine gefährliche und teure Flucht begeben . Wir müssen zusätzlich nachhaltige und langfristige Investitionen täti- Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf gen, insbesondere im Bildungsbereich . Das duale System Drucksache 18/6083 soll zur federführenden Beratung ist ein Erfolgsschlager . Mit einer entsprechenden Koope- an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (B) ration in den Entwicklungsländern sorgen wir dafür, dass und Entwicklung und zur Mitberatung an den Ausschuss (D) Menschen eine berufsnahe Ausbildung bekommen und für die Angelegenheiten der Europäischen Union, an den damit für sich selbst Licht am Ende des Tunnels und eine Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, an den Zukunft sehen . Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Lassen Sie mich noch ein Beispiel zur Einbindung der Reaktorsicherheit, an den Ausschuss für Wirtschaft und Privatwirtschaft nennen, die Corporate Social Respon- Energie sowie an den Auswärtigen Ausschuss überwie- sibility, also die Unternehmensverantwortung . Unsere sen werden . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Privatwirtschaft soll künftig unter fairen Bedingungen Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . in den Entwicklungsländern produzieren . Das von Mi- nister Müller initiierte Bündnis im Textilbereich ist ein Tagesordnungspunkte 3 b bis 3 r . Interfraktionell gutes Beispiel dafür; denn hier handelt es sich um eine wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa- Kooperation von Partnerländern, nämlich des Entwick- chen 18/6045 bis 18/6061 an die in der Tagesordnung lungslandes mit dem Land, aus dem das privatwirtschaft- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit liche Unternehmen stammt . Das Entwicklungsland hat einverstanden? – Das ist der Fall . Dann sind die Über- die Verantwortung, soziale Standards, beispielsweise weisungen der 17 Anträge so beschlossen . vernünftige Arbeitsbedingungen für Frauen, zu schaffen . Tagesordnungspunkt 3 s . Wir kommen zur Abstim- Zudem binden wir die Verbraucher in Deutschland ein . mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses Erstens . Die Verbraucher sehen auf diese Weise, dass ihr für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem An- Geld, das Entwicklungsgeld, gut angelegt ist und „un- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- ten“ ankommt . Zweitens können die Verbraucher, wenn tel „Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und sie „social made“, also unter guten sozialen Bedingungen Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen stärken“ . produzierte Textilien kaufen, einen eigenen Beitrag dazu Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung leisten – genauso wie bei Bio- und Fairtradeprodukten –, auf Drucksache 18/5451, den Antrag der Fraktion Bünd- dass das soziale Engagement in den Entwicklungslän- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5208 abzuleh- dern honoriert wird . Dies ist also ein hervorragendes nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Beispiel für die Zusammenarbeit in den nächsten Jahren . stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sempfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/ CSU und SPD . Dagegen gestimmt haben Die Linke und Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen . Bündnis 90/Die Grünen . Wir haben an der Finanzierungskonferenz im Entwick- lungsbereich in Addis Abeba teilgenommen . Dort haben Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: 11970 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) 4 . a) Beratung des Antrags der Abgeordne- Warum stellen die Unternehmen zunehmend nur noch (C) ten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine befristet ein? Die Antwort ist sehr einfach: Sie wollen den Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord- Kündigungsschutz umgehen, und die befristete Beschäf- neter und der Fraktion Die Linke tigung ist eine Möglichkeit dazu, dass man letztendlich den Betriebsrat bei Kündigungen außen vor lässt, dass Kettenbefristungen abschaffen man das Kündigungsschutzgesetz bei Kündigungen au- Drucksache 18/4098 ßen vor lässt und dass man den Betroffenen den Rechts- weg, gegen den Verlust des Arbeitsplatzes zu klagen, Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) nimmt . Auch das ist ein entscheidender Grund dafür, dass Ausschuss für Wirtschaft und Energie wir sagen: Bei den Befristungen muss sich etwas ändern . Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der LINKEN) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Für die Betroffenen bedeutet ein befristeter Job, nicht Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- ein normales Leben führen zu können . Wer die Verhält- ziales (11 .Ausschuss) zu dem Antrag der nisse auf dem Wohnungsmarkt kennt, der weiß, dass oft Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, der Vermieter einen Arbeitsvertrag vorgelegt haben will, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordne- dass ein Vermieter guckt: Der hat nur einen befristeten ter und der Fraktion DIE LINKE Job .– Wenn man von der Bank einen Kredit will, ist es Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur oft viel schwieriger, einen solchen zu bekommen, wenn Regel machen man nur einen befristeten Job hat . Und: Wer gründet denn schon eine Familie, meine Damen und Herren, wenn er Drucksachen 18/1874, 18/2783 nicht weiß, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ge- die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- nau!) nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . ob er in ein oder zwei Jahren, wenn sein Arbeitsvertrag Der erste Redner in der Debatte ist für die Linke Klaus ausläuft, einen neuen Arbeitsvertrag bekommt und ob er Ernst . die Kinder, die er in die Welt gesetzt hat, dann überhaupt (Beifall bei der LINKEN) noch ernähren kann? Deshalb sage ich Ihnen: Auch aus familienpolitischen Erwägungen ist die Abschaffung dessen, was wir zurzeit mit Befristungen erleben, ein Ge- Klaus Ernst (DIE LINKE): bot der Stunde . (B) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (D) Herren! Dieses Thema steht durchaus im Zusammen- (Beifall bei der LINKEN) hang mit dem, was wir hier eben diskutiert haben, näm- Die Regierungsparteien halten immer gern die Fahne lich „Zuwanderung in unser Land“ . Ich möchte all denen der Tarifautonomie hoch . Richtig! Aber für die Tarifauto- zustimmen, die in der vorherigen Debatte überfraktionell nomie brauchen wir selbstbewusste, im Zweifelsfall auch darauf hingewiesen haben, dass die Menschen, die zu uns streikende Arbeitnehmer; sonst funktioniert Tarifautono- kommen – als Flüchtlinge oder sonst wie –, keinesfalls mie nicht . Das bedeutet, wir müssen uns überlegen: Wie als billige Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt benutzt wirkt denn eigentlich ein befristeter Job auf die, die im werden dürfen . Betrieb die Tarifautonomie durchsetzen sollen, nämlich auf die Beschäftigten? Da sage ich Ihnen – das wissen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Sie im Grunde auch selber –, dass sich einer, der einen neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE befristeten Job hat, natürlich kaum traut, sich zu wehren, GRÜNEN) dass er kaum aufmuckt, wenn die Überstunden nicht be- Das steht deshalb im Zusammenhang mit diesem zahlt werden, dass er sich kaum bereit erklärt, bei einem Tagesordnungspunkt, weil unser Arbeitsmarkt, wie Sie Streik mitzumachen, weil er damit rechnen muss, dass er alle wissen, in Unordnung gekommen ist . 2,7 Millionen dann seinen Vertrag nicht verlängert bekommt, dass er Menschen in Deutschland haben nur noch einen befriste- seinen Job verliert . ten Job . Ich kann mich erinnern: Es war einmal ganz nor- Meine Damen und Herren, wenn wir wieder Ordnung mal – auch ich habe einmal etwas Anständiges gelernt; auf den Arbeitsmarkt bringen wollen, muss die befriste- viele andere hier ebenfalls –, dass man nach der Aus- te Beschäftigung eine absolute Ausnahme bleiben . Ja, bildung – Kollege Rützel weiß es – einen unbefristeten es gibt Gründe für Befristungen, die wir auch akzeptie- Arbeitsplatz erhalten hat . Heute sind fast 50 Prozent der ren . Als Krankheitsvertretung möglicherweise kann man Neueinstellungen nur noch befristet . Davon sind über- jemanden befristet einstellen, weil das nicht auf Dauer wiegend Junge und Frauen betroffen . Der Arbeitsmarkt ist . Das gilt auch bei Mutterschaftsvertretungen oder bei ist in Unordnung . Wir haben den Fakt hinzunehmen, dass Ähnlichem, auch bei Auftragsspitzen, wenn sie tatsäch- wir heute dreimal so viel befristet Beschäftigte haben wie lich begrenzt sind . vor 20 Jahren . Meine Damen und Herren, das alles ist nicht hinzunehmen, und es ist dringend notwendig, dass Wir erleben zurzeit aber etwas ganz anderes . Wir wis- sen, dass es inzwischen eine ganze Reihe von Menschen wir das ändern . in den Betrieben gibt, die immer nur am selben Arbeits- (Beifall bei der LINKEN) platz mit immer weiteren Befristungen beschäftigt wer- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11971

Klaus Ernst (A) den . Das sind die Kettenarbeitsverträge . Es gibt nur ganz Wilfried Oellers (CDU/CSU): (C) wenige Fälle, wo das sinnvoll sein kann . In der Regel Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- ist es nicht sinnvoll . Deshalb fordern wir auch: Kettenar- ginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und beitsverträge dürfen nicht zulässig sein . Herren! Wir beraten heute die Anträge der Fraktion Die (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Linke zum Befristungsrecht bei Arbeitsverträgen, in de- Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE nen zum einen die Abschaffung der Kettenbefristungen GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das und zum anderen das unbefristete Arbeitsverhältnis als beeindruckt uns sehr!) Regelfall gefordert wird . Meine Damen und Herren, dass befristete Verträge in Die Überschriften dieser Anträge und die dazu ver- großer Zahl zur Übernahme in einen festen Job führen, ist fassten Begründungen erwecken den Eindruck, dass die ein Märchen . Vielmehr lässt sich feststellen: Je mehr Be- Gesamtsituation in Deutschland in dem Bereich der be- fristungen in einer Branche, desto weniger Übernahmen fristeten Arbeitsverträge in Schieflage geraten ist und ein gibt es . Ich will ein Beispiel bringen . 2012 wurden im gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht . Bereich Erziehung und Unterricht 76 Prozent der Neu- (Zurufe von der LINKEN: Ja! – Beate Müller- eingestellten nur befristet eingestellt . Von denen wurden Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nur 18 Prozent auf einen festen Arbeitsplatz übernom- 50 Prozent der Neueinstellungen!) men, was bedeutet, dass die Arbeitgeber letztendlich die Situation ausnutzen, die Möglichkeit der Befristung nut- Schaut man sich die vom Statistischen Bundesamt zen, um Dauerarbeitsplätze, unbefristete Arbeitsplätze ermittelten aktuellen Zahlen an und vergleicht diese mit abzubauen . Das müssen wir per Gesetz verhindern . den Zahlen der Vorjahre, so stellt man fest, dass diese Schieflage gar nicht besteht und ein gesetzgeberischer (Beifall bei der LINKEN) Handlungsbedarf mitnichten vorliegt . Wie kriegen wir wieder Ordnung auf dem Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU) markt hin? Erstens . Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, Dabei sei zunächst erwähnt, dass bei der Bewertung dass befristete Beschäftigung nur dann zulässig ist, wenn der Gesamtsituation auf die Kernerwerbstätigen abzu- es dafür einen ganz besonderen sachlichen Grund gibt . stellen ist, da hierbei die Erwerbstätigen erfasst werden, Wenn es den Grund nicht gibt, darf auch nicht befristet die sich nicht in Bildung, Ausbildung oder Freiwilligen- beschäftigt werden . – Erster Punkt . diensten befinden. Es liegt in der Natur der Sache, dass (B) diese Beschäftigungsverhältnisse nur auf Zeit angelegt (D) Zweiter Punkt . Wir müssen bei den Sachgründen gu- sind . Bei deren Einbeziehung kann die Gesamtsituation cken, ob wir tatsächlich akzeptieren, dass Erprobung ein nicht korrekt dargestellt werden . Befristungsgrund ist . Dafür gibt es andere Regelungen in Tarifverträgen und im Gesetz . Wir müssen auch den Schaut man sich also die Erhebungen des Statistischen Grund „Befristung der Haushaltsmittel“ infrage stellen . Bundesamtes für das Jahr 2014 an, so stellt man fest, dass von den Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jah- Meine Damen und Herren, ich weiß, dass auch viele ren lediglich 6,9 Prozent befristet beschäftigt sind . Das Sozialdemokraten und viele aus dem Arbeitnehmerflügel ist der niedrigste Stand seit 2005 – dem Jahr, in dem die der CDU das so sehen . Insofern hätten wir hier die Mög- derzeitige, genauere Erhebungsmethode eingeführt wur- lichkeit, tatsächlich etwas Vernünftiges zu schaffen . de . Ein letzter Punkt – das brennt uns auf den Nägeln – Zur Erläuterung . Bis einschließlich 2004 wurde vom ist die Kettenbefristung . Es kann nicht sein, dass immer Statistischen Bundesamt die Anzahl der befristeten Ar- wieder derselbe Arbeitsplatz in einem Betrieb mit einem beitsverträge lediglich in einer einzigen Woche, der so- befristet Beschäftigten besetzt wird . Das ist dann kein be- genannten Berichtswoche, erfasst; seit 2005 erfolgt die fristeter Job, sondern das ist dann ein Dauerarbeitsplatz . Auswertung über das ganze Jahr verteilt . Da durch die Deshalb müssen wir Kettenbefristungen verhindern . alte Methode die Zeiten im Jahr, in denen es aus saisona- Machen Sie mit uns mit! Schaffen Sie Ordnung auf len Gründen jeweils eine erhöhte Anzahl von befristeten dem Arbeitsmarkt! Das nützt den Beschäftigten, das Arbeitsverträgen gibt, nicht korrekt erfasst wurden, muss nützt übrigens auch Ihren Wählern, und das nützt den man davon ausgehen, dass die Anzahl der befristeten Menschen, die hier zuwandern . Arbeitsverträge vor 2005 zu niedrig ermittelt war . Dies Ich danke für die Aufmerksamkeit . zeigt auch beim Wechsel von 2004 auf 2005 der Sprung von 7,1 auf auf einmal 8,6 Prozent . (Beifall bei der LINKEN) Geht man also davon aus, dass die Werte vor 2005 in jedem Jahr um circa 1,5 Prozent zu niedrig ermittelt wur- Vizepräsidentin Claudia Roth: den und die Quote in der Zeit von 1991 bis einschließlich Vielen Dank, Klaus Ernst . – Nächster Redner in der 2004 daher fälschlicherweise zwischen 6 und 8 Prozent Debatte: Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion . lag, während sie eigentlich zwischen 7,5 und 9,5 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU) hätte liegen müssen, kommt man zu dem Schluss: Wir 11972 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Wilfried Oellers (A) haben derzeit den geringsten Stand an befristeten Ar- Berücksichtigt man die geschilderte Entwicklung der (C) beitsverhältnissen seit 1991 . befristeten Arbeitsverhältnisse unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Gesamtsituation, so (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – kommt man zu dem Ergebnis, dass die Unternehmen mit Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das halten dem Flexibilisierungsinstrument in der derzeitigen Form wir mal fest!) bisher verantwortungsvoll umgegangen sind . Mit dieser Ich spanne diesen Bogen deshalb bis 1991 zurück, Feststellung kann ich natürlich nicht ausschließen, dass weil die Fraktion Die Linke beide Anträge mit den Wor- in Einzelfällen Missbrauch getrieben worden ist bzw . ge- ten einleitet, die Zahl der befristeten Arbeitsverträge trieben wird . Diese Fälle sind aber mit der derzeitigen bzw . der befristet Beschäftigten sei in den vergangenen Rechtslage lösbar . Hierzu gilt es jedoch, die Gerichte 20 Jahren deutlich gestiegen bzw . habe sich verdreifacht . anzurufen . Einzelne Missbrauchsfälle dürfen in meinen Die dargestellten Zahlenbeispiele belegen aber eindeutig, Augen nicht dazu führen, dass gesetzliche Regelungen dass diese Aussage einfach nur falsch ist . verschärft werden; denn damit verhindert man nicht die Missbrauchsfälle . Man verhindert sie nur dadurch, dass (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der sie gerichtlich geklärt und sanktioniert werden . LINKEN) Mit einer Verschärfung trifft man zuallererst diejeni- Aufgrund der gewählten Formulierung werde ich persön- gen, die sich redlich verhalten, und schränkt diese weiter lich den Eindruck nicht los, dass Sie lediglich Panikma- ein, da sie die neue Gesetzeslage umsetzen werden . Es che betreiben und die Realität einfach nicht wahrhaben kann aber nicht das Ziel sein, den Großteil der Unter- wollen . nehmen, die redlich handeln, durch schärfere Regelun- Lassen Sie es mich auch in absoluten Zahlen ausdrü- gen zu bestrafen . Das ist auch nicht nötig . Zum Beispiel cken: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes gibt es zu der Thematik Kettenbefristungen – Herr Ernst, hatten wir in 2014 insgesamt 34 000 befristete Arbeits- Sie sprachen es an – eine umfangreiche Rechtsprechung, verhältnisse weniger als in 2005 – und das bei einem die sehr einzelfallbezogen ist . Bisher hat die Rechtspre- zwischenzeitlichen Anstieg auf 9,2 Prozent, auf den ich chung stets gerechte und vertretbare Entscheidungen ge- gleich noch eingehen werde . troffen, auch wenn hierzu das eine oder andere Mal der Instanzenzug voll ausgeschöpft werden musste . Damit ist Diese Entwicklung kann man im Ergebnis nur als eventuell vorliegender Missbrauch sanktioniert worden, positiv bezeichnen . Diese Zahlen verdeutlichen auch sodass sich die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen eindrucksvoll, dass die gewählte Überschrift des einen bestätigt haben . Auch angesichts der pauschalen und we- Antrags der Fraktion Die Linke unzutreffend ist . Denn es nig substanziierten Antragsbegründung meine ich: Es (B) wird etwas gefordert, was schon existiert: Das unbefris- gibt keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf . (D) tete Arbeitsverhältnis ist bereits jetzt die Regel, und zwar nach der derzeitigen Rechtslage . Neben der bereits geschilderten Flexibilisierungs- funktion erfüllt die Befristung noch eine weitere Funkti- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- on sehr deutlich: Die Befristung dient als Brücke in den ordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN) Arbeitsmarkt . Damit fällt auch die gesamte Begründung Ihrer Anträ- ge in sich zusammen . Da das befristete Arbeitsverhältnis, Vizepräsidentin Claudia Roth: wie oben geschildert, nur den Ausnahmefall darstellt, Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder kann es seiner Bedeutung als Flexibilisierungsinstrument -bemerkung des Kollegen Ernst? in der Arbeitswelt eindrucksvoll nachkommen . Das wird auch durch folgenden Vergleich deutlich: In Wilfried Oellers (CDU/CSU): 2005 lag die Quote noch bei 8,6 Prozent, und sie stieg Ja . in den Folgejahren mit einer leichten Wellenbewegung bis auf 9,2 Prozent im Jahr 2010 . In dieser wirtschaftlich Vizepräsidentin Claudia Roth: schwierigen Zeit haben die Unternehmen im Rahmen von Gut . Neueinstellungen vorsichtig agiert, was durchaus nach- vollziehbar ist . Seit 2010 zieht nicht nur die Wirtschaft (Max Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, du wieder an und erreicht neue Rekordwerte, sondern sank lebst ja auch in einer Kettenbefristung!) auch die Befristungsquote stetig bis auf 6,9 Prozent in 2014 . Das zeigt doch eindeutig, dass das Instrument der Klaus Ernst (DIE LINKE): befristeten Arbeitsverhältnisse in der derzeitigen Form Herr Oellers, ich habe Ihnen lange zugehört, auch Ih- unverzichtbar ist, um flexibel auf eine geänderte wirt- ren statistischen Ausführungen . Ich möchte Ihnen einige schaftliche Lage reagieren zu können . Man kann doch ganz konkrete Fragen stellen: Ist es aus Ihrer Sicht in Ord- wirklich nichts dagegen haben, wenn in Krisenzeiten von nung, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage mög- dem Flexibilisierungsinstrument Befristung mehr Ge- lich ist, am selben Arbeitsplatz – am selben Arbeitsplatz; brauch gemacht wird – das kann ja in besseren Zeiten möglicherweise bis zu zwei Jahre lang – einen Menschen wieder rückgängig gemacht werden –, um so Menschen befristet zu beschäftigen? Halten Sie es für akzeptabel, in Arbeit zu halten . Gerade dafür ist es ja auch gedacht dass dieser Mensch nicht nur im selben Unternehmen, und da . sondern auch von einem Unternehmen zum anderen im- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11973

Klaus Ernst (A) mer nur einen befristeten Job hat, wie es in meiner Re- Ich darf dann fortfahren . Ich war bei der Brückenfunk- (C) gion übrigens üblich ist, und sich damit nie selber eine tion am Arbeitsmarkt . Herr Ernst hat dazu auch schon vernünftige Existenz aufbauen kann, weil er nie wirklich Zahlen genannt; ich kann diese Zahlen nicht bestätigen . weiß, ob er eigentlich in zwei Jahren noch einen Job hat? Halten Sie es für richtig, dass inzwischen die Betriebs- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist klar!) räte, wie wir wissen, in den Betrieben darum kämpfen – Das sind die Zahlen aus der Anfrage, die Sie gestellt müssen, über Tarifverträge bzw . tarifvertragliche oder haben . betriebliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass ihre Auszubildenden dort beschäftigt und übernommen wer- Bei weniger als 43 Prozent befristete Neueinstellun- den? Das ist alles nach der gegenwärtigen Rechtslage gen im Jahr 2014 lag die Übernahmequote bei 58 Pro- möglich . Jetzt möchte ich von Ihnen eigentlich nur eine zent . Diese Zahl haben Sie nicht erwähnt, Sie nannten ganz einfache Antwort – ohne Statistik –: Halten Sie das eine andere . Sie ist eindeutig nachgewiesen . Wenn man für okay, oder sind Sie bereit, mit uns daran mitzuwirken, berücksichtigt, dass der Anteil der befristeten Neuein- dass wir diesen Unfug beenden? stellungen 2005 etwa bei 40 Prozent lag und damit nur marginal geringer war, aber eine Übernahmequote von (Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias lediglich 39 Prozent vorhanden war, wird man eindeutig Zimmer [CDU/CSU]: Differenzierung ist der sehen, dass wir auf einem positiven Weg sind . Feind der Ideologie!) Betrachtet man darüber hinaus die Entwicklung der Wilfried Oellers (CDU/CSU): befristeten Arbeitsverträge in den jeweiligen Altersgrup- pen, so stellt man fest, dass mit steigendem Alter der An- Herr Kollege Ernst, an der Stelle muss ich doch ein- mal sagen: Wenn Ihre Einbringungen und Darstellungen teil der befristeten Arbeitsverhältnisse stetig sinkt .– Ihre immer so substanziiert wären, Anfrage, Ihre Zahlen . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die ganze Zeit!) (Zuruf der Abg . Jutta Krellmann [DIE LIN- KE]) wie sie emotional begleitet werden, dann wäre, glaube ich, schon vielen geholfen . Sie selber haben die Anfrage Liegt der Anteil in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jah- gestellt; ich berufe mich auf die Zahlen, die Sie in der ren noch bei 21 Prozent, so sinkt er über die folgenden Antwort auf Ihre eigene Anfrage erhalten haben . Merk- Altersgruppen bis hin zur Altersgruppe von 55 bis 64 auf würdigerweise haben Sie diese Zahlen in Ihrer Rede gar 3,7 Prozent . Beide Zahlenbeispiele zeigen deutlich, dass nicht erwähnt . die Befristung eine Hilfe für die Menschen ist, in Arbeit zu kommen . (B) Ich habe gerade auch deutlich gemacht, dass es sicher- (D) lich Fälle gibt, die man sich genau anschauen muss . (Zuruf der Abg . Jutta Krellmann [DIE LIN- KE]) (Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE]) Sie werden zunächst befristet eingestellt und zum größ- – Herr Ernst, das sind aber auch Einzelfälle . Die muss ten Teil anschließend unbefristet weiterbeschäftigt . Da- man sich anschauen . Ich bin bei der derzeitigen recht- mit erfüllt die Befristung in der derzeitigen Form ihre lichen Lage davon überzeugt – das Beispiel Kettenar- Brückenfunktion zum Wohle der Menschen in bemer- beitsverträge zeigt das auch; schauen Sie sich einmal die kenswerter Weise und ist mit ursächlich für die niedrige Rechtsprechung an; es ging bis zum Europäischen Ge- Arbeitslosigkeit . Genau das ist das Ziel, und das wird richtshof –: Die Rechtsprechung ist in der Lage, Miss- auch erreicht . brauch zu vermeiden . Nur, dann muss man es auch klä- ren . Man kann nicht immer sagen: Wir wollen schärfere (Beifall bei der CDU/CSU) gesetzliche Regelungen haben – ich habe alles das, was ich jetzt wiederhole, gerade erwähnt –, um den Miss- Ergänzend sei noch auf Folgendes hingewiesen: Mit brauch in Einzelfällen einzudämmen .– Damit werden den oben genannten Werten liegt Deutschland im europä- Sie der Gesamtsituation nicht gerecht . Missbrauch möch- ischen Vergleich unter dem Durchschnitt; das sollte man te ich auch nicht; das möchte keiner . Aber Sie werden es auch einmal heranziehen . Dies zeigt wiederum, wie sorg- in allen gesetzlichen Lagen nicht erreichen, dass Sie kei- sam die deutschen Unternehmer mit diesem Instrument nen Missbrauch haben . Den werden Sie immer irgend- umgehen . Darüber hinaus liegt die Befristungsquote in wo haben . Nur, diesen Leuten müssen Sie auf die Spur der öffentlichen Verwaltung höher als im verarbeitenden kommen und sie entsprechend gerichtlich sanktionieren . Gewerbe . Weiter ist auch zu berücksichtigen, dass ein be- Dafür sind die Gerichte auch da . trächtlicher Teil der befristeten Arbeitsverträge im hoch- qualifizierten Bereich zu finden ist, zum Beispiel auch im (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Rahmen von Projektarbeiten . GRÜNEN]: Dafür ist die Politik da!) Wie bereits erwähnt: Mit all dem Gesagten möchte ich Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen . Wie ge- nicht ausschließen, dass es einzelne Fälle gibt, wo Miss- sagt, ich sehe keinen gesetzgeberischen Handlungsbe- brauch getrieben wird . Aber hiervor kann man in keinem darf . Die Zahlen, die ich gerade dargelegt habe, zeigen rechtlichen Gebiet sicher sein . Sollte ein Missbrauch das eindrucksvoll . festgestellt werden, so muss er gerichtlich sanktioniert (Beifall bei der CDU/CSU) werden; das steht außer Frage . Aber aufgrund solcher 11974 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Wilfried Oellers (A) Einzelfälle darf man nicht die gesamte derzeitige erfolg- fristung abschaffen . Im Detail sind wir an manchen Stel- (C) reiche Rechtslage infrage stellen . len anderer Meinung als die Linke – das ist bekannt –, aber die Richtung stimmt . Deshalb werden wir heute dem (Beifall bei der CDU/CSU) Antrag zustimmen . Befristete Arbeitsverhältnisse sind ein zentrales und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) wichtiges Arbeitsmarktinstrument . Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Flexibilität der Gesamtwirtschaft, Damit sind aber nicht alle Verwerfungen aufgehoben; bauen Einstellungshürden ab und erhöhen die Jobchan- denn manche Arbeitgeber missbrauchen auch die Mög- cen . All dies kommt der Allgemeinheit, aber vor allem lichkeiten der Befristung mit sachlichem Grund . Sie dem einzelnen Menschen zugute . Ziel muss es sein, setzen auf Kettenverträge, und darunter leiden die Men- Menschen in Arbeit zu bringen, natürlich am liebsten so- schen ganz besonders . Die Beschäftigten wissen manch- fort unbefristet . Die Befristung trägt jedoch in ihrer der- mal erst zwei bis drei Wochen vor Vertragsende, wie es zeitigen Form einen erheblichen Teil dazu bei, dass das weitergeht . Sie leben in einer permanenten Unsicherheit . Ziel eines unbefristeten Arbeitsvertrages erreicht wird . Sie haben aber die Gewissheit, dass sie jederzeit plötzlich Eine Gesetzesänderung ist daher nicht erforderlich . Das auf der Straße stehen können . Das bedeutet Stillstand im ändert sich auch nicht durch das Haareraufen von Frau Leben der Betroffenen . Sie haben keinerlei Zukunftsper- Krellmann . spektiven, und das geht gar nicht . Vielen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Und doch gibt es genügend Beispiele dafür, dass Be- Vizepräsidentin Claudia Roth: schäftigte über Jahre die gleiche Tätigkeit, zum Teil so- Vielen Dank, Herr Kollege Oellers .– Nächste Redne- gar am gleichen Arbeitsplatz, ausüben, und zwar immer rin: Beate Müller-Gemmeke von den Grünen . befristet . Bei der Deutschen Post AG gab es mal wieder den krassesten Missbrauch: 17 Jahre und 88 Arbeitsver- träge für eine Postbotin – und nach einer Krankheit war (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beate Müller-Gemmeke dann Schluss . Das ist nicht akzeptabel . NEN): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen und Kollegen! Die Betriebe brauchen natürlich ein sowie des Abg . Uwe Lagosky [CDU/CSU]) gewisses Maß an Flexibilität – das steht außer Frage –, Das ist rechtsmissbräuchlich, und das sieht die Recht- (B) aber das Bedürfnis der Beschäftigten nach Sicherheit und sprechung mittlerweile auch so . Die Beschäftigten kön- (D) Perspektiven muss ebenso berücksichtigt werden . Genau nen also klagen und feststellen lassen, ob es überhaupt diese Balance stimmt für viele Beschäftigte nicht mehr, einen Befristungsgrund gibt, und, wenn nein, entsteht ein wenn es um Befristungen oder Leiharbeit geht . Darüber unbefristetes Arbeitsverhältnis . haben wir schon häufig debattiert, aber passiert ist nichts: Wir warten noch immer auf den Gesetzentwurf zur Leih- Herr Oellers, Sie sagen: Es gibt diese Gerichtsurtei- arbeit, und bei den Befristungen stellen Sie von der Uni- le, und das reicht aus .– Nein, sage ich, natürlich nicht! on auf Durchzug . Die fehlende Balance können Sie nicht Denn das ist ein steiniger Weg, und viele Beschäftigte weiter ignorieren; Sie müssen sie endlich ernst nehmen . schrecken davor zurück . Vor allem darf sich Politik nicht Herr Oellers, es geht nicht nur um Zahlen . Hinter jeder so aus der Verantwortung stehlen . Das wäre ein Armuts- Zahl stehen Menschen . zeugnis . Der Schutz vor Kettenverträgen ist nicht Aufga- be der Richter, sondern Aufgabe der Politik . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das ist völlig sowie bei Abgeordneten der LINKEN) richtig, aber die Zahlen belegen das, was ich Die Linke schlägt nun vor, dass eine Befristung mit gesagt habe!) sachlichem Grund nur zweimal zulässig sein soll . Ich bin Heute geht es wieder einmal konkret um die Befris- mir nicht sicher, ob es nicht doch immer wieder beson- tungen, und die sind und bleiben ein Problem . Auch die dere Konstellationen geben kann, in denen diese zwei Fakten sind längst bekannt: Befristet Beschäftigte sind Befristungen zu wenig sind . Das wäre dann eventuell stärker von Arbeitslosigkeit bedroht . Sie machen sich zum Nachteil der betroffenen Beschäftigten . Vor allem mehr Sorgen über Krankheit und über Armut im Alter . liegt bei mir aktuell eine Petition auf dem Tisch: In einem Lebens- und Familienplanung ist nur begrenzt möglich . Konzern mit zwölf eigenständigen Gesellschaften gibt es Wer eine befristete Stelle hat, verdient häufig weniger Kettenverträge, das heißt, da werden die Beschäftigten und hat auch kaum Chancen auf Weiterbildung oder Kar- immer weitergereicht . Mit der vorgeschlagenen Rege- riere und Aufstiegsmöglichkeiten . Wie oft müssen wir lung könnte dort eine Person 24 befristete Arbeitsver- das eigentlich noch – wie auf einer steckengebliebenen träge erhalten . Der Vorschlag verhindert also den Miss- Schallplatte – wiederholen? Wann nehmen Sie das end- brauch in Konzernen eher nicht . lich zur Kenntnis? Sie merken: Ich bin noch unsicher . Deshalb werden Wir Grünen wollen die fehlende Balance wiederher- wir den Antrag der Linken bei uns in der Fraktion noch stellen . Deshalb wollen auch wir die sachgrundlose Be- einmal intensiv beraten . Wir werden auch im Ausschuss, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11975

Beate Müller-Gemmeke (A) hoffentlich in einer Anhörung mit Expertinnen und Ex- mit ständig ähnlichen Anträgen zum selben Thema einen (C) perten, darüber diskutieren . Ohrwurm zu kreieren . Mein Fazit heute ist: Ja, wir brauchen Regelungen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias aber sie müssen gut überlegt sein . W . Birkwald [DIE LINKE]: Singen Sie doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – mal! Vorsingen!) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Wir schließen heute einen Antrag zu befristeten Ar- finde ich auch!) beitsverhältnissen ab, und, schwupp, Herr Ernst, liegt uns – „Wir brauchen Regelungen“, habe ich gesagt . schon der nächste in erster Lesung vor . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach, (Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Darauf können so! Ich dachte: „Gut überlegt“!) Sie sich verlassen! – Klaus Ernst [DIE LIN- KE]: Bis ihr was lernt!) Eines ist mir noch wichtig . Es gibt viele Betriebe, die mit der Möglichkeit der Befristung verantwortungsvoll So machen Sie es seit mehr als einem Jahr . Wir disku- umgehen . Neue Regelungen sind nur notwendig, weil tieren immer wieder über dasselbe Thema – im Plenum, manche Unternehmen jeglichen Anstand verloren haben in den Ausschüssen . Alle Argumente sind bereits ausge- und alle Gesetze dehnen und ausnutzen, immer zum eige- tauscht nen Vorteil und ohne jegliche Empathie für die Beschäf- (Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir können tigten . Auch eine neue gesetzliche Regelung wird diese uns das auch sparen, wenn Sie zustimmen Unternehmen wenig beeindrucken . Sie werden weiterhin Zeitverträge abschließen, dann halt mit immer neuen würden!) Personen. Sie werden wieder neue Schlupflöcher suchen und die Positionen der einzelnen Fraktionen klar . und nutzen . Gesellschaftliche Verantwortung ist für sie ein Fremdwort . Ich meine, das darf niemand in diesem Ihr neuer Antrag trägt nun den Titel „Kettenbefristun- Haus akzeptieren . Deshalb erwarte ich, dass auch Sie, die gen abschaffen“ . Regierungsfraktionen, etwas gegen diese Kettenverträge (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Gute unternehmen; denn die Menschen leben nicht, um zu ar- Idee!) beiten, sondern sie arbeiten, um gut zu leben . Das werden wir heute leider nicht hinbekommen, aber Vielen Dank . möglicherweise würde es eine Zustimmung geben zu der Forderung „Kettenanträge abschaffen“ . (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LIN- Vizepräsidentin Claudia Roth: KE]: Tätä, tätä, tätä!) Vielen Dank, Kollegin Müller-Gemmeke .– Nächste Rednerin für die SPD: Gabriele Hiller-Ohm . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen die Fakten . Sie haben sich seit der letzten Debatte wenig (Beifall bei der SPD) verändert: Knapp die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird heute nur noch befristet eingestellt . Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Jüngere Menschen und Frauen sind davon besonders Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, auch auf betroffen. Sehr häufig geschieht diese Befristung sogar den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen ohne jegliche sachliche Begründung . Die Beschäftigten der Linken! Bei Ihren vorliegenden Anträgen fühle ich wissen oft bis zum letzten Arbeitstag nicht, ob es für sie mich an einen Song von Cindy & Bert erinnert, im Betrieb weitergeht oder ob sie auf der Straße landen werden. Das ist unwürdig. Das finden wir falsch. (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach, wie süß!) (Beifall bei der SPD – Kathrin Vogler [DIE den Sie sicherlich alle noch kennen werden: LINKE]: Ja, dann machen Sie etwas dage- gen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Regiert ihr, (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, oder appelliert ihr?) klar!) Deshalb stimmen wir Sozialdemokratinnen und Sozial- Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung . demokraten dem grundsätzlichen Ziel der vorliegenden (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katja Anträge der Linken, die Befristungsregelungen zu verän- Kipping [DIE LINKE]: Ernsthaft! Ist das Ihre dern, inhaltlich durchaus zu . Reaktion auf das Thema? – Dr . Wolfgang (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ach!) Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es ist für die SPD anscheinend not- Weil das so ist, haben wir in der letzten Legislaturperio- wendig, immer wieder daran zu erinnern!) de, bereits im Mai 2010, Nun ist heute nicht Sonntag, aber Ihr Ziel, liebe Kolle- (Katja Kipping [DIE LINKE]: „Letzte“! Wir ginnen und Kollegen von der Linken, scheint es zu sein, sind jetzt schon weiter!) 11976 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Gabriele Hiller-Ohm (A) genau zu diesem Thema einen Antrag vorgelegt mit dem Zahlen . Es ist schließlich nicht so, dass wir in Deutsch- (C) Titel „Langfristige Perspektive statt sachgrundlose Be- land nur noch befristete Arbeitsverhältnisse hätten . fristung“ . (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat, glaube ich, auch nie- GRÜNEN]: Ja, aber jetzt seid ihr doch an der mand gesagt!) Regierung! Jetzt können Sie es doch tun!) Je nach Quelle und Berechnungsmethode sind dies 8 bis Das war übrigens deutlich vor den Initiativen der Lin- 10 Prozent . Das heißt im Umkehrschluss: Über 90 Pro- ken und der Grünen . Sie sehen daran: Das Thema ist uns zent der Beschäftigten haben ein unbefristetes Arbeits- wichtig . verhältnis . (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, der Titel W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie können sich Ihres Antrags – „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“ – ist also Gott sei Dank zu über 90 Pro- aber nicht durchsetzen gegen die Union, oder zent Realität in Deutschland . was?) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deshalb haben wir es auch in unserem Wahlprogramm der CDU/CSU) verankert . Ich zitiere: Zum Glück nähern wir uns immer weiter den 100 Pro- Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von zent an . Sie können das nachlesen in einer Pressemittei- Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, lung vom 21 .August, die das Statistische Bundesamt he- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das rausgegeben hat . Sie lautet: „Normalarbeitsverhältnisse wird ja immer schlimmer!) nehmen an Bedeutung zu .“ Dies belegt auch die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Linken den Katalog möglicher Befristungsgründe überprü- vom 20 .August dieses Jahres . Daraus geht hervor, dass fen . die Zahl der Übernahmen aus befristeter Beschäftigung Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt nach wie in unbefristete Arbeitsverhältnisse steigt . Gott sei Dank . vor . Das ist die SPD‑Position . Trotzdem würden wir Sozialdemokraten und Sozial- (Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald demokratinnen die sachgrundlose Befristung gerne ab- schaffen und die Auswüchse bei befristeten Verträgen [DIE LINKE]: Das nützt aber nichts! Wenn ihr mit Sachgrund angehen . Leider sind uns hierbei jedoch in der Regierung seid, macht ihr es nicht!) (B) zurzeit die Hände gebunden . (D) – Das möchte ich Ihnen gerne beantworten . (Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- In einer Koalition ist es leider nicht möglich, alle NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind freie Abge- Wünsche und Forderungen eins zu eins umzusetzen . ordnete!) Man ist zu Kompromissen verdonnert . An dieser Stelle Deshalb, meine Kolleginnen und Kollegen von der Lin- mussten wir in den sauren Apfel beißen . Wir haben das ken, werden wir Ihren Initiativen auch nicht zustimmen . getan, weil es zum Glück Licht am Ende des Befristungs- tunnels gibt . Befristete Verträge sind wegen der guten Nun bedeutet eine Koalition zum Glück nicht Still- Konjunktur rückläufig. stand auf Teufel komm raus . Deshalb gibt es im Hinblick auf die Befristungen zumindest im Wissenschaftsbereich (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Klang durchaus Bewegung in unserer derzeitigen politischen bei Herrn Ernst anders!) Lebensabschnittspartnerschaft mit der CDU/CSU . Wir konnten das Vorgehen gegen den Befristungsmissbrauch Trotzdem sind Befristungen für viele Beschäftigte nach in der Wissenschaft im Koalitionsvertrag verankern . wie vor meist Mist . Diese Vereinbarung lösen wir jetzt ein . Kürzlich hat das Zu welchen Extremen Befristungen führen können, Bundeskabinett den Gesetzentwurf für die geplante Re- haben wir hier schon mehrfach debattiert . Da haben wir form des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf den Weg die Postbotin mit sage und schreibe 88 befristeten Ver- gebracht . Was für ein Wort! Damit werden wir für besse- trägen in 17 Jahren . Solche Kettenbefristungen sind mit re Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich sorgen . Sachgründen – beispielsweise Elternzeit oder Krank- Hier arbeiten weit über eine halbe Million Menschen, heitsvertretung – also durchaus möglich . Richtig und nö- und leider sind befristete Verträge in diesem Bereich tig ist so etwas aber auf gar keinen Fall, schon gar nicht gang und gäbe . in großen Unternehmen wie bei der Post . Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der (Beifall bei der SPD) Linken, Sie sehen, wir reden nicht nur, nein, wir setzen Schritt für Schritt Verbesserungen für die Arbeitneh- Deshalb sollten Befristungsgründe enger gefasst werden, merinnen und Arbeitnehmer in unserem Land um . Was um gegen Missbrauch besser vorgehen zu können . für ein Kraftakt war die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und auch der Grünen, es lohnt ein differenzierter Blick auf die (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11977

Gabriele Hiller-Ohm (A) Ja, wir haben es geschafft . Es gibt ihn wirklich, und das wichtiges Instrument, wenn es um die Beschäfti- (C) schon seit neun Monaten . 4 Millionen Menschen haben gungsanpassung der Betriebe geht . dadurch mehr Geld in der Tasche . In der Folge sagte er: (Beifall bei der SPD) Die Entwicklung der befristeten Arbeitsverträge Wir wollen endlich Frauen in den Führungsetagen und ist sozusagen kein naturwüchsiger Prozess – wir in den Aufsichtsräten sehen . Dafür haben wir die Quote werden immer flexibler –, sondern es kann durchaus durchgesetzt . sein, dass auch ohne weitere Eingriffe in die Gesetz- gebung die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge So wird es weitergehen . Dafür nur zwei Beispiele: Wir eher zurückgeht . werden den Weg frei machen und gerechte Löhne für die vielen fleißigen und gut qualifizierten Frauen in unserem Das war 2014, und recht hatte er, wie die Zahlen des Sta- Land durchboxen . tistischen Bundesamtes zeigen . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Linke möchte nun, dass der Deutsche Bundestag feststellt, dass dies ein „hochproblematischer Zustand“ Wir machen Schluss mit Ausbeutung durch Werkverträ- sei, der „dringend gesetzgeberisches Handeln erfordert“ . ge und Leiharbeit . Das steht in Ihrem Antrag . Hochproblematisch ist, wie ich finde, nur eines: der stete Reflex der Linken, in glei- Vizepräsident Peter Hintze: cher Sache immer wieder gesetzgeberisch tätig werden Frau Kollegin, „Schluss machen“ war ein gutes Stich- zu wollen .– Nutzen Sie daher gerne die heutige Debatte wort, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist . ganz im Sinne von Konrad Adenauer, der sagte: Man braucht nicht immer denselben Standpunkt zu Gabriele Hiller-Ohm (SPD): vertreten, denn niemand kann einen daran hindern, Wir freuen uns auf Ihre Unterstützung . klüger zu werden . Danke schön . (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hieß bei ihm aber: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten „Was interessiert mich mein Geschwätz von der CDU/CSU) gestern?“!) Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz sind gute Lö- Vizepräsident Peter Hintze: sungen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitge- Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- (B) ber vorhanden . (D) ordneten Uwe Lagosky, CDU/CSU-Fraktion . Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, (Beifall bei der CDU/CSU) wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfer- tigt ist . Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, Uwe Lagosky (CDU/CSU): wenn Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und 1 . der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es nur vorübergehend besteht, stimmt: In den vergangenen 20 Jahren nahm die Zahl befristeter Arbeitsverträge, absolut betrachtet, zu . Laut 2 . die Befristung im Anschluss an eine Ausbil- aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes – wir dung oder ein Studium erfolgt, um den Über- haben es schon gehört – ist diese Zahl in den letzten vier gang des Arbeitnehmers in eine Anschlussbe- Jahren allerdings gesunken . Von den Arbeitnehmern ab schäftigung zu erleichtern, 25 Jahren – das ist die Datenbasis – waren 2011 8,9 Pro- 3 . der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen zent befristet beschäftigt . Diese Zahl sank auf 8,1 Pro- Arbeitnehmers beschäftigt wird . . zent im Jahr 2014 . Es gibt noch andere Gründe; das sind auszugsweise Bereits in der Anhörung zur sachgrundlosen Befris- nur drei . tung am 17 .März 2014 stellte der Sachverständige des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bun- Ebenfalls im Teilzeit- und Befristungsgesetz ist die desagentur für Arbeit fest: sachgrundlose Befristung geregelt . Danach dürfen Ar- beitsverträge, die bis zu einer Dauer von zwei Jahren Insgesamt kann man feststellen, dass befristete Ar- abgeschlossen werden, in dieser Zeit dreimal verlängert beitsverträge durchaus in ihrer Bedeutung zuge- werden . Sachgrundlose Befristung ist nicht zulässig, nommen haben . Wenn man den Zeitraum zwischen wenn mit demselben Arbeitgeber zuvor ein befristetes 2001 und 2011 betrachtet – von 1,7 auf 2,7 Millio- oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat . Die nen . Befristungen sind also eine relevante Größe auf Regelungen für die sachgrundlose Befristung sind im dem deutschen Arbeitsmarkt . Jahr 2000 angepasst worden, um zu verhindern, dass es Wenn man sich die Neueinstellungen ansieht, dann zu weiteren Kettenbefristungen kommt . sieht man, dass mittlerweile etwa 42 Prozent aller Für die 2,7 Millionen Arbeitslosen – im Übrigen Neueinstellungen auf Basis eines befristeten Ar- 122 000 weniger als im Vorjahr – sowie für Berufsein- beitsvertrages erfolgen . Befristungen sind somit ein steiger sehe ich in befristeten Arbeitsverhältnissen daher 11978 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Uwe Lagosky (A) auch die Chance, in unbefristete Beschäftigungsverhält- tungsbedarf selbst bestimmen dürfen, ob sie ihn durch (C) nisse zu kommen . Stichwort „Beschäftigungsverhält- befristete oder unbefristete Stellen abdecken . Weil die nisse“: Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass unbefristete Klägerin in einer großen Behörde tätig war, machte das Arbeitsverhältnisse wieder die Regel werden müssen; die BAG in seinem Urteil deutlich, dass bei jahrelangem Kollegin hat das gerade auch gesagt . Das hat mich stutzig kontinuierlichem Vertretungsbedarf durchaus Bedarf gemacht . Denn mit einem Anteil von 92,6 Prozent sind für eine unbefristete Vertretungskraft besteht . Deshalb unbefristete Arbeitsverträge die Regel . müssen staatliche Stellen alle Umstände, die mit einer Nehmen Sie in diesem Zusammenhang bitte noch fol- Verlängerung von befristeten Verträgen zu tun haben, in- gende gute Nachricht auf: Wir haben auf dem deutschen tensiv prüfen . So kann dafür gesorgt werden, dass sich Arbeitsmarkt 42,8 Millionen Beschäftigte . Das ist die Befristungen im Einzelfall als missbräuchlich herausstel- höchste Zahl in der Nachkriegsgeschichte . Auch die Zahl len . Insofern sind die einzelnen Bereiche gefordert . Ext- von aktuell 30,5 Millionen sozialversicherungspflichti- remfälle zur Regel zu adeln, ist vielleicht die öffentlich- gen Beschäftigten ist die höchste Zahl in der Nachkriegs- keitswirksamere Lösung, jedoch der falsche Weg . geschichte . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Vollzeit?) Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um die Regel, son- Während meiner Zeit als Betriebsrat habe ich unter- dern darum, solche Fälle zu verhindern!) schiedliche Gründe für Befristungen erlebt . Zwischen 2001 und 2007 in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und ei- Gewohnt abenteuerlich finde ich das von den Linken ner unklaren Wirtschaftslage hatten wir im Betrieb be- in ihrem Antrag gezeigte Finanzverständnis . Sie führen fristete Arbeitsverhältnisse . Dies wurde damit begründet, als Grund für Befristungen im öffentlichen Dienst eine dass vor dem Hintergrund noch anstehender notwendiger strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hand an Prozessvereinfachungen und Automatisierungen – diese und begründen dies mit einer sozial ungerechtfertigten standen tatsächlich an – keine Festeinstellungen im Be- Steuerpolitik, Spardiktaten und der Schuldenbremse . trieb erfolgen sollten . Das war keineswegs schön . Doch Sie haben es einfach nicht verstanden, dass wir mit einer wenn bei allen Beteiligten Klarheit darüber herrscht, ist weitsichtigen Haushaltspolitik dazu beitragen, dass die dies schon ein probates Mittel für ein Unternehmen, um deutsche Wirtschaft floriert nicht in wirtschaftliche Schieflage zu geraten oder auch die Stammbelegschaft zu entlasten . Klarheit in diesem (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und zu welchem Zusammenhang bedeutet, dass wir den befristeten Be- Preis?) schäftigten zu dieser Zeit gemeinsam mit dem Arbeit- und wir mit den zusätzlichen Steuereinnahmen auch zu- (B) geber gesagt haben: Eine Anschlussbeschäftigung kann sätzliche Leistungen an die Kommunen geben können . (D) es für euch nicht geben, insofern bewerbt euch in diesen Das Hohe Haus wird heute, gleich im Anschluss, einen zwei Jahren auch auf eine Dauerbeschäftigung bei ande- Antrag zu den Kommunen verabschieden und in den ren Arbeitgebern .– Es ist allerdings am Ende so gewe- Mittelpunkt der Diskussion stellen . sen, dass diese befristet Beschäftigten bei uns geblieben sind . Das zeigt mir auch, dass die Alternative die Arbeits- Nie zuvor wurden Kommunen durch den Bund so losigkeit gewesen wäre . stark unterstützt wie in den vergangenen Jahren . Unter den unionsgeführten Koalitionen von 2010 bis 2018 wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den die Länder und Kommunen um insgesamt 125 Mil- Angesichts der demografischen Entwicklung in liarden Euro entlastet . Das setzt freilich voraus, dass die Deutschland hätte man ja davon ausgehen können, dass Länder ihrer Verantwortung nachkommen, dieses Geld befristete Beschäftigungsverhältnisse in ihrer Zahl zu- auch an die Kommunen weiterzureichen und es nicht im rückgehen . Allerdings haben wir mit dem aktuellen Zu- eigenen Haushalt zu behalten . strom an Flüchtlingen nach Deutschland – die Regierung Papiersparend, auf nur zwei Seiten, unternehmen Sie rechnet im Jahr 2015 mit 800 000 – eine neue Variable einen kühnen Streifzug durch die Arbeitsmarkt- und Fi- auf dem Arbeitsmarkt, von der wir wissen, dass sie uns nanzpolitik . Am Ende Ihres Antrags verweisen Sie auch vor erhebliche Herausforderungen stellt . Daher ist es noch auf Zeitarbeit und missbräuchliche Werkverträge . umso wichtiger, dass wir uns flexible Arbeitsmarktinst- rumente erhalten . Ich denke, in diesem Zusammenhang (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!) sollten die Möglichkeiten, die sich aus dem Teilzeit- und Dieses Themas nehmen wir uns an; es steht im Koaliti- Befristungsgesetz ergeben, von Arbeitgebern zukünftig onsvertrag und wird von uns bearbeitet . Allerdings wol- mehr genutzt werden . len wir das für die Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen Aber noch einmal: Befristungen stellen für mich eine und Arbeitnehmer in gleichem Maße machen . Wir haben Brückenfunktion dar . Es stimmt, dass der Befristungs- ein Interesse an Wachstum und Beschäftigung . Dies wol- anteil in den sozialen und öffentlichen Dienstleistungen len wir in unserem Land fördern . Das unterscheidet uns 35 Prozent beträgt . Es gibt auch Extremfälle wie den von Ihnen . vorhin genannten von 2012; dabei ging es um 13 auf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- einanderfolgende Befristungen in elf Jahren bei einer ordneten der SPD) Arbeitnehmerin . Damals antwortete der Europäische Gerichtshof auf eine entsprechende Anfrage des Bundes- Zusammengefasst entspricht Ihr Antrag nicht den Kri- arbeitsgerichtes, dass Arbeitgeber bei ständigem Vertre- terien eines ausgewogenen Verhältnisses zur Realität . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11979

Uwe Lagosky (A) Schließlich verfügen wir mit dem Teilzeit- und Befris- werden wir als Opposition nicht aufhören, diesen Antrag (C) tungsgesetz über einen vernünftigen Rechtsrahmen, der immer wieder zu stellen – und wenn er Ihnen aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeit- Ohren rauskommt! gebern gleichermaßen gerecht wird . Missbräuchliches (Beifall bei der LINKEN) Verhalten wird durch die Rechtsprechung bekämpft . Den vereinzelten Unternehmen, die überproportional viele Im letzten Jahr wurde jeder vierte Beschäftigte unter befristete Arbeitsverträge schließen, sei aber auch ge- 25 Jahren mit einem befristeten Arbeitsvertrag abge- sagt, dass sie damit Forderungen nach einer Änderung speist . Da lockt die Bundesregierung junge Beschäftigte des Teilzeit- und Befristungsgesetzes Vorschub leisten, erst verbal mit der Möhre „Fachkräftemangel“, und dann möglicherweise zulasten der vielen Betriebe, die im Sin- lässt sie sie über die Klinge der Befristung springen . Das geht doch alles gar nicht, was da gemacht wird! ne des Gesetzes handeln . (Beifall bei der LINKEN) Ausschlaggebend und von überwiegender Bedeutung ist für mich jedoch, dass Befristungen eine wichtige Brü- Stellen Sie sich einmal vor, es geht um Ihre Kinder . ckenfunktion für die Übernahme in unbefristete Beschäf- Was wird aus deren Lebensplanung? Was wird aus einer tigung haben . Dass Sie diese Brücken einreißen, werden eigenen Wohnung? Was wird möglicherweise aus En- wir nicht mitmachen . keln, die auch in die Welt gesetzt werden müssen? Herzlichen Dank . (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Der jungen Generation wird die Möglichkeit der Beteili- gung an betrieblicher Mitbestimmung und an der Gestal- tung menschenwürdiger Arbeit regelrecht vorenthalten, Vizepräsident Peter Hintze: und das alles mit Zustimmung dieser Regierung . Wenn Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- ich das mitbekomme, kommt mir persönlich immer wie- ordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke . der die Galle hoch . (Beifall bei der LINKEN) Kettenbefristungen setzen diesem Befristungswahn noch die Krone auf . Dutzende Arbeitsverträge, immer für Jutta Krellmann (DIE LINKE): den gleichen Arbeitsplatz, immer befristet, und das über Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- einen Zeitraum von Jahren oder teilweise sogar von Jahr- legen! Frau Hiller-Ohm, ich finde es klasse, dass wir zehnten: Das ist nicht unsere Vorstellung von guter Ar- beit und gutem Leben . Damit muss endlich Schluss sein . (B) heute wieder über unseren Antrag zur Abschaffung von (D) Befristungen ohne Sachgrund und von Kettenbefristun- (Beifall bei der LINKEN) gen reden . Ich persönlich werde mich so lange wiederholen, Frau (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das habe ich Hiller-Ohm, bis es allen hier aus den Ohren rauskommt mir gedacht!) und bis es endlich gerade auch für die junge Generation die Möglichkeit gibt, aus dieser schrecklichen Situation Ich weiß gar nicht, welche Probleme Sie damit haben . herauszukommen . Ich finde das toll! Für die Qualität von Arbeit ist entscheidend, ob ein (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ich habe keine Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht . Befristet Be- Probleme damit!) schäftigte haben Angst vor dem Verlust ihrer Arbeit . Sie Im Grunde ist es so: Arbeitgeber missbrauchen mitt- schleppen sich krank zur Arbeit und halten bei Missstän- lerweile genau diese Befristungen als arbeitsmarktpoli- den im eigenen Betrieb die Klappe . Sie wehren sich nicht tisches Instrument gnadenlos für Lohndumping und Be- gegen Ungerechtigkeiten und beteiligen sich nicht an hinderung von Mitbestimmung und Betriebsratsarbeit; Warnstreiks . Befristet Beschäftigte werden ihre Arbeit- das wissen Sie eigentlich ganz genau . Sachgrundlose nehmerrechte niemals ganz nutzen . Befristungen sind dabei nur die Spitze des Eisberges . Die Ich finde, es ist ein Armutszeugnis für ein Land wie Auswahl für Arbeitgeber ist nahezu unendlich: Leihar- die Bundesrepublik, dass sich an dieser Stelle ganz ein- beit, Werkverträge, Ausgliederungen usw . Arbeitneh- fach nichts tut, und das seit 1985, weil es davor keine merinnen und Arbeitnehmer haben keine Wahl: Entwe- Befristung ohne Sachgrund gab, Herr Oellers . Das war der sie akzeptieren die Befristung im Arbeitsvertrag, oder einfach so, und die Wirtschaft hat trotzdem funktioniert . sie kriegen das Arbeitsverhältnis nicht . Andere Chancen (Beifall bei der LINKEN) haben sie an dieser Stelle doch nicht . Das zeigt für mich einmal mehr, auf wessen Kosten in Zum Thema Befristungen schweigt die Bundesregie- unserem Land Reichtum entsteht . rung leider seit Jahren . Weil von der Regierungsbank rein gar nichts in Richtung einer Verbesserung für die Mit dieser Meinung stehen wir nicht alleine, sondern Beschäftigten kommt, ganz viele Beschäftigte sehen das ganz genauso, und auch viele Gewerkschaften haben damit ein Riesenprob- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich, lem, wenn sie sehen, was hier passiert . Sie können auch Regierungsbank!) ein Lied davon singen, was befristete Arbeitsplätze für 11980 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Jutta Krellmann (A) die Mitbestimmung, die Gewerkschaftsfreiheit und die Markus Paschke (SPD): (C) demokratische Beteiligung bedeuten . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Bei Amazon in Brieselang in Brandenburg beispiels- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier weise arbeiten über 1000 Beschäftigte . Der Befristungs- im Parlament gilt es, Rahmenbedingungen zu setzten, Rahmenbedingungen für einen Ausgleich zwischen der grad beträgt 80 Prozent . 80 Prozent der Beschäftigten notwendigen Flexibilität für Unternehmen und der eben- haben einen befristeten Arbeitsvertrag . so notwendigen Sicherheit für die Menschen . Dazu ge- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Für die Statisti- hört immer auch eine Überprüfung, ob die bisherigen ker!) Gesetze dem politischen Willen entsprechend angewandt werden . Wir sollten uns dabei die Frage stellen: Erzielt Das ist nur ein Betrieb. Hier findet doch Missbrauch statt. das Gesetz die gewollte Wirkung, oder werden Lücken Das ist überhaupt nicht in Ordnung . Es geht hier doch genutzt, die negative Folgen für unsere Gesellschaft ha- nicht um Auftragsspitzen, von denen da geredet wird . ben? Als ich den Antrag „Kettenbefristungen abschaf- (Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE fen“ gelesen habe, habe ich gedacht: Na, den kennst du LINKE]: Kann man nichts machen! Das ist doch . Und richtig: Der Antrag ist inhaltlich zu 95 Pro- halt so! Gottgegeben!) zent deckungsgleich mit dem Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“, den wir im letzten Im Grunde genommen ist es Wahnsinn, dass so viele Jahr hier diskutiert haben . Menschen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis erhalten . (Ulli Nissen [SPD], an die LINKE gewandt: Die sachgrundlose Befristung wird bei Amazon als Hätten Sie einmal ein bisschen mehr in die systematisches Mittel gegen Gewerkschaften, gegen Be- Bearbeitung stecken sollen! Das Datum war triebsräte und gegen die Belegschaft genutzt . das Einzige, was anders war! – Gegenruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE]: Der Unter- Vizepräsident Peter Hintze: schied ist, wir wollen die Verhältnisse ändern, Die Zeit . Sie wollen den Text ändern!) In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Befristung als Jutta Krellmann (DIE LINKE): zentrales Merkmal für Qualität oder Nichtqualität von Danke für den Hinweis . Arbeit . Zu guter Arbeit gehört aber viel mehr . Die Frage der Beschäftigungsform ist wichtig, ja, aber sie ist nicht das zentrale Qualitätskriterium . Vizepräsident Peter Hintze: (B) Das war eigentlich kein Hinweis .– Frau Kollegin, im (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wie war (D) Europäischen Parlament wird das Mikrofon nach Ende denn die Umfrage bei der IG Metall?) der Redezeit automatisch abgestellt . Damit hätten die Es würde aber auch heute den Rahmen meiner Redezeit letzten 35 Sekunden von Ihnen gar nicht mehr gehört sprengen, wenn ich jetzt hier erschöpfend alle Merkmale werden können . Es wäre also nett, wenn Sie jetzt zum guter Arbeit erklären wollte . Schluss kommen würden . Zusammenfassend möchte ich zu dem Antrag eines feststellen: Es ist nicht alles falsch, was da drinsteht . Ich (DIE LINKE): Jutta Krellmann habe im letzten Jahr, als wir hier über dieses Thema ge- Danke für den Hinweis; ich komme zum Schluss . – sprochen haben, von Keno berichtet, der Mitte 30 war, Die SPD hat die Chance, unserem Antrag jetzt zuzustim- bevor er das erste Mal einen unbefristeten Arbeitsvertrag men . Vielleicht können wir über diesen Weg eine Mehr- hatte . Ich will heute einmal einen anderen Aspekt in die heit über die Koalition hinweg herstellen . In Richtung Diskussion einbringen, denn ich denke, man muss auch CDU mag ich gar nicht schauen . ein bisschen Abwechslung bringen . (Katja Mast [SPD]: Frau Krellmann, Sie wis- (Beifall bei der SPD) sen nicht, was im Koalitionsvertrag steht! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wäre das Mikro- Ich spreche regelmäßig mit Arbeitnehmern und Unter- fon mal ausgestellt worden!) nehmern und stelle fest, dass es zurzeit sehr viel Bewe- gung auf beiden Seiten gibt . Letztens habe ich zum ersten Sie haben jetzt die Chance . Nutzen Sie sie, stimmen Sie Mal einen richtig sprachlosen Arbeitgeber erlebt . Er hatte unserem Antrag zu, damit wir an dieser Stelle endlich eine Bewerberin im Vorstellungsgespräch, die richtig gut einmal vorankommen! qualifiziert war und ideal auf die Stelle gepasst hätte. Sie hat aber zu ihm gesagt: Ich bin nur bereit, hier erst einmal Vielen Dank . einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen . (Beifall bei der LINKEN) (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dieses eine Beispiel gegen hundert andere!) Vizepräsident Peter Hintze: Sie hat das auch begründet . Sie begründete ihre Entschei- Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten dung nämlich damit, dass sie erst einmal sehen wollte, Markus Paschke, SPD-Fraktion, das Wort . wie im Unternehmen die Vereinbarkeit von Familie ge- (Beifall bei der SPD) lebt wird . Sie wollte wissen, wie das Betriebsklima ist Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11981

Markus Paschke (A) und welche Entwicklungsperspektiven sie hat . Diese fung von Missbrauch bei Werkverträgen und Leiharbeit (C) junge Frau ist eine Arbeitnehmerin, die überhaupt nicht vorlegen . in die Zielgruppe passt, für die dieser Antrag geschrieben (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE wurde, die aber trotzdem betroffen gewesen wäre . GRÜNEN]: Das glauben wir erst, wenn was (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die kann vorliegt!) dann kündigen, wenn sie muss!) Das alles und noch viel mehr haben wir mit unserem Koalitionspartner vereinbart . Große Ziele erfordern aber Sie entwerfen in Ihrem Antrag nämlich das Bild, dass auch Kompromisse . Fakt ist: Mit unserer Forderung nach alle Arbeitnehmer ohne Hilfe in absoluter Wehrlosigkeit Abschaffung der sachgrundlosen Befristung haben wir verharren . Das ist eine Verallgemeinerung, die der Sache uns bei unserem Koalitionspartner bedauerlicherweise und vor allem den Menschen nicht gerecht wird . nicht durchgesetzt . Aber da wir uns darauf verständigt (Beifall bei der SPD) haben, diesen Koalitionsvertrag vier Jahre lang zu leben und die darin vereinbarten Dinge umzusetzen, werden Klaus Ernst hat die Lage eines Teils der Betroffenen wir heute leider auch gegen die richtigen Teile dieses An- zutreffend beschrieben . Aber das gerade von mir genann- trags stimmen müssen . te Beispiel zeigt, dass die Lebenswirklichkeit nicht ein- Danke schön . dimensional betrachtet werden kann, dass es sehr viele unterschiedliche Entwürfe für das Leben gibt . (Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Was sagt deine Gewerkschaft dazu? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt mal Vizepräsident Peter Hintze: ein bisschen Pfeffer hier!) Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwi- schenfrage von Frau Vogler . Wollen Sie die zulassen? Vizepräsident Peter Hintze: Danke schön . – Als nächstem Redner erteile ich dem Markus Paschke (SPD): Abgeordneten Dr .Thomas Gambke, Bündnis 90/Die Nein, heute nicht . Grünen, das Wort .

Vizepräsident Peter Hintze: Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie wollen weitersprechen . NEN): (B) Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! (D) Markus Paschke (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin bei der Debatte ein bisschen versucht, an den chinesischen Dreisatz, den Ich bin davon überzeugt, dass wir der Vielfalt der ich aus der Wirtschaft kenne, zu denken: Die einen for- Bedürfnisse der Menschen in unserem Land entspre- dern 10, die anderen sagen 0, und man trifft sich irgend- chen müssen . Das können wir aber nicht, indem wir ein wo bei 1 oder 2 . Korsett schaffen, das allen die Luft zum Atmen nimmt, sondern wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir ha- ben doch keine Koalition mit denen! – Max Missbrauch und das Ausnutzen von Menschen verhin- Straubinger [CDU/CSU]: Wir sind nicht auf dern . Es ist kein Geheimnis, dass meine Fraktion und ich dem Jahrmarkt!) die berechtigte Kritik an der exzessiven Nutzung sach- grundloser Befristung teilen . Lassen Sie mich einmal über die 1 oder 2 reden . Planungssicherheit – egal ob privat oder beruflich – ist Erstens . Herr Oellers, Sie haben beim Thema „sach- mit befristeten Arbeitsverhältnissen nicht zu haben . Es grundlose Befristung“ einfach gesagt, es gebe gar keinen Missbrauch, wir brauchten nichts zu tun, die Gerichte re- gibt Menschen, die wollen und brauchen Sicherheit, zum gelten schon alles . Beispiel um eine Familie zu gründen . Andere wollen sich derzeit nicht langfristig binden . Aber auch denen würden (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das habe ich wir die Chancen nehmen, wenn wir Ihren Antrag so um- nicht gesagt!) setzen, wie er geschrieben ist . Sachgrundlose Befristungen gehören abgeschafft – Viele wichtige und lange geforderte Verbesserungen Punkt! für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben wir be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reits in den ersten zwei Jahren unserer Regierungszeit und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten erreicht: die Einführung eines flächendeckenden Min- der SPD) destlohns, die Rente ab 63, die Beendigung der Genera- Zweitens . Wir müssen uns den Katalog der Sachgrün- tion Praktikum, Verbesserung bei der Gleichstellung von de sehr genau anschauen und da etwas tun . Dass bei der Mann und Frau, um nur einige Beispiele zu nennen . Wir sachgrundlosen Befristung Missbrauch passiert, den man ruhen uns auf dem bisher Erreichten nicht aus . Noch in gesetzlich in den Blick nehmen muss, lasse ich mir nicht diesem Jahr werden wir den Gesetzentwurf zur Bekämp- ausreden, auch nicht angesichts Ihrer Ausführungen zum 11982 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Thomas Gambke (A) Lobe der Gerichte . Aber wir müssen auch die Wirklich- Vielmehr geht es auch um die Art, wie man sie ausge- (C) keit sehen . Die Wirklichkeit ist zweigeteilt . staltet . Ich bin Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion Vizepräsident Peter Hintze: (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ein Widerspruch in sich!) Kollegen Oellers? und bin viel unterwegs . Da sehe ich Betriebe mit Mitar- beitern mit durchschnittlichen Betriebszugehörigkeiten Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von 10 oder 13 Jahren . Genau das sind die erfolgreichen NEN): Betriebe . Es stimmt ja: Eine gute Personalpolitik mit Bitte sehr . unbefristet beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern ist erfolgreich . (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Oellers, lassen Sie es lieber! Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht nicht gut für Sie aus! – Heiterkeit beim sowie bei Abgeordneten der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/ Aber wir können die Augen nicht davor verschließen, CSU und der SPD) dass es verschiedene Gründe für Befristungen gibt . Herr Ernst, wie lange sind Sie im Bundestag? Seit 2005, wie Wilfried Oellers (CDU/CSU): ich gerade nachgesehen habe . Ich gehe einmal davon aus, Das habe ich gehört . Zu gegebener Zeit werden wir dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Büro auch darüber sprechen . einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben . Vielen Dank, Herr Präsident .– Ich musste mich jetzt (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genauso lange, doch noch einmal zu Wort melden . Vielleicht können Sie wie ich ihn habe! – Katja Kipping [DIE LIN- mir eine Frage beantworten, nämlich an welcher Stelle KE]: Bis zum Ende der Wahlperiode!) ich in meiner Rede heute von sachgrundloser Befristung gesprochen habe . Ich nehme die Antwort vorweg: Das – Genau das ist der Punkt . Was ist, wenn man nach zwei habe ich nicht . Sie können das im Protokoll nachlesen . Wahlperioden eine dritte Periode mit seinen Mitarbeite- Aber sagen Sie mir bitte, wo ich das Ihrer Ansicht nach rinnen und Mitarbeitern antreten will? Na also . gemacht habe . Wir müssen uns die Gründe für die Befristungen Erlauben Sie mir des Weiteren eine kurze Anmer- schon angucken, (B) kung, was die sachgrundlose Befristung als solche be- (D) (Katja Mast [SPD]: Sachgrundlose Befristun- trifft . Wenn Sie mich schon darauf ansprechen, darf ich gen!) auf die Ausführungen von Uwe Lagosky verweisen . Die sachgrundlose Befristung ist nun einmal gesetzlich ein- die übrigens oft auch sozialpolitischer Art sind . Ich meine geschränkt . Ich denke, dass man bei einer Höchstdauer Instrumente wie Mutterschutz und Elternzeit, die Befris- von zwei Jahren auch ausnahmsweise einen befristeten tungen notwendig machen . Da ist es schon richtig, sich Arbeitsvertrag ohne Sachgrund abschließen kann . darüber Gedanken zu machen, wie man mit den damit bewirkten Unsicherheiten am Arbeitsplatz umgeht . Darüber hinaus haben Sie gerade die Planungssicher- heit für junge Menschen angesprochen . Vielleicht kön- (Zuruf von der LINKEN: Wie machen Sie nen Sie dazu noch etwas sagen . Ich bin da grundsätzlich das denn? Unbefristete Jobs?) voll bei Ihnen . Ich habe auch in meinen Ausführungen – Unbefristete Mitarbeiterverträge habe auch ich nicht . abschließend gesagt: Wünschenswert wäre immer das Deshalb sage ich: Wir müssen uns darum kümmern, wie unbefristete Arbeitsverhältnis . Ich will auch Missbrauch wir diese Unsicherheiten auffangen . Im gesamten kreati- gar nicht in Abrede stellen . Den gibt es sicherlich auch; ven Bereich und bei vielen Projekten im karitativen Be- dafür sind die Gerichte zuständig . Aber man muss auch reich gibt es immer wieder Befristungen, die eben durch zur Kenntnis nehmen – ich weiß nicht, ob Sie das getan die Sache begründet sind und bei denen man sich in der haben; vielleicht können Sie das bestätigen –, dass, wie Tat fragen muss: Wie geht man damit um? ich eben geschildert habe, der Anteil der befristeten Ar- beitsverhältnisse mit zunehmendem Alter abnimmt . Das Herr Oellers, die Lebenswirklichkeit ist nun einmal widerspricht meiner Ansicht nach Ihrer Aussage . Viel- so, dass viele Menschen vor einer Familienplanung, dem leicht könnten Sie dazu noch etwas sagen . Kauf einer Wohnung oder eines Hauses immer wieder zurückschrecken, weil eben durch die Befristungen Un- Danke schön . sicherheiten am Arbeitsplatz gegeben sind . Es ist sicher richtig, sich damit zu befassen . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank für diese Fragen, die mir Anlass geben Ich glaube, dass es deshalb notwendig ist, sich über würden, meine Redezeit noch vier Minuten zu verlän- die Instrumente, wie man mit diesen Unsicherheiten um- gern, was ich nicht tue, Herr Präsident . Ich will aber zwei geht, Gedanken zu machen . Das kann nicht allein in der Dinge sagen, die ich als Zusammenfassung Ihrer Rede Frage liegen: Will man Kettenarbeitsverträge zulassen? sehr gut verstanden habe . Erstens haben Sie gesagt: Es Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11983

Dr. Thomas Gambke (A) gibt keinen Regelungsbedarf, sondern wir haben Gerich- Wittenburg, die über 17 Jahre befristete Arbeitsverträge (C) te, die Missbrauch verhindern . hatte, haben wir alle noch in guter Erinnerung . (Wilfried Oellers [CDU/CSU]: So ist es!) (Ulli Nissen [SPD]: In guter?) Das stelle ich in Abrede, und genau das habe ich gemeint, Sie hat innerhalb von 17 Jahren 88 befristete Arbeitsver- als ich Sie vorhin zitiert habe . träge erhalten . Dieser Fall sorgte bei allen Parteien für Unverständnis und Ärger . Dieses missbräuchliche Ver- Zweitens haben Sie in der Art und Weise, wie Sie die halten entspricht nicht unseren Positionen und Grundsät- Situation darstellen – nämlich dass es zwar im Einzel- zen . Die Rechtsprechung hat aber diesen Kettenbefris- fall, aber eben nur im Einzelfall, Probleme gebe –, die tungen inzwischen Grenzen gesetzt . Lebenswirklichkeit der Menschen nicht getroffen . Diese sieht in der Tat so aus, dass die Unsicherheiten zuneh- Heute befassen wir uns erneut mit Anträgen der Frak- men . Das mag meine subjektive, im Verlauf der letzten tion Die Linke zu befristeten Arbeitsverträgen, darunter 20 Jahre erworbene Erfahrung sein, aber diese Erfahrung der Antrag „Das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Re- wird auch durch die Zunahme der befristeten Arbeits- gel machen“ . Wenn man sich die aktuellen und auch die verhältnisse vor allem im Dienstleistungsbereich und im vergangenen Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und kreativen Bereich belegt . Insofern glaube ich, dass wir Berufsforschung anschaut, dann kann man zweifelsfrei mehr tun müssen, als auf die Kraft der Gerichte zu ver- feststellen, dass befristete bzw . atypische Arbeitsverhält- trauen, und gesetzliche Regelungen brauchen . Genau das nisse die Ausnahme darstellen . Nach einer Studie des war meine Aussage . IAB lag 2014 der Anteil der befristeten Arbeitsverträge in Deutschland bei 6,9 Prozent . Das bedeutet umgekehrt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass weit über 90 Prozent aller Arbeitsverträge unbefris- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) tet sind . Aufgrund dieser Zahlen werden Sie mir doch zu- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole: stimmen, dass befristete Arbeitsverträge tatsächlich eher Sachgrundlose Befristungen müssen abgeschafft wer- eine Ausnahme sind . den, wir müssen uns mit dem Katalog befassen, und wir Befristete Beschäftigungen sind für viele Unterneh- müssen uns darüber Gedanken machen – das lassen Ihre men – so möchte ich behaupten – unverzichtbar . Sie Anträge im Grunde genommen völlig offen; darin halte dienen insbesondere dazu, familienbedingte oder tem- ich sie für substanzlos –, welches die richtigen Instru- poräre Arbeitszeitreduzierungen auszugleichen . Sachli- mente sind . Es ist kein richtiges Instrument, einfach nur che Gründe für eine Befristung können entstehen, wenn zu sagen: Wir wollen nur noch Befristungen zulassen, Eltern- oder Pflegezeiten, Zeiten des Mutterschutzes oder die höchstens zweimal aufeinanderfolgen . Dann müssen Erkrankungen kompensiert werden müssen . (B) wir uns vielmehr fragen, wie wir eine Abfederung der (D) notwendigen Befristungen im sozialen Bereich gestalten . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das hat Herr Das kann zum Beispiel dadurch erfolgen, dass man sich Ernst schon alles vorgetragen! Das akzeptie- Gedanken darüber macht, welche nachträglichen Ver- ren wir auch!) pflichtungen ein Arbeitgeber bei einer Befristung hätte, Der Arbeitnehmer kann wie in jedem anderen Arbeits- wenn er mehr als zwei Befristungen aussprechen muss . verhältnis seine Fähigkeiten erweitern, sich im Betrieb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einsetzen und dadurch mit seinen Kenntnissen überzeu- gen . Vizepräsident Peter Hintze: Eine Übernahme in ein unbefristetes Verhältnis ist Apropos Befristung . nicht garantiert . Aber selbstverständlich kann sich der Arbeitnehmer im Unternehmen bewähren . 2014 lag (Heiterkeit) die Übernahmequote bei befristet Beschäftigten bei 37,5 Prozent . Natürlich wünsche ich mir, dass sich die- Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- se Quote steigern lässt . Selbstverständlich halte auch NEN): ich unbefristete Arbeitsverhältnisse für Arbeitnehmer Ich danke für die Aufmerksamkeit und Ihnen, Herr als sicherer . Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass Präsident, für Ihre Geduld . befristete Arbeitsverträge auch dazu dienen können, Ar- beitslosigkeit zu beenden . In Deutschland gibt es trotz Danke schön . des Erfolgsmodells der dualen Ausbildung Menschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ohne Ausbildung . Zudem können Hochschulabsolventen ohne Berufserfahrung erste Erkenntnisse erwerben und Unternehmensstrukturen kennenlernen . Befristete Ar- Vizepräsident Peter Hintze: beitsverträge erhöhen die Einstellungsmöglichkeiten für Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten diese Beschäftigten . Deshalb halte ich befristete Arbeits- Matthäus Strebl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . verhältnisse für ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches (Beifall bei der CDU/CSU) Instrument, das nicht nur Unternehmen und dem öffent- lichen Dienst dient . Matthäus Strebl (CDU/CSU): Ich sehe die Gefahr, dass die von Ihnen geforderte Ab- Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen schaffung der sachgrundlosen Befristung viele Arbeitge- und Kollegen! Die Schlagzeilen über die Postbotin aus ber zögern lassen wird, Beschäftigte mit unterbrochenen 11984 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Matthäus Strebl (A) Erwerbsbiografien einzustellen. Zudem fordern Sie, den Arbeitnehmer und Unternehmer können sich auf die (C) Gesetzestext so zu ändern, dass § 14 des Teilzeit- und gesetzlichen Vorschriften berufen und diese auf dem Befristungsgesetzes ausschließlich abschließend Grün- Rechtsweg geltend machen . Die bestehenden gesetzli- de auflistet. Ich möchte hervorheben, dass der nicht ab- chen Vorschriften haben sich in der Praxis bewährt . In schließende Katalog in § 14 keine unbegrenzte Öffnung der heutigen Debatte ist es schon gesagt worden: Gera- für weitere Befristungen darstellt . Jeder Grund für eine de wegen der guten konjunkturellen Entwicklung ist der Befristung muss sachlich gerechtfertigt sein . In Ihrem Anteil der befristeten Arbeitsverträge zurückgedrängt Antrag kritisieren Sie, dass besonders junge Menschen worden . Deshalb lehnen wir den Antrag der Fraktion Die von befristeten Arbeitsverträgen betroffen sind . Hierbei Linke ab . übersehen Sie jedoch, dass insbesondere in der Alters- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . gruppe der 15- bis unter 25-jährigen Beschäftigten auch Ausbildungsverhältnisse mitgezählt wurden . Zudem ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . gumentieren Sie – ich zitiere aus Ihrem Antrag –: Bärbel Bas [SPD]) Für die Qualität von Arbeit ist es entscheidend, ob ein Arbeitsvertrag befristet ist oder nicht . Vizepräsident Peter Hintze: Herzlichen Dank .– Als nächstem Redner erteile ich Damit unterstellen Sie allen befristet eingestellten Be- das Wort dem Abgeordneten Bernd Rützel, SPD-Frakti- schäftigten, dass sie nicht so gut arbeiten wie unbefristet on . eingestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . (Beifall bei der SPD) (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was ist das denn? Das ist absurd!) Bernd Rützel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Vizepräsident Peter Hintze: Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Herr Kollege, Frau Kollegin Krellmann möchte eine Linke fordert, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis zur Zwischenfrage stellen . Wenn Sie den nächsten Satz Ihrer Regel wird . Gabi Hiller-Ohm hat es schon festgestellt: Rede noch zu Ende sprechen, können Sie überlegen, ob Gott sei Dank ist das unbefristete Arbeitsverhältnis die Sie diese Zwischenfrage zulassen wollen . Regel – 90 Prozent aller Arbeitsverhältnisse sind unbe- fristet . Aber ich will schon sagen, dass 90 Prozent nicht Matthäus Strebl (CDU/CSU): automatisch eine hohe Qualität bedeutet . Wenn 90 Pro- Herr Präsident, ich will gerne zusammenhängend vor- zent aller Flugzeuge sicher landen oder 90 Prozent aller (B) tragen . Operationen gelingen, dann möchte ich nicht mehr flie- (D) gen und auch nicht mehr krank werden . Vizepräsident Peter Hintze: (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Okay . Ich erinnere mich an einen Spruch auf einem Schild im Klassenzimmer der dritten Klasse in meiner Grund- Matthäus Strebl (CDU/CSU): schule in Rieneck . Darauf stand: „Feuer, Gas und Wasser Diese Unterstellung möchte ich als Mitglied der CDU/ sind drei gute Diener, aber drei schlimme Herren “. Heu- CSU-Arbeitnehmergruppe entschieden zurückweisen . te, 40 Jahre später, müsste man sagen: Befristete Arbeits- Die Qualität einer Arbeitsleistung hängt keineswegs da- verhältnisse, Leiharbeit und Werkverträge sind drei gute von ab, ob das Arbeitsverhältnis befristet oder unbefristet Diener, aber drei schlimme Herren . ist . (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Ich möchte noch einmal betonen, dass ich Arbeitsver- der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜND- träge mit unterschiedlichen Befristungsmöglichkeiten NIS 90/DIE GRÜNEN]) für ein notwendiges arbeitsmarktrechtliches Instrument halte . Als Mitglieder des Bundestages, unabhängig wel- Die Befristung in der Beschäftigung nimmt zu, gerade cher Partei wir angehören, haben wir die Verpflichtung, bei jungen Menschen, und das schadet ihnen und unserer zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Un- gesamten Gesellschaft . ternehmen genau abzuwägen . (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Arbeitnehmer haben ein Interesse daran, dass ihre Eine sachgrundlose Befristung verbaut Lebenschancen . Arbeitsplätze sicher sind und ihre Leistung dauerhaft Beschäftigten wird eine langjährige Perspektive verwei- gewünscht ist. Unternehmer hingegen müssen flexibel gert . Heute früh, vor zwei Stunden, hat die Kanzlerin auch auf wirtschaftliche und marktbedingte Veränderungen zur Nachhaltigkeit, zur internationalen Zusammenarbeit reagieren können . Somit können auch Wettbewerbsnach- gesprochen . In Artikel 23 der Charta der Menschenrechte teile für deutsche Unternehmen verhindert werden . Ein steht – ich habe es noch einmal nachgelesen –, dass jeder gesetzliches Verbot von befristeten Verträgen könnte das Recht auf „befriedigende Arbeitsbedingungen“ und ohne Frage erhebliche Auswirkungen auf den Arbeits- „Schutz vor Arbeitslosigkeit“ hat . markt haben . Beiden Parteien werden damit im Sinne der Privatautonomie Rahmenbedingungen für ihre Verträge (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli gesetzt . Nissen [SPD]: Ein wichtiges Argument!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11985

Bernd Rützel (A) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein Ich will zur Ehrenrettung aber schon sagen – jetzt hört (C) Mindestmaß an Sicherheit, um eine Familie zu gründen, Herr Kauder nicht mehr zu –, dass wir gemeinsam eine um sich gesellschaftlich zu engagieren . Durch die befris- Menge erreicht haben . Wir – die SPD, die CDU, die CSU teten Jobs wird eine fundierte Lebensplanung eben behin- und die Grünen – haben den Mindestlohn eingeführt . dert . Wenn junge Menschen ein Haus bauen wollen oder eine Wohnung kaufen wollen und zur Bank gehen, um (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) einen Kredit aufzunehmen, dann werden sie gefragt: Was Das war notwendig . haben Sie denn für Sicherheiten? Wer dann antwortet: „Ich habe noch sechs Monate einen befristeten Arbeits- (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE platz“, dem helfen auch die momentan günstigen Zinsen GRÜNEN]: Aber das reicht nicht, Herr Kol- nichts . Ständig stecken junge Leute in einer erneuten Be- lege!) werbungsphase, statt sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können . Nur wer ein sicheres Arbeitsverhältnis hat, Ich glaube, Sie von der Linken ärgern sich ewig, dass Sie kann gute Arbeitsergebnisse abliefern . dem Mindestlohn nicht zugestimmt haben . Wie singt Herbert Grönemeyer – ich bin ein Her- (Beifall bei der SPD) bert-Grönemeyer-Fan-: Es ist gut, dass der Mindestlohn gerade jetzt gilt, wo auch (Beifall der Abg . Katja Mast [SPD]) die Flüchtlinge zu uns kommen . – da ist noch ein Grönemeyer-Fan –: „Angst stellt ru- Andere Themen sind angesprochen worden . Liebe hig, Angst kriegt klein“ . Das, glaube ich, brauchen wir Kolleginnen, liebe Kollegen, auch im Bereich des Wis- nicht . Wir brauchen, um die Zukunftsherausforderungen senschaftsbetriebs führen wir Verbesserungen herbei . zu bewältigen, selbstbewusste und gute Mitarbeiter, die Die Qualifizierungsbefristung muss für die Dauer der anpacken, die sich in ihrem Job bestätigt fühlen . Wer als Qualifizierung gelten. Wenn eine Qualifizierung drei Jah- Unternehmer ein gutes Geschäftsmodell hat, der stellt re dauert, dann muss auch der Arbeitsvertrag drei Jahre diese Leute auch unbefristet und auf Dauer ein . gelten . Das ist eine Menge . Ich glaube, das war in diesem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Monat im Kabinett . der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- Es sind verschiedene Bausteine, die zur Bekämpfung NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was folgt jetzt prekärer Beschäftigung notwendig sind . Man kann nicht daraus?) das eine tun und das andere lassen . So warnt zum Bei- spiel das heute schon zitierte IAB, das Institut für Ar- (B) Die Probezeit wird oft als Argument verwendet, um (D) befristete Arbeitsverträge zu machen . Das ist eine Hin- beitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für tertür . Wir haben das heute schon oft gehört . Der Kün- Arbeit, dass eine Abschaffung der sachgrundlosen Be- digungsschutz wird geschleift . Ich bin mit meiner Partei fristung dazu führen kann, dass auf andere Formen wie und meiner Fraktion einig darin, dass die sachgrundlose Leiharbeit oder freie Mitarbeit ausgewichen wird . Befristung abgeschafft werden muss . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Muss man re- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie geln!) der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) – Genau, das muss man regeln, Klaus; ich bin da bei dir . Von daher haben wir das auch vor . Das ist bekannt . Bevor die Frage „Warum tut ihr das nicht?“ kommt, sage ich: Im geltenden Koalitionsvertrag – auch das ist (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE heute schon besprochen worden – konnten wir eine Ab- GRÜNEN]: Ja, das wissen wir!) schaffung der sachgrundlosen Befristung leider nicht Wir sind mitten in den Gesprächen zu Leiharbeit und vereinbaren . Das war nicht zu machen . Ich sehe über- Werkverträgen . all Zustimmung, auch in Teilen der Union . Die CDA hat einen Antrag auf Ihrem Bundesparteitag gestellt . Es ist (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE schade, dass es nicht geklappt hat . Wir haben noch zwei GRÜNEN]: Wann kommt das denn?) Jahre Zeit . Vielleicht können wir noch einmal darüber reden . Sie werden es bald erleben, dass wir die Leiharbeit auf ihre Funktion zurückführen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über alles! – Max Straubinger [CDU/ (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE CSU]: Es ist die Frage, was wir tun!) GRÜNEN]: Wann kommt denn der Gesetzent- wurf?) – Reden können wir über alles; ich komme auf Sie zu- rück . nämlich nicht Herr zu sein, sondern Diener, wie es in (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber das nützt meiner dritten Klasse auf dem Schild stand . Auch die nichts! – Gegenruf der Abg . Ulli Nissen [SPD]: Werkverträge werden wir wieder auf ein vernünftiges Dann kommt es ins Protokoll! – Gegenruf des Abg . Maß zurückführen . Dazu werden wir das Arbeitnehme- Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden können wir über rüberlassungsgesetz an die aktuellen Entwicklungen an- alles, immer!) passen . 11986 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Bernd Rützel (A) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehrte Da- Möglichkeit, Kündigungen auszusprechen . Das alles ist (C) men und Herren, es gibt in dieser Koalition noch genug eigentlich sauber geregelt . Das hat bis 1985 immer gut zu tun . funktioniert . Seitdem ist das anders . Ich meine, solche Befristungen sind heute nicht nötig; das ist Missbrauch, (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE insbesondere gegenüber der jungen Generation, die da- GRÜNEN]: Das stimmt!) von besonders betroffen ist . Wir haben bisher schon viel erreicht . Wir packen das Wenn man sagt, dass so viele ein unbefristetes Ar- auch weiterhin intensiv an . Auf diese Arbeit freue ich mich, und dazu lade ich alle ganz herzlich ein . beitsverhältnis haben, dann ist das ja okay . Aber schauen Sie sich einmal die Situation der unter 25-Jährigen an! Vielen Dank . Da liegt doch das Problem . Die jungen Leute bekommen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keine Chance . Deswegen ist unser Antrag notwendig . der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Peter Hintze: Vizepräsident Peter Hintze: Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Gibt es Reaktionsbedarf? – Nicht . – Danke schön . Krellmann noch einmal das Wort . Tagesordnungspunkt 4 a . Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 18/4098 an die in Jutta Krellmann (DIE LINKE): der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Vielen Dank, dass Sie mir noch einmal das Wort geben .– gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Ich muss sagen: Der Kollege Bernd Rützel Dann ist die Überweisung beschlossen . (Ulli Nissen [SPD]: Das war klasse, oder?) Tagesordnungspunkt 4 b . Wir kommen zur Beschlus- hat mein Verständnis von der SPD wieder geradegerückt . sempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales Nach den anderen SPD-Rednern war ich ein bisschen am zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Das Zweifeln . unbefristete Arbeitsverhältnis zur Regel machen“ . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Drucksache 18/2783, den Antrag der Fraktion die Linke Na, na, na! Das müssen wir doch bestreiten!) auf Drucksache 18/1874 abzulehnen . Wer stimmt für die Im Grunde wollte ich gerne etwas zu Herrn Strebl Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt sagen . Es ist ausdrücklich so, dass Ausbildungsverhält- dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die Beschlus- (B) nisse nicht in den Statistiken enthalten sind, davon aus- sempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion (D) genommen sind . Um Ausbildungsverhältnisse geht es und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion auch nicht, wenn wir über sachgrundlose Befristungen Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an- reden . Das muss man einfach klarstellen, und das wollte genommen worden . ich klarstellen . Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c so- Ansonsten, Herr Strebl: Arbeitgeber haben die Möglich- wie den Zusatzpunkt 3 auf: keit, bei Arbeitsverhältnissen eine Probezeit von einem 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordne- halben Jahr zu vereinbaren . In dieser Probezeit kann ein ten Ingbert Liebing, Artur Auernhammer, Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen gekündigt Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter werden; nur die Kündigungsfrist muss eingehalten wer- und der Fraktion der CDU/CSU sowie der den . Das heißt mit anderen Worten: Jeder Arbeitgeber hat Abgeordneten Bernhard Daldrup, Johannes die Chance, bis zu einem halben Jahr zu überprüfen, ob Kahrs, Doris Barnett, weiterer Abgeordne- ein Arbeitnehmer in Ordnung ist oder nicht . Ich persön- ter und der Fraktion der SPD lich kenne wenige Arbeitsplätze, bei denen es notwendig wäre, einen Arbeitnehmer über einen noch längeren Zeit- Für gleichwertige Lebensverhältnisse raum zu beurteilen, um sagen zu können, ob er gut oder – Kommunalfreundliche Politik des Bun- schlecht ist . des konsequent fortsetzen Deswegen braucht man die sachgrundlose Befristung Drucksache 18/6062 einfach nicht . Und ein Arbeitsverhältnis an dieser Stelle Überweisungsvorschlag: auf zwei Jahre zu befristen, geht einfach nicht; das ist völ- Haushaltsausschuss (f) lig überflüssig. Wenn so etwas doch passiert, und jemand Innenausschuss sagt, dass er das braucht, dann würde ich sagen: Mensch, Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie das ist aber eine faule Personalabteilung; das hätte die Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft alles schon viel früher sehen und beurteilen können . Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der LINKEN) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Beschäftigte sind keine Beamten . Und auch wenn Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sie ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben, heißt das Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen nicht, dass sie bis zu ihrem Lebensende in einem Betrieb Union beschäftigt sind, sondern auch dann gibt es immer die Ausschuss Digitale Agenda Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11987

Vizepräsident Peter Hintze (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten leginnen und Kollegen aus NRW, aber auch Kolleginnen (C) Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, und Kollegen aus anderen Ländern dabei . Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber da muss Fraktion DIE LINKE es besonders schlimm sein, in NRW!) Kommunen von den Kosten für bauliche Darüber können wir uns ja hinterher in der Debatte mit- Maßnahmen an Kreuzungen von Eisen- einander austauschen . bahnen und Straßen befreien (Bernhard Daldrup [SPD]: Darauf kommen Drucksache 18/3051 wir gleich zurück! – Volker Kauder [CDU/ Überweisungsvorschlag: CSU]: Aus Baden-Württemberg sind keine Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) dabei! Aus Bayern aber auch nicht!) Innenausschuss Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die c) Beratung der Beschlussempfehlung und Aussprache eine Stunde vorgesehen . – Ich höre keinen des Berichts des Innenausschusses (4 .Aus - Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Als erstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Ingbert Liebing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke (Beifall bei der CDU/CSU) Verbindliches Mitwirkungsrecht für Ingbert Liebing (CDU/CSU): Kommunen bei der Erarbeitung von Ge- setzentwürfen und Verordnungen sowie Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- im Gesetzgebungsverfahren ren! Wir führen heute eine Debatte über die Lage der Kommunen in Deutschland, die unter anderem auf die Drucksachen 18/3413, 18/6085 Initiative des Aktionsbündnisses zurückgeht . Es ist gut, ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten dass wir diese Debatte heute führen . Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübin- Diese Debatte findet vor einem besonderen Hinter- gen), Luise Amtsberg, weiterer Abgeordne- grund statt . Denn in diesen Tagen erleben wir wie selten ter und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜ- zuvor, wie wichtig leistungsstarke Kommunen sind . NEN (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) Dauerhafte und strukturelle Entlastun- ordneten der SPD) gen für Kommunen in Not Unsere Städte und Gemeinden stehen mit der Bewälti- Drucksache 18/6069 gung der Flüchtlingskrise vor einer besonderen Heraus- Überweisungsvorschlag: forderung . Und alle leisten einen gewaltigen Kraftakt: Haushaltsausschuss (f) die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltun- Innenausschuss gen der Städte und Gemeinden, die Oberbürgermeisterin- Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales nen und Oberbürgermeister, die Bürgermeisterinnen und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- Bürgermeister und die Landrätinnen und Landräte an der torsicherheit Spitze . Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer or- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- ganisieren die Aufnahme von Flüchtlingen aus anderen abschätzung Ländern, die aus Not zu uns kommen, und Hilfe für diese Es lohnt sich für alle, hierzubleiben; aber diejenigen, Flüchtlinge . Diese großartige Leistung, dieser Kraftakt, die nicht hierbleiben wollen, sollten allfällige Gespräche verdient unser aller Dank und Anerkennung . bitte vor dem Saal führen, damit wir ordnungsgemäß (Beifall im ganzen Hause) weitermachen können . In dieser Zeit kommt es ganz besonders auf die Kom- Auf der Tribüne zu meiner Linken begrüße ich munen an . Nicht in Berlin, nicht hier im Deutschen Bun- 62 Oberbürgermeister, Landräte und Bürgermeister des destag, nicht in den Landeshauptstädten, nicht in den Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ Staatskanzleien oder in den Landtagen, sondern vor Ort, (Beifall) in den Städten und Gemeinden, entscheidet es sich, ob wir in der Lage sind, diese Herausforderung tatsächlich mit ihren Sprechern Frau Oberbürgermeisterin Dagmar in der Praxis zu meistern . Das entscheidet sich in Städten Mühlenfeld aus Mülheim und Herrn Oberbürgermeister wie Essen, Gelsenkirchen oder Wuppertal oder in kleinen Peter Jung aus Wuppertal . Dörfern wie Seeth oder Boostedt, wo in den Erstaufnah- (Beifall – Volker Kauder [CDU/CSU]: Alle meeinrichtungen der Länder inzwischen mehr Flüchtlin- aus NRW, oder?) ge leben als Einheimische im Dorf . – Um einen Zwischenruf des verehrten Fraktionsvorsit- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch in Pas- zenden Kauder aufzugreifen: Es sind in der Tat viele Kol- sau!) 11988 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Ingbert Liebing (A) Umso wichtiger ist es, dass wir heute zu klaren Verstän- I) [CDU/CSU]: Mit der Wahrheit wird nicht (C) digungen zwischen Bund und Ländern kommen; und da gespielt! So einfach ist das!) geht es um drei Bereiche . sondern es geht um die Verfassungsordnung in unserem Es geht jetzt erstens darum, alle Kräfte zu mobilisie- Land . Es ist schlichtweg eine Tatsache, dass laut unserer ren, um Hilfe zu leisten, und diesen Kraftakt vor Ort zu Verfassungsordnung die jeweiligen Bundesländer für die organisieren, Menschen, die aus Not zu uns kommen, zu aufgabengerechte Finanzausstattung ihrer Kommunen helfen . die Verantwortung tragen . Zweitens gehört aber auch dazu, den Zuzug zu be- (Beifall bei der CDU/CSU) grenzen; denn – das wissen wir auch – die grenzenlose Deswegen ist es für uns doch auch so bitter, zu erleben, Fortsetzung dessen, was in den letzten Tagen und Wo- dass Gelder, die wir auf der Bundesebene mobilisieren chen geschehen ist, würde die Städte und Gemeinden und die den Kommunen helfen sollen, teilweise vor Ort restlos überfordern . gar nicht erst ankommen, sondern in den Landeskassen Drittens geht es auch um finanzielle Hilfe des Bundes. landen . Das ist ein gefährliches Spiel, das einzelne Län- Es ist zugesagt, dass diese Hilfe strukturell und dauerhaft der hier treiben . erfolgt . Dies wird sicherlich heute vereinbart werden; da (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Pfui!) bin ich zuversichtlich . Die Finanzprobleme vieler Kommunen haben im We- Dies alles, was heute Nachmittag zwischen der Bun- sentlichen etwas mit der Ausgabenseite zu tun, weniger desregierung und den Ministerpräsidenten verhandelt mit der Einnahmenseite, und hier insbesondere mit den und vereinbart wird, liegt im Interesse der Kommunen . gestiegenen Sozialkosten . Wir wissen – das zeigen die Dazu leisten wir unseren Beitrag . Uns liegt die Leis- Zahlen –, dass die Sozialkosten schneller und stärker tungsfähigkeit der Kommunen sehr am Herzen, bei die- steigen als die Einnahmen . Genau deswegen war es ja sem Thema, aber – das ist in diesen Zeiten auch wichtig – auch richtig, dass wir als Bund entschieden haben, die auch bei allen anderen Aufgaben, die die Kommunen ja teure und dynamisch wachsende Grundsicherung im Al- auch weiterhin leisten müssen, etwa wenn es um ein aus- ter und bei Erwerbsminderung zu übernehmen . Damit reichendes Kitaangebot geht, wenn es um Schulen geht, sorgen wir für eine dauerhafte strukturelle Entlastung auf wenn es um Straßen geht, wenn es um Wohnungsbau der kommunalen Ebene, in diesem Jahr in einer Größen- geht oder um Sport- und Freizeitangebote . Das ist das, ordnung von immerhin 5,4 Milliarden Euro . was die Menschen auch von ihrer Gemeinde, von ihrer Stadt erwarten . (Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit (B) Wir helfen, wo wir helfen können . Aber wir müs- der Eingliederungshilfe? Da wurde doch auch (D) sen auch feststellen, dass die Lage der Kommunen in was besprochen!) Deutschland sehr unterschiedlich ist . Es gibt einzelne Kommunen in einzelnen Ländern, die keine Kassenkre- Es gilt die Zusage, dass wir auch im Bereich der Ein- dite kennen, aber es gibt andere Länder, wo die Kassen- gliederungshilfe etwas tun . Wir erneuern mit dem An- kredite explodieren . Über die Hälfte der Kassenkredite trag, den wir heute vorlegen, unsere Zusage aus dem in der Größenordnung von 48 Milliarden Euro deutsch- Koalitionsvertrag, dass die Kommunen in diesem Feld landweit haben die Kommunen in einem einzigen Bun- ab 2018 in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro desland aufgenommen, nämlich in Nordrhein-Westfalen . entlastet werden sollen . Das gehört auch zur Wahrheit . (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Bernhard Kaster [CDU/CSU]: In Rhein- NEN]: In dieser Legislaturperiode!) land-Pfalz ist es genauso!) Ich kenne die Sorgen, dass diese Reform mit zusätzlichen Es gibt einzelne Länder, die ihren Kommunen helfen und neuen Ausgaben verbunden sein könnte . Deswegen gebe sie zu 100 Prozent von den Kosten nach dem Asylbewer- ich hier ausdrücklich die Zusage der CDU/CSU-Frakti- berleistungsgesetz freihalten, wie zum Beispiel Meck- on, dass wir dafür sorgen, dass das weder zu einer neuen lenburg-Vorpommern und Bayern . Kostendynamik noch zu einer neuen Kostenbelastung der Kommunen führt . Wir wollen an dieser Stelle die (Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Und Kommunen strukturell und dauerhaft entlasten . das Saarland!) (Beifall bei der CDU/CSU) Und es gibt andere Länder, die ihre Kommunen hier herzlich im Stich lassen . Bis 2018 leisten wir auch etwas . In diesem und im nächs- ten Jahr helfen wir mit je 1 Milliarde Euro . Im Jahr 2017 Dies können wir auf der Bundesebene nicht ausglei- wächst das auf 2,5 Milliarden Euro auf . chen . Ich möchte das auch nicht als ein Schwarzer-Pe- Ich nenne auch das Investitionsprogramm, das wir ter-Spiel verstanden wissen, auf den Weg gebracht haben. 3,5 Milliarden Euro für fi- (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Nein, natürlich nanzschwache Kommunen, um die Investitionskraft zu nicht! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE stärken . Das tun wir ganz bewusst zugunsten Ihrer Städte GRÜNEN]: Nein, überhaupt nicht! Das wie- und Gemeinden, von denen Sie hier als Oberbürgermeis- derholen Sie doch jedes Mal! Bei jeder Debat- ter, Bürgermeister und Landräte zu uns gekommen sind, te! – Gegenruf der Abg . Sabine Weiss (Wesel weil wir die Gießkanne einmal im Schrank lassen wollen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11989

Ingbert Liebing (A) und denjenigen zielgerichtet helfen wollen, die unter be- was sie belastet . Ich denke, dies wäre ein gutes Modell, (C) sonderer Finanznot leiden . Ich glaube, dass das gerade das man auch in der Bundespolitik umsetzen könnte . Ihren Städten und Gemeinden besonders hilft . (Beifall bei der LINKEN) Wir tun dies alles, um die Leistungsfähigkeit der Der zweite Vorschlag betrifft das Eisenbahnkreu- Kommunen zu stärken . Wir erleben in diesen Tagen im- zungsgesetz . Auf Drucksache 18/3051 haben wir den mer wieder, wie wichtig die Leistungsfähigkeit der Kom- Vorschlag wiederholt, die Kommunen von den sich dar- munen vor Ort ist . Aber es wird uns nicht gelingen, dies aus ergebenden Kosten zu befreien . Allein das, was jetzt dauerhaft zu tun, wenn es nicht gleichzeitig auch gelingt, im Bundeshaushalt steht, belastet die Kommunen im Jahr die mit der Flüchtlingskrise zusammenhängenden Her- 2016 mit über 50 Millionen Euro . Das ist Geld, das den ausforderungen zu lösen . Deswegen hoffe ich auf gute Kommunen für andere Aufgaben fehlt . Deshalb fordern Ergebnisse heute Nachmittag, die dann in den Ländern wir, dass die Kommunen von den sich aus dem Eisen- im Interesse der Leistungsfähigkeit unserer Kommunen bahnkreuzungsgesetz ergebenden Kosten befreit werden . umzusetzen sind . (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank . Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, komme ich zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dem Antrag der Koalition . Hier lautet das Motto: „Für ordneten der SPD) gleichwertige Lebensverhältnisse – Kommunalfreundli- che Politik des Bundes konsequent fortsetzen“ . Vizepräsident Peter Hintze: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! – Zuru- Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- fe von der SPD: Genau!) ordneten Kerstin Kassner, Fraktion Die Linke . Ja, da frage ich mich: Ist das, was von Ihnen getan wird, (Beifall bei der LINKEN) denn wirklich konsequent kommunalfreundlich? Es werden viele Gelder in Aussicht gestellt, zum Beispiel Kerstin Kassner (DIE LINKE): werden ab 2018 Kosten, die sich aus dem Teilhaberecht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ergeben, übernommen . Aber jetzt und hier fehlt es Kom- Nach fast zwei Jahren hier im Deutschen Bundestag munen am Nötigsten . Nicht zuletzt deswegen haben sich gibt es viele Dinge, an die ich mich gewöhnt habe, viel- 63 Kommunen aus sieben Ländern, Herr Kauder, die 10 leicht auch daran, dass ich hier über einen Antrag spre- Millionen Menschen unseres Landes vertreten, zusam- chen muss, den ich erst vorgestern Abend erhalten habe . (B) mengeschlossen – völlig parteiübergreifend –, um auf (D) Aber daran, dass wir erst heute, sechs Monate nachdem ihre Situation aufmerksam zu machen . Der Weg hierher sich das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ fiel ihnen sicherlich nicht leicht, aber die Situation macht an uns gewandt hat, darüber debattieren und noch nicht unkonventionelle Maßnahmen einfach notwendig . einmal wissen, wie die Lösung des Problems tatsächlich aussehen kann, werde und will ich mich nie gewöhnen . (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen hier ja nichts, was meiner Fraktion (Beifall bei der LINKEN) oder den Kollegen dort oben auf der Besuchertribüne Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich zu dem eingefallen ist . Wenn Sie das KfW-Kommunalpanel oder Antrag der Regierungsfraktionen komme, möchte ich die regelmäßig von der Bertelsmann-Stiftung veröffent- noch einmal kurz auf die zwei Anträge, die meine Frakti- lichten Kommunalen Finanzreports aufmerksam studie- on gestellt hat, eingehen . ren, dann stellen Sie fest, dass die Disparität wirklich so Zum einen haben wir auf der Drucksache 18/3413 groß ist, dass man grundsätzlich etwas an der Situation ein kommunales Mitwirkungsrecht eingefordert . Dabei der Kommunen ändern muss; denn sonst geht die Schere weiter und weiter auseinander: Diejenigen, die Schulden geht es darum, dass das Mitspracherecht der Kommunen haben, werden immer ärmer, und diejenigen, die ausrei- deutlich erweitert wird . Nicht nur ein Anhörungsrecht chend Geld haben – das sind inzwischen immerhin 20 soll ihnen gewährt werden, sondern ein wirkliches Mit- Prozent, es waren mal 13 Prozent –, werden immer rei- wirkungsrecht . Das geht von eigenen Vorschlägen bis hin cher . Das ist schön für die Kommunen, die Geld haben, zur tatsächlichen Mitarbeit an den Gesetzesentwürfen . aber schlecht für unsere Gesellschaft . Der erste Teil des Wie man so etwas beispielsweise regeln könnte, haben Titels Ihres Antrages – wir wollen uns noch mal daran wir in unserer Fraktion eingeführt: Bei uns gibt es einen erinnern – lautete ja: „Für gleichwertige Lebensverhält- Kommunal-TÜV . Bei jedem Vorhaben, das aus den ein- nisse“ . Um sie zu erreichen, müssen wir etwas gegen die zelnen Arbeitskreisen – also gewissermaßen vergleichbar vorhandene Disparität tun . mit den Ministerien – kommt, muss die Auswirkung auf die Kommunen zwingend geprüft werden . Im Moment ist es so: Es gibt Gemeinden mit großer Steuerkraft, und es gibt Gemeinden mit geringer Steuer- (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Das ist kraft . Kurz ein Beispiel: Der Kreis München – es wird doch selbstverständlich!) Sie nicht überraschen – verfügt über eine Steuereinnah- Damit kommen am Ende Bewertungen zustande, die uns mekraft von 3 440 Euro pro Einwohner . Der Kreis Vor- erlauben, zu entscheiden, was den Kommunen hilft oder pommern-Greifswald aus meinem Heimatland verfügt 11990 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Kerstin Kassner (A) über 518 Euro Steuereinnahmen pro Einwohner . Das ist Vizepräsident Peter Hintze: (C) knapp ein Siebtel davon . Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da muss man ordneten Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion . auch nicht so viele S-Bahnen bauen! Mann, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mann, Mann!) der CDU/CSU) Umgekehrt sind die Ausgaben pro Kopf in diesem Kreis sehr hoch . Wir haben dort nämlich nach wie vor Bernhard Daldrup (SPD): etwa 18 Prozent Arbeitslosigkeit . Das zieht hohe Kos- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ten nach sich, zum Beispiel im Bereich Kosten der Un- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebing, wir terkunft . Auch dazu habe ich ein paar Beispiele mitge- arbeiten, wie Sie wissen, gut zusammen . Ich bedanke bracht: Die Pro-Kopf-Ausgaben im Bereich Kosten der mich auch für die Erarbeitung des vorliegenden Antrags, Unterkunft liegen in Mecklenburg-Vorpommern bei 244 den wir gemeinsam formuliert haben . Ich hätte aber nicht Euro, in Bayern bei 78 Euro . Und wie sind die Kreise vermutet, dass Sie reflexartig in NRW-Bashing verfallen. belastet? Zum Beispiel der Kreis Rostock mit 324 Euro Aus der Perspektive eines ehemaligen Bürgermeisters und der Kreis Unterallgäu mit 19 Euro pro Einwohner . von Sylt-Ost ist Nordrhein-Westfalen nicht so leicht zu verstehen; das kann ich wohl nachvollziehen . Das heißt, nicht nur die Einnahmeseite ist unterschied- lich strukturiert – von den Schlüsselzuweisungen der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Länder an die Kreise habe ich da noch gar nicht gespro- DIE GRÜNEN) chen –, sondern auch die Ausgaben sind ungleichmäßig Ich jedenfalls bin da ganz aufgeschlossen . So sollten Sie verteilt . Dort, wo schon wenig ist, ist viel zu leisten . sich, wie ich denke, einmal anschauen, was zum gegen- Wir wollen auch an die Kosten der Grundsicherung im wärtigen Zeitpunkt in Hessen läuft: nämlich so ziemlich Alter erinnern . Auch daran haben viele der jetzt schwach dasselbe, was früher Herr Rüttgers in Nordrhein-Westfa- aufgestellten Kreise tatsächlich noch lange zu knabbern, len gemacht hat . Wissen Sie, was das Ergebnis war? Herr weil sie nämlich über viele Jahre hinweg die Kosten die- Rüttgers ist abgewählt worden . ser Leistungen alleine tragen mussten . Noch etwas – nur (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ mal so für den Hinterkopf –: Die Kreise, in denen viele CSU]: Na, schauen wir mal!) Menschen Grundsicherung im Alter bekommen, müssen auch zukünftig die Kosten für das Personal tragen, das Und wir machen das dann anders . für die Bewilligung dieser Leistung zuständig ist; denn Jetzt zur Sache . 60 Bürgermeister – Frau Kassner, diese werden nicht vom Bund übernommen . Die Kreise, (B) Sie haben darauf hingewiesen – waren vor einiger Zeit, (D) in denen es viele Menschen gibt, die eine Grundsiche- im Februar, bei uns . Sie sind heute wieder hier . Sie alle rung im Alter bekommen, brauchen also auch viele Men- kommen aus Kommunen mit einer ausgesprochen ange- schen, die die entsprechenden Anträge bearbeiten und spannten Haushaltslage und haben sich in einem Bünd- hoffentlich bewilligen . Diese Kosten bleiben wieder bei nis zusammengeschlossen, das die Überschrift „Für die den Kommunen hängen . Das ist auch bei anderen Aufga- Würde unserer Städte“ trägt . ben so . – Das nur für den Hinterkopf . (Beifall der Abg . Petra Hinz (Essen) [SPD]) Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir hier unsere Aufgabe gemeinsam wahrnehmen, dass wir für Natürlich geht es ihnen ums Geld; das ist keine Frage . Es einen Ausgleich sorgen, dass wir diese Disparität nicht geht ihnen aber auch um die Wertschätzung kommunaler fortschreiben, sondern gemeinsam Wege finden, um sie Selbstverwaltung . Es geht um eine Kommunalpolitik, die aufzulösen . Das ist eine Aufgabe, die der Bund natürlich die Freiheit hat, die Lebensbedingungen der Menschen gemeinsam mit den Kreisen angehen sollte; auch die zu gestalten, statt sie immer nur einzuschränken . Sie zei- Länder sollten eingebunden werden . Es ist eine wirkliche gen auch: Unsere Kommunen hier in der Bundesrepublik Gemeinschaftsaufgabe, die wir gemeinsam zu lösen ha- Deutschland sind systemrelevant für unsere Demokratie . ben . Denn wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern, die Dafür bin ich ihnen dankbar . in diesen Kreisen wohnen, wirklich schuldig . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Damit bin ich bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik . In der CDU/CSU und der Abg . Kerstin Kassner allen Kreisen wird wirklich eine hervorragende Arbeit [DIE LINKE]) geleistet . Man hilft sich gegenseitig, man geht unkonven- Der Kernbestand kommunaler Selbstverwaltung ist tionelle Wege . Ich denke, wir dürfen es nicht zulassen, in einigen Kommunen in der Tat gefährdet . Diejenigen, dass die schwierigen Herausforderungen zulasten der die heute hier sind, repräsentieren – Frau Kassner hat es Bürgerinnen und Bürger gehen . Das würde ein ungutes eben gesagt – immerhin 10 Millionen Menschen; das ist Klima schaffen . nicht wenig . Wir, die Koalitionsfraktionen, zeigen heute Lasst uns deshalb gemeinsam diese Aufgabe in An- aber auch, dass uns die Kommunalpolitik, dass uns das griff nehmen – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Leben in den Städten und Gemeinden wichtig ist und in den Kommunen . Sie haben es verdient . dass wir die Notlagen sehr ernst nehmen . Das zeigt auch unser Antrag heute, Frau Kassner . Ich bin all denjenigen Vielen Dank . aus den beiden großen Fraktionen, die daran mitgewirkt (Beifall bei der LINKEN) haben, sehr dankbar . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11991

Bernhard Daldrup (A) Ich will die vier Kernprobleme, die die Kommunen Ich will mich gerne für die SPD dem Dank an die (C) haben, stichwortartig benennen: erstens die anhaltend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Ver- hohe Verschuldung inklusive der wachsenden Kassen- waltung und an die Zivilgesellschaft anschließen . Ihr kredite, zweitens die dauerhafte Investitionsschwäche Engagement kann man aber nur dann aufrechterhalten, bei einem gleichzeitigen Rückstand von Investitionen, wenn der Planungshorizont vor Ort über den nächsten der bei 120 Milliarden Euro, vielleicht auch bei 150 Mil- Tag hinausreicht . liarden Euro liegt, dem allerdings nur eine Investitions- quote von 20 Milliarden Euro gegenübersteht, drittens (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Britta die dramatisch steigenden Soziallasten – 2005 betrugen Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) die Sozialausgaben noch 35 Milliarden Euro, heute lie- gen sie bei über 50 Milliarden Euro; all das sind Kosten, Ich komme zurück zu den langfristigen Problemen . die bei den Kommunen auflaufen – und viertens – das ist Wenn die Schere zwischen den Kommunen weiter aus- sozusagen die Quintessenz – die auseinanderdriftenden einandergeht, ist die Gleichwertigkeit der Lebensver- Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland . hältnisse in Deutschland gefährdet . Das ruft den Bund auf den Plan . Der Bund hat den verfassungsrechtlichen Diese langfristigen Kernprobleme werden seit min- destens einem Jahr durch die große Zahl von Flücht- Auftrag, für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse lingen in den Städten und Gemeinden überlagert – ich zu sorgen . Das ist quasi die räumliche Seite des Sozial- sage ausdrücklich „überlagert“ und nicht „verursacht“ ; staatsgebots, und das ist eine Aufgabe des Bundes . sie stellen nämlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neue, eine zusätzliche Herausforderung für die Städte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Gemeinden dar . Deshalb erwarten wir seitens der SPD, dass die beim heutigen Flüchtlingsgipfel getroffe- Ebenso wie die dramatische Verschuldung klafft in nen Entscheidungen auch zeitnah und konkret umgesetzt der Tat – es ist schon richtig, was vorhin gesagt worden werden, weil nur dann aus dem Appell der Kanzlerin ist – auch die Investitionskraft auseinander . Es ist richtig, „Wir können das schaffen!“ die Zuversicht entsteht: Ja, dass selbst innerhalb Bayerns Disparitäten festzustellen wir schaffen das auch . sind . Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner liegt in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten München bei fast 90 000 Euro, während es im Landkreis der CDU/CSU) Bayreuth gerade einmal 19 000 Euro sind . Mit anderen Im Kern stehen die Kommunen vor vier großen Her- Worten: Auch hier gibt es eine Unterschiedlichkeit der ausforderungen . Lebensverhältnisse und der Lebensbedingungen . (B) Die erste große Herausforderung sind die internatio- Es erscheint – ich zitiere aus dem Kommunalen Fi- (D) nalen und europäischen Aufgaben zur Bekämpfung von nanzreport der Bertelsmann-Stiftung – Fluchtursachen . Darüber ist heute Morgen gesprochen ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die doku- worden; das ist nicht Thema dieser Debatte . mentierten Disparitäten das Ergebnis von politi- Hier in Deutschland geht es insbesondere um die fi- schen Fehlentscheidungen, Unterschieden in der nanzielle Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden . Effizienz der Aufgabenerfüllung oder anderen Deswegen halten auch wir eine prozentuale Beteiligung selbstverschuldeten Aktivitäten sind . des Bundes an den Kosten jedes einzelnen Flüchtlings für richtig . Die 3 Milliarden Euro, die bisher bundesseitig Das ist das Fazit der Bertelsmann-Stiftung . Deswegen angeboten worden sind, sind ein richtiger Schritt in die muss es, so sage ich es einmal, andere, zusätzliche Ver- richtige Richtung, aber vor dem Hintergrund der Zahlen, ursachungen geben . auf denen sie basieren, die aber nicht mehr aktuell sind, ist das einfach zu wenig . Ich habe auch Zweifel daran, Wir als Koalition haben meines Erachtens schon eine dass die heute Morgen in den Nachrichten und im Fern- ganze Menge erreicht . Das Thema Übernahme von So- sehen vom hessischen Ministerpräsidenten geforderten ziallasten durch den Bund ist bereits angesprochen wor- 4 Milliarden Euro hinreichend sind . den; da ist nicht nur an die Grundsicherung im Alter, son- dern auch an die jeweils 1 Milliarde Euro in den Jahren (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nee, nee, nee! 5, 6, 7, 8 Milliarden! Immer druff! – Max 2015 und 2016 für die Eingliederungshilfe zu denken . Straubinger [CDU/CSU]: Nach oben keine Auch ist die Stärkung der Investitionskraft angesprochen Grenze!) worden . 3,5 Milliarden Euro sind keine Kleinigkeit . Wir haben etwas für gleiche Lebenschancen getan, indem wir – Er hat es gesagt .– Zur Debatte gehört jedenfalls, zu die Mittel für das Sondervermögen für Kitaplätze aufge- betonen, dass eine strukturelle und dauerhafte Bundesbe- stockt haben und eine ganze Reihe weiterer Punkte mehr teiligung wichtig ist . Dazu gehört nicht nur, die Gesund- heitskarte verfahrensmäßig einzuführen, sondern auch angegangen sind . die Übernahme der Kosten . Wir erwarten allerdings auch, dass auf dem Flücht- Überdies geht es um Verfahren zur Verteilung von lingsgipfel konkrete zusätzliche Vereinbarungen getrof- Flüchtlingen und damit verbundene organisatorische und fen werden . Wir werden beispielsweise die Mittel für den technische Regelungen, die vorhin schon angesprochen sozialen Wohnungsbau deutlich erhöhen, damit nicht nur worden sind und die ich hier nicht wiederholen will . jeder Flüchtling, sondern jeder, der über geringe Mittel 11992 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Bernhard Daldrup (A) verfügt und eine Wohnung benötigt, auch tatsächliche rhein-Westfalen-Bashing eintreten kann, wenn man über (C) eine Wohnung bekommt . Disparitäten bei der Lage der Kommunen redet . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE sowieso niemals!) GRÜNEN) Das haben wir Ihnen in den vergangenen Jahren immer wieder versucht beizubringen . Leider haben Sie das bis Vizepräsident Peter Hintze: heute immer noch nicht verstanden . Das wird heute viel- Herr Kollege, die Zeit . leicht mit nicht so viel Verve vorgetragen, weil Gäste da sind . Ich will Ihnen aber sagen: Weder Cuxhaven noch Ludwigshafen, noch Mainz, noch Salzgitter, noch Saar- (SPD): Bernhard Daldrup brücken, noch Neuwied liegen in Nordrhein-Westfalen . Der letzte Punkt, den ich noch erwähnen möchte, Das sind jedoch Mitglieder dieses Aktionsbündnisses . betrifft die Frage, wie es mit den Bund-Länder-Finanz- beziehungen weitergeht . Das ist in der Tat eine Angele- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genheit, die zunächst einmal Bund und Länder zu regeln sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) haben . Man kann sich die Frage stellen, ob es nicht ein interessanter Vorschlag ist, beispielsweise die Verteilung Und die Mitglieder dieses Aktionsbündnisses beschrei- des Umsatzsteueraufkommens nicht nur an die Wirt- ben eine Situation, die seit Jahren vorherrscht, sehr prä- schaftskraft zu koppeln, sondern möglicherweise mit an- zise . Sie beschreiben die Disparität, die unterschiedliche deren sozialen Indikatoren zu verknüpfen . Ich persönlich Entwicklung der Kommunen in Richtung einer Zweiklas- habe große Sympathien für Altschuldentilgungsfonds sengesellschaft . Es gibt prosperierende Kommunen und und Ähnliches mehr. Nur: Es muss tatsächlich auch fi- strukturschwache Kommunen, nanzierbar sein . (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die sind alle rot-grün regiert! – Gegenruf der Abg . Kerstin Ob es gelingt, die kommunalen Finanzbeziehungen Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gänzlich auf neue Beine zu stellen, weiß ich zum gegen- Cuxhaven?) wärtigen Zeitpunkt nicht . Als Sozialdemokrat und als Mitglied dieser Großen Koalition stelle ich jedoch gerne in denen sich die Probleme kumulieren, die aufgrund ei- fest: Die Kommunen und ihre Interessen haben großes ner hohen Arbeitslosenquote oder aufgrund von Struktur- Gewicht in der Politik der SPD, in der Politik dieser Ko- reformen – ich denke zum Beispiel an das Ruhrgebiet – (B) (D) alition und auch, wie ich glaube, dieser Bundesregierung . mit hohen Kosten konfrontiert sind . Deshalb können wir längst nicht mehr von den Kommunen reden . Wir haben Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . längst eine Zweiklassengesellschaft . Gut 60 Kommunen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben sich zusammengefunden in einem Aktionsbündnis der armen Städte, um ihre Bedürfnisse zu formulieren der CDU/CSU) und zu artikulieren . Das ist ihr gutes Recht; denn sie ver- treten 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger . Vizepräsident Peter Hintze: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- sowie bei Abgeordneten der SPD) ordneten Britta Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Schauen wir uns die Entwicklung an: Wir wissen, dass wir eine kommunale Verschuldung in Höhe von 135 Mil- liarden Euro haben; und bitte hören Sie auf, das im Sinne Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): einer Farbenlehre einzelnen Bundesländern zuzuschrei- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ben . Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Mitwirkende im Aktions- bündnis „Für die Würde unserer Städte“! Ich finde es (Alois Karl [CDU/CSU]: Das tut weh, was? gut, dass wir heute diese Debatte führen . Diese Debatte Das ist unangenehm, was?) haben wir mit Ihnen innerhalb der Fraktionen im Feb- 135 Milliarden Euro kommunale Verschuldung – das ruar geführt . Viele von uns haben diese Debatte schon zeigt mir, dass es ein Fehler ist, dass bei den Bund-Län- über Jahre hinweg geführt; denn das Aktionsbündnis gibt der-Finanzbeziehungen die Kommunen bisher keine es nicht erst seit diesem Jahr . Wir haben uns mit Ihnen Rolle spielen . darauf verständigt, heute über die Lage der Kommunen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu diskutieren. Ich finde es richtig, dass alle Fraktionen übereingekommen sind, dies auch zu tun . Bernd, du hast das gerade auch angesprochen . Warum finden wir nicht die Kraft, im Rahmen der Neuverhand- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lungen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen endlich und bei der SPD) auch über einen Altschuldenfonds zu diskutieren? Herr Liebing, beginnen wir gleich einmal damit: Die (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir geben eh Welt ist nicht so einfach, dass man in ein kleines Nord- schon 5 Milliarden aus Bayern!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11993

Britta Haßelmann (A) Das wäre eine gute Gelegenheit, quasi ein Korridor, um gegeben – das hilft den armen Städten, den Städten mit (C) darüber zu sprechen . Strukturschwäche – und zur Hälfte über die Umsatzsteu- er . Innerhalb der Städtegemeinschaft wird nun natürlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darum gerungen, wo es eine wirkliche Entlastung gibt . Jede und jeder, die bzw . der sich damit auskennt, weiß, Aus Sicht der Grünen wäre es bedeutsam, zu sagen: Wir dass die Länderentschuldungsfonds und -stärkungspakte haben kein Geld für das Gießkannenprinzip . Wir wollen nicht ausreichen, um diesen großen Berg an kommunaler uns besonders dem Thema Strukturschwäche widmen Verschuldung – 135 Milliarden Euro plus x – abzutragen . und damit den Städten und Gemeinden, die struktur- Wenn die betroffenen Kommunen wieder Land gewin- schwach sind . nen sollen, müssen wir das Thema Altschulden angehen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb ist unser Anknüpfungspunkt ganz klar bei Ein Weiteres: Meine Damen und Herren, innerhalb den sozialen Pflichtausgaben; denn Arbeitslosigkeit, der letzten zwölf Jahre gab es eine enorme Entwicklung Strukturschwäche und hohe Sozialausgaben sind immer bei den sozialen Pflichtaufgaben. Das sind keine Aufga- miteinander kombiniert . Da hilft es, deutlich zu sagen: ben, die sich eine Stadt oder Gemeinde selbst aussucht, Das priorisieren wir . Hier ist Unterstützung notwendig . sondern das sind bundesgesetzlich vorgeschriebene Auf- Deshalb sind Fragen wie die Eingliederungshilfe, die zu- gaben, für die wir eine Gesamtverantwortung haben, für gesagt war, die Kosten der Unterkunft und die Grundsi- die auch der Bund Verantwortung trägt . Ein verfassungs- cherung im Alter, die wir als Bund zu 100 Prozent über- rechtlicher Diskurs und der Hinweis auf die Zuständig- nehmen – das ist richtig und gut –, Anknüpfungspunkte, keit der Länder helfen da nicht weiter . Die Ausgaben der um hier einen Beitrag zu leisten und wirklich Unterstüt- Kommunen für soziale Pflichtaufgaben lagen 2005 bei zung zu geben . 30 Milliarden Euro . 2017 werden es 54 Milliarden Euro sein . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr habt ja Ein weiterer Punkt ist aus meiner Sicht das Thema In- draufgesattelt!) vestitionsstau . Wir reden über einen Investitionsstau in Höhe von 132 Milliarden Euro auf der kommunalen Ebe- Als Bund haben wir die Verantwortung, sicherzustellen, ne . Deshalb ist es notwendig, von Bundesseite stärker in dass die sozialen Pflichtaufgaben erfüllt werden können. das Thema einzusteigen . Wir wissen: Die Investitions- Nicht die Länder, sondern wir als Bund tragen dafür die quote im Haushalt ist viel zu niedrig, um dieses Thema Verantwortung . An der Entwicklung sieht man doch, anzugehen . Wir müssen auch hier Angebote und Anreize dass die Kommunen diese Aufgaben nicht allein bewäl- (B) für die Kommunen schaffen, damit sie endlich wieder in- (D) tigen können . vestieren können, in Instandhaltung, in energetische Sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nierung und in weitere Bereiche . Ein Stichwort ist schon Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr wart das! gefallen: sozialer Wohnungsbau . Diesen brauchen wir Jetzt schlägt es dem Fass den Boden aus!) zwingend und ganz notwendig in den Städten und in den großen Ballungsräumen . Deshalb wäre hier eine Förde- Deshalb ärgert es mich so, dass Sie nicht zu Ihrem rung nicht in Höhe von 500 Millionen, sondern in Höhe Wort gegenüber den Ministerpräsidentinnen und Mi- von 2 Milliarden Euro richtig . nisterpräsidenten stehen . In der Vereinbarung über den Fiskalpakt stand nicht – das wissen alle, die sich damit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beschäftigen –, dass es 2018 5 Milliarden Euro für die Ihre Bauministerin hat doch auch schon einmal einen Eingliederungshilfe geben wird, sondern da stand drin, Vorschlag dazu gemacht . Das ist richtig und notwendig . dass in dieser Legislaturperiode ein neues Bundesleis- tungsgesetz zur Eingliederungshilfe erarbeitet wird, das Zuletzt will ich noch kurz etwas zu Flüchtlingen sa- die Kommunen um 5 Milliarden Euro entlastet . gen . Wir haben großen Respekt vor dem, was vor Ort in den Städten und Gemeinden geleistet wird: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das steht auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht drin!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU] – Volker Man muss immer wieder deutlich sagen, dass diese Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!) 5 Milliarden Euro im Moment erst für den Haushalt 2018 etatisiert sind . Da beißt die Maus keinen Faden ab – gu- von der öffentlichen Verwaltung, von ehrenamtlich-bür- cken Sie einfach einmal in den Haushalt –: Für 2018 ste- gerschaftlich engagierten Menschen und von THW, ASB, hen 5 Milliarden Euro drin . Sie haben den Kommunen DRK und vielen Hauptamtlichen . Die Arbeit ist ohne sie diese 5 Milliarden Euro aber für jetzt zugesagt . wirklich nicht zu schaffen . Umso irritierender ist es, dass vonseiten des Bundes heute in den Verhandlungen 3 Mil- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Das liarden Euro als Unterstützung für die Länder und Kom- stimmt ja gar nicht!) munen angeboten werden . Angesichts dessen, dass die Jetzt finanzieren Sie aber nur eine Übergangsmilli- Kommunen im Bereich der Flüchtlingsbegleitung und arde . Diese Übergangsmilliarde – das gehört auch zur -betreuung 1,2 Milliarden Euro ausgeben – das ist die ak- Wahrheit; ich sage das in Richtung Städtetag – wird zur tuelle Zahl von heute, und das ist doch ein Statement für Hälfte über die Kosten der Unterkunft an die Kommunen sich –, sind 3 Milliarden Euro auf jeden Fall zu wenig . 11994 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Britta Haßelmann (A) Deshalb muss es heute aufseiten des Bundes Bewegung gestattete Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik . Die (C) geben. Wir müssen Geflüchteten und Kommunen unsere Quantität ist hervorragend und die Qualität – das muss Unterstützung anbieten . ich sagen – fast noch besser . Vielen Dank . (Zuruf von der SPD: Oh! Oh! – Dr .André (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hahn [DIE LINKE]: Ihr seid einfach toll! Ihr sowie bei Abgeordneten der SPD und der seid so toll!) LINKEN) In diesem Gremium werden die Themen, die Sie, die uns alle bewegen, in der Tat profund bewältigt . Vizepräsident Peter Hintze: Meine Damen und Herren, in dem Antrag, den wir Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- heute einbringen, sind 14 Forderungen enthalten . In der ordneten Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion . katholischen Kirche gibt es die 14 Nothelfer . Man meint (Beifall bei der CDU/CSU) fast, der Bund müsse sich jetzt in die Gruppe der 14 ein- reihen und den 15 . spielen . Wir tun das allerdings, in un- Alois Karl (CDU/CSU): terschiedlicher und seit zehn Jahren ganz hervorragender Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Art und Weise . Ich meine, dass wir unseren Auftrag er- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen füllen, die Städte und Gemeinden in unserem Lande fi- Bundestages! Liebe Kollegen aus Nordrhein-Westfalen nanziell hervorragend auszustatten . und aus den anderen Bundesländern, ich darf mich Ihnen Die Städte und Gemeinden sind mehr als Kostgänger vorstellen: Ich war früher selber Oberbürgermeister einer beim Bund . nicht so großen Stadt wie Wuppertal, Köln oder Berlin, aber immerhin . Einmal Kommunalpolitiker, bleibt man (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Genau! Das ist irgendwie immer Kommunalpolitiker . Das ist gut so . Ich richtig!) meine, dass die Kollegen hier alle eine gute Verwurze- Wir müssen der Würde der Städte, der Würde der Bür- lung in der Kommunalpolitik haben sollten und dass sie germeister und Oberbürgermeister auch dadurch Rech- ihren Fundus, ihre Kraft, ihre Herkunft aus der Kommu- nung tragen, dass wir dafür sorgen, dass sie nicht in je- nalpolitik nie verschweigen dürfen . Meine lieben Kolle- der schwierigen Situation zum Bund oder Land kommen gen auf der Tribüne, wir aus der CDU/CSU-Fraktion sind müssen, um zu betteln . Vielmehr müssen wir sicherstel- zu ganz großen Teilen kommunalpolitisch verankert . Da- len, dass sie ihre Stärken entfalten und selber Einnahmen her weiß ich, dass die kommunalpolitischen Themen bei generieren können . Allein aus diesem Grunde war es eine (B) (D) uns in der CDU/CSU-Fraktion sehr gut aufgehoben sind . große Leistung, auch dieser Fraktion, dass wir die Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) werbesteuer erhalten haben . Ich weiß, dass wir diesen Antrag miteinander geschrie- (Lachen bei der SPD – Petra Hinz (Essen) ben haben, lieber Herr Daldrup . Trotzdem meine ich, die [SPD]: Ach was! Wer wollte sie denn abschaf- Handschrift der CDU/CSU gut erkennen zu können . fen in der letzten Periode?) (Petra Hinz (Essen) [SPD]: Wo denn? – Auch dieses Vorhaben wurde angefeindet . Aber heute Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Gemeinsam fließen 33 Milliarden Euro auf diesem Weg an die Städte sind wir stark!) und Gemeinden . Vor zehn Jahren war Bundestagswahl . Vor zehn Jahren ist (Ulli Nissen [SPD]: Ich habe das ganz anders Volker Kauder zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wor- in Erinnerung, Herr Kollege! – Gegenruf des den, und seit dieser Zeit gibt es eine kommunalfreundli- Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt bleibt che Politik in der Bundesregierung . mal ganz ruhig da drüben!) (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei – Ja, ja . Ihr Gedächtnis trügt vielleicht ein bisschen .– Wir der SPD) haben das mit sehr großer Standfestigkeit durchgezogen . Dies wird auch durch den Antrag dokumentiert . Meine sehr geehrten Damen und Herren, den Städten (Volker Kauder [CDU/CSU], an die SPD ge- und Gemeinden geht es unterschiedlich: den einen sehr wandt: Ich habe das bezahlt, was ihr den Kom- gut und den anderen weniger gut . Ich kann mich aller- munen draufgelegt habt in der letzten Koali- dings erinnern, dass Dr .Articus, der Hauptgeschäftsfüh- tion!) rer des Deutschen Städtetages, und Professor Henneke, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, – Lieber Volker, ich habe dich gerade gelobt; bitte höre auf der gleichen Veranstaltung gesagt haben, dass die mir schön zu . Kommunen vom Bund finanziell noch nie so gut ausge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die glauben es stattet worden sind, wie es heute der Fall ist . halt nicht! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben seit zehn Jahren – ich gehe auch kurz auf Auch das ist ein Punkt, den man hier erwähnen muss . den Beitrag des Kollegen Liebing ein – eine mit mehr als 180 Mitgliedern aus unserer Fraktion hervorragend aus- (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11995

Alois Karl (A) Natürlich – Herr Daldrup, Sie haben das gesagt –: auch in unseren Städten und Gemeinden hervorragend (C) In Hessen könnte die Regierung abgewählt werden . Da angekommen sind . muss ich sagen: Dann hätten wir ja noch ein Geberland Meine Damen und Herren, das Potpourri der Leistungen weniger . könnte man fortführen . Wie weit müssten wir unsere (Ulli Nissen [SPD]: Hat das was mit der Re- Leistungen einschränken oder sogar einstellen, wenn wir gierung zu tun, wer Geberland ist?) noch die Politik von vor zehn Jahren hätten und wenn sich in den letzten zehn Jahren nichts grundlegend ge- Wir haben sowieso bloß noch drei Geberländer in bessert hätte? Deutschland, die in den Länderfinanzausgleich einzah- len . Dazu gehören Hessen – wenn auch nicht in überwäl- Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich, dass tigendem Maße –, Baden-Württemberg und Bayern . Ich wir unsere Aufgaben erfüllen werden . Wir werden auch glaube, es wäre eine Katastrophe, wenn nur noch zwei in unserem Eifer, die Gemeinden systematisch zu unter- Länder einzahlen würden . stützen, nicht nachlassen . Beispiele dafür sind schon ge- nannt worden . Meine Damen und Herren, ich sage ganz bewusst, dass wir unsere Städte und Gemeinden auch deshalb fi- Ich nenne hier nur noch einmal die Leistungen für die nanziell starkmachen müssen, weil es so ist, wie es in KdU, die Kosten der Unterkunft, für die in diesem Jahr der Bayerischen Verfassung heißt – in anderen Länder- ungefähr 5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen . Nota verfassungen ist das ähnlich –: Die Gemeinden sind die bene: 2005 sollte das noch abgeschafft werden . Das muss ursprünglichen Körperschaften des Staates, man sich einmal in Erinnerung rufen . Ab 2018 werden jährlich 5 Milliarden Euro für die Eingliederungshilfe – (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) das wurde ja beschlossen – bereitgestellt . Daneben über- nicht der Bund und nicht die Bundesländer, die oft weni- nehmen wir jetzt zu 100 Prozent die Kosten der Grundsi- ger als 70 Jahre alt sind . Seit Jahrhunderten, seit tausend cherung . Das sind großartige Leistungen . Jahren sind es die Gemeinden, die den Staat prägen und Ich könnte das weiter fortführen, Herr Präsident . die Aufgaben in unserem Lande lösen . Vorhin ist von Ingbert Liebing und Nachrednern Vizepräsident Peter Hintze: schon gesagt worden, dass es in der Tat die Gemeinden Nein, das können Sie nicht mehr . sind, die auch bei der neuen Aufgabenstellung der Asyl- und Flüchtlingsfrage die Kastanien aus dem Feuer holen (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) müssen . Natürlich: Die Bürgermeister sind immer da; sie (B) müssen die Probleme vor Ort lösen . Minister und Vize- Alois Karl (CDU/CSU): (D) kanzler kommen und gehen, schauen sich alles an, und Wenn Sie meine Redezeit verdoppeln würden, dann dann sind sie wieder weg . könnte ich das tun . Ich befürchte aber, dass Sie mir diese Bitte abschlagen . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Bas [SPD]: Die ganzen Regierungen Daher sage ich Ihnen, liebe Kollegen aus der Kom- kommen und gehen!) munalpolitik: Wir haben großen Respekt vor Ihrer Arbeit und Ihrer Leistung . Ich habe auch großen Respekt vor der Aber der Bürgermeister ist immer da . Er muss für all die Arbeit unserer Koalition Leistungen oder Nichtleistungen, die vor Ort erbracht werden, geradestehen . (Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Auch vor dem Präsidenten!) (Beifall bei der CDU/CSU) und in Sonderheit vor der Arbeit meiner Fraktion, der Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten CDU/CSU . zehn Jahren direkte oder indirekte Leistungen in ei- nem Volumen von mehr als 170 Milliarden Euro an die Herzlichen Dank . Kommunen gezahlt . Wir hätten das nicht machen kön- (Beifall bei der CDU/CSU) nen, wenn wir noch die gleiche Situation wie im Jah- re 2005 hätten . Erinnern Sie sich doch bitte, dass wir im Jahre 2005 ein strukturelles Haushaltsdefizit von fast Vizepräsident Peter Hintze: 60 Milliarden Euro hatten, dass Hans Eichel den Haus- Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Petra Hinz, halt nur dadurch ausgleichen konnte, dass er neue Schul- SPD-Fraktion . den in Höhe von 30 Milliarden Euro aufgenommen hat . (Beifall bei der SPD) Die Gemeinden hatten ein Gesamtdefizit von 8,5 Milliar- den Euro aufzuweisen . In diesen Tagen verzeichnen wir Petra Hinz (Essen) (SPD): hingegen einen Finanzierungsüberschuss – wohlbedacht: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen die einen mehr und die anderen weniger . und Kollegen aus den Kommunen! Sehr geehrte Ober- Die Arbeitslosigkeit haben wir gewaltig gesenkt; bürgermeisterinnen und Oberbürgermeister sowie Stadt- auch das kommt unseren Gemeinden zugute . Ein Segen kämmerer, die Sie heute zum zweiten Mal in diesem Jahr ist, dass wir die Ausgaben für Bildung und Forschung hierher nach Berlin gekommen sind! Für das eine oder deutlich erhöhen konnten und die Konjunkturprogramme andere muss ich persönlich mich nicht entschuldigen, 11996 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Petra Hinz (Essen) (A) weil ich jetzt für meine Fraktion und nicht für die Koali- Petra Hinz (Essen) (SPD): (C) tion reden werde . Ja? (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Peter Hintze: Lieber Alois Karl, ich bin jetzt fast auf den Tag ge- Der Kollege Karl möchte Ihnen eine Zwischenfrage nau seit zehn Jahren im Deutschen Bundestag . Eines hat stellen . Darf er das? mich dabei ständig begleitet, nämlich das Thema Gewer- besteuer . Es war bei der CDU/CSU bereits in der Gro- ßen Koalition ein Thema, die Gewerbesteuer zu opfern . Petra Hinz (Essen) (SPD): Das kann man alles nachlesen . In der zurückliegenden Ja, dadurch bekomme ich mehr Redezeit . Sehr gerne . schwarz-gelben Koalition war das wieder ein großes The- ma . Minister Schäuble hat damals nämlich eine Kommis- Vizepräsident Peter Hintze: sion eingesetzt, um die Gewerbesteuer abzuschaffen . Ja, ich halte die Zeit an . (Ulli Nissen [SPD]: Pfui!) Petra Hinz (Essen) (SPD): Da Sie aber keine Alternative finden konnten, um Ein- Bitte . nahmen für die Kommunen zu rekurrieren, haben Sie dieses Projekt gezwungenermaßen beiseitegelegt . Wenn also jemand für sichere Einnahmequellen für Kommunen Vizepräsident Peter Hintze: steht, dann ist es weiß Gott nicht die CDU/CSU dieses Kollege Karl . Hauses . Alois Karl (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Liebe Frau Kollegin, Sie haben jetzt davon gespro- DIE GRÜNEN) chen, dass Bayern jahrzehntelang von Nordrhein-West- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen ja im- falen profitiert hat. mer sehr viel über strukturschwache Regionen . Ich heiße Petra Hinz, und als Namenszusatz habe ich Essen . Essen Petra Hinz (Essen) (SPD): liegt bekanntlich in Nordrhein-Westfalen . Ich möchte Ja . deutlich machen, dass wir in NRW aufgrund des Struk- turwandels in den zurückliegenden Jahrzehnten vor gro- (Ulli Nissen [SPD]: Das muss man anerken- ßen Herausforderungen standen . Aufgrund der Zechen- nen!) (B) schließungen und der Krise im Bereich Kohle und Stahl (D) haben wir über eine halbe Million Arbeitsplätze verloren . Alois Karl (CDU/CSU): Das muss man einfach so zur Kenntnis nehmen . Davon, Das stimmt zwar, aber wir haben, wie Sie wissen, einen dass die Kommunen in meinem Bundesland diese He- Länderfinanzausgleich. Über 20 Jahre haben wir dadurch rausforderungen gestemmt haben, hat das Land Bayern etwas bekommen, etwa 2 Milliarden Euro, umgerechnet in den zurückliegenden Jahrzehnten definitiv profitiert. auf die heutigen Verhältnisse . Heute, Frau Hinz, zahlen wir in einem Jahr mehr als 4 Milliarden Euro an Ihr Land (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und an andere Länder . Ich meine, Sie hätten genug Chan- DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/ cen gehabt, das Thema nicht anzusprechen . Sie tun das CSU]: Dabei arbeiten wir so charmant zusam- aber, und darum muss ich Ihnen sagen, dass wir unser men!) Obligo durchaus erfüllt haben . Was bedeutet das eigentlich für die alltägliche Arbeit (Ulli Nissen [SPD]: Sie gehen doch vor Ge- der Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, der richt dagegen, weil Sie das nicht mehr wol- Stadtkämmerer und der ehrenamtlichen Ratsmitglieder? len!) Das muss man hier heute doch auch einmal in dieser Form sagen: Vielleicht ist Ihnen auch bekannt, dass wir das einzige Bundesland sind, das von einem Nehmerland zu einem (Beifall der Abg . Annette Sawade [SPD]) Geberland geworden ist, das mit seiner Leistungskraft Auf der einen Seite entscheiden der Bund und die Län- dazu beiträgt, dass die Verschuldung bei Ihnen und an- der über Programme für den Kitaausbau, die Pflege, die deren Bundesländern nicht so dramatisch ausfällt, wie es Gesundheitsvorsorge, die Prävention usw ,. auf der ande- ansonsten der Fall wäre . Dafür brauchen Sie sich nicht zu ren Seite müssen die Kommunen diese ganzen Maßnah- bedanken; Sie sollten es aber auch nicht verschweigen . men umsetzen . Auf der einen Seite geben wir mehr Geld (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – für Infrastrukturmaßnahmen, auf der anderen Seite sind Christian Petry [SPD]: Leitungskosten! einige Kommunen und Gemeinden völlig davon ausge- Strom!) schlossen, die notwendigen Fördergelder abzurufen . Wa- rum? Petra Hinz (Essen) (SPD): Es ist schon einmal der erste Schritt, dass jetzt gerade Vizepräsident Peter Hintze: ein Kollege der CSU – also aus Bayern – eingestanden Frau Kollegin . hat, dass einige Bundesländer dazu beigetragen haben, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11997

Petra Hinz (Essen) (A) dass Sie in den zurückliegenden Jahrzehnten das aufbau- steller, sondern sie sind das Fundament unserer Demo- (C) en konnten, was Sie aufgebaut haben . Das ist ja schon kratie . mal ein erster Fortschritt . Die Kommunen brauchen verlässliche Einnahmen . Da (Beifall bei der SPD) gebe ich meiner Kollegin von der Bundestagsfraktion der Grünen eindeutig recht: Wir auf Bundesebene müssen Zweitens gibt es einen 24 . Subventionsbericht . Dort verlässliche Partner sein. Da reicht eine Anschubfinan- ist nachzulesen, welche Subventionen das Land Bayern zierung nicht aus, sondern für die Programme im Sozial- bezieht, womit genau das, was Sie an Agrarwirtschaft ha- bereich müssen die entsprechenden Gesetze auf den Weg ben, mitfinanziert wird. Darüber können wir uns gerne gebracht werden, und vor allem müssen wir dafür sorgen, unterhalten . Wenn dies bei allen anderen Bundesländern dass die Mittel bereitgestellt werden, die die Kommunen genauso gemacht werden würde, würde es in Bezug auf im Bereich der Infrastruktur, der Bildung und des Sozial- unsere Kommunen möglicherweise ein bisschen gerech- ter zugehen . wesens benötigen . (Beifall bei der SPD) Ich hoffe, dass sich das, was die Kommunen jetzt ge- rade im Bereich der Flüchtlingshilfe leisten, heute Abend Deswegen sind die Kolleginnen und Kollegen aus den beim Gipfel, der gemeinsam mit den Ministerpräsiden- unterschiedlichsten Bundesländern – aus sieben Bun- tinnen und Ministerpräsidenten stattfindet, widerspiegelt. desländern – hierhergekommen . Insofern gebe ich Ihnen In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute Bera- recht, wenn Sie hier heute bestätigen, dass das Land Bay- tung . ern immer von anderen Ländern – unter anderem auch von Nordrhein-Westfalen – profitiert hat. Vielen Dank, dass Sie hierhergekommen sind . (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die kommen CSU]: Seid doch nicht so kleinkariert! Redet nimmer, wenn Sie so reden!) mal über die Kommunen und nicht über so ei- Sie können davon ausgehen, dass es in diesem Bundestag nen Quatsch!) verlässliche Partner an Ihrer Seite gibt . – Herr Kauder, man versteht Sie am Bildschirm sowieso (Beifall bei der SPD) nicht . Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen, aber bitte nicht dazwischenreden, wenn ich rede . Ich möchte, Vizepräsident Johannes Singhammer: dass Sie das bitte respektieren . Frau Kollegin Hinz, Sie waren in etwa in der Zeit . (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Sonst hätte ich etwas gesagt . Die Redezeit wird bei einer (B) CSU]: Nein, reden Sie doch jetzt über die Zwischenfrage angehalten . Insofern haben Sie sich kor- (D) Kommunen!) rekt im Zeitkorsett befunden . Warum sind Infrastrukturmaßnahmen in einigen Bun- (Beifall bei der SPD) desländern bzw . Kommunen nicht abrufbar? Jetzt kommt der Kollege Jürgen Hardt für die CDU/ (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na also! Man- CSU . nomann!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ganz einfach: Weil Ihnen die Möglichkeit der Finanzie- rung der Komplementärmittel fehlt; das heißt, der Ei- Jürgen Hardt (CDU/CSU): genanteil ist von diesen Kommunen nicht finanzierbar. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Aus diesem Grunde sind sie abgehängt, während andere möchte mich zunächst herzlich dafür bedanken, dass die gesamten Fördermittel, die der Bund bereitstellt, ent- ich als Fachfremder hier reden darf . Aber mein Wahl- sprechend abrufen können . Sie sind auch deshalb abge- kreis ist im Zusammenhang mit Kommunalpolitik ein hängt, weil im Rahmen der Haushaltssicherungskonzep- ganz besonderer . Er umfasst drei Großstädte: Solingen te, die die Kommunen stemmen und die weiß Gott in den mit 160 000 Einwohnern, Remscheid mit 110 000 Ein- sieben Bundesländern eine große Herausforderung dar- wohnern und den Süden Wuppertals mit 40 000 Einwoh- stellen, so viele Personalstellen abgebaut worden sind, nern . Ansonsten sind die Kollegen Hintze und Zöllmer dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, die entsprechen- die Wuppertaler Abgeordneten . Von daher ist für uns das den Programme und Maßnahmen abzurufen . Thema alltäglich . Ich sehe, Herr Präsident, meine Zeit läuft gleich ab . Liebe Frau Kassner, einen Kommunal-TÜV braucht (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist gut so!) die CDU/CSU-Fraktion nicht . Dann komme ich jetzt zum Schluss . – Wir haben in den (Kerstin Kassner [DIE LINKE]: Doch, doch!) zurückliegenden Jahren häufig darüber diskutiert – zum Bei uns ist jeder sein eigener Kommunal-TÜV, wir sind Ende der ersten Großen Koalition haben wir dazu einen der Kommunal-TÜV . Wir haben in unseren Reihen er- sehr guten Antrag verfasst –, was den Kommunen helfen fahrene Kommunalpolitiker, zum Beispiel den früheren könnte . Wir, die Ruhrgebiets-MdBs der SPD-Bundes- Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, der heute Ge- tagsfraktion, sind seit zwei Jahren mit den kommunalen burtstag hat, Oliver Wittke . Vertretern im Gespräch; es gibt gemeinsame Anträge und Maßnahmen . Die Kommunen sind weiß Gott keine Bitt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 11998 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Jürgen Hardt (A) Ein Wort zu Herrn Daldrup . Dass unser kommunal- unserer Verfassung sind die Länder für die Finanzausstat- (C) politischer Sprecher über viele Jahre Erfahrung in einer tung der Kommunen zuständig . Deswegen müsste von Kommune gesammelt hat, die im Norden Deutschlands dort aus die Initiative kommen, dahin gehend etwas zu liegt und vielleicht von der einen oder anderen Wit- machen . terungslage begünstigt ist, bedeutet nicht, dass wir die Die zweite Sorge der Kommunen ist, dass von dem Dinge in der Kommunalpolitik anders sehen . Ich glaube, Geld, das der Bund, verfassungsrechtlich bedingt, den dass Ingbert Liebing nicht nur das Zeug zu einem guten Kommunen häufig auf dem Umweg über die Länder zu- Bürgermeister hat, sondern dass er auch das Zeug zu ei- kommen lässt, etwas an den Fingern des einen oder an- nem guten Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein deren Finanzministers hängen bleibt . Auch das ist sicher- hat . lich ein Problem, das in allen Bundesländern nicht ganz (Beifall bei der CDU/CSU) von der Hand zu weisen ist . Ich könnte an dieser Stelle wieder konkrete Beispiele aus meinem Bundesland nen- Ich möchte dennoch den Blick auf das Grundproblem nen, was ich aber nicht mache . richten und auf den Beitrag, den wir dazu leisten, das Problem zu lösen . Wir haben in den drei Großstädten, Wir müssen sicherstellen – das ist eine ganz wichti- die ich vorhin genannt habe, und in vielen anderen Kom- ge Aufgabe in der Abstimmung zwischen dem Bund und munen, die in dem angeführten Bündnis vertreten sind, den Ministerpräsidenten –, dass die Entlastungen durch über viele Jahre die Situation gehabt, dass man sich als den Bund, zum Beispiel die geplante Entlastung bei der Stadtverordneter, als Bürgermeister oder als Kämmerer Eingliederungshilfe, bei den Kommunen tatsächlich an- in einer Art Vergeblichkeitsfalle fühlte . Man konnte trotz kommen . Wenn man die Diskussion über die Eingliede- aller Zumutungen für die Bürger, etwa Schließungen von rungshilfe verfolgt, merkt man sofort, dass die Länder Kultureinrichtungen, die Nichtsanierung notwendiger In- ihren Anteil haben wollen und dass Leistungsverbesse- frastruktur oder die Erhöhung von Grund- und Gewerbe- rungen in großem Umfang zu den Ideen gehören, die auf steuer, das Problem nicht an der Wurzel packen . Man hat den Tisch kommen . Das alles könnte möglicherweise ein im Stadtrat häufig gesagt: Warum sollen wir denn jetzt Stück weit das Geld aufzehren, das wir zur Verfügung das Schwimmbad schließen? Das nützt uns nichts . Ob stellen . Nein, wir müssen darauf bestehen, dass dieses wir 50 Millionen Euro oder 49,5 Millionen Euro kommu- Geld auch tatsächlich bei den Kommunen ankommt . nales Defizit im Jahr haben, ist doch egal. Wir kommen Die dritte große Sorge, die bei Kämmerern zu aus den Schulden nicht raus . schlaflosen Nächten führt, ist, dass durch die gegenwärti- Es ist den Kommunen zum Glück gelungen – daran ge Flüchtlingspolitik und die massive Zuwanderung von hat der Bund einen ganz maßgeblichen Anteil –, einen Menschen nach Deutschland die Kommunen finanziell (B) Ausweg aus dieser Misere, aus dieser Krise zu finden – überfordert werden und sie deswegen ihre Einsparziele (D) das gilt konkret für viele nordrhein-westfälische Kom- und damit einen ausgeglichenen Haushalt in den vorge- munen, auch für Solingen, Remscheid und Wuppertal –, gebenen Rahmenbedingungen nicht erreichen können . indem wir in den Kommunen Konzepte entwickelt ha- Das ist, glaube ich, die zentrale Forderung auch an ben . Nach diesen Konzepten müssen die Kommunen die Runde, die heute noch tagt, nämlich dass wir einen selbst enorme Anstrengungen unternehmen, um Kosten Weg finden – ich glaube, der Vorschlag, den die Regie- einzusparen oder die Einnahmesituation durch höhere rungskoalition dazu unterbreitet, ist gut –, dass die Kom- Steuern zu verbessern . Außerdem wird das Land in die munen trotz der vielen Arbeit, die sie damit haben, und Pflicht genommen, und wir vertrauen darauf, dass uns dem enormen Einsatz, den sie zeigen, sicher sein können, der Bund mit finanziellen Entlastungen massiv hilft, und dass die Kosten nicht an ihnen hängen bleiben . In mei- zwar da, wo die Lage am schlimmsten ist, nämlich bei nem Bundesland zum Beispiel leisten die Kommunen den steigenden Sozialausgaben . ganz viel in Amtshilfe für die Landesregierung . Es wird Im Zeitraum 2010 bis 2018 werden die Länder und zwar gesagt: Irgendwann machen wir einen dicken Strich Kommunen vom Bund um insgesamt 125 Milliar- darunter und rechnen ab . Ich sage aber ganz konkret: Wir den Euro entlastet . Das ist eine Hausnummer . Damit werden in den Wahlkreisen die Landesregierung daran wird im Übrigen deutlich die Summe überstiegen, die messen, ob es tatsächlich so ist, dass die Kommunen für von dem einen oder anderen Bundesland – ich möchte das, was sie im Rahmen der Amtshilfe für das Land on den Streit an dieser Stelle nicht fortführen – als Entlas- top zu dem leisten, was sie sowieso tun müssen, glatt- tung der Kommunen mit Blick auf deren Finanzsituation gestellt werden und dass sie insgesamt bei der enormen gewährt wird . Der Bund trägt einen ganz entscheidenden Aufgabe, die Flüchtlinge willkommen zu heißen und gut Anteil . aufzunehmen, nicht auch noch finanziell darunter leiden müssen . Die Kämmerer und die Oberbürgermeister dieser Städte haben im Grunde drei Sorgen, die sie umtreiben . Ich möchte zum Schluss noch etwas mit Blick auf Die erste Sorge ist: Was würde in Bezug auf die Altschul- Deutschland und die Nachbarstaaten sagen . Es glaube den passieren, wenn die Zinsen explodierten und all un- doch keiner, dass wir ohne kommunale Selbstverwal- sere Bemühungen, aus den Schulden herauszukommen, tung – ohne das, was die eigenverantwortlichen Bürger- vergebens wären? Ich sehe das tatsächlich als drängen- meister und Stadträte in diesen Wochen zusammen mit des Problem an . Es ist Gott sei Dank nicht akut, weil die den Sozialverbänden und den Ehrenamtlichen leisten –, Zinssätze derzeit auch bei Kassenkrediten niedrig sind . sondern allein mit irgendeiner Zentralverwaltung auf Aber ich möchte an dieser Stelle schon sagen: Gemäß Bundes- oder Landesebene bei der enormen Zahl von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 11999

Jürgen Hardt (A) Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, auch nur in beiden Fraktionen mögen es mir nachsehen, wenn ich (C) annähernd so relativ gut mit dem Thema klarkämen . das sage: Nein, auch da beweist sich: Es ist ein enormer Trumpf, Wir Duisburger haben mit den Düsseldorfern eine ge- ein enormer Vorteil und eine enorme Stärke unserer De- mokratie, dass wir diese starken selbstverwalteten Kom- meinsame Stadtbahnlinie . Weil die Stadt Duisburg die munen haben, und dabei muss es bleiben . Dafür setzen Investitionskosten für diese Stadtbahn nicht mehr tragen wir uns ein . In diesem Sinne ist der gemeinsame Antrag konnte, bestand in der Tat die Gefahr, dass diese Linie an zu verstehen . der Stadtgrenze aufhört und dass die Menschen ausstei- gen müssen, um mit Bus und Bahn nach Düsseldorf zu Danke schön . fahren . Das hätte auch in umgekehrter Richtung gegol- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten . Das sind ganz praktische Probleme . So etwas müs- ordneten der SPD) sen wir verhindern; das ist entscheidend . Ich komme auf die sozialen Ausgaben zu sprechen . Vizepräsident Johannes Singhammer: Die Quote der Langzeitarbeitslosen in Duisburg liegt bei Wie wir gerade erfahren haben, feiert der Kollege 43 Prozent . Daran wird deutlich, dass die Stadt massive Oliver Wittke seinen Geburtstag durch Teilnahme an der soziale Ausgaben hat, die sie nicht alleine tragen kann, Plenarsitzung des Deutschen Bundestages . Dazu herzli- wenn sie keine Unterstützung durch Arbeitsmarktmaß- chen Glückwunsch! Ich wünsche Ihnen für das kommen- nahmen bekommt . Andrea Nahles hat mit ihrem Minis- de Lebensjahr Glück, Gesundheit und Gottes Segen . terium erste entsprechende Programme aufgelegt . Aber 100 Plätze für eine Stadt, in der 30 000 Menschen in der (Beifall) Langzeitarbeitslosigkeit leben, sind deutlich zu wenig . Jetzt spricht unsere Kollegin Bärbel Bas für die SPD . Ich wünsche mir, dass wir hier in Berlin an solche Punkte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten denken, wenn wir in den Haushaltsdebatten über die Res- der CDU/CSU) sorts Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sprechen . (Beifall bei der SPD) Bärbel Bas (SPD): Ein Thema wurde heute noch gar nicht angesprochen . Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Ich glaube, das ist ein Grund, warum sich damals ein ent- Gäste! Ich will die Debatte noch etwas anreichern und sprechendes Bündnis gebildet hat . Duisburg hat seit 2007 ein bisschen konkretisieren, was das aus Sicht einer ein- eine enorme Zuwanderung von EU-Bürgern aus Südeu- zelnen Stadt, nämlich der Stadt Duisburg, bedeutet . Sie ropa, hauptsächlich aus Bulgarien und Rumänien, zu (B) ist bei vielen Themen als schlechtes Beispiel genannt verkraften . Inzwischen leben fast 13 000 zugewanderte (D) worden . Ich will jetzt auch einmal eine positive Nach- Menschen in der Stadt . Das erfordert eine enorme Integ- richt verkünden: Es ist uns seit 1992 erstmalig gelun- rationsleistung .– Der Kollege Rebmann aus Mannheim gen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen . Das ist nickt gerade zustimmend, wie ich sehe .– Andere Städte sicherlich auch unserer Politik zu verdanken, weil wir im Ruhrgebiet sehen sich mit einer ähnlichen Situation den Kommunen Mittel für ihre Aufgaben im sozialen konfrontiert . Ich habe die Sorge, dass dieses Thema auf- Bereich zur Verfügung gestellt haben . Dass das Land grund der aktuellen Flüchtlingsdebatte völlig untergeht . Nordrhein-Westfalen einen Stärkungspakt Stadtfinanzen Hier ist aber eine enorme Integrationsleistung zu erbrin- aufgelegt hat, hat dabei sicherlich geholfen . Deshalb will gen . Die zugewanderten Menschen nutzen die EU-weite ich auch dem Kämmerer, der die Debatte auf der Besu- chertribüne verfolgt, noch einmal herzlich danken . Es Freizügigkeit und leben dann in unseren Städten . Hier war, glaube ich, sein letzter Haushalt, weil er bald in den lässt sich nichts begrenzen . Das wollen wir auch nicht, Ruhestand gehen wird . Vielen Dank für diesen Kraftakt! weil uns die Freizügigkeit in Europa wichtig ist . Aber die zugewanderten Menschen sind nicht immer gut ausge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- bildet. Sie bringen sicherlich Qualifikationen mit. Aber wie bei Abgeordneten der LINKEN und des wir brauchen Umschulungen und eine arbeitsmarktge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rechte Sprachförderung . Die dafür benötigten Mittel Man darf dabei aber eines nicht verschweigen – dar- können arme und strukturschwache Städte nicht alleine um ging es auch bei meinen Vorrednern –: Die Stadt Du- aufbringen . Deshalb appelliere ich: Es geht nicht nur um isburg hat einen Mühlstein mitzuschleppen . Ich glaube, die Lasten, die wir aufgrund der Flüchtlinge, die zu uns das ist beispielhaft für viele andere Kommunen . Duis- kommen, nun zusätzlich stemmen müssen . Vielmehr sind burg hat 1,75 Milliarden Euro Altschulden . Die Kredit- es 12, 15 oder vielleicht sogar 20 Kommunen, die eine kosten für diese Altschulden betragen 30 Millionen Euro massive Zuwanderung zu verzeichnen haben und die- im Jahr . Wir reden hier oft über Milliardenbeträge . Aber se auch bewältigen wollen . Sie wollen diese Menschen für eine einzelne Stadt sind 30 Millionen Euro, die sie integrieren . Dafür brauchen sie einen gut funktionieren- bei Niedrigzinsen für die Altschulden aufbringen muss, den Wohnungsmarkt und Arbeitsmarktmaßnahmen . Ich verdammt viel . Der Kollege Hardt hat es gerade erwähnt: hoffe, dass die Debatten, die wir in diesem Haus über Wenn die Zinslage anders wäre, wären die Kreditkosten Flüchtlinge führen, nicht dazu führen, dass wir diese noch viel höher . Dieses Geld fehlt für Investitionen . Städte und Kommunen vergessen . Ich will noch einmal deutlich machen, zu was für Um- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten trieben das manchmal führt die Düsseldorfer Kollegen der CDU/CSU) 12000 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Bärbel Bas (A) Der SPD-Fraktion ist es zu verdanken, dass – im Ko- auch wenn noch einiges zu tun ist . Wir sind da auch noch (C) alitionsvertrag verankert – 25 Millionen Euro für Sofort- nicht am Ende . Wie gesagt: Wir müssen die Verantwort- hilfen im Jahr 2014 zur Verfügung gestanden haben . Ich lichkeiten einmal ganz klar darstellen . Ich glaube, das bin dem Koalitionspartner dankbar, dass er das mitge- kommt zu kurz . macht hat . Aber diese Summe reicht nicht aus; denn täg- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – lich wandern mehr Menschen zu . Wenn von einem Tag Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Sehr richtig, auf den anderen hundert Kinder mehr in einem Stadtteil dass das gesagt wird!) leben, dann weiß die betreffende Kommune nicht, wie sie der Schulpflicht nachkommen und die Gesundheits- Ich möchte an einigen Beispielen verdeutlichen, was versorgung gewährleisten soll, wenn sie keine finanzielle der Bund schon alles tut . Da kann ich Ihnen jetzt einige Hilfe von Bund und Land – das sage ich ganz deutlich – Zahlen nicht ersparen; denn sie sollten einmal genannt bekommt . Ich hoffe, dass die Debatte dazu führt, dass werden: Der Bund hat mit der Übernahme der Kosten wir noch einmal über einen Altschuldenfonds und Hilfe für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde- bei besonderen Nöten, bei Besonderheiten in bestimmten rung die Kommunen bereits ganz deutlich entlastet . Auch Regionen nachdenken . beim Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige haben wir zu unserem Wort gestanden . Über das Son- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dervermögen „Kinderbetreuungsfinanzierung“ erfolgte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) allein bis 2014 eine Unterstützung von 5,4 Milliarden Das würde den betreffenden Kommunen und ihren Ver- Euro . In dieser Wahlperiode haben wir das bestehende tretern, die gerade auf der Zuschauertribüne sitzen und Sondervermögen nochmals um 550 Millionen Euro auf zuhören, sicherlich sehr helfen . jetzt 1 Milliarde Euro aufgestockt . Auch für den Betrieb von Kinderkrippen und Tagespflegestellen tragen wir Vielen Dank . Sorge und fördern bis Ende des Jahres die Sprachförde- (Beifall bei der SPD) rung mit 400 Millionen Euro . Wir reden immer von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie; auch da unterstützt Vizepräsident Johannes Singhammer: der Bund . Allerdings müssen die Länder das Geld, das für die Kommunen vorgesehen ist, auch weiterleiten . Wir Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kol- haben ja von den „klebrigen Fingern der Länder“ gehört . legin Barbara Woltmann für die CDU/CSU . Die Länder sollen, bitte schön, nicht immer jammern, (Beifall bei der CDU/CSU) ihre Kommunen bekämen nicht genug Geld, sondern das Geld, das für die Kommunen vorgesehen war, auch in Gänze weiterleiten . (B) Barbara Woltmann (CDU/CSU): (D) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herren! Wer wie ich aus der Kommunalpolitik kommt, weiß, wie wichtig starke Kommunen sind . Ohne starke Wir tun auch sonst sehr viel . Wir erarbeiten etwa Kommunen kein starkes Deutschland! Auch in dieser eine Reform des Teilhaberechts für Menschen mit Be- Legislaturperiode stehen wir alle als verlässliche Partner hinderungen . Die Ausgaben für die Eingliederungshilfe an der Seite der Städte und Gemeinden . Wir haben die für Menschen mit Behinderungen sind die am stärksten Kommunen an vielen Stellen bereits nachhaltig entlastet wachsende Sozialausgabe der Kommunen . Auch da stel- und werden dies weiterhin tun . Aber eines möchte ich an len wir 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Diese Summe dieser Stelle ausdrücklich sagen – meine Vorredner ha- wird 2017 auf 2,5 Milliarden Euro angehoben . Ab 2018 ben das teilweise schon getan –: Es ist und bleibt verfas- steigt sie auf 5 Milliarden Euro an . sungsrechtliche Aufgabe der Länder, eine ausreichende Mit der Verabschiedung des Nachtragshaushaltes Finanzausstattung der Kommunen sicherzustellen . 2015 und des Gesetzes zur Förderung von Investitionen (Beifall bei der CDU/CSU) finanzschwacher Kommunen haben wir einen weiteren Schritt zur Stärkung der Kommunen vollzogen . Es ärgert mich zunehmend, dass immer nur Forde- rungen an den Bund gestellt werden, ohne diese Verfas- Es gibt viele weitere Maßnahmen, die von meinen Vorrednern auch schon genannt worden sind . Eine dieser sungsmäßigkeit im Auge zu behalten; denn wir müssten Maßnahmen will ich noch erwähnen: Die 3,5 Milliarden als Bund die Verfassung ändern, um zu einer direkten Fi- Euro, die wir als Sondervermögen veranschlagt haben, nanzbeziehung zu den Gemeinden zu kommen . stehen für Investitionen finanzschwacher Kommunen zur Ich will nicht verschweigen, dass nach Artikel 106 des Verfügung, die damit einen wichtigen Schritt zum Abbau Grundgesetzes der Bund für einheitliche Lebensverhält- ihres Investitionsstaus vornehmen können . nisse zu sorgen hat . Aber der Bund tut bereits eine ganze In unserem Antrag wird auch der Breitbandausbau an- Menge; ich werde das gleich noch an einigen Beispielen gesprochen . Er ist gerade für den ländlichen Raum wich- erläutern . tig . Wir fördern die interkommunale Zusammenarbeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und vieles andere mehr . Ich möchte auch an den gestern von Iris Gleicke vor- Ich möchte an dieser Stelle aber auch die viele Kom- gestellten Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand munen stark belastende Flüchtlingskrise ansprechen . der Deutschen Einheit 2015 erinnern, in dem steht, dass Das, was die Bürgermeister uns bei unseren Wahlkreis- das Ziel der deutschen Einheit weitestgehend erreicht sei, besuchen immer wieder sagen, ist: Wir sind eigentlich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12001

Barbara Woltmann (A) am Limit angekommen .– Es gibt Städte, wo viele Sport- Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) hallen und andere Hallen schon in Anspruch genommen Ich schließe damit die Aussprache . werden mussten . Diese Hallen stehen für die Sportver- eine, für die Schulen, für die Kinder generell nicht mehr Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf zur Verfügung . Das ist schon ein schwerer Einschnitt, den Drucksachen 18/6062, 18/3051 und 18/6069 an die eine Beeinträchtigung; das muss man so sagen . Die Bür- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- germeister in meinem Wahlkreis sagen mir: Na ja, die schlagen . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe je- Zuweisungen bis Ende des Jahres können wir mit Ach denfalls keinerlei Widerspruch . Die Überweisungen sind und Krach noch schaffen . Aber dann ist Schluss; dann somit beschlossen . wissen wir einfach nicht mehr, wohin . Ihr müsst etwas Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des In- tun, damit dieser Flüchtlingsstrom zumindest gebremst nenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Lin- wird .– Ein Problem, das hier schon oft geschildert wor- ke mit dem Titel „Verbindliches Mitwirkungsrecht für den ist, ist, dass auf einmal ganz viele Menschen in eine Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen Kommune kommen, obwohl sie dort in der notwendigen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren“ . Schnelligkeit gar nicht untergebracht werden können . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6085, den Antrag der Fraktion Die Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei al- Linke auf Drucksache 18/3413 abzulehnen . Wer stimmt len bedanken, bei den Kommunen, bei den ehrenamtli- für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer chen Helfern . Man kann das überhaupt nicht hoch genug stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus- anerkennen: Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wä- sempfehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU ren wir an dieser Aufgabe, glaube ich, schon gescheitert . und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE nommen . GRÜNEN) Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 h Die Bürger, die mit ihrer Hilfe auch dazu beitragen, sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf: möchte ich ebenfalls in den Dank einschließen . 27 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Zurzeit ist ein Gesetz in der Diskussion, mit dem wir rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- etliche Veränderungen im Asylverfahren vornehmen setzes zu dem Protokoll vom 17. März wollen . Im Koalitionsausschuss liegt ein ganzes Paket 2014 zur Änderung des Abkommens vom auf dem Tisch, das wir in der nächsten Woche aller Vor- 30. März 2010 zwischen der Bundesrepu- (B) aussicht nach in erster Lesung beraten werden . blik Deutschland und dem Vereinigten (D) Königreich Großbritannien und Nordir- Auf den Flüchtlingsgipfel, der heute noch stattfinden land zur Vermeidung der Doppelbesteu- wird, wurde schon hingewiesen . Ich hoffe und gehe erst erung und zur Verhinderung der Steuer- einmal davon aus, dass wir dort zu guten Beschlüssen verkürzung auf dem Gebiet der Steuern kommen werden; denn es ist eine gesamtstaatliche Auf- vom Einkommen und vom Vermögen gabe, eine Aufgabe aller Ebenen: des Bundes, der Länder und der Kommunen . Nur gemeinsam können wir diese Drucksache 18/5575 Herausforderung schaffen . Ich habe die Hoffnung, dass Überweisungsvorschlag: alle sich dieser Verantwortung bewusst sind . Insofern Finanzausschuss hoffe ich beim Flüchtlingsgipfel heute auf gute Beschlüs- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung se . eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 Vizepräsident Johannes Singhammer: zwischen der Bundesrepublik Deutsch- Frau Kollegin Woltmann, Sie denken an die verein- land und der Föderation St. Kitts und barte Redezeit? Nevis über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informati- Barbara Woltmann (CDU/CSU): onsaustausch Ich tue das und will schließen, nur noch ein letzter Drucksache 18/5576 Satz .– Da ich die letzte Rednerin bin, möchte ich noch Überweisungsvorschlag: einmal betonen: Wir haben einen guten Antrag vorgelegt, Finanzausschuss (f) und das ist gut für die Kommunen in diesem Land . Ich Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hoffe nach Ihrem Auftritt hier, Frau Hinz, dass die SPD c) Erste Beratung des von der Bundesregierung nach wie vor zu diesem Antrag steht . Sie sagten, Sie hät- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu ten allein für die SPD gesprochen . Es ist unser gemein- dem Partnerschafts- und Kooperations- samer Antrag . Wir wollen das gemeinsam voranbringen . abkommen vom 11. Mai 2012 zwischen Dazu stehen wir auch . der Europäischen Union und ihren Mit- Vielen Dank . gliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Drucksache 18/5577 12002 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: (C) Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz torsicherheit (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr .Konstantin von d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Notz, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Ab- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 21. Au- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ gust 2014 zwischen der Bundesrepublik DIE GRÜNEN Deutschland und dem Staat Israel zur Sicher vernetzt, gut versorgt – Digitali- Vermeidung der Doppelbesteuerung und sierung im Gesundheitswesen im Dienste der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Patienten gestalten der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/6068 Drucksache 18/5578 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Finanzausschuss (f) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss Digitale Agenda e) Erste Beratung des von der Bundesregie- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Stephan Kühn (Dresden), Oliver Krischer, zes zu dem Protokoll vom 3. Dezember Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und 2014 zur Änderung des Abkommens vom der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 30. März 2011 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und Irland zur Ver- Zum Schutz der Verbraucher – Unzu- meidung der Doppelbesteuerung und zur treffende Angaben beim Spritverbrauch Verhinderung der Steuerverkürzung auf und Schadstoffausstoß von PKW been- dem Gebiet der Steuern vom Einkommen den und vom Vermögen Drucksache 18/6070 (B) Drucksache 18/5579 Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- f) Erste Beratung des von der Bundesregie- sicherheit rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Gesetzes zur Änderung des Batteriegeset- Verfahren ohne Debatte . zes Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Drucksache 18/5759 die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Überweisungsvorschlag: überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- fensichtlich der Fall . Dann sind diese Überweisungen so torsicherheit beschlossen . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- Bevor wir zu den abschließenden Beratungen ohne rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Energiever- Aussprache kommen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass brauchskennzeichnungsgesetzes interfraktionell vereinbart ist, den Tagesordnungs- punkt 28 i – es handelt sich dabei um die Sammelüber- Drucksache 18/5925 sicht 224 zu Petitionen – von der Tagesordnung abzuset- Überweisungsvorschlag: zen, das heißt, heute nicht zu beraten .– Ich sehe, dass Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Sie alle damit einverstanden sind . Dann verfahren wir so . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 h torsicherheit und 28 j auf . Es handelt sich um die Beschlussfassung Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist . h) Erste Beratung des von der Bundesregierung Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 28 a: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsge- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat ein- setzes zur Umsetzung des Urteils des Eu- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwick- ropäischen Gerichtshofs vom 7. Novem- lung der staatlichen Notariate in Baden-Würt- ber 2013 in der Rechtssache C-72/12 temberg Drucksache 18/5927 Drucksache 18/5218 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12003

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses (C) für Recht und Verbraucherschutz (6 .Ausschuss) für Verkehr und digitale Infrastruktur (15 .Ausschuss) Drucksache 18/6087 Drucksache 18/6089 Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale In- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- frastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf che 18/6087, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf der Drucksache 18/6089, den Gesetzentwurf der Bundesre- Drucksache 18/5218 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, gierung auf Drucksache 18/5269 anzunehmen . Ich bitte die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, Handzeichen .– Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – um das Handzeichen . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt Niemand . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da- tung angenommen . mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen Wir kommen zur bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . dritten Beratung Wir kommen zur und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem dritten Beratung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Der Gesetzentwurf ist damit angenommen . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 28 b: entwurf ist damit mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen . der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2005 Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28 d: zum Übereinkommen vom 10. März 1988 zur Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen ge- gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- gen die Sicherheit der Seeschifffahrt und zu dem setzes zur Änderung des Binnenschifffahrtsaufgab Protokoll vom 14. Oktober 2005 zum Protokoll engesetzes vom 10. März 1988 zur Bekämpfung widerrecht- licher Handlungen gegen die Sicherheit fester Drucksache 18/5273 (B) Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel be- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses (D) finden für Verkehr und digitale Infrastruktur (15 .Ausschuss) Drucksache 18/5268 Drucksache 18/6071 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale In- ses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15 .Aus - frastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf schuss) Drucksache 18/6071, den Gesetzentwurf der Bundesre- Drucksache 18/6084 gierung auf Drucksache 18/5273 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Der zuständige Ausschuss für Verkehr und digitale In- wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – frastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Wer enthält sich? – Niemand . Der Gesetzentwurf ist da- Drucksache 18/6084, den Gesetzentwurf der Bundesre- mit in zweiter Beratung angenommen . gierung auf Drucksache 18/5268 anzunehmen . Wir kommen jetzt zur Wir kommen zur dritten Beratung zweiten Beratung und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch hier Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . niemand . Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen Dann ist dieser Gesetzentwurf ebenfalls angenommen . des gesamten Hohen Hauses angenommen . Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 28 c: Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 28 e bis 28 h regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes und 28 j . über die internationale Zusammenarbeit zur Tagesordnungspunkt 28 e: Durchführung von Sanktionsrecht der Vereinten Nationen und über die internationale Rechtshilfe Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- auf Hoher See sowie zur Änderung seerechtli- ausschusses (2 .Ausschuss) cher Vorschriften Sammelübersicht 220 zu Petitionen Drucksache 18/5269 Drucksache 18/5957 12004 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Vizepräsident Johannes Singhammer (A) Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen .– Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (C) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . ner dem Kollegen Dr . Rolf Mützenich für die SPDFrak- Die Sammelübersicht 220 ist damit mit den Stimmen des tion das Wort . gesamten Hohen Hauses angenommen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Tagesordnungspunkt 28 f: der CDU/CSU) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2 .Ausschuss) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Sammelübersicht 221 zu Petitionen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Syrien zerfällt, Tod und Verzweiflung sind ge- Drucksache 18/5958 genwärtig – wir erleben tagtäglich schreckliche Bilder aus Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen .– diesem Land, aus der Region . Aber das ist kein Schicksal Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . des Landes . Es ist von Menschenhand gemacht, Die Sammelübersicht 221 ist ebenfalls mit den Stimmen und deswegen kann es der Mensch, wenn er es will, auch des gesamten Hauses angenommen . verändern. Ich finde, wir sollten alles tun, um den Weg zu Tagesordnungspunkt 28 g: bereiten, das Schicksal dieser Menschen zu verbessern . Wir haben heute Morgen bereits über das Thema Flücht- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- linge gesprochen . Ich will noch einmal daran erinnern, ausschusses (2 .Ausschuss) dass die Bundesregierung, aber auch andere Regierungen Sammelübersicht 222 zu Petitionen in Europa und darüber hinaus im vergangenen Herbst in Deutschland zusammengekommen sind, um die Situati- Drucksache 18/5959 on der Nachbarländer in den Fokus zu nehmen, Geld in Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen .– die Hand zu nehmen und letztlich Hilfe gegenüber dem Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammel- Libanon, Jordanien und dem Irak anzubieten . übersicht 222 ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU Zum Zweiten . Auch wenn mir vieles bei der Politik und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- der gegenwärtigen türkischen Regierung und des türki- nommen . schen Präsidenten nicht gefällt, ist zu sagen: Dieses Land beheimatet 2 Millionen Flüchtlinge und hat bisher 8 Mil- Tagesordnungspunkt 28 h: liarden Euro für deren Unterbringung, für deren Gesund- heit und andere Dinge aufgewandt . (B) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- (D) ausschusses (2 .Ausschuss) Zum Dritten . Es ist gut, dass wir im Deutschen Bun- Sammelübersicht 223 zu Petitionen destag die Mittel für die humanitäre Hilfe erhöht haben, dass die Europäische Union für das World Food Pro- Drucksache 18/5960 gramme, das Welternährungsprogramm, mehr Mittel be- Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen .– reitgestellt hat, genauso der UNHCR . Dank an die Bun- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand . desregierung und an den Deutschen Bundestag, der in der Die Sammelübersicht 223 ist damit mit allen Stimmen Vergangenheit den Institutionen immer wieder Mittel zur des Hohen Hauses angenommen . Verfügung gestellt hat . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 28 j: (Beifall bei der SPD) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Deswegen gibt es jetzt die Möglichkeit, politisch initiativ ausschusses (2 .Ausschuss) zu werden . Sammelübersicht 225 zu Petitionen Ich möchte von den Überschriften der letzten Tage Drucksache 18/5962 auf ein anderes Thema kommen . Ich will gar nicht so sehr über Russland sprechen, sondern über das, was die Wer dafür stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen .– Bundesregierung gemeinsam mit anderen Regierungen Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die geschafft hat, nämlich die Vereinbarung des Atomab- Sammelübersicht 225 mit den Stimmen von SPD, CDU/ kommens mit dem Iran . Es ging nicht allein darum, eine CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der mögliche Atomkrise zu beherrschen, sondern darum, Fraktion Die Linke angenommen . dieses Land wieder in die internationale Gemeinschaft Damit haben wir diesen Teil der Abstimmungen ab- zurückzuholen . Der Historiker Jürgen Osterhammel, den geschlossen . die Bundeskanzlerin zu ihrem Geburtstag eingeladen hat, sagte zu Recht: Vielleicht war 1979, als sich der Iran auf Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: den Weg gemacht hat, wieder eine besondere Bedeutung Aktuelle Stunde in der Region zu bekommen, ein epochales Datum .– Deswegen ist es jetzt den Versuch wert, den Iran daran zu auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD messen und zu fragen, ob er weiterhin Verantwortung tra- Neue Dynamik zur politischen Lösung der Syri- gen und auf diejenigen Einfluss nehmen will, die für das en-Krise nutzen Blutvergießen in Syrien verantwortlich sind . Wir müssen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12005

Dr. Rolf Mützenich (A) den Iran fragen, ob er bereit ist, in der internationalen Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): (C) Gemeinschaft mitzuwirken . Danke sehr, Herr Präsident .– Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kollegen! Ich muss der Versuchung widerstehen, Ihnen der CDU/CSU) vorzurechnen, wie oft wir Ihnen das, was jetzt vorge- schlagen wird – Verhandlungen unter Einbeziehung des Es gibt weitere hoffnungsvolle Anzeichen . So war es Staates Syrien –, schon vorgeschlagen haben und wie oft ein gutes Zeichen, dass es zur Vernichtung der Chemie- Sie es zurückgewiesen haben . Ich streiche das; es ist für waffen in Syrien eine Resolution des Sicherheitsrates ge- mich im Moment nicht so interessant . geben hat . Ich glaube im Nachhinein – vielleicht sehen die Vertreter und Vertreterinnen der Linkspartei das auch Ich möchte gern, dass wir uns erstens auf ein Ziel der so –, der gesamte Deutsche Bundestag hätte gut daran ganzen Debatte verständigen, das wir als Deutscher Bun- getan, der Vernichtung der Chemiewaffen zuzustimmen . destag – möglichst auch die Bundesregierung – ansteu- ern sollten . Ich biete Ihnen ein Ziel an: Für uns ist das (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Ziel, den Krieg, das Morden und Töten in Syrien sofort BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu stoppen . Wir sind bereit, alles andere diesem Ziel un- Die neue Resolution des Sicherheitsrates über weitere terzuordnen; denn das ist die entscheidende Sache . Erkundungen in Syrien bietet Gelegenheit, hier anzu- (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen knüpfen . Wir ermutigen die Bundesregierung, insbe- [SPD]: Und wie, Wolfgang?) sondere den Bundesaußenminister, in New York alles zu Ich biete Ihnen an, zweitens gemeinsam das Ziel zu unternehmen, um mit den Vereinten Nationen weiter an formulieren, Syrien als nationalen Staat zu erhalten, sei- dieser Frage zu arbeiten; denn die Situation ist gefähr- ne säkulare Staatsverfassung zu retten und diesen Staat in lich . Sie ist gefährlich, weil noch immer die militärische Gänze zu demokratisieren und sozial wiederaufzubauen . Logik im Vordergrund steht – in Russland, aber auch bei Ich finde, wenn wir ein solches gemeinsames Ziel for- den anderen Beteiligten . Ich erinnere gerne daran, dass muliert haben – ich biete Ihnen das zumindest an –, dann es ein Irrtum ist, zu sagen: Nur wenn wir den IS bekämp- können wir über Einzelheiten streiten und da auch unter- fen, werden wir die Flüchtlingsströme stoppen . – Wahr- schiedlicher Auffassung sein . scheinlich geht es insbesondere darum, Assad daran zu hindern, weiter Fassbomben zu werfen . Wenn man in diese Richtung gehen will, muss man mit aller Kraft die UNO-Vermittlungsmission von Staf- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fan de Mistura unterstützen . Seine Vorgänger hatten kei- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der ne weltweite Unterstützung . Es muss nun besser gelin- CDU/CSU) (B) gen, sich international gemeinsam hinter diese Mission (D) Gerade deswegen sollten wir an den Iran und andere zu stellen. Kofi Annan hatte gute Vorschläge, Lakhdar Länder appellieren . Brahimi ebenfalls, aber sie hatten nicht diese breite Un- terstützung . Selbst wenn es aber zu einer Verabredung auf inter- nationaler Bühne in den nächsten Monaten, vielleicht Ich möchte nicht noch einmal lesen müssen, was ich auch erst in den nächsten Jahren kommen wird, heißt Ihnen jetzt vorlese . Friedensnobelpreisträger Martti Ah- das nicht, dass sich die Verantwortlichen vor der inter- tisaari, den ich in der Kosovo-Frage – da war er ja Ver- nationalen Strafjustiz verstecken dürfen . Das darf nicht mittler – immer kritisiert habe, schrieb über seine Wahr- die Verabredung sein . Dies sage ich zumindest für meine nehmung der Verhandlungsprozesse: Bereits 2012 habe Fraktion sehr deutlich . Es gilt das Statut von Rom; letzt- der russische Unterhändler Witalij Tschurkin einen Drei- lich gilt auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch . Daran Punkte-Plan zur Lösung des Konfliktes unterbreitet, der ist zu erinnern . auch einen Rücktritt von Syriens Präsidenten Baschar al-Assad vorsah . Darauf seien aber Frankreich, Großbri- Wir stehen in der Tat vor einem Dilemma . Das sehen tannien und die USA nicht eingegangen, weil sie davon wir jeden Tag; die Bundeskanzlerin hat es heute Morgen überzeugt waren, dass der Sturz Assads ohnehin bevor- noch einmal gesagt . Aber wir müssen aus diesem Dilem- stünde . Zu diesem Zeitpunkt, so Ahtisaari, belief sich die ma die richtigen Konsequenzen ziehen, nämlich der Di- Zahl der Opfer auf 7 500 . Seine Schlussfolgerung ist: Wir plomatie noch stärker zum Durchbruch verhelfen, damit hätten das ganze Chaos vermeiden können . – Ich möchte es Waffenruhen, Waffenstillstand und vielleicht irgend- nicht, dass wir uns noch einmal zu Recht solche Vorhal- wann auch wieder Frieden in Syrien geben kann . tungen machen lassen müssen . Also muss man in der Po- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . litik eine andere Richtung einschlagen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der LINKEN) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Was ich von der Bundesregierung wünsche, ist eine GRÜNEN) diplomatische Offensive – nicht Waffenlieferungen und einseitige Parteinahmen, sondern eine Vermittlung von Vizepräsident Johannes Singhammer: Verhandlungen . Eine solche diplomatische Offensive ist Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke das Gebot der Stunde . für die Fraktion Die Linke . Bei der Planung muss man über folgende Punkte nach- (Beifall bei der LINKEN) denken und reden: Es muss über lokale Waffenstillstände 12006 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Wolfgang Gehrcke (A) verhandelt werden . Ein Waffenstillstand für das gesamte Ende steht, das sollen die Syrierinnen und Syrier durch (C) Syrien ist eher unwahrscheinlich . Also muss es ein Netz freie Wahlen in ihrem Land in einem gewaltfreien Um- von Gebieten geben, in denen lokale Waffenstillstände feld selber entscheiden . Das haben nicht wir hier zu ent- ausgehandelt und dann durchgesetzt werden . Ich möch- scheiden . Das wird nicht über die Köpfe der Syrier hin- te gern, dass diese Verhandlungen unter dem Dach der weg entschieden; vielmehr sollten die Syrier in Wahlen Vereinten Nationen zusammen mit den Konfliktparteien selbst entscheiden, welchen Präsidenten sie wollen . Das stattfinden. Nachdem sich Herr Kauder heute dazu geäu- wird man als Demokrat doch mit befördern dürfen . Das ßert hat, sage ich: Ich bin unbedingt dafür, dass die USA wäre eine politische Konzeption, über die der Bundestag und Russland – was auch immer man von ihrer Politik nachdenken sollte .– Ich höre Gequake von der Regie- hält – in diesen Prozess einbezogen werden . Ohne die rungsbank, aber das nimmt sowieso keiner ernst . USA und ohne Russland wird man nicht zu einem sol- Danke sehr . chen Prozess der Waffenstillstände und der Beendigung des Krieges kommen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich glaube, dass man über die Einbeziehung verschiede- Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege ner Verhandlungsparteien nachdenken muss; es wird sich Dr . Johann Wadephul . entscheiden . Nicht alle werden sofort an einem Tisch sitzen können; aber in diese Richtung muss es gehen: (Beifall bei der CDU/CSU) Iran, Irak, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei sollten am Tisch sitzen – obwohl eine ganze Reihe der Regime Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): mir überhaupt nicht passen, aber das ist jetzt nicht die Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Frage –, und auch die Regierung des Präsidenten Assad ren! Der syrische Bürgerkrieg geht in sein fünftes Jahr . sowie die verschiedenen Oppositionsgruppen, die in Sy- Bisher wurden 240 000 Todesopfer gezählt, 4 Millionen rien auf Gewalt verzichten, die Kurden, müssen zu den Menschen sind auf der Flucht und halten sich in den Verhandlungsparteien gehören . Ich habe nie verstanden, Nachbarländern Syriens auf, sind Binnenflüchtlinge oder warum die Bundesregierung im Vorfeld der Verhandlun- begeben sich nach Europa bzw . nach Deutschland . Das gen nicht ein einziges Mal mit den Oppositionsgruppen ist Anlass genug, dass wir die Außenpolitik in den Mittel- gesprochen hat, die erklärt haben, sie wollen keine Ge- punkt der Flüchtlingsdiskussion in Deutschland rücken; walt . Auch hier muss sich die Politik der Bundesregie- denn die Flüchtlinge, die hierherkommen, haben Gründe, rung ändern . zu fliehen. Wir sollten uns diesen Gründen ehrlich stel- (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) len . Wir sollten auch darüber nachdenken, was wir in der (D) Vergangenheit vielleicht verkehrt gemacht haben, was Wenn die Oppositionsgruppen ihrerseits bereit wären – wir versäumt haben . was ein großes Zugeständnis wäre –, in die Verhandlun- gen auch die sogenannte syrische Exilregierung einzube- Es ist notwendig, dass wir hier in der Diskussion über ziehen, dann wäre das für beide Seiten ein Schritt nach Ursachen der Flucht aus dem Mittleren Osten sprechen . vorne . Wir sollten das befördern . Aber natürlich zwingt uns auch unsere humanitäre Ver- antwortung, darauf zu schauen, was dort geschieht . Denn Ich bitte Sie sehr, ebenfalls zu überlegen, wie man die Städte und Dörfer in Syrien sind zerstört . Schon jetzt diese humanitäre Situation wenigstens ein bisschen ver- ist dieses Land durch die Konfliktparteien um Jahrzehnte bessern kann . Dazu gehört auch, mit doppelten Standards zurückgebombt worden . Es wird Jahrzehnte dauern, das Schluss zu machen . Durch unsere doppelten Standards Land wieder aufzubauen . Ich denke insbesondere an die blamieren wir uns in der ganzen Welt . Wir fordern von vielen jungen Menschen, deren Zukunft brachliegt und Russland, keine Soldaten nach Syrien zu schicken – denen wir kaum helfen können . Wir tragen hier eine gro- (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Die ße Verantwortung . sind ja schon da!) In dieser Situation, lieber Herr Gehrcke, muss man in- das ist durchaus in meinem Sinne, um das deutlich zu ternationale Organisationen stärken . Was aus dem Prin- machen –, ich möchte aber, dass es glaubwürdig wird, in- zip der Schutzverantwortung konkret folgt, darüber kann dem die Bundesregierung erklärt: Wir liefern keine Waf- man im Einzelfall streiten . In der vergangenen Legisla- fen, wir werden die Waffenexporte in den Nahen Osten turperiode hat sich Deutschland bei einem Votum über verbieten . Wenn man nicht nur darüber nachdenkt, wen einen Militäreinsatz in Libyen enthalten . Das hat uns man anklagen bzw . schwächen könnte, dann kann man sogar die Kollegin Wieczorek-Zeul damals vorgehalten; solche Forderungen auch besser aufstellen . ich sage das ohne Vorwurf . Auch Herr Gehrcke hat uns damals in der Diskussion unterstützt; das war richtig . (Beifall bei der LINKEN) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wür- Zum Schluss sage ich Ihnen: Wir brauchen eine Über- de ich auch wieder tun!) gangsregierung . Ich bin sehr dafür, dass in Syrien darü- ber nachgedacht wird, die Oppositionsgruppen, die auf Aber man muss genauso sagen, dass ein Prinzip der Gewalt verzichten, die Kurden und andere, in eine Über- Schutzverantwortung seine Glaubwürdigkeit verliert, gangsregierung aufzunehmen . Eine Übergangsregierung wenn am Ende die internationale Gemeinschaft einem wird unter der Präsidentschaft Assads stehen . Was am fünfjährigen Morden, Krieg, Fassbomben- und Chemie- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12007

Dr. Johann Wadephul (A) waffeneinsatz schlicht und ergreifend tatenlos zusieht . Herren . Dieses Signal des Hauses ist meines Erachtens (C) Das kann nicht die Lehre aus Srebrenica oder Ruanda insgesamt erforderlich . sein . Wir als internationale Gemeinschaft müssen in der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- Lage sein, zu handeln . wie bei Abgeordneten der LINKEN und des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Noch ein Wort zu Herrn Assad . Politik beginnt mit der DIE GRÜNEN) Wahrnehmung der Realität . Deswegen ist es vollkom- Man muss die internationale Gemeinschaft unterstützen, men richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat . Da hat Herr Gehrcke. Ich finde es ein bisschen bedauerlich, dass es auch nie eine andere Position gegeben, Herr Gehrcke . Sie dazu nichts gesagt haben . Die Verhandlungen in Genf haben durchaus auch unter Beteiligung des Regimes stattgefunden . Es ist aber am (Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD]) Ende so, dass dieser Mensch nicht nur den Einsatz von Fassbomben, sondern auch und insbesondere – das finde Hinsichtlich der Zerstörung von Chemiewaffen gab es ich nach den Erfahrungen des Ersten und Zweiten Welt- wenig Konsens . Sie müssen mir wirklich erklären, Herr kriegs besonders erschreckend – den Einsatz von Che- Gehrcke, wie man unter Zurückhaltung aller ideologi- miewaffen zu verantworten hat . schen Argumente irgendeinen humanitären Grund finden kann, sich gegen die Vernichtung von Chemiewaffen Meine sehr verehrten Damen und Herren, so sehr wir auszusprechen . Das ist schlicht und ergreifend unver- Realitäten anerkennen und auch mit Machthabern ver- ständlich gewesen . handeln müssen – das ist selbstverständlich –, darf es nicht hingenommen werden, dass dieser Mensch, der den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Einsatz von Chemiewaffen zu verantworten hat, am Ende der SPD – Christine Buchholz [DIE LINKE]: straflos davonkommt. So darf kein Abkommen aussehen. Das hat er nicht gemacht!) Die internationale Strafgerichtsbarkeit muss an dieser Wir haben hier ein Minimum erreicht, und da muss man Stelle handlungsfähig sein . doch Unterstützung leisten . Ich glaube, wenn wir diese Möglichkeiten miteinan- der nutzen, dann besteht die Chance, endlich etwas zu Die Situation in den Nachbarländern ist angesprochen erreichen . Ich glaube, es ist den Einsatz jeder Diplomatie worden . Ich halte es für einen internationalen Skandal, wert, dass wir für die Menschen in Syrien etwas tun . dass der UNHCR das Fehlen von 2,8 Milliarden Dollar beklagt hat. So wenig wir bei diesem Konflikt auch tun Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . (B) (D) können, kann es aber nicht angehen, dass es am Ende (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie am Geld fehlt . Hier sind wir alle gefordert, meine sehr bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE verehrten Damen und Herren . Insofern kann ich uns nur GRÜNEN) auffordern, dafür zu sorgen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident Johannes Singhammer: neten der SPD und der Abg . Marieluise Beck Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für (Bremen) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bündnis 90/Die Grünen . Derzeit laufen die Haushaltsberatungen . Es gibt einen ersten Ansatz in Höhe von 400 Millionen Euro . Geld ist Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht alles, aber wenn wir Probleme mit Geld lösen oder Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: zumindest lindern können, dann müssen wir auch Geld in Seien wir ehrlich: Bislang sind alle Anläufe der in- die Hand nehmen . ternationalen Gemeinschaft für eine politische Lö- (Beifall des Abg . Ulli Nissen [SPD]) sung gescheitert . Wir sind uns doch gewiss, dass wir in dieser Situation Dieser Satz ist ein Zitat des Herrn Außenministers aus dem Tagesspiegel . Dies ist Ausdruck der notwendigen in Deutschland und in Europa für manches Geld brau- Demut, die wir hinsichtlich des Syrien-Konflikts sicher chen . Nach meiner Überzeugung muss aber auch der alle empfinden. Für die Politik der Bundesregierung gilt Haushalt des Auswärtigen Amtes hinreichend ausgestat- dieses Eingeständnis des Scheiterns aber nicht; denn da- tet werden . Ich glaube, dass diese 400 Millionen Euro für hat sie in den vergangenen viereinhalb Jahren viel zu nicht ausreichen werden angesichts der großen Proble- wenig gemacht . me, die wir haben . Herr Wadephul, Sie haben internationale Schutzver- (Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD] und . antwortung als Prinzip angeführt . Ich frage mich, ob Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] .) irgendetwas in der Politik der Bundesregierung dieses Deswegen ermutige ich uns alle, an dieser Stelle mehr Prinzip abbildet . Ich sehe das leider nicht . Geld in die Hand zu nehmen und dem Auswärtigen Amt Es gibt natürlich in allen Fraktionen Kolleginnen und und all denjenigen, die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge Kollegen, die sich in den vergangen vier bis fünf Jahren vor Ort leisten, mehr Mittel zuzuweisen, damit sie mehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben . Wir müs- Möglichkeiten haben, meine sehr verehrten Damen und sen uns alle die Augen reiben, weil die Flüchtlinge, die 12008 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Omid Nouripour (A) jetzt kommen, dazu führen, dass die Bundesregierung dass ISIS zumindest indirekt immer wieder sehr stark aus (C) mehr tun will, aber nicht die 250 000 Toten und Millio- der Türkei heraus unterstützt worden ist . Trotz meiner nen von Opfern des Krieges . persönlichen Antipathie gegenüber der PKK muss ich sagen: Es kann nicht sein, dass man versucht, einen Bür- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gutes gerkrieg anzuzetteln, weil ein Wahlkampf bevorsteht .– Argument!) Das alles ist indiskutabel, aber das muss angesprochen Besser spät als nie . Es gilt aber natürlich das Wort des werden . Außenministers: Seien wir ehrlich . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seien wir ehrlich: Wir versagen kläglich bei der Ver- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sorgung der Flüchtlinge . Es ist gut, dass dem Welternäh- der CDU/CSU) rungsprogramm jetzt mehr Mittel zur Verfügung gestellt Es muss auch gesagt werden, dass Saudi-Arabien viel- werden . Es ist jetzt aber schon im dritten Jahr ein gewis- leicht nicht von ISIS, aber von vielen anderen dschiha- ses Ritual, dass das Welternährungsprogramm im Früh- distischen Gruppen ein Hauptfinanzier ist. Es kann doch jahr darauf hinweist, dass das Geld spätestens im Herbst nicht sein, dass daraus keinerlei Lehren gezogen worden ausgehen werde – ich weiß, da gibt es keinen Dissens –, sind, zum Beispiel für Rüstungsexporte . und im Oktober werden dann die Rationen für Kinder gekürzt . Das muss uns alle mit Scham erfüllen . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Seien wir ehrlich: Die Bundesregierung hat nach vier Jahren Krieg immer noch keine Vorstellung davon, wie Das Beispiel Iran ist gerade genannt worden . Ja, es sie die Nachbarstaaten unterstützen will . Der Libanon gibt natürlich die Hoffnung, dass infolge des Nuklearab- ist andauernd kurz vor dem Kollaps . Kein Mensch kann kommens eine Dynamik entsteht und die Iraner eine an- erklären, wie es dieses Land schafft, zu überleben . Sie dere, in Zukunft hoffentlich konstruktive Rolle bezogen brauchen keine humanitäre Hilfe mehr für Projekte von auf Syrien spielen werden . Das Gegenteil ist aber auch sechs Monaten Dauer . Sie brauchen Entwicklungszu- möglich – auch das muss man benennen –: Es besteht das sammenarbeit . Sie brauchen Infrastruktur . Sie brauchen Risiko, dass die Kriegskassen der Revolutionswächter Strukturen, die langfristig halten, aber nicht die Frage- durch das Atomabkommen, für das ich sehr bin, gefüllt stellung im BMZ: Ist der Libanon ein Schwerpunktland werden und am Ende des Tages das erste Opfer dieses unserer Politik? Wo müssen wir jetzt mehr Geld geben Abkommens – noch einmal: für das ich sehr bin – das und wo nicht? Investitionen in die Infrastruktur im Liba- syrische Volk ist . Auch das gehört zur Ehrlichkeit dazu . non sind jetzt schlicht Friedenspolitik . Auch das muss man ansprechen . (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bezogen auf Russland ist die Situation ganz schwie- (D) rig, sogar dramatisch . Der Kollege Kiesewetter hat neu- Das gilt im Übrigen auch für den Irak . Irak war das lich gesagt, dass Deutschland sich an Luftschlägen betei- erste Land und ist hoffentlich auch das letzte Land, das ligen möge . Man muss sagen – das gehört zur Ehrlichkeit vom Konflikt in Syrien so heftig betroffen ist, und es ist dazu –, dass das zurzeit nicht in erster Linie aus legalisti- das zweite große Land, in dem ISIS sein barbarisches schen Gründen nicht geht, sondern weil Russland zurzeit Unwesen treibt . Ich bin gestern aus dem Irak zurückge- jede Ankündigung sehr schnell und sehr deutlich mit mi- kommen . Die zentrale Frage, die mir dort gestellt wurde, litärischer Eskalation beantwortet . So werden in Latakia ist dieselbe wie im letzten Jahr: Wo sind eigentlich die jetzt ein zweites und ein drittes Militärlager aufgebaut . Deutschen? Wo ist das deutsche Kapital? Welches poli- Es wird alles andere als einfach, Russland ins Boot zu tische Kapital bringt Deutschland in der zentralen Frage bekommen . der Reintegration der Sunniten, in der Frage der nationa- len Aussöhnung ein? – Diesbezüglich gibt es eine sehr Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der große Leerstelle . Umgang mit Assad . Das ist nicht die einzige zentra- le Frage, da es zurzeit drei zentrale Gruppen in Syrien Ja, in Syrien wird ein sehr brutaler, harter und viel- gibt: die Assad-Schergen, die ISIS-Leute und nun auch schichtiger Stellvertreterkrieg geführt, und ja, es gibt noch die al-Nusra, die ab und an einmal die Zivilisten Staaten, die das Land mit in den Abgrund gerissen haben . beschützt . Al-Nusra ist im Übrigen eine al-Qaida-Fili- Mit den Vertretern dieser Staaten muss man trotzdem ale; das ist hochdramatisch . Die Bundeskanzlerin hat sprechen, und man muss zu diesen Staaten auch Bezie- ja recht, wenn sie sagt: „Vielleicht wird es irgendwann hungen unterhalten; es hilft nichts, den Kopf in den Sand einmal notwendig sein, mit Assad zu reden“, was aber zu stecken wie der Vogel Strauß und so zu tun, als hätte nicht geht, ist – da bin ich bei Ihnen –, ihn zum Partner sich an der Situation nichts geändert . zu machen . Zum Partner können wir ihn nicht machen . Die Türkei ist gerade genannt worden . Die Türkei hat Wir können ihn nicht reinwaschen . Wir können nicht 2 Millionen Menschen aufgenommen . Der Außenminis- sagen: „Im Irak ist die Reintegration der Sunniten, die ter war vor kurzem in Deutschland und hat dankenswer- dort in der Minderheit sind, eine zentrale Aufgabe“, und terweise eine Migrationspartnerschaft angeboten . Das ist der Mehrheit in Syrien – das sind die Sunniten – sagen, gut, und das ist richtig . Man muss aber auch einmal laut dass Assad unser Partner wird, obwohl eindeutig ist, dass und hörbar – so, dass Herr Erdogan sich nicht verstecken er verantwortlich ist für die Ruinen in ihren Städten, für kann – das Grenzmanagement der Türkei ansprechen; die Fassbomben, für das Töten ganzer Familien, für den denn dadurch wurden die Barbaren von ISIS zumindest Tod von 250 000 Menschen . Wir können nicht sagen: in den letzten zwei Jahren unterstützt . Man muss sagen, Wir haben viereinhalb Jahre nichts gemacht, und jetzt, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12009

Omid Nouripour (A) da die Flüchtlinge zu uns kommen, paktieren wir mit Flüchtlinge sind die bisherige Bilanz . Das darf so ganz (C) dem größten Mörder der gesamten Region, damit wir die bestimmt nicht weitergehen . Flüchtlinge von uns fernhalten .– Das wäre das falscheste (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Signal, das wir zurzeit aussenden könnten . Ich glaube, ordneten der SPD) das wäre kein Beitrag zur Befriedung Syriens . Deshalb muss die Entschärfung dieser Krise absolute Herzlichen Dank . außenpolitische Priorität haben . Wir müssen ja abschich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten bei den vielen Krisenherden in der Welt . Da steht na- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) türlich die Frage im Raum, Kollegin Beck: Kann oder darf man mit Assad reden und verhandeln? Ich glaube, dass unser Außenminister recht hat, wenn er sagt, dass Vizepräsident Johannes Singhammer: es mit Assad keine Zukunftsperspektive für das Land Sy- Jetzt spricht die Kollegin Elisabeth Motschmann für rien geben kann . Ich glaube aber auch, dass es ohne ihn die CDU/CSU . auch keinen Waffenstillstand geben kann . Das ist genau das Problem . Deshalb muss man mit ihm reden . Als Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) handlungspartner müssen aber auch der Iran, die Türkei, Saudi-Arabien, Katar und alle anderen umliegenden Län- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): der beteiligt werden . Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Wie ist es mit Russland? Herr Gehrcke, ausnahmswei- gut, dass wir heute eine außenpolitische Debatte führen, se bin ich bei Ihnen . nachdem wir mit Blick auf die Flüchtlinge viele innenpo- litische Debatten geführt haben . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dafür kann ich nichts!) Fluchtursachen bekämpfen – diese Formulierung ist in aller Munde . Das ist leicht gesagt, aber schwer getan . Die Wir müssen mit Russland natürlich verhandeln, ohne – Fluchtursachen liegen natürlich nicht nur in Syrien – wir auch das sage ich ganz klar – dass wir die Ukraine-Krise konzentrieren uns heute aber auf Syrien –, sondern sie dadurch aus den Augen verlieren . liegen in der gesamten Region und weit darüber hinaus . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wer- Die Fluchtursachen beschäftigen nicht nur uns, sondern de ich mit Sicherheit nicht tun!) viele Menschen im Land . Sie sind beunruhigt und ängst- Das kann nicht sein . Der US-Außenminister hat erklärt – lich, was da noch auf uns zukommt . Die Herausforderun- ich zitiere –: „Wir haben die gleichen Ziele . Der IS muss gen sind in der Tat extrem für Deutschland, für Europa (B) zerstört, komplett gestoppt werden .“ (D) und die internationale Gemeinschaft . Die Fluchtursa- chen – das wissen wir – sind vielfältig: Krieg, Hunger, Gespräche mit Russland seien deshalb notwendig, um politische und religiöse Verfolgung, Enthauptungen, Ver- die militärischen Operationen – da geht es jetzt in eine gewaltigungen und vieles mehr . Viele meinen, die Situ- andere Richtung – gegen den IS zu koordinieren .– Man ation sei aussichtslos, aber wer so denkt, der kann nichts kann ja vielleicht zunächst einmal Flugverbotszonen ein- positiv verändern und verbessern . „Das größte Laster ist richten und dadurch Schutzzonen organisieren . die Verzagtheit“, sagte Franz von Assisi . Das sollten wir Ich stimme übrigens mit Volker Kauder überein, wenn uns zu Herzen nehmen . er sagt: Eine militärische Operation muss vorrangig aus der Region selbst kommen, wenn sie denn kommen Die Mitgliedstaaten der EU haben gestern und vorges- muss . Wenn das Land ohne militärischen Einsatz nicht tern sehr gute Beschlüsse im Hinblick auf die Flüchtlin- befriedet werden kann, dann ist das Aufgabe der Nach- ge, die Registrierungszentren in Italien und Griechenland barstaaten, zum Beispiel Saudi-Arabiens oder anderer . sowie zusätzliche Milliarden für die Welthungerhilfe ge- fasst . Das alles sind erste richtige und wichtige Schritte, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ma- aber sie lindern die Not nur bedingt . chen die ja gerade im Jemen!) Zurück zu Syrien . Von dort kommen zurzeit die meis- Dieser religiös motivierte Krieg findet zwischen mus- ten Flüchtlinge. Sie fliehen vor dem Terror des IS, sie limischen Völkern und Gruppen statt . Deshalb sind sie fliehen aber insbesondere auch vor den Fassbomben und zuallererst aufgerufen, dem Schrecken ein Ende zu be- reiten . dem Chlorgas von Assad . Er ist verantwortlich – das sage ich hier noch einmal ausdrücklich – für viele Tote, Ver- Wir müssen die politischen Prozesse steuern . Wir letzte und übrigens auch verstümmelte Menschen in sei- müssen diplomatische Lösungen suchen . Wir müssen die nem eigenen Land . humanitäre Hilfe leisten und in die Offensive gehen . Für diese schwierigen Verhandlungen kann man denjenigen, Es gibt keine isolierte Lösung für Syrien . Der IS macht die für uns verhandeln, nämlich der Bundeskanzlerin und vor keiner Grenze halt und hält zum Beispiel auch viele unserem Außenminister, nur viel Geschick, viel Kraft Teile des Irak besetzt . Eines aber steht fest: Es ist unsere und viel Geduld wünschen . politische und moralische Pflicht, dem Töten in Syrien endlich ein Ende zu setzen . Seit fünf Jahren schaut die Vielen Dank, meine Damen und Herren . Weltgemeinschaft zu – Herr Wadephul hat es gesagt –, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wie dort gemordet wird . 250 000 Tote und 4 Millionen ordneten der SPD) 12010 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: schenrechtsgruppe zählte 64 Opfer, darunter 31 Kinder . (C) Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz für Darüber spricht keiner . Warum? Ich glaube, weil man zu- die Fraktion Die Linke . geben müsste, dass der sogenannte Antiterrorkrieg selbst Terror ist . Bomben bringen keinen Frieden . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Die Bundesregierung unterstützt diesen Antiterror- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Leid krieg politisch, aber auch durch die Entsendung von der Bevölkerung in Syrien, die unter den Fassbomben Waffen und militärischen Ausbildern in den Irak . Nun von Assad, dem Terror des IS und einer immer unerträg- werden auch noch Stimmen in der Großen Koalition licheren wirtschaftlichen und sozialen Lage lebt, muss laut – wie die von Herrn Kiesewetter –, die die Entsen- ein Ende haben . dung von Bundeswehrtornados zur Unterstützung des (Beifall bei der LINKEN) US-Luftkrieges fordern . Das, meine Damen und Herren, ist der absolut falsche Weg . Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Den Eindruck zu erwecken, Herr Wadephul, die Linke sei ge- (Beifall bei der LINKEN) gen die Vernichtung des syrischen Giftgases, ist blinde Ein Blick nach Afghanistan zeigt, wohin ein solcher Demagogie . Krieg führt . Nach zehn Jahren NATO-Krieg ist die Si- (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Sie ha- cherheitslage dort angespannter, und die Taliban sind ben dagegen gestimmt! – Dr . Rolf Mützenich stärker als je zuvor . Die soziale Misere ist dieselbe ge- [SPD]: Na, na! Vorsicht!) blieben oder hat sich verschlimmert . Glauben Sie denn wirklich, dass sich durch das ständige Wiederholen der- Wir haben immer unterstützt, dass das Giftgas auch in Deutschland vernichtet wird . Wir waren allerdings dage- selben Fehler nun in Syrien und im Irak irgendetwas ver- gen, dass die Bundeswehr diese Vernichtung im Mittel- bessern würde? meer begleitet . Nein, zur Wahrheit gehört: Der sogenannte „Islami- (Ulli Nissen [SPD]: Das wäre aber sinnvoll sche Staat“ wäre ohne die US-Intervention im Irak ab gewesen! – Dr . Johann Wadephul [CDU/ 2003 gar nicht entstanden . CSU]: Da muss man aber schon besonders di- (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Das ist alektisch veranlagt sein, wenn man das noch wirklich Unfug! Das stimmt doch gar nicht!) versteht!) (B) Die USA und ihre Verbündeten haben im Irak Menschen (D) Wir haben darauf hingewiesen, dass es die Bundesre- verschleppt und gefoltert . Sie haben ein politisches Sys- gierungen bis 2011 waren, die zugelassen haben, dass tem etabliert, das Schiiten gegen Sunniten ausspielt – bis Giftgasbestandteile nach Syrien, an das Regime Assad, heute . In diesem Klima konnte der IS, der einen barbari- geliefert wurden . Ihre Argumente sind pure Heuchelei . schen Krieg gegen Andersdenkende und Andersgläubige (Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich führt, entstehen . Wer diesen Terror stoppen will, muss [SPD]: Sie machen sich einen schlanken das Klima des Hasses zwischen Bevölkerungsgruppen Fuß! – Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: und Religionsgemeinschaften beseitigen . Aber der soge- Das ist unterste Schublade!) nannte Antiterrorkrieg selbst schürt dieses Klima . Des- halb scheitert er auch . Die Vorredner haben über diplomatische Lösungen der Syrien-Krise gesprochen . Keiner redet über die ei- (Beifall bei der LINKEN) gentlichen Ursachen dieses Krieges: die jahrzehntelange Intervention der USA, aber auch anderer Großmächte, in Alle Erfahrungen zeigen: Die militärische Einmi- der Region . Es fällt auch auf, dass die Groß- und Regio- schung äußerer Mächte in die Bürgerkriege in Syrien und nalmächte, die jetzt über diplomatische Lösungen reden, im Irak hat den Krieg nur noch schlimmer gemacht . Ob eigene Interessen in der Region haben und bereits direk- Iran, Türkei, Saudi-Arabien, die USA oder Russland – ter oder indirekter Teil des Krieges sind . sie alle heizen diesen Krieg mit immer mehr Waffen, mit Ausbildern, mit eigenen Soldaten oder Söldnern an . Das Seit nunmehr einem Jahr bombardiert eine US-geführ- muss ein Ende haben . te Kriegsallianz Ziele im Irak und in Syrien . Wir hören fast nichts über diese Angriffe – auch kaum etwas über (Beifall bei der LINKEN) den Drohnenkrieg, der geführt wird . Doch das Bombar- Und die Bundesregierung mischt auch mit . Ich sage dement ist massiv . In einem Jahr haben die US-Streit- Ihnen: Sie will im Kielwasser der USA Schritt für Schritt kräfte und ihre Verbündeten mehr Bomben abgeworfen zu einer Macht werden, die auch im Kriegsgebiet „Mitt- als in den letzten fünf Jahren des Krieges in Afghanistan lerer Osten“ an Gewicht gewinnt und militärisch mithal- zusammen . Diese Bomben treffen natürlich nicht nur ten kann . Die Linke sagt: Ziehen Sie die Bundeswehr aus Terroristen . Gleich in der ersten Woche der US-Angrif- der Krisenregion ab, und hören Sie endlich mit den Waf- fe auf syrisches Gebiet wurde ein Getreidespeicher in fenlieferungen an die Türkei, an Saudi-Arabien und an Manbidsch getroffen . Nach einem Angriff am 30 .Ap - den Irak auf; denn diese Staaten heizen den Krieg mit an . ril 2015 auf das Dorf Bir Mahli räumte das Pentagon offiziell ein, zwei Zivilisten getötet zu haben. Eine Men- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12011

Christine Buchholz (A) Meine Damen und Herren, es ist schlimm genug, dass wir sind in Bezug auf Syrien ganz sicher nicht Teil des (C) erst die Fluchtbewegung nach Europa den Blick auf die Problems, sondern Teil der Lösung . Lebensbedingungen von Millionen Menschen im Nahen (Beifall bei der SPD) und Mittleren Osten geöffnet hat . Beenden Sie endlich die Ignoranz gegenüber der Situation der Menschen in Vielleicht kennen Sie die Plakatkampagne von Mise- Flüchtlingslagern im Irak, in der Türkei, in Jordanien und reor . Auf einem Plakat heißt es: „Mut ist, dahin zu ge- im Libanon . hen, wo andere fliehen“. Das gilt natürlich in besonderem Maße für Kriegsgebiete wie Syrien . Wenn Sie nicht endlich verstehen, dass diese Men- schen eine zivile Perspektive brauchen, dann überlassen Hilfsorganisationen schaffen oft das vermeintlich Un- Sie sie den Rekrutierern der Armeen und Milizen vor Ort, mögliche, zum Beispiel, Zugänge auch dort zu erhalten, und das kann doch wirklich nicht Ihr Ziel sein . wo es nach landläufiger Meinung zu gefährlich ist. Sie tun das durch geduldige Verhandlungen mit den Bürger- (Beifall bei der LINKEN) kriegsparteien vor Ort, durch Zusammenarbeit mit loka- len Organisationen, durch immer wieder neue Analysen Vizepräsident Johannes Singhammer: der aktuellen Lage und auf Basis der vier humanitären Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr .Ute Finckh-Krämer Prinzipien: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit für die SPD . und Menschlichkeit . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie sind als Grundlage für internationale humanitäre der CDU/CSU) Hilfe unverzichtbar und die Grundlage dafür, dass Hilfe nach Bedürftigkeit und nicht nach Zugehörigkeit zu po- litischen, ethnischen, religiösen oder sonstigen Gruppen Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): gewährt wird . So kann im Augenblick auch ein großer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol- Teil der 2,7 Millionen Menschen, die in Syrien in von leginnen und Kollegen! Ich möchte an das erinnern, wo- ISIS kontrollierten Gebieten leben, mit humanitärer Hil- rum es heute in der Aktuellen Stunde eigentlich gehen fe versorgt werden . Unmöglich wird humanitäre Hilfe sollte, was aber bei den letzten Beiträgen etwas aus dem allerdings meist dort, wo Kampfhandlungen stattfinden. Blick geraten ist, nämlich um die Frage, wie es jetzt po- Deswegen ist es so wichtig, lokale Waffenstillstände zu sitive Impulse für einen Friedensprozess in Syrien geben erreichen . kann . (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Die wichtigste Person ist hier der UN-Sonderbeauf- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- (B) (D) tragte Staffan de Mistura, der aus keinem der Länder NEN) stammt, die dort im Augenblick in irgendeiner Weise mi- Deutsche Hilfsorganisationen können Unparteilich- litärisch beteiligt sind . Er ist ein erfahrener Diplomat mit keit und Neutralität in Bezug auf Syrien auch deswegen italienischer und schwedischer Staatsangehörigkeit und so glaubhaft machen, weil Deutschland im Syrien-Kon- hat lange Erfahrungen im Bereich der humanitären Hilfe flikt eben voll auf Diplomatie und nicht auf Waffenlie- und in Konfliktregionen. Er ist einer der Menschen, die ferungen an direkt oder indirekt Konfliktbeteiligte setzt. das vermeintlich Unmögliche schaffen können . (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Es gibt doch Sein Verhandlungsansatz, der vorgestern vorgestellt Waffenlieferungen!) wurde, basiert darauf, dass in vier Arbeitsgruppen unter Leitung von Fachleuten aus vier europäischen Ländern Konfliktbeteiligte sind diejenigen, die im Augenblick in über eine mögliche Entwicklung Syriens im Rahmen Syrien bomben . Wir liefern aber keine Waffen an eine der Gruppen, die in Syrien kämpfen . eines Friedensprozesses gesprochen werden soll . Die vier Fachleute kommen aus vier Ländern, nämlich aus (Beifall bei der SPD) der Schweiz, aus Deutschland, aus Norwegen und aus Wir setzen auch nicht auf den Einsatz von deutschem Mi- Schweden . litär oder die Unterstützung von denen, die dort im Au- Weil mein Thema heute die humanitäre Hilfe ist, genblick mit militärischen Mitteln kämpfen . Das kann, möchte ich etwas mehr auf den norwegischen Arbeits- muss und soll auch so bleiben, weil die Unabhängig- gruppenleiter eingehen, Jan Egeland, der ebenfalls ein keit der humanitären Hilfe bzw . die deutsche Leistung langjährig erfahrener Diplomat ist und aus dem Bereich in diesem Bereich sonst gefährdet wäre . Insofern, Herr der humanitären Hilfe kommt . Im Augenblick ist er Ge- Wadephul, wäre ich froh, wenn wir auch innerhalb der schäftsführer der größten norwegischen Hilfsorganisati- Koalition eine Initiative für eine weitere Erhöhung der on, die sowohl im Bereich der Flüchtlingshilfe als auch Mittel sowohl für die humanitäre Hilfe als auch für die im Bereich der humanitären Hilfe in den Nachbarländern Hilfe in den Nachbarländern, die im Zusammenhang mit Syriens und in Syrien selber mit zweistelligen Millionen- Entwicklungszusammenarbeit steht, erreichen könnten . beträgen aktiv ist . Ich bin gerne bereit, daran mitzuarbeiten . Ganz so allein, wie das eben teilweise dargestellt wur- Danke schön . de, sind wir Deutschen bei der Unterstützung eines Ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- handlungsprozesses im Augenblick also auch nicht, und ten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE 12012 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Ute Finckh-Krämer (A) LINKE]: Nehmen Sie uns auch außerhalb der Wir haben uns jetzt hier heute geeinigt, dass man na- (C) Koalition!) türlich irgendwie mit Assad verhandeln muss, auch wenn er danach nicht Teil der Lösung sein kann . Trotzdem Vizepräsidentin Ulla Schmidt: möchte ich hier gerne noch einmal die Opposition erwäh- Als Nächste hat Dr . Franziska Brantner, Bündnis 90/ nen, die zwar vielfältig ist, aber trotzdem noch existiert . Die Grünen, das Wort . Wer kann denn jetzt von den Oppositionellen verlangen, dass sie bei einer Bombardierung mit Fassbomben wei- terverhandeln? Wer gibt ihnen Zusicherungen, dass sie Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- danach nicht massakriert werden? Wir reden alle über NEN): Assad . Er darf mit Geleit nach Moskau kommen – viel- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Damen und Herren! leicht muss er danach irgendwann nach Den Haag . Aber Wir haben es hier heute schon mehrfach gehört: Die Lage wer redet über die Oppositionellen und darüber, welche in Syrien ist dramatisch . Sie ist es nicht erst seit gestern . Garantien wir ihnen dafür geben können, damit sie bereit Auch ich möchte noch einmal daran erinnern, dass über sind, sich auf diesen Prozess einzulassen? 80 Prozent der zivilen Opfer Opfer Assads sind . Wir haben heute viel über die Fassbomben gesprochen . Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) möchte aber gerne auch noch einmal erwähnen, dass As- Herr Gehrcke, Sie sprachen davon, dass eine Waffen- sad die Menschen systematisch aushungert . Es ist eine ruhe durchgesetzt werden müsse . Wer setzt denn diese seiner Strategien, ganze Gebiete auszuhungern, während Waffenruhe durch? er die anderen weiter bombardiert . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Frankreich und Großbritannien und auch Russland SES 90/DIE GRÜNEN) beteiligen sich jetzt am Kampf gegen ISIS . Russland be- teiligt sich natürlich vor allem für Assad . Mich wundert Es gab unbewaffnete Beobachter, deren Einsatz aber zu es ein wenig, wie wir hier heute Russland fast schon als nichts geführt hat . Wenn wir hier ehrlich diskutieren und Feuerlöscher feiern, der jetzt kommt, da wir doch eigent- sagen: „Wir wollen im Rahmen der Vereinten Nationen lich alle wissen, dass Russland jahrelang der Brandbe- einen Prozess anstoßen und eine Lösung finden“, dann schleuniger war und diesen Krieg mit angefeuert hat, müssen wir auch sagen: Dieses Ergebnis werden wir indem es Assad unterstützt hat . im Rahmen der Vereinten Nationen absichern .– Herr Gehrcke, ich zähle dann auf Ihre Unterstützung, diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Waffenruhe auch umzusetzen . und bei der CDU/CSU) (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Russland interveniert gerade militärisch . Alle sagen: und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Jetzt aber unbedingt! Russland hat es sehr klug hinbe- CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LIN- kommen, sich dadurch mit an den Tisch zu bomben . Ich KE]: Das machen wir schneller, als Sie den- glaube, wir müssen es einfach auch im Kopf haben, dass ken können!) das keine einfache Rolle sein wird . Erste Prämisse für diese Verhandlungen ist, dass Mit- Alle sagen: Es geht jetzt gegen ISIS . Und wieder ein- tel zur Befriedigung der humanitären Bedürfnisse vor Ort mal fallen der Bürgerkrieg an sich und die Rolle von As- endlich bereitgestellt werden . Herr Wadephul, Sie haben sad hinten herunter . Aber das ist doch schon seit einem es angesprochen: Das World Food Programme braucht Jahr die Strategie . Seit einem Jahr wird gegen ISIS bom- bis Ende des Jahres 278 Millionen Euro . Das ist eigent- bardiert . Und wozu hat das geführt? Zu einem stärkeren lich eine Summe, die Herrn Schäuble keine schlaflosen ISIS, zu einer Ausbreitung von ISIS in Syrien . Es hat Nächte beschert . Da könnte doch Deutschland vorange- eben nicht dazu geführt, dass ISIS wirklich geschwächt hen und sagen: Das zahlen wir jetzt .– Anschließend gibt wurde . Von daher ist es dringend notwendig, jetzt einen es einen Nachtragshaushalt für 2015 . Prozess einzuleiten bzw . eine Kontaktgruppe im Rahmen der Vereinten Nationen einzusetzen . Wir müssen de Mis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tura mit allem unterstützen, was wir leisten können . Na- 278 Millionen Euro könnte Deutschland auf den Tisch türlich ist klar, dass der Iran, dass Russland, die Türkei, legen . Da könnten wir vorangehen . Frau Merkel hat es Katar und Saudi-Arabien dabei sein müssen . gesagt: Wir schaffen das . Wir gehen voran . Wir warten nicht, bis alle hinterherkommen . Ich möchte gerne noch etwas zu Saudi-Arabien sagen . In Bezug auf die Verhandlungen höre ich, dass Saudi-Ara- Bei dieser Sache, nämlich das Geld für das Programm bien nicht gerade freiwillig und gerne an diesen Verhand- bis zum Winter aufzubringen, kann ich nur an uns alle ap- lungstisch kommt, vielmehr ist es einer der Akteure vor pellieren, das möglich zu machen, und zwar nicht nur für Ort, bei dem es am schwersten ist, ihn überhaupt an den das nächste Jahr . Diese Mittel müssen verstetigt werden, Tisch zu bekommen . Da hätten wir Deutsche vielleicht damit das World Food Programme nicht jedes Mal bet- noch einmal eine Aufgabe, unser Gewicht dafür einzu- teln und im April wieder sagen muss: Das Geld geht uns setzen, dass sich Saudi-Arabien daran beteiligt und bereit aus .– Das würde dazu führen, dass es im Herbst wieder ist, mit dem Iran an einem Tisch zu sitzen, auch wenn nur verringerte Essensrationen gibt . Das ist doch schon das natürlich eine Herausforderung ist . Ich nenne nur das seit vier Jahren ein Problem . Lassen Sie uns die Mittel Stichwort „Waffenexporte“ . dafür verstetigen . Wir werden dazu Anträge stellen . Ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12013

Dr. Franziska Brantner (A) freue mich sehr darauf, für diese Anträge die Stimmen wissen, wovon wir sprechen . Der erste Vorschlag muss (C) der Koalition zu erhalten . dahin gehen, Staaten wie Libanon und Jordanien stärker zu helfen, als wir das bisher getan haben, und zwar im Ich danke Ihnen . Rahmen der Bildung, der Nothilfe, im Rahmen der Lehr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lingsausbildung, beispielsweise mit sauberem Wasser, sowie bei Abgeordneten der SPD) medizinischer Versorgung und anderem . (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verabre- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: den!) Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion das Wort . Wir müssen alles tun, dass diese Staaten nicht zerfal- len, dass diese Staaten ihre Grenzen wirksam sichern und (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . dass die Flüchtlinge so etwas wie Geborgenheit in der in- Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]) ternationalen Hilfe finden. Ich kann meinen Vorrednerin- nen, abgesehen von der Rednerin der Linken, und Herrn Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Wadephul nur zustimmen: Genau das sind die richtigen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wege . Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktu- (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das neh- elle Stunde sollte uns Anlass geben, den Blick nach in- me ich persönlich!) nen, in unser Land zu richten; denn die neue Dynamik berührt auch unsere Gesellschaft in erheblichem Maße . Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mehr Ich möchte an dieser Stelle den vielen tausend freiwilli- leisten müssen . Vielleicht kann die Operation im Rah- gen Helferinnen und Helfern, die sich um die Aufnahme men von UNIFIL vor der Küste Libanons, an der wir uns und Eingliederung von Flüchtlingen in unserem Land beteiligen, einer der möglichen Hebel sein, mehr zu tun . kümmern, ganz herzlich danken . Möglicherweise müssen wir auch mithilfe von Polizei, Technischem Hilfswerk und anderen an den Grenzen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- zum Libanon und zu Jordanien mehr Hilfe für die Flücht- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) linge leisten . Wir haben am Montag dieser Woche in beeindru- ckender Weise beim Parlamentarischen Abend des Ar- Der zweite Gedanke ist weniger angenehm . Nächste beiter-Samariter-Bundes gehört, welche Leistungen im Woche, am 28 . September, wird Wladimir Putin vor der Ehrenamt erbracht werden . Wir haben diese Woche ei- Generalversammlung der Vereinten Nationen sprechen . Putin wird sicherlich gutklingende Vorschläge unterbrei- (B) nen Aufruf an die Reservisten der Bundeswehr gestartet, (D) sich ehrenamtlich zu kümmern, und zwar mit einer sehr ten . Wir haben heute früh in der Regierungserklärung erfreulichen Resonanz . schon einiges darüber gehört, was möglicherweise auf uns zukommen wird . Wir müssen uns darüber im Klaren Zugleich erleben wir – deswegen bin ich froh, dass sein, dass Assad nicht Teil der Lösung, sondern Teil des wir diese Aktuelle Stunde haben – eine Flut von Hass- Problems ist . Es ist aber sehr gut, wenn Russland mithilft, botschafen und Hass-E-Mails aus der nationalistischen, rechtsextremen Ecke . Es ist gut, dass von diesem Parla- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Für was?) ment ein Zeichen der Hilfsbereitschaft ausgeht und dass dass wir endlich die Blockade im Weltsicherheitsrat be- wir unserer Bevölkerung deutlich sagen: Lasst euch von seitigen, und wenn wir zu einem VN‑Mandat kommen . diesen Menschen nicht verunsichern! Steht für den Zu- sammenhalt unserer Gesellschaft ein! Ich glaube, wir müssen für ein Mandat der Vereinten Nationen mit dem Minimalziel der Schaffung von siche- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- ren Schutzzonen und Flüchtlingskorridoren werben . Wer wie bei Abgeordneten der LINKEN) soll – das klang gerade bei meiner Vorrednerin an – diese Meine sehr geehrten Damen und Herren, da ich heute Sicherheitszonen durchsetzen? Saudi‑Arabien zeigt zur- aus der Opposition zweimal gezielt angesprochen wurde, zeit, was die arabische bzw . die sunnitische Gemeinschaft zu tun in der Lage ist . Sie organisieren eine Streitmacht (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Zu mit 150 000 Soldaten – von Senegal über Marokko bis Recht!) Pakistan – mit 100 Kampfflugzeugen, die möglicherwei- möchte ich gerne von meinem nicht vorhandenen Manu- se dort zum Einsatz kommen . skript abweichen und zwei Punkte ansprechen . Ein Wort (Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD]: Pakistan ist zu Syrien: Wir haben allein im August 46 000 syrische nicht dabei!) Flüchtlinge aufgenommen, insgesamt bisher 140 000 . 15 Millionen Menschen sind innerhalb und außerhalb Warum um alles in der Welt sind diese Staaten nicht in Syriens auf der Flucht . In der Landeserstaufnahmestelle der Lage, sich aufgrund von Druck aus den Vereinten Na- in Ellwangen, die einmal für 500 Menschen vorgesehen tionen und diplomatischen Verhandlungen, die wir auch war, befinden sich jetzt 4 500 Menschen, darunter knapp auf der Ebene E3+3 führen müssen, für die Schaffung ei- 2 000 Menschen aus Syrien, die alle nicht unmittelbar ner sicheren Flüchtlingszone in Syrien und im Irak einzu- aus Syrien geflohen sind, sondern aus den Flüchtlings- setzen? Ich halte es für ganz entscheidend, dass die Hilfe lagern im Libanon, in Jordanien und in der Südosttür- aus der Region kommt . Die Unterstützung kann von uns kei . Ich war mit etlichen Kollegen in diesen Lagern . Wir kommen . 12014 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Roderich Kiesewetter (A) Auf ein Thema wurde ich gezielt angesprochen – ich in den Libanon berichtet . Ich habe davon berichtet, dass (C) habe nichts dagegen, dass wir ganz offen darüber disku- wir in der Beeka-Ebene eine junge Dame gesehen haben, tieren –: Warum sollen wir nicht mit deutschen Aufklä- die in einem Plastikzelt eine mobile Klinik aufgebaut rungstornados hatte . Wir hatten dabei den Geruch der nur wenige Me- ter entfernt vorbeischwimmenden Fäkalien von hunder- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So hat es tausend Menschen in der Nase . In Jordanien haben wir immer angefangen!) in einer Klinik einen jungen Mann getroffen, der sich – die Stellungen von ISIS aufklären und einer wie auch wegen schrecklicher Erlebnisse selbst schwer traumati- immer gearteten arabischen Kraft aus der Region die siert – um traumatisierte Kinder kümmerte . Wir haben in Zieldaten übermitteln? Wir brauchen sichere Häfen für Saatari gesehen, dass die Menschen auf Containern stan- die Flüchtlinge und dazu ein regionales Forum unter Ein- den und Richtung Syrien telefoniert haben, während im bindung der Türkei, Russlands, des Iran und Saudi‑Ara- Hintergrund explodierende Fassbomben zu hören waren . biens mit starker europäischer Unterstützung . Wenn wir Aber egal mit wem wir damals gesprochen haben, die das schaffen, dann können wir die Flüchtlingsflut in der Botschaft lautete immer: Ich will nach Syrien zurückkeh- Region zu einem Segen für die Menschen machen und ren . Ich will mein Land wieder aufbauen .– Dieser Wille uns Europäer stärker mit unserem Fachwissen einbrin- war allgegenwärtig zu spüren . gen . Das ist bitter nötig . Eine isolierte militärische Lö- Am vergangenen Montag und Dienstag haben wir sung ist keine Lösung . zusammen mit Sigmar Gabriel, Kollegin Beck, Kolle- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . ge Hahn und einem Kollegen von der CDU/CSU Saa- tari erneut besucht . Ich weiß nicht, welchen Eindruck (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Kollegin und Kollegen dort gewonnen haben . Mein ordneten der SPD) Eindruck ist jedenfalls, dass es einen kompletten Stim- mungswechsel gegeben hat und dass Perspektivlosigkeit Vizepräsidentin Ulla Schmidt: herrscht . Keiner hat mehr gesagt, dass er in sein Heimat- Vielen Dank .– Nächster Redner ist Stefan Rebmann, land zurückkehren will, um es aufzubauen . SPD-Fraktion . Was bedeutet es für die gesamte Region, wenn die- (Beifall bei der SPD) jenigen weggehen, die gut ausgebildet und noch fit sind und auch finanziell in der Lage sind, zu flüchten? Wer Stefan Rebmann (SPD): bleibt dann zurück? Wer kann dann Syrien wieder auf- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und bauen? Es kann doch nicht in unserem langfristigen Inte- resse liegen, dass dort eine komplette Region entvölkert (B) Kollegen! Als Entwicklungspolitiker beschäftigen uns (D) das Thema Syrien und die Fluchtbewegungen schon eine wird . Deshalb ist es so wichtig, dass wir dort nicht nur ganze Zeit lang. Ich finde, wir dürfen auch bei der heu- humanitäre Hilfe leisten . Vielmehr müssen wir die ge- tigen Debatte die zunehmenden Fluchtbewegungen aus samte Region stabilisieren . Das bedeutet, dass wir den Afghanistan nicht vergessen . Auch sie dürfen wir in der Jordanierinnen und Jordaniern Angebote in Form von Gesamtdebatte nicht außer Acht lassen . Handelserleichterungen und Infrastrukturprojekten zum Beispiel im Wasserbereich machen müssen . Wir müssen Ich kann mich noch an eine Unterrichtung im Aus- uns vergegenwärtigen: Das Flüchtlingslager Saatari mit schuss erinnern, bei der wir auf einer Karte von Syrien 80 000 Einwohnern steht auf dem größten fossilen Was- sehen konnten, wer wo stationiert ist: wo die Freie Syri- servorkommen in ganz Jordanien, das sonst nur über sehr sche Armee und wo die syrische Armee stationiert ist und wenig Wasser verfügt. Damit sind Konflikte vorprogram- wo damals noch ISIS stationiert war . Das waren einige miert . Deshalb ist es so wichtig, dass die Bundesregie- kleine Punkte . Wir wurden auch darüber unterrichtet, wer rung mit Frank-Walter Steinmeier vorangeht und Lösun- jeweils dahintersteckt, was deren Ziele sind und wie sie gen findet. Ich bin dankbar, dass wir hier im Parlament sich über Spenden aus Saudi‑Arabien und aus Kuwait fi- eine einhellige Meinung zu der Aufstockung der Mittel nanzieren . für die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusam- Wir müssen auch sehen, dass außenpolitisch schon menarbeit haben . viel unternommen worden ist, um nach Lösungen zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten suchen . Man kann zwar kritisieren, dass wenig erreicht der CDU/CSU) worden ist . Aber ich glaube, der Bundesregierung und Ich schließe mich dem Dank vieler meiner Vorredner, insbesondere Frank-Walter Steinmeier vorzuwerfen, er insbesondere meines Kollegen Kiesewetter, an die Kom- hätte zu wenig getan, geht an der Realität vorbei . munen und die ehrenamtlichen Helfer an . Aber Städte (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wie meine Heimatstadt Mannheim, die überproportio- CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Und ist noch nal viele Armutsflüchtlinge aufnehmen und bereit sind, dazu auch eine Frechheit!) noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen, dürfen am Ende nicht die Leidtragenden eines Pingpongspiels zwischen Immerhin war er als einziger Außenminister mehrfach in der Staatskanzlei in und dem Bundesinnenmi- den Flüchtlingslagern, und er war auch derjenige, der zu nisterium sein . Das würde im Endeffekt dazu führen, einer Konferenz nach Berlin eingeladen hat . dass milliardenschwere kommunale Investitionen auf der Ich habe in der letzten Haushaltswoche von einer Reise Strecke blieben . Das darf nicht sein; denn so versetzen der Kollegin Dagmar Wöhrl und mir nach Jordanien und wir Kommunen nicht in die Lage, das Flüchtlingspro- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12015

Stefan Rebmann (A) blem konstruktiv zu lösen . Kämpfen und streiten wir alle Putin hat als jahrelanger Verbündeter von Assad – (C) dafür, dass die Ansätze für humanitäre Hilfe und Ent- Russland war auch schon mit Assads Vater verbündet – wicklungspolitik deutliche Aufwüchse erfahren . Eigeninteressen . Er hat das Eigeninteresse, eine Strategie für eine mögliche Neuordnung am Ende des Krieges zu Danke . entwickeln . Er hofft natürlich auch, mit dieser Strategie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf die Weltbühne zurückzukommen, um so von Sank- der CDU/CSU) tionen befreit zu werden, die gegen sein Land als Folge seiner Repressionen gegenüber der Ukraine und der An- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nexion der Krim verhängt worden sind . Natürlich spielt Vielen Dank .– Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion auch der IS eine Rolle; aber das ist für ihn nicht primär . hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl . Wir sind froh, dass inzwischen auch Saudi-Arabien (Beifall bei der CDU/CSU) und die Türkei bereit sind, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen . Wir müssen hier allerdings auf die Türkei aufpassen und auf die Türkei einwirken – Erdogan wird Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): am 5 . Oktober dieses Jahres nach Brüssel kommen –, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- dass sie sich die Bekämpfung des IS nicht gleichzeitig gen! Viereinhalb Jahre ist es inzwischen her, dass die für den Krieg gegen die Kurden zunutze macht . Syrien-Krise begann . Viereinhalb Jahre mit mehr als 280 000 Toten und 13 Millionen Flüchtlingen . Davon Der IS kontrolliert inzwischen 50 Prozent des gesam- werden bis zum Ende des Jahres laut der Vereinten Na- ten Territoriums Syriens, das Assad-Regime nur noch tionen 4,7 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern etwa ein Drittel. Ich glaube, der Syrien-Konflikt wird Jordanien, Libanon und der Türkei unterkommen . nicht ohne Hilfe zu lösen sein, weder durch Bombardie- rungen von außen noch durch die Unterstützung beson- Ein Problem ist, dass nicht mehr genug Nahrungsmit- derer Gruppen im Inneren . Das wird vor allem durch die tel zur Verfügung gestellt werden können, dass nur noch vollständige Fragmentierung der Opposition deutlich . 40 Prozent des für die Familien und Kinder Notwendigen da ist . Kinder werden von der Schule genommen, damit Es gab nach zwei Jahren ein erstes Treffen zwischen sie arbeiten gehen und Geld wenigstens für die notwen- den Außenministern der Vereinigten Staaten von Ameri- digsten Nahrungsmittel verdienen können . ka und Russland in Sotschi, bei dem man eine Strategie zur Bekämpfung des IS diskutiert hat . Auch wenn Kerry Ich glaube, wir versuchen von Deutschland aus, das anschließend gesagt hat, es gehe nicht um eine Zusam- Beste zu tun . Wir sind einer der größten Finanziers in menarbeit, sondern nur um eine Konfliktlösung, ist das, (B) diesem Bereich . Allein das BMZ hat seit 2012 über glaube ich, egal . Denn man hat hier ein gemeinsames (D) 1 Milliarde Euro in diese Region investiert . Das geht von Ziel erkannt, den IS zu bekämpfen . Wir brauchen hier die Abwasserentsorgungen über humanitäre Hilfe und vie- Vereinigung der Kräfte . Zu sagen: „Okay, USA, kümme- les, vieles andere mehr . Aber wir wissen natürlich auch, re dich um den Nahen Osten, und Europa kümmert sich dass die Fluchtbewegungen nicht abreißen werden, so- um die Ukraine“, ist, glaube ich, in diesem Zusammen- lange dort die Sklavenhalter und die Kopfabschneider hang das falsche Denken . des ISIS ihr Unwesen treiben werden und solange Assad Fassbomben auf die eigene Bevölkerung wirft . Ich hoffe, dass die Chance besteht, unter dem Dach der Vereinten Nationen wenigstens einige, wenn auch (Beifall bei der CDU/CSU) nicht alle – dass das nicht möglich ist, wissen wir – an ei- Deswegen sind wir froh, dass ein bisschen Bewe- nen Tisch zu bekommen . Sicherlich wird die zukünftige gung in die diplomatischen Verhandlungen zu kommen Rolle Assads dabei eine wichtige Frage sein; man kommt scheint . Wir sind froh, dass nach Washingtons jahrzehn- daran nicht vorbei . Aber wir wissen auch: Um Frieden zu telanger Strategie der Isolation Teherans das Nuklea- erreichen, nützt es nichts, wenn man allein mit Freunden rabkommen mit dem Iran auch unter Mitwirkung von redet, sondern man muss auch mit den Feinden reden . Russland zustande gekommen ist . Das schafft die Chan- Das heißt nicht, dass man Assad von seinen sämtlichen ce zur Flexibilität . Es schafft die Chance, dass man sich Untaten und Gräueltaten, die er begangen hat – er ist ja der Verursacher dieses Krieges in Syrien –, zukünftig international annähert . Wir wissen: Iran und Russland freisprechen kann und wird . sind die Patronatswächter von Assad . Wir wissen auch, dass Russland jahrelang alle Sanktionen, die der UN-Si- Wir sind froh, dass sich Erdogan mittlerweile das cherheitsrat gegen Assad hätte beschließen können, mit erste Mal bereit erklärt hat, nicht mehr die Kondition seinem Veto boykottiert hat . zu stellen, dass Friedensverhandlungen nur stattfinden, wenn Assad sofort abgelöst wird . Er hat sich heute bereit Jetzt verstärkt Russland in der Tat seine Militärprä- erklärt, diese Kondition nicht mehr zugrunde zu legen . senz . Wir erleben die größte Militäraktion Russlands Ich bin froh darüber; denn das heißt auch, dass die sy- außerhalb des exsowjetischen Raums seit einem Vier- rische Opposition von ihrem Nein, sich an den Tisch zu teljahrhundert . Warum macht Putin das? Bestimmt nicht setzen, vielleicht ein Stückchen abrückt . Wir brauchen wegen der Flüchtlinge; von denen hat er nämlich in den einen Waffenstillstand – auch wenn es nur eine Serie von letzten vier Jahren nur 2 000 aufgenommen . kleinen Waffenstillständen ist –, sodass wir endlich die (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da will ja auch Möglichkeit haben, zu erreichen, dass das Töten beendet keiner hin!) wird, dass humanitäre Hilfe erlaubt wird . 12 Millionen 12016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dagmar G. Wöhrl (A) Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewie- Ich will an dieser Stelle einen Aspekt erwähnen, näm- (C) sen . Wir kommen an 9 Prozent der Bevölkerung gar nicht lich dass wir in den vergangenen Monaten – vielleicht heran, weil große Teile des Gebiets, wo humanitäre Hilfe als eine gewisse Art Selbstschutzmechanismus, so muss notwendig ist, vom IS besetzt sind . 5,6 Millionen Kinder, man fast sagen – uns bei den außenpolitischen Proble- die Schwächsten der Schwachen, sind betroffen . Es gibt men immer nur auf das Thema, das gerade das aktuellste da keine Möglichkeit, auch nicht mit unseren Hilfsorga- war, fokussiert haben – das ist aber nicht richtig, weil nisationen, vor Ort an die Menschen, die Hilfe brauchen, die Wirklichkeit komplexer und vielschichtiger ist –: heranzukommen . Wir haben vorgestern über die Ukraine und gestern über Griechenland gesprochen, sprechen heute über Syrien Vizepräsidentin Ulla Schmidt: und morgen vielleicht über den afrikanischen Kontinent . Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Zeit . Die Zusammenhänge liegen aber auf der Hand . Deshalb müssen wir das Gesamtbild stärker im Blick behalten . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Vielen Dank; ich komme auch zum letzten Satz .– sowie des Abg . Niels Annen [SPD]) Wenn wir es schaffen, in den Verhandlungen zu errei- Es wäre falsch, glaube ich, heute hier an dem zu nör- chen, dass die Fassbombenangriffe von Assad auf seine geln, was in der Vergangenheit war, oder zu behaup- eigenen Leute aufhören, ich glaube, dann schaffen wir ten, man hätte irgendetwas besser gewusst . Ich glaube, es auch, die Fluchtursachen erheblich zu reduzieren . Die dass das falsch wäre, weil sich die Bundesregierung in Flüchtlinge haben nicht nur Anspruch darauf, dass man der Vergangenheit da sehr stark bemüht hat, nicht nur sich ihrer als Flüchtlinge annimmt, sondern sie haben auch Anspruch darauf, dass man den Krieg in ihrem Land der Bundesaußenminister, auch der Bundesminister für als Ursache der Fluchtbewegung sieht und ihn zu stoppen wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise, weil versucht . Ich glaube, Weltpolitik erlaubt keine Verweige- viel passiert ist – wir haben es in dieser Debatte schon rung, und danach sollten wir auch handeln . gehört – und weil es auch zutreffend ist, dass unsere Mittel und Möglichkeiten begrenzt sind . Wenn man auf Vielen Dank . der Grundlage einer wertebasierten, aber eben auch in- (Beifall bei der CDU/CSU) teressengeleiteten Außenpolitik Schlussfolgerungen zie- hen möchte, dann sind es drei Aspekte, die man dabei im Blick behalten sollte: Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank .– Als letzter Redner in dieser Aktuel- Erstens . Es geht zunächst einmal darum, unmittelba- (B) len Stunde erhält jetzt der Kollege Thorsten Frei, CDU/ re humanitäre Hilfe zu leisten . Es geht aus meiner Sicht (D) CSU-Fraktion, das Wort . auch darum, auf die Herausforderung der Flüchtlings- ströme, mit denen wir konfrontiert sind, nicht nur eine (Beifall bei der CDU/CSU) innenpolitische, sondern auch eine außenpolitische Ant- wort zu finden. Und da ist es natürlich ein Erfolg, dass Thorsten Frei (CDU/CSU): man vereinbart hat, 400 Millionen Euro zusätzlich für Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die Bekämpfung der Fluchtursachen zur Verfügung zu Wir haben in dieser Stunde über das bittere Fazit der stellen . Da ist es ein Erfolg, dass 1 Milliarde Euro aus vergangenen viereinhalb Jahre gesprochen, darüber, wie EU‑Mitteln zur Verfügung gestellt werden soll, wie ges- viele Menschen gestorben sind, und darüber, dass zwei tern Abend beschlossen wurde . Aber ich will auch sagen: Drittel der 23 Millionen Syrerinnen und Syrer innerhalb Das ist zu wenig . Das ist keine glaubwürdige außenpo- oder außerhalb des Landes auf der Flucht sind . Ja, es ist litische Antwort mit Blick auf das, was notwendig ist . richtig: Die Tatsache, dass große Flüchtlingsströme nach Deshalb sollten wir uns meines Erachtens auch in den Deutschland kommen, verändert den Fokus und zwingt Haushaltsberatungen noch einmal mit diesem Aspekt be- uns ein gutes Stück weit, auch unser außenpolitisches schäftigen . Denken und Handeln konstruktiv zu hinterfragen und zu überlegen, welche Schlüsse wir daraus ziehen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Wenn man sich anschaut, dass etwa die Hälfte der Menschen, die nach Europa kommen, ihren Asylantrag Zweitens will ich die Tatsache ansprechen, dass es – in Deutschland stellen, wenn man sieht, dass davon wie- das merkt man, wenn man sich die Reden auf der Mün- derum 48 Prozent Syrer sind oder sich jedenfalls als sol- chener Sicherheitskonferenz des vergangenen Jahres in che ausgeben, dann wird vor allen Dingen klar, dass das Erinnerung ruft – eine gewisse Diskrepanz zwischen Auswirkungen der Globalisierung sind, dass die starren Anspruch und Wirklichkeit gibt. Ich finde, der Anspruch, Grenzen zwischen Außen- und Innenpolitik verschwim- uns früher, entschiedener und substanzieller gemäß un- men und dass uns außenpolitische Handlungsnotwendig- serer Stärke und Kraft international einzubringen, ist keiten auch als ganz konkrete innenpolitische Herausfor- richtig . Aber dann muss man das auch glaubwürdig un- derungen vor die Füße fallen: in unserer Gesellschaft, in terlegen . Und das bedeutet eben auch, dass wir uns an unserem Land, vor Ort, in der Nachbarschaft von jedem die Finanzierungszusagen halten, die wir gegeben haben . Einzelnen von uns . Deshalb, glaube ich, müssen wir es Das gilt beispielsweise in der Entwicklungspolitik für als Gesamtheit angehen, wenn es darum gehen soll, eine das 0,7‑Prozent‑Ziel – auch angesichts dessen, was wir Lösung zu finden. in der Vergangenheit schon getan haben . Das gilt aber Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12017

Thorsten Frei (A) auch für das in der NATO vereinbarte 2‑Prozent‑Ziel im 850 Integrationsbetriebe, die wir derzeit in Deutschland (C) Bereich Sicherheit und Verteidigung . haben, sind eine wahre Erfolgsgeschichte . (Zuruf von der LINKEN: Nein! Dafür gilt es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eben nicht!) der CDU/CSU) An dieser Stelle müssen wir uns stärker engagieren und Sie sind 2001 von der damaligen schwarz-, nein, rot-grü- auf die künftigen Herausforderungen vorbereiten . Und es nen Regierung – herrje! – gilt letztlich auch im Bereich des Auswärtigen Amtes für (Dr . Matthias Bartke [SPD]: Ja, genau! – Bei- die Mittel der zivilen Krisenprävention – Stichwort „Sta- fall bei Abgeordneten der SPD) te Building“ . Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um mit diesen Dingen fertigzuwerden . im damals neuen SGB IX verankert worden, um Men- schen mit einer wesentlichen Behinderung eine Arbeits- Der dritte und letzte Aspekt, Frau Präsidentin, den ich möglichkeit im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt zu bie- ansprechen wollte: Ich glaube in der Tat – die Vorred- ten . ner haben es gesagt –, dass es ein Zeitfenster gibt, die Heute sind die, – wie gesagt, – rund 850 Integrations- zentralen Akteure an den Tisch zu bekommen . Das sind betriebe in Deutschland, die zwischen 25 und 50 Prozent neben den USA und Russland vor allen Dingen die Re- Menschen mit wesentlicher Behinderung beschäftigen, gionalmächte Iran und Saudi-Arabien sowie das Schlüs- Wirtschaftsunternehmen mit einer ganz besonderen so- selland Türkei . Wir sollten dieses Zeitfenster nutzen, und zialen Aufgabe . ich glaube, dass Deutschland eine konstruktive Rolle übernehmen kann, um in dieser schwierigen Situation zu Von den rund 22 000 Beschäftigten insgesamt sind vermitteln . etwa 10 000 Beschäftigte mit wesentlicher Behinderung . Es ist uns ein großes Anliegen, in dieser Legislatur den Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . inklusiven Arbeitsmarkt für Menschen mit wesentlicher (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Behinderung auszubauen und ihnen die Möglichkeit zu geben, aus unterschiedlichen Angeboten am Arbeits- markt auszuwählen . Da haben wir auf der einen Seite die Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sehr beschützten Werkstätten für behinderte Menschen . Vielen Dank . Wir haben auf der anderen Seite den allgemeinen Arbeits- markt, auf dem wir mit Lohnkostenzuschüssen und mit Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde ange- Mitteln zum Umbau des Arbeitsplatzes massiv Unterstüt- kommen . (B) zung leisten, und wir haben die Integrationsbetriebe als (D) Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes . Wir erleben, dass es heute zum Glück mehr Anträge auf Unterstützung, Beratung der Beschlussempfehlung und des Ausbau und Weiterentwicklung der Integrationsbetriebe Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozi- gibt, als wir in den letzten Jahren Mittel zur Verfügung ales (11 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- gestellt haben . Wir wollen diesen Ausbau vorantreiben . ordneten Uwe Schummer, Karl Schiewerling, Deshalb ist es gut, dass wir heute den Beschluss fassen Jutta Eckenbach, weiterer Abgeordneter und der wollen, den Integrationsämtern, die für die Förderung in Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten den Ländern zuständig sind, innerhalb der nächsten drei Kerstin Tack, Katja Mast, Dr . Matthias Bartke, Jahre 150 Millionen Euro zum Ausbau genau dieser so weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD wesentlichen und wichtigen Betriebe an die Hand zu ge- Integrationsbetriebe fördern – Neue Chancen ben . für schwerbehinderte Menschen auf dem ers- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ten Arbeitsmarkt eröffnen Sie sind ein Baustein des inklusiven Arbeitsmarktes . Drucksachen 18/5377, 18/6086 Wir haben in dieser Legislatur noch mehr vor . Aber Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ein wesentlicher Meilenstein wird heute mit diesem An- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei- trag erreicht . Wir möchten, dass auch die Menschen, die nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr im allgemeinen, ersten Arbeitsmarkt, aus dem sie in der Re- Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Tack, gel kommen, eine Weiterbeschäftigung finden können, SPD-Fraktion . künftig in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe in einem Integrationsbetrieb eine Beschäftigung erhalten, Schummer [CDU/CSU]) entweder ganztags, halbtags oder – auch das verändern wir – als Zuverdienstbeschäftigung mit zwölf Stunden pro Woche . Denn für viele ist eine Arbeit in Halb‑ oder Kerstin Tack (SPD): Vollzeit aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und leistbar . Momentan liegt die Grenze für den Zuverdienst Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt kommen in den Integrationsbetrieben bei 15 Wochenstunden . Aber wir zu einem wirklich guten Thema, nämlich zum Aus- das ist für viele zu viel auf dem Weg der Integration in bau der Integrationsbetriebe in Deutschland . Die rund den allgemeinen Arbeitsmarkt . Deshalb werden wir mit 12018 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Kerstin Tack (A) diesem Antrag diese Grenze auf zwölf Stunden reduzie- Mittel für 10 000 Plätze für unterstützte Ausbildung zur (C) ren, damit noch mehr Menschen die Möglichkeit haben, Verfügung zu stellen, damit assistierte Ausbildung – von im Rahmen des ersten Arbeitsmarktes einen Einstieg zu der Schule in die Ausbildung – auch für die Personen- erhalten . Ich glaube, das ist richtig . gruppe der wesentlich behinderten Menschen erfolgen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kann . Das ist ein richtiges, ein gutes Zeichen . Wir ver- der CDU/CSU) stehen Inklusion so, dass wir Menschen mit Behinderung mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, in Im Rahmen der neuen Vergaberichtlinie werden wir den ersten, allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren wollen, vorsehen, dass wir die Integrationsbetriebe, die wir für und zwar so viele wie möglich . besonders wichtig und unterstützungswürdig halten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugen können . Heute machen wir einen ganz wesentlichen Schritt in Wenn eine Kommune, ein Landkreis, ein Land oder der diese Richtung . Ich freue mich, dass wir uns fast alle ei- Bund öffentliche Aufträge zu vergeben hat, dann können nig sind. Ich finde es richtig schade, dass sich die Linke Integrationsbetriebe vorrangig von diesen Aufträgen pro- nicht entscheiden kann, den Ausbau der Integrationsbe- fitieren; denn sie sind ja ganz besonders schützenswert triebe zu unterstützen . und unterstützungswürdig . Das ist auch richtig und gut so . Damit stärken wir die Wirtschaftskraft genau dieser Herzlichen Dank . Unternehmen . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Schummer [CDU/CSU]) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Viele fragen: Was passiert, wenn die drei Jahre um Vielen Dank . – Ich darf alle Kolleginnen und Kolle- sind, die Anschubfinanzierung von 150 Millionen Euro gen noch einmal daran erinnern, dass wir bestimmte Re- verbraucht ist und wir dann weiteres Geld benötigen? dezeiten vereinbart haben, und möchte darum bitten, dass Wenn das der Fall ist, wovon wir ausgehen, werden wir wir sie einhalten . ab 2018 auch hierfür eine Lösung benötigen . Dieser Pro- Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Werner . blematik sind wir uns bewusst . Ich glaube, angesichts der neuen Beschäftigungsmöglichkeiten, die wir damit (Beifall bei der LINKEN) schaffen, werden wir auch die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung stellen . Katrin Werner (DIE LINKE): In unserem Antrag fordern wir auch, zu prüfen, ob Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen (B) weitere Zielgruppen in den Integrationsbetrieben künf- und Herren! Es wurde Zeit, dass Sie sich endlich des (D) tig Arbeitsmöglichkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt Themas annehmen und Integrationsbetriebe ausbau- erhalten können . Insbesondere die Langzeitarbeitslosen en und unterstützen wollen . Und dennoch, sehr geehrte könnten eine solche Zielgruppe sein . Regierungsmitglieder: Ihr Antrag greift viel zu kurz und Aber wir sind vorsichtig und sagen: Sie dürfen auf keinen kommt auch reichlich spät . Fall auf die Quote der behinderten Menschen angerech- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . net werden . Wenn im Einzelfall auch Langzeitarbeitslose Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in diese Betriebe hineinkönnen, dann dürfen für sie nicht NEN]) die Fördergelder, die für Menschen mit Behinderung vorgesehen sind, ausgegeben werden; vielmehr muss das Ehrlich gesagt, an manchen Stellen habe ich leider den aus Mitteln der BA erfolgen . Eindruck, dass auch ein bisschen Show dabei ist . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Show? Das ist der CDU/CSU) Ihr Metier!) Wir haben in dieser Legislatur noch mehr für den all- Sie benennen Integrationsunternehmen in „Inklusions- gemeinen und inklusiven Arbeitsmarkt vor . Wir merken, unternehmen“ um . Aber wenn es darum geht, „Integra- dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen tion“ durch „Inklusion“ im deutschen Gesetzestext für häufig nicht wissen, welche Unterstützungsmöglichkei- die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu ten sie bekommen können, wenn sie jemanden mit we- ersetzen, bleiben Sie stur . sentlicher Behinderung einstellen, welche Möglichkeiten sie beim Lohnkostenzuschuss haben, was ihnen die öf- Menschen mit Behinderung sind nach wie vor über- fentliche Hand zur Umgestaltung des Arbeitsplatzes gibt, durchschnittlich oft arbeitslos, und das meist auch sehr und vieles mehr . Deshalb haben wir zum Beispiel mit der lange . Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die Kampagne „Wirtschaft inklusiv“ Extragelder zur Verfü- nichtbehinderter Menschen, und die Anzahl der Men- gung gestellt, damit genau diese Klarstellung erfolgen schen in Werkstätten nimmt ständig zu . Menschen mit kann . Wer nicht weiß, dass und wie er unterstützt wird, Behinderung werden bei der Teilhabe am Arbeitsleben hat auch größere Schwierigkeiten damit, sich für die Ein- ganz klar diskriminiert . Viele junge Menschen mit Be- stellung schwerbehinderter Menschen zu entscheiden . hinderung sind ausgezeichnet ausgebildet . Vor Arbeitslo- Ich will auch sagen, dass es gut ist, dass die Bundesre- sigkeit schützt sie aber auch eine gute Ausbildung nicht . gierung bereits vor einigen Monaten entschieden hat, die Deshalb sind Integrationsbetriebe bei der Integration von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12019

Katrin Werner (A) Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt ben im Monat 105 Euro zusätzlich . Das ist keine gerechte (C) unverzichtbar . Entlohnung, und dagegen verwahren wir uns . (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Meine Damen und Herren, 180 Euro monatlich für die Albert Stegemann [CDU/CSU]) tägliche Arbeit sind diskriminierend und viel zu wenig, Sie eröffnen berufliche Perspektiven. Sie tragen wegwei- um davon zu leben . send zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben von (Katja Mast [SPD]: Darum geht es hier doch Menschen mit Behinderung bei . gar nicht! – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Ich 800 Integrationsunternehmen sind einfach nicht ge- dachte, wir reden hier über Integrationsbetrie- nug . Da gebe ich Ihnen völlig Recht . be!) (Kerstin Tack [SPD]: Das ist der Grund zur – Dann hören Sie doch bis zum Ende zu! – Alle Men- Ablehnung?) schen haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben . Sie haben das Recht, eine tarifliche Entlohnung zu erhal- Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren der Ko- ten und damit ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren zu alition, Integrationsbetriebe dürfen nicht zum Verschie- können . Deshalb will die Linke bei der Umstrukturierung bebahnhof für Menschen werden, die von der Teilhabe des Arbeitsmarktes für Menschen mit Behinderung ne- am Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind . Die Teilhabe von ben einer unbefristeten Förderung von Integrationsbe- langzeitarbeitslosen Menschen ohne Schwerbehinderung trieben vor allem dreierlei erreichen: am ersten Arbeitsmarkt darf auf keinen Fall auf Kosten der Inklusion von Menschen mit Behinderung gehen . Es Wir wollen – erstens – Integrationsbetriebe nicht nur darf nicht zur Verdrängung kommen . durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge för- dern, sondern sie zusätzlich und langfristig durch Inves- (Beifall bei der LINKEN) titionsförderungen und Steuerentlastungen in der Grün- Die Förderung von Langzeitarbeitslosen ohne Schwer- dungsphase unterstützen . behinderung in Integrationsbetrieben aus Mitteln der Wir wollen – zweitens – ein Budget für Arbeit, das es Ausgleichsabgabe lehnen wir strikt ab . Und damit sind jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin erlaubt, wir nicht alleine . Wieso befristen Sie die jährliche Förde- den Arbeitsplatz frei zu wählen . rung von 50 Millionen Euro bis zum Jahr 2017, wenn – Und wir wollen – drittens – eine unabhängige Bera- Frau Tack, Sie sagten es – Sie heute schon wissen, dass (B) tung durch Menschen mit Behinderung, die alle Betrof- (D) es nicht ausreicht? Wie soll denn in so einem kurzen Zeit- fenen beim Zugang zu Integrationsbetrieben unterstützt . raum eine nachhaltige Entwicklung möglich sein? War- Damit meinen wir vor allen Dingen eine Beratung für um planen Sie nicht von vornherein mehr Geld ein? Sie Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten tätig sind . nehmen das Geld aus dem Topf der Ausgleichsabgabe, aus dem in absehbarer Zeit nichts mehr zu greifen ist . (Beifall bei der LINKEN) Sie wollen den für eine Förderung durch das Integ- Sehr geehrte Mitglieder der Regierungskoalition, un- rationsamt erforderlichen Mindestbeschäftigungsumfang sere Vorschläge liegen auf dem Tisch . Wenn Sie sie auf- von 15 Stunden ausnahmslos auf 12 Stunden kürzen . greifen wollen, sind wir Ihnen gerne behilflich. Wir wer- Aber wissen Sie, was Sie damit auch tun? Sie fördern den uns bei der Abstimmung über den Antrag enthalten . weiter prekäre Arbeitsverhältnisse und treiben damit (Katja Mast [SPD]: Beim Mindestlohn ent- Menschen in Altersarmut . Das kann nicht wirklich Ihr halten, bei Integrationsbetrieben enthalten!) Ernst sein . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . (Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Das ist eine Logik!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eine eingleisige finanzielle Förderung der Integrati- onsbetriebe reicht absolut nicht aus . Wir brauchen paral- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: lel dazu eine strukturelle, schrittweise Umgestaltung des Vielen Dank . – Nächster Redner für die CDU/ gesamten Werkstattsystems, so wie wir es in unserem CSU-Fraktion ist der Kollege Uwe Schummer . Antrag „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“ fordern . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Noch immer liegt der durchschnittliche Lohn der etwa 300 000 Menschen, die in einer Werkstatt tätig (CDU/CSU): sind, bei circa 180 Euro monatlich, und das oft bei ei- Uwe Schummer nem Achtstundentag . Sie kennen das: Wir alle erhalten Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Bürgerschreiben . Neulich bekam ich einen Brief, in dem Kollegin Werner, die einzige Show, die es heute bei die- mir ein Mann berichtete, dass ihm jeden Tag pauschal sem Thema gab, kam von Ihnen . 2,50 Euro für sein Essen abgezogen werden . Damit sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und circa 75 Euro von den 180 Euro weg . Das heißt, ihm blei- SPD) 12020 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Uwe Schummer (A) Sie haben nicht zum Thema, nämlich Integrationsfirmen, Informationskampagne, und zwar eine positive und kei- (C) geredet . Stattdessen haben Sie einen Standardvortrag ne, die nach dem Motto verfährt: Sei nett, beschäftige gehalten, den Sie wahrscheinlich seit zwei, drei Jahren einen behinderten Menschen . – Vielmehr muss deutlich in der Schublade haben . Es wäre schön gewesen, wenn gemacht werden: Das sind Menschen mit Potenzial . Die Sie zumindest jetzt, wo wir gemeinsam 150 Millionen müssen auch in Ihrem Unternehmen eine Chance haben . Euro für die Förderung von Integrationsunternehmen in Jeder Unternehmer, der das nicht erkennt, ist ein schlech- die Hand nehmen wollen, ein Stück weit pragmatisch ge- ter Unternehmer . wesen wären und im Sinne der Betroffenen zum Thema geredet hätten . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Bernhard Kaster [CDU/CSU]) Wir fördern die Integrationsunternehmen – es sind 850, wie Kerstin Tack eben gesagt hat – bisher mit Wir müssen mit den positiven Eigenschaften und Fähig- 68 Millionen Euro pro Jahr . Diese 68 Millionen Euro keiten werben, um die Entwicklung auf dem inklusiven werden in den nächsten drei Jahren mit Bundesmitteln Arbeitsmarkt voranzutreiben . aus der Ausgleichsabgabe um jeweils 50 Millionen Euro Lotsenboote auf diesem ersten Arbeitsmarkt sind die aufgestockt . Natürlich wird es so sein, dass wir in die- Integrationsfirmen, die zeigen, dass sie auch bei einer sem Jahr nicht die gesamten 50 Millionen Euro verge- Behindertenquote von 25, 30 oder 40 Prozent in ihren ben können; aber dieses Geld wird dann auf die nächsten Belegschaften effizient arbeiten können. Die Bundesar- beiden Jahre übertragen, sodass insgesamt auf jeden Fall beitsgemeinschaft Integrationsfirmen hat nachgewiesen, 150 Millionen Euro für die Förderung der Integrations- dass die Insolvenzrate bei den Integrationsfirmen gerin- unternehmen zusammenkommen und ihre segensreiche ger ist als in der übrigen Wirtschaft, weil die Beschäf- Wirkung entfalten werden . tigten motiviert sind und sich sehr stark mit dem Unter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- nehmen identifizieren. Das zeigt, dass der soziale Frieden wie der Abg . Kerstin Tack [SPD] und Gabriele durchaus eine produktive Kraft hat . Damit haben sie Vor- Hiller-Ohm [SPD]) bildcharakter für alle anderen Unternehmen auf dem ers- ten Arbeitsmarkt . Diese Lotsenboote, die auch für größe- Das ist dann keine Show, sondern Praxis, praktische Ar- re Unternehmen Vorbildcharakter haben, wollen wir mit beit für die Menschen . dem Förderprogramm des Bundes in besonderer Weise Wir hatten gestern eine Präsentation dieses Antrages, fördern und dafür sorgen, dass sie in der Wirtschaft und gemeinsam mit Herrn Dr . Baur von der Bundesarbeitsge- in den Unternehmen Schule machen . meinschaft Integrationsfirmen. Mit der Bundesarbeitsge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) meinschaft Integrationsfirmen ist dieses Thema aufgear- (B) beitet worden . Sie hat uns klar und eindeutig unterstützt Die Integrationsfirmen sind in allen Bereichen ange- (D) und Dankeschön dafür gesagt, dass die Große Koalition siedelt: von der Produktion über Dienstleistungen bis hin jetzt dieses Zeichen aus dem Parlament heraus setzt . Wir zu Gartenbau . Auch bei der Zeitarbeit gibt es Dienstleis- werden in den weiteren Beratungen bis Anfang nächsten tungs- und Service-GmbHs, die sehr vorbildlich arbeiten . Jahres den Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes entwi- ckeln, das vorsieht, über das Budget für Arbeit und ande- Ich bin überzeugt: Durch unsere Mobilisierung wird re Instrumente die Förderung der Inklusion auf dem ers- sich die Zahl der 850 Integrationsfirmen in den nächsten ten Arbeitsmarkt weiter zu verstetigen und auszubauen . vier Jahren auf 1 600 oder 1 700 verdoppeln . Der „Da- vid“, den wir heute vor uns haben, wird heranwachsen Insgesamt 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte und vor allen Dingen auf dem ersten Arbeitsmarkt viel in Menschen arbeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt . 300 000 Bewegung setzen . wesentlich behinderte Menschen sind in Werkstätten tätig. Es gibt 850 Integrationsfirmen. Ich glaube nicht, Wir müssen das Thema Minderleistungsausgleich in dass Bußgelder oder Strafandrohungen der richtige Weg Beschäftigungsverhältnissen dauerhaft klären; wir sind sind, um mehr Unternehmer zu motivieren, anerkannt bereits auf dem Weg . Die Förderung durch die Vergabe schwerbehinderte Menschen einzustellen oder weiter zu öffentlicher Aufträge ist ein weiterer Baustein, um diese beschäftigen . Ich glaube, dass diese Menschen Potenzi- Unternehmen zu unterstützen . Durch ihren sozialen Cha- ale haben, und diese Potenziale müssen wir benennen . rakter kommen sie für kommunale, Landes- und Bundes- Wir müssen uns überlegen, wie wir unterstützen können, aufträge hervorragend in Betracht . Auch das europäische wie wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten können, auch für Vergaberecht ist hier kein Hindernis . Vielmehr können Unternehmen, wenn technische Umbauarbeiten notwen- wir mit öffentlichen Aufträgen die Integrationsfirmen dig sind . Wir werden die „Unterstützte Beschäftigung“ oder auch Integrationsabteilungen in den Unternehmen weiter ausbauen, sodass möglichst viele behinderte gezielt unterstützen . Menschen inklusiv auf dem ersten Arbeitsmarkt unterge- Wir wollen auch den Ausbildungsort Integrationsfir- bracht werden können . ma stärken . Ohne die verschiedenen Systeme vermischen Es ist zu wenig bekannt, dass in diesem Bereich Po- zu wollen – SGB II für Langzeitarbeitslose auf der einen tenziale zu heben sind . Zu viele haben noch Vorbehalte Seite, Eingliederungshilfe und Ausgleichsabgabe auf der und Bedenken . Sie haben Angst, dass sie mit technischen anderen Seite –: Warum sollen nicht auch ältere Lang- Problemen, mit Umbaumaßnahmen und mit der erfor- zeitarbeitslose, die viel Erfahrung haben, einen Ausbil- derlichen Assistenz alleine gelassen werden . Deshalb ist derschein erwerben können, um in den Integrationsfir- die Assistierte Ausbildung so wichtig . Wir brauchen eine men Ausbildungsgänge durchzuführen? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12021

Uwe Schummer (A) Es gibt oftmals eine Kette: von der Förderschule rein Beschluss kommen zu einer in der Tat wichtigen Angele- (C) in die Werkstatt, und dort kommt man dann nicht mehr genheit: Integrationsfirmen zu fördern und eine Perspek- raus . Das ist oftmals bei lernbehinderten jungen Men- tive für die nächsten drei Jahre abzusichern . schen der Fall . Es gibt Bausteine, zweijährige Ausbil- Frau Tack, wenn Sie hier von „Meilenstein“ reden, dungsberufe und andere Möglichkeiten, für eine Qualifi- dann finde ich das ein Stück weit überhöht – ich kom- kation in Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt . Wir me gleich dazu –, weil dieser Antrag selbstverständlich wollen Langzeitarbeitslose, aber auch behinderte junge auch noch Probleme in sich birgt und noch nicht die Menschen zusammenführen und dafür sorgen, dass der Lösung ist für die Finanzierung der Integrationsbetriebe Ausbildungsort Integrationsunternehmen gestärkt wird . und weil die Frage eines inklusiven Arbeitsmarktes – mit Ich habe in Plauen in Sachsen ein Integrationshotel Verlaub – eine bedeutendere Frage ist als die Diskussion besucht, in dem gemeinsam mit einer Rehaeinrichtung über 4 500 zusätzliche Plätze in ganz Deutschland . solche Ausbildungsgänge angeboten werden . Die arbei- In absoluten Zahlen gesehen ist es in der Tat so, dass ten effizient, sind auf dem ersten Arbeitsmarkt vertreten Integrationsfirmen in ihrer Bedeutung überschaubar und schaffen neue Potenziale und Perspektiven für junge sind. Es sind bundesweit 800 Integrationsfirmen. Es sind Menschen . 11 000 Plätze für Menschen mit teilweise schweren Be- In meinem Bundestagsbüro arbeite ich mit einer Re- hinderungen, die dort einen sozialversicherungspflichti- haeinrichtung aus Berlin zusammen . Ich habe regelmäßig gen – das ist wichtig – Arbeitsplatz gefunden haben . Die Praktikanten, die psychisch, die seelisch erkrankt sind . Bedeutung dieser Integrationsfirmen geht aber über den Dieses Thema wird im Übrigen durch die Fluchtbewe- Anschein dieser lediglich 800 Firmen deutlich hinaus . gungen an Bedeutung zunehmen . Oftmals ist es so, dass Sie zeigen nämlich, wie es geht . Sie haben über drei Jahr- diese Praktikanten an zwei Tagen exzellent arbeiten und zehnte Erfahrungen mit der Beschäftigung schwerbehin- sich hervorragend einsetzen, aber am dritten Tag sagen: derter Menschen . Sie machen das nicht erst seit gestern, Tut mir leid . Heute geht es nicht . sondern schon seit mehr als 30 Jahren . Sie stehen im Wettbewerb mit anderen Unternehmen . Sie zeigen, dass Für ein klassisches Unternehmen ist es natürlich Menschen mit Behinderung zum wirtschaftlichen Erfolg schwierig, das einzuschätzen . Trotzdem müssen wir beitragen können . über Integrationsfirmen Arbeitszeitmodelle und Gesund- heitsmodelle entwickeln, mit denen wir das Potenzial an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den zwei Tagen nutzen und dann weiter aufbauen und sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Menschen nicht in die Werkstatt verschieben . Das ist der SPD) eine gemeinsame Anstrengung. Integrationsfirmen kön- (B) Die Finanzierung über die Ausgleichsabgabe bleibt in (D) nen modellhaft für die übrige Wirtschaft solche Arbeits- der Tat ein Problem, weil dadurch eine immanente De- zeitsysteme entwickeln . ckelung geschaffen wird . Jetzt muss ich einige Anmer- Daher ist der heutige Tag ein guter Tag für die Inklusi- kungen an Sie richten. Unser Bundesfinanzminister hat on und für die Integrationsfirmen. Es wäre gut gewesen, zu Beginn der Sommerpause gefordert, die Ausgleich- wenn wir dazu einstimmig ein klares positives Votum ge- sabgabe zu verdoppeln . Ich habe noch nicht gehört, dass setzt hätten . Das kann man eigentlich nur unterstützen . das hier aufgenommen worden ist . Im Gegenteil: Im Pe- Ich bin sicher, dass wir diese produktive Kraft der so- titionsausschuss haben Sie als Regierungskoalition eine zialen Teilhabe, die von den Integrationsfirmen ausgeht, Petition abgelehnt, mit der genau das gefordert worden weiter stärken werden und dass wir damit auch einen ist . Konkret ging es noch nicht einmal um eine Verdoppe- Punkt setzen, sodass man sagen kann: Gut, dass es diesen lung, sondern um eine Erhöhung . Dazu muss ich sagen, Antrag gibt . Gut, dass wir ihn umgesetzt haben . dass das einfach bigott ist . Ich möchte, dass Sie hier und auch im Petitionsausschuss dazu stehen und diese Forde- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rung mittragen; denn das wäre tatsächlich wichtig für die Stabilisierung des Systems der Integrationsfirmen. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank .– Als Nächstes hat die Kollegin Corinna sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Wir stellen fest, dass diese Firmen schon längst an die (Uwe Schummer [CDU/CSU]: Sag nichts Grenze gekommen sind, was den Ausbau an Plätzen an- Falsches!) geht .

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das gilt zum Beispiel für Nordrhein-Westfalen . Herr Schummer, Sie wissen das . Ich glaube, das ist eine Trieb- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- feder für Sie . Ich glaube, dass Sie das mobilisiert hat, was legen! Liebe Gäste! Herr Schummer, so einfach werde ich Ihnen sehr hoch anrechne . Wir brauchen aber sehr ich es Ihnen jetzt nicht machen . viel mehr inklusive Angebote . Wir brauchen Alternati- In den vergangenen mehr als anderthalb Jahren habe ven . Wir müssen nicht nur Alternativen zum Werkstatt- ich von dieser Stelle aus oft geschimpft, weil hier behin- platz schaffen, sondern wir müssen die Werkstätten ins- dertenpolitisch viel diskutiert worden ist, im Endeffekt gesamt transformieren und zu einem Teil des inklusiven aber nichts dabei herumgekommen ist . Insofern muss ich Arbeitsmarktes umgestalten . Das ist doch die Aufgabe . Ihnen anrechnen, dass wir heute endlich einmal zu einem Dazu können Integrationsfirmen einen ganz wichtigen 12022 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Corinna Rüffer (A) Beitrag leisten. Insofern finde ich das Bild vom Lotsen- Leuchttürme, Leuchttürme der Inklusion auf dem allge- (C) boot ziemlich gelungen, weil es Orientierung bietet, weil meinen Arbeitsmarkt . es eine Richtung aufzeigt . Weil dieser Antrag – das kann (Beifall bei der SPD) man nicht vom Tisch wischen – in die richtige Richtung geht, werden wir diesem Antrag zustimmen . Genau das ist der Grund, warum wir nicht nur in Nord- deutschland Integrationsbetriebe ausbauen wollen . Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Koalitionsfraktionen wollen Integrationsbetriebe künftig und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der mit 150 Millionen Euro fördern . Das ist viel Geld, Frau CDU/CSU) Werner . Das ist keine Show . 150 Millionen Euro sind, gemessen an der Zahl, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie gerade genannt haben – zurzeit 68 Millionen jähr- der CDU/CSU) lich –, kein Pappenstiel; das geht in Richtung Verdoppe- lung . Das ist zwar immer noch zu wenig, aber eine Haus- Warum wollen wir das? Integrationsbetriebe agieren nummer, mit der man arbeiten kann . wirtschaftlich . Sie tun das erfolgreich, und sie haben ei- nen klaren sozialen Auftrag . Sie bieten Menschen mit Jetzt will ich aber doch etwas Wasser in den Wein gie- Behinderung einen Arbeitsplatz, aber nicht irgendeinen, ßen, was mir als Mosel-Bewohnerin besonders schwer- sie bieten ihnen einen sozialversicherungspflichtigen fällt . Ich verstehe nicht, warum Sie die Hinweise und Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt; Frau Vorschläge in den wohlwollenden Stellungnahmen vieler Rüffer hat das eben ausgeführt . Verbände nicht aufgegriffen haben, so vom Sozialver- band Deutschland, vom Paritätischen Wohlfahrtsver- Integrationsbetriebe sind eine wichtige Ergänzung zu band, von der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrations- den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, eine Er- gänzung, die für viele genau richtig ist; denn Menschen firmen, in deren Beirat wir gemeinsam sitzen und über mit Behinderung sind zuverlässige und motivierte Mit- diese Themen intensiv diskutieren . Ich verstehe nicht, arbeiter und Mitarbeiterinnen . Arbeitslose Menschen mit warum wir über diese Vorschläge und Hinweise nicht Behinderung sind häufig gut ausgebildet, haben es aber noch einmal diskutiert haben, warum wir nicht nach einer trotzdem deutlich schwerer, in Arbeit zu kommen, als Anhörung versucht haben, diesen Antrag gemeinsam zu Nichtbehinderte . Wer gestern beim Parlamentarischen verbessern . An verschiedenen Stellen hätten wir Ände- Abend des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenver- rungen vornehmen sollen . bandes war, weiß, wovon ich spreche . Das war eine sehr Es geht hier – das muss man sich klarmachen – um eindrucksvolle Veranstaltung . eine Anschubfinanzierung, mit der bestimmte Probleme (B) Menschen mit Behinderung machen einen guten Job . (D) verbunden sind: Die Anschlussfinanzierung ist nicht ge- Alles, was sie brauchen, ist häufig nur ein geeigneter Ar- sichert, die Öffnung für Langzeitarbeitslose birgt Fragen, beitsplatz . In meiner Heimatstadt Hamburg lief dafür von auch die Vergabe öffentlicher Aufträge . Aus Zeitman- 2012 bis 2014 das Modellprojekt „Raus aus der Werk- gel – ich habe nicht so viel Redezeit wie Sie – kann ich statt, rein in den Betrieb!“ . das leider nicht näher ausführen . Die Bundesregierung – das ist der springende Punkt – spricht ständig von Be- (Katrin Werner [DIE LINKE]: Genau! Raus teiligung . Immer, wenn es um das Bundesteilhabegesetz aus der Werkstatt!) geht, immer wenn es um behindertenpolitische Initiativen – Ja, ist ja richtig . – Dabei wurden dauerhafte Lohn- geht, geht es um Beteiligung . Sie sagen immer: Nichts subventionierung, Prämien für Arbeitgeber und berufli- ohne uns . – Ich frage mich: Warum gilt das nicht auch in che Assistenzleistungen gestellt . Das Projekt hat große diesem Fall? Warum waren wir nicht gemeinsam in der Wirkung gezeigt: Über 100 Menschen mit Behinderung Lage, diesen Antrag an bestimmten Stellen wesentlich zu haben auf diesem Weg einen Arbeitsplatz in einem Inte- verbessern? grationsbetrieb bekommen . In diesem Jahr hat der Ham- burger Senat das Modellprojekt in eine Regelförderung Vielen Dank . überführt . Das Projekt zeigt uns erneut, welche Möglich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keiten wir durch gezielte Förderung auftun können . sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Seit Jahren wird in Integrationsbetrieben Teilhabe am Arbeitsmarkt und Inklusion schon gelebt – ein echtes Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vorbild . Die UNBehindertenrechtskonvention gibt uns Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Dr .Matthias den Anreiz, dieses Vorbild voranzutreiben . Mit der UN- Bartke, SPD-Fraktion, das Wort . Konvention geben wir uns aber auch den Anspruch, den Integrationsbetrieben einen neuen Namen zu geben . Was (Beifall bei der SPD) sie leisten, ist Inklusion, und deswegen sollen sie auch so heißen: Inklusionsbetriebe . Dr. Matthias Bartke (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Mein der CDU/CSU) Wahlkreis ist Hamburg-Altona, und da sind Leuchttürme Mit den veranschlagten 150 Millionen Euro können nie ganz weit weg. Vielleicht finde ich Integrationsbetrie- wir bis zu 4 500 neue Arbeitsplätze in Integrationsbetrie- be deshalb so gut; denn Integrationsbetriebe sind auch ben schaffen, 4 500 neue Arbeitsplätze für echte Inklusi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12023

Dr. Matthias Bartke (A) on . Integrationsbetriebe schaffen nicht nur einen Mehr- Wenn in diesen Tagen die großen Arbeitgeberverbän- (C) wert für die gesamte Gesellschaft . Sie tragen dafür auch de mit großer Leidenschaft und öffentlichkeitswirksam besondere Kosten . Hierfür erhalten sie Gelder von Integ- sagen, dass sie sich freuen über die vielen Flüchtlinge, rationsämtern . Die Gelder reichen bisher aber nicht aus . die in unser Land kommen, weil sie helfen können, un- Daher konnten in der Vergangenheit nicht alle Anträge seren Fachkräftemangel zu beheben, dann würde ich auf Neugründung oder Erweiterung genehmigt werden; mir wünschen, dass die großen Arbeitgeberverbände mit Frau Tack hat das ausgeführt . Das ist verschenktes Poten- gleicher Leidenschaft und ebenso öffentlichkeitswirksam zial . Dem stellen wir diesen Antrag entgegen . sagen, dass sie sich freuen über die vielen Menschen mit Handicap in unserem Land, die hochqualifiziert sind und Wir wollen nicht nur, dass Integrationsbetriebe ange- ein Potenzial darstellen, das bisher nicht gehoben wurde . schoben werden, sondern wir wollen auch, dass sie im Wettbewerb bestehen können . Deshalb: Bei der Vergabe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- von öffentlichen Aufträgen sollen Integrationsbetriebe wie bei Abgeordneten der LINKEN) neben WfbMs künftig bevorzugt berücksichtigt werden . Ich selbst war jetzt nicht unter den 100 Abgeordneten, Das europäische Vergaberecht ermöglicht eine solche die in diesen Tagen in die Integrationsfirmen gegangen Bevorzugung . Voraussetzung dafür ist die soziale und sind . Ich kenne aber die Unternehmen in meiner Hei- berufliche Integration von Menschen mit Behinderung matstadt sehr gut . Weit weg von Hamburg, Herr Kollege als Hauptzweck des Betriebes, also genau das, was In- Bartke, im Binnenland von Regensburg, gibt es zum Bei- tegrationsbetriebe machen . Es ist also höchste Zeit, das spiel vier solcher Leuchttürme . zu nutzen . (Dr . Matthias Bartke [SPD]: Am Fluss!) Meine Damen und Herren, gestärkte Integrationsbe- triebe haben die Chance, Menschen mit ihren individu- – Am Fluss, ja, das ist richtig, aber da stehen keine ellen Stärken und Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu Leuchttürme .– Ich schätze diese Unternehmen auch stellen. Davon profitieren die Betriebe, aber natürlich vor deswegen, weil ich ihre Dienstleistungen und Angebote allem die Beschäftigten selbst . schon lange und immer wieder gerne in Anspruch neh- me, sei es, um vom Werkhof der Diakonie einen Baum Ich danke Ihnen . pflanzen, Pflaster verlegen oder einen Gartenzaun hoch- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ziehen zu lassen oder bei labora, der Integrationsfirma in der Kantine des Rathauses in Regensburg, zu essen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich kann Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Vielen Dank .– Für die CDU/CSU-Fraktion spricht versichern: Das, was die Integrationsbetriebe leisten, ist (B) jetzt Dr .Astrid Freudenstein . allerbeste Arbeit . (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Aber allein das Loblied zu singen, wäre zu wenig . Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Viele Integrationsfirmen haben eine lange und auch recht und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere heutige wechselhafte Geschichte hinter sich . Viele haben auch Debatte und Beschlussfassung wird ja von einer kleinen nicht erst als Integrationsbetriebe begonnen, sondern PR-Kampagne der Bundesarbeitsgemeinschaft Integrati- waren vorher schon als Sozialunternehmen aktiv . Viele onsfirmen flankiert. Sie hat die Politik angeschrieben und wurden von den Betreibern von Behindertenwerkstätten eingeladen, in diesen Wochen Integrationsbetriebe zu be- ausgegründet . Zwei der Integrationsunternehmen in mei- suchen . Immerhin mehr als 100 Abgeordnete sind dieser nem Wahlkreis, retex und der Werkhof, haben schon ihr Einladung gefolgt und haben sich in der vergangenen 30-jähriges Bestehen als sozial agierendes Unternehmen Woche und in dieser Woche einen Integrationsbetrieb an- gefeiert . Da lief natürlich nicht immer alles ganz glatt . geschaut. Dies ist, wie ich finde, eine schöne Aktion, die Der Werkhof hat zuerst ältere arbeitslose Handwerker gut zu unserem Antrag passt, der auch gut und richtig ist . beschäftigt, später waren es junge Arbeitslose, und dann kamen die behinderten Menschen dazu . Jetzt wissen wir, (Beifall bei der CDU/CSU) wie gut diese Integrationsfirmen arbeiten, und wünschen Die gut 800 Integrationsbetriebe in Deutschland gel- uns, dass sie mehr Menschen Arbeit geben . Ich bin ganz ten völlig zu Recht als Vorzeigeprojekte der Inklusion, sicher, dass diese Firmen das schaffen werden, weil sie weil sie sozialversicherungspflichtige Stellen auf dem auch bisher eine ganze Reihe von Problemen gut gemeis- allgemeinen Arbeitsmarkt bieten, und zwar inzwischen tert haben . Viele haben ihr Angebot verändern müssen für mehr als 10 000 behinderte und etwa ebenso viele und es dem Markt angepasst . Es ist für die Integrations- nichtbehinderte Menschen . Sie zahlen den Mindestlohn betriebe eben nicht immer ganz einfach, kostendeckend und holen sich Aufträge auf dem freien Markt . Sie be- zu arbeiten und am Ende eine schwarze Null zu schrei- weisen auch, dass sich wirtschaftliches Handeln und die ben . Beschäftigung behinderter Menschen nicht ausschließen . Der Mindestlohn – auch dies gehört zur Wahrheit – Integrationsbetriebe zeigen so auch, dass die Befürchtun- war zunächst eine große Herausforderung für die Integ- gen und Ängste, die es in vielen Unternehmen gibt, wenn rationsunternehmen . Umso respektabler ist die Leistung es darum geht, Menschen mit Behinderung zu beschäfti- derer, die diese Unternehmen teilweise seit vielen Jahren gen, nicht nötig und auch nicht begründet sind . leiten . 12024 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Astrid Freudenstein (A) Die Betriebe leisten einen ganz wertvollen Beitrag zu auf Drucksache 18/6086, den Antrag der Fraktionen der (C) dem, was wir uns alle wünschen, nämlich zum inklusiven CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/5377 anzuneh- Arbeitsmarkt . Sie helfen, dass Menschen mit Handicap men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer einen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz bekommen. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus- Wir wissen ja inzwischen aus der Erfahrung, dass viele sempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke bzw . die allermeisten der behinderten Beschäftigten vie- angenommen . le Jahre, manche auch fast ihr ganzes Berufsleben dort Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: verbringen . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Unser Antrag ist deshalb ein guter und richtiger . Wir Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Beate werden in diesem und in den kommenden beiden Jah- Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und ren jeweils 50 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verfügung stellen . Das ist umso wichtiger, als sich in den vergangenen Jahren die Beschäftigungschancen Betreuungsgeld in Kitas investieren für Menschen mit Handicap nicht so verbessert haben, Drucksache 18/6063 wie wir es uns wünschen würden . Deswegen müssen wir noch ein paar Schritte mehr unternehmen . Dazu gehört b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert zum Beispiel das Budget für Arbeit, das wir mit dem Müller (Potsdam), Sigrid Hupach, Nicole Bundesteilhabegesetz flächendeckend und bundesweit Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion einführen wollen . DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Betreuungsgeld für den Kitaausbau nutzen der SPD) Drucksache 18/6041 Wir müssen – das ist mir ein großes Anliegen – auch Überweisungsvorschlag: die Arbeitgeber besser informieren und unterstützen . Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ein Schwerpunkt muss auf dem Bürokratieabbau liegen . Jugend (f) Momentan muss ein Handwerksmeister eine 320-stündi- Finanzausschuss ge Zusatzausbildung absolvieren, wenn er einen behin- Haushaltsausschuss derten Jugendlichen zum Fachpraktiker ausbilden will . Acht volle 40-Stunden-Wochen! In diesen acht Wochen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für lernt der Schreiner- oder Bäckermeister auch Grundlagen die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- der Medizin und der Rechtswissenschaft . Er beschäftigt nen Widerspruch . Dann ist so entschieden . (B) sich mit der Geschichte der Rehabilitation und mit dem (D) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Dr .Franziska ganzen Spektrum der ICD-10-Klassifikation. Diese reha- Brantner, Bündnis 90/Die Grünen . bilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbil- der – kurz: ReZA – geht zurück auf eine Empfehlung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung . Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Seit alle Kammern diese Zusatzqualifikation fordern, NEN): geht die Zahl neuer Ausbildungsverträge mit behinderten Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Jugendlichen rapide zurück . Meine Damen und Herren, Herren! Am 21 . Juli 2015 erklärte das Bundesverfas- so ein Wahnsinn behindert unsere behinderten Jugendli- sungsgericht das Betreuungsgeld für verfassungswid- chen . Wir müssen ihn wieder abschaffen . rig . Seither gibt es den Streit darüber, was mit dem Geld passiert . Für 2016 sind es 500 Millionen Euro und für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- 2017 1 Milliarde Euro . Für uns müssen dabei drei Dinge ordneten der SPD) im Vordergrund stehen: Erstens . Das Geld muss im Fa- Wir werden also zunächst die Integrationsfirmen stär- milienhaushalt bleiben . Zweitens . Es darf nicht für den ken und dann weitere Schritte unternehmen, damit jeder Mehrbedarf beim Elterngeld genutzt werden . Drittens . Mensch, auch wenn er ein Handicap hat, seinen Platz auf Es muss dorthin gehen, wo es gebraucht wird, nämlich dem Arbeitsmarkt findet. in die Kitas . Herzlichen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der SPD) Herr Schäuble möchte den Zuwachs beim Elterngeld Vizepräsidentin Ulla Schmidt: gerne mit den Mitteln für das Betreuungsgeld decken . Der Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- zusätzliche Bedarf ist aber nicht über Nacht gekommen, che angekommen . sondern deshalb, weil wir hier gemeinsam neue gesetz- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- liche Ansprüche geschaffen haben . Die Partnerschafts- ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktionen monate gibt es eben nicht für umsonst, und wenn mehr der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Integrations- Väter das Elterngeld nutzen, was wir uns alle wünschen, betriebe fördern – Neue Chancen für schwerbehinderte dann wird es teurer . Das hängt mit dem Lohnunterschied Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eröffnen“ . Der zwischen Männern und Frauen zusammen . Das Geld hät- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung te also ohnehin im Haushalt gefunden werden müssen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12025

Dr. Franziska Brantner (A) egal ob das Betreuungsgeld abgeschafft wird oder nicht . wenn es um diese Integrationsaufgabe geht, doch erst (C) Wenn wir jetzt das wegfallende Betreuungsgeld dafür recht . nehmen würden, dann würden wir den Familienhaushalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dafür bestrafen, dass das Elterngeld erfolgreich ist . Das kann ja wohl nicht die Logik sein, die wir hier vertreten . Wenn wir wollen, dass das klappt, müssen wir jetzt hier rechtzeitig ansetzen . Unsere Aufgabe ist es, dass Kin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der – egal ob sie neu zu uns kommen oder hier geboren Eigentlich sind wir uns doch sicher, dass das Geld in den sind – gute Förderung, Bildung und Betreuung bekom- Kitas gut angelegt ist und dass das auch das ist, was die men . Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen . Denn für Eltern brauchen und sich wünschen . alle Kinder gilt: Was sie in jenen jungen Jahren lernen, das entscheidet über ihre Chancen später . Diese Chancen Ihr Haus, Frau Marks, hat nicht nur festgestellt, dass müssen wir allen – denen, die hier geboren sind, und de- wir in Deutschland ohnehin noch 185 000 Kitaplätze nen, die jetzt zu uns kommen – geben . brauchen, sondern auch, dass wir für die Kinder, die jetzt zu uns kommen, 68 000 Plätze zusätzlich brauchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden . Diese Lücke besteht, und sie ist groß . Ich wür- Deswegen lassen Sie uns heute für morgen investie- de sagen: Ihre Zahlen sind ziemlich gut geschätzt, aber ren . Liebe SPD, kämpfen Sie! Damit Sie heute zustim- sie könnten auch gut noch ein bisschen höher liegen . Es men können, haben wir für Sie den Antrag auch wirklich ist doch in unserem Interesse, dass diese Kinder früh in ganz einfach gemacht . die Kitas gehen und dort Deutsch lernen, ankommen und teilhaben können . Es ist doch wirklich unser originäres (Lachen bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/ Interesse, dass das möglich ist . CSU]: Ein vergiftetes Lob, Frau Brantner!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Nein . – Damit Sie – man kennt das ja – nicht sagen können, dass Ihnen ein Halbsatz nicht gefallen hat, haben Lassen Sie uns deswegen jetzt doch vorausschauen – wir es so formuliert: dieser Bedarf wird entstehen – und nicht erst wieder dann handeln, wenn die Schlangen vor den Kitas in sechs Mo- Der Deutsche Bundestag fordert die Bundes- naten existieren und sich die Frage stellt, wer den Kita- regierung auf, die frei werdenden Mittel aus platz bekommt, nämlich das Flüchtlingskind oder das dem Betreuungsgeld in Kindertageseinrich- Kind, das schon hier geboren wurde . Ich möchte nicht, tungen zu investieren . dass sich diese Frage stellen wird . Deswegen möchte ich, Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns unterstüt- dass wir jetzt vorausschauen und die Gelder jetzt, da wir zen und mit uns kämpfen, liebe SPD, und wir hier ge- (B) (D) sie haben, in die Kitas investieren . meinsam investieren . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Ich freue mich darauf, das hinzubekommen . der SPD) Danke schön . Wir alle wissen, dass das nicht einfach wird . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen auch mehr Sprachförderung . Wir haben in Ihrem Haus angefragt, ob Sie vorhaben, im nächsten Jahr mehr Geld für die Sprachförderung auszugeben . Ich Vizepräsidentin Ulla Schmidt: finde, auch hier kann man schon ziemlich sicher davon Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Josef Rief, ausgehen, dass das notwendig sein wird . Die Antwort von CDU/CSU-Fraktion, das Wort . Ihnen war bis jetzt, dass es bei den 100 Millionen Euro (Beifall bei der CDU/CSU) bleiben wird . Auch hier ist klar: Wir brauchen mehr Geld für weitere Sprachförderung im Jahr 2016 und in den Jahren danach . Josef Rief (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wir können die Kommunen und die Länder damit Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Besu- nicht alleinlassen . Manche werden es vielleicht schaffen, cher auf der Plenartribüne und vor dem Parlamentsfern- andere haben aber einfach nicht die Kapazitäten und Gel- sehen! Das Bundesverfassungsgericht hat keine inhaltli- der dafür . che Bewertung zum Betreuungsgeld abgegeben, sondern Vor allem dürfen wir auch die Erzieherinnen und Er- lediglich die Zuständigkeit für die Gesetzgebung beim zieher damit nicht alleinlassen . Bund verneint . Die leisten ja heute schon Enormes, machen auch heu- Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Be- te schon unglaublich viel . Sie machen viel mehr als das, treuungsgeld richtig war . Die Zahlen sprechen übrigens was ursprünglich ihr Auftrag war, und sie werden immer für sich . Das Betreuungsgeld wurde von den Famili- en – in meiner Region sind es über 70 Prozent der El- noch viel zu gering bezahlt . tern – sehr gut angenommen, und es ist nach wie vor Eine Erzieherin für sieben Kinder unter drei Jahren ist hoch attraktiv . Nach der aktuellen Statistik für das zwei- doch schon heute kaum vorstellbar . Schon heute brau- te Quartal 2015 gab es noch einmal eine Steigerung der chen wir kleinere Gruppen . Die brauchen wir in Zukunft, Bezugszahlen . In Baden-Württemberg zum Beispiel gab 12026 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Josef Rief (A) es aktuell eine Steigerung um über 15 Prozent auf über Anschließend geht es auf den Heimweg und zu Hause (C) 100 000 Kinder, und das, obwohl mittlerweile schon ins Bett . viele Kinder aus der Bezugsdauer herausgefallen sind . (Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder Betreuungsgeld wird jetzt für über eine halbe Million [CDU/CSU]: Ein hartes Schicksal!) Kinder bezogen –eine sehr beachtliche Zahl . 150 Euro monatlich sind nicht viel Geld, aber sie waren eine Hilfe . Für junge Menschen, die darüber nachdenken, Kinder zu bekommen, sollte offensichtlich sein: In Deutschland Die Hamburger Klage war daher ein Pyrrhussieg für sind Kinder erwünscht . In Deutschland sind Kinder im die Familie . Die Koalition hat es wenigstens geschafft, Alltag überall anzutreffen . Sie sind mit ihrer Neugier, ih- dass das Betreuungsgeld – zum Teil auch gegen Ihre Wi- rem Bewegungsdrang und ihrer Lautstärke akzeptiert, ja derstände – für die bereits bewilligten Anträge noch ge- gewünscht . Kindergeschrei ist Zukunftsmusik . zahlt wird . Vertrauensschutz ist für diese Regierung ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- hohes Gut . ordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Junge Menschen müssen sehen, dass unser Staat sie neten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ bei ihrer Lebensplanung unterstützt . Diese Planung muss DIE GRÜNEN]: Wenn Sie sonst keine Argu- nicht zwangsläufig eine schnelle Rückkehr ins Berufsle- mente mehr haben!) ben vorsehen, sondern kann durchaus ein Familienleben zu Hause bedeuten . Jeder, der Kinder hat, weiß: Kinder Sollen kleine Kinder in der Kita oder zu Hause betreut bleiben nicht lange klein . Rasend schnell werden sie er- werden? Diese Frage, meine Damen und Herren, muss wachsen . Ein Arbeitsleben hingegen dauert in der Regel sich jede Familie mit Kindern früher oder später stellen . mehrere Jahrzehnte . Warum gönnen wir den Eltern nicht Wir haben immer gesagt: sowohl als auch, beides, Kita mehr Zeit mit ihren kleinen Kindern? und häusliche Betreuung .Deshalb werden wir jetzt nicht sagen: nur das eine, nur die staatliche Kinderbetreuung . Ich sage es noch einmal: Kitas sind gut und wichtig Die vorliegenden Anträge von Grünen und Linken gehen und werden von unseren Fraktionen gerne gefördert . Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ein- aber in diese Richtung . geführt . Mütter und Väter, die ihren Beruf wieder auf- Wie Sie alle wissen, geben wir viel Geld für staatli- nehmen möchten, sollen ausreichend Kitaplätze zur che Kinderbetreuung aus . Das soll in Zukunft noch mehr Verfügung haben . Der Kitaausbau wurde und wird stark werden . Das tun wir gern, und das ist auch sinnvoll . Es gefördert . Das wird auch in Zukunft, gerade im Hinblick gibt aber auch noch etwas anderes in unserem Land, auf die Flüchtlingsproblematik, weitergehen . (B) nämlich die häusliche Betreuung bzw . die häusliche För- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) derung von kleinen Kindern . Denn Kinder in den ersten ordneten der SPD) Lebensjahren brauchen eine verlässliche Bindung . Bin- Aber es gibt noch etwas anderes, und auch diesen dung, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in den anderen Bedürfnissen müssen wir gerecht werden . Wir ersten Lebensjahren wichtiger, als Bildung sein kann . finden, finanzielle Ressourcen sollen dazu dienen, ein (Beifall bei der CDU/CSU) kinderfreundliches Umfeld zu entwickeln und es gerade auch Paaren mit Kinderwunsch zu ermöglichen, nicht Deshalb ist die häusliche Betreuung gut und sinnvoll . nur über ein Kind oder zwei Kinder nachzudenken, son- Das Betreuungsgeld ist immer noch eine Anerkennung dern sich vielleicht auch ein Leben mit drei oder mehr für Eltern, die die Kindererziehung zu Hause überneh- Kindern vorzustellen . men . Es hat für viele den Übergang nach dem Ende des Es gibt viele Ansatzpunkte, die Familienfreundlich- Elterngeldbezuges wesentlich erleichtert . keit zu verbessern: angefangen beim bezahlbaren und Kinder sollen sich wohlfühlen, und die Gesellschaft ausreichend großen Wohnraum über weitere Unterstüt- soll sich mit Kindern wohlfühlen . Wenn aber das Auf- zung für Alleinerziehende bis hin zu steuerlichen Entlas- wachsen der Kinder zuerst in Krippen und dann in Ganz- tungen oder Kindergeld . Im Koalitionsvertrag haben wir tagsschulen erfolgt, finden Familien in der Gesellschaft daher einen Dreiklang vereinbart: Zeit für Familien, gute im Alltag nicht mehr statt . Kinder sehen sich heute oft Infrastruktur und materielle Sicherheit . mit abgehetzten Eltern konfrontiert, die in der knappen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gemeinsamen Zeit noch den Haushalt schmeißen müs- ordneten der SPD) sen. Großeltern stehen häufig nicht zur Verfügung, da sie Nicht die Ideologie steht im Fokus unserer Politik, entweder selbst noch berufstätig sind oder nicht in der sondern das, was sich die Familien wünschen . Die Fami- Nähe wohnen . lien wünschen sich mehr Zeit für Kinder und mehr Zeit Kinder in unserer Gesellschaft finden jedenfalls nach mit Kindern . dem Willen von Linken und Grünen nicht mehr zwischen (Eckhard Pols [CDU/CSU]: Genau!) 8 30. und 17 Uhr statt . Da haben Kinder in den Kitas zu sein . Diese Wünsche sollten wir finanziell unterstützen. Geben wir den Müttern und Vätern mehr Zeit für ihre kleinen (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Glauben Kinder . Das Betreuungsgeld hat diesen Wünschen ent- Sie eigentlich diesen Unsinn?) sprochen . Wir werden jetzt nicht alles, wofür wir uns ein- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12027

Josef Rief (A) gesetzt haben, ins Gegenteil verkehren . Wir werden uns Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): (C) für die Familien weiterhin starkmachen und weiter für Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen finanzielle Mittel kämpfen, um Eltern und Kinder sinn- und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Wie Ihnen voll zu unterstützen . sicherlich nicht entgangen ist, bin weder ich noch ist, glaube ich, die Mehrheit dieses Hauses ein Fan der Herd- (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring prämie, der Fernhalteprämie oder des Betreuungsgeldes . [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie Nennen Sie es, wie Sie wollen . noch etwas zum Antrag sagen?) Ihr Betreuungsgeld war und ist – das hat sich gera- Ich fordere die Damen und Herren von den Linken de wieder gezeigt – Ausdruck einer zutiefst reaktionären und Grünen auf, mit uns daran zu arbeiten, dass Eltern und konsequent verfehlten Familien-, Arbeitsmarkt- und mehr Zeit für ihre Kinder haben und dass Familien ihr Sozialpolitik . Leben nach ihren Wünschen gestalten können . (Beifall bei der LINKEN) (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es so schwer, einen so kurzen Antrag zu le- Es war von Anfang an skandalös, dass sich die Sozial- sen?) demokratie wider besseres Wissen auf ein solches Un- terfangen eingelassen hat . Ich weiß, dass man in Koali- Wir Familienpolitiker müssen dafür eintreten, dass tionen Kompromisse eingeht, und diese sind manchmal sich der Arbeitsmarkt und die finanzielle Situation an den nicht besonders schön . Aber ein Kompromiss muss im- Bedürfnissen der Familien orientieren mer in die richtige Richtung gehen . Das Betreuungsgeld war ein Schritt in die falsche Richtung . Gott sei Dank ist (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: es korrigiert worden . Das ist doch kein CSU-Ideologie-Seminar!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- und nicht die Familien nach der Arbeitswelt organisiert neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden . Lieber Kollege Rief, Sie kennen die Zahlen zur Aus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bausituation von Kinderbetreuungsplätzen . Ja, es sind in der SPD) den letzten Jahren Fortschritte erzielt worden, und das Tagtäglich – das wurde heute angesprochen – lauern hier hat auch etwas mit der Politik der Bundesregierung zu große Gefahren . Lassen Sie uns dafür sorgen, tun . Auch das stimmt . Aber wenn man – und das ist nach wie vor der Status quo – zu wenige und zu unattrakti- (Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE (B) ve Betreuungsplätze in den Ländern organisiert, wie es (D) GRÜNEN]: Moderne Familienpolitik!) zum Beispiel in Baden-Württemberg und insbesondere dass sich Familien möglichst für mehrere Kinder ent- in Bayern noch der Fall ist, scheiden können . (Max Straubinger [CDU/CSU]: Woher wissen Sie, wie es in Bayern aussieht? Hinter dem (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mond leben Sie!) Wie positionieren Sie sich denn zum Antrag?) dann darf man sich auch nicht wundern, wenn jene, die statt dass wegen Überlastung eine einseitige Fokussie- keinen Betreuungsplatz finden, dann das Betreuungsgeld rung auf Arbeitsmarkt und Karriere die Kinderzahl mi- in Anspruch nehmen . Woher kommen denn die 70 Pro- nimiert . zent? Sie kommen zustande, weil eben keine ausreichen- (Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring de Zahl adäquater Betreuungsplätze vor Ort geschaffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soll ich Ih- wurde . nen die Drucksachennummer noch sagen?) Aus politischer Sicht kann man also dankbar sein, Ich trete dafür ein, dass wir das Geld den Ländern dass unser Verfassungsgericht diesem CSU‑Irrsinn Ein- zweckgebunden geben und die familiäre Betreuung der halt geboten hat, weil es im Deutschen Bundestag kei- Kinder damit unterstützen . ne Mehrheit dagegen gab . Die Leittragenden sind jetzt die Familien – darin gebe ich Ihnen recht –, die sich im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vertrauen auf das verfassungswidrige Versprechen der Die vorliegenden Anträge gehen in die falsche Richtung, Bundesregierung auf die zusätzliche Unterstützung ein- und wir werden sie ablehnen . gestellt haben . Zumindest die Garantie des Vertrauens- schutzes – darin möchte ich Ihnen widersprechen – für Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . die bewilligte Hilfe begrüße ich . Es hat auch niemand in diesem Hause gesagt, dass wir den Vertrauensschutz (Beifall bei der CDU/CSU) nicht wollen . Denn es ist selbstverständlich, dass das Geld, wenn es einmal bewilligt wurde, auch bis zum Vizepräsidentin Ulla Schmidt: letzten Tag ausgezahlt werden muss . Damit haben die Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Norbert Müller, Grünen und wir überhaupt kein Problem . Fraktion Die Linke . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 12028 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Norbert Müller (Potsdam) (A) Mit dem von uns vorgelegten Antrag zeigen wir auf, Nun zur SPD . Ich unterstelle Ihnen ein ehrliches Inte- (C) wo das freigewordene Geld benötigt wird und wie es resse daran, die Betreuungsgeldmittel für den Ausbau der nachhaltig und sinnvoll verwendet werden kann . Diese Kitaqualität und die Aufstockung der Kapazitäten ver- Mittel wären eine gute Startfinanzierung für das dringend wenden zu wollen . Nun wissen Sie ganz genau, dass es benötigte Engagement des Bundes in mehr frühkindliche längst eine Mehrheit im Bundestag gibt, die das auch so Bildung . Ich sage auch – das werden Sie von uns so lange sieht, zumindest seit 2013, wenn nicht sogar zuvor . Aber hören, bis es das gibt –: Das wäre eine gute Startfinanzie- weil Sie wieder Angst vor der eigenen Courage haben, rung für ein Kitaqualitätsgesetz, das auch die Verbände werden Sie das am Ende nicht durchsetzen . Weil Sie das der freien Wohlfahrtspflege immer wieder fordern. frustriert – das kann man gut nachvollziehen –, werden (Beifall bei der LINKEN – Sönke Rix [SPD]: Sie unsere Anträge nachher in den Familienausschuss Nicht alle!) überweisen und dann dort so lange auf Eis legen, bis sich Im kommenden Jahr stehen bis zu 550 Millionen die Koalition – das kann lange dauern, wie wir wissen – Euro zur Verfügung – 2017 sind es sogar 900 Millionen geeinigt hat . Sie haben aber auch nicht den Mumm, es Euro –, und die Geier kreisen schon, wie es so schön einfach abzulehnen . Liebe SPD, Sie sind mit harten An- heißt. Bundesfinanzminister Schäuble fordert die Mittel sagen gestartet – ich zitiere noch einmal Frau Bundesmi- für den allgemeinen Haushalt oder will Leistungen, die nisterin Schwesig vom 24 . Juli –: „Das Geld darf nicht sowieso gesetzliche Leistungen sind, daraus finanzieren. im Haushalt des Bundesfinanzministeriums versickern.“ (Marcus Weinberg (Hamburg) [CDU/CSU]: Aber ich befürchte, dass Sie als Bettvorleger der Union Die kommen aus dem allgemeinen Haushalt!) landen werden . Das ist sehr schade . Aber vielleicht täu- sche ich mich, und es wird anders . Oder er wird wie gerade eben von seinen bayerischen Kollegen flankiert, frei nach dem Motto: Wenn Bayern (Sönke Rix [SPD]: Das soll bei der Links- die Fernhalteprämie nicht bekommt, soll im Familienbe- fraktion vorkommen: dass sie sich täuscht!) reich auch niemand anders einen Anspruch darauf haben . Zumindest lässt die gestrige Ankündigung von Frau (Zuruf von der CDU/CSU: Wolkenschieber!) Schwesig in der Zeitung Die Welt Hoffnung aufkommen . Um es mit den Worten von Hans Monath, Redakteur In der letzten Sitzungswoche habe ich vorgeschlagen, des Tagesspiegels, zu sagen, den auch Ihre Fraktion ger- die freiwerdenden Mittel, wenn schon nicht für die Fi- ne als Referenten einlädt: nanzierung eines Kitaqualitätsgesetzes – das finden Sie (B) Nun schmerzt die Wunde, CDU und SPD sollen der fürchterlich –, dann zumindest zur Verfügung zu stellen, (D) bayerischen Andersartigkeit gefälligst Respekt zol- um jedem Flüchtlingskind einen Kita- oder Schulplatz zu len . gewährleisten und so die Länder und Kommunen nicht Schöne Worte . zusätzlich zu belasten . Ich könnte mich sogar damit anfreunden, dass die (Beifall bei der LINKEN) Mittel an die Länder weitergereicht werden, wie Sie Ich bin froh, dass Frau Schwesig – genauso wie die Grü- es vorgeschlagen haben, allerdings mit einer anderen nen – diese Initiative aufgegriffen hat, und hoffe, dass Zweckbindung, als Sie sich das vorstellen . Zumindest Brandenburg und Thüringen, wenn nicht sogar 15 Bun- Sie hierfür die notwendige Mehrheit findet. Wir stehen desländer würden die Mittel sinnvoll für den Ausbau der jedenfalls bereit . Kitaqualität, eine bessere Bezahlung des Betreuungsper- Kollege Weinberg, Sie waren das letzte Mal noch we- sonals, der Erzieherinnen und Erzieher, und die Vermin- nig begeistert von diesem Vorschlag – das habe ich im derung der Gebühren für die Eltern verwenden . Protokoll nachgelesen –, wohl auch deshalb, weil er von (Max Straubinger [CDU/CSU]: Deshalb uns kommt . Aber jetzt kommt er ja von Ihrem geschätz- steigt die Qualität nicht!) ten Koalitionspartner . Vielleicht überzeugt Ihr Koaliti- Das fänden wir gut . 15 Länder würden das garantiert tun, onspartner bzw . Frau Schwesig Sie ja, dass es sich um eine sinnvolle Maßnahme handelt . Frau Brantner hat be- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- reits alle Argumente dafür ausgeführt; mir fehlt für eine neten der SPD) nähere Ausführung die Zeit . Oder Herr Rix, Ihr Koaliti- wäre da nicht Bayern . Das haben Sie gerade gezeigt . onspartner, die Sozialdemokraten trauen sich einmal et- Allein das Wissen, dass im Süden der Republik an- was im Deutschen Bundestag . Ein sinnvoller Einsatz der geblich christliche und soziale Politiker eine moderne Betreuungsgeldmilliarde wäre jedenfalls auch ohne die Familienpolitik scheuen wie der Teufel das Weihwas- Union schon heute möglich . Er wäre nötig, wünschens- ser – davon haben wir gerade wieder eine Kostprobe be- wert und durchsetzbar . kommen –, lässt mich vor einer Verteilung der Mittel an Vielen Dank . die Länder zurückschrecken . Es ist auch nicht Aufgabe des Bundes, der CSU jetzt die nächsten Wahlversprechen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zu finanzieren. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12029

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: von Frau Schwesig, Frau Schröder, in Auftrag gegeben (C) Vielen Dank .– Für die SPD-Fraktion spricht jetzt wurde . Investitionen in die Kitabetreuung schaffen die Carola Reimann . Basis für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf . Sie ermöglichen die gute und frühe Förderung von Kin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dern, allerdings nur bei guter Qualität . der CDU/CSU) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tun El- tern auch, Frau Reimann!) Dr. Carola Reimann (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Genau deshalb ist es so wichtig, dass wir die freiwer- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haltung denden Mittel aus dem Betreuungsgeld an dieser Stelle der SPD zum Betreuungsgeldurteil des Bundesverfas- investieren . sungsgerichtes und zur weiteren Verwendung der frei- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das hätten Sie werdenden Mittel lässt sich kurz und knapp in drei Punk- den Familien belassen sollen!) ten zusammenfassen: Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der neuen He- Erstens . Es ist gut, dass das Betreuungsgeld der Ver- rausforderungen, die durch die Flüchtlinge auf uns zu- gangenheit angehört . kommen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Zweitens . Die durch das Urteil freiwerdenden Mittel Darin bestärkt hat uns auch der aktuelle „Ländermo- müssen den Familien und Kindern zugutekommen . nitor Frühkindliche Bildungssysteme“ . Ich sage das, weil (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten man sich hier häufig die Namen von Ländern gegenseitig der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE zuspielt . GRÜNEN) (Max Straubinger [CDU/CSU]: In diesem Einsparungen zulasten der Familien kommen für uns Monitor ist aber Bayern immer vorn, zufälli- nicht infrage . gerweise!) Drittens . Wir wollen eine bessere Kinderbetreuung, – Sie sollten diesen Text einmal lesen: Es ist leider nicht und deshalb wollen wir die freiwerdenden Mittel in die so . Kitaqualität investieren . (B) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich ist (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es so!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Bayern hat sogar das schlechteste Betreuungsverhältnis . GRÜNEN) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die bes- Wie gut dieses Geld investiert ist, davon konnte ich seren Ergebnisse!) mich in der vergangenen Woche im Rahmen der Kitaak- tionswoche der SPD-Bundestagsfraktion selbst überzeu- Dieser Ländermonitor hat uns in Sachen Kitaquali- gen . In meinem Wahlkreis Braunschweig habe ich zwei tät einen positiven Trend bescheinigt . Dennoch, so der Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt besucht . Es ist Bericht, bedarf es weiterer Investitionen, um für Kinder bewundernswert, mit welchem Engagement Erzieherin- eine gute Tagesbetreuung zu ermöglichen und für Fach- nen und Erzieher diese ebenso anspruchsvolle wie for- kräfte gute Rahmenbedingungen zu schaffen . dernde Aufgabe tagein, tagaus erfüllen . Ich freue mich, dass wir bei der Frage Kitaausbau (Zuruf von der CDU/CSU: Die Mütter auch!) auf breite Unterstützung bauen können, nicht nur aus der Wissenschaft . Erst am Montag hat die Familienmi- Kinder fordern zu jeder Zeit 100 Prozent und zu jeder nisterin Manuela Schwesig das „Memorandum Familie Zeit volle Aufmerksamkeit . Dabei bleibt keine Zeit, zu und Arbeitswelt“ gemeinsam mit Gewerkschaften und verschnaufen oder auf das Handy zu schauen, wie das Arbeitgebern vorgestellt. In zehn Leitsätzen verpflichten hier einige tun . Nicht nur unsere Kinder, sondern auch sich Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft, die Verein- unserer Erzieherinnen und Erzieher haben es verdient, barkeit von Familie und Beruf zu verbessern, unter an- dass wir ihr Engagement unterstützen und verstärkt in derem durch flexible Arbeitszeitmodelle und qualitativ die Kitaqualität investieren . hochwertige Betreuungsangebote . Dazu passt auch die Alle Fachleute sind sich einig: Der Kitaausbau ist Forderung von DIHK-Präsident Eric Schweitzer, der die die wirkungsvollste familienpolitische Maßnahme über- durch den Wegfall des Betreuungsgeldes freiwerdenden haupt . Summen für weitere Impulse im Bereich der Kinder- und Schülerbetreuung nutzen will . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD – Sönke Rix [SPD]: GRÜNEN) Guter Mann!) Das hat auch die Gesamtevaluation ehe- und familien- Sie sehen also: Qualität in den Kitas ist nicht nur der bezogener Leistungen bestätigt, die von der Vorgängerin Wunsch von Eltern, Erzieherinnen, Wissenschaft und der 12030 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Carola Reimann (A) Politik, sondern auch ein Anliegen der Sozialpartner . Ich können . Ich bitte darum, dass man diese dogmatischen (C) bin überzeugt, dass wir die wenigen, die das anders se- Grabenkämpfe allmählich einmal überwindet . hen – auch wenn sie hier unter uns sitzen –, auch noch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – überzeugen werden . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Was ist mit Vätern und Opas? – Dr . Franziska Hoffentlich werden es bald noch weniger!) Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Im Übrigen sind Mehrausgaben beim Elterngeld je- haben den Opa vergessen!) denfalls kein Grund für Mittelkürzungen . – Der Opa kommt natürlich auch infrage, Frau Brantner . (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Danke für diesen Hinweis . Den Opa habe ich übersehen . KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Er kann das Kind genauso betreuen . Er kann genauso aus NEN) einem Buch vorlesen . Er kann dem Kind genauso gut die Welt erklären . Er kann genauso eine Eins-zu-eins- Mehrausgaben sind auch keine bösen Überraschungen . Betreuung des Kindes ermöglichen . In manchen Fällen Sie sind ein Erfolg . Wir in der SPD freuen uns jedenfalls, ist das vielleicht sogar noch besser als ein Schlüssel von dass es bei Müttern – und zunehmend auch bei Vätern – 1 : 6 oder 1 : 8, wie er in der Kita praktiziert wird . so gut ankommt . (Sönke Rix [SPD]: Das ist gegenüber ausge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des bildeten Erzieherinnen und Erziehern unver- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU]) schämt und anmaßend!) Es ist schon reichlich absurd, dass die beiden wirk- Bitte, lassen Sie uns da alle abrüsten . samsten familienbezogenen Leistungen auf Kosten der Das gilt insbesondere für den jungen Kollegen von Familien miteinander verrechnet werden sollen . Das der Linken . Herr Kollege Müller, Sie müssten es doch wäre nichts anderes als Sparen zulasten der kommenden eigentlich besser wissen . Sie haben eben die sogenannte Generation, und das ist nicht nur familienpolitisch falsch, Herd- oder Fernhalteprämie thematisiert . Wir haben vor sondern auch kontraproduktiv für einen nachhaltigen einem halben Jahr die Bertelsmann-Studie bekommen . In Haushalt . Da ist die SPD klar positioniert . ihrem Rahmen wurden junge Eltern, junge Väter, junge Was wir bei diesem Thema allerdings nicht brauchen, Mütter, gefragt: Was macht Ihnen am meisten Sorge? ist parlamentarische Effekthascherei . Diese Effektha- Geäußert wurde nicht die Sorge, dass man für sein Kind keinen Kitaplatz oder nicht genug Elterngeld bekommt . (B) scherei drückt sich aus in dem Wunsch, statt einer – wie (D) in diesem Haus eigentlich üblich – sachlichen Beratung Häufig wurde einfach die Sorge geäußert, etwas falsch zu im Fachausschuss jetzt eine Abstimmung durchzuführen . machen . Wir dürfen uns nicht wundern, dass viele nicht Das lehnen wir ab . Die Entscheidung fällt im Rahmen mehr wissen, ob ihr Erziehungsmodell richtig ist, wenn der Haushaltsberatungen und nicht jetzt durch eine Ab- wir über Jahre die jungen Eltern mit Kampfbegriffen ver- stimmung . unsichern . (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – CDU/CSU) Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Sie können sich sicher sein: Die SPD setzt sich für die GRÜNEN]: Dann lassen Sie es doch sein!) Kitas ein; denn das ist eine Investition in die Zukunft . Lassen wir den jungen Leuten wieder ein bisschen mehr Vielen Dank . Vertrauen zukommen! Lassen wir insbesondere den jun- gen Eltern die Wahlmöglichkeit! Nicht mehr und nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weniger haben wir mit dem Betreuungsgeld geschaffen . der CDU/CSU) Ja, es wird ein Landesbetreuungsgeld auf jeden Fall in Bayern geben . Ich bin gespannt . Ich habe mir einmal Vizepräsidentin Ulla Schmidt: die Zahlen herausgesucht . 105 000 berechtigte Familien Vielen Dank .– Das Wort hat jetzt der Kollege Paul sind es in Bayern, 104 000 in Nordrhein-Westfalen . Ich Lehrieder, CDU/CSU-Fraktion . wünsche mir, dass die Kollegin Kraft in Nordrhein-West- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) falen die Courage hat, diese 104 000 Eltern, die zu Hause erziehen wollen, weiterhin zu beglücken . Paul Lehrieder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Brantner, Sie haben in Ihrer Ein- Es ist also kein bayerisches Thema, Frau Kollegin gangsrede ausgeführt: Gute Förderung, Bildung und Be- Reimann . Es wurde immer gern so getan, als ob das Be- treuung sind für die Kinder wichtig . Ich will ausdrücklich treuungsgeld nur bayerischen Eltern zugutekommt . Nein, betonen, dass eine gute Förderung und auch Bildung und es kommt im selben Umfang nordrhein-westfälischen Betreuung von ein- bis dreijährigen Kindern zu Hause Vätern und Müttern zugute . Denen müssen Sie dann er- von den Eltern, also von der Mutter, aber auch von der klären: Für die Kitas hätten wir das Geld, aber für eure Schwiegermutter, von der Oma vorgenommen werden häusliche Betreuung, für diese 104 000 Familien, haben Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12031

Paul Lehrieder (A) wir es nicht .– Ich freue mich darauf . Die Diskussion Wahlfreiheit und Unterstützung der Familien weiterhin (C) wird spannend werden . sicherstellt . (Max Straubinger [CDU/CSU]: So sind sie Das Bundesverfassungsgericht – darauf hat der Kolle- halt, die Sozis!) ge Rief in seiner Weisheit völlig zu Recht hingewiesen – hat nicht über die Rechtmäßigkeit des Betreuungsgeldes Meine Damen und Herren, Investitionen in die Kin- an sich entschieden, der sind Investitionen in eine gute Zukunft; darauf wurde von den Vorrednern schon hingewiesen . Den Grundstein (Beifall der Abg . Barbara Lanzinger [CDU/ für diese gute Zukunft legen wir unter anderem mit dem CSU]) weiteren Ausbau der Betreuung für die Kleinsten . Wich- sondern sich lediglich hinsichtlich der Zuständigkeit des tig ist in diesem Zusammenhang jedoch auch – ich habe Bundes geäußert und seine Entscheidung mit der fehlen- bereits darauf hingewiesen –, den Familien eine echte den Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründet . Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Betreuungsmodel- Das heißt, der Bund ist nicht für die Einführung eines Be- len zu geben treuungsgeldes zuständig . Mit anderen Worten: Für die (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: Einführung eines Betreuungsgeldes sind die Länder zu- Dann müssen Sie die erst einmal schaffen!) ständig . Diese Verantwortung werden wir uns anschau- en . – Ihr könnt ruhig klatschen . Ich denke, es wäre jetzt – stellen Sie eine Frage; dann habe ich mehr Zeit, Herr an der Zeit, Sylvia . Müller –, da wir nur so den verschiedenen Interessen der Familien gerecht werden . (Beifall bei der CDU/CSU) „Für die Kinder ist das Beste gerade gut genug “. Ob es richtig ist, Eltern, die ihre Kinder ausschließlich zu Johann Wolfgang von Goethe hat das einst gesagt . Ich Hause betreuen, eine staatliche Anerkennung zukommen denke, die meisten hier werden dem zustimmen . Was zu lassen, war ausdrücklich nicht Gegenstand der Prü- aber ist das Beste? Das sollten Eltern individuell für ihr fung durch das Bundesverfassungsgericht; ich war bei Kind entscheiden können . der Verhandlung in Karlsruhe . Wir alle sind uns einig, dass uns die Thematik der Insofern halte ich die Einführung eines Landesbetreu- Wahlfreiheit und der Unterstützung für Familien wei- ungsgeldes für den richtigen Weg, Eltern auch weiterhin ter intensiv beschäftigen wird und eine zentrale Rolle selbst entscheiden zu lassen, was das Beste für ihr Kind in der Familienpolitik in unserem Land einnimmt . Die ist . Dieses Vertrauen in die jungen Eltern sollten wir ha- freigewordenen Mittel aus dem Bundesbetreuungsgeld ben . (B) sollten jedoch nicht zweckentfremdet für anderweitige (Beifall bei der CDU/CSU) (D) familienpolitische Maßnahmen verwendet werden . Fast 500 000 Familien in Deutschland – ich wiederhole es: Neben der Möglichkeit, von den öffentlichen Betreu- eine halbe Million – beziehen bereits Leistungen aus ungseinrichtungen Gebrauch zu machen, können sich die dem Erfolgsmodell Betreuungsgeld . Ich habe darauf hin- Familien somit auch entscheiden, ihr Kind selbst zu be- gewiesen: In Nordrhein-Westfalen sind es 104 000 . Das treuen, ohne dabei – dank der finanziellen Unterstützung freut mich persönlich mit am meisten – neben der baye- durch das Landesbetreuungsgeld – eine Benachteiligung rischen Zahl natürlich . erfahren zu müssen . (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Im Übrigen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, NEN]: Das ist der Phantomschmerz!) dass sich der Bund bereits in erheblichem Maße an der Finanzierung des Ausbaus der Kinderbetreuung beteiligt Es wäre ein verheerendes familienpolitisches Signal, hat und in den nächsten Jahren auch weiter in erhebli- Familien den Zugang zum Betreuungsgeld künftig zu chem Maße beteiligen wird . verweigern . Ich plädiere daher dafür, die für das Be- treuungsgeld vorgesehenen Mittel ungeschmälert den Es ist jetzt September 2015 . Am 1 .August 2013 trat Ländern für eine Verbesserung der Kinderbetreuung zur der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Drei- Verfügung zu stellen, wobei den Ländern hinsichtlich der jährige in Kraft . Ich kann mich noch gut erinnern an die Verwendung eine eigene Schwerpunktsetzung obliegt – letzte Große Koalition, 2005 bis 2009, in der unsere da- obliegen muss . malige Familienministerin, Frau Ursula von der Leyen, genau diese Diskussion mit uns geführt hat . Wir haben Die Länder – darauf hat das Bundesverfassungsgericht gesagt: Jawohl, wir machen das Elterngeld . Wir machen hingewiesen – sind dafür zuständig . Die Länder müssen den Kitaausbau . Wir machen auch den Rechtsanspruch letztendlich selbst entscheiden, ob sie die Erfolgsge- ab 2013 . Ich war positiv überrascht, wie die Länder und schichte des Betreuungsgeldes fortsetzen, indem sie den Kommunen mitgezogen haben, sodass dieser Rechtsan- vielen Familien, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, spruch auf einen Kitaplatz am 1 . Januar 2013 in Kraft die dringend benötigte finanzielle Unterstützung bei der treten konnte . Dafür auch ein Lob an die Länder und Betreuung ihrer Kleinkinder gewähren oder nicht . Kommunen! (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich appelliere aber an die jeweiligen Landesregierun- Neben der größten kommunalen Entlastung durch die gen, die Mittel dann dergestalt zu verwenden, dass ein Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter Landesbetreuungsgeld, wie Bayern es schaffen wird, die und bei Erwerbsminderung sowie der Entlastung bei der 12032 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Paul Lehrieder (A) Eingliederungshilfe im Rahmen des Bundesteilhabege- mir schwergemacht, dem Koalitionsvertrag zuzustim- (C) setzes sorgt der Bund damit weiterhin für leistungsfähi- men – und das trotz Mindestlohn und Mietpreisbremse, ge Kommunen . Und wir haben vor zwei Stunden eine die ich für die Menschen in Neukölln unbedingt haben intensive Debatte im Bundestag über die Entlastung der wollte . Kommunen mit den Kommunalpolitikern geführt . Und trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehe Mit dem Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern ich die Abschaffung des Gesetzes durch das Bundes- und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qua- verfassungsgericht ein wenig mit gemischten Gefühlen . litativen Ausbau der Kindertagesbetreuung stockt der Kollege Rief, ich hätte mir gewünscht, dass eine kritische Bund das Sondervermögen zum Kindertagesbetreuungs- und konstruktive Debatte in diesem Haus eine politische ausbau um 550 Millionen Euro auf rund eine 1 Milliarde Mehrheit für eine bessere Verwendung der Betreuungs- Euro auf . Zudem erhalten die Länder in den Jahren 2017 geldmittel hervorgebracht hätte . Die Abschaffung durch und 2018 weitere 100 Millionen Euro zur Finanzierung Verfassungsrecht ersetzt diese Debatte nicht . der Betriebskosten für den Ausbau weiterer Betreuungs- (Josef Rief [CDU/CSU]: Richtig!) plätze . Aber sie gibt uns immerhin den Anlass, diese notwen- Sehen Sie, Frau Brantner, wir passen auf, dass die dige Debatte jetzt zu führen . Es ist deswegen auch gut, Kitas weiterhin qualitativ und quantitativ ausgebaut wer- dass die Fraktionen der Opposition dazu heute einen den können . Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir Aufschlag machen . Offensichtlich ist aber auch: Eine Ei- derzeit über das Programm „KitaPlus“ für längere Öff- nigung über die Verwendung der Betreuungsgeldmittel nungszeiten von Kindertagesstätten diskutieren . In den wird es ohne die Union nicht geben . Jahren 2016, 2017 und 2018 werden jeweils 33 Milli- onen Euro – wenn man es zusammenrechnet, sind das (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: 100 Millionen Euro – in den Qualitätsausbau und in die Das ist aber schade!) Verbesserung der Öffnungszeiten von Kitas investiert . Deshalb werden wir uns auch von Ihren Anträgen, Frau Frau Präsidentin, meine Redezeit läuft ab – ich hätte Kollegin Brantner, Herr Kollege Müller, als Koalition noch viel zu sagen . Ich bedanke mich für die Aufmerk- nicht treiben lassen . Der Versuch, vorzupreschen, immer samkeit und wünsche Ihnen gute Beschlüsse . Wie gesagt, der Erste zu sein, der die richtige Lösung gesehen und wir werden den Antrag der Grünen – damit ich dazu auch gefordert hat, ist der Sache nicht immer dienlich . etwas gesagt habe –, Frau Brantner, selbstverständlich (Norbert Müller (Potsdam) [DIE LINKE]: ablehnen . Besser als gar keiner! – Kai Gehring [BÜND- Herzlichen Dank . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange diskutie- (B) ren wir schon? Wir waren die Einzigen, die (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- immer dagegen waren!) ordneten der SPD) Die SPD geht mit ganz klaren Vorstellungen in diese Verhandlungen . Wir wollen, dass die Betreuungsgeldmit- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: tel weiter den Familien zugutekommen . Vielen Dank .– Der letzte Redner zu diesem Tages- ordnungspunkt ist der Kollege Dr .Fritz Felgentreu, (Beifall bei der SPD) SPD-Fraktion . Kinder und Familien fördern wir am besten und am ge- (Beifall bei der SPD) rechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen . (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist GRÜNEN]) für mich heute keine Debattenrede wie jede andere . Im Wahlkampf bin ich wirklich Sturm gelaufen gegen das Deshalb wollen wir dieses Geld zusätzlich in unsere Betreuungsgeld . Es war mein Hauptthema – es war übri- Kitas investieren . Darüber werden wir mit der Union re- den . Und verlassen Sie sich darauf: Diese Koalition wird gens erfolgreich . eine gemeinsame Lösung finden. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Kai des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir Ich war Kandidat und bin Abgeordneter für Berlin-Neu- wollen ja eine gute Lösung, nicht irgendeine!) kölln – eines der bekanntesten Brennpunktquartiere in Dass die Betreuungsgeldmittel weiter für Kinder und Deutschland . Die Vorstellung, dass wir Geld ausgeben, Familie eingesetzt werden, ist der SPD-Fraktion auch damit Kinder nicht in die Kita gehen, war und ist mir vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Flüchtlingsbe- immer noch schlichtweg unerträglich . wegung sehr wichtig . Denn wir dürfen jetzt einen Fehler (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht machen: Wir dürfen nicht auf sinnvolle und not- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE wendige Maßnahmen verzichten und dann als Begrün- GRÜNEN) dung angeben, dass dafür wegen der Flüchtlinge kein Geld mehr da sei . Ich gebe offen zu: Dass wir die Abschaffung des Be- treuungsgeldes damals nicht durchsetzen konnten, hat es (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12033

Dr. Fritz Felgentreu (A) Wer so argumentiert, meine Damen und Herren, der ratend an den Haushaltsausschuss . Darüber stimmen wir (C) legt die Axt an die Wurzeln des guten Willens, mit dem jetzt ab . sich die Gesellschaft zurzeit den Herausforderungen der Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Flüchtlingsbewegung stellt . Was die Kitas angeht, ist so- Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage des- wieso das Gegenteil richtig: Wer etwas für unsere Kitas halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer tut, der tut zugleich etwas dafür, dass Flüchtlingsfamilien stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die schnell in unserer Gesellschaft ankommen . Überweisung beschlossen bei Zustimmung von CDU/ Nach Schätzungen des Familienministeriums werden CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von Bünd- wir für Flüchtlingskinder zusätzlich knapp 70 000 Kita- nis 90/Die Grünen . Damit stimmen wir logischerweise plätze brauchen . Und die, meine Damen und Herren, über den Antrag in der Sache nicht ab . müssen wir auch bereitstellen . Ich will jedes einzelne Tagesordnungspunkt 7 b . Interfraktionell wird Über- dieser Flüchtlingskinder in unseren Kitas sehen . Dort ler- weisung der Vorlage auf Drucksache 18/6041 an die in nen sie Deutsch . der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Hat dazu eigentlich jemals jemand Nein gesagt? GRÜNEN) (Sönke Rix [SPD]: Machen Sie jetzt keinen Dort lernen sie, dass Jungen und Mädchen bei uns die Scheiß – Entschuldigung!) gleichen Rechte haben . Dort erleben sie, nach welchen Regeln das Zusammenleben in unserer Gesellschaft Ich muss das immer fragen, aber niemand sagt Nein . funktioniert . Diese sozialisierende Funktion der Kita, die Frau Noll, Sind Sie einverstanden? – Gut . Dann ist die über eine einfache Bildungsfunktion weit hinausgeht, ist Überweisung so beschlossen . gerade für die Kinder aus Flüchtlingsfamilien ungeheuer Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf – ich lese wichtig . Ich will die Wahlfreiheit der Familien überhaupt schon einmal vor, worum es geht, und bitte, zügig Platz nicht einschränken . Aber diese Kinder gehören in unsere zu nehmen –: Kitas . – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zur Anpassung des nationalen Bankenabwick- Aber damit die Kitas das alles auch leisten können, lungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungs- brauchen sie unsere Unterstützung . Das heißt, mit jedem mechanismus und die europäischen Vorgaben (B) Euro, den wir heute in die Kitas stecken, tun wir etwas zur Bankenabgabe (Abwicklungsmechanismus- (D) für alle: Wir tun etwas für die einheimischen Familien, gesetz – AbwMechG) die natürlich diese Kitabetreuung in hoher Qualität brau- Drucksachen 18/5009, 18/5325, 18/5458 Nr. 3 chen, sie in Anspruch nehmen und das auch weiter tun sollen, und wir tun etwas für die, die jetzt neu dazukom- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- men . Vor allem aber tun wir etwas für eine gute gemein- schusses (7 . Ausschuss) same Zukunft . Drucksache 18/6091 (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Ausschuss) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Es ist unsere Pflicht – davon bin ich fest überzeugt, Drucksache 18/6092 meine Damen und Herren –, dem Ernst der Lage, in der wir uns befinden, mit Realismus, aber auch mit gutem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Willen und mit Optimismus zu begegnen . Gerade bei den die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und Beratungen über die Betreuungsgeldmittel können wir sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . beweisen, dass uns das gelingen wird . Ich sehe, dass langsam die Expertinnen und Experten Vielen Dank . Platz nehmen, und eröffne die Debatte mit der Wortertei- lung an Alexander Radwan für die CDU/CSU-Fraktion . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Alexander Radwan (CDU/CSU): Vielen Dank, Fritz Felgentreu .– Einen schönen Nach- mittag Ihnen von meiner Seite, auch unseren Gästen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir schließen mit dem heute vorliegenden Gesetz die Anpas- Wir kommen jetzt zum Antrag der Fraktion Bünd- sung des Bankenabwicklungsrechts ab . Das ist der letzte nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6063 . Die Frakti- Baustein auf dem Weg zur Bankenunion, die auf europä- on Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der ischer Ebene vorgegeben wurde . Das Ziel ist, zukünftig Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen nicht mehr den Steuerzahler in die Pflicht zu nehmen, Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss wenn aufgrund von Krisen die Banken in Schieflagen ge- für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie mitbe- raten . Wir wollen, dass sie rechtzeitig Eigenkapital auf- 12034 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Alexander Radwan (A) bauen und weitere Maßnahmen treffen, damit so etwas entsprechend zu intervenieren, wenn es nicht in dieser (C) gar nicht erst passiert . Sollte es aber passieren, dann ist es Form umgesetzt wird . notwendig, dass die Banken und die Gläubiger hier in die (Beifall bei der CDU/CSU) Pflicht genommen werden. Deswegen werden wir jetzt gemäß der europäischen Richtlinie die Vorgaben für den Wir haben die Rangfolge der Papiere entsprechend Abwicklungsbereich umsetzen, die dann zum 1 .Januar definiert. Hier geht Deutschland voran. Auch bei diesem 2016 in Kraft treten werden . Punkt ist es notwendig, dass die Europäische Zentral- bank den Rahmen mit definiert. Auch bei der Frage der Ich bedanke mich hier beim Bundesfinanzministerium Zentralbanktauglichkeit hatten wir heftige Diskussionen . und den Kollegen für die zügige Arbeit . Wir in Deutsch- Ich hätte mir gewünscht, dass die Europäische Zentral- land sind hier Vorreiter, da wir entsprechend vorange- bank, die sich bei dem einen oder anderen Punkt sehr hen . Darum will ich heute auch primär den Blick auf die stark engagiert hat, zumindest rechtzeitig eine Antwort europäische Ebene lenken, weil es nicht sein kann, dass hätte geben können, ob dieser Gesetzestext die Zentral- Deutschland alleine vorangeht, sondern auch auf europä- banktauglichkeit der Papiere beeinflusst oder nicht. Das ischer Ebene muss dieses Gesetz gemeinsam umgesetzt war leider nicht in wünschenswertem Maße der Fall . werden . Ein heftiger Diskussionspunkt von deutscher Seite Der Steuerzahler soll zukünftig nicht mehr haften . Um war das Thema Verordnungsermächtigung bei MaRisk . das zu erreichen, wird eine Haftungskaskade aufgebaut . Ich halte den Beschluss, den wir heute fassen werden, Dazu soll ein Fonds gegründet werden, der erst natio- für richtig. Wir ermächtigen das Bundesfinanzministe- nal aufgebaut wird und dann entsprechend europäisiert rium, hier eine Verordnung zu erlassen . Ich halte es für wird; aber zunächst bauen wir ihn eben national auf . Hier notwendig und für richtig, weil wir beim Aufbau einer möchte ich einen Punkt, der sicherlich in der weiteren europäischen Aufsicht sind . Viele Mechanismen, die das Debatte diskutiert werden wird, herausgreifen . Ich danke Funktionieren der europäischen Aufsicht bedingen, wer- ausdrücklich dem Bundesfinanzminister – sein Staats- den in den nächsten Monaten und Jahren greifen . Das sekretär ist stellvertretend anwesend –, dass er durchge- Argument, das ich gegen Ende der Beratungen gehört setzt hat, dass Rechtsgrundlage dieses Fonds eben nicht habe, man könne in ein, zwei Jahren eine Verordnungs- das europäische Gemeinschaftsrecht ist, sondern dass er ermächtigung nachreichen, halte ich, gelinde gesagt, für ein intergouvernementaler Fonds ist .– Herr Schick, Sie blauäugig angesichts der Tatsache, dass die Europäische schauen so? Zentralbank dann ja schon zwei Jahre lang definiert hat; (Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE da kann man dann nicht mehr nachträglich kommen . Und GRÜNEN]: Ich finde es falsch!) dem BMF und der BaFin jetzt die Waffen zu nehmen, (B) um hier entsprechenden Einfluss auszuüben, ist kontra- (D) – Ich halte das dezidiert für richtig; denn wir diskutie- produktiv . ren jetzt ja die Einlagensicherung auf europäischer Ebe- ne . Hätten wir hier auf europäischer Ebene das Präjudiz Auch den Argwohn, der hier bei manchen mitschwingt, geschaffen, dass entsprechende Zahlungen auf Basis die behaupten, dass das BMF oder die BaFin keine euro- des europäischen Gemeinschaftsrechts erhoben werden päische Aufsicht möchten, halte ich für bemerkenswert . könnten, dann hätten wir jetzt eine ganz andere Lage bei Natürlich wollen wir eine europäische Aufsicht . den Diskussionen über die europäische Einlagensiche- (Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE rung . Hier mögen wir uns inhaltlich unterscheiden, ich GRÜNEN]: Seien Sie ehrlich!) jedenfalls halte eine europäische Einlagensicherung zum jetzigen Zeitpunkt für falsch . Allen, die hier im Plenum, im Ausschuss und in ihren Sonntagsreden immer sagen – Herr Schick, dazu gehören (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auch Sie –, dass die Struktur des deutschen Bankensys- Dadurch, dass der Fonds intergouvernemental ver- tems mit seinen Regionalbanken auf europäischer Ebene einbart wurde, haben wir als Deutscher Bundestag noch berücksichtigt werden muss, sei gesagt: Die Aufsicht- ein Wörtchen mitzureden, und wir können die Vorgaben spraxis wird jetzt definiert, und es gibt auf europäischer entsprechend mitgestalten . Ich werde zum Thema Mitge- Ebene ein ständiges Ringen darum, wie die Normen rich- staltung bei einem anderen Punkt, wo wir nicht überein- tig gesetzt werden sollen . Von daher halte ich es, gelinde stimmen, noch etwas sagen . gesagt, für indiskutabel, das BMF nicht in die Lage zu versetzen, auf europäischer Ebene tätig zu werden . Die Wichtig ist aber auch – das ist meine Bitte an das Bun- parlamentarische Kontrolle bleibt ja erhalten . Wir wer- desfinanzministerium –, genau darauf zu schauen, wie den dem BMF klar sagen: Wenn eine entsprechende Ver- die Umsetzung in den Nationalstaaten momentan läuft . ordnung erlassen werden sollte, nachdem zuvor die EZB Bail-in war immer eine Forderung Deutschlands . Wir kontaktiert wurde, dann möge ein Vertreter des BMF zu stehen dahinter, aber wir wissen aus den Diskussionen uns in den Finanzausschuss kommen . im Rat und im Parlament, dass Bail-in – dass also Gläu- biger, dass diejenigen, die in den Banken engagiert sind, Ich erwarte gerade von der BaFin, dass sie auf euro- also die Aktionäre, herangezogen werden – nicht der päischer Ebene Einfluss auf die Aufsichtspraxis nimmt. Herzenswunsch aller anderen Mitgliedstaaten war . Ich Denn die Schaffung von Aufsicht auf europäischer Ebe- beobachte, dass derzeit Bail-in in anderen Staaten nicht ne darf nicht bedeuten, dass nur Regeln für Banken wie so strikt umgesetzt wird . Darum müssen wir genau dar- BNP Paribas, Barclays und UniCredit geschaffen wer- auf schauen und auch die Kommission ermuntern, hier den; es sollte das ganze Spektrum abgedeckt werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12035

Alexander Radwan (A) Ich vertraue hier dem BMF und der BaFin, dass sie es Ich möchte, weil ich da gerade Zahlen bekommen (C) entsprechend sorgsam handhaben werden, damit wir zu habe, die restliche Zeit nutzen, um mich mit der Praxis einer europäischen Aufsicht kommen, die der Vielfalt in der Einzahlung in den deutschen Fonds zu beschäftigen, Europa gerecht wird . Die Verordnungsermächtigung, die der nicht aufgelöst wird, sondern bestehen bleibt, wobei wir heute beschließen wollen, ist also notwendig, damit keiner so genau weiß, was mit dem Geld dort passieren wir die Diskussion aktiv mitgestalten können und nicht soll . nur abwarten und zuschauen müssen . Übrigens sorgen wir damit auch für Transparenz und parlamentarische Von 2011 bis 2014 sollten die Banken entsprechend ih- Kontrolle, die Sie in anderen Bereichen immer fordern . rer Risikogewichtung in den Fonds einzahlen . Wenn sie In diesem Bereich fordern Sie sie zu meinem großen Er- dementsprechend eingezahlt hätten, dann hätte der Fonds staunen nicht . Auf jeden Fall lehnen wir Ihren Antrag ab . jetzt ein Volumen von 7 Milliarden Euro . Tatsächlich Besten Dank . sind aber nur 2,3 Milliarden Euro im Fonds enthalten . 4,7 Milliarden Euro sind nicht erhoben worden . Für die- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) jenigen, die es interessiert, sei nebenbei bemerkt: Auf der Internetseite meiner Fraktion und auf meiner Internet- Vizepräsidentin Claudia Roth: seite kann man all das statistisch nachvollziehen .– So, Vielen Dank, Kollege Radwan .– Nächster Redner in und woran liegt das? Aufgrund von Verschonungsregeln der Debatte: Dr .Axel Troost für die Linke . haben die Großbanken 70 Prozent ihrer eigentlich einzu- (Beifall bei der LINKEN) zahlenden Beiträge nicht eingezahlt, sondern sie wurden ihnen gestundet, während die Sparkassen und Genossen- schaftsbanken, also die Blöden, ihre Beiträge in vollem Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Umfang eingezahlt haben . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das hier vorliegende Gesetz passt deutsches Recht an (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wie hoch europäisches Recht an, das schon längst beschlossen ist . waren die Beiträge? – Ralph Brinkhaus [CDU/ Insofern sind die Spielräume bescheiden . Ich will mich CSU]: Wie hoch waren denn die Beiträge?) deswegen hier nicht an Details abarbeiten . Sicher ist aber natürlich, dass eine europäische Bankenrettung insge- – Entsprechend der Risikogewichtung, so wie das hier samt besser sein wird als das, was zum Teil handwerklich beschlossen worden ist . schlecht in den Jahren 2008 und folgende in einzelnen (Manfred Zöllmer [SPD]: Nennen Sie einmal Ländern gemacht worden ist . (B) Zahlen! – Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: (D) Erinnern wir uns: Auch in Deutschland ist viel, viel Wie viel Euro waren das denn jetzt? – Ralph Geld in die Stabilisierung der Banken geflossen, viel Brinkhaus [CDU/CSU]: 12 Millionen!) mehr Geld als jemals für die Sanierung Griechenlands . Anders als die Bevölkerung in den Krisenstaaten werden – Die Aufregung kann ich schon verstehen . sich die Finanzjongleure von damals immer noch einen (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nee, nee, komfortablen Lebenswandel leisten können . nee!) Die Bankenunion hat sicherlich auch Schwächen . Jetzt gibt es eine sogenannte Zumutbarkeitsregel, Eine Schwäche ist und bleibt die Tatsache, dass Groß- gemäß der Beiträge zur Bankenabgabe nur maximal in britannien nicht wirklich miteinbezogen ist . Eine zweite Höhe von 20 Prozent des Jahresgewinns abgeführt wer- Schwäche ist – sie ist von Herrn Radwan angesprochen den müssen, ansonsten muss die Zahlung erst einmal worden –, dass man abwarten muss, mit welcher Ge- gestundet werden . Gegen Stundung spricht auch nichts . schwindigkeit die festgelegten Regeln in den einzelnen Ländern dann wirklich ratifiziert und umgesetzt werden. Aber die Stundung gilt nur für zwei Jahre, und wenn die zwei Jahre vorüber sind, wird das Geld endgültig gestri- Zu den Schwächen zählt aus meiner Sicht sicherlich chen; das gilt bisher schon für 2,6 Milliarden Euro . auch der Bankenabwicklungsfonds; denn wenn alles be- schlossen ist, soll auf europäischer Ebene als letzte Stufe Um es klar und deutlich zu sagen: Wir haben hier Re- bei der Rettung von Banken ein Fonds in einer Größen- geln beschlossen, die besagen, dass die Großbanken, dass ordnung von 50 Milliarden Euro entstehen . Dieser Fonds die systemrelevanten Banken – die Einzelzahlen liegen löst dann den deutschen Fonds ab . Der deutsche Fonds mir vor – entsprechend einzahlen sollen, um Wiedergut- umfasst 70 Milliarden Euro; jetzt haben wir sinniger- machung zu leisten für die vielen Milliarden, die wir in weise einen für Gesamteuropa im Umfang von nur noch diese Banken gesteckt haben . Anschließend werden die 50 Milliarden Euro . Beiträge zur Bankenabgabe festgelegt . Wenn die Banken (Manfred Zöllmer [SPD]: 55 Milliarden!) diese nicht zahlen können, dann werden diese nicht ge- stundet, sondern zum großen Teil endgültig gestrichen . – 50 Milliarden Euro insgesamt . – Die Frage ist natür- Mit der Schaffung der Bankenunion gilt das dann auch lich: Wird das reichen, wenn wir wirklich eine große für die restlichen 2,1 Milliarden Euro, die noch ausste- Bank abwickeln müssen? Es bleiben auch die Fragen: hen . Wer zahlt da in welcher Form ein? Und: Was geschieht mit unserem deutschen Fonds? (Richard Pitterle [DIE LINKE]: Skandal!) 12036 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Axel Troost (A) Da kann man nur sagen: Das ist ein absoluter Skandal . Abwicklungsmechanismusgesetz heißt? Wenn wir das (C) besser verstehen wollen, müssen wir uns gedanklich (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . noch einmal in die Krisenjahre 2007 und 2008 zurück- Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- versetzen . Auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise NEN]) mussten auch in Deutschland Banken gerettet werden . Wenn ein normales Unternehmen Zahlungen zu tätigen Dies war notwendig, weil es sonst zu einem Zusammen- hat und sie nicht leisten kann, dann werden diese gestun- bruch der Finanzmärkte mit unabsehbaren Folgen für det, aber sie werden doch nicht nach zwei Jahren gestri- Wirtschaft und Ersparnisse gekommen wäre . Gerettet chen und sind damit weg . wurden damals die Banken mit unserem Geld, dem Geld (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was hat das der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler . Das war damals mit diesem Gesetz zu tun?) unausweichlich . Aber wir haben uns in die Hand verspro- chen: Das darf nicht noch einmal geschehen . Wir wollen – Nein, das hat mit dem vorliegenden Gesetz gar nichts nicht noch einmal für die Zockereien der Banken bluten . zu tun, Banken werden auch in Zukunft pleitegehen können (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Eben!) wie jedes andere Unternehmen auch . Ein „too big to fail“ aber es passt in den Gesamtzusammenhang . Dass Sie das wird der Vergangenheit angehören; denn zukünftig wer- nicht gerne hören wollen, kann ich gut verstehen . den Eigentümer und Gläubiger vorrangig haften, nicht mehr die Steuerzahler . Risiko und Haftung gehören in (Beifall bei der LINKEN) Zukunft auch bei systemrelevanten Banken wieder zu- Eine der vielleicht kriminellsten Banken der Welt, sammen . Dazu waren viele gesetzliche Änderungen not- nämlich die Deutsche Bank wendig . Deshalb hat es lange gedauert, bis wir an diesem Punkt angekommen sind . Wir haben eine europäische (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh! Bankenunion geschaffen und umgesetzt . Wir haben ei- Das ist justiziabel! Frau Präsidentin, das ist nen europäischen Bankenfonds eingerichtet, finanziert justiziabel!) von den Beiträgen der Banken . Wir haben sehr viele Ge- – ja, ja –, die jedes Jahr in den USA zu Strafzahlungen in setze gemacht, um dieses Ziel zu erreichen . Milliardenhöhe verknackt wird und diese auch bezahlt, Jetzt sind wir dabei, das, was wir bisher in Deutsch- kann anschließend, weil das sozusagen gewinnmindernd land gemacht haben, an die europäischen Vorgaben an- ist, ihre Beiträge nicht in unseren Bankenrettungsfonds zupassen . Wir haben die FMSA, die Bundesanstalt für einzahlen . Finanzmarktstabilisierung, die als nationale Behörde tä- (B) (Dr . h .c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das tig ist . Auf europäischer Ebene haben wir eine Abwick- (D) ist ja unsäglich! Das kann man doch so nicht lungsbehörde, die von der ehemaligen BaFin-Chefin, sagen!) Frau König, geleitet wird . Das ist aus meiner Sicht ein wirklicher Skandal . Was haben wir umgesetzt? Mit einer sogenannten Haftungskaskade ist nun gesetzlich festgeschrieben, Wir verhandeln ja derzeit darüber, ob wir Kommunen wer mit welchen Wertpapieren in welcher Reihenfolge und Ländern genug Geld für die Flüchtlingshilfe zur Ver- haftungsmäßig im Fall der Insolvenz einer Bank heran- fügung stellen können; in diesem Rahmen sind Beträge gezogen wird . Neusprachlich heißt das Bail-in . Diese in Höhe von 2,1 Milliarden Euro eine große Summe . Neuregelung hat nicht alle Verfahrensbeteiligten begeis- Diese erlassen wir aber systemrelevanten Großbanken in tert, weil nun bestimmte Papiere an Wert verloren haben, Deutschland . weil sie zukünftig im Insolvenzfall herangezogen werden Danke schön . können . Dies war aber notwendig, um das Ziel der soge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . nannten Bail-in-Fähigkeit zu erreichen . Wir haben aber Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Übergangsfrist verlängert, damit sich die betroffenen NEN] – Dr .h .c . Hans Michelbach [CDU/ Finanzinstitute auf diese veränderten Bedingungen ein- CSU]: Sie müssen sich bei der Bank entschul- stellen können . digen!) Es wäre sehr gut, wenn diese Haftungskaskade, die wir hier beschlossen haben, in Zukunft zur Blaupause für Vizepräsidentin Claudia Roth: ähnliche Beschlüsse in anderen europäischen Ländern Danke, Herr Troost . – Herr Brinkhaus, Sie müssen wird . Der Kollege Radwan hat eben deutlich gemacht, noch ein bisschen warten, dann können Sie auf die Rede dass in vielen Ländern in Europa das Ganze noch nicht von Herrn Troost eingehen . umgesetzt worden ist . Das ist etwas, was so nicht sein kann . Nächster Redner: Manfred Zöllmer von der SPD . Über die Verordnungsermächtigung zur Umsetzung (Beifall bei der SPD) der sogenannten Mindestanforderungen an das Risiko- management, über die sogenannten MaRisk, haben wir Manfred Zöllmer (SPD): längere Zeit diskutiert . Es hat ein bisschen öffentliche Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kritik der EZB gegeben . Diese fürchtete, damit sei die Warum beschließen wir heute eigentlich ein Gesetz, das einheitliche europäische Bankenaufsicht bedroht . Man Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12037

Manfred Zöllmer (A) muss aber wissen, eine Reihe anderer Länder in Europa Risiko und Haftung fallen zukünftig wieder zusammen . (C) haben bereits ähnliche Verordnungen beschlossen . Wer schlecht wirtschaftet, geht in Insolvenz . Das gilt zu- künftig auch für Banken . Für die beiden regierungstragenden Fraktionen gilt, dass niemand eine einheitliche europäische Aufsicht be- Vielen Dank . hindern will . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Wir haben dafür gesorgt, dass sie eingeführt wird . Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Herr Kollege Zöllmer .– Nächster Red- (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE ner in der Debatte: Dr . Gerhard Schick für Bündnis 90/ GRÜNEN]: Interessant, was Sie da so sagen!) Die Grünen . Es muss aber darum gehen, lieber Kollege Schick, die Besonderheiten des deutschen Bankensystems – wir sind Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): uns doch sicher einig, dass das deutsche System eine Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- ganze Reihe von schützenswerten Besonderheiten hat – legen! Uns liegt ein Gesetzentwurf vor, der zeigt, dass (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr wahr!) die Bundesregierung und die Koalition das Eigentliche gar nicht mehr regeln müssen . Weil das auf europäischer angemessen zu berücksichtigen . Zudem müssen wir si- Ebene schon geregelt ist, konnten sie zum Glück gar cherstellen, dass die BaFin in Zukunft auf Augenhöhe nicht so arg viel schlecht machen . agieren kann . (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben viel gut gemacht, heißt das!) der CDU/CSU – Dr .Gerhard Schick [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Augenhöhe mit Die grundlegende Idee, einen Abwicklungsmechanismus wem?) auf europäischer Ebene einzuführen, finden wir richtig, und dafür sind technische Anpassungen erforderlich . – Auf Augenhöhe mit der EZB . – Deshalb haben wir Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen . einen vernünftigen Kompromiss gefunden: Nicht die BaFin, sondern das Finanzministerium erlässt diese Ver- (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Sehr ordnung; dies geschieht auf der Basis europäischer Rege- gut!) lungen, und der Finanzausschuss des Deutschen Bundes- Es gibt allerdings drei Punkte, die ich ansprechen tags ist entsprechend einzubinden . (B) muss, bei denen wir ganz klar eine andere Position ver- (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Ge- treten – diese sind ja teilweise in den Redebeiträgen, die setzentwurf stellen wir sicher, dass auch in der Über- wir gehört haben, bereits angeklungen –: gangsphase genügend Geld zur Verfügung steht, um in Der erste Punkt betrifft die Verordnungsermächtigung einem Insolvenzfall leistungsfähig zu bleiben . Die Mit- zum Risikomanagement; Herr Kollege Zöllmer, Sie ha- tel der deutschen Bankenabgabe stehen zur Verfügung . ben das schon angesprochen . Wir haben in Europa ja nun Durch eine Kreditermächtigung haben wir die Leistungs- endlich eine Bankenaufsicht . Wir Grünen hätten sie lie- fähigkeit der deutschen Kammer des europäischen Ab- ber parlamentarisch kontrolliert; wicklungsfonds erheblich erhöht, bis dieser Fonds im Jahr 2024 mit 55 Milliarden Euro, lieber Axel Troost, (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) gefüllt sein wird . aber es wurde der Weg eingeschlagen, den die Bun- Schaut man sich die europäische Ebene genauer an, so desregierung vorgeschlagen hatte . Das war der einzige muss es jetzt darum gehen, dass die einheitliche Umset- Vorschlag, der damals auf dem Tisch lag . Deswegen ist zung der europäischen Regelungen Vorrang hat . Es soll- jetzt die Europäische Zentralbank für die Bankenaufsicht te Aufgabe der Europäischen Kommission sein, darauf zuständig . Jetzt ist es erforderlich, dafür zu sorgen, dass hinzuwirken, dass diese Richtlinien zügig in nationales diese einheitliche europäische Aufsicht ihre Arbeit sinn- Recht umgesetzt werden . Man sollte nicht öffentlich über voll machen kann . Wenn jetzt jeder Staat sein Bankenauf- irgendwelche zu vergemeinschaftende Einlagensiche- sichtsrecht einzeln definiert, dann müssen die Aufseher rungssysteme nachdenken . Das schafft nur Verwirrung . der Europäischen Zentralbank bei ihrem Agieren ständig Deshalb unterstützen wir ausdrücklich unseren Finanz- unterschiedliche nationale Aufsichtsrechte zugrunde le- minister, der deutlich gemacht hat, dass so etwas zum gen . Das wäre kompliziert, und vor allem hätten wir das jetzigen Zeitpunkt mit Deutschland nicht zu machen ist . Ziel dann immer noch nicht erreicht, nämlich ein einheit- liches Spielfeld für die Banken in Europa . Wir wollen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nicht, dass jeder Staat Ausnahmeregelungen gestalten Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz mar- kann, weil dadurch das Gesamtsystem instabil würde . kiert einen guten Tag für den Steuerzahler, einen guten Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Waffen . Tag für die soziale Marktwirtschaft . Darüber wundere ich mich schon . Sie gehen also in eine (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE neue Auseinandersetzung über die Gestaltung des Play- GRÜNEN]: Feststehender Textbaustein bei ing Fields in Europa, anstatt konstruktiv daran mitzuwir- euch!) ken, dass wir endlich eine sinnvolle Aufsichtsstruktur in 12038 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Gerhard Schick (A) Europa erhalten . Sie sind damit einmal mehr europapoli- man sie nicht wirklich abwickeln kann . Deswegen bleibt (C) tisch auf dem Holzweg . die Frage des Trennbankensystems auf der Tagesord- nung . Es ist dringend notwendig, dass Sie von der Brem- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) se heruntergehen und hier für ein europäisches Trennban- Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, hat mit kengesetz eintreten . einem Aspekt zu tun, den wir schon seit langem the- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – matisieren, übrigens auch gemeinsam mit den Sozial- Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Machen demokraten, als sie noch in der Opposition waren . Es wir ja! – Zurufe von der CDU/CSU) geht darum, dass wir hinsichtlich des Umgangs mit den Abwicklungsanstalten eine gesetzgeberische Lücke ha- – Aber auch eines mit Biss . ben: Während man für die Vergütungen der Vorstände Das Zweite ist etwas, über das wir noch nicht so der Banken, die gerettet wurden, einen Deckel festgelegt viel diskutiert haben, nämlich das „No creditor worse hat, hat man einen solchen Deckel für die Vergütungen off“-Prinzip . Ich glaube, dass an dieser Stelle ein Prob- der Vorstände von Abwicklungsanstalten, die von diesen lem darin liegt, dass man in der Situation der Abwicklung Banken abgespalten wurden, nicht festgelegt . Deswegen nachweisen muss, dass keiner der Gläubiger schlechter hat uns der Bundesrechnungshof aufgefordert, auch für gestellt wird als in einem Insolvenzverfahren . Das wird die Abwicklungsanstalten Gehaltsbeschränkungen ein- die Verfahren möglicherweise erschweren . Hier gilt es, zuführen . Wir haben einen entsprechenden Antrag im harte Vorgaben umzusetzen . Es bleibt also in Sachen Ausschuss vorgelegt. Sie haben das abgelehnt. Ich finde, Bankenabwicklung noch viel zu tun, damit das Ziel, den das ist ein Fehler; denn auch an dieser Stelle müssen wir Steuerzahler vor Bankenrisiken zu schützen, erreicht dafür sorgen, dass nicht zulasten der Steuerzahler Millio- wird . nen kassiert werden . Es ist ja so, dass auf dem Finanzsek- tor insgesamt zu hohe Gehälter gezahlt werden . Dort, wo Danke . wir sinnvolle Regelungen schaffen können, sollten wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das tun, um diese zu begrenzen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Claudia Roth: sowie des Abg . Dr .Axel Troost [DIE LINKE]) Vielen Dank, Gerhard Schick .– Nächster Redner in Der dritte Punkt betrifft die Frage, ob das Geld für den der lehrreichen Debatte: Ralph Brinkhaus für die CDU/ europäischen Fonds ausreicht . Die vorgesehenen 55 Mil- CSU . liarden Euro werden – das wird deutlich, wenn wir die (Beifall bei der CDU/CSU) (B) Erfahrungen der letzten Finanzkrise zugrunde legen – (D) nicht ausreichen, wenn es noch einmal zu einer schweren (CDU/CSU): Krise kommt . Es wäre aber auch nicht sinnvoll, einen Ralph Brinkhaus extrem großen Topf zu schaffen . Das Entscheidende ist, Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Wenn der Kollege dass man eine Kreditlinie hat . Das gilt umso mehr für Troost von den Linken gar nicht zu diesem Gesetzent- die Phase des Übergangs, für die Zeit, in der sich dieses wurf redet und dann auch noch teilweise beleidigend und System aus den nationalen Töpfen heraus aufbaut . Ein- ausfallend wird, muss dieser Gesetzentwurf ja ganz gut mal mehr waren Sie europapolitisch auf dem Holzweg . sein . Sie haben nicht für die Schaffung einer Kreditlinie zum (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Aber die Zah- ESM, also für eine europäische Lösung, plädiert, sondern len waren doch ganz interessant, oder nicht?) Sie schaffen jetzt eine neue Kreditmöglichkeit auf nati- onaler Ebene . Damit stehen wir wieder vor genau dem Denn sonst hätte er über das geredet, was hier heute zur Problem, das Sie vorgeben lösen zu wollen, nämlich ei- Debatte steht . ner Verbindung von Bankenrisiken und Staatenrisiken . (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Wenn es zu einer Bankenkrise in einem finanziell nicht GRÜNEN]: Werfen Sie sich schützend vor die so starken europäischen Mitgliedstaat käme, könnte das Deutsche Bank und die vielen kriminellen Sa- erneut Probleme bei der Staatsfinanzierung auslösen, und chen! Das ist ja krass!) dann wären wir in genau dem Schmodder, der eigentlich Meine Damen und Herren, am 29 .Juni 2012 ist Fol- bekämpft werden soll . Wir halten das für falsch . Wir ha- gendes passiert: An diesem Tag hat man sich in Europa ben Sie aufgefordert, das anders zu machen . Da ist auf darauf geeinigt, dass man eine Bankenunion einführt, jeden Fall noch eine wichtige Korrektur vorzunehmen . dass man alle wichtigen Banken in Europa gemeinsam (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) beaufsichtigt, damit in Griechenland, Spanien, Portugal, aber auch in Deutschland kein Unsinn mehr geschehen Ich will mit Blick auf die weitere Diskussion über die kann . Man hat gesagt: Wenn eine Bank in die Insolvenz Abwicklung von Banken noch zwei Punkte ansprechen . geht, dann soll nicht der Steuerzahler bluten, sondern Das muss man an dieser Stelle einfach sagen, weil nicht dann sollen zuerst die Eigentümer bluten, dann die Gläu- der Eindruck entstehen darf, mit diesem Gesetz und den biger, dann ein Fonds, der von den Banken selber zu fi- Institutionen, die bisher geschaffen wurden, seien die nanzieren ist, und erst dann, wenn etwas schiefgeht, ist Probleme gelöst . der europäische Steuerzahler dran . Genau das setzen wir Es bleibt dabei, dass die großen Banken zu komplex heute wieder einmal mit einem Gesetz um, indem wir sind, zu groß und auch in ihrer internen Struktur so, dass das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz, das Kreditwe- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12039

Ralph Brinkhaus (A) sengesetz und das Restrukturierungsfondsgesetz ändern . vermitteln, dass es in Deutschland so etwas wie Spar- (C) Dies ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur euro- kassen und Volksbanken gibt und einen Mittelstand, der päischen Bankenunion . Kredite braucht . Das waren viele Kämpfe . Aber wenn diese Kämpfe ausgestanden waren, wenn diese Gesetze (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und Direktiven fertig waren, dann waren es meistens wir ordneten der SPD) in Deutschland, die diese Dinge am schnellsten und am Es wäre schön gewesen, wenn in dem einen oder an- gründlichsten umgesetzt haben, teilweise zum Leidwe- deren Debattenbeitrag auch darauf hingewiesen worden sen der Wirtschaft, und die das nicht nur in die Geset- wäre, dass dieses Prinzip, dass nicht mehr der Steuerzah- zesblätter hineingeschrieben haben, sondern auch dafür ler für Bankeninsolvenzen zahlen soll, in Deutschland gesorgt haben, dass das im täglichen Aufsichtshandeln, schon seit 2010 gilt, dass wir schon 2010 ein Restruktu- in der täglichen Bankenpraxis Einzug gefunden hat . rierungsgesetz auf den Weg gebracht haben Deswegen, meine Damen und Herren, braucht uns (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE niemand, weder in Frankfurt bei der EZB noch in Brüs- GRÜNEN]: Jetzt kommt der alte Textbaustein sel bei der Kommission, darüber zu belehren, was eine wieder!) europäische Bankenunion und was europäische Finanz- marktregulierung ist . Uns muss auch deswegen niemand und 2011 mit dem Restrukturierungsfondsgesetz das not- belehren, weil wir ganz genau wissen, welche Schwä- wendige Geld dafür eingesammelt haben . Das zeigt, dass chen dieses System hat . Finanzpolitik, dass Regulierungspolitik in Deutschland immer besonders innovativ war, auch im Gegensatz zu Um einige Beispiele für die Schwächen zu nennen: Europa . Wir sind nicht nur mit dem Restrukturierungsge- Die Europäische Zentralbank hat versprochen, dass Ban- setz vorangegangen . Wir haben wahrscheinlich als erstes ken nur besenrein, also ohne Risiken, in dieses System Land auf der Welt schon 2010 die toxischen Leerverkäu- hineinkommen . Was haben wir in Griechenland gesehen? fe reguliert und teilweise verboten . Wenn Griechenland in die Knie geht, ist das griechische Bankensystem nicht in der Lage, das zu kompensieren . (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Wir haben in Zypern gesehen: 50 Prozent der Bilanzsu- GRÜNEN]: Sie haben die Rede schon einmal mme bestehen dort aus sogenannten notleidenden Kredi- gehalten!) ten, und die dortigen Banken sind nicht durch den Stress- Wir haben als erstes Land auf der Welt den Hochfre- test gefallen . In Portugal und Spanien haben wir gesehen, quenzhandel reguliert . Wir waren die Ersten – das haben dass dort mit bestimmten steuerlichen – ich will nicht Sie, Herr Schick, nicht gesagt –, die ein Trennbankenge- „Tricks“ sagen – Instrumenten dafür gesorgt worden ist, setz auf den Weg gebracht haben . dass der Stresstest überhaupt bestanden wurde . (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gerhard Wir wissen, dass es diese Fehler gibt . Wir wissen Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie auch, dass wir keine Trennung von Steuerzahlerrisiken, haben es schon fünfmal gesagt! Dieses Trenn- Länderrisiken und Bankenrisiken hinbekommen, wenn bankensystem ist Mist!) griechische Banken das meiste Geld an den griechischen Staat, portugiesische an den portugiesischen Staat und Deutschland war immer sehr innovativ und ist im Be- deutsche an den deutschen Staat ausleihen . Wenn die reich der Bankenregulierung und der Sicherheit der Ban- ganze Sache nicht mit Eigenkapital zu unterlegen ist, ken vorangegangen . Wir haben auch an den europäischen dann haben wir auch kein geringeres Risiko . Deswegen Projekten sehr konstruktiv mitgearbeitet, zum Beispiel müssen wir da nacharbeiten . an der CRD IV und der CRR; da ging es um Eigenkapi- tal und Liquidität . Wir haben im Schattenbankenbereich Wir müssen auch an einer anderen Stelle nacharbei- bei der AIFM-Richtlinie mitgearbeitet, und wir haben bei ten . Sehen Sie sich doch einmal an, wer die ganzen Re- der Regulierung der für den Finanzmarkt sehr gefährli- gulierungen im Zusammenhang mit der Bankenunion in chen Derivate, bei der EMIR‑Paketlösung, mitgearbeitet . Europa umgesetzt hat – und zwar vollständig –, wer Geld Auch das haben wir in Deutschland gemacht, weil wir in seinen Restrukturierungsfonds einzahlt, wer tatsäch- eins immer wussten – das war die Leitplanke unseres lich die Einlagensicherungsrichtlinie und die Abwick- Handelns –: Es muss unser Ziel sein, jedes Produkt, je- lungsrichtlinie umgesetzt hat . den Finanzmarkt und jeden Vertriebsweg zu regulieren . (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist der Weg, auf dem wir 2008, damals noch in der Wir!) ersten Großen Koalition, aufgebrochen sind . Jetzt, sieben Jahre später, sind wir schon viel weiter . Zum Schluss sage ich eines ganz klar – das ist die Botschaft, die hier und heute von der CDU/CSU-Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) destagsfraktion und, weil es im Koalitionsvertrag steht, Wir waren auch diejenigen, die immer gewusst ha- auch von der SPD ausgeht –: Es ist vor diesem Hinter- ben, dass Geld keine Grenzen kennt, dass man deswe- grund absolut unverständlich, dass die Kommission und gen am besten internationale Lösungen findet und dass die Europäische Zentralbank zu diesem Zeitpunkt über wir, wenn internationale Lösungen nicht möglich sind, eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung reden . europäische Lösungen brauchen . Deswegen akzeptieren (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir, dass wir eine europäische Aufsicht und eine europä- ische Regulierung haben . Europa hat es uns dabei nicht Meine Damen und Herren, das können wir nicht akzep- immer leicht gemacht . Es war immer sehr schwierig, zu tieren; wir werden uns an geeigneter Stelle und in ande- 12040 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Ralph Brinkhaus (A) ren Debatten noch dazu äußern . Das ist eine Provokation die Sparer schützen, aber jene an den Kosten beteiligen, (C) von Brüssel, zeigt aber auch einen archetypischen Hand- die die Krise verursacht haben, also zum Beispiel Spe- lungsstrang, den wir in Brüssel erleben: Anstatt Hüter der kulanten, Erfinder von toxischen Produkten und, wie wir Verträge zu sein, anstatt darauf zu achten, dass das, was inzwischen wissen, Leute, die den Libor manipuliert und beschlossen worden ist, richtig gemacht wird, geht man daran verdient haben . Diese Leute sollten für die Krise immer weiter in Richtung weiterer Vergemeinschaftun- bezahlen . gen . (Dr .Axel Troost [DIE LINKE], an die CDU/ (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: CSU gewandt: Die Deutsche Bank!) Genau! Die lernen nicht dazu!) Das ging aber nicht . Dann muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrau- Das Gute an einem Insolvenzverfahren ist, dass man en in Europa darunter leidet . Dann muss man sich auch sich nach einer Insolvenz anschaut, was an dem betref- nicht wundern, wenn Länder wie Großbritannien darüber fenden Unternehmen gut ist – das will man erhalten – nachdenken, dieses Europa zu verlassen . und was an ihm schlecht und nicht mehr tragfähig ist; Wir wollen ein Europa . Wir wollen ein gutes Europa . das will man vom Markt nehmen . Dieses Ziel verfolgen Aber dazu muss ein Schritt nach dem anderen gemacht wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, dessen werden . Dazu gehört: keine Vergemeinschaftung der komplizierten Namen ich eben genannt habe . Einlagensicherung, zumindest nicht in dieser Phase . Damit wollen wir künftig Sparer, Steuerzahler und Danke schön . Kreditnehmer schützen . Wir wollen dafür sorgen, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die betreffenden Banken im Rahmen eines Bail‑in all das bezahlen, was in der Bank ist, und auch die Risiken, die dort eingegangen wurden, übernehmen . Es gibt aber im- Vizepräsidentin Claudia Roth: mer wieder Kritik an der letzten Instanz . Wir sagen: Die Danke, Herr Brinkhaus . – Nächster Redner: Lothar Banken sollen 55 Milliarden Euro in einen Fonds einzah- Binding für die SPD . len .– Diese Zahl wird kritisiert . Gelegentlich tun es die (Beifall bei der SPD) Grünen; eben hat es auch Axel Troost wieder getan . Ich will einmal meinen berühmten Zollstock herausho- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): len und Ihnen etwas zeigen: Das ist in etwa so, als wenn Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! man eine Treppe in den ersten Stock baut . Dabei kann man oben oder unten anfangen, je nachdem, was für eine (B) Sehr verehrte Damen und Herren! Was der Kollege (D) Brinkhaus eben zur Einlagensicherung und zur Verge- Treppe es ist . Axel Troost sagt immer: Diese Stufe ist viel meinschaftung gesagt hat, findet unsere uneingeschränk- zu niedrig; da kann man das erste Stockwerk gar nicht er- te Unterstützung . reichen .– Wir sagen dann: Moment mal, du hast ja vom Gesamtzusammenhang gesprochen . Wir müssen uns die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – ganze Treppe anschauen . Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist aber sehr vernünftig!) (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Es weiß aber keiner, wie die Treppenstufen aussehen im Das ist sehr gut . Es ist nämlich ein stabilisierendes Ele- Einzelnen!) ment in Europa, auch wenn es im Moment national or- ganisiert ist . Wenn man die nämlich geht, dann erreicht man auch das oberste Stockwerk . (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und ich dachte, ihr wollt eine Schulden- und Haf- Um das mit den Stockwerken etwas genauer zu be- tungsunion! Das ist jetzt aber neu!) schreiben: Du hast ganz vergessen, dass zunächst das harte Eigenkapital haften muss . Ich bin mit dem Fahrrad hierhergefahren und habe auf dem Weg und eben im Restaurant einige Leute gefragt, (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist rich- was sie sich unter dem Abwicklungsmechanismusgesetz tig!) vorstellen . Es wird niemand glauben: Keiner wusste, was – Ja, das ist richtig .– Danach muss das zusätzliche Ei- damit gemeint ist . genkapital haften . (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist auch der CDU/CSU) richtig!) Dafür habe ich vollstes Verständnis; deshalb will ich – Das ist auch richtig .– Dann muss das Ergänzungskapi- dazu einen Satz sagen . tal haften; das ist auch richtig . Wir hatten ja eine Krise . Die Banken waren insolvent, (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Dann sind also zahlungsunfähig . Aber es war unklar, wie die Banken wir immer noch weit unter 50 Prozent!) und wir damit umgehen, weil es kein Insolvenzrecht für Banken gibt . Was haben wir dann gemacht? Wir haben Dann wird Fremdkapital in Eigenkapital umgewan- die Banken mit Steuergeld gerettet . Das hat die Steuer- delt; das ist auch richtig . Im Anschluss daran greifen Ab- zahler und uns natürlich sehr geärgert . Denn wir wollten schreibungsvorschriften; auch das ist richtig . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12041

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Ich will das gar nicht zu Ende führen . die Bonitätsnoten vieler Banken gesenkt . Daraus folg- (C) (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Mach mal te für die Banken zwingend, dass sie sich selbst darum ruhig weiter mit den Einlagen, die dann weg kümmern müssen, mehr Eigenkapital aufzubauen und sind auf einmal!) die innere Sicherheit der Banken zu stabilisieren . Daran merkt man, dass unsere Regulierungen auch via Urteile Wir merken: Diese 55 Milliarden Euro sind nur die letzte der Rating-Agenturen sehr gut funktionieren . Stufe . Alle anderen hast du vergessen . Deshalb nennst du auch den Gesamtbetrag nicht . Es wäre doch interessant, Ich hoffe, dass sie so gut funktionieren, dass der Steu- in deiner Rechnung zu erfahren, wie hoch eigentlich die erzahler tatsächlich nie mehr zur Kasse gebeten wird, gesamte Sicherung ist, die aus dieser Gesetzgebung folgt . weil Manager Fehlentscheidungen getroffen haben . (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Das weiß (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Hoffnungen keiner!) sind immer gut!) – Das weiß keiner, auch nicht der Axel Troost . Vielen Dank . (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Nein, aber ihr ja auch nicht!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb und weil er alles andere nicht berücksichtigt, Vizepräsidentin Claudia Roth: kann er das auch nicht kritisieren, jedenfalls nicht in der Form, dass 55 Milliarden Euro nicht genügen . Vielen herzlichen Dank, Lothar Binding – auch für die Treppe, die Sie präsentiert haben . (Beifall bei der SPD) (Dr .h .c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Wenn man alles weglässt, dann hat man natürlich zu we- war schief! Darauf kann keiner gehen!) nig; das ist klar . Für uns hier oben ist auch viel Neues dabei . (Manfred Zöllmer [SPD]: Nicht dein Tag heute, Axel!) Letzter Redner in dieser sehr emotionalen Debatte: Ich mache hier eine kleine Zäsur und will auch sagen, Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion . Sie was uns geärgert hat: Der Bankenverband hat immer müssen das jetzt toppen . Das wird nicht leicht . wieder versucht, zu erreichen, dass die Bankenabgabe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht wer- (B) den kann . Dazu muss ich sagen: Das hat uns geärgert . (D) Anfangs haben wir noch gesagt: Das muss in Europa Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): gleichmäßig geregelt werden; fast alle anderen haben das Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht .– Der Bankenverband wollte das aber auch noch, Wir diskutieren heute, wie wir so schön sagen, über den als Frankreich schon längst auf dem Weg war, diese letzten Teil der Bankenunion . Bankenunion bedeutet: Möglichkeit wieder abzuschaffen . Aufsicht in erster Linie über große internationale, sys- Ich finde, die Banker haben hier eine Logik nicht ver- temrelevante Finanzunternehmen und auch deren Ab- standen; denn wenn wir es zulassen würden, dass die wicklung, wenn sie in die Schieflage geraten. Bankenabgabe als Betriebsausgabe steuerlich geltend Diese Maßnahme darf man aber niemals alleine sehen, gemacht werden kann, dann hieße das, dass sich der sondern man muss sie in die 40 Maßnahmen einbetten, Steuerzahler an dem, was die Banken zu ihrer eigenen Rettung einzahlen, mit 30 Prozent beteiligt . Das wollten die wir in den letzten sieben Jahren umgesetzt haben, wir nicht . um den Finanzmarkt nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa zu stabilisieren und um das sicherzustel- (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Aber wenn die len, was unser Credo ist: Wir wollen nicht mehr, dass der Großbanken nichts einzahlen, können sie auch Steuerzahler für Banken haftet, die in die Schieflage ge- nichts absetzen! Ist doch klar!) raten . – Das ist der Kern . Deshalb sind wir für den von uns allen gefundenen guten Kompromiss dankbar . Dass die Anrechnungsfähig- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- keit als Steuersparmodell hier nicht durchgesetzt wurde, ordneten der SPD) ist eine sehr gute Sache . Lieber Kollege Troost, ich bitte Sie, noch einmal in (Beifall bei der SPD) den Berichten der Bundesanstalt für Finanzmarktstabili- sierung nachzusehen . Sie haben gerade nämlich davon Ich will noch kurz darlegen, woran wir erkennen, dass unsere Regulierungen gut funktioniert haben: Ich kom- gesprochen, was die damalige Krise alles ausgelöst hat . me zwar ungern auf die Rating-Agenturen zurück – jeder Keine der Garantien, die wir damals durch den Soffin weiß, dass Fitch und Standard and Poor’s Rating-Agen- gegeben haben – der Gesamtumfang betrug 168 Milliar- turen sind, und jeder kennt meine guten Englischkennt- den Euro –, musste eingelöst werden . nisse und weiß, dass „Rating“ für mich von „Raten“ kommt, weshalb ich nicht gerne darauf zurückkomme –, (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist rich- aber sie haben etwas Gutes gemacht . Sie haben nämlich tig!) 12042 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Klaus-Peter Flosbach (A) Unser größter Verlust war der Schuldenschnitt in Grie- ken durchgesetzt, dass die Bundesbank davor warnt und (C) chenland mit über 9 Milliarden Euro . uns sagt, doch bitte aufzupassen, dass alles miteinander (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das! abgestimmt ist und wir nicht den Weg beschreiten, die Genau!) Rentabilität in deutschen Banken total herunterzufahren . Viele Banken haben alles zurückgeführt . Das sollten wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – hier erst einmal festhalten, bevor wir hier mit falschen Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Die kann ich Zahlen kommen . stunden, aber die muss ich doch nicht erlas- sen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Aber bei der HRE stimmt das Wir fragen natürlich: Reichen all diese Maßnahmen nicht! Die HRE ist immer noch mit 9 Milliar- aus? Hier ist mehrfach der europäische Fonds angespro- den dabei!) chen worden, der von den Banken bezahlt werden soll . Gut, das wissen wir einfach nicht . Wir wissen nur eines: Das Wichtigste für die Banken und für die Stabilisierung Ein Grund der Krise war, dass Haftung und Verantwor- des Marktes ist ohne Zweifel, dass genügend Eigenkapi- tung auseinandergefallen sind . Ich halte es für richtig, tal zur Verfügung steht . Ich bin auch froh, dass die G 20 dass Deutschland auch in den Verhandlungen dafür ge- im November festlegen wollen, wie viel Kapital die gro- sorgt hat, dass nicht sofort der europäische Rettungs- ßen, systemrelevanten Banken vorhalten müssen und wie fonds, der ESM, wieder einspringt, wenn im Fonds nicht die Roadmap für die sogenannten Schattenbanken ausse- mehr genug Geld sein sollte; denn das wäre der falsche hen soll . Das ist wichtig für die gesamte Marktstabilität . Weg . Es geht heute darum, die Risiken zu minimieren, Für uns ist einfach wichtig, dass wir, wenn eine Bank nicht darum, sie auf die anderen Länder zu verteilen . Das wirklich in Schieflage gerät, wissen, wie abgewickelt wäre, Herr Troost, der falsche Weg . Den wollen wir nicht wird . Da sind wir mit diesem Gesetzentwurf, mit der beschreiten, liebe Kolleginnen und Kollegen . Umsetzung der Anpassung an die europäischen Vorga- ben, ein wesentliches Stück weitergekommen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall des Abg . Lothar Binding (Heidel- Wir erleben in der Tat derzeit eine Asymmetrie; vie- berg) [SPD]) le Länder haben die Bankenabwicklungsrichtlinien noch nicht umgesetzt . Wir sind in der Tat – der Kolle- Dann wird, lieber Kollege Binding, eben nicht mehr zu- ge Brinkhaus hat das noch einmal dargelegt – immer die nächst der Steuerzahler herangezogen, sondern in erster Ersten gewesen: beim Restrukturierungsgesetz und bei Linie die Aktionäre selbst und das Eigenkapital in Höhe vielen anderen Maßnahmen . Wir sind die Schnellsten, um (B) von 8 Prozent der Bilanzsumme . Dann sind die Gläubi- Stabilität in unserem Markt hinzubekommen . Deswegen (D) ger an der Reihe – die Größenordnung wird ja im Markt ist es für mich auch äußerst wichtig, dass wir nicht auf diskutiert; es geht um 600 Milliarden Euro Schuldtitel ‑; die falschen Felder gehen, indem wir jetzt schon wieder das ist die sogenannte Bail-in-Phase . Das heißt, sie kön- vergemeinschaften wollen . Dazu kommt nun auch noch nen als haftendes Eigenkapital herangezogen werden . die sogenannte Einlagensicherung bei unseren Banken . Erst dann kommt der gemeinsam von den Banken zu fi- Das betrifft insbesondere die Sparkassen und die Volks- nanzierende Fonds in Höhe von 55 Milliarden Euro, der banken . Es darf nicht sein, dass diese mit ihren Einlagen in der Tat erst im Aufbau begriffen ist . dafür geradestehen müssen, wenn in anderen Ländern Nun sage ich dem Kollegen Troost – weil er hier heute Fehler passieren . Das machen wir auf jeden Fall nicht dargestellt hat, dass das alles nur ein Geschenk an die mit, liebe Kolleginnen und Kollegen . Banken gewesen ist – Folgendes: Sie haben eine Anfrage Herr Schick, Sie haben davon gesprochen, dass Sie an das Ministerium gerichtet . Das habe ich mir natürlich genau angeguckt . In der Antwort steht ausdrücklich, dass keine Verordnung haben wollen, was die Mindestan- die Nachhaftung nur für zwei Jahre besteht, weil erstens forderung an das Risikomanagement angeht . Sie sagen der Bundesrat das verlangt hat und weil zweitens erheb- hier – obwohl viele Länder eigene Verordnungen haben – liche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, das noch in der jetzigen Phase, wo die europäische Abwicklung länger auszuführen . Es war insofern kein Geschenk . noch nicht steht, dass wir die deutsche Position jetzt auf- geben sollen . Dabei entscheidet es sich in den nächsten Außerdem gab es bei jeder Bank eine Begrenzung zwei Jahren, wie die Regeln auf europäischer Ebene sein auf 20 Prozent ihres Jahresgewinns . Die zahlen natürlich werden . Damit würden Sie unsere Position völlig freige- erst einmal ihre normalen Steuern . Dann kommen noch ben . Das werden Sie mit uns niemals machen können . einmal 20 Prozent darauf, und dieser Betrag ist nicht ab- zugsfähig . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Ja! Ist doch Sie haben gesagt, wir sollten in Deutschland nicht den klar!) Fehler machen, bei Abwicklungsanstalten Millionenge- hälter zu zahlen . In der Tat ist es so, dass wir in Deutsch- Damit hat man auch die Belastung . land zwei große Abwicklungsanstalten haben, die soge- Deshalb bitte ich Sie als Nächstes: Gucken Sie sich nannten Bad Banks, die derzeit Papiere in dreistelliger einmal den Bericht der Bundesbank über die Rentabilität Milliardenhöhe verkaufen und sie in den Markt hinein- deutscher Banken an . Da werden wir gewarnt . Wir ha- geben . Sie machen das sehr erfolgreich . Bisher sind die ben hier so viele Maßnahmen zur Regulierung der Ban- Gehälter dort nicht über die Maßen hoch, sondern ent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12043

Klaus-Peter Flosbach (A) sprechen in etwa dem, was Firmen, die in die Krise ge- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: (C) kommen sind, an ihre Manager bezahlen . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias Wir haben immer dafür plädiert, da keine Begrenzung W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), einzuführen . Nach dem Vorschlag, der in Ihrem Antrag Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der enthalten ist, hätte jeder Sparkassendirektor ein Mehr- Fraktion DIE LINKE faches an Rentenansprüchen gegenüber denjenigen, die Erziehungsleistung von Adoptiveltern würdi- hier für uns die Kastanien aus dem Feuer holen sollen, gen – Mütterrente anerkennen die für uns dreistellige Milliardenbeträge retten sollen . Wenn sie einen Fehler machen, dann gnade uns Gott . Drucksache 18/6043 Wir müssen dafür sorgen, dass wir die besten Leute ha- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) ben, die hinter diesem Staat stehen und diese schwierige Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Aufgabe übernehmen, sodass wir in Deutschland keine Verluste erleben . b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Vizepräsidentin Claudia Roth: Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein- Denken Sie bitte an Ihre Redezeit . gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin, Drucksache 18/4107 ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf zum letzten Teil der Bankenunion tragen wir einen erheblichen Teil zur Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Stabilisierung der Märkte, zur Stabilisierung des Finanz- ses für Arbeit und Soziales (11 .Ausschuss) systems und dazu bei, dass der Steuerzahler nicht mehr Drucksache 18/5279 herangezogen wird, wenn Banken in eine Schieflage ge- raten . Ich bitte, zügig die Plätze zu wechseln, damit wir gleich anfangen können . Vielen Dank . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre und ordneten der SPD) sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . (B) Ich eröffne die Aussprache mit Matthias W . Birkwald (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: für die Linke . Vielen herzlichen Dank, lieber Klaus-Peter Flosbach . (Beifall bei der LINKEN) Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des nationalen Bankenabwick- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): lungsrechts an den Einheitlichen Abwicklungsmechanis- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und mus und die europäischen Vorgaben zur Bankenabgabe . Herren! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher auf Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- den Tribünen! Das Rentenpaket ist jetzt mehr als ein fehlung auf Drucksache 18/6091, den Gesetzentwurf Jahr alt . Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5009 und haben profitiert. Chronisch Kranke, die eine Erwerbs- 18/5325 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit- minderungsrente beantragen müssen, und Beschäftigte, te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- die 45 Jahre lang geschuftet haben und dieses Jahr ab fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen .– Wer 63 Jahren in Rente gehen können, profitieren ebenfalls stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- vom Rentenpaket . wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Ist doch gut!) CDU/CSU, SPD und den Grünen bei Enthaltung von der Linken angenommen . – Da könnt ihr auch klatschen . Dritte Beratung (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD) und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Aber jetzt werden wir über zwei Gruppen von Müt- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ge- tern sprechen, die durch das Rentenpaket massiv be- setzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, nachteiligt werden . Ingrid Berger hat neben ihren zwei leiblichen Kindern drei Kinder aus Indien und Vietnam Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linken ange- adoptiert . Für diese drei Kinder erhält sie keinen Cent nommen . – Vielen Dank für die wirklich lehrreiche De- sogenannter „Mütterrente“, weil die Bergers ihre Kinder batte . Dass man darüber so emotional diskutieren kann, erst nach deren erstem Geburtstag adoptiert haben . Hät- hat mich begeistert . ten die Bergers ihre Kinder nach dem Juli 2014 adoptiert, (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: dann würden sie die Kindererziehungszeiten anteilig an- Nicht nur über Menschenrechte!) gerechnet bekommen und erhielten mehr „Mütterrente“ . 12044 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Matthias W. Birkwald (A) So gehen sie leer aus . Das ist ein Schlag ins Gesicht die- Frau Blankenhagen aus dem schönen Harz und Frau Au- (C) ser Adoptiveltern, und davon gibt es viele . gustin-Grau aus dem noch schöneren Köln . Ihnen geht es nur darum, dass sie nicht durch den Umstand, dass Der Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien sie Kinder geboren haben, benachteiligt werden und dass spricht von sage und schreibe 40 000 betroffenen Famili- en . Sozial gerecht ist das nicht . sie nicht einen Monat länger auf die Rente ab 63 warten müssen als Männer . Das ist doch nur gerecht . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Darum fordere ich Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- Wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von gen von Union und SPD, nachdrücklich auf: Lassen Sie CDU, CSU und SPD, diesen Müttern antworten, dass es die 40 000 Adoptiveltern nicht im Regen stehen! Legen ihr Problem gar nicht gebe? Sagen Sie ihnen, dass sie mit Sie bald eine gerechte und angemessene Lösung für die ihrem Gerechtigkeitsempfinden völlig danebenliegen? „Mütterrente“ der Adoptiveltern auf den Tisch! Bitte schön: Das Ehepaar Blankenhagen und das Ehe- paar Grau sitzen dort oben auf der Tribüne . Ich heiße Sie (Beifall bei der LINKEN) herzlich willkommen! Meine Damen und Herren, nicht nur die Adoptivmüt- (Beifall bei der LINKEN) ter werden benachteiligt . Nein, viele Mütter müssen ei- nen Monat länger arbeiten als alle anderen, damit sie die Die vier sind schon ganz gespannt, was Sie ihnen zu Rente ab 63 bzw . 65 ohne Abschläge bekommen . Auch sagen haben . Herr Blankenhagen hat sich die Mühe ge- sie werden bestraft . Warum? Ein Monat Mutterschutz vor macht und die erste Debatte hier im Bundestag genau der Geburt wird den Müttern nicht auf die 45 Jahre – oder analysiert . Er hat einige der damals von Ihnen vorgetra- die 540 Monate – Wartezeit angerechnet, die sie brau- genen Argumente zurechtgerückt . Ist das nicht eine gera- chen, um ab 63 bzw . künftig ab 65 abschlagsfrei in Rente dezu vorbildliche Bürgerbeteiligung? gehen zu dürfen . Das ist ein Monat, in dem Müttern das Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Arbeiten von Gesetzes wegen verboten ist – zu Recht . lesen Sie doch mal, was die Betroffenen so aufregt! Ant- Sie beziehen dafür Mutterschaftsgeld, aber die Kran- worten Sie nicht uns Linken, sondern antworten Sie den kenkassen zahlen keinen Cent Beitrag für sie in die Ren- Betroffenen! tenversicherung ein . Und zack: Der Monat taucht auf (Beifall bei der LINKEN) dem Rentenkonto nicht als Wartezeit auf . Herr Kollege Dr .Zim mer, Sie sagen bestimmt gleich, dass es diesen Sie sind nämlich dafür heute extra nach Berlin gereist . Fall in Wirklichkeit gar nicht gebe . Wir Linken sagen: (B) Frau Kollegin Schmidt, vielleicht werden Sie als So- (D) Das ist falsch . Denn bei keiner Mutter, deren Kind im zialdemokratin gleich Ihr Argument wiederholen, dass ersten Drittel eines Monats geboren wurde und die nicht Frauen noch ganz andere Probleme bei der Rente hätten . bereits zehn Jahre zuvor schon ein Kind geboren hatte, Stimmt. Aber warum finden wir dann nicht gemeinsam zählt der Mutterschutzmonat vor der Geburt zur Warte- eine Lösung für dieses eine konkrete Problem, das of- zeit der Rente ab 63 . Bei keiner einzigen! Das, meine fenkundig das Gerechtigkeitsempfinden von Müttern be- Damen und Herren, ist frauendiskriminierend, verfas- sonders stört? Das ist kein Wunder; denn auf die 45 Jahre sungswidrig und völlig inakzeptabel . werden folgende Zeiten angerechnet: Pflichtbeiträge aus (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Beschäftigung und Minijobs, Pflichtbeiträge aus selbst- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ständiger Tätigkeit, freiwillige Beiträge unter bestimm- ten Bedingungen, Wehr- oder Zivildienstzeiten, Zeiten Herr Kollege Dr . Zimmer, wenn es die Rente ab 63 der nicht erwerbsmäßigen Pflege von Angehörigen, schon früher gegeben hätte, wäre auch bei Ihrer Mutter Zeiten der Kindererziehung bis zum zehnten Lebens- der Mutterschutzmonat nicht für die Rente angerechnet jahr des Kindes, Leistungen bei beruflicher Weiterbil- worden . Warum? Sie sind an einem 3 . Mai geboren . dung, Arbeitslosengeld, Teilarbeitslosengeld, Kranken- (Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Gut re- geld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, cherchiert!) Schlechtwettergeld, Winterausfallgeld, Insolvenzgeld, Der Mutterschutz begann am 23 .März . Davor hat Ihre Konkursausfallgeld und Ersatzzeiten zum Beispiel für Mutter weder gearbeitet noch geboren . Darum zählt der politische Haft in der DDR . Aber ausgerechnet die vier komplette Monat April dazwischen nicht als Wartezeit Wochen Mutterschutz gehören nicht dazu . Ich fordere für die Rente für besonders langjährige Versicherte . We- Sie auf: Rechnen Sie den Mutterschutz als Wartezeit an! gen Ihres Gesetzes! Sie und die SPD sind dafür verant- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- wortlich . NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Martin Rosemann (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Vielleicht ist er [SPD]: Das ist aber nicht neu, Herr Birkwald!) zu spät gekommen!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, Sie haben recht: Wegen dieses einen Monats wird keiner Mutter die vorgezogene Altersrente komplett ver- Achten Sie auf Ihre Redezeit! wehrt . Darum aber geht es den Betroffenen gar nicht, die sich in Briefen, E‑Mails und Petitionen an uns Abge- Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): ordnete gewandt haben: Frau Sendelbeck aus Nürnberg, Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12045

Matthias W. Birkwald (A) Der DGB-Frauenausschuss hat den SPD-Abgeordne- der Geburt eines Kindes . Die werdende Mutter und ihr (C) ten dazu einen Brief geschrieben und genau das gefor- Kind sollen in dieser Zeit vor Gefährdungen, Überforde- dert . Antworten Sie den DGB-Frauen! Hören Sie auf sie! rungen und Gesundheitsschädigungen am Arbeitsplatz, Unterstützen Sie den Gesetzentwurf der Linken, oder le- vor finanziellen Einbußen, aber auch vor dem Verlust gen Sie einen eigenen vor! Dann gäbe es eine Gerechtig- des Arbeitsplatzes während der Schwangerschaft und ei- keitslücke weniger in der Rente . Alle betroffenen Mütter nige Zeit nach der Geburt geschützt werden . Während würden es Ihnen danken . dieser 14 Wochen, sechs Wochen vor der Geburt, acht Wochen danach, besteht ein Beschäftigungsverbot . Diese Danke schön . Zeiten unterliegen damit nicht der Versicherungs- oder (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. NIS 90/DIE GRÜNEN) Während dieser Zeiten werden aber Mutterschaftsgeld und ein Arbeitgeberzuschuss gezahlt . Auch diese gewähr- Vizepräsidentin Claudia Roth: ten Leistungen unterliegen nicht der Versicherungs- und Vielen Dank .– Der nächste Redner ist Dr .Matthias Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Zimmer für die CDU/CSU-Fraktion . Rentenrechtlich handelt es sich danach also nicht um Beitragszeiten, sondern um Anrechnungszeiten, die auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht bei der 45-jährigen Wartezeit für die abschlagsfreie ordneten der SPD) Rente ab 63 berücksichtigt werden . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): ja genau das Problem!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Birkwald, dass meine Mutter einmal so vom So- Nun haben die Linken eine Lücke entdeckt, die aber zialismus vereinnahmt werden würde, vermutlich keine ist . Ich will das an einem Beispiel klar- machen: Geht eine Mutter zum Beispiel im März in den (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Hätte Mutterschutz und wird das Kind im April geboren, wird sie sich auch nicht träumen lassen!) bereits der gesamte April von der Anrechnung aufgrund würde sie heute noch mit Empörung ablehnen, und sie der Kinderberücksichtigungszeiten erfasst . hätte damit recht . Kommt das Kind erst im Mai auf die Welt, wird der ge- Mit dem Rentenpaket, das im Juli 2014 in Kraft ge- samte Mai erfasst . Bei sechs Wochen Mutterschutz kann treten ist, haben wir deutliche Verbesserungen für die aber für den Fall, dass die Geburt des Kindes weder in den einen noch den anderen Monat fällt, also weder (B) Rentnerinnen und Rentner in Deutschland eingeführt, (D) Verbesserungen, die so noch keine andere Regierung zu- von der Beschäftigung noch von der Kinderberücksich- vor umgesetzt hat . Die Große Koalition hat‘s gemacht . tigungszeit erfasst wird, ein Problem entstehen . Dafür müssen zwischen dem Beginn des Mutterschutzes und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der Geburt des Kindes zwei Monatswechsel liegen . Dann Die Mütterrente verbessert die soziale Absicherung wird ein Monat nicht erfasst; folglich kann frau erst einen der Rentnerinnen, die vor 1992 Kinder bekommen und Monat später in Rente gehen . erzogen haben . Sie erhalten einen weiteren Entgeltpunkt (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Rich- für jedes Kind zusätzlich zu ihrem bestehenden Renten- tig!) anspruch . Damit sorgt die Mütterrente dafür, dass die Er- ziehung von Kindern bei der Rente stärker ins Gewicht Nicht zu vergessen: Dies kommt nur bei denjenigen zum fällt, und das ist auch gut so . Tragen, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente mit 63 im Übrigen erfüllen, und eben auch nur Mit der abschlagfreien Rente ab 63 Jahren können dann, wenn genau ein Monat bei der Anrechnungszeit Menschen, die 45 Jahre Beiträge zur Rentenversicherung fehlt .– Das scheint mir ein eher theoretischer Fall zu gezahlt haben, ohne Abzüge in den Ruhestand gehen; sein . bisher mussten Versicherte für jeden Monat, den sie vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen, 0,3 Prozent Kür- Ich darf hier den Kollegen Kurth von den Grünen an- zungen bei ihrer Rente in Kauf nehmen . Damit wird ho- führen, der im März dieses Jahres bei der ersten Lesung noriert, dass diese Menschen über einen langen Zeitraum des Gesetzentwurfs gesagt hat, ihn beschleiche der Ge- ihren Beitrag zur Stabilisierung des Rentensystems und danke, dass die vierwöchige Lücke – ich zitiere – „im wirklichen Leben … so gut wie keine Rolle spielen unserer Gesellschaft geleistet haben . wird“ . Die Kollegin Schmidt von der SPD hat damals Das wollte ich vorwegschicken, weil es die beiden sekundiert: Vorlagen der Linken in eine bestimmte Perspektive Sie machen hier einen großen Bahnhof für ein sehr rückt . Bei dem Antrag geht es darum, dass Adoptiveltern kleines, theoretisches Problem . in jedem Fall die Mütterrente erhalten . Der Gesetzent- wurf problematisiert Zeiten des Beschäftigungsverbots Ich glaube, die beiden Kollegen haben recht . Wohl der nach dem Mutterschutzgesetz bei der Anrechnung von Regierung, deren Opposition sich im ganz kleinen Karo Wartezeiten von 45 Jahren bei der abschlagsfreien Rente . verliert . Fangen wir mit Letzterem an . Der Mutterschutz um- Aber man kann ja einmal genau hinschauen; das ist in fasst die Zeiten sechs Wochen vor und acht Wochen nach Ordnung . Das hat der Kollege Peter Weiß getan . 12046 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: zum Tragen kommt . Von der Ausweitung der Kinderer- (C) Herr Kollege Zimmer, gestatten Sie eine Zwischenfra- ziehungsregelung profitiert man, wenn einem der zwölfte ge des Kollegen Birkwald? Kalendermonat der Kindererziehungszeiten angerechnet wurde . Damit konnte die vereinfachte Mütterrente für Bestandsrentnerinnen und -rentner als ein Zuschlag an Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): persönlichen Entgeltpunkten umgesetzt werden . Eine in- Herr Präsident, ich würde meine Argumentation gerne dividuelle Prüfung findet hier für keine der etwa 9,5 Mil- zu Ende führen . lionen Betroffenen statt .

Vizepräsident Johannes Singhammer: Eine Ausnahmeregelung, wie sie für die Adoptivel- Jawohl . tern vorgeschlagen wird, wäre aber nicht nur aus verwal- tungstechnischen und Kostengründen schwierig . Wenn man für Adoptiveltern eine individuelle Prüfung einfüh- Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): ren möchte, dann müsste man dies unter Gleichbehand- Der Kollege Weiß hat im März berichtet, er habe im lungsgrundsätzen auch für alle anderen Eltern einführen, Ministerium nachgefragt, ob es tatsächlich solche Fälle die ähnlich betroffen sind, zum Beispiel bei Pflegekin- gibt, Fälle also, bei denen aus den genannten Gründen dern und auch Kindern, die in den ersten Monaten im genau vier Wochen fehlen . Die Antwort war, dem Minis- Ausland erzogen worden sind . terium sei kein solcher Fall bekannt . Das pauschale Verfahren, das eine Auszahlung der Müt- Ich habe mich heute selbst erkundigt und die Aussage terrente für Bestandsrentnerinnen und ‑rentner erst mög- erhalten, es handele sich um einen theoretischen Fall – so lich macht, wäre damit insgesamt hinfällig . jedenfalls die Rentenversicherung und das Ministerium . Eine weitere Aussage war: Alle Fälle, die bisher im Mi- Unter dem Strich bleibt von dem, was die Linke gefor- nisterium vorgebracht worden sind, hätten ergeben, für dert hat, ein großer bürokratischer Aufwand für ein mini- den rentenrechtlichen Abschlag seien andere Faktoren males Ergebnis, das mit gesteigertem Pathos vorgetragen wie etwa die Unterbrechung der Erwerbsbiografie ver- wird . Es blitzt ein wenig auf, was Sozialismus eigentlich antwortlich gewesen . Im Übrigen gilt das auch für den ist . Aus diesem Grund lehnen wir beide Vorlagen ab . von Ihnen geschilderten Fall: keine Unterbrechung der Herzlichen Dank . Erwerbsbiografie, aber eine Übertragung von renten- rechtlichen Zeiten auf den Ehemann . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wenn das stimmt – ich habe keinen Grund, an die- Vizepräsident Johannes Singhammer: (B) ser Aussage zu zweifeln –, dann gilt für mich der Satz: (D) Politik sollte keine Probleme lösen, die Menschen nicht Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort dem haben . Kollegen Birkwald .

(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sagen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sie das den Menschen auf der Empore!) Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Kurzinter- Deswegen können wir dem Gesetzentwurf der Linken vention zulassen .– Herr Kollege Dr . Zimmer, zunächst nicht zustimmen . Wir haben die begründete Vermutung, zu Ihrem letzten Vorwurf, es handele sich um einen gro- dass es hier nicht um das Wohl der Mütter geht, sondern ßen bürokratischen Aufwand: Ich habe unseren Gesetz- dass ein Einfallstor geschaffen werden soll, um die Leis- entwurf natürlich dabei . Es handelt sich bei der Änderung tungen der Rente mit 63 weiter auszuweiten .– Ein netter des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch um fünf Zeilen . Versuch, aber nicht mit uns . Fünf Zeilen! Das ist also eine ganz kleine Geschichte . Lassen Sie mich noch kurz auf die zweite Vorlage (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Linken, auf den Antrag, eingehen, in dem die Erzie- NEN]: Verwaltungsvollzug ist aber was ande- hungsleistungen von Adoptiveltern thematisiert werden . res als Gesetzestext!) Mit dem Rentenpaket gilt, dass ab dem 1 .Juli 2014 Zweitens ist es völlig egal, wie viele Betroffene es die ersten 24 Monate nach Ablauf des Geburtsmonats gibt . Selbst wenn es so wenige wären, wie Sie behaupten, des Kindes als Kindererziehungszeit in der gesetzlichen wäre das überhaupt kein Grund, die Gleichberechtigung Rentenversicherung anerkannt werden . Kindererzie- von Mann und Frau außer Kraft zu setzen . hungszeiten werden Adoptiveltern sowie leiblichen El- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle tern, Stiefeltern oder Pflegeeltern dabei nach denselben Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Grundsätzen anerkannt. Damit profitieren alle Eltern gleichermaßen von den verbesserten Regelungen zur Soweit mir bekannt ist, können bisher nur Frauen die Mütterrente . Wer in den ersten 24 Monaten seinen Bei- Kinder kriegen . Deswegen müssen viele Frauen vier Wo- trag zur Kindererziehung geleistet hat, dem werden diese chen länger arbeiten, wenn sie die Voraussetzungen für Zeiten ganz oder auch teilweise angerechnet . die Rente ab 63/65 erfüllen wollen . Das sind nicht so we- nige; das Gesetz gilt ja erst seit dem 1 .Juli vergangenen Bei den Bestandsrentnerinnen und -rentnern wurde Jahres . ein pauschaliertes Verfahren gewählt; denn nur so war zu gewährleisten, dass die Mütterrente für Eltern, die bereits Sie können ja einmal in der CDU/CSU-Bundestags- in Rente sind, auch ohne zusätzliche Bürokratiekosten fraktion den Test machen . Lassen Sie da doch bitte ein- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12047

Matthias W. Birkwald (A) mal alle Frauen aufstehen, deren Kinder zwischen dem von Frauen auf eine völlig andere Art und Weise ge- (C) Ersten und dem Zehnten eines Monats geboren wurden . brochen sind und deshalb vermutlich erheblich weniger Sie werden feststellen, dass das ungefähr ein Drittel aller Frauen davon Gebrauch machen können . Mütter sind, die sich im Raum befinden. Sie werden wei- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ter feststellen, dass dieses Problem in Zukunft aufwach- NEN]: Und was folgt aus der Analyse?) sen wird; denn bis dato haben viele der Betroffenen über- haupt nicht gemerkt, dass ihnen dieser eine Monat fehlt, Auf der anderen Seite, lieber Kollege Birkwald, haben weil er bei den Renteninformationen oder auch bei den Sie diese Beispiele . Ich habe beim Ministerium und bei Rentenauskünften nicht auftaucht . Erst dann, wenn es in der Rentenversicherung nachgefragt und eine sehr ein- die Nähe des 63 . Geburtstags geht, wird überlegt: Habe deutige Auskunft erhalten . ich die erforderlichen Monate zusammen? – Wenn die Die Auskunft war: Es ist ein theoretisches Problem . Bis- Versicherten daraufhin die Renteninformationen durch- lang ist bei allen Fällen, die vorgebracht worden sind, der sehen, fällt ihnen – und auch der Rentenversicherung – Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren an anderen Fakto- auf, dass der Monat fehlt . ren gescheitert .– Das hatte mit dem von Ihnen beschrie- Ich habe eben gesagt, dass ich den Betroffenen eine benen Problem überhaupt nichts zu tun . Deshalb meine Stimme verleihen will . Deswegen lese ich das einmal dringende Bitte: Legen Sie diese Fälle dem Ministerium kurz vor: Eine Grundschullehrerin aus den neuen Bun- vor! Der SPD-Fraktion haben Sie sie offensichtlich vor- desländern hatte nach ihrem dreijährigen Studium an ei- gelegt – der CDU/CSU-Fraktion leider nicht, sodass wir nem Institut für Lehrerbildung am 1 .August 1969 ihre bisher nicht die Möglichkeit hatten, das zu prüfen . Arbeit im Schuldienst begonnen (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Frau (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Das haben Sie Schmidt hat das nur verstanden!) schon vorgelesen!) Bislang verlasse ich mich darauf, dass die Aussage des – nein, das habe ich noch nicht vorgelesen, Herr Dr . Ministeriums steht: Wir wissen von keinem solchen Fall . Rosemann – und aufgrund durchgängiger Beschäftigung Wenn entsprechende Fälle vorgebracht wurden, ließen am 31 .Juli 2014 mit 64,5 Jahren die 45 Beitragsjahre sie sich alle mit anderen Faktoren erklären . – Ich bitte voll . Infolge der Tatsache, dass ihre erste Schwanger- Sie, das zur Kenntnis zu nehmen . Das würde uns viele schaftsfreistellung am 28 . Februar 1971 begann und die Debatten hier ersparen . Geburt am 11 .April 1971 erfolgte, ist ihr der Monat März (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist 1971 nicht als Wartezeit für die Rente 63/65 angerechnet überhaupt nicht der Punkt!) wurden . Sie ist deshalb statt am 1 .August 2014 erst am (B) 1 . September 2014 in den wohlverdienten Ruhestand Vielen Dank . (D) nach den Bedingungen der Rente ab 63/65 gegangen . (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Genau darum geht es . Sie sagen: Frauen sind Beschäf- tigte und Rentnerinnen zweiter Klasse . Sie dürfen für ein Vizepräsident Johannes Singhammer: und dieselbe Rente vier Wochen länger arbeiten .– Das Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Markus Kurth ist ungerecht . für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . (Beifall bei der LINKEN) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Johannes Singhammer: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Birkwald, eine Bemer- Herr Kollege Birkwald, für eine Kurzintervention kung kann ich mir nicht verkneifen: Nach Ihrer Art von haben Sie nur ein begrenztes Zeitfenster, und dieses ist Statistik müsste ja jede fünfte Person hier im Raum ein ausgeschöpft . Chinese sein . Das ist aber offenkundig nicht der Fall . In- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich bin sofern kann ich mich damit nicht anfreunden . schon fertig!) (Beifall und Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ – Prima . DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Dann darf ich den Kollegen Dr . Zimmer fragen, ob er darauf erwidern möchte . Herr Zimmer, Sie haben mich korrekt zitiert: Ich habe in der ersten Lesung gesagt, ich hätte den Verdacht, dass Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): es sich nur um sehr, sehr wenige Fälle handelt . Aber das Herr Präsident, das lasse ich mir natürlich nicht entge- heißt ja nicht, dass man sich diesen nicht zuwenden soll- hen, weil es mir die Gelegenheit gibt, im Sinne der Stoff- te . festigung durch Wiederholung die wesentlichen Aussa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen noch einmal vorzutragen . sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]) Ich glaube, der eigentliche Punkt, lieber Kollege Birkwald, ist folgender: Die abschlagsfreie Rente nach Gerade wenn es so wenige Fälle sind, kann man, glaube 45 Beitragsjahren – an der Stelle sind wir uns vielleicht ich, an dieser Stelle doch versuchen, eine pragmatische einig – bevorzugt Männer, weil die Erwerbsbiografien Regelung zu finden. Das gilt auch für den Fall der Adop- 12048 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Markus Kurth (A) tiveltern. Ich finde, man sollte noch einmal genau prüfen, lich können wir uns hier mit Details beschäftigen, wie es (C) ob wirklich so viel Verwaltungsaufwand entstünde . Ich die vorliegenden Vorlagen tun . Aber ich meine, dass wir glaube, das ließe sich einfacher regeln . In der Tat zeigen das Problem grundsätzlich lösen müssen . diese beiden Vorlagen der Linken, dass das Rentenpaket Was wir neben der vollen Gleichberechtigung auf dem unzählige Schieflagen hat, und das ist schlecht. Arbeitsmarkt primär wollen, ist ein Mentalitätswandel, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der eben auch Männer bei der Erziehung und Pflege in die Pflicht nimmt. Die Vorlagen zeigen aber auch, wie wenig geschlech- tersensibel die Bundesregierung bei ihrem Gesetzesvor- Wir brauchen auch einen Mentalitätswandel bei den Ar- haben vorgegangen ist . Wenn von den Begünstigten der beitgebern, damit Frauen eine größere Zeitsouveränität abschlagsfreien Rente ab 63 oder nach 45 Beitragsjahren bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben . nur jeder Vierte eine Frau ist, dann hat das mit Geschlech- (Dr . Martin Rosemann [SPD]: Und Männer! – tergerechtigkeit nicht viel zu tun . Auch das ist schlecht . Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Und Männer!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Das wollte ich gerade sagen; das ist mein nächster Davon kann auch die sogenannte Mütterrente nicht Satz .– Unseres Erachtens geht das nur über positive An- ablenken; denn auch da entstehen für viele Frauen Ge- reize, die es auch für Männer attraktiver machen, sich an rechtigkeitslücken . Was ist denn mit all den Frauen, die Erziehungsarbeit, Hausarbeit und Fürsorgearbeit stärker die Grundsicherung im Alter beziehen? Bei ihnen wird zu beteiligen . die Mütterrente angerechnet; sie haben nichts davon, ob- wohl gerade sie ein Rentenplus nötig hätten . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zudem wirkt das Rentenpaket dämpfend auf das Ren- tenniveau; das haben wir bei den Beratungen im letzten Ich spreche hier zum Beispiel von einem verbesserten Jahr rauf- und runterdiskutiert . Auch davon sind insbe- Elterngeld, das partnerschaftlich aufgeteilt wird, und ei- sondere Frauen betroffen . Gerade Frauen sind auf eine ner echten Pflegezeit, die es auch Männern ermöglicht, starke gesetzliche Rente angewiesen; denn sie verfügen Gehaltseinbußen auszugleichen . Auch im Rentenrecht seltener als Männer über zusätzliche Versorgungsmög- gibt es zahlreiche Möglichkeiten der emanzipatorischen lichkeiten aus Privatversicherungen und Betriebsrenten . Weiterentwicklung, die ich in ganzer Breite und Schön- heit im Rahmen dieser Debatte mangels Zeit nicht mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausführen kann . und bei der LINKEN) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Scha- (B) Nein, das Rentenpaket ist in der Hinsicht nicht aus- de!) (D) gewogen . Ich habe eine Kleine Anfrage zum Thema „Rentenlücke zwischen Männern und Frauen“ an die Aber das werden wir nachholen . Bundesregierung gestellt . Wir müssen uns gerade mit der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschlechterspezifischen Rentenlücke hier im Deutschen sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE Bundestag in den nächsten Wochen und Monaten noch LINKE]) einmal ernsthaft auseinandersetzen . Aufwertungsmöglichkeiten gibt es eben auch im Ren- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tenrecht . Ich fände es gut, wenn wir neben den Detailpro- Das Problem ist, dass sich die Verwerfungen auf dem blemen – das werden wir anstoßen – hier im Plenum und Arbeitsmarkt, die vielfältigen Benachteiligungen von in den Ausschüssen ergebnisoffen und mit klarem Blick Frauen – ich erinnere nur an die Lohnlücke, die Minijob- auf das Problem der geschlechtsspezifischen Rentenlü- und Teilzeitfalle – im Laufe eines Erwerbslebens über- cke diskutieren könnten . einanderlagern und zu einer viel größeren Rentenlücke Vielen Dank . führen . Zurzeit liegt die Rentenlücke zwischen Frauen und Männer bei der gesetzlichen Rente bei 57 Prozent, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei den privaten Lebensversicherungen bei 70 Prozent und bei der betrieblichen Altersversorgung sogar bei Vizepräsident Johannes Singhammer: 79 Prozent; das ist ein enormes Gefälle . Zwar hat sich Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Dagmar die Rentenlücke in den letzten Jahrzehnten verringert, Schmidt . aber wenn wir nicht grundsätzlich etwas ändern, dann akzeptieren wir, dass es noch 50, 60 oder 70 Jahre dau- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ert, bis sich die Rentenwerte von Männern und Frauen der CDU/CSU) angeglichen haben werden . So lange können wir einfach nicht warten . Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE Kollegen! Lieber Herr Birkwald, ja, es ist ungerecht, LINKE]) dass manchen Adoptivmüttern, die zum Zeitpunkt der Daher sagen wir: Nicht pauschale Lösungen wie die so- Einführung der Mütterrente bereits in Rente waren, die genannte Mütterrente können das Problem lösen . Natür- Erziehungszeit nicht angerechnet wird . Es war bei ei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12049

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) ner so großen Reform nicht möglich, jeden Einzelfall Wir kennen wie Sie viele Menschen, die aus ge- (C) zu berücksichtigen . Diese Pauschalregelung – Stichtag: sundheitlichen Gründen nicht bis zur Regelalters- 12 .Kalendermonat nach der Geburt des Kindes – kann grenze arbeiten können . Deswegen haben wir die Er- auch an anderen Stellen zu Ungerechtigkeiten führen . werbsminderungsrente und die Reha gestärkt und im Das liegt in der Natur der Sache bei pauschalen Lösun- Präventionsgesetz mehr Mittel für die betriebliche Ge- gen und bei Stichtagsregelungen . Das war für uns aber sundheitsprävention zur Verfügung gestellt . Aber das kein Grund, deswegen die Mütterrente gar nicht einzu- reicht uns noch nicht . Wir wollen verhindern, dass Men- führen . Dazu wird mein Kollege Martin Rosemann noch schen ihre Gesundheit durch Arbeit gefährden, und ihnen etwas sagen . zusätzliche Unterstützung beim Gesundheitsschutz am Ja, es ist auch ungerecht, dass Zeiten des Mutterschut- Arbeitsplatz zukommen lassen . Wir haben das hier schon zes, also die sechs Wochen vor dem Geburtstermin und unter dem Stichwort „Ü45‑Check‑up“ diskutiert . Durch die acht Wochen nach der Entbindung, bei der Altersren- flexible Übergänge in die Rente wollen wir eine indivi- te für besonders langjährig Versicherte nicht anerkannt duelle Anpassung des Renteneinstiegs bezogen auf die werden . Das hat damit zu tun, dass anders als im Krank- Gesundheit und die Erwerbsbiografie ermöglichen, ohne heitsfall für die Mutterschutzzeiten keine Rentenbeiträge dass die Menschen Angst vor Altersarmut haben müssen . gezahlt werden . Wenn Sie mich fragen, können wir da- rüber gerne mit dem Bundesgesundheitsminister reden . Jede Rente – das wissen Sie – ist nur so gut wie die Erwerbsbiografie. Hier gibt es viele Baustellen, die wir (Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE angehen und abarbeiten, und zwar vor allem zugunsten LINKE] – Matthias W . Birkwald [DIE LIN- der Frauen . KE]: Machen Sie das bitte!) Erstens: die Bekämpfung des Niedriglohnsektors . Wir Wie groß ist das Problem wirklich? Jeder Monat, in haben einen Mindestlohn eingeführt . 4 Millionen Men- dem die Frau nur einen Tag arbeitet und Beiträge bezahlt, schen, davon 60 Prozent Frauen, haben jetzt mehr Geld wird voll angerechnet . Die Monate nach dem Zeitpunkt in der Tasche . Das ist verdient und gerecht, und das war der Geburt werden dann als Kinderberücksichtigungs- überfällig . zeiten angerechnet . Das heißt – Sie haben es gesagt –, im Endeffekt geht es um vier Wochen, die Frauen länger (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arbeiten müssten als Männer . Davon können nur Frauen der CDU/CSU) betroffen sein . Deswegen ist es ungerecht . Zweitens: die sogenannte gläserne Decke . Karriere Wenn Sie aber von dem großen Gerechtigkeitsemp- hängt nicht nur vom Können ab . Uns sind Frauen be- (B) finden reden, dann muss ich, ehrlich gesagt, sagen: Wir kannt, denen, obwohl sie klüger und gebildeter waren, (D) wurden gebeten, uns um ganz andere Probleme zu küm- der Mann vorgezogen wurde . Frauen machen seltener mern . Wir haben uns auch erfolgreich darangemacht, Karriere als Männer, nicht weil sie dümmer und fauler diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, und große sozia- sind, sondern weil man gerne diejenigen unterstützt, die le Fortschritte erzielt . Die Aufzählung erspare ich Ihnen genauso sind wie man selbst . Männer helfen Männern bei nicht . Ich hoffe, dass auch die Familien auf der Tribüne der Karriere . Um dieses System zu durchbrechen, haben das eine oder andere darin finden, was ihre persönliche wir jetzt eine Frauenquote . Lebenssituation verbessert bzw . erleichtert hat . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Uns haben viele Menschen geschrieben, die lange in ordneten der SPD) die Rentenversicherung eingezahlt haben, die oftmals mit 14 oder 15 Jahren zu arbeiten begonnen haben und Drittens: ungleicher Lohn trotz gleicher Arbeit . Trotz ihren solidarischen Beitrag geleistet haben . Wir haben gleicher Arbeit verdienen Frauen weniger als Männer . entschieden, dass, wer 45 Jahre gearbeitet und eingezahlt Deswegen wollen wir ein Gesetz für Lohngerechtigkeit . hat, zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen kann . Wir wollen mehr Transparenz bei der Bezahlung und Davon haben bisher 240 000 Menschen profitiert. Das ist eine Diskussion darüber, wie systematische Ungerech- auch verdient und gerecht . tigkeiten überwunden werden können . Bei uns heißt das (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Entgeltgleichheitsgesetz . Wir haben mit der Mütterrente 9,5 Millionen Men- Viertens: ungleiche Bezahlung bei gleichwertiger Ar- schen, zum überwiegenden Teil Frauen, zu mehr Gerech- beit . Hier geht es um die bessere Bezahlung in typischen tigkeit verholfen . Die höhere Mütterrente hat die Aus- Frauenberufen . Wir wollen eine angemessene Bezahlung zahlbeträge für Frauen insgesamt um 10 Prozent erhöht . von Erzieherinnen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wollen der CDU/CSU) wir auch! Und was hat das mit dem Thema zu tun?) Das ist schon eine Hausnummer . Auch wenn wir es lieber aus Steuermitteln bezahlt hätten: Das ist gerecht, und sie Deswegen wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, das Betreu- haben es verdient . ungsgeld in die Kitas zu stecken . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Birkwald, es geht hier um die Frage – Herr Kurth der CDU/CSU) hat das ebenfalls angesprochen –, wie wir dafür sorgen, 12050 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) dass Frauen am Ende ihres Erwerbslebens eine ordentli- gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt wird, und (C) che Rente bekommen . zwar unabhängig vom Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Adoption . (Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dafür sind wir auch!) Lassen Sie mich kurz die Rechtslage erläutern . Kin- dererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversiche- Das ist ein Thema, das eigentlich auch Sie beschäftigen rung werden Adoptiveltern nach denselben Grundsätzen sollte . Die Gerechtigkeitsfrage wird in Briefen und Ge- wie leiblichen Eltern, Stief- und Pflegeeltern gewährt. sprächen an uns herangetragen . Deswegen rede ich an Danach wurden zunächst die ersten 36 Monate nach der dieser Stelle darüber, auch wenn Sie uns unsere Erfolge Geburt des Kindes als Kindererziehungszeit anerkannt . vielleicht neiden . Seit dem 1 .Juli 2014 sind es die ersten 24 Monate bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Geburt vor 1992 . Das bedeutet: Auch Adoptiveltern der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE profitieren sehr wohl von der Mütterrente, wenn sie in LINKE]: Nein! Wir haben uns beim Renten- diesem Zeitraum ein Adoptivkind erzogen haben . paket enthalten!) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist Fünftens: Frauen arbeiten oftmals unfreiwillig in Teil- falsch!) zeit . Deswegen wollen wir das Recht auf Rückkehr in Adoptiveltern haben jedoch dann keinen Anspruch auf Vollzeit . Ich hoffe, dass wir das noch in diesem Jahr hin- die Mütterrente, wenn das Kind bei der Aufnahme in die bekommen . Wir fördern den Ausbau der Kitas mit mehre- Familie bereits 24 Monate beziehungsweise 36 Monate ren Milliarden Euro; das ist kein Geld aus der Portokasse, alt oder älter war . sondern viel Geld für Verbesserungen . Wir wollen auch mehr Partnerschaftlichkeit bei Familienarbeit und Kin- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schon dererziehung . Das fördern wir mit dem Elterngeld Plus . wenn es 13 Monate alt oder älter war!) Wenn ich alles zusammenfasse, dann erzielen 4 Milli- Eine solche altersmäßige Grenzziehung bedeutet keine onen Menschen durch den Mindestlohn ein besseres Ein- Willkür . Es wäre nicht vermittelbar, wenn zum einen die kommen, erfahren jetzt schon 240 000 Menschen durch leiblichen Eltern oder der Elternteil, der die Erziehungs- die Rente nach 45 Versicherungsjahren eine Erleichte- arbeit geleistet hat, und zum anderen auch noch die Ad- rung und erhalten 9,5 Millionen Frauen durch die Müt- optiveltern die Mütterrente erhielten . terrente eine gerechtere Rente . Es sind Millionen Frauen, Eine Ausnahmereglung, die ausschließlich in Fällen denen durch die Frauenquote, durch Entgeltgleichheit, einer Adoption auf die tatsächliche Erziehungsleistung durch Recht auf Vollzeit, durch bessere Kinderbetreu- im zweiten Lebensjahr abstellen würde, ist verfassungs- (B) ung und mehr Partnerschaftlichkeit mehr Gerechtigkeit rechtlich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten si- (D) widerfährt und widerfahren wird . Darauf, liebe Kollegin- cherlich problematisch . Denn das hieße, dass sie für alle nen und Kollegen, sind wir sehr stolz . Eltern gelten müsste, die aufgrund ähnlicher Sachver- Glück auf! halte auch ein Interesse an einer individuellen Prüfung haben . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Werte Kolleginnen und Kollegen, bei den Diskussi- onen um die Einführung der Mütterrente war allen Be- teiligten klar, dass für die Bestandsrenten, die ebenso Vizepräsident Johannes Singhammer: von der Mütterrente profitieren sollten, eine praktikable Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Matthäus Lösung gefunden werden musste . Die gesuchte Lösung Strebl . musste also praktikabel sein und die Umsetzung der Müt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- terrente zeitnah ermöglichen . Rentnerinnen und Rentner ordneten der SPD) erhalten deshalb die Mütterrente in vereinfachter und pauschaler Form als einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten . Eine individuelle Prüfung bzw . Neube- Matthäus Strebl (CDU/CSU): rechnung der etwa 9,5 Millionen Bestandsrenten unter Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Berücksichtigung der Erziehung von vor dem Jahr 1992 Kollegen! Als eine der wichtigsten sozialen Errungen- geborenen Kindern wäre zeitnah nicht umsetzbar gewe- schaften dieser Legislaturperiode hat die Regierungs- sen . koalition zum 1 . Juli 2014 die sogenannte Mütterrente eingeführt. Wie wir schon gehört haben, profitieren da- (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: von 9,5 Millionen Frauen, die vor 1992 Kinder geboren 47 000! Nicht 9,5 Millionen!) haben . Wir geben jährlich rund 6,7 Milliarden Euro dafür Auch wenn es ungerecht erscheint, so ist doch festzu- aus . Das Geld ist zweifellos – darin sind wir uns sicher halten, dass ein anderes Verfahren aufwendige Vorbe- alle einig – gut angelegt . Wir haben mit der Mütterrente reitungs- und Bearbeitungszeiten erfordert hätte . Die für mehr Gerechtigkeit gesorgt und die Erziehungsleis- Mütterrente hätte dann nicht zum 1 . Juli des vergangenen tung von Millionen Müttern anerkannt . Jahres in Kraft treten können . Millionen Frauen hätten dann das Nachsehen gehabt . Die Fraktion Die Linke hat nun einen Antrag vor- gelegt, in dem sie fordert, dass die Erziehungsarbeit ab Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Wenn den leibli- dem Zeitpunkt der Adoption in vollem Umfang in der chen Eltern die Anrechnung von Kindererziehungszeiten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12051

Matthäus Strebl (A) zugestanden wurde, können Adoptiveltern nicht zusätz- fen werden: Bestandsrentnerinnen bekommen pauschal (C) lich Kindererziehungszeiten angerechnet bekommen . einen Entgeltpunkt für das zweite Jahr der Kindererzie- Eine solche Besserstellung ist rentenrechtlich allein hungszeit . schon aus Gründen der Gleichbehandlung im Verhältnis zu den leiblichen Eltern ausgeschlossen . Dabei bekommt derjenige den Punkt für das zweite Le- bensjahr des Kindes, für den die Berücksichtigung der Völlig unerwähnt bleibt in dem vorliegenden Antrag, Kindererziehung im ersten Lebensjahr erfolgte . dass die Leistungsverbesserung im Zusammenhang mit der Mütterrente auch für Adoptiveltern zu einer länger (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist anzurechnenden Kindererziehungszeit führen kann . das Problem!) Möglich ist auch, dass im Vergleich zur vorherigen Alles andere wäre bei 9,5 Millionen Versichertenbiogra- Rechtslage überhaupt erst ein Anspruch auf Kindererzie- hungszeiten entsteht, dann nämlich, wenn die Adoption fien schlicht nicht durchführbar gewesen. im zweiten Lebensjahr erfolgte . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Etwa Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem Antrag der 40 000!) Fraktion Die Linke können wir nicht folgen . Deswegen Damit wird in den meisten Fällen auch die Realität abge- lehnen wir ihn ab . bildet und damit die Lebensleistung der Kindererziehung Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . an der richtigen Stelle gewürdigt . (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Natürlich kommt es in Einzelfällen zu Ungerechtig- Dr . Martin Rosemann [SPD]) keiten . Ich will aber darauf hinweisen, dass die Adop- tion kurz nach dem ersten Geburtstag eines Kindes nur Vizepräsident Johannes Singhammer: ein Beispiel dafür ist . Ein anderes ist, wenn der Vater im Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der zweiten Lebensjahr des Kindes die Kindererziehung über- Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD . nommen hat, die Mutter im ersten Jahr . Dann bekommt trotzdem die Mutter den zusätzlichen Entgeltpunkt, nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Vater; das ist vor allen Dingen bei Scheidungen ein der CDU/CSU) Problem . Wenn die Eltern das Kind im ersten Lebensjahr im Ausland erzogen haben, bekommt keiner den zusätzli- Dr. Martin Rosemann (SPD): chen Rentenentgeltpunkt . Wenn ein Kind beispielsweise Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nur bis zum zwölften Monat in einer Pflegefamilie gelebt (B) (D) Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Zunächst hat, danach aber wieder bei seinen leiblichen Eltern oder einmal will ich festhalten: Die Mütterrente ist ein Erfolg . in einer anderen Pflegefamilie, dann bekommt die Mutter Auch infolge der Einführung der Mütterrente sind die Renten der Frauen in Deutschland um sage und schreibe der Pflegefamilie des ersten Jahres den Entgeltpunkt. 10 Prozent gestiegen, die Renten der Frauen mit Kindern Es gibt aber umgekehrt auch Beispiele dafür, bei de- sogar um 12 Prozent . nen sich die pauschale Zurechnung des Entgeltpunktes (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der für die Erziehungszeiten für die betroffenen Versicherten CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LIN- positiv auswirkt, beispielsweise wenn durch die pauscha- KE]: Aber die Ostkinder sind immer noch we- le Anrechnung keine Kappung an der Beitragsbemes- niger wert!) sungsgrenze erfolgt . Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg der Politik (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sehr richtig!) dieser Koalition . Das haben wir erreicht, weil wir – im Gegensatz zu allen anderen Verbesserungen, die es im Meine Damen und Herren von den Linken, all dies ver- Rentenrecht gegeben hat – auch Bestandsrentnerinnen schweigen Sie in Ihrem Antrag . Eine umsetzbare Lösung und Bestandsrentner davon profitieren ließen. Insofern für diese Probleme bieten Sie nicht an . war es richtig und wichtig, dass wir genau dies gemacht (Beifall der Abg . Kerstin Griese [SPD] – haben, sprich: die Mütterrente auch Bestandsrentnerin- Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir ha- nen und Bestandsrentnern zugutekommen ließen . ben die Bundesregierung aufgefordert, einen Dies führte aber, meine Damen und Herren, zu der Vorschlag zu machen!) Problematik bei Adoptionen, die wir heute hier debattie- Natürlich wäre es theoretisch möglich, all diese Fälle ren . Um es klar zu sagen: Das ist bei allen, die zukünftig in Rente gehen, kein Problem . Hier wird die Erziehungs- noch einmal händisch zu überprüfen . Der Aufwand für leistung im zweiten Lebensjahr eines Kindes uneinge- die Einzelfallprüfung von Hunderttausenden von Be- schränkt denen zugerechnet, die sie erbracht haben . Das standsrentnern wäre aber schlicht zu hoch . Was nicht gilt selbstverständlich auch für Pflege- und Adoptivel- geht – und das verschweigen Sie den Betroffenen –, ist, tern . dass eine Einzelfallprüfung eben nur für eine Gruppe, die Sie jetzt besonders interessiert, nicht möglich ist . Damit aber auch Bestandsrentnerinnen von der Müt- terrente profitieren können – das ist schon gesagt wor- (Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE den –, musste auf eine Pauschalregelung zurückgegrif- LINKE]) 12052 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Martin Rosemann (A) Ich will dazu sagen, dass im Fall von Adoptionen im Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in (C) Zweifel jemand anderem der Entgeltpunkt wieder weg- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/5279, genommen werden müsste, der aber gar nicht bekannt ist . den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksa- che 18/4107 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- CDU/CSU) chen .– Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- Die einzige Alternative wäre also gewesen, Bestands- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt mit rentnerinnen von der zusätzlichen Berücksichtigung der den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim- Kindererziehungszeiten auszunehmen . Genau das woll- men der Fraktion Die Linke und von BÜNDNIS 90/Die ten wir nicht, weil das noch mehr Ungerechtigkeiten pro- Grünen . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung duziert hätte . die weitere Beratung . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf: Mich erreichen immer wieder Briefe von Adoptivel- Beratung des Antrags der Bundesregierung tern, die ein Kind adoptiert haben, das fünf oder sechs Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- Jahre alt ist. Diese profitieren von der Mütterrente gar te an der EU-Operation EUNAVFOR MED nicht . Ich kann sehr gut mit ihnen fühlen, weil ich das als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Thema Adoption aus meiner eigenen Familie gut kenne . Unterbindung des Geschäftsmodells der Men- Deswegen will ich an der Stelle sagen: Die Berücksichti- schenschmuggel- und Menschenhandelsnetz- gung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene werke im südlichen und zentralen Mittelmeer Kinder beschränkt sich grundsätzlich auf die ersten bei- Drucksache 18/6013 den Lebensjahre und danach auf die ersten drei Lebens- Überweisungsvorschlag: jahre . Auswärtiger Ausschuss (f) Innenausschuss (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Auch Ausschuss für. Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss das ist ungerecht!) Ausschuss für. Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Der Grund dafür ist, dass insbesondere in den ersten wicklung Monaten nach der Geburt die Möglichkeit, Familienar- Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO beit und Erwerbsarbeit zu verbinden, besonders einge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schränkt ist . diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen .– Weil ich kei- (B) Mir ist klar – und ich glaube, das ist uns allen klar –, nen Widerspruch vernehme, gehe ich davon aus, dass Sie (D) dass wir damit die Lebensleistung der Erziehung eines alle damit einverstanden sind . Kindes insgesamt natürlich nicht angemessen würdigen . Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen, dass es Redner das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär im Rentenrecht weitere Ansatzpunkte gibt: für Zeiten vor Dr . Ralf Brauksiepe . 1992 die Aufwertung von geringen Rentenanwartschaf- (Beifall bei der CDU/CSU) ten im Rahmen der Renten nach Mindesteinkommen und ab 1992 die Höherwertung niedriger Entgeltpunkte bzw . die Gutschrift von zusätzlichen Entgeltpunkten im Rah- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär bei der men der Kinderberücksichtigungszeiten . Bundesministerin der Verteidigung: Vielen Dank, Herr Präsident .– Liebe Kolleginnen Wenn man darunter den Strich zieht, muss man sagen: und Kollegen! In der Nacht vom 18 . auf den 19 .April Das, was wir tun konnten, um Erziehungszeiten für vor dieses Jahres kam es im Mittelmeer zu einem tragischen 1992 geborene Kinder besser anzuerkennen, das haben Unglück . Ein Flüchtlingsschiff war vor der Küste Liby- wir als Koalition auch getan . ens gekentert . 28 Personen konnten gerettet werden . Die (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) italienische Küstenwache musste 24 Leichen bergen . Weitere Suchaktionen blieben erfolglos . Ein Überleben- der berichtete jedoch, dass bis zu 950 Menschen an Bord Vizepräsident Johannes Singhammer: gewesen seien, teils von ihren Schleusern im Laderaum Damit schließe ich die Aussprache . eingeschlossen, darunter rund 200 Frauen und 50 Kinder . Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 a . Diese Tragödie hat uns alle fassungslos gemacht und Interfraktionell wird Überweisung dieser Vorlage auf sowohl der Politik als auch der Zivilgesellschaft in Eu- Drucksache 18/6043 an die in der Tagesordnung aufge- ropa das grauenvolle Leid der Flüchtlinge vor Augen führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- geführt . Leider blieb dieser zutiefst erschütternde Vorfall verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die kein Einzelfall . Überweisung so beschlossen . Laut UN-Angaben traten seit Beginn dieses Jahres Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 9 b, zur mehr als 300 000 Menschen die gefährliche Überfahrt Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die über das Mittelmeer an . Tausende von Frauen, Männern Linke zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz- und Kindern haben bei ihrem Versuch, auf diesem Weg buch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes . nach Europa zu gelangen, ihr Leben verloren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12053

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung all diese Menschen auf ihre lebensgefährlichen Reisen (C) hat deshalb bereits Ende April dieses Jahres schnell und zu schicken, genau zu beobachten . Dies ist in den letz- entschlossen gehandelt und zwei Schiffe der deutschen ten Monaten gelungen . Wir haben ein deutlich besseres Marine in das Mittelmeer gesandt, um zu verhindern, Lagebild aufbauen können, als wir es in der Vergangen- dass noch mehr Menschen auf See ums Leben kommen . heit hatten . Wir konnten wertvolle Erkenntnisse über die Der Einsatzgruppenversorger Berlin und die Fregat- Schleusernetzwerke, ihre Routen und ihre Methoden ge- te Hessen sowie mittlerweile der Versorger Werra und winnen . Diese wollen wir nun gezielt nutzen und dafür die Fregatte Schleswig-Holstein haben bislang über sorgen, dass diese mit äußerster Brutalität vorgehenden 8 030 Menschen aus Seenot gerettet . Das ist eine ganz Schleuser nicht länger schalten und walten können, wie außerordentliche Leistung unserer Soldatinnen und Sol- sie wollen . daten, und zwar sowohl fachlich als auch menschlich, für die wir dankbar sind . Dazu wollen wir mit der Phase 2 i beginnen . Mit einer deutschen Beteiligung von bis zu 950 Soldatinnen und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Soldaten soll in dieser Phase beschränkt auf die inter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nationalen Gewässer im südlichen und zentralen Mittel- Dieses Engagement zeigt sich auch dieser Tage, in meer gezielt und effektiv gegen die kriminellen Schleu- denen es darum geht, dass wir denjenigen, die Bürger- sernetzwerke vorgegangen werden . Es ist zu erwarten, krieg und Not entfliehen und Asyl brauchen, hier bei uns dass die Schleuser zu Herbstbeginn, bei aufkommendem in Deutschland Schutz gewähren . Überall dort, wo ihre schlechteren Wetter auch seetüchtigere Schiffe als bisher Unterstützung gebraucht wird, helfen unsere Soldatinnen außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer einsetzen, dass und Soldaten zusammen mit vielen anderen helfenden Händen mit . Auch dafür gebührt ihnen allen unser beson- sie Schiffe aus Ägypten und Tunesien an die westliche derer Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen . Küste Libyens, nahe Tripolis, heranschaffen oder Schiffe zur Erkundung einsetzen, um die Flüchtlingsboote in der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Nähe von EUNAVFOR-Med-Einheiten auszusetzen . Das Ausmaß der Flüchtlingsbewegungen der vergan- Mit dem Übergang in die Phase 2 i können jetzt in in- genen Wochen zeigt uns sehr deutlich, dass in Europa ternationalen Gewässern verdächtige Schiffe angehalten eine gemeinsame Antwort auf die vielfältigen Dimen- sionen der Flüchtlingsbewegungen erforderlich ist, von und durchsucht werden . Wenn sich der Verdacht bestäti- der Bekämpfung der Fluchtursachen bis hin zu einer gen sollte, dass sie für Menschenschmuggel oder Men- menschlichen Versorgung der Bedürftigen hier bei uns . schenhandel benutzt werden, sind wir nun in der Lage, (B) die Schleuserschiffe umzuleiten oder zu beschlagnah- (D) Wir mussten leider feststellen, dass die Anstrengun- men . Ziel dieser Phase 2 i ist es somit, die Bewegungs- gen zur Unterstützung der Seenotrettung allein nicht das freiheit der Schleuser einzuschränken und damit ihr kri- schreckliche Sterben im Mittelmeer stoppen konnten . Dazu war und ist das Geschäftsmodell der Schleuser ein- minelles, menschenverachtendes Geschäft schwieriger fach zu perfide und zu lukrativ. zu machen . Zugleich – das betone ich noch einmal – wird die Seenotrettung selbstverständlich weiterhin uneinge- Im Gegenteil: Unsere humanitäre Hilfe wird von den schränkt fortgesetzt . Kriminellen sogar schamlos ausgenutzt . Es ist ein richtiger und ein sinnvoller Schritt, jetzt auf Deshalb haben wir am 18 .Mai dieses Jahres mit un- hoher See gegen Schleuserschiffe vorzugehen, um dem seren Partnern in der Europäischen Union die Operation EUNAVFOR Med ins Leben gerufen . Unser europäi- Übel auf den Grund zu gehen und den kriminellen Ma- scher Ansatz umfasst vier Ziele: chenschaften das Handwerk zu legen . Erstens . Die Seenotrettung ist und bleibt ein Hauptan- Die Soldatinnen und Soldaten an Bord unserer Schif- liegen unseres Engagements im südlichen und zentralen fe, im Hauptquartier in Rom und auf dem italienischen Mittelmeer . Führungsschiff leisten bereits jetzt einen erfolgreichen und sehr wichtigen Dienst . Deutschland ist nach Italien Zweitens . Wir müssen aktiv gegen die kriminellen Schleusernetzwerke vorgehen . der zweitgrößte Truppensteller und eine tragende Säule der gesamten Operation . Wir sollten weiterhin zu un- Drittens . Wir müssen mit den Herkunfts- und Transit- serem Wort stehen und zeigen, dass auf uns Verlass ist . ländern zusammenarbeiten, um die strukturellen Ursa- Dieser Einsatz ist eine wichtige gemeinsame Leistung chen von Flucht und Migration zu bekämpfen . der Europäischen Union für Menschen in Not und gegen Viertens schließlich . Die innereuropäische Solidarität kriminelle Menschenschleusung . Wir stehen nicht allein, und Verantwortung bei der Aufnahme dieser verzweifel- wir sind eingebunden in ein Bündnis, eingebunden in ten Menschen in der Europäischen Union ist gefordert . eine Wertegemeinschaft, und gemeinsam mit dieser han- Die deutsche Marine ist seit Beginn dieser EU-Opera- deln wir . Ich bitte Sie deswegen um Unterstützung für tion im Juni 2015 an EUNAVFOR Med beteiligt . In der das vorliegende Mandat . Phase 1 dieser Mission ging und geht es neben der akuten Herzlichen Dank . Seenotrettung auch darum, das Vorgehen der Schlepper, für die es ein abscheuliches Milliardengeschäft darstellt, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 12054 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Sie bekämpfen die Symptome, statt die Ursachen anzu- (C) Der Kollege Stefan Liebich spricht jetzt für die Frak- gehen . tion Die Linke . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN) NIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Haben Sie Mitleid mit den Schlep- pern?) Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie- Ich höre manchmal, dass die Menschen mit Lügen be Kolleginnen und Kollegen! Herr Brauksiepe, nicht über ein Leben in Wohlstand hierher gelockt werden . Für dass hier Missverständnisse entstehen: Wir debattieren denjenigen, der tagtäglich um sein Leben bangen muss, der nicht einmal mehr Gras zu essen hat – Sie kennen ja und entscheiden nicht über die Rettungsaktion im Mit- die Berichte aus den belagerten syrischen Städten –, ist es telmeer . Dafür ist überhaupt kein Mandat notwendig; sie ein immenser Wohlstand, nachts ohne Assads Fassbom- läuft schon . Wir reden heute einzig und allein über die ben oder den Terror des IS schlafen zu können und eine Entscheidung, Soldatinnen und Soldaten auf hohe See zu regelmäßige Mahlzeit zu bekommen . Es ist doch normal, schicken, um dort militärisch gegen Schlepper vorzuge- dass man so einer Hölle entfliehen möchte. Würde das hen . Das ist hier das Thema . nicht jeder von uns tun? Ich möchte in die Vergangenheit schauen: Ein Flucht- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- helfervertrag „verstößt weder gegen ein gesetzliches NIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Hahn [CDU/ Verbot noch ohne Weiteres gegen die guten Sitten“ . CSU]: Niemand negiert das!) Wer Flüchtende dabei unterstütze, das ihnen zustehende In meinem Wahlkreis in Pankow hat kürzlich die In- Recht auf Freizügigkeit zu verwirklichen, kann sich auf tegrationsbeauftragte über den Ansturm der Menschen billigenswerte Motive berufen und handelt sittlich und geklagt . Wissen Sie, was sie meinte? Sie meinte nicht nicht anstößig . den Ansturm der Flüchtlinge, sondern den Ansturm der – So hat der Bundesgerichtshof 1977 geurteilt . Sie ahnen Helferinnen und Helfer in Prenzlauer Berg, Pankow und es: Damals ging es um die Flüchtlinge, die aus der DDR Weißensee, die in den Kleiderkammern und bei der Es- in die Bundesrepublik Deutschland geflohen sind, die das sensausgabe arbeiten wollen . Sie alle kennen das auch Risiko ihres Todes an der Mauer und dem Stacheldraht aus Ihren Wahlkreisen . nicht eingehen wollten . Dieses Bild vom guten Deutschland, dem Angela Merkel ein Gesicht gegeben hat, zerstören Sie mit diesen (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht ver- (B) Entscheidungen . Dieses Bild wird korrigiert . Wir schi- (D) gleichbar!) cken Soldaten an Grenzen . Diejenigen, die ihnen damals geholfen haben, wurden (Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Können von den DDR-Oberen als kriminelle Menschenhändler Sie mal zum Thema kommen?) bezeichnet und in der Bundesrepublik als Helden ge- feiert . Es gibt selbstverständlich viele Unterschiede zu Wir wollen das individuelle Asylrecht durch willkürliche damals, aber eines galt damals wie heute: Wo Grenzen Festlegung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten ein- geschlossen sind, wird es immer Versuche geben, sie zu schränken . Es soll geringere Leistungen für Menschen überwinden . Deshalb müssen Mauern abgebaut werden geben, die ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen . und nicht Stacheldrahtzäune errichtet . Das Schlimmste ist: Es gab ein einvernehmliches Tref- fen des CSU-Vorsitzenden, immerhin dem Vorsitzenden (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- einer Regierungspartei in Deutschland, mit dem – ich NIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens kann es nicht mehr anders sagen – rechtsradikalen Mi- [CDU/CSU]: Es ist ein Unterschied, ob man nisterpräsidenten Ungarns . raus will oder rein will!) (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Pfui! Stattdessen schicken Sie Soldaten in das Mittelmeer, Pfui!) um Schiffe anzuhalten, zu durchsuchen, umzuleiten, und, wenn es Widerstand gibt, mit Waffengewalt zu agieren . Wissen Sie, was das für ein Mann ist, mit dem Sie sich da getroffen haben? Wir alle haben das Bild des kleinen (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist das Aylan gesehen, der tot am Strand von Bodrum gelegen denn für ein Quatsch?) hat . Orban sagt: Sie suggerieren, dass dadurch weniger Menschen auf Die Türkei ist ein sicheres Land . Bleibt dort! Es ist diese lebensgefährliche Überfahrt gehen . Das wird nicht riskant, zu kommen . Und wir können nicht garantie- klappen . Ja, es gibt grausame Geschäftemacher, die ren, dass ihr hier akzeptiert werdet . skrupellos die Not der Menschen ausnutzen, die um ihr Wie kaltherzig kann man eigentlich sein? Leben fliehen, ja, sie setzen sie auf seeuntüchtige Boote auf die Gefahr hin, dass sie ertrinken, oder stecken sie in (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- hermetisch abgeschlossene Lastkraftwagen, in denen sie NIS 90/DIE GRÜNEN) ersticken . Aber diese Schlepper und ihre Hinterleute sind Ungarns Regierung schaltet Anzeigen in jordanischen nicht die Ursache der Flucht, sondern eine ihrer Folgen . und libanesischen Zeitungen auf Englisch und Ara- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12055

Stefan Liebich (A) bisch: Wir Ungarn sind gastfreundlich, aber ergreifen haben, fortsetzen wollen, nämlich durch die Präsenz der (C) die strengstmöglichen Maßnahmen gegen jene, die ver- deutschen Marine dafür zu sorgen, dass Menschen aus suchen, hier illegal einzureisen .– Orban sagt über Men- Seenot gerettet werden . Etwa 8 000 Menschen sind von schen, die um ihr Leben fliehen: unseren Soldatinnen und Soldaten gerettet worden . Wir Sie klopfen nicht nur an die Tür, sie schlagen die wollen, dass das fortgesetzt wird . Tür ein . Unsere Grenzen sind in Gefahr, . .Ungarn . Der zweite Grund, aus dem wir heute hier zusammen- und ganz Europa sind in Gefahr . kommen, ist – mir leuchtet überhaupt nicht ein, wie man Mit dem heutigen Antrag der Bundesregierung geben sich darüber so sehr aufregen kann –, dass diese nationale Sie Orbans abstoßender Polemik recht . Sie stellen sich Aufgabe, die wir uns gestellt und die unsere Soldatin- gegen die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die nen und Soldaten erledigt haben, jetzt in eine europäi- hier die Flüchtlinge willkommen heißen wollen . Dieses sche Mission eingebettet wird . Deswegen, Herr Kollege neue Mandat ist der traurige Höhepunkt Ihrer Abschot- Liebich, muss ich Ihnen bei aller Wertschätzung an die- tungspolitik . Es werden doch nicht weniger Flüchtlinge ser Stelle widersprechen: Diese Bundesregierung – mit kommen . Es wird gefährlichere Routen geben, und es Unterstützung der Fraktionen der Großen Koalition – be- wird höhere Preise für diejenigen geben, die fliehen wol- kämpft beides: die Fluchtursachen, aber auch die Aus- len . Das ist doch alles Irrsinn . wirkungen . (Henning Otte [CDU/CSU]: Dann sollte man (Zuruf von der LINKEN: Na ja!) Kriminelle unterstützen?) Ich finde, es ist nicht besonders redlich, hier einen Wi- Richten Sie stattdessen eine zivile Rettungsmission derspruch zu konstruieren . Wenn Ihre Annahme richtig ein . Schaffen Sie legale Wege für Menschen, die einfach wäre, dass wir uns nicht um die Fluchtursachen kümmer- ihr Recht auf Asyl wahrnehmen wollen . Nur so können ten, dann könnte man über alles Mögliche reden . Aber Sie den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen . das ist nicht der Fall . Diese Bundesregierung hat gerade (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Millionen Euro an Extramitteln bereitgestellt und sich in NIS 90/DIE GRÜNEN) Brüssel dafür eingesetzt, dass jetzt 1 Milliarde Euro mo- bilisiert wird . Unser Außenminister ist, glaube ich, der Stoppen Sie bitte endlich Waffenverkäufe in Kriegs- einzige westliche Außenminister, der in den letzten Jah- und Krisengebiete . ren mehrfach die Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) besucht hat . Er hat António Guterres zu einer Konferenz Für den Frieden und dagegen, dass Menschen fliehen eingeladen und dem Hohen Flüchtlingskommissar der (B) (D) müssen, ist das das Beste, was Deutschland tun kann . Vereinten Nationen eine Bühne geboten . Er hat dafür ge- arbeitet – nicht immer auf der Bühne; manchmal auch (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- hinter den Kulissen –, dass finanzielle Zusagen nicht nur NIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens gemacht, sondern auch eingehalten werden . [CDU/CSU]: Eine typische Bausteinrede ei- nes Linken!) Ja, wir sind nicht so weit gekommen, wie wir kommen wollten; niemand beklagt das mehr als ich . Aber jetzt ha- Vizepräsident Johannes Singhammer: ben wir in dieser Frage ein Momentum . Ich glaube, wir Der Kollege Niels Annen spricht als Nächster für die bekommen hier etwas hin . Es gibt auch wieder politische SPD . Bewegung . Aber eines muss man sehr klar sagen: Wer sich hier hinstellt und sagt: „Wir müssen die Fluchtur- (Beifall bei der SPD) sachen bekämpfen; wir brauchen einen regionalen Blick auf die Krise und einen umfassenden Ansatz“, dem wür- Niels Annen (SPD): de ich immer sagen: Genau das ist es, worum wir uns Vielen Dank .– Herr Präsident! Lieber Herr Kollege jeden Tag bemühen . Liebich, ich glaube, es gibt gar keinen Grund für so viel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Aufregung, die Sie hier eben inszeniert haben . der CDU/CSU) (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Doch!) Da werden manchmal Fehler gemacht . Das reicht auch Ich habe, weil Sie das allgemein angesprochen haben, nicht immer aus . Auch das ist richtig; daher diskutieren trotzdem eine Bitte – darauf lege ich schon Wert ‑: Meine wir hier darüber . Aber die Finanzierung der Flüchtlings- Fraktion hat sich nicht mit Herrn Orban getroffen, und lager in Syriens Nachbarländern gehört genauso zur Ur- wir haben auch nicht vor, das zu tun . sachenbekämpfung wie die Operation, über die wir hier (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Omid und heute miteinander diskutieren . Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun zu der Frage: Wer nimmt eigentlich Flüchtlin- Wir beraten heute über ein Mandat – manchmal hilft ge auf? In Deutschland haben wir Hunderttausende von ja ein Blick in den Mandatstext –, bei dem es im We- Menschen aufgenommen . Ich glaube, wir sind uns alle sentlichen darum geht – das hat der Kollege Brauksiepe einig: Es ist eine großartige Leistung der Bürgerinnen richtig dargestellt –, dass wir das, was unsere Soldatin- und Bürger in diesem Land, aber auch der öffentlichen nen und Soldaten in den letzten Monaten bereits getan Verwaltung, der Kommunen, der Landesregierungen und 12056 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Niels Annen (A) des Bundes, dass wir das gemeinsam und miteinander Es gibt also ein Zusammentreffen von unterschiedli- (C) hinbekommen . chen Ursachen: die Kampfhandlungen, eine Unterfinan- zierung und eine Perspektivlosigkeit . Ich glaube, all das (Beifall des Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD]) hat mit dazu beigetragen, dass wir heute eine solche Si- Dazu gehört aber auch, dass wir in einer europäischen tuation haben . Dimension nicht nur über Quoten reden – ich hoffe, auch Ich denke, damit ist meine Antwort beendet, und Sie da machen wir langsam Fortschritte –, sondern auch den dürfen sich gerne wieder hinsetzen . Ländern, die von diesem Unglück ganz besonders betrof- fen sind, helfen . Ich komme nun zu dem Thema, auf das ich sowieso zu sprechen kommen wollte: Es gibt in der gesamten nordafrikanischen Region – vor allem aber in Libyen – Vizepräsident Johannes Singhammer: eine Destabilisierung . Diese hat dazu geführt, dass es Kollege Annen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des in Libyen nach der Intervention keine funktionierenden Kollegen Neu? staatlichen Strukturen mehr gibt . Ich will an dieser Stelle einmal sagen: Hier geht es auch um die Bekämpfung von Niels Annen (SPD): Fluchtursachen, Herr Kollege Liebig . Selbstverständlich, Herr Präsident . Unser Außenminister hat mit vielen hochengagier- ten Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Amt Tag Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): und Nacht daran gearbeitet, dass der UN-Vermittler un- Herr Kollege Annen, wir haben jetzt mehrfach den Be- terstützt wird . Wir haben jetzt einen Vertragstext für ein griff „Fluchtursachen“ gehört . Ich habe von Ihnen aber Übereinkommen, das – ich will es vorsichtig formulie- noch keine konkrete Fluchtursache genannt bekommen, ren – die Chance zu einer Einheitsregierung eröffnet . Wir außer dass die Flüchtlingslager im Nahen Osten eine Ur- müssen alles dafür tun, dass diese Chance ergriffen wird; sache sein könnten . Aber es dürfte doch wesentlich mehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dazugehören . Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass der CDU/CSU) die Flüchtlingslager im Nahen Osten nicht die tatsächli- che Ursache, sondern auch ein Symptom sind . Vielleicht denn nur eine Einheitsregierung in Libyen versetzt uns in können Sie das etwas präzisieren . die Lage, am Ende wieder staatliche Strukturen in diesem Land aufzubauen . Das wird natürlich nicht von heute auf morgen gehen . Niels Annen (SPD): (B) Ja, das kann ich sehr gerne machen, Herr Kollege .– Da wir heute über die Operation EUNAVFOR MED (D) Ich glaube, wer die Entwicklung der letzten Wochen sprechen, die sich übrigens auf die internationalen Ge- und Monate durch Zeitungslektüre aufmerksam verfolgt wässer bezieht – auch das hat der Staatssekretär hier ja zu hat – ich empfehle ja immer ein Qualitätsprodukt aus Recht erwähnt –, müssen wir hier natürlich auch erwäh- meinem Wahlkreis, die Tagesschau –, der wird sicherlich nen – wir tun das im Übrigen auch; wir verschweigen das wissen, dass die desaströse Lage in den Flüchtlingslagern ja nicht –, dass wir das Problem nicht allein durch eine eine Ursache ist . Inzwischen ist, glaube ich, allgemein militärische Operation der europäischen Partner in den bekannt – darüber bin ich übrigens froh –, dass die finan- Griff bekommen, sondern dass wir in Nordafrika wieder ziellen Mittel des Welternährungsprogramms nicht mehr eine Staatlichkeit brauchen . ausreichen, um die etwa 30 Dollar pro Monat zu bezah- Es geht natürlich auch um die Schleuserbekämpfung . len . Wir liegen aktuell bei etwa 13 Dollar pro Monat . Herr Kollege Liebig, ich finde, man darf das, was dort passiert, nicht relativieren . Dort werden Leute in nicht Viele Familien haben keine Perspektive mehr . Da es mehr seetüchtigen Booten geradezu gestapelt . Diejeni- keine Perspektive gibt, während des Krieges in das Hei- gen, die oben einen Platz bekommen, haben am meisten matland Syrien zurückzukehren, richtet man sich natür- bezahlt, und diejenigen, die unten sitzen, haben mögli- lich in Richtung Europa aus; das ist auch nachvollzieh- cherweise überhaupt keine Überlebenschance . Wir reden bar . hier also über keine Banalität . Es gibt aber auch Gründe, die wir nicht unmittelbar be- Um die Chance zu nutzen, diese Kriminalität wirk- einflussen können. lich nachhaltig zu bekämpfen, brauchen wir polizeiliche Das Assad-Regime ist in den letzten Monaten mili- Maßnahmen . Diese können wir aber erst dann gewähr- tärisch unter Druck geraten . Das bedeutet – das werden leisten, wenn es dort wieder staatliche Strukturen gibt . Sie sicherlich auch verfolgt haben, Herr Kollege Neu –, Deswegen hängt das alles miteinander zusammen . Ich dass inzwischen auch im Kernland des Assad-Regimes glaube, es ist der Sache und auch der Arbeit unserer Sol- gekämpft wird . Ich weiß nicht, ob Sie sich mit der Lage datinnen und Soldaten nicht angemessen, das so zu ver- in Syrien beschäftigt haben, aber bei einem Blick auf die einfachen, wie Sie es getan haben . Landkarte werden Sie sehr schnell feststellen, dass die (Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD]) Gebiete, die Assad kontrolliert, die Gebiete in Syrien sind, in denen die meisten Menschen leben . Das heißt, Ich danke für die Aufmerksamkeit . der Krieg, den der IS führt, betrifft nur einen relativ klei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen Teil der Bevölkerung . der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12057

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: hat, völlig Recht . Er hat davon gesprochen, wie es in den (C) Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Lagern aussieht und dass es für die Menschen dort nicht Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . auszuhalten ist . Natürlich müssen wir alles daran setzen, dass die Nachbarstaaten stabil sind und dass die humani- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): täre Hilfe auch kommt . Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unab- Ich schaue mir jetzt einmal das Umfeld und das, was hängig davon, wie wir zu einzelnen Einsätzen stehen, ist Sie vorlegen, an: Das CDU-Präsidium hat beschlossen, es hier eine gute Tradition, dass wir denjenigen, die wir dass ein Einwanderungsgesetz sinnvoll ist . Es will nach am Ende des Tages entsenden – mit welchen Stimmen- 2017 darüber beraten . Das wurde komplett vertagt . Also verhältnissen auch immer –, für ihren Einsatz danken . Fehlanzeige! Ich möchte an dieser Stelle etwas Persönliches sagen, Ich komme zur Transparenz: Wir müssen doch wis- weil mich das sehr ergriffen hat: Vor ziemlich genau sen, worüber wir als Parlament abstimmen . Wir müssen 48 Stunden war ich in Erbil, und ich habe den deutschen doch wissen, was die Bundeswehr darf und nicht darf . Kontingentführer dort getroffen, der dort auch die Aus- Wir müssen doch überprüfen können, ob das Refoule- bildung des Peschmerga verantwortet hat . Wenige Stun- ment-Verbot wirklich eingehalten wird . Das heißt, dass den danach ist er leider Gottes verstorben . Ich glaube, Menschen, die dort ankommen oder in internationalen dass das für seine Familie unheimlich hart sein muss . Ich Gewässern aufgegriffen werden, auch Asylanträge stel- kann mir das gar nicht vorstellen . Ich glaube, es ist wich- len können . Das kann die Bundesregierung – auch auf tig, dass von dieser Stelle aus auch ein Zeichen des Mit- Nachfrage nicht – gar nicht nachprüfen . Mir liegt hier die gefühls an sie ergeht. Wir können nicht nachempfinden, Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage meines wie es der Familie und den Angehörigen geht . Kollegen Jürgen Trittin vor . Dort wird einfach nur – um Nun zur Sache: Herr Staatssekretär, das Thema es mit meinen Worten zu sagen – festgestellt: Na ja, wir Fluchthelfer hatte bei Ihnen aus meiner Sicht einen et- wissen es nicht so genau . was komischen Zungenschlag . Es gibt Fluchthelferinnen und Fluchthelfer, die eine unglaubliche Arbeit leisten, Um das aber zu wissen, müssen wir in den Operati- und zwar jeweils auch in dem eigenen Land – jenseits onsplan gucken können . Das war bisher bei jedem Man- der Legalität . Das sind Leute – das ist jetzt angemerkt dat üblich gewesen . Der Operationsplan lag schön brav worden –, die vor 26, 27 Jahren in diesem Land noch ein in der Geheimschutzstelle . Man ist dorthin gegangen und Bundesverdienstkreuz erhalten hätten . Ich kenne solche hat sich ihn angeguckt . Aus irgendeinem Grund – nach Leute im In- und Ausland und bin dankbar, dass sie in vielen Nachfragen – weigert sich die Bundesregierung (B) unmöglichen Situationen den Menschen beim Überleben einfach, uns den Plan zu zeigen . Das ist nicht unbedingt (D) helfen. Ich finde, auch das muss man hier sagen, auch ein Vertrauensvorschuss . Damit können wir hier nicht ar- wenn viele der Leute, die im Mittelmeer tätig sind, nicht beiten . unter diese Kategorie fallen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist zweifelsfrei so . Es gibt also schon einen großen und bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Unterschied zwischen Fluchthelfern und Schleppern . Ich Nächste Woche!) finde, dass das auch betont werden muss. Ich würde mich Herr Staatssekretär, Sie haben doch gerade gesagt, wirklich freuen, wenn ein Vertreter der Bundesregierung dass die Seenotrettung natürlich weitergeht . Das ist rich- das irgendwann einmal an irgendeiner Stelle zum Aus- tig so . Wir haben aber Zahlen, welche die Frau Kolle- druck bringen würde . gin Brugger erfragt hat . In zwei Monaten wurden 6 000 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen gerettet . Danach gab es in der Statistik einen und bei der LINKEN) Bruch . Der trat in dem Augenblick ein, als nicht mehr das Das vorliegende Mandat stellt eine Symptombekämp- nationale Kommando, sondern das EU-Kommando galt . fung dar . Es ging hier schon ein paar Mal um Symptom- Seit dem wurden in zweieinhalb Monaten 2 500 Men- bekämpfungen . Denen haben wir – zum Beispiel am schen gerettet . Die Zahl ging also von 6 000 auf 2 500 Beginn von Atalanta – zugestimmt . Es muss aber immer herunter . Das zeigt eindeutig, dass da andere Dinge Prio- klar sein, welcher politische Rahmen existiert, und es rität haben . Wenn man richtig hört, geht es jetzt in erster muss klar sein, wie man das Problem denn eigentlich an- Linie um Aufklärung und nicht nur um Seenotrettung . gehen will . Auch das ist eine Prioritätensetzung, mit der wir einfach nicht leben können . Wenn man gegen das Geschäftsmodell der Schlepper im Mittelmeer, unter denen – ich sage es noch einmal – Genauso steht es auch um das gesamte Krisenmanage- sich sehr viele Schwerkriminelle befinden, vorgehen will, mentkonzept . Wir sind jetzt bei Phase 2 i) . Die Phase 1 dann muss man natürlich auch legale Wege finden. Dabei betraf die Seenotrettung . Wir waren – mit den Konse- geht es zum Beispiel um das Resettlement . Man muss na- quenzen, die ich gerade beschrieben habe – dafür . Jetzt türlich auch über eine Einwanderungsgesetzgebung bzw . steht Phase 2 i) an . Dabei geht es um die Bekämpfung der darüber nachdenken, wie man Einwanderung regulieren Schlepper . Die Bundesregierung hat in Brüssel ja längst kann . Natürlich muss man ebenfalls darüber nachdenken, den weiteren Phasen – also 2 ii) und 3 ii) – zugestimmt . wie man den Nachbarstaaten helfen kann . Der Kollege Dabei geht es um die libyschen Häfen bzw . um die Frage, Annen hatte ja mit der Antwort, die er gerade gegeben was man dort tun soll . 12058 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Omid Nouripour (A) Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie in Libyen eine Stand konnten durch Schiffe der deutschen Marine 8 030 (C) Einheitsregierung haben wollen, dann sollten Sie, wie es Menschen gerettet werden . Es geht auch darum, zu ver- der Kollegen Annen gerade völlig zu Recht beschrieben hindern, dass dieser äußerst gefährliche, für viele leider hat, vielleicht auch einmal auf die Stimmen von Libyen tödliche Weg beschritten wird . hören . Die klingen nicht unbedingt so, als ob irgendeine Frau Brugger hat – darüber haben wir im Bundestag der beiden Regierungen davon begeistert wäre, dass jetzt nicht debattiert – zu diesem Thema mit Spiegel Online demnächst Schiffe in Häfen versenkt werden sollen, bei gesprochen, was wir natürlich alle lesen werden . Ich denen man tagsüber aus der Luft nicht sehen kann, ob das glaube nicht, dass der Einsatz der Stufe 2 i), wie er jetzt ein Schlepperboot oder ein Schleuserboot ist . Von daher von der Bundesregierung in diesem Antrag beschlossen kann das einfach nicht funktionieren . werden soll, dazu führen wird, dass weniger Flüchtlinge Man hat auch nicht das Gefühl, dass es für die Opti- gerettet werden . on, an Land gegen Schleuser vorzugehen, in Libyen eine (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE große Begeisterung gibt . Jetzt wird es spannend: Es sollte GRÜNEN]: Hat er aber schon! – Omid ja im Sicherheitsrat ein Mandat dafür geben . Wenn man Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sich aber anschaut, wie die afrikanischen Vertreter dort – Die Zahlen liegen vor!) Angola, der Tschad und Nigeria – dazu stehen, erkennt man: Alle drei Länder lehnen dieses Ansinnen höchst Erstens . Die Zahl der Schiffe, die unter EU-Mandat vehement ab . Von daher muss man eigentlich sagen: Es fahren, wird sich von vier auf acht erhöhen . Zweitens . geht nicht nur um das Binnenverhältnis zwischen Schlep- Die Zahl der Schiffe, die auf andere Weise zur Rettung pern und EU, sondern es gibt im Übrigen auch noch ein beitragen, hat in der letzten Zeit zugenommen, sodass paar lokale Akteure . Deren Stimme bzw . Zustimmung möglicherweise die Notwendigkeit, dass Marineschiffe haben Sie aber nicht . Flüchtlinge aufnehmen müssen, nicht mehr in dem Maße gegeben ist, wie das in der Anfangsphase der Fall war . Es Vizepräsidentin Petra Pau: ist allerdings auch so, dass das Wetter im Herbst strenger Herr Nouripour, bitte, versuchen Sie jetzt, einen Punkt wird und dass es dann offensichtlich wird, wie gefährlich zu setzen . eine Flucht auf dem Meer ist, und vielleicht auch deswe- gen der eine oder andere davor zurückschreckt . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte den Blick auf das wenden, was wir in der Ich komme zum letzten Punkt: Wenn nicht noch ein EU auch noch vereinbart haben . Wir haben gesagt: Wenn Wunder passiert, wenn das Mandat so bleibt, wenn Sie es eine libysche Regierung gibt – es liegt jetzt ein Frie- (B) uns den Operationsplan nicht vorlegen und weiterhin so densvertrag vor, der von den Parlamenten in Tobruk und (D) argumentieren, wie Sie es tun, kann ich meiner Fraktion Tripolis abgesegnet werden muss, was vielleicht bald ge- leider Gottes bei aller Ablehnung des Geschäftsmodells schehen wird –, mit der wir zusammenarbeiten können, der Schlepper nur empfehlen, dieses Mandat abzulehnen . dann werden wir sicherlich auch darüber nachdenken, ob wir weitergehen und die Stufe 2 ii), so ist es offiziell (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN formuliert, und dann gegebenenfalls die Stufe 3, also ein und bei der LINKEN) konkreter Einsatz vor der libyschen Küste, umsetzen . Das ist im Grunde das, was wir anstreben, nämlich Vizepräsidentin Petra Pau: den Flüchtlingen ein sicheres Zuhause jenseits des Mit- Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Jürgen telmeers zu geben . Wir möchten ihnen zusichern können, Hardt das Wort . dass ihrem Antrag auf Schutz vor politischer Verfolgung (Beifall bei der CDU/CSU) im Einvernehmen mit der libyschen Regierung entspro- chen wird . So können wir vermeiden, dass diese Men- schen nach Europa kommen müssen, um hier ihren An- Jürgen Hardt (CDU/CSU): trag zu stellen . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nouripour, in der gegenwärtigen Situation gilt das Ich glaube, Ihre Ablehnung und Ihre Skepsis gegen- humanitäre Gebot: Wir müssen verhindern, dass Men- über dem Antrag der Bundesregierung fußen ganz we- schen im Mittelmeer ertrinken . Das können wir zum sentlich darauf, dass Sie wissen: Wenn Sie heute zustim- einen dadurch tun, dass wir diese Menschen aus den men, wird es bei einem späteren Antrag, der vielleicht seeuntüchtigen Booten retten, mit denen sie von den in wenigen Wochen oder Monaten vorliegen wird, noch Schleppern fahrlässigerweise aufs Meer hinausgeschickt schwieriger, Nein zu sagen . Ich glaube, dass wir diesen werden . Das können wir zum anderen dadurch tun, dass Weg konsequent weitergehen sollten, um zu vermeiden, wir verhindern, dass Schlepper diese Menschen mit fal- dass Menschen im Mittelmeer ertrinken . schen Versprechungen und unter Verharmlosung des Ri- Ich möchte an dieser Stelle noch ergänzen, dass wir sikos in diese Boote locken und damit in Lebensgefahr die Bemühungen der Bundesregierung, die Mittel der bringen . UN-Ernährungsprogramme zur Versorgung von Flücht- Ich glaube, dass in diesem Einsatz, sowohl so, wie lingen deutlich aufzustocken, damit es nicht zu finanzi- er bisher in Stufe 1 abgelaufen ist, als auch so, wie er ellen Engpässen kommt, welche zu einer erneuten Flucht jetzt geplant ist, genau diese Kombination vorgesehen und zu einer Verunsicherung der Menschen führen, mas- ist . Es geht darum, Menschen zu retten . Nach heutigem siv unterstützen . Wir stellen uns aber schon die Fragen: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12059

Jürgen Hardt (A) Wie konnte es so weit kommen? Wie können wir die Danke schön . (C) Strukturen der UN und ihrer Tochterorganisationen op- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- timieren und verbessern? ordneten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hardt, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- Der Kollege Dr .Fritz Felgentreu hat für die SPD-Frak- kung der Kollegin Keul? tion das Wort .

Jürgen Hardt (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ja, gerne . der CDU/CSU)

(SPD): Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dr. Fritz Felgentreu Vielen Dank, Herr Kollege .– Sie haben eben gesagt: Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Lieber Kollege Wir werden in wenigen Wochen mit der Stufe 3, also mit Jürgen Hardt, ich denke, es ist auch in Ihrem Sinne, wenn der Erteilung eines Mandats, vor der libyschen Küste ich an dieser Stelle auch im Namen des Verteidigungsaus- tätig zu werden, zu rechnen haben . Die Lage in Libyen schusses ganz allgemein den Männern und Frauen vom sieht nicht gerade rosig aus . Tender „Werra“ und von der Fregatte „Schleswig-Hol- stein“ für ihren großartigen Einsatz im Mittelmeer und Sie wissen, dass Sie dafür eine völkerrechtliche Grund- vor allen Dingen auch für die humanitäre Wirkung dieses lage brauchen . Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte Einsatzes danke, die heute bereits mehrfach angespro- dafür, dass Russland sich in diesem Zusammenhang ir- chen worden ist . Das möchte ich hiermit gerne tun . gendwie bewegen wird und es im UNSicherheitsrat hier- zu eine Einigung geben wird? (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Die Linke hat kritisiert, dass wir mit der Erweiterung Zunächst einmal habe ich meine Erwartung zum Aus- und dem Eintritt in die Phase 2 des Einsatzes auch ein druck gebracht, dass wir in dem Fall, dass es eine legi- politisches Bekenntnis dazu ablegen, die Schleuserkri- time libysche Regierung gibt, gemeinsam über weitere minalität zu bekämpfen . Ich möchte dieses politische Schritte nachdenken können und dass wir dann auch kon- Bekenntnis gerne noch einmal ausdrücklich unterstrei- sequenterweise, weil wir in der EU einen Mehrstufen- chen . Die Tatsache, dass es sich bei der Bekämpfung von (B) plan vereinbart haben, die weiteren Schritte gehen . Schleuserkriminalität in der Tat um Symptombekämp- (D) fung handelt, heißt doch nicht, dass es nicht sinnvoll ist, Man könnte sich in diesem Fall zuallererst vorstellen, diese Symptome zu bekämpfen . dass die libysche Regierung uns einlädt, dies zu tun . Wir werden jetzt im Rahmen der Stufe 2 i) zwar die Schlepper, (Beifall bei der SPD) die wir identifizieren, erkennungsdienstlich behandeln, Die Schleuser im Mittelmeer nutzen mit krimineller aber wir werden sie nicht an eine libysche Regierung zu Intention die Notlage der Menschen aus und setzen deren einer weiteren strafrechtlichen Verfolgung übergeben . Not manipulativ ein, um selber viel Geld zu verdienen und Ich glaube, dass es zunächst dazu kommen wird, dass wir die Europäer zu einem humanitären Einsatz zu zwingen . auf Einladung einer libyschen Regierung gegebenenfalls Diese Art der Herangehensweise verdient es, bekämpft mit ihr zusammenarbeiten und mit ihr gemeinsam das zu werden . Wenn dafür der EUNAVFOR-MED-Einsatz Schlepperwesen bekämpfen und vor allem – das ist mei- ein effektives Mittel ist, dann müssen wir unbedingt zu nes Erachtens noch viel wichtiger – gemeinsam zu einem diesem Mittel greifen . Weg kommen, wie mit den Flüchtlingen auf libyschem Boden in humanitärer Hinsicht vernünftig umgegangen Das heißt nicht – ich glaube, das ist der Punkt, über werden kann . den wir eigentlich reden müssen –, dass wir die Bekämp- fung der Fluchtursachen deswegen aufgeben . Das eine Ich war bei den Programmen der Vereinten Nationen ist die Ebene der Symptombekämpfung, um die wir uns stehen geblieben . Wir erleben jetzt, dass die Bundesre- auch im Sinne einer europäischen Solidarität kümmern gierung dabei konsequent vorangeht . Sie hat auch schon müssen . Das andere ist die Frage, wie wir damit umge- vor einigen Monaten in Berlin eine Konferenz einberu- hen können, damit in Zukunft weniger Menschen den fen. Trotzdem finde ich es unbefriedigend, dass wir bei Wunsch entwickeln, den gefährlichen Weg der Flucht den Vereinten Nationen nicht zu Strukturen kommen, die über das Mittelmeer zu gehen . dafür sorgen, dass wir erst gar nicht in eine solche Situ- ation geraten. Ich finde, es muss klare Vereinbarungen und Frühwarn- und Vorwarnmechanismen geben, die das Vizepräsidentin Petra Pau: verhindern . Im 70 . Jahr der Vereinten Nationen sollten Kollege Felgentreu, gestatten Sie eine Frage oder Be- die Vereinten Nationen so weit entwickelt sein, dass die merkung des Kollegen Liebich? großen Hilfsprogramme nicht von der Hand in den Mund leben müssen . In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir Dr. Fritz Felgentreu (SPD): uns gemeinsam dafür einsetzen . Selbstverständlich, gerne . 12060 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Stefan Liebich (DIE LINKE): Korruption versuchen müssen, ein Leben aufzubauen, (C) Herr Kollege Felgentreu, selbstverständlich hat die eine echte Perspektive nicht entstehen kann . Es ist ge- Linke gar nichts dagegen, dass Kriminalität bekämpft rade diese Perspektivlosigkeit, die anständige Menschen wird . Unser Argument war, dass die Bekämpfung, wie in die Flucht treibt . Deswegen meine ich, dass wir als Sie sie vorschlagen, aussichtslos sein wird . Denn solange Europäer auf ganz andere Weise als bisher – konsequen- die Grenzen geschlossen sind, wird es immer Leute ge- ter und stringenter – und mit größerer Bereitschaft die ben, die versuchen, illegal über die Grenzen zu kommen . Machtmittel, über die wir verfügen, bei der Bekämpfung Mich würde interessieren, was Sie zu diesem Argument der organisierten Kriminalität und der Korruption einset- sagen . zen müssen . Da haben Sie vollkommen recht, Herr Kol- lege Liebich: Das wird eher die Aufgabe der Polizei, von Dann habe ich noch eine Frage: Interpol und Europol, sein als die der Bundeswehr . Aber Finden Sie nicht auch, dass die Bekämpfung von Krimi- wir müssen es tun . nalität Aufgabe der Polizei und nicht der Armee ist? Wir dürfen nicht nur die Schleuser verhaften, die Boo- te über das Mittelmeer steuern . Vielmehr müssen wir Dr. Fritz Felgentreu (SPD): auch die Geldströme offenlegen, die durch die Schleu- Sie kommen auf einen Punkt zu sprechen, auf den ich serkriminalität generiert werden . Wir müssen das Geld, in meiner Rede gerade eingehen wollte . Eines ist doch das damit verdient wird, beschlagnahmen . Wir müssen vollkommen klar: Wenn wir erreichen wollen, dass die internationale Haftbefehle gegen die für solche Schleu- Menschen nicht mehr den Wunsch haben, über eine ge- seraktivitäten verantwortlichen Hintermänner ausstellen fährliche Flucht nach Europa zu gehen, dann müssen wir können, die an vielen Stellen als scheinbare Ehrenmän- die Fluchtursachen bekämpfen . Die Bekämpfung der ner ihrer Arbeit nachgehen und die wir als Ansprech- Fluchtursachen erreichen wir nicht, indem wir die Krimi- partner nicht gebrauchen können . Das ist der eigentliche nellen bekämpfen, die die Not der Flüchtlinge ausnutzen . Punkt . Die Bekämpfung von Fluchtursachen setzt an vie- Das ist aus meiner Sicht ein völlig klarer Zusammen- len Stellen an . Armutsbekämpfung ist eine davon . hang . Insofern brauchen wir eine Strategie, die an allen Punkten ansetzt . Letzter Hinweis . Kollege Nouripour, Sie haben be- mängelt, dass der Operationsplan bislang nicht vorliegt . Die Grenzsicherung in Europa ist ebenfalls eine mi- Damit haben Sie natürlich recht . Aber er soll im Laufe litärische Aufgabe . Dass diese im Rahmen des EUNAV- dieser Woche eingehen . Es ist sicherlich eine Selbstver- FOR-MED-Einsatzes auch von der Bundeswehr wahrge- ständlichkeit, dass man in den Ausschüssen nicht ver- nommen wird, halte ich für eine Selbstverständlichkeit . nünftig über EUNAVFOR MED diskutieren kann, wenn Bei der Bekämpfung der Fluchtursachen müssen wir man keinen Zugang zum Operationsplan hat . Sie haben (B) (D) allerdings wesentlich tiefer ansetzen . Dazu gehört na- auch gesagt, Sie könnten so nicht darüber abstimmen . Sie türlich auch der Vorschlag der Grünen, legale Wege der müssen aber auch noch nicht darüber abstimmen . Heu- Einwanderung zu schaffen . Ich würde an diesem Punkt te ist die erste Beratung . Seien Sie versichert: Bis zur gerne weitermachen, erspare Ihnen aber, das im Rahmen Abstimmung wird die Bundesregierung auch in diesem meiner Antwort zu tun . Punkt ihre Hausaufgaben gemacht haben, sodass wir Herr Nouripour, Sie haben vollkommen recht – die dann eine vernünftige Beratungsgrundlage haben . SPD-Fraktion hat sich bereits mehrfach in diesem Sin- Ich danke Ihnen für Ihre Geduld . ne geäußert –, dass die legalen Wege der Einwanderung ausgeweitet werden müssen . Das wollen wir auch tun . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deswegen wollen wir gerne ein Einwanderungsgesetz schaffen . In einem Punkt glaube ich allerdings nicht, Vizepräsidentin Petra Pau: dass dies weit genug trägt . Die bloße Möglichkeit einer Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Frak- legalen Einwanderung wird niemals so ausgestaltet wer- tion das Wort . den können, dass sie den gesamten Druck nimmt . Wenn (Beifall bei der CDU/CSU) wir legale Wege der Einwanderung schaffen, die für die einzelnen Menschen mit unerträglich langen Wartezeiten verbunden ist, dann wird es trotzdem viele Menschen Florian Hahn (CDU/CSU): geben, die den gefährlichen Weg der Flucht weitergehen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wollen . Deswegen kann das nur ein Baustein einer Stra- 135 000 Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten sind in tegie sein und niemals die gesamte Strategie ersetzen . den ersten drei Wochen im September 2015 in Bayern angekommen . Das sind mehr als im gesamten Jahr zuvor . Der heute bereits mehrfach gegebene Hinweis auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Libyen Das fordert von unseren Behörden, von den Beam- ist wichtig . Hier nähern wir uns einem Punkt an, über ten, von der Polizei, von den vielen Ehrenamtlichen, von den wir bei der Bekämpfung der Fluchtursachen zu we- Organisationen wie den freiwilligen Feuerwehren, vom nig diskutiert haben . Wir haben über die unerträglichen THW, von anderen Rettungsdiensten und vor allem auch Verhältnisse in den Lagern und die Tatsache gesprochen, von unseren kommunalen Entscheidungsträgern, den dass das Leben in Libyen unsicher geworden ist . Wenn bayerischen Landräten, den bayerischen Bürgermeistern, wir aber den Blick über Libyen hinaus richten, dann se- unglaubliche Kraft, Kreativität und Courage . Denn die hen wir, dass überall dort, wo Menschen in dem tödli- Menschen müssen erstversorgt und untergebracht wer- chen Dreieck aus organisierter Kriminalität, Terror und den . Außerdem müssen sich gerade die Kommunalpoliti- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12061

Florian Hahn (A) ker bei unzähligen Bürgerversammlungen, bei Interviews hochseeuntauglichen Kähnen und Schlauchbooten zu (C) mit den Lokalmedien und in direkten Gesprächen mit den retten, sondern auch, weil es möglich war, wichtige In- zunehmend besorgten Bürgern auseinandersetzen, die formationen über die Organisationen der Schleusernetz- sich fragen, wie das alles weitergehen soll . Ich möchte werke im Mittelmeer, über ihre Routen und über ihre deshalb ausdrücklich der Bundeskanzlerin danken, dass Taktiken zu sammeln . sie für den kommenden Montag ein Gespräch mit den An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Sol- bayerischen kommunalen Spitzenverbänden zugesagt datinnen und Soldaten der Marine . hat . Das ist ein gutes Zeichen . Das zeigt, dass wir uns in der Bundespolitik dieser Belastung vor Ort bewusst sind . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Der Zustrom Hunderttausender Menschen nach Euro- pa, nach Deutschland, fordert die Politik, also uns alle, DIE GRÜNEN) auf allen politischen Ebenen . Die CSU hat in einem Pa- Ich konnte mir mit Kollegen vor Ort auf der Fregatte pier ihres außen- und sicherheitspolitischen Arbeitskrei- „Schleswig-Holstein“ einen Eindruck davon verschaf- ses am 5 . September dieses Jahres und heute mit einer fen, welchen physischen und psychischen Belastungen Erklärung ihrer Landtagsfraktion zu diesem Thema zahl- unsere Frauen und Männer bei einer solchen Seenotret- reiche Lösungsideen ausgearbeitet . tung ausgesetzt sind . 10 bis 16 Stunden dauert eine sol- Um auch in Zukunft den Menschen, die Hilfe am drin- che Evakuierung . Die Soldaten stecken während dieser gendsten benötigen, zeitnah und direkt helfen zu können, Zeit bei hohen Außentemperaturen gerade im Sommer in sind aus unserer Sicht folgende Punkte unerlässlich: Wir Ganzkörperschutzanzügen, müssen dafür sorgen, dass es müssen den Zustrom insgesamt eindämmen . zu keinen Tumulten kommt, dass Flüchtlinge nicht ins Wasser fallen und ertrinken und dass sie sich selbst nicht (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE in Gefahr bringen . Ich habe vor dieser Leistung aller- GRÜNEN]: Zustrom eindämmen – das spricht höchsten Respekt . Bände!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Wir brauchen mehr europäische Solidarität, und wir ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ müssen nationale Handlungsspielräume ausschöpfen DIE GRÜNEN) und schaffen . Übrigens, wenn wir über mehr europäische Solidarität reden und diese erreichen wollen, dann müs- Jetzt ist es sinnvoll, zügig in die Phase 2 i) dieser sen wir feststellen: Diese Solidarität erreicht man nicht, Operation einzutreten und die Bewegungsfreiheit der wenn wir andere Regierungschefs beschimpfen . Viel- Schleuser einzuschränken, um deren kriminellen Akti- mehr müssen wir mit anderen Regierungschefs sprechen, onen Grenzen setzen zu können. Dabei findet natürlich (B) und genau das hat die CSU getan . weiter Seenotrettung statt; das ist doch gar keine Frage . (D) Aber der Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist auf mittlere (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sicht sinnvoll, wenn der Schwerpunkt tatsächlich auch Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tolle Solidari- auf die Bekämpfung der Schleuseraktivitäten übergeht . tät!) Dazu wird mit diesem neuen, erweiterten Mandat ein ent- Wenn Sie von der Linken konsequent wären, dann scheidender Schritt getan . Deswegen ist dieses Mandat würden Sie auch Herrn Tsipras beschimpfen, der offen- absolut sinnvoll . sichtlich wieder bereit ist, mit den finsteren Nationalisten Herzlichen Dank . in Griechenland zu paktieren . An dieser Stelle höre ich bei Ihnen irgendwie gar nichts . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Aber wenn es darum geht, die Dinge anzupacken, dann geht es auch darum, Asylmissbrauch abzustellen, Vizepräsidentin Petra Pau: (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE Ich schließe die Aussprache . GRÜNEN]: Es gibt keinen Asylmissbrauch! Das ist ein Grundrecht!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6013 an die in der Tagesordnung aufge- Verfahren zu beschleunigen und bleibeberechtigte führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- Flüchtlinge zu integrieren, auszubilden und sie mögli- verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung cherweise auch auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg in ih- so beschlossen . rer Heimat vorzubereiten . Außerdem müssen wir, wo wir dies können, Fluchtursachen und Schleuserkriminalität Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: bekämpfen . Vieles, was diese Woche entschieden wurde Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Keul, bzw . noch vorbereitet und entschieden wird, geht in die Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Ab- richtige Richtung und wird dem gerecht . geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Das sehen wir auch bei der Mission EUNAVFOR GRÜNEN MED, deren Ziel es ist, die kriminellen Aktivitäten der Gesetzliche Grundlage für Angehörigenschmer- Menschenschleuser im Mittelmeer vor der nordafrikani- zensgeld schaffen schen Küste zu bekämpfen . Diese Mission war bislang erfolgreich, nicht nur, weil es den Besatzungen deutscher Drucksache 18/5099 Schiffe gelungen ist, mehr als 800 000 Menschen von Überweisungsvorschlag: 12062 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) nannten Schmerzensgeldtabellen gesammelt werden, die (C) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine gewisse Gleichbehandlung und Transparenz sor- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für gen . Das Gleiche würde auch für das von uns geforderte die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Angehörigenschmerzensgeld gelten . Dabei sind keine nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Millionenbeträge zu erwarten . Soweit es um Verkehrsun- fälle geht, ist die Summe der materiellen Schäden, also Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den der Blechschäden, ohnehin um so vieles höher als die Fraktionen zügig vorzunehmen . Schmerzensgelder, dass letztere in der Gesamtheit kaum Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin ins Gewicht fallen . Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Was machen unsere Nachbarn? In der Schweiz beträgt das Angehörigenschmerzensgeld bis maximal 48 000 Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Euro, in Frankreich bis zu 30 000 Euro, in Italien bis zu Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und 80 000 Euro . Vielleicht entscheiden sich deutsche Ge- Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Während der richte für einen niedrigeren Betrag . Am Ende wird sich Sommerpause haben wir erlebt, wie sich die Auseinan- der Betrag in die bisherige Schmerzensgeldtabelle ein- dersetzung zwischen der Lufthansa und den Opferanwäl- fügen müssen . ten hinsichtlich der Entschädigung der Hinterbliebenen der Opfer des Flugzeugabsturzes verschärfte . Die Luft- Entscheidend ist aber, dass wir überhaupt erst mal den hansa hat den Angehörigen einen Betrag angeboten, in Weg für diesen Anspruch frei machen . Die Nulllösung dem unter anderem die Trauer der nächsten Angehörigen ist keine Lösung. Sie ist eine Schieflage im deutschen mit 10 000 Euro bemessen wurde . Das haben nun einige Zivilrecht . als unangemessen zurückgewiesen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich will hier und heute auch nicht darüber debattie- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ren, welcher Betrag für den Verlust eines Angehörigen der CDU/CSU und der SPD) angemessen ist oder nicht . Das Problem im deutschen Ihre Beseitigung ist rechtssystematisch auch nicht allzu Recht ist ein ganz anderes . Danach steht den Angehöri- schwierig . Wir müssen das BGB dazu nicht neu schrei- gen nämlich gar kein eigener Schmerzensgeldanspruch ben . zu; es stehen ihnen also genau 0,00 Euro zu . Sie müssten durch die Trauer erst selbst krank werden; dann würden Die zentrale Anspruchsnorm für das Schmerzensgeld ist sie entschädigt . Bei – in Anführungszeichen – normaler § 253 Absatz 2 BGB, der da lautet: (B) Trauer besteht kein Rechtsanspruch . Alles, was die Luft- (D) hansa hier angeboten hat, ist reine Kulanz . Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesund- heit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestim- Das gilt nicht nur in Fällen der gesetzlichen Gefähr- mung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen dungshaftung, wie sie für eine Fluggesellschaft oder des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine den Halter eines Kfz gilt, sondern auch bei schuldhaf- billige Entschädigung in Geld gefordert werden . tem Handeln . Das heißt: Auch dann, wenn Sie jemanden töten, egal ob vorsätzlich oder fahrlässig, brauchen Sie Wenn wir nun dieser Aufzählung die Worte „dem keinen Cent an die Angehörigen zu zahlen . Teuer wird es Tode eines nahen Angehörigen“ beifügen, sind wir schon nur, wenn das Opfer mit seinen Schmerzen überlebt . Ich ein ganzes Stück weiter . Das Gleiche müssten wir dann will es mal etwas krasser formulieren: Sollten Sie einen noch im § 823 Absatz 1 BGB machen . Damit hätten Menschen überfahren haben, setzt das deutsche Zivil- wir für den Bereich des Verschuldens ein Angehörigen- recht den Anreiz, noch mal zurückzusetzen und die Sa- schmerzensgeld begründet . Für die gesetzlichen Fälle che zu Ende zu bringen . Das sollten wir als Gesetzgeber der Gefährdungshaftung müssten wir nur jeweils die Er- so nicht stehen lassen . gänzungen in den entsprechenden Anspruchsgrundlagen vornehmen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit unserem Antrag wollen wir einen konstruktiven Wenn ich einen Arm oder ein Bein verliere, habe ich Beitrag zu der Lösung dieses rechtspolitischen Problems erhebliche Schmerzen . Wenn ich mein Kind verliere, leisten . Wir hoffen, dass das Justizministerium bald einen habe ich auch Schmerzen . Es wird Ihnen vielleicht so entsprechenden Gesetzentwurf erstellt und einbringt . gehen wie mir: Ich würde eher einen Arm oder ein Bein hergeben als das Leben meines Kindes . – Warum also Vielen Dank . dieser Schmerz nicht auch beziffert werden könnte, ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht ersichtlich, zumal wir damit im europäischen Ver- sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des gleich ziemlich isoliert sind . Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD]) Wenn sich jetzt die Kfz-Versicherer zu Wort melden und davor warnen, die Beiträge würden erheblich stei- Vizepräsidentin Petra Pau: gen, können wir ganz gelassen bleiben . Es geht ja nicht Das Wort hat der Kollege Dr .Hendrik Hoppenstedt für darum, amerikanische Verhältnisse einzuführen . Die die CDU/CSU-Fraktion . Höhe des Schmerzensgeldes steht im deutschen Recht im Ermessen der Richter, deren Entscheidungen in soge- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . 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(A) Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): letzten Minuten an Bord zugesprochen bekommen haben (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und und welches jetzt auf die Erben übergeht, sondern die Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich Lufthansa zahlt auch 10 000 Euro Schmerzensgeld für beginne, möchte ich kurz auf einen Punkt von Ihnen jeden nächsten Angehörigen . eingehen, Frau Keul . Sie haben gesagt: Wenn Sie einen Eine solche Schmerzensgeldzahlung kommt nach der Verkehrsteilnehmer überfahren haben, macht es zivil- Schockschaden-Rechtsprechung eigentlich nur dann in rechtlich viel Sinn, wieder zurückzusetzen .– Ich will das Betracht, wenn der Angehörige Gesundheitsschäden er- gar nicht auf die Schnelle beurteilen, aber ich will auf je- litten hat, für die er im Übrigen auch noch beweispflich- den Fall sagen: Strafrechtlich haben Sie dann ein deutlich tig ist . Die Lufthansa hat auf den Beweis verzichtet, was größeres Problem . im Ergebnis in vielen Fällen de facto der Zahlung eines (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Hinterbliebenenschmerzensgeldes gleichkommt, wel- CDU/CSU und der SPD) ches gesetzlich ja noch gar nicht verankert ist . Das sage ich deswegen, weil wir hier eine ganze Menge Daher ist jedenfalls nach meinem Empfinden das Ver- Zuschauer haben, die nicht auf dumme Gedanken kom- halten der Lufthansa Gruppe ein denkbar schlechter An- men sollen . lass, nach dem Gesetzgeber zu rufen – abgesehen davon, dass die Lufthansa Gruppe ein großer Konzern ist, was ja Meine Damen und Herren, die Debatte um die Einfüh- in Teilen unserer Gesellschaft inzwischen schon an sich rung eines Schmerzensgeldanspruches hat, wie viele an- als schlecht bewertet wird . dere Debatten, einen etwas bizarren Verlauf genommen . Begonnen hat diese Debatte nämlich nicht etwa mit der Ein wichtiger Anlass, um über das Thema zu debattie- Verabredung im Koalitionsvertrag, einen Schmerzens- ren, wären allerdings die vielen trauernden Angehörigen geldanspruch für Angehörige ins BGB zu schreiben . Dort der Straßenverkehrstoten, die jeden Tag aufgrund des heißt es – ich zitiere –: Verschuldens Dritter zu beklagen sind . Diese Angehöri- gen haben eben keinen Anspruch auf Anerkennung ihres Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Ver- seelischen Leids – darauf liegt im Übrigen auch kein me- schulden eines Dritten verloren haben, räumen wir dialer Fokus . als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Bundesministeri- … um für Justiz und Verbraucherschutz noch in diesem Jahr einen – wie üblich – sehr anständigen Gesetzentwurf vor- Das hat übrigens – das darf ich an dieser Stelle in Be- legen wird . scheidenheit anmerken – unsere Fraktion in den Koaliti- (B) (D) onsvertrag mit hineinverhandelt . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört! – Zurufe) Nein, die Debatte begann am 24 . März dieses Jahres, als unter tragischen Umständen ein Germanwings-Flug- – Also, meistens sind die Gesetzentwürfe anständig; zeug in den französischen Alpen zerschellt ist . In der (Heiterkeit – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Presse war dazu zu lesen: Steht schon im Protokoll!) Der Germanwings-Absturz hat die Koalition aufge- ich will ja nicht, dass der Staatssekretär hier in Freu- rüttelt, die Opferentschädigung weiter zu fassen . dentänze ausbricht . Oder: Um noch einmal klarzustellen, worum es eigentlich Die Koalition ist wegen des Germanwings-Abstur- geht: Es geht nicht darum, wie vielfach fälschlicherwei- zes unter Druck geraten . se in der Diskussion behauptet wird, Leben materiell zu bewerten, sondern es geht vielmehr darum, einen symbo- Das ist aus zweierlei Gründen, meine Damen und lischen Ausgleich für den Trauerschmerz nächster Ange- Herren, ziemlich falsch . Erstens haben wir uns in der höriger zu leisten, in dem Bewusstsein, dass eine solche Koalition – und zwar gerade unabhängig von tragischen Geldleistung den Verlust eines geliebten Menschen nie- Unglücksfällen – zur Einführung eines solchen Hinter- mals wird ausgleichen können . bliebenenschmerzensgeldanspruches verabredet . Das Unglück setzt uns also nicht unter Druck, sondern bestä- Bei der konkreten Ausgestaltung treten wir als Uni- tigt und untermauert – das tut übrigens auch der Antrag, on erstens dafür ein, dass dieser Anspruch nicht nur bei den Sie hier stellen – die Richtigkeit dessen, was wir in Verschulden ausgelöst wird, sondern auch im Falle der diesem Vertrag vereinbart haben – so schmerzlich das für Gefährdungshaftung, weil wir den Angehörigen langwie- rige und schwierige Beweisprozesse ersparen möchten . den einen oder anderen sein mag . Wir treten zweitens dafür ein, dass der Anspruch in (Beifall bei der CDU/CSU) seiner Höhe in richterliches Ermessen gestellt wird und Zweitens – das möchte ich gerne auch deshalb dar- nicht wie in vielen anderen Rechtsordnungen Europas stellen, weil Sie die Lufthansa Gruppe erwähnt haben – mit einer Fixsumme abgegolten wird, weil wir nämlich leistet die Lufthansa nicht nur materiellen Schadenser- glauben, dass die Qualität von Opfer und Angehörigem satz für den Tod der Passagiere – zum Beispiel in Form in weiten Bereichen ganz unterschiedlich sein kann . Das von Unterhaltszahlungen an die Angehörigen – und zahlt muss gerecht und vernünftig gelöst werden, deswegen ein Schmerzensgeld, welches Passagiere aufgrund der das richterliche Ermessen . 12064 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Hendrik Hoppenstedt (A) Drittens treten wir dafür ein, dass sich die Anspruchs- Wer nach den Ausführungen meines werten Vorred- (C) höhe in einem maßvollen Rahmen bewegt, zum Beispiel ners jetzt aber denkt, dass dieser Antrag hier einstimmig in dem Rahmen, in dem sich auch die Rechtsprechung angenommen wird und die Bundesregierung schnell ei- zu Schockschäden bewegt . Denn klar ist, dass kein Geld nen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegt, dem sage dieser Welt einen geliebten Menschen zurückbringen ich: Das wäre ja ein Novum . Es hieß ja schon: Es ist ein kann . Unser Gesetzesvorhaben soll zeigen, dass die Antrag der Grünen .– Das wäre ja das erste Mal, dass ich Rechtsgemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger ein hier erlebe, dass ein Antrag der Opposition zustimmend Signal des Mitgefühls an diejenigen aussendet, die durch abgeschlossen wird . Fremdverschulden den Tod eines nächsten Angehörigen (Dr . Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das zu verarbeiten haben . habe ich nicht gesagt!) Meine Damen und Herren, zum Schluss . Wir haben es Ich meine, ihr überlegt euch ja jetzt schon, mit welcher hier mit einem Antrag der Grünen zu tun, der nahezu aus- Begründung ihr im Ausschuss diesen Antrag dann ab- schließlich aus dem Koalitionsvertrag abschrieben ist . lehnt, anstatt mal das Problem anzugehen . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr . Johannes Fechner [SPD]: Nein! Das wis- Na, na, na!) sen wir jetzt schon! – Beifall bei der LINKEN) Ich begrüße, dass Sie den Koalitionsvertrag regelmäßig Die Standardbegründung ist dann immer: Wir brau- lesen . Ich kann Sie nur ermuntern, das weiter zu tun . Ich chen eure Anträge nicht, wir lösen das selber .– Aber ihr finde, dass die intellektuelle Leistung des Abschreibens macht es ja nicht . Im Koalitionsvertrag steht: Wir wollen an sich ausbaufähig ist . das .– Zwischen Wollen und Tun klafft in dieser Koaliti- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) on eine Kluft, die kein Mensch überspringen kann . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Vizepräsidentin Petra Pau: neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kollege Hoppenstedt . Das Problem ist erkannt, und es bleibt dabei: Es muss behoben werden . Wir wissen, wie die jetzige Rechtspre- Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): chung ist: sehr restriktiv . Es ist ja schon gesagt worden: Ich bin sofort fertig . – Ich meine, dass das zumindest Anspruch für Hinterbliebene gibt es nur bei einer trau- ein Anlass und Indiz dafür sein könnte, dass wir in die- matischen Schädigung der psychischen oder physischen sem Hohen Hause eine große Mehrheit für die Einfüh- Gesundheit, die medizinisch fassbar ist und deshalb (B) (D) rung eines solchen Anspruches finden können. Krankheitswert besitzt und über das normale Maß einer Herzlichen Dank . seelischen Erschütterung hinausgeht . Dieser Anspruch ist also ganz eng gefasst . Das ist es ja, was wir beheben (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wollen – alle miteinander hier im Hause . (Dr . Johannes Fechner [SPD]: Genau!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Jörn Wunderlich hat für die Fraktion Die Aber ihr macht es eben nicht . Denn, Kollege Fechner, Linke das Wort . im Juli, nach dem schweren und schlimmen Unfall in den Alpen, haben Sie selber noch gesagt: Das wollen wir ma- (Beifall bei der LINKEN) chen .

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): (Dr . Johannes Fechner [SPD]: Natürlich! – Dr . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Matthias Bartke [SPD]: Alles zu seiner Zeit!) Liebe Zuschauer auf den Rängen! Mit dem vorliegenden Das ist auch schon zwei Monate her . Und was ist seither Antrag der Grünen wird die Bundesregierung aufgefor- passiert? Nichts . dert, einen eigenen gesetzlichen Schmerzensgeldan- (Dr . Johannes Fechner [SPD]: Sommerpau- spruch für Hinterbliebene zu schaffen . Dazu sollen die se!) entsprechenden Paragrafen im BGB geändert werden . Im Falle der Gefährdungshaftung – die Kollegin Keul hat es Es heißt jetzt wieder: „Ja, wir machen“ und „bis zum ausgeführt – soll der gesetzliche Schadensersatzanspruch Jahresende“ . Das glaube ich wohl . Dann könnt ihr doch um ein Schmerzensgeld für Hinterbliebene erweitert sagen: „Gut, wir stimmen dem Antrag zu“, und die Re- werden, und im Opferentschädigungsgesetz soll ergänzt gierung legt das entsprechende Gesetz vor, das ja hier werden, dass Hinterbliebene im Falle der Zahlungsun- schon angekündigt wurde, das ich aber noch nicht sehe . fähigkeit auch einen Anspruch gegen den Staat geltend Deshalb ist es gut, dass die Grünen mit ihrem Antrag die machen können . Es ist hier schon festgestellt worden: In Koalition noch einmal auffordern, ihrer eigenen Agenda diesem Antrag wird letztlich das gefordert, was im Koa- endlich gerecht zu werden und den Schmerzensgeldan- litionsvertrag steht und was sich die Koalition vorgenom- spruch endlich gesetzlich zu normieren . men hat . Denn auch die Koalition will diesen eigenstän- digen Schmerzensgeldanspruch beim Verlust eines nahen (Beifall der Abg . Corinna Rüffer [BÜND- Angehörigen durch Verschulden eines Dritten . NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12065

Jörn Wunderlich (A) Mir ist auch klar – das ist bereits gesagt worden –, dass hat . An diesen Formulierungen merkt man schon, dass (C) Geld diese Verluste nicht ersetzen kann . es sehr schwierig ist, den Nachweis zu erbringen . Des- Auf eines muss ich noch hinweisen: Wie Sie alle wegen brauchen wir im Sinne der Rechtsklarheit diese wissen, gibt es im SGB II, im SGB XII und im Asyl- Regelung . bewerberleistungsgesetz Regelungen, nach denen ein Wir sind dabei in unseren Beratungen schon recht Anspruch auf Leistungen nur besteht, wenn nicht ausrei- weit . Wir wollen über die bloße Verschuldenshaftung chend Einnahmen oder Vermögen zur Verfügung stehen . hinaus auch die Gefährdungshaftung in den Anspruch Bei all diesen Transferleistungen gilt das sogenannte einbeziehen, etwa bei Verkehrsunfällen . Es ist eine wich- Zuflussprinzip. Wir müssen also bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes – ich spreche hier den Staatssekretär an, tige Regelung . Wir sind uns darüber hinaus einig, dass der mitten in der Arbeit ist, wie es heißt – wir die Frage, ob wir beim Opferentschädigungsgesetz etwas machen, zunächst zurückstellen . Wir wollen also (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – mit der BGB-Regelung beginnen . Kollege Bartke wird Christian Lange, Parl . Staatssekretär: So dazu noch Ausführungen machen . Für uns ist auch klar, schlimm ist es auch wieder nicht!) dass der Anspruch für die Hinterbliebenen nur greifen klarstellen, dass das Schmerzensgeld wegen eines Scha- soll, wenn die nahestehende Person verstirbt . Bei schwe- dens, der kein Vermögensschaden nach § 253 Absatz 2 ren Verletzungen wollen wir diesen Anspruch nicht zu- BGB ist, nicht als Einkommen berücksichtigt wird . Wir billigen . müssen darauf achten, dass der gesetzliche Anspruch auf Schmerzensgeld für Hinterbliebene entweder im § 253 Einigen müssen wir uns noch in der Frage, ob wir den Absatz 2 BGB geregelt wird oder in den entsprechenden Vorschlag aufgreifen, einen Mindestbetrag in das Gesetz Transfergesetzen, damit es nachher nicht heißt: Du bist zu schreiben, wie es ihn in anderen Ländern gibt . Ich per- zwar ein Angehöriger und hast seelisches Leid, und wir sönlich würde dies nicht tun . Ich glaube, es wäre sys- versuchen, eine wie immer geartete Geldsumme an dich temfremd und zu weit gegriffen, wenn wir uns als Par- auszukehren, um dieses Leid ein wenig zu lindern . Aber lamentarier anmaßen würden, den Wert eines Menschen es tut uns furchtbar leid, du bist arm und deshalb wird zu beziffern und eine konkrete Summe in die BGB-Norm dieses Geld verrechnet .– Auch arme Menschen leiden zu schreiben . Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, und sollen eine entsprechende Entschädigung bekom- dass wir als eine Art Richtschnur für die Rechtsprechung men . Darauf müssen wir dringend achten . in der Gesetzesbegründung einen Korridor benennen . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . 20 000 Euro könnte ich mir als Mindestbetrag durchaus vorstellen . Es soll kein Almosen, sondern den Menschen (B) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (D) in einer solchen schwierigen Situation eine Hilfe sein . In NIS 90/DIE GRÜNEN) vielen anderen Ländern gibt es das, etwa in Belgien oder in Finnland . Deswegen meine ich: Auch in Deutschland Vizepräsidentin Petra Pau: sollte dies möglich sein . Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Dr . Johannes Fechner das Wort . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ich teile die Bedenken der Versicherungswirtschaft, Dr. Johannes Fechner (SPD): dass in der Folge Unsummen an Schadensersatz- und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schmerzensgeldbeträgen auszubezahlen sein werden Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Auch die SPD-Frak- und dann die Beiträge explodieren werden, ausdrück- tion wollte in den Koalitionsverhandlungen diese Rege- lich nicht . Wir beschränken den Anspruch, wie gesagt, lungen . In meiner früheren Tätigkeit als Rechtsanwalt auf Todesfälle . Wenn man sich die Rechtsprechung bei hatte ich den Fall, dass bei einem Verkehrsunfall eine Schockschäden anschaut, dann weiß man: Schon heute Familie die Katastrophe erlebt hat, dass ein einjähriges sind keine Millionenbeträge, sondern deutlich niedrigere Kind zu Tode kam . Für eine Familie kann man sich nichts Beträge zu zahlen . Schlimmeres vorstellen . Auch wenn wir den Verlust ei- nes Kindes nie durch eine Geldzahlung aufwiegen kön- Im Übrigen meine ich, dass die Feststellung, wie hoch nen, so ist es eine wertvolle Hilfe in solchen schwierigen das Schmerzensgeld sein sollte, beim jeweiligen Einzel- Zeiten, der Familie finanzielle Unterstützung zu gewäh- richter gut aufgehoben ist . Auch das ist ein Grund, war- ren . Deshalb brauchen wir den Lückenschluss; wir brau- um wir keine Summe ins Gesetz schreiben sollten . chen diese Regelung im BGB . Sie sehen also: Wir sind in unseren Beratungen schon (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weit . Ich hoffe, dass wir noch in diesem Jahr den Ge- der CDU/CSU und der LINKEN) setzesentwurf vorlegen können . Dass dies notwendig ist, Die Hürden – das ist schon gesagt worden – sind zu hat auch das Gefeilsche nach der Germanwings-Katast- hoch . Nach der Rechtsprechung kann nur derjenige einen rophe gezeigt . Ich fand es unwürdig . Ich glaube, wenn Anspruch auf Schmerzensgeld geltend machen, der den wir schon heute eine klare gesetzliche Regelung hätten, Nachweis erbringt, dass er eine über das normale Maß würden diese Diskussionen anders verlaufen . Man kann der Trauer hinausgehende psychische Beeinträchtigung einem Hinterbliebenen, der sein Kind oder einen nahen 12066 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Johannes Fechner (A) Angehörigen verloren hat, nicht zumuten, in dieser Trau- heitsverletzung die Voraussetzung dafür ist . Das heißt, (C) ersituation auch noch um Gelder zu feilschen . in diesen Fällen, bei sogenannten Schockschäden, ist es erforderlich, dass eine Gesundheitsbeeinträchtigung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vorliegt, die deutlich über das hinausgeht, was Naheste- der LINKEN) hende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen er- Sie sehen: Wir sind schon recht weit . Deswegen müs- fahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden . Da sieht sen wir im Ausschuss nicht lange überlegen, mit welcher man: Das aktuelle Recht ist sehr eng, die Anforderungen Begründung wir den Antrag dort ablehnen werden . Es ist sind sehr streng, die Rechtsprechung ist sehr restriktiv . schlicht nicht notwendig, dass der Bundestag die Bun- Das wird von den Angehörigen der Opfer oft als nicht desregierung zum Handeln auffordert, weil wir das jetzt nachvollziehbar empfunden . schon tun . Im Übrigen erheben Sie im Zusammenhang mit dem Opferentschädigungsgesetz eine Forderung, die Der heutige Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- wir so nicht unterstützen . nen fordert jetzt die Bundesregierung auf, dieses Defi- zit zu beseitigen und einen Schmerzensgeldanspruch für (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angehörige einzuführen . Ich freue mich über den An- Die steht doch gar nicht drin im Antrag! – Ge- trag; denn er zeigt, dass wir uns zumindest bei diesem genruf des Abg . Dr . Matthias Bartke [SPD]: hochsensiblen Thema offensichtlich einig sind und in die Natürlich!) gleiche Richtung gehen . – Doch, Frau Keul: unter Ziffer 3 auf der zweiten Seite . (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich zeige Ihnen gern Ihren Antrag . NEN]: Dann können Sie ja dem Antrag zu- stimmen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich möchte daran erinnern, dass die CSU schon 2012 Das müssen Sie jetzt bitte auf die Ausschussberatun- auf ihrem Parteitag einen entsprechenden Entschluss ge- gen verschieben . fasst hat, dass wir eine entsprechende Forderung in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass sich unser Dr. Johannes Fechner (SPD): bayerischer Justizminister, Herr Bausback, dafür stark- Das verschieben wir . Gestatten Sie mir bitte einen letz- gemacht hat und übrigens schon im Januar dieses Jah- ten Satz. – Ich finde es sehr wohltuend, dass wir uns hier res einen sehr ausdifferenzierten Vorschlag vorgelegt hat im Sinne der Hinterbliebenen, für die diese Regelung so und dass die Vorlage des Entwurfs des Bundesjustizmi- wichtig ist, wohl parteiübergreifend auf einen Vorschlag nisteriums bevorsteht; im August hat man sich schon auf einigen und zu einer einvernehmlichen Lösung kommen Eckpunkte geeinigt . Ich verstehe also nicht, wieso man (B) (D) werden . sagen kann: Da ist nichts passiert . Deshalb brauchen wir Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . jetzt den Antrag der Grünen, um Druck auf die Bundes- regierung zu machen .– Seit Januar liegt ein ausdifferen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zierter Vorschlag des bayerischen Justizministeriums vor . der CDU/CSU) Sehr gut! (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vizepräsidentin Petra Pau: Wir sind hier nicht in Bayern! – Özcan Mutlu Die Kollegin Dr . Silke Launert hat für die CDU/ [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist hier CSU-Fraktion das Wort . der Bundestag und nicht der Bayern!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich hoffe, das Bundesjustizministerium orientiert sich daran; Eckpunkte sind ja auch schon beschlossen . Der Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Antrag der Grünen ist für mich ein Schaufensterantrag . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ma- Massenunglücken stellt sich immer wieder die Frage – chen Sie es doch besser, Frau Kollegin!) es wurde mehrfach angesprochen – nach Schadensersatz und Schmerzensgeld . Wir kennen es vom Zugunglück in – Ganz genau: Wir machen es besser . Wir, Bayern, die Eschede, vom Seilbahnunglück in Kaprun und jetzt, wie CSU, haben etwas vorgelegt . Der Punkt ist doch: Was schon mehrfach angesprochen, vom Absturz der Ger- steht in Ihrem Antrag drin? Fast nichts! manwings-Maschine in den französischen Alpen . Ganz (Beifall bei der CDU/CSU) häufig – mein Kollege Hoppenstedt hat es zu Recht schon erwähnt – kommt die Frage in der Praxis nach tödlichen Also, wenn ich einen Vorschlag mache, dann schreibe ich Verkehrsunfällen auf . auch etwas Konkretes rein . Damit geht immer konkret die Frage nach einem (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schmerzensgeld für die Angehörigen der Opfer einher . NEN]: Warum reden wir dann darüber?) Bislang ist im BGB vorgesehen, dass die nahen Ange- – Weil fast nichts in Ihrem Antrag steht . Sonst könnten hörigen grundsätzlich nur einen Anspruch auf Ersatz der wir uns über Details unterhalten . materiellen Schäden haben, aber nur ausnahmsweise auf Ersatz der immateriellen Schäden, wobei eine Gesund- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12067

Dr. Silke Launert (A) Jetzt reden wir nur darüber, ob der Antrag Sinn macht Vielen Dank . (C) oder nicht . (Beifall bei der CDU/CSU) (Zuruf der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) Vizepräsidentin Petra Pau: Es steht nicht drin, wie Sie sich die Gefährdungshaftung Das Wort hat der Kollege Dr .Matthias Bartke für die konkret vorstellen . Sie bringen keine eigenen Ideen ein . SPD-Fraktion . Es steht nicht drin, welche Vorstellung Sie in Bezug auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Höhe des Schmerzensgeldes haben oder in welchem der CDU/CSU) Rahmen sich ein Anspruch bewegen soll . Das hätte ich mir gewünscht . Dr. Matthias Bartke (SPD): (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- NEN]: Sie können ja einen Änderungsantrag ren! Auch wenn es zuweilen nicht den Anschein hatte: stellen! Den nehmen wir sogar an! – Heiterkeit Wir reden hier über eine Situation, die wir alle niemals der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) erleben möchten . Wir alle hoffen inständig, niemals als – Glauben Sie mir, es wird nicht mehr lange dauern, dann Hinterbliebene Schmerzensgeld fordern zu müssen . Wir legen wir einen ganz konkreten Antrag vor und nicht nur haben eben schon verschiedene Beispiele für eine solche Blabla . furchtbare Situation gehört . Die vielen Einzelschicksa- le bleiben oft unbemerkt . Allerdings ist der Absturz des (Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu Germanwings-Flugzeugs im März dieses Jahres in unser [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen aller Bewusstsein gedrungen: Von einem Tag zum ande- auch nur Blabla und nix Konkretes!) ren können wir durch ein Verbrechen unser Kind oder – Doch! Hören Sie zu! unseren Ehepartner verlieren . (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU], an den Abg . In vielen europäischen Ländern wird in solchen Fäl- Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] len Angehörigenschmerzensgeld gezahlt – das ist schon gewandt: Kommen Sie einmal in den Rechts- gesagt worden –, in Deutschland ist das bisher nicht der ausschuss und diskutieren Sie mit!) Fall . Nur wenn Hinterbliebene eine schwere seelische Erschütterung über das „normale“ Maß an Trauer hinaus – Ja, genau . nachweisen können, steht ihnen ein Schadensersatz zu . Ich möchte, dass wir uns hinsichtlich der Bezifferung Es bleibt aber noch eine andere Möglichkeit: Der (B) an der ausdifferenzierten Rechtsprechung, die wir in Schmerzensgeldanspruch des Getöteten kann vererbt (D) Deutschland haben, orientieren . Ich möchte nicht, dass werden; das hat Frau Keul eben ausgeführt . Das geht wir in den Sog großer Summen geraten, wie man sie aus aber nur, wenn er nicht gleich tot war . Das führt zu Versi- den USA kennt . Das würde zum einen dem Ansinnen des cherungsschreiben der folgenden makaberen Art: Anspruchs und zum anderen dem System des bestehen- den Schadensersatzrechtes, das wir in Deutschland ha- Aufgrund des erlittenen Genickbruchs ist nicht da- ben, nicht gerecht . Wir haben eben kein Strafschadens- von auszugehen, dass der Verstorbene noch gewis- ersatzrecht . se Zeit gelebt hat . Ein Schmerzensgeld kann daher nicht gewährt werden . Wichtig ist, dass wir dabei nicht aus den Augen ver- lieren, warum wir diesen Anspruch einführen wollen . Es Im Zweifelsfall steht damit der Schädiger im Falle der geht um das Schutzbedürfnis, aber auch um den Wer- Tötung besser da, als wenn das Opfer mit Beeinträchti- tungswiderspruch, der heute schon mehrfach angespro- gungen überlebt . Das, meine Damen und Herren, kann chen wurde . Schon im Koalitionsvertrag steht: Es geht nicht richtig sein . uns darum, ein Zeichen der Anerkennung des seelischen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Leids zu setzen . Es geht uns nicht darum, den Eindruck der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- zu erwecken, dass wir den Verlust eines Menschen auf- NISSES 90/DIE GRÜNEN) wiegen oder finanziell ausgleichen wollen. Mehr als die- ses Stückchen Anerkennung kann es nicht sein . Beerdigungskosten und entgangener Unterhalt der Hinterbliebenen werden bisher abgedeckt, Trauer und Abschließend möchte ich noch sagen: Sicher wird das Leid werden es nicht . Diese Lücke wollen wir schließen . Schmerzensgeld für Angehörige niemals Trost bieten, Darauf haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag geei- und gewiss wird es nicht gutmachen, was nicht gutzu- nigt . Aktuelle Beispiele machen den Bedarf nur deutli- machen ist, so wie es das Schadensersatzrecht eigentlich cher . vorsieht . Doch ist es für die Angehörigen ein Zeichen in Wir werden den Hinterbliebenen nun einen eigenen schweren Zeiten . Ich freue mich darauf, dass uns bald der Schmerzensgeldanspruch einräumen . Dabei ist eines ausdifferenzierte, hoffentlich am bayerischen Entwurf ganz klar: Trauer ist unermesslich und kann nie mit Geld (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gibt es den aufgewogen werden . auch schon in der übersetzten Fassung?) Meine Damen und Herren, wir haben bereits erste orientierte Entwurf des Bundesjustizministeriums vorlie- Vorstellungen von dem Hinterbliebenenanspruch . Dazu gen wird . Dann können wir richtig im Detail verhandeln . gehört, dass der Anspruch nur im Falle des Todes eines 12068 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Matthias Bartke (A) nahestehenden Menschen gewährt wird . Der Anspruch – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - (C) soll außerdem nicht nur bei Verschulden, sondern auch in schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung den Fällen der Gefährdungshaftung bestehen . Drucksache 18/6095 (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Das freut mich sehr!) die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Liebe Frau Keul, Sie merken, mit Ihrem Antrag schlagen nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Sie mit diesen beiden Punkten also genau unsere Rich- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege tung ein . Das freut mich sehr . Olav Gutting für die CDU/CSU-Fraktion . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr konkret auch!) Ihre Forderung zum Opferentschädigungsgesetz se- Olav Gutting (CDU/CSU): hen wir allerdings sehr kritisch . Im OEG gibt es derzeit Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Was weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld . Es soll viel- passiert, wenn man zu sperrige Gesetzestitel wählt, das mehr Schädigungsfolgen ausgleichen . Ein Angehörigen- sehen wir hier an der Medienwand, nämlich „Anpassung schmerzensgeld widerspricht diesem Zweck deutlich . der Abgabenordnung an den EU-Zollkodex“ . Das haben In Ihrem Antrag steht auch etwas zum OEG . Wenn Sie wir jedoch bereits 2014 beschlossen . Hier geht es um et- Ihren Antrag noch einmal lesen, werden Sie das auch was anderes, nämlich um die Umsetzung der Protokol- nachvollziehen . lerklärung dazu . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich, dass wir eigentlich nicht darüber de- battieren, sondern heute abschließend über das Steuerän- Sie wollen mit dem Angehörigenschmerzensgeld eine derungsgesetz 2015 beraten, aber nicht über das Gesetz Leistung in das Opferentschädigungsgesetz einführen, zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur die nicht einmal die Geschädigten selbst durch das Ge- Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der setz erhalten . Ich halte das aus Gleichheitsaspekten für Union und zur Änderung weiterer steuerlichen Vorschrif- völlig unvertretbar . ten . Meine Damen und Herren, wir werden das Recht (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) der sozialen Entschädigung neu ordnen . Ich würde es aber für falsch halten, wenn wir dabei ein Angehörigen- Bereits in der ersten Lesung habe ich gefordert, dass (B) schmerzensgeld in dieses Gesetz einfügten . Ich bin mir wir dringend an der Namensgebung dieses Gesetzes eine (D) Änderung vornehmen müssen . Auch wenn sich das ur- aber sicher, dass eine zivilrechtliche Lösung, wie sie sich sprüngliche Wortungetüm in der Praxis der beratenden derzeit in Vorbereitung befindet, eine bedeutende positi- Berufe über die Dauer der Beratungen etwas verfestigt ve Änderung für Hinterbliebene einleitet . hat, so muss man doch sagen: Wir machen Gesetze auch Ich danke Ihnen . und gerade für die Bürgerinnen und Bürger und auch für die Bundestagsverwaltung . Diese müssen ja nicht gleich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) kollabieren oder in Schockstarre verfallen, wenn sie die- sen Gesetzestitel lesen . Vizepräsidentin Petra Pau: Inhaltlich ist das Gesetz natürlich auch gelungen, auch Ich schließe die Aussprache . wenn es sich in weiten Passagen quasi um eine Auftrags- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf gesetzgebung nach den Wünschen des Bundesrates han- Drucksache 18/5099 an die in der Tagesordnung aufge- delt . führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein- Mit dem Wegfall des Funktionsbenennungserforder- verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung nisses bei § 7 g des Einkommensteuergesetzes vermeiden so beschlossen . wir Anwendungsunsicherheiten bei Unternehmen . Dies Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: ist im Übrigen auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung . Denn bisher ist für die Inanspruchnahme des Investiti- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- onsabzugsbetrages die Funktion des anzuschaffenden desregierung eingebrachten Entwurfs eines oder herzustellenden begünstigenden Wirtschaftsgutes Gesetzes zur Umsetzung der Protokoller- bis zu drei Jahre im Voraus zu benennen . klärung zum Gesetz zur Anpassung der Ab- gabenordnung an den Zollkodex der Union Mit dem Steueränderungsgesetz 2015 hätten wir ger- und zur Änderung weiterer steuerlicher ne auch die Problematik der überschießenden Wirkung Vorschriften bei der Wegzugsbesteuerung nach § 50 i des Einkom- mensteuergesetzes endgültig korrigiert . Diese äußerst Drucksache 18/4902 komplexe Vorschrift ist ein Dauerbrenner bei unseren Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Beratungen und wird von vielen Verbänden fundiert und völlig zu Recht kritisiert . Auch die eigens geschaffene ausschusses (7 .Ausschuss) Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat festgestellt, dass diese Drucksache 18/6094 Norm in der aktuellen Fassung überschießende Wirkung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12069

Olav Gutting (A) erzeugt, die wir mit dem ursprünglichen Ziel der Rege- erstattern bedanken . Ich darf Sie alle ermuntern, diesem (C) lung so nicht verfolgen wollten . Gesetz heute zuzustimmen . Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass wir es bis (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – zum Abschluss der Beratungen zu diesem Gesetz nicht Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Nur das geschafft haben, eine rechtssichere, europarechtssichere, mit dem 50 i war ein bisschen kritisch! Aber praktikable gesetzliche oder auch untergesetzliche Rege- sonst war die Rede gut! – Heiterkeit bei der lung zu erarbeiten . Wir werden aber an diesem Thema CDU/CSU!) dranbleiben und eine Lösung suchen und sicherlich auch finden. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt hat der Kollege Richard Pitterle für die Fraktion Die Linke das Wort . Die Änderungen im Umwandlungssteuerrecht waren im Koalitionsvertrag so vereinbart . Ob es hier überhaupt Richard Pitterle (DIE LINKE): eine systemwidrige Lücke gibt oder gab, die es zu schlie- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- ßen gilt, darüber gehen die Meinungen durchaus ausein- nen und Kollegen! Lieber Herr Gutting, ich befürchte, ander . Uns war es wichtig, dass wir bei der neuen Rege- dass das Beste an dem heute vorliegenden Gesetzentwurf lung wenigstens eine Mittelstandskomponente einbauen . tatsächlich die vorgeschlagene Namensänderung ist . Dies ist mit der Anhebung der Grenze auf 500 000 Euro Statt „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung zum zumindest in Teilen gelungen . Wirtschaftlich sinnvolle Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zoll- Umstrukturierungen im Mittelstand wollen wir nicht ver- kodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher hindern . Wir wollen auch nicht an die Eigenkapitalbasis Vorschriften“ dieser Unternehmen herangehen . (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das war jetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eine Minute Redezeit!) ordneten der SPD) soll es jetzt schlicht „Steueränderungsgesetz 2015“ hei- Bezüglich des zweimaligen Anfalls der Grunderwerb- ßen . steuer bei der Abwicklung von offenen Immobilienfonds haben wir uns darauf geeinigt, diese Fehlstellung im Ge- (Lothar Binding (Heidelberg) [SPD]: Die Lin- setz zu beseitigen . ke kann auch loben! Das ist schon mal was!) (Beifall des Abg . Dr . h . c . Hans Michelbach Aber auch als „Steueränderungsgesetz 2015“ wird es den (B) [CDU/CSU]) Erwartungen, zum Beispiel hinsichtlich der Bekämpfung (D) von Steuerumgehung, nicht gerecht . Ich will mich ange- Spätestens im anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur sichts der mir zustehenden vier Minuten Redezeit auf ein Modernisierung des Besteuerungsverfahrens werden wir paar Punkte beschränken . hier die Situation für unsere Verbraucherinnen und Ver- Erstens . Die Bundesregierung unternimmt nichts, um braucher entscheidend verbessern . die Steuerumgehung durch hybride Gestaltungen zu ver- Die Umsatzsteuer bei der interkommunalen Zusam- hindern . Bei hybriden Gestaltungen nutzen grenzüber- menarbeit wird mit diesem Gesetz ebenfalls rechtssi- schreitend tätige Unternehmen eine Rechtsform, die in cher gestaltet . Die durch die Rechtsprechung des Bun- zwei Staaten steuerrechtlich unterschiedlich behandelt desfinanzhofs bestehende Unsicherheit wird durch die wird . Auf diese Weise können sie eine doppelte Nicht- Schaffung eines neuen § 2 b des Umsatzsteuergesetzes besteuerung erreichen und sich so vor dem Steuerzahlen beseitigt . Um es kurz zu sagen: Die Kommunen dürfen drücken, auf Kosten aller anderen Steuerzahlerinnen und Leistungen umsatzsteuerfrei nur dort erbringen, wo sie Steuerzahler . dadurch nicht unternehmerisch tätig werden . Das ist uns Die OECD hat konkrete Vorschläge gemacht, welche wichtig; denn wir wollen auch die berechtigten Interessen Maßnahmen hiergegen getroffen werden müssten . Sogar von kleinen und mittelständischen Unternehmen wahren . der Bundesrat hat Sie, meine Damen und Herren von der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesregierung, aufgefordert, zu handeln: Wir hatten das Ziel, die Beratungen zu diesem Steu- Ein weiteres Abwarten mit der Folge weiterer Steu- eränderungsgesetz – man kann auch sagen, das war eine ermindereinnahmen für die öffentlichen Haushalte Art Jahressteuergesetz – rechtzeitig vor Ende dieses ist nicht hinnehmbar . Jahres abzuschließen, sogar mehrere Monate vor Ende Doch anstatt mit diesem Gesetz endlich konkrete dieses Jahres . Dieses Ziel haben wir erreicht . Warum ist Maßnahmen umzusetzen, gründen Sie stattdessen nach das wichtig? Weil wir den steuerberatenden Berufen und dem Motto „Wenn ich nicht weiter weiß, gründe ich ei- denjenigen, die diese Gesetze anwenden müssen, auch nen Arbeitskreis“ eine Bund-Länder-Gruppe, die irgend- in der Verwaltung, genügend Zeit geben wollen, um sich wann einmal ein Zwischenergebnis liefert, wenn wir bis darauf vorzubereiten . Die meisten der Regelungen treten dahin nicht alle gestorben sind . ja zum 1 . Januar 2016 in Kraft . Zweiter Punkt: der Investitionsabzugsbetrag bei der Dies ist uns gelungen . Deswegen möchte ich mich an Einkommensteuer . Bisher konnten kleine und mittlere dieser Stelle bei den Kolleginnen und Kollegen Bericht- Unternehmen ihre Anschaffungskosten für bestimmte 12070 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Richard Pitterle (A) Wirtschaftsgüter wie zum Beispiel eine neue Maschine beiter, für die Parlamentarier und für das Ministerium . (C) oder einen Firmenwagen steuerlich sozusagen im Vo- Es sind viele Runden, die wir da drehen . Aber jetzt sind raus absetzen, um für die Investition genügend Mittel wir zu einem guten Ergebnis gekommen . Es ist schon er- ansparen zu können . Sie mussten jedoch, vereinfacht wähnt worden: Wir setzen eine Protokollerklärung um, ausgedrückt, klipp und klar sagen, was mit dem Geld die wir dem Bundesrat bei der Umsetzung des Zollko- angeschafft werden soll . Diese Bedingung haben Sie dex-Anpassungsgesetzes gegeben haben . Ich glaube, es jetzt gestrichen, sodass die vorverlagerte Abschreibung ist sehr wichtig, dass wir Zusagen, die wir treffen, am von Investitionen in Höhe von 200 000 Euro jetzt quasi Ende einhalten . voraussetzungslos gewährt wird . Das öffnet einem Miss- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) brauch des Investitionsabzugsbetrags Tür und Tor . Des- wegen lehnen wir das ab . Auch wenn die Bundesratsbank nicht so voll ist, wie man es sich vielleicht wünschen könnte, wenn wir hier (Beifall bei der LINKEN) Dinge umsetzen, die der Bundesrat so vehement gefor- Letzter Punkt: die Schließung von Lücken im Um- dert hat, wandlungssteuergesetz . Beim VW-Porsche-Deal Mit- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und te 2012 wurden bestimmte Regelungslücken so ausge- der CDU/CSU) nutzt, dass dem Fiskus geschätzte 1,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgangen sind . Es ist schon peinlich, ist es doch wichtig, dass wir an dieser Stelle arbeitsfähig dass die Bundesregierung drei Jahre gebraucht hat, um bleiben . Natürlich haben wir wieder Klassiker dabei, bei darauf zu reagieren . Noch schlimmer ist, dass Sie hier denen es um redaktionelle Änderungen geht . Aber wir nur halbherzige Regelungen vorlegen, die immer noch haben eben auch eine ganze Menge Themen, bei denen Steuerschlupflöcher lassen. Das ist für uns nicht hin- wir auf Rechtsprechung eingehen . Es ist wichtig, dass nehmbar . wir unsere Steuergesetzgebung in regelmäßigen Abstän- den entsprechend anpassen . (Beifall bei der LINKEN) Ich will auf zwei Punkte eingehen, weil sie für uns als Ihre in der ersten Lesung zu diesem Gesetz noch voll- Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von großer mundig angekündigte Schließung von Regelungslücken inhaltlicher Bedeutung sind . war offensichtlich wieder einmal nur heiße Luft . Das eine ist die Änderung von § 20 des Umwand- Nach alldem kann die Linke diesem Gesetzentwurf lungssteuergesetzes . Der Begriff „VW-Porsche-Deal“ nicht zustimmen . Da aber an anderer Stelle im Gesetz hat ja in den heutigen Tagen fast schon ein schwieriges zumindest ein paar gute Ansätze, zum Beispiel bei der (B) Geschmäckle, aber auch damals hat man gedacht – vie- (D) notwendigen Anpassung der Grunderwerbsteuer an das le sagen das noch heute –, dass diese Fusion ein Ge- kürzlich ergangene Urteil des Bundesverfassungsge- schmäckle hatte, weil dort keine Steuern angefallen sind . richts, vorhanden sind, werden wir den Gesetzentwurf Es ist sehr aufschlussreich, die einschlägigen juristischen auch nicht ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten . Internetforen zu konsultieren . Dort werden schon heute Man muss ja schließlich schon froh sein, wenn Sie hier Tipps gegeben, wie man auf unser Gesetz, das wir gleich ausnahmsweise einmal nicht kompletten Murks präsen- verabschieden wollen, zu reagieren hat, welche Bera- tieren . tungsansätze es gibt . Das ist für mich Zeichen genug, (Widerspruch bei der CDU/CSU und der dass wir hier etwas Richtiges machen, dass wir eine Lü- SPD) cke schließen . Wir wollen die Möglichkeiten des Mittel- standes, sich zusammenzuschließen, nicht beschränken, Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . aber wir wollen hier ein ganz legales Steuerschlupfloch (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding schließen, und das ist gut so . (Heidelberg) [SPD]: Wenn er sich anstrengt, (Beifall bei der SPD) geht es auch positiv!) Lassen Sie mich im zweiten Teil der Rede noch auf § 50 i EStG eingehen . Da geht es um die Entstrickung . Vizepräsidentin Petra Pau: Auch da haben wir sehr lange diskutiert . Das ist ja ein Der Kollege Dr .Jens Zimmermann hat für die Thema, das nicht im Gesetz enthalten ist, sondern wir SPD-Fraktion das Wort . diskutieren immer noch darüber, was zu tun ist . Wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) haben eine Protokollerklärung mit aufgenommen, und es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich über Dr. Jens Zimmermann (SPD): dieses Thema unterhält . Aber es gibt da natürlich einige Probleme: Auf der einen Seite wird behauptet, er hätte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage überschießende Tendenz, hier würden also Steuerpflich- einmal so: Wenn sich die Opposition enthält, ist das ei- tige übermäßig belastet . Auf der anderen Seite haben wir gentlich ein Prädikat für dieses Gesetz und zeigt, dass wir bis heute aber keinen konkreten Fall vorliegen, in dem hier offensichtlich ein gutes Ergebnis abgeliefert haben . das wirklich nachgewiesen wurde . Ob „Murks“ parlamentarisch ist, weiß ich nicht, aber, ich glaube, insgesamt haben wir bei diesem Gesetz gute Ar- Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass wir da beit gemacht . Es ist immer eine große Herausforderung weitermachen müssen . Hier kann ich auch unsere Ge- für alle Beteiligten, für die Mitarbeiterinnen und Mitar- sprächsbereitschaft signalisieren; wir sind bereit, weiter Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12071

Dr. Jens Zimmermann (A) über dieses Thema zu diskutieren . Aber wir können erst sind dann Dividenden, die im Ausland nicht versteuert (C) dann Zustimmung signalisieren, wenn ein Vorschlag auf werden . dem Tisch liegt, der auch europarechtskonform ist . Denn Meine Damen und Herren, ich könnte noch ein paar die Problematik ist – das kennen alle, die sich damit be- weitere Themen nennen . Und ich will auch noch eines schäftigen –: Bei allen Lösungen, über die momentan diskutiert wird, besteht die Gefahr, dass europäische In- nennen, weil es mir wirklich auf den Nägeln brennt: das länder und Ausländer wieder diskriminiert werden, und Thema Umsatzsteuerbetrug . Es ist für Sie als Zuschauer dann fliegt uns das ganze Thema genauso um die Ohren vielleicht ganz interessant, zu hören: Es wird nicht nur wie die Autobahnmaut . Das kann nicht unser Ziel sein . bei VW der Dieselmotor mit Elektronik frisiert, sondern es werden auch Kassen im Handel frisiert . Es wird in die (Beifall bei der SPD) Software von Kassen eingegriffen, um den Umsatz zu Alles in allem glaube ich, dass wir ein ordentliches verringern und Umsatzsteuer zu hinterziehen . Gesetz auf den Weg gebracht haben . Es wird – leider – (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: nicht das letzte Gesetz dieser Art sein . Ich schaue einmal Was? Wo denn? Sagen Sie mal, wo!) alle Beteiligten an und sehe: Wir alle freuen uns schon wieder sehr darauf, in vielen Runden über die nächsten – Das ist gerichtsnotorisch . Eine Eisdiele im Saarland Änderungen zusammen zu debattieren . Aber ich glaube, beging einen Umsatzsteuerbetrug in Höhe von 1,9 Mil- wenn wir alle das genauso besonnen machen, wie wir es lionen Euro . diesmal gemacht haben, dann werden wir ein gutes Steu- (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das eränderungsgesetz 2016 hinbekommen . ist ja ein Straftatbestand!) Vielen Dank . Sie sollten sich das einmal anschauen . Das geschieht (Beifall bei der SPD) mithilfe einer modifizierten Software. Da hätten Sie re- agieren müssen . Die Länder haben mit 16 gegen 0 einen Vizepräsidentin Petra Pau: Bericht dazu vorgelegt. Aber das Bundesfinanzministeri- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- um hat diesen Bericht nicht zur Kenntnis nehmen wollen . lege Dr . Thomas Gambke das Wort . Meine Damen und Herren, wir müssen etwas tun . Wenn man „Steuergesetz 2015“ draufschreibt, dann sollte auch „Steuergesetz 2015“ drin sein, und dann müssen solche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Thomas Gambke Sachen angepackt werden . NEN): (B) Sehr verehrte Präsidentin! Liebe späte Besucher im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Plenum! Werte Kolleginnen und Kollegen! Hätten Sie sowie des Abg . Richard Pitterle [DIE LIN- doch diesen ersten Änderungsantrag nicht eingebracht, KE] – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: in dem Sie das Gesetz als „Steueränderungsgesetz 2015“ Also, diese Eisdiele müssen Sie mir mal zei- bezeichnen! Das ist ein Etikettenschwindel, meine Da- gen!) men und Herren vor allen Dingen von der Union . Richtig, die Protokollerklärung ist umgesetzt worden . (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach Da stehen eine Menge Dinge drin, die gemacht werden ja? Der Vorredner hat das Gegenteil gesagt!) mussten; das hat unsere volle Zustimmung . Aber es gibt eben auch ein paar andere Sachen, die gemacht wurden, Denn ein Steueränderungsgesetz 2015 hätte genau die zum Beispiel bei den Regelungen für die Versicherungs- Punkte aufgreifen müssen – Kollege Pitterle hat schon ein paar genannt –, die wir hätten regeln müssen . industrie . Sie haben vorgesehen, dass die Rücklagen für Beitragserstattungen bis Ende 2015 weiterhin als Eigen- Ich war gerade im Mittelstandsbeirat beim Bundes- kapital gelten sollen . Das ist branchenbezogen vielleicht wirtschaftsministerium . Da haben wir über die Abschrei- eine Sache, die man sich überlegen kann, aber die fi- bung geringwertiger Wirtschaftsgüter und die Anhebung nanziellen Auswirkungen sind erheblich . Ehe man eine der viel zu niedrigen Schwelle für die Sofortabschrei- solch einschneidende Regelung macht, hätte man noch bung gesprochen . Ein Handy beispielsweise muss man zweimal darüber nachdenken müssen . In einem anderen heute über fünf Jahre abschreiben . Da hätten Sie anpa- Punkt haben Sie ja sogar noch in der letzten Minute eine cken müssen . Und Sie hätten die Steuergestaltung ver- Änderung zurückgezogen . hindern müssen; Herr Pitterle hat es angesprochen . Meine Damen und Herren, das ist kein Steuerände- Haben Sie schon einmal etwas von der Atomisierung rungsgesetz 2015 . Das ist die Umsetzung einer Protokol- in Bezug auf die Zinsschranke gehört? lerklärung, ja . Aber das Etikett, das Sie dem Gesetzent- (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ha- wurf gegeben haben, hat er nicht verdient . Sie können ben Sie denn schon mal etwas von der schwar- ihn ja noch ablehnen . Dann heißt es nach wie vor „Um- zen Null gehört?) setzung der Protokollerklärung“ . Dabei geht es um Immobilienfonds, die man bis zur Ich sage: Wir werden ihn zwar nicht ablehnen, aber 3-Millionen-Euro-Freigrenze bei der Zinsschranke füllt, bei den handwerklichen Mängeln, die wir immer noch er- um die Gewinne dann, weil die Zinsschranke nicht greift, kennen, können wir uns bei der Abstimmung über diesen ins Ausland zu transferieren . Das, was hier Zinsen wären, Gesetzentwurf nur der Stimme enthalten . 12072 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Thomas Gambke (A) Vielen Dank . die Urteile nicht reagiert worden wäre, jetzt das Prob- (C) lem, dass alle Kommunen mit den Beistandsleistungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in der interkommunalen Zusammenarbeit in die Umsatz- NEN sowie des Abg . Richard Pitterle [DIE steuerschuld hineingewachsen wären . Ich glaube, gerade LINKE] – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/ aufgrund der finanziellen Situation einiger Kommunen CSU]: Was ist das denn?) wäre das sehr problematisch gewesen . Wir wollen ja die interkommunale Zusammenarbeit – aufgrund der demo- Vizepräsidentin Petra Pau: grafischen Entwicklung in vielen Regionen, aber auch Das Wort hat der Kollege Fritz Güntzler für die CDU/ aufgrund der finanziellen Ausstattung der Kommunen. CSU-Fraktion . Die Anpassung war also notwendig . Wir mussten den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Artikel 13 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie berück- ordneten der SPD) sichtigen, haben aber auch im Auge haben müssen, dass es immer ein gewisses Spannungsfeld zwischen der kom- munalen wirtschaftlichen Tätigkeit und der Wirtschaft Fritz Güntzler (CDU/CSU): gibt . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Gambke, da wir das Steuerrecht Ich finde, die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat hier ei- ändern, ist der Begriff „Steueränderungsgesetz 2015“ an nen guten Kompromiss gefunden, den wir umsetzen, und sich schon richtig . Nur weil Sie sich mit Ihren Vorstellun- ich bin auch froh, dass sich zum Beispiel der Zentral- gen bisher nicht durchsetzen konnten – vielleicht können verband des Deutschen Handwerks und die kommunalen Sie das ja einmal, Spitzenverbände darauf verständigt haben – es kam zu einer gemeinsamen Auslegung, die wir ja auch in den (Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE Bericht des Finanzausschusses noch aufgenommen ha- GRÜNEN]: Es sind Ihre!) ben –, dass sie mit diesen Dingen leben können . wenn es hier andere Mehrheiten gibt –, können Sie die Ich sage auch in Richtung Wirtschaft, dass ich sehr Begrifflichkeit an sich nicht abwählen. aufmerksam beobachte, was die Kommunen machen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und ich habe meine Zweifel, ob eine Kommune im Bun- desland A unbedingt etwas über einen Zweckverband Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was kann es ei- im Bundesland C anbieten muss . Die Frage ist aber, ob gentlich Schöneres geben, als hier an einem Donnerstag- das Umsetzsteuerrecht das richtige Vehikel ist, sich mit abend über Steuerpolitik und Steuerrecht zu diskutieren? diesen Dingen auseinanderzusetzen, oder ob es nicht (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU das Gemeindewirtschaftsrecht ist, das wir überall haben . (D) und der SPD – Lothar Binding (Heidelberg) Vielleicht müsste auch die Kommunalaufsicht hier und [SPD]: Das meinen wir auch!) da einmal ein bisschen besser hinschauen, ob das, was uns teilweise berichtet wird, wirklich noch im kommuna- Als Steuerberater habe ich das Steuerrecht über Jahre len Bereich geschieht . anwenden dürfen, müssen, können, und jetzt darf ich es mitgestalten . Über manche Debattenbeiträge bin ich teil- Ich glaube, wir haben, wie gesagt, einen guten Kom- weise aber doch etwas verwundert . promiss gefunden . Wir betreten steuerrechtliches Neu- land . Wir haben das Vergaberecht herangezogen, um die Ich bin froh, dass wir mit diesem Gesetzentwurf Teile Kriterien für eine sogenannte größere Wettbewerbsver- des Koalitionsvertrages umsetzen . Das gilt insbesondere zerrung zu erzeugen . Das ist eine gute Lösung . für die interkommunale Zusammenarbeit . Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass es keine steuerrechtli- Man muss der Wirtschaft auch sagen, dass das für che Behinderung der interkommunalen Zusammenarbeit die Kommunen heißt: Was bis jetzt steuerpflichtig war, geben soll . Wir wollten keine Belastung mit Umsatzsteu- wird auch in Zukunft steuerpflichtig sein, und was bis er und wünschten uns eine EU-rechtliche Lösung, die jetzt nicht steuerbar war, wird in Zukunft steuerbar und es aber so schnell nicht geben wird – das mussten wir steuerpflichtig sein. Der Status quo wird für die Kom- erfahren –, sodass wir als nationaler Gesetzgeber gefor- munen gar nicht gehalten, sondern sie werden in diesem dert waren, zu handeln, und wir haben gehandelt . Damit Punkt unter Umständen einiges verlieren . Das werden wir uns genau angucken müssen . Von daher ist es auch haben wir Wort gehalten . richtig, dass wir die Übergangsregelung haben, dass die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kommunen bis zum 1 .Januar 2021 wählen können, nach ordneten der SPD) welchem Regime sie die Umsatzbesteuerung durchfüh- ren wollen . Das Handeln war dringend notwendig, nachdem der EuGH und der Bundesfinanzhof in mehreren Entschei- Ich sage auch in Richtung Kommunen und kommu- dungen entschieden haben, dass die kommunalen Bei- naler Spitzenverbände – insbesondere in Richtung der standsleistungen nicht mehr steuerfrei sind . Früher hatten Berater in den Kommunen, von denen ich viel kenne –, wir ja das System, dass bei einer Kommune steuerbar nur dass wir uns das genau angucken werden . Wenn dieses das war, was im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Vehikel des § 2 b Umsatzsteuergesetz dazu genutzt wird, Art geschah; die Beistandsleistungen wurden vom BFH den Vorteil von 19 Prozent für andere Dinge des Wettbe- eben nicht als eine Tätigkeit im Rahmen eines Betriebes werbsrechts zu nutzen, werden wir uns mit dem Gesetz gewerblicher Art gesehen . Daher hätten wir, wenn auf noch einmal neu beschäftigen müssen; denn das ist nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12073

Fritz Güntzler (A) intendiert . Wir haben aber die Zusage der kommunalen Herzlichen Dank . (C) Spitzenverbände, sich damit zu beschäftigen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ordneten der SPD) Der neue § 2 b Umsatzsteuergesetz ist also, wie ich finde, eine gute Lösung für die Kommunen, aber auch für die Vizepräsidentin Petra Pau: Wirtschaft . Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Andreas Schwarz das Wort . Lassen Sie mich jetzt noch zwei oder drei kleine An- merkungen zu dem machen, was vorher gesagt wurde . (Beifall bei der SPD) Über das Umwandlungssteuergesetz – §§ 20, 21 und 24 – könnte man jetzt viel sagen . Man könnte sich dazu Andreas Schwarz (SPD): äußern, ob das gerechtfertigt ist oder nicht, ob es – Fach- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und leute sehen das teilweise anders – wirklich eine Miss- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An- brauchsregelung oder ein Steuerschlupfloch ist. Ich finde gesichts meiner knapp bemessenen Redezeit möchte ich nur, es ist schade, dass wir uns nicht einigen konnten, mich nur auf einen Aspekt dieses umfassenden Steuer- dass diese Regelung nicht rückwirkend angewandt wird . gesetzes konzentrieren, der mich als ehemaliger Bürger- Im Gesetz steht ja jetzt: 1 .Januar 2015 . Das heißt, alle meister und immer noch amtierender Kommunalpolitiker Einbringungen, die in dieser Zeit – bis heute – gelaufen mit besonderer Freude erfüllt . Es handelt sich hier ganz sind, werden den Beratern unter Umständen – so lange genau um die Neuregelung der Umsatzbesteuerung von sie nicht unter dem Freibetrag oder unter 25 Prozent lie- Leistungen der öffentlichen Hand . gen – auf die Füße fallen. Ich finde, wir haben auch eine Mich haben dazu zahlreiche Briefe von Kommunen Treuepflicht gegenüber Anwendern unseres Rechtes. aus meinem Wahlkreis erreicht, denn die Kommunen wa- Diese sollten die Möglichkeit haben, sich darauf einzu- ren angesichts der Rechtsprechung des Bundesfinanzho- stellen . Man kann von ihnen auch nicht verlangen, dass fes mehr als verunsichert, was die steuerliche Belastung sie Bundesratsprotokolle lesen . Ich sage immer: Wer das und natürlich auch die damit verbundene interkommuna- tut, liest auch Telefonbücher . Ich glaube, wir dürfen die le Zusammenarbeit angeht . Die Zusammenarbeit öffent- Erwartungshaltung da nicht zu hoch schrauben . licher Einrichtungen ist nicht zuletzt aufgrund knapper (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Haushalte und des demografischen Wandels von großer Bedeutung . Ob bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben Ich komme zum § 50 i EStG, Herr Binding . Ich hof- oder bei Leistungen der Daseinsvorsorge: Die Nutzung (B) fe, dass wir im Rahmen des Steueränderungsgesetzes – von Synergieeffekten und die Auslastung vorhandener (D) Herr Dr . Zimmermann hat das für 2016 schon angekün- personeller und sachlicher Ressourcen liegen im öffentli- digt – endlich einen § 50 i EStG verwirklichen . Denn chen Interesse und erfolgen nicht im Wettbewerb mit pri- die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat ja festgestellt, dass vaten Leistungen . Daher soll dieser Leistungsaustausch es diese überschießende Wirkung gibt . Die bezweifeln öffentlicher Einrichtungen weiterhin nicht mit Umsatz- Sie immer noch . Beschäftigen Sie sich einmal mit den steuer belastet und dadurch verteuert werden . Das ist, Ergebnissen . denke ich, ein Vorteil für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land . (Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Sie hat aber keine Lösung gefunden!) An dieser Stelle sei klargestellt: Hier geht es nicht da- rum, dass etwa die Kommunen den Wettbewerb stören – Ja, wir brauchen aber eine Lösung, denn die Fälle sind oder behindern . Im Wettbewerb erbrachte Leistungen un- ja schon verwirklicht . Wenn Sie sagen, dass sie Ihnen terliegen ja, wie es der Kollege gerade erklärt hat, auch nicht bekannt sind, lade ich Sie gerne einmal zu mir in künftig der Umsatzsteuer . Das ist auch richtig so . Die die Kanzlei ein . Ich kann Ihnen die Fälle zeigen, die wir SPD-Bundestagsfraktion hat sich jedoch immer dafür zurzeit nicht bearbeiten können . Dabei handelt es sich eingesetzt, die Zusammenarbeit öffentlicher Einrichtun- um reine Inlandsfälle, die wir nicht gestalten können . gen bei hoheitlichen Tätigkeiten nicht zu besteuern . Wir haben hier einen dringenden Handlungsbedarf beim § 50 i EStG . (Beifall bei der SPD) Ich könnte noch etwas zu den hybriden Gestaltungen Das gilt für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sagen, wenn meine Redezeit nicht vorbei wäre . Herr die Kirchen und insbesondere die Kommunen . Schon im Pitterle, Sie wissen genau, dass wir im BEPS-Prozess Koalitionsvertrag haben wir das Bekenntnis zur inter- sind . Wir haben 15 Maßnahmen und sind da auf dem kommunalen Zusammenarbeit verankert . Gemeinsam Weg, missbräuchliche Gestaltungen – auch die hybriden mit unserem Koalitionspartner ist es nun gelungen, in Gestaltungen – anzugehen . Es macht keinen Sinn, dass diesem Gesetz klare Regeln für die Umsatzbesteuerung der nationale Gesetzgeber da alleine vorgeht . Uns zu un- öffentlicher Leistungen zu entwickeln . Mit der Neurege- terstellen, dass wir da untätig wären, ist einfach unrichtig . lung haben wir unser Ziel für beide Seiten erreicht, für die öffentlichen Einrichtungen auf der einen Seite und Ich bitte Sie jetzt einfach, dem Gesetz zuzustimmen . für die Wirtschaftsunternehmen auf der anderen Seite, Ich hoffe, der Bundesrat tut das auch möglichst schnell, eine dauerhafte und auch rechtssichere Planungsgrund- damit sich die Steuerpflichtigen darauf einstellen können. lage zu schaffen . 12074 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Andreas Schwarz (A) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit . che Regelungen für den Verleih von digitalen und körper- (C) lichen Medien, kurz E-Books und klassischen Büchern, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) in öffentlichen Bibliotheken einzuführen .

Vizepräsidentin Petra Pau: Das ist in unserer digitalen Zeit eigentlich eine Ich schließe die Aussprache . Selbstverständlichkeit, sollte man meinen . Die Realität sieht aber anders aus . Obwohl die öffentlichen Biblio- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- theken zu den meistgenutzten Bildungseinrichtungen in desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Deutschland gehören und Bücher immer öfter auch als Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur An- E-Books erscheinen, stehen die Nutzerinnen und Nutzer passung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Uni- unserer Bibliotheken häufig vor einem enttäuschend ma- on und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften . geren E-Book-Angebot . Das Wenige, das auszuleihen ist, Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- ist meist nicht das Aktuelle oder das Gesuchte . fehlung auf Drucksache 18/6094, den Gesetzentwurf der Wer sich in seiner Lektüre zum Beispiel an der Spie- Bundesregierung auf Drucksache 18/4902 in der Aus- gel-Bestsellerliste orientiert, wird hier kaum auf seine schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Kosten kommen . Noch immer ist es so, dass von den Ti- Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- teln dieser Liste nur die Hälfte in den Bibliotheken aus- len, um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer geliehen werden kann . Betroffen sind davon einmal mehr enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Menschen mit niedrigem Einkommen; denn gerade für Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der sie bieten die öffentlichen Bibliotheken die Möglichkeit, SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und am kulturellen Leben teilzunehmen . der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Die Bibliotheken fürchten, durch das reduzierte An- Dritte Beratung gebot an elektronischen Medien an Attraktivität zu ver- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem lieren . Seit Jahren setzen sie sich deshalb in Deutschland Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– und auf europäischer Ebene für eine Gleichstellung von Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- digitalen und analogen Medien im Urheberrecht ein . entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Dennoch unterscheidet sich das E-Book in seiner recht- Enthaltung der Opposition angenommen . lichen Stellung erheblich vom gedruckten Buch, auch wenn der darin transportierte Inhalt identisch ist . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Elektronische Medien werden auf der Basis von zeit- Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid lich befristeten Lizenzverträgen zwischen Verlagen oder (B) Hupach, Dr . Petra Sitte, Halina Wawzyniak, wei- Anbietern wie der divibib GmbH mit ihrem Onleihe-An- (D) terer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke gebot und den Bibliotheken angeboten . Genau hier liegt Verleihbarkeit digitaler Medien entsprechend das Problem . Bei den digitalen Medien können öffentli- analoger Werke in Öffentlichen Bibliotheken che Bibliotheken nicht ausschließlich selbst bestimmen, sicherstellen welche Titel sie einkaufen . Denn die Anbieter diktieren hier die Bedingungen von Auswahl und Preis . Große Ver- Drucksache 18/5405 lage wie Fischer, Rowohlt oder die Holtzbrinck-Gruppe Überweisungsvorschlag: verweigern gar den Verleih von E‑Books . Bibliotheken Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Kultur und Medien (f) haben aber den Auftrag, die Meinungsvielfalt widerzu- Ausschuss Digitale Agenda spiegeln . Bei den digitalen Medien jedoch bestimmen Federführung strittig wirtschaftliche Interessen das Angebot . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Wir fordern mit unserem Antrag die Bundesregierung die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- auf, zu einer Klarstellung in den §§ 17 und 27 des Urhe- nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .– Ich bit- berrechtsgesetzes zu kommen, te, gegebenenfalls notwendige Gespräche außerhalb des Plenums zu führen . (Beifall bei der LINKEN) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die sind mit dem Ziel, unsere Bibliotheken endlich zukunftssicher überflüssig!) zu machen . Die Erweiterung des Erschöpfungsgrundsat- zes auf nicht körperliche Werke, das damit verbundene Das gilt bitte auch für die Kollegen der Unionsfraktion . Schaffen von fairen Lizenzvergabemodellen und die (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt mal Ausweitung und Aufstockung der Bibliothekstantieme hurtig raus, wenn ihr quatschen wollt!) würden die Bibliotheken in die Lage versetzen, ihren Le- sern ein aktuelles und vielfältiges Angebot zu unterbrei- Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin ten und dieses zu fairen Preis- und Lizenzkonditionen zu Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke . erwerben . (Beifall bei der LINKEN) Diese Anpassung des Urheberrechts ist eine so ein- fache wie überfällige Maßnahme, mit dem Effekt, dass Sigrid Hupach (DIE LINKE): eigentlich alle davon profitieren würden: sowohl die Nut- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! zer als auch die Bibliotheken, Autoren und auch die Ver- Wir legen heute einen Antrag vor, der dafür wirbt, glei- lage . Der Verleih von gedruckten Büchern hat die Verla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12075

Sigrid Hupach (A) ge trotz aller Unkenrufe in den 60er‑Jahren nicht in den Seit den Zeiten Friedrich Schillers hat sich das deut- (C) Ruin getrieben; er hat vielmehr die Lesefreudigkeit ge- sche Urheberrecht zum Glück gewandelt . Das moderne stärkt . Beim Verleih von E‑Books wird das genauso sein . Urheberrecht schützt nicht nur die Urhebereigenschaft des Autors, sondern es stellt auch sicher, dass ihm ein Besinnen Sie sich also auf Ihren Koalitionsvertrag, in dem schon angekündigt wurde, zu prüfen, ob den öf- finanzieller Ertrag aus seinen Werken zusteht. fentlichen Bibliotheken gesetzlich das Recht eingeräumt (Beifall bei der CDU/CSU) werden soll, elektronische Bücher zu lizenzieren! Zwei Jahre hatten Sie Zeit dafür; aber noch immer liegt kein Ich glaube, wenn Friedrich Schiller heute gelebt hät- Entwurf vor . Da lassen Sie uns einmal mehr Ihre Arbeit te, hätte er bestimmt gute Erfahrungen mit der VG Wort machen . gemacht . Aber spätestens seit dem Aufkommen von Tab- let-Computern und E‑Book-Readern hat die Digitalisie- Auch Frau Grütters kritisierte erst kürzlich die aufwen- rung aller Lebensbereiche auch den Buchmarkt erreicht . dige Lizenzierungspraxis für E‑Books seitens der Verla- Die neuen Möglichkeiten, die damit verbunden sind, sind ge . In den Handlungsempfehlungen der Internet-Enquete in ihrer Revolution wahrscheinlich vergleichbar mit der heißt es deutlich: Der Verleih digitaler Medien soll wie Erfindung des Buchdrucks vor über 550 Jahren. bei analogen Werken sichergestellt werden . Komplizierter als damals ist aber die Frage, welche Auch auf europäischer Ebene gibt es in dieser Fra- Verkaufsmodelle sich in Zukunft durchsetzen werden . ge deutlich mehr Bewegung als im Bundestag: Im Juli Deshalb ist es uns, der CDU/CSU-Fraktion, besonders stimmte das Europäische Parlament über den Reda-Be- wichtig, dass wir diese neue technische Entwicklung richt zur Reform der InfoSoc-Richtlinie von 2001 ab . von Anfang an auch rechtlich angemessen begleiten und Auch hier heißt es: Neue Ausnahmen beim Urheberrecht dabei einen umfassenden Autorenschutz sicherstellen . sollen das Ausleihen von E‑Books ermöglichen . Die Autoren von heute müssen die Schwierigkeiten von Unser Antrag versetzt Sie, liebe Kolleginnen und Kol- Friedrich Schiller jedenfalls nicht mehr kennenlernen . legen von der Koalition, jetzt in die komfortable Lage, Vielleicht darf man noch erwähnen, dass auch hinter mit einer einfachen Zustimmung zu diesem Antrag den jedem E-Book ein Autor steht . Ebenso wie bei „körperli- nächsten Schritt ins digitale Zeitalter zu tun und vielen chen Medien“ ist er darauf angewiesen, dass er aus dem Menschen in diesem Land einen einfachen und kosten- Verkauf seiner Werke einen Ertrag erhält . Insbesondere günstigen Zugang zu Information, Wissen und Kultur zu für Schriftsteller und Autoren von nicht wissenschaft- ermöglichen . lichen Werken ist dieser Ertrag entscheidend beim Be- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . streiten des Lebensunterhalts . Dafür handeln Kopierge- (B) rätebetreiber und Verleiher von gedruckten Werken eine (D) (Beifall bei der LINKEN) Vergütung mit der VG Wort aus . Diese wird dann an- schließend an die Autoren ausgeschüttet . Deshalb macht Vizepräsidentin Petra Pau: es schon einen Unterschied – damit sind wir bei den Bib- Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr . Stefan liotheken –, ob ein gedrucktes Buch verliehen wird oder Heck das Wort . ob für den Download ein E-Book zur Verfügung gestellt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wird . Bei dem Verleih gedruckter Bücher bleibt nämlich ordneten der SPD) die Anzahl der in Verkehr gebrachten Bücher stets gleich . Der Autor hat für jedes Exemplar, das sich im Umlauf befindet, bereits ein Honorar erhalten. Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz anders verhält es sich bei der „Ausleihe“ von Bitte gestatten Sie, dass ich die Rede mit einem schon E-Books . Sie sind auf einem Datenträger gespeichert und etwas älteren Zitat beginne: können der Bibliothek nicht mehr im eigentlichen Sinne zurückgegeben werden . Deshalb ist es technisch schwie- Überdem zwingt das deutsche Publicum seine rig, zu gewährleisten – eine Garantie ist wahrscheinlich Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, son- ausgeschlossen –, dass das ausgeliehene E-Book nicht dern nach Speculationen des Handelns [ihre Tätig- einfach an Dritte weitergegeben wird . Deshalb kann bei keit] zu wählen . dem sogenannten Verleih von E-Books auch nicht si- So beklagt sich schon 1784 der erst 25‑jährige Theater- chergestellt werden, dass der Autor für jedes im Umlauf dichter Friedrich Schiller . Er wandte sich mit diesem und befindliche Exemplar ein Honorar erhalten hat. Sobald anderen Hilferufen wahllos an glühende Bewunderer, ein einziges Exemplar herausgegeben wurde, kann dieses deren Briefe er zuvor in den kalten Wintermonaten aus zumindest technisch zum Nulltarif und unkontrollierbar materiellen Gründen unbeantwortet gelassen hatte . weitergegeben werden . Der Autor droht so um die ver- dienten Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden . Wir Friedrich Schiller konnte von dem erst nach seinem wollen deshalb dafür Sorge tragen, dass der Erschöp- Tod 1805 etablierten Autorenschutz nicht mehr profi- fungsgrundsatz auch zukünftig für gedruckte und digitale tieren . Er lebte vielmehr von dem Ertrag seiner Auffüh- Medien unterschiedlich gehandhabt wird . rungen und seiner Herausgebertätigkeit . Seinen Lebens- unterhalt konnte er mit seinen Werken, die heute noch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- immer zur Weltliteratur gehören, nicht bestreiten . ordneten der SPD) 12076 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Stefan Heck (A) Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz, den Erschöp- Erwachsenenbildung sowie als Anlaufpunkt für Migran- (C) fungsgrundsatz auf digitale Medien, E-Books und Hör- tinnen und Migranten erhalten bleiben, auch digital . bücher, auszudehnen, ziemlich sachfremd . Was würde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das denn für die Autoren von E-Books und Hörbüchern und bei der LINKEN) bedeuten? Hat ein Nutzer der Bibliothek das E-Book auf einem Datenträger gespeichert, oder hat ein Käufer bei Ich habe aber Zweifel, ob die hier vorgeschlagenen Än- einem Onlinehändler das Hörbuch heruntergeladen, dür- derungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern tat- fen diese Werke beliebig weiterverbreitet werden . Das sächlich einen Mehrwert bringen . Mehr noch: Sie könn- Urheberrecht des Autors wäre praktisch nutzlos . ten ihnen sogar einen Bärendienst erweisen . (Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Kann man ja Der Buchmarkt versucht gerade, sich mit kommerzi- begrenzen!) ellen Leihportalen für E-Books auf die neuen Lesege- wohnheiten einzustellen . Das ist übrigens etwas, was wir Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, entwe- immer eingefordert haben . Das Angebot der Bibliothe- der wollen Sie diesen Unterschied zwischen gedruckten ken erscheint da schädlich . Es ist kostenfrei, und für die und digitalen Werken nicht verstehen, oder Sie trampeln Ausleihe zahlen die Bibliotheken an Autoren und Verla- ganz bewusst auf dem geistigen Eigentum der Urheber ge die Bibliothekstantieme; sie liegt jetzt bei 4 Cent . Bei herum . Auf jeden Fall lassen Sie mit Ihrem Antrag die Skoobe oder Readfy erhalten Autoren und Verlage zwi- Kreativen und die Intellektuellen in diesem Land im schen 16 Cent und 1,10 Euro pro Leihe . Mit der Biblio- Stich, auf die Sie sich sonst so gerne berufen . thekstantieme würden sie also nur noch einen Bruchteil bekommen . Die Kreativen dürfen aber eben nicht zu den (Beifall bei der CDU/CSU – Sigrid Hupach Verlierern der Digitalisierung werden . [DIE LINKE]: Ein Buch kann man auch einscannen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die CDU/CSU-Fraktion wird weiterhin dafür streiten, – Da könnten Sie von der Union eigentlich auch klat- dass im Grundsatz der Autor darüber entscheiden darf, schen . wer sein Werk zu welchen Konditionen nutzen darf . Die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) von der Linken offensichtlich betriebene Sozialisierung geistigen Eigentums wird es mit uns nicht geben . Wir Dabei ist es richtig, die Bibliotheken finanziell besser werden deshalb gegen den vorliegenden Antrag stimmen . auszustatten . Es sollte ihnen weiterhin möglich sein, eine dem öffentlichen Auftrag entsprechende qualitative Aus- Vielen Dank . wahl anzubieten . (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich hadere hier allerdings vor allem mit der geplan- (D) ordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE ten Änderung in § 17 Urheberrechtsgesetz . Abgesehen LINKE]: Ihr bleibt beim Papier!) davon, dass wir damit erst einmal Brüssel durchlaufen müssten: Digitale Medien könnten dann an jeden weiter- Vizepräsidentin Petra Pau: verkauft werden . Das klingt zwar erst einmal wunderbar, Das Wort hat die Kollegin Tabea Rößner für die Frak- hat aber einen Haken: Ein florierender Gebrauchtwaren- handel mit digitalen Gütern könnte eine ungewollte Spi- tion Bündnis 90/Die Grünen . rale nach unten auslösen . Anbieter wie Amazon oder Ap- ple stehen bereits mit Secondhand-Verkaufsplattformen Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): für Digitales in den Startlöchern . Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Sehr geehrte Damen Sollte es hier grünes Licht geben, wäre die Konkurrenz und Herren! Examenszeit, und das Standardwerk ist in für Verlage enorm . Digitales verrottet nicht . Gebrauchte der Bibliothek nicht auffindbar oder über Monate vorge- E-Books wären mit einem Klick in alle Welt weiterver- merkt, oder wichtige Seiten sind herausgerissen . Viele kauft, zu Spottpreisen, und zwar ohne Riss oder Kaf- von Ihnen kennen das vielleicht, sofern Sie Ihre Arbeiten feefleck. Das stärkt geschlossene Systeme wie das von selbst geschrieben haben . Amazon, und es schadet dem kulturellen Angebot . Denn (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ wer investiert dann noch? Wer nimmt das wirtschaftli- DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) che Risiko eines Flops auf sich, und wer setzt noch auf unbekannte Autoren oder vielleicht auf gewagte Inhalte? Das müsste in digitalen Zeiten mit Internet, iPad, Toli- Unter idealen Bedingungen sind das die Verlage . Es sind no und Co . eigentlich vorbei sein . Das ist es aber nicht . zumindest nicht die digitalen Verkaufsplattformen . Auch in der digitalen Bibliothek können Bücher vergrif- fen sein, weil nur so viele Exemplare verliehen werden Wir dürfen das wirtschaftliche Fundament nicht derart können, wie Lizenzen erworben wurden . erschüttern, dass die kulturelle Vielfalt darunter leidet . Wenn nur noch risikofreie Bestseller auf dem Markt sind, Die öffentliche Bibliothek muss sich für die digitale kann das sicher nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Zukunft neu aufstellen . Hierfür braucht sie – da trifft der Verbraucher sein . Antrag der Linken den richtigen Nerv – ein breitgefä- chertes digitales Angebot und dafür finanzielle Unterstüt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zung . Die Bibliothek muss als Bildungseinrichtung für Wir sprechen hier ja nicht nur von E-Books . Digitale Me- alle sozialen Schichten und Altersstufen, für Schul- und dien, das sind ja auch Musik- oder Filmdateien . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12077

Tabea Rößner (A) Ich möchte festhalten: Öffentliche Bibliotheken müs- weiterentwickelt wird . Wir werden insbesondere dafür (C) sen ein facettenreiches digitales Angebot bereithalten, sorgen, dass Urheber aus ihrer Einzelkämpferstellung und sie dürfen keine Nischeninstitutionen werden . Wir herausgeholt werden . Wir werden gemeinsame Vergü- brauchen aber eine sozialverträgliche Lösung, und dafür tungsregelungen stärken . Wir werden auch die kollektive sollten sich alle Seiten ins Zeug legen . Rechtsdurchsetzung stärken . Das ist ein gutes Zeichen für alle Kreativen in diesem Land . Um dies zu schaffen, müssen Länder und Kommunen dringend in die Lage versetzt werden, digitale Bibliothe- Man kann also mit Fug und Recht sagen: Es tut sich ken finanziell ausreichend auszustatten. Die Belange der einiges im Urheberrecht, meine Damen und Herren, und Kreativen müssen mitgedacht werden . Zudem braucht es dabei wird es nicht bleiben . Der Bundesjustizminister hat Mut bei den Verlagen, auch Neues zu wagen, und die be- am Montag dieser Woche beim Max-Planck-Institut für teiligten Kreise müssten aufeinander zugehen und eine Innovation und Wettbewerb in München eine viel beach- gemeinsame Lösung erarbeiten, die dann allen Seiten tete Rede zur Zukunft des Urheberrechts gehalten . Ich zugutekommt . Dabei sind faire Lizenz- und Nutzungsbe- empfehle jedem die Lektüre . Er hat dort angekündigt, dingungen Pflicht. Wenn diese Chance aber vertan wird, dass er in Kürze eine Studie von diesem Max-Planck-In- dann muss der Gesetzgeber die Lösung für sie finden. stitut vorlegen wird, die sich damit beschäftigt, wie wir es schaffen, die Nutzergewohnheiten, die in den nächs- Vielen Dank . ten 5, 10, 15 Jahren aufkommen werden, so in unserem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Urheberrecht zu berücksichtigen, dass das Urheberrecht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) endlich einmal auf der Höhe der Zeit ist, dass wir also proaktiv tätig werden und nicht immer nur reaktiv den technischen Entwicklungen hinterherlaufen . Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Christian Flisek für die Wenn man sich vor allen Dingen mit der Metho- SPD-Fraktion . dik dieser Studie auseinandersetzt, erkennt man etwas sehr Beachtliches: Es werden – so ist es angekündigt – (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . 40 hochinnovative Geschäftsmodelle von Start-ups em- Stephan Harbarth [CDU/CSU]) pirisch analysiert, um genau diese modernen Nutzerge- wohnheiten einmal vor Augen zu haben . Ich glaube – das Christian Flisek (SPD): sage ich dann auch an die Kolleginnen und Kollegen von Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kol- der Linkspartei –, das wird eine sehr gute empirische leginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hupach, Grundlage sein, sodass wir dann gemeinsam in diesem Hause einmal eine grundsätzliche Debatte über den Mo- (B) offen gesprochen, ich begrüße es außerordentlich, dass (D) sich auch die Linke um ein modernes Urheberrecht dernisierungsbedarf des Urheberrechtsgesetzes führen im digitalen Zeitalter bemüht . Das ist keine Selbstver- können und bewerten können, wo wir tatsächlich einen ständlichkeit . Ich begrüße es aber umso mehr, dass vor Regelungsbedarf haben . allen Dingen die Koalition und hier insbesondere Bun- Es ist von meinen Kolleginnen und Kollegen schon desjustizminister Heiko Maas dem urheberrechtlichen angesprochen worden: Man muss sehr vorsichtig sein, Stillstand insbesondere der letzten Legislaturperiode ein wenn man zum Beispiel beim Erschöpfungsgrundsatz Ende setzt und sich mit einer sehr klar umrissenen ur- Hand anlegt . Das bezieht sich nicht nur auf die Bibliothe- heberrechtlichen Agenda mit uns gemeinsam aufmacht, ken oder auf Einzelproblemlagen . Das sind sehr grund- den modernen Rechtsrahmen für den Kreativstandort sätzliche Normen, die eine Vielzahl von Fällen regeln . Deutschland zu setzen . Da muss man mit Bedacht herangehen . Ich glaube, das (Beifall bei der SPD) Vorgehen des Bundesjustizministers bietet uns hierfür eine wirklich gute empirische Grundlage . Ich bin sehr Man muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass zuversichtlich, dass wir noch in dieser Legislaturperiode die nächsten Monate für alle urheberrechtlich Interes- hierzu weitere Vorschläge machen werden . sierten in diesem Hause sehr intensiv sein werden . Der Bundesjustizminister hat jetzt innerhalb kurzer Zeit zwei Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Referentenentwürfe vorgestellt . Das eine ist ein Refe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rentenentwurf für ein Verwertungsgesellschaftengesetz . der CDU/CSU) Damit wird in Umsetzung einer EU-Richtlinie das Wahr- nehmungsgesetz, der Rechtsrahmen der Verwertungsge- sellschaften, komplett auf neue Füße gestellt . Insbeson- Vizepräsidentin Petra Pau: dere werden die Abgabe für Geräte und Speichermedien Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr . Volker und der damit verbundene Prozess der Tariffindung straf- Ullrich das Wort . fer gefasst; er wird effizienter gestaltet. Das sind sehr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gute Signale an die Branche . ordneten der SPD) Lieber Herr Dr . Heck, Sie haben eingangs Ihrer Rede Friedrich Schiller angesprochen . Wir werden vor allen Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Dingen die Schillers des 21 .Jahrhunderts in ihrer Po- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und sition stärken . Wir werden nämlich dafür sorgen, dass Herren! Wenn Sie sich in einer der 10 000 Leihbüche- das Urhebervertragsrecht weiterentwickelt wird, modern reien in Deutschland ein Buch ausleihen, hat es zuvor 12078 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Volker Ullrich (A) die Kommune oder der Staat gekauft, und pro Ausleihe Ich muss Ihnen sagen, liebe Kollegen der Linkspar- (C) werden 3 bis 4 Cent Bibliothekstantieme fällig . Wenn Sie tei: Sie haben mir einen zu sorglosen Umgang mit dem sich ein gedrucktes Buch selbst kaufen, wird damit der geistigen Eigentum! Wir mussten erst kürzlich über die Urheber entschädigt, und Sie können das Buch frei wei- Abschaffung des Leistungsschutzrechtes debattieren tergeben . Das nennt sich „Erschöpfungsgrundsatz“ . (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Hätten Die Vertriebswege ändern sich jedoch mit der Digi- Sie mal zugestimmt!) talisierung . Wir haben im letzten Jahr knapp 5 Prozent E-Books im deutschen Markt gehabt . In den Vereinig- und haben Ihren Antrag dazu zu Recht niedergestimmt . ten Staaten ist man mittlerweile bei etwa 20 Prozent an- Heute haben wir eine weitere Schleifung des Urheber- gelangt . Wer meint, dass die Verhältnisse des digitalen rechts zu bereden, und ich sage Ihnen: Der Schutz des Marktes eins zu eins mit denen des analogen vergleichbar geistigen Eigentums hat bei uns hohen Wert . Wir werden sind, der irrt, und der liegt falsch . Es geht um die Frage: Ihre Anträge nicht unterstützen . Welche rechtlichen Rahmenbedingungen setzen wir im (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Bereich der zunehmenden Digitalisierung, um geistiges LINKEN: Das hat doch nichts mit geistigem Eigentum zu schützen? Ihr Ansatz, die wesentlichen Ele- mente des Schutzes des geistigen Eigentums im analogen Eigentum zu tun!) Bereich – Bibliothekstantieme, Erschöpfungsgrundsatz – Ich kann für unsere Fraktion festhalten: Die Heraus- in die digitale Welt zu übertragen, geht fehl . Dieser An- forderungen einer Wissensgesellschaft werden wir nur satz, meine Damen und Herren, ist geprägt von einem dann meistern, wenn wir geistigem Eigentum und Kreati- grundsätzlichen Missverständnis vom Funktionieren der vität schützenden Raum geben . Das sind wir den Autoren digitalen Welt und – ich füge hinzu – auch von einem und den Künstlern schuldig . Wir stehen an der Seite der grundsätzlichen Mangel an Sensibilität dem geistigen Ei- Autoren . Sie stehen an der Seite derjenigen, die kopieren gentum gegenüber . wollen und diejenigen zurückdrängen, die an geistigen (Beifall bei der CDU/CSU) Materien hart arbeiten . Vielleicht sollten Sie sich einmal ein paar Zitate vor (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich Augen führen . Der – inzwischen verstorbene – Heraus- [DIE LINKE]: Na, na, na! Vorsichtig!) geber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirr- Man kann es vielleicht, wenn wir in die Zukunft des macher hat gesagt: Urheberrechts blicken, auch an einer sprachlichen Fines- Die Vorstellung, dass das Netz an sich frei und kos- se festmachen: Im Englischen heißt es „copyright“ – das tenlos sei, ist eine der stärksten Illusionen der Ge- (B) Recht, zu kopieren . Im Französischen spricht man über (D) genwart . „le droit d’auteur“ – das Recht des Autors . (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da hat er (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und auf recht!) Spanisch?) Und weiter: Wir werden am Ende des Tages das Recht des Autors Es ist aber eine Schlüsselfrage der digitalen Zu- schützen – das geistige Eigentum als wesentliches Ele- kunft, dass sich jedermann der unerwünschten Ver- ment der Wissensgesellschaft . Diesen Weg lassen wir breitung . .seines . geistigen Eigentums widersetzen uns nicht nehmen; deswegen lehnen wir Ihren – untaug- kann . lichen – Antrag ab . Oder lesen Sie die vielbeachtete Rede von Jaron La- (Beifall bei der CDU/CSU) nier, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhan- dels, nach! Er hat auch davor gewarnt, dass Autoren ihr Vizepräsidentin Petra Pau: Recht verlieren und ein erhebliches Maß an Ungerechtig- Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Siegmund keit erleiden müssen . Ehrmann das Wort . Oder lesen Sie gar beim britischen Unternehmer James Daunt nach, der gewarnt hat, dass die E‑Book‑Ausleihe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine zerstörerische Kraft ist, die den Markt so zerstören der CDU/CSU) kann, dass Autoren nichts mehr davon haben werden . Siegmund Ehrmann (SPD): (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und Oscar Wilde!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung des Das sind sicherlich dramatische Worte . Aber die- Buchmarktes zeigt, dass Bücher schon lange nicht mehr se Worte müssen uns zu einer wesentlichen Erkenntnis das alleinige Trägermedium sind . Lässt man die Fach- bringen: Welcher Vertriebsweg auch immer gewählt bücher und die Schulbücher außen vor, sieht es auf dem wird, wie sehr die Digitalisierung Aspekte unseres Le- sogenannten Publikumsmarkt so aus, dass im zweiten bens umfasst – der Schutz des geistigen Eigentums und Quartal des Jahres 2015 die E‑Books einen Anteil von die Vergütung des Urhebers bleiben für uns gültige und etwa 5,6 Prozent am Markt hatten . Das ist ein Zuwachs eherne Rechtsgrundsätze . gegenüber dem Vergleichsquartal des Jahres 2014 um (Beifall bei der CDU/CSU) etwa 12 Prozent . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12079

Siegmund Ehrmann (A) Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass in der und dabei die urheberrechtlichen Projekte der Großen (C) ersten Hälfte des Jahres 2015 bei den über Zehnjährigen Koalition vorgetragen . Auch das Thema „E‑Books in Bi- 2,9 Millionen E‑Books erworben haben, dann zeigt das, bliotheken“ wurde darin erwähnt, und es wurde auf die wie sich die Nachfrage auf dem Markt verändert hat . Es ergibt sich damit aber auch ein Reflex mit Blick auf die europarechtliche Dimension abgestellt . So ganz einfach Situation der öffentlichen Bibliotheken . Denn die Verän- und allein können wir das hier nicht verhandeln, unab- derungen im Markt müssten sich in der Angebotspalette hängig von den Aspekten, die ich vorgetragen habe . Das der Bibliotheken widerspiegeln . wird mit Sicherheit in den Gesetzesvorlagen der Koali- Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag formuliert, tion, die uns erreichen werden, zu verhandeln sein . Ihr dass öffentliche Bibliotheken auch im digitalen Umfeld Gesetzentwurf ist gut gemeint, löst aber die zu Recht be- ihrem Auftrag nachkommen können müssen . Sie sind schriebenen Probleme nicht wirklich . die am stärksten genutzten Kultur- und Bildungseinrich- tungen in Deutschland . Insgesamt 10 000 Bibliotheken Herzlichen Dank . halten jährlich 440 Millionen Medien bereit, die dort nachgefragt werden können . So vollzieht sich Teilhabe (Beifall bei der SPD) an Wissen, und das ist eine ganz wichtige öffentliche Leistung, die wir über die öffentlichen Bibliotheken dar- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bieten . Herzlichen Dank .– Wir sind am Ende der Aussprache . (Beifall der Abg . Bärbel Bas [SPD]) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der Lin- Drucksache 18/5405 an die in der Tagesordnung auf- ken zielt auf diesen Kontext . Ich würde nicht so weit gehen wie mein Vorredner, das mit dem Untergang des geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Wie auch sonst Abendlandes und dem Schleifen des geistigen Eigentums manchmal ist die Federführung strittig . Die Fraktionen gleichzustellen . der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim (Heiterkeit bei der SPD – Beifall bei Abge- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, die Frakti- ordneten der LINKEN – Dr . Volker Ullrich on Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für [CDU/CSU]: Das ist von Oswald Spengler!) Kultur und Medien . Es sind erwägenswerte Aspekte in ihm formuliert, aber Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der (B) die entscheidende Frage ist – das gebietet fairer parla- (D) mentarischer Umgang –, zu prüfen, ob sie tragen . Da Fraktion Die Linke – Federführung beim Ausschuss für habe ich meine Zweifel . Kultur und Medien – abstimmen . Wer stimmt für diesen Nicht zu verkennen ist: Den Bibliotheken werden be- Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer reits heute E‑Medien über private Anbieter – es wurde enthält sich? – Dieser Überweisungsvorschlag ist mit den erwähnt – wie Onleihe, ciando eBooks oder OverDrive Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion angeboten . Das ist gut, hat aber Schwächen . Wenn da- Die Linke abgelehnt . bei lediglich rund 1 400 öffentliche Bibliotheken mitma- chen, kann man nicht von einem flächendeckenden An- Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der gebot sprechen . In der Tat ist es so, dass Bestseller nur Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Federführung beim zu 50 Prozent über die Onlineangebote, die dargeboten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz – abstim- werden, zugänglich sind . Zudem liegt die Einkaufsent- scheidung bei der privaten Wirtschaft, bei den Partnern men . Wer stimmt für diesen Vorschlag? – Wer stimmt in den Unternehmen, bei den Anbietern und nicht wie bei dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor- analogen Medien bei den öffentlichen Bibliotheken . schlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Meine Damen und Herren, alleine die rechtliche Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Gleichstellung von digitalen und körperlichen Medien Die Linke angenommen . führt nicht automatisch zu einem vernünftigen, angemes- senen und gerechten Interessenausgleich zwischen Au- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: toren, Übersetzern und Verlagen auf der einen Seite und a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- den Bibliotheken auf der anderen Seite . Hierzu bedürfte es genauerer Eckpunkte der anzustrebenden Lizenzver- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlän- träge . Das ist vorhin in Debattenbeiträgen formuliert gerung der Befristung von Vorschriften nach worden . Da bleibt der Antrag also vage . den Terrorismusbekämpfungsgesetzen Schließlich und zuletzt – es wurde erwähnt –: Heiko Drucksache 18/5924 Maas hat eine wirklich beachtliche und beeindruckende Rede in München gehalten Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) (Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Kennen wir Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz noch nicht!) Verteidigungsausschuss 12080 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- – zu dem Antrag der Abgeordneten (C) gierung Dr .Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord- Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur neter und der Fraktion DIE LINKE Änderung des Bundesverfassungsschutzgeset- zes Ausbildungsqualität sichern – Gute Ausbil- dung für alle schaffen Drucksache 18/5935 Überweisungsvorschlag: – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Innenausschuss (f) Walter-Rosenheimer, Brigitte Pothmer, Kai Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Gehring, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden 1). – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Mit einer echten Ausbildungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/5924 und 18/5935 an die in der Drucksachen 18/4928, 18/4931, 18/4938, Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . 18/6040 Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Dann sind die Überweisungen so beschlossen . die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Beratung der Beschlussempfehlung und des Ich bitte, die Plätze einzunehmen und die Gespräche, Berichts des Finanzausschusses (7 .Ausschuss) die noch notwendig sind, vielleicht außerhalb des Plen- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Gerhard arsaales zu führen . Schick, Kerstin Andreae, Dr .Thomas Gambke, Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Dr .Thomas weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Feist, CDU/CSU-Fraktion . NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Richard Pitterle, Susanna Karawanskij, Dr . Axel (Beifall bei der CDU/CSU) Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Sonderermittler zur Aufarbeitung der Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Meine lieben Kolle- (B) Cum-Ex-Geschäfte einsetzen ginnen und Kollegen! Wir beraten heute in dieser Debat- (D) te abschließend unseren hervorragenden Antrag Drucksachen 18/3735, 18/6088 (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden 2). – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann „Prinzipen des deutschen Bildungswesens stärken – ist so beschlossen . Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der akademischen Bildung durchsetzen“ . Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre an- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- schaut, dann erscheint es mir so, dass wir für die beruf- che 18/6088, den Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die liche Bildung etwas mehr tun müssen, als wir das bisher Grünen und Die Linke auf Drucksache 18/3735 abzuleh- getan haben . nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlus- (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und NEN]: Wer hindert Sie denn?) SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen Genau darauf zielt unser Antrag, und deswegen werden und der Fraktion Die Linke angenommen . wir ihm heute mit großer Mehrheit zustimmen . Das wer- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: den auch Sie, Herr Kollege Mutlu, nicht verhindern kön- nen . Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Bildung, Forschung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss) Wo wir jetzt über die Gleichwertigkeit akademischer – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und beruflicher Bildung reden, stelle ich mit Freude fest, und SPD dass der Bundesregierung unsere Diskussionen, auch die, die wir dazu im Ausschuss geführt haben, nicht verbor- Prinzipien des deutschen Bildungswesens gen geblieben sind . So sind im Regierungsentwurf des stärken – Gleichwertigkeit und Durchläs- Haushaltes die Themenbereiche, deren Unterstützung sigkeit der beruflichen und der akademi- wir im Antrag gefordert haben, schon mit Mitteln unter- schen Bildung durchsetzen setzt, die mich fröhlich stimmen .

1) Anlage 2 (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2) Anlage 3 Sie sind aber leicht zufriedenzustellen!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12081

Dr. Thomas Feist (A) Der Ansatz für die Berufsorientierung, den wir um haben . In diesem Jahr haben sie in São Paulo stattgefun- (C) 27 Prozent aufgestockt haben, bleibt in dieser Höhe be- den . Dort haben 1 200 junge Leute aus 50 Ländern in stehen . Das ist genau der richtige Weg, jungen Menschen 59 Disziplinen miteinander gewetteifert, wer der Beste eine gute Berufs- und Studienorientierung zu ermögli- ist. Ich finde, dass wir den Drive der WorldSkills nutzen chen . Bei der Vielzahl der Wege, die man über das Studi- sollten, um etwas für Exzellenz im Bereich der berufli- um und über den Beruf in eine Karriere hinein hat, ist es chen Bildung und Weiterbildung zu tun . Wir haben, um wichtig, so vorzugehen und damit alle jungen Menschen, ein Bild zu verwenden, einen super Breitensport, aber im egal welcher Schulform, zu erreichen . Spitzensport fehlt noch etwas . Ich will mich gerne mit Ihnen in Zukunft für mehr Exzellenz in der beruflichen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bildung einsetzen . der SPD) Vielen Dank . Darüber hinaus machen wir etwas für die überbetrieb- lichen Ausbildungsstätten . Die überbetrieblichen Ausbil- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dungsstätten liefern genau dort einen Mehrwert, wo Be- triebe entsprechende Fertigkeiten und Fähigkeiten nicht Vizepräsidentin Ulla Schmidt: vermitteln können . Bei der Förderung dieser überbetrieb- Vielen Dank . – Als Nächste hat Dr . Rosemarie Hein, lichen Ausbildungsstätten ist im Haushaltsentwurf ein Fraktion Die Linke, das Wort . Aufwuchs von 25 Prozent vorgesehen . Auch das ist ein Ergebnis unserer Beratungen, ein Ergebnis, worüber wir (Beifall bei der LINKEN) uns freuen können . Die Begabtenförderwerke assoziiert man gemeinhin Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): mit Studienförderwerken, aber es gibt Begabtenförde- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rung auch sehr erfolgreich in der beruflichen Bildung und Herr Dr . Feist, Ihre Fröhlichkeit kann ich nicht teilen . beruflichen Weiterbildung. Im Haushalt haben wir einen (Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist scha- Aufwuchs von 7 Prozent . de! Würde Ihnen gut stehen!) Ich komme noch zu einer anderen Zahl: Wenn wir Sie haben hier zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres über Internationalisierung und Gleichwertigkeit im aka- eine Haushaltsrede gehalten . Ich will über andere Zahlen demischen Bereich reden, dürfen wir den beruflichen reden . Bereich nicht außen vor lassen . Auch dort gibt es einen Mittelaufwuchs von 15 Prozent . Im vergangenen Jahr gab es in der beruflichen Bildung bekanntlich einige Sorgen . Sie haben die Sorgen durch- (B) Von unserem Antrag sind also genau die richtigen Si- aus geteilt; zum Teil hatten wir sie gemeinsam . Auch aus (D) gnale ausgegangen, meine lieben Kolleginnen und Kol- diesem Grund hat sich die Allianz für Aus- und Weiter- legen . bildung, in der Unternehmerverbände, Gewerkschaften, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Bundesagentur für Arbeit, Bund und Länder vertreten der SPD) sind, zusammengesetzt, um Lücken zu schließen . Es wurde ein umfangreicher Maßnahmenkatalog verab- Einen Punkt müssen wir noch in den Blick nehmen – schiedet, der zum Teil schon in diesem Ausbildungsjahr auch das ist im Antrag beschrieben –: die Berufsschulen . umgesetzt werden sollte . Ich will mich nur mit zwei der Der Kollege von der SPD freut sich . Vielleicht wird der Maßnahmen befassen: Punkt nachher auch noch von der SPD erwähnt . Wir sind uns aber völlig einig – ich glaube, im ganzen Haus –, Erstens . Angesichts der hohen Zahl unversorgter Be- dass wir für die Berufsschulen mehr tun müssen; werberinnen und Bewerber sollten der Bundesagentur für Arbeit 20 000 zusätzliche Ausbildungsstellen gemeldet (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des werden . Das hielten wir für zu wenig . Wir haben auch be- Abg . Bernhard Kaster [CDU/CSU]) zweifelt, dass es zu schaffen ist . Nun hat die DGB-Jugend denn sie haben in den Ländern oft nicht den Stellenwert, am 1 . September einen Bericht auf Basis der Zahlen der der ihnen eigentlich zustände . Da wird uns sicherlich Bundesagentur vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie es im noch irgendetwas Gutes einfallen, was wir hier im Deut- Monat August aussah . Fakt ist: Zur Erreichung des Ziels schen Bundestag auf den Weg bringen können, um die von 20 000 zusätzlichen Stellen fehlten einen Monat vor Qualität an den Berufsschulen nicht nur sicherzustellen, Ausbildungsbeginn noch 15 000 Stellen . Nun werden Sie sondern sie auch dort, wo es nötig ist, ganz gezielt zu sicherlich sagen: Warten Sie mal ab, der 30 . – – erhöhen . (Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ich höre zu! Ich sage gar nichts!) (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]) – Ich weiß doch, was Sie denken . So gut ist das schon . Bei den Berufsschulen, den überbetrieblichen Ausbil- (Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das wusste dungsstätten, geht es vor allen Dingen um Qualität . Wenn man in der DDR schon immer!) ich an Qualität im internationalen Maßstab denke, dann – Das war jetzt eine Bemerkung, die Sie sich gut hätten fallen mir die WorldSkills ein, die Berufsweltmeister- schenken können . schaften . Sie sind nicht nur deswegen gut, weil sie vor zwei Jahren in meiner Heimatstadt Leipzig stattgefunden (Beifall bei der LINKEN) 12082 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dr. Rosemarie Hein (A) Sie werden also einwenden, dass am 30 . September ab- – Das ist richtig . Ich würde da auch mitmachen . Aber Sie (C) gerechnet wird und bis dahin noch Zeit ist . Aber es ist ja sind doch immer der Hemmschuh an dieser Stelle . wohl nicht anzunehmen, dass man 15 000 Stellen in ei- (Beifall bei der LINKEN – Dr . Thomas Feist nem Monat schafft, wenn man in acht Monaten nur 5 000 [CDU/CSU]: Warten Sie doch einmal ab!) geschaffen hat . – Schauen wir einmal, was Ihnen einfällt . Vielmehr ist festzustellen, dass es jetzt noch weniger Betriebe als im vergangenen Jahr gibt, die ausbilden . Die Sie können natürlich auch eines machen, nämlich un- Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze – es sind immer- serem Antrag heute zustimmen . Dann wären eine ganze hin 123 000 bundesweit – ist hoch; aber mehr als doppelt Menge Probleme erledigt . so viele Ausbildungsplätze werden noch gesucht, näm- Danke schön . lich über 300 000 . Es ist also zu befürchten, dass dieses wichtige Ziel der Allianz schon im ersten Jahr nicht er- (Beifall bei der LINKEN) reicht wird . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Zweitens . Die Allianz wollte die soziale Chancen- Vielen Dank .– Nächster Redner ist Rainer Spiering, gleichheit beim Zugang zur Ausbildung verbessern . SPD-Fraktion . Dazu wurde die Möglichkeit der assistierten Ausbildung geschaffen und im SGB III verankert . Es gab dazu Mo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dellprojekte, in denen sehr gute Erfahrungen gesammelt der CDU/CSU) wurden . Nun lasse ich mal beiseite, dass dafür die Bedin- gungen im SGB III verschlechtert worden sind; es bleibt Rainer Spiering (SPD): trotzdem ein gutes Instrument . Also habe ich mich in der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- Sommerpause umgehört, wie denn jetzt der Start gelun- legen! Ich habe nachgeschaut: Vor fast genau einem Jahr, gen ist . Ich habe mit Unternehmen, mit der Bundesagen- übrigens fast zur gleichen Zeit, habe ich an diesem Red- tur und mit Trägern geredet . Alle haben mir gesagt: Gute nerpult gestanden und Bemerkungen zur universitären Idee, aber wir haben Schwierigkeiten bei der Umsetzung . Lehrerausbildung gemacht . Ich möchte mich ausdrück- 10 000 Plätze sollten geschaffen werden, 5 000 sind es in lich beim Kollegen Feist bedanken, dass er den Ball diesem ersten Jahr geworden, und nicht einmal die konn- aufgenommen hat und das Thema Berufsschule in den ten besetzt werden . Fokus der CDU/CSU-Fraktion gerückt hat . (B) Es ist also offensichtlich schwierig, sowohl Betriebe (Beifall bei Abgeordneten der SPD – (D) als auch Jugendliche davon zu überzeugen, dass eine as- Dr .Thomas Feist [CDU/CSU]: Das steht sistierte Ausbildung ihnen tatsächlich bei den Schwierig- schon im Antrag drin!) keiten helfen kann, die sie sonst hätten, zum Beispiel ihre Auch ich möchte eindringlich begründen, warum das so Ausbildung überhaupt anzutreten oder auch sie erfolg- eminent wichtig ist . reich zu absolvieren . Vielleicht müssen wir bei unseren Anstrengungen noch etwas nachlegen . Vielleicht müssen Ich habe im letzten Jahr die Diskussion hier im Hau- wir überprüfen, ob die Instrumente überhaupt greifen . se verfolgt und festgestellt – Frau Dr . Hein, auch Ihre Anmerkungen belegen das –, dass der Fokus hinsichtlich Vielleicht muss man sich die Konditionen noch einmal beruflicher Ausbildung häufig auf die Nachfrageseite, ansehen . Vielleicht muss man auch anders dafür werben . also auf die der Betriebe, gelegt wird . Wir sollten unseren Vielleicht muss man den bürokratischen Aufwand über- Fokus aber deutlicher auf die ganz starke Seite dessen prüfen usw . richten, was der Staat macht . Ich finde, man muss auch die Erfahrung der Träger, Sie dürfen nie vergessen: Berufsausbildung der Ju- die in der Modellphase gut gearbeitet haben, nutzen . Ich gend ist arbeitsmarktabhängig . Der Arbeitsmarkt kann verstehe überhaupt nicht, warum die Ausschreibungsbe- dabei helfen, den Jugendlichen einen viel besseren Start dingungen so gestaltet wurden, dass viele Modellträger ins Leben zu ermöglichen . Das ist eine Säule . Wir ver- aus der Modellphase keine Chance hatten, wieder den treten eine andere Säule – hinsichtlich der Zuständigkeit Auftrag zu bekommen. Ich finde, da müssen Sie etwas der Länder bin ich übrigens auch nicht Ihrer Meinung –: tun . Sie haben auch noch Zeit . Die nächste Ausschrei- bung endet am 5 .November . Vielleicht können Sie da (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Ist aber noch etwas nachsteuern . so!) Verehrter Herr Dr . Feist, die Berufsschulen zu verän- Staatliche Aufgabe ist die Berufsschulbildung . Wir ha- dern und ihre Qualität zu verbessern, das finden wir auch ben übrigens, wenn ich auch das sagen darf, ein Berufs- wichtig; da sind wir uns einig . Ich muss Ihnen nur sagen: bildungsgesetz, und das ist Bundesangelegenheit . Das ist dummerweise nicht Aufgabe des Bundes; viel- (Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Da kom- mehr unterliegt das der Länderhoheit . men die Berufsschulen nicht vor!) (Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sagen – Wenn Sie möchten, dann können Sie gern eine Zwi- sonst immer nur andere! Sie sonst nie!) schenfrage stellen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12083

Rainer Spiering (A) Was die Unterstützung der Länder oder die Frage der Herzlichen Dank fürs Zuhören . (C) Länderkompetenzen angeht, so möchte ich auf die „Qua- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) litätsoffensive Lehrerausbildung“ eingehen, für die der Bund 500 Millionen Euro frisches Geld freigegeben hat . Darüber hatten nicht die Länder zu entscheiden . Viel- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: mehr konnten sich die Universitäten bewerben . 500 Mil- Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht lionen Euro frisches Geld! Jetzt liegen die Ergebnisse jetzt die Kollegin Beate Walter-Rosenheimer . vor . In 2 von 30 Bewerbungen der Universitäten geht es um Berufsschullehrerausbildung . Eine Bewerbung Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE möchte ich herausgreifen, weil ich sie schon im letzten GRÜNEN): Jahr eingefordert habe: Die TU Berlin, die übrigens einen Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- richtig guten Ruf hinsichtlich der Berufsschullehreraus- nen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Am 1 .Septem - bildung hat, verfolgt ein Projekt, bei dem es um Profes- ber hat ein neues Ausbildungsjahr begonnen – ein wei- sions- und Forschungsorientierung in berufsbezogenen teres Jahr ohne Ausbildungsgarantie, ein weiteres Jahr, Lehramtsstudien geht . Das heißt, die TU Berlin geht auf in dem junge Menschen in Deutschland keine Garantie die Metaebene und hinterfragt: Was passiert eigentlich in auf einen Ausbildungsplatz haben . Diese Ausbildungs- unserem Land? Das ist der richtige Ansatz . Nur wenn wir garantie haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Forschungsergebnisse haben, auch sozialwissenschaftli- der SPD und von der Union, in Ihrem Koalitionsvertrag cher Art, die sich am Beruf orientieren, können wir auch groß angekündigt . Heute wissen wir: Dieses Verspre- Antworten geben . chen haben Sie nicht eingelöst . Auch in den kommenden Wochen werden deshalb wieder Hundertausende junger Ich möchte deutlich machen, warum das für uns alle Menschen in den Maßnahmen des Übergangsdschungels so wichtig ist . Wir sind ein Hightech-Land geworden . landen . Das, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kol- Wir haben in den letzten zehn Jahren im Forschungs- legen, ist für diese jungen Menschen eine herbe Enttäu- bereich elementar viel erlebt und erreicht . Im Bereich schung und, wie ich finde, politisch untragbar. Ingenieurwissenschaften haben wir einen Riesensprung nach vorne gemacht . Berufsschule leistet den Transfer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser Erkenntnisse ins reale Leben . Dabei geht es um die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Kernkompetenz . Berufsschullehrerausbildung beinhaltet Sicher, im Bereich der Ausbildungspolitik hat sich ei- nämlich Berufspädagogik, ‑methodik und ‑didaktik, und niges getan . Das haben wir auch gehört . Wir begrüßen zwar zehn Semester lang zum Beispiel ausdrücklich, dass mit der assistierten Aus- (B) (D) Es geht mir darum, diese Qualität, die wir ehemals bildung – auch auf Druck der grünen Bundestagsfrakti- vorzeigbar weltweit gehabt haben, wieder zu erreichen . on – (Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann (Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh! – Zuruf [SPD]) des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das bedeutet, dass wir wesentlich elementarere Anstren- Recht hat sie!) gungen unternehmen müssen . Wir müssen unsere Uni- versitäten auffordern, in diesem Bereich tätig zu werden . – das finde ich schon – ein sehr sinnvolles Instrument Das ist keine Ländersache, sondern universitäre Sache . ausgebaut wird . Die Universitäten waren frei, sich zu bewerben . Die bisherigen Schritte sind jedenfalls für eine Gro- Daraus, dass zwei Universitäten den Zuschlag be- ße Koalition und eine noch größere Allianz für Aus- und kommen haben, kann man zwei Varianten ableiten . Ers- Weiterbildung ziemlich klein . te Variante: Bei der Berufsschullehrerausbildung an den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Universitäten ist die Welt so in Ordnung, dass es keinen und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ Bedarf gibt . Zweite Variante, über die man auch mal CSU: Och!) nachdenken kann: Die Berufsschullehrerausbildung ist zurzeit nicht unbedingt im Fokus aller Universitäten . – Ja, seien Sie doch nicht so verzagt! Wagen Sie doch Wenn dem so sein sollte, dann ist es Aufgabe dieses Ho- einmal einen großen Wurf! Das wäre auch eine Möglich- hen Hauses, dies zu benennen und sich damit auseinan- keit . derzusetzen, und zwar sowohl mit den Mitteln der poli- Der Zugang zu Bildung ist der Schlüssel zu echter ge- tischen Rede als auch mit den Mitteln eines Haushalts . sellschaftlicher Teilhabe . Das wissen auch Sie . Ich den- Wenn ich Herrn Dr .Feist richtig verstanden habe, hat ke, in diesem Punkt sind wir uns auch einig . Das gilt für er den Ball vom vergangenen Jahr aufgenommen, und er diejenigen, denen das Lernen leichter fällt, und auch für erkennt gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion die ele- diejenigen, die etwas mehr Zeit brauchen . Das gilt ganz mentare und wichtige Bedeutung von Berufsschulen in besonders für die vielen jungen Menschen, die in diesen Tagen als Flüchtlinge zu uns kommen . Auch das ist ein unserem Land . Wenn wir uns in diesem Hohen Hause da- Aspekt bei der beruflichen Bildung. rüber einig sind, dann werden wir auch Mittel und Wege finden, um die Berufsschulen in Zukunft wesentlich stär- Die Hälfte der Flüchtlinge, die jetzt bei uns ankom- ker zu unterstützen, als wir das heute tun . men und in Deutschland Sicherheit und Schutz suchen, 12084 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Beate Walter-Rosenheimer (A) sind unter 25 Jahre alt und brauchen Bildung und Aus- bei der Integration von Flüchtlingen sein großes Potenzi- (C) bildung . al entfalten kann . (Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NIS 90/DIE GRÜNEN]) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das sind nach Schätzungen allein in diesem Jahr etwa Vizepräsidentin Ulla Schmidt: 400 000 bis 500 000 junge Menschen . Das stellt eine Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht gewaltige Herausforderung für unser Bildungssystem jetzt Uda Heller . dar und erfordert schnelles und entschiedenes Handeln . Denn eins ist klar: All diese jungen Menschen werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht einfach wieder verschwinden, auch wenn sich die ordneten der SPD) CSU das scheinbar immer noch anders wünscht . Uda Heller (CDU/CSU): Gerade Ihnen möchte ich sagen: Nehmen Sie doch Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und einmal ernst, was Ihre Freunde bei den Industrie- und Kollegen! Heute findet zeitgleich der erste Bund-Län- Handelskammern, beim Handwerk und den Arbeitgebern der-Sondergipfel zum Thema Flüchtlinge statt . Es ist seit Monaten fast gebetsmühlenartig vortragen: Junge mir daher ein besonderes Anliegen, der aktuellen Flücht- Flüchtlinge bringen Potenzial mit, sie sind wissbegierig, lingsproblematik auch in dieser Debatte zur Berufsbil- sie wollen lernen, sie wollen arbeiten . Gleichzeitig su- dung einen Platz einzuräumen . chen viele Unternehmen händeringend nach Azubis und engagieren sich vorbildlich für Flüchtlinge . Das, liebe Unsere Ministerin, Frau Wanka, hat in der gestrigen Kolleginnen und Kollegen, verdient auch großen Res- Ausschusssitzung schon aufgezeigt, welch wichtige Im- pulse gesetzt werden sollen . So werden beispielsweise pekt . 1,2 Milliarden Euro aus dem Haushalt für Berufsorien- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tierung und Potenzialanalysen eingesetzt . Davon sollen sowie bei Abgeordneten der SPD und der 500 000 Jugendliche und auch Flüchtlinge profitieren. LINKEN) Wir alle kennen die Folgen des demografischen Wan- Von der Bundesregierung wird dieses große Engagement, dels . Mein Bundesland ist davon besonders betroffen: wie ich finde, viel zu wenig unterstützt. Sachsen-Anhalt soll bis zum Jahr 2060 rund ein Drittel seiner Bürger verloren haben . Meine Damen und Herren, Nehmen Sie einmal das Beispiel des Bleiberechts (B) diese Entwicklung spiegelt sich auch deutlich in unserem (D) während der Berufsausbildung . Seit vielen Monaten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wider . Uns allen ist be- fordern wir Sie gemeinsam mit den Sozialpartnern auf, kannt, dass Unternehmen seit Jahren den zunehmenden dafür zu sorgen, dass Asylsuchende und Geduldete wäh- Mangel an Fachkräften und unzureichende Ausbildungs- rend der Ausbildung nicht mehr abgeschoben werden bewerber beklagen . Aus diesem Grund ist die deutsche dürfen . Man kann kaum glauben, was Sie hier liefern . Wirtschaft auf Zuwanderung angewiesen . Wir sollten Schaffen Sie doch endlich eine anständige und rechtssi- diese dramatische Situation als Chance ansehen und un- chere Lösung! seren Flüchtlingen eine Perspektive geben . Gleichzeitig warne ich davor, zu hohe Erwartungen zu wecken . Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mehrzahl der Jugendlichen hat keine Deutschkenntnisse sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und ist nicht auf dem Stand, um sofort in eine Ausbildung Das Gleiche gilt übrigens auch für den Zugang zu eingegliedert zu werden . Hier müssen wir eine Menge Unterstützungsarbeit leisten . Dazu sind wir als Koalition staatlicher Unterstützung während der Ausbildung . bereit . Junge Flüchtlinge sollen schnell in Ausbildung und Ar- beit kommen . Das unterstützen wir voll und ganz . Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fragen uns aber schon, warum Sie so wenig tun, wenn Problematisch ist auch, dass Jugendliche oft nicht an auch Sie dafür sind . Wir fordern Sie deshalb auf: Unter- Ausbildungsstandorten bleiben, die sie als unattraktiv stützen Sie junge Flüchtlinge in der Ausbildung endlich empfinden. Bei meinen Besuchen in gastronomischen ordentlich! Einrichtungen wird mir berichtet, dass Auszubildende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aus dem Ausland ihre Ausbildungsstätten im ländlichen Raum häufig verlassen und in attraktivere Städte wech- Wer von Teilhabe und Integration spricht, liebe Kol- seln . Viele Unternehmen haben dies bereits erkannt und leginnen und Kollegen, der darf über Bildung nicht versuchen, durch wohnortnahe Ausbildung, durch An- schweigen . Lassen Sie Ihren schönen Worten also endlich schlussperspektiven und andere Anreize Auszubildende handfeste Taten folgen! Und sorgen Sie dafür, dass auch zu gewinnen . Hier denke ich beispielsweise an die In- junge Flüchtlinge die Hilfe bekommen, die sie für ihren itiativen und Programme des Handwerks, der Siemens Ausbildungserfolg brauchen; das ist menschlich gebo- AG oder auch an die Ausbildungsprojekte der Deutschen ten, das ist integrationspolitisch wichtig, und das ist auch Bahn für Migranten . volkswirtschaftlich sinnvoll . Lassen Sie uns gemeinsam Neben den großen gibt es auch zahlreiche kleine Un- dafür sorgen, dass das duale System in Deutschland auch ternehmen, beispielsweise den Fahrradhersteller MIFA Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12085

Uda Heller (A) in meiner Heimatregion . Auch dort will man versuchen, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) junge Flüchtlinge über eine Berufsausbildung zu inte- Vielen Dank .– Als letzter Redner zu diesem Tages- grieren . Im Moment versuchen wir, eine Ausbildungs- ordnungspunkt erhält jetzt der Kollege Willi Brase, klasse für Fahrradmonteure am Berufsschulstandort zu SPD-Fraktion, das Wort . bilden . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Besonders freue ich mich auch über die kürzlich un- der CDU/CSU) terzeichnete Erklärung aller 14 Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung . Sie enthält zahlreiche Maß- Willi Brase (SPD): nahmen, damit Flüchtlinge schnellstmöglich in Bildung, Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Ausbildung oder Beschäftigung kommen . Hierfür müs- Kolleginnen und Kollegen! Unser gemeinsamer Antrag sen sich Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften und zur Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit der beruflichen natürlich die Agentur für Arbeit intensiv abstimmen und und der akademischen Bildung zeigt sehr deutlich Wege vernetzen . Meine Damen und Herren, ich denke, wir sind auf, wie wir dies Zug um Zug auch im Sinne von Qualität uns alle einig, wenn ich sage, dass „Menschen in Sprache nach vorne bringen werden. Wenn man sich die berufli- und Arbeit zu bringen … der Schlüssel zum Integrations- che Bildung und die hochschulische Bildung anschaut – erfolg“ ist . auch das, was wir im Bachelor-Bereich mittlerweile an vielfältigen Ordnungen haben –, dann sieht man, dass die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- berufliche Bildung einen Vorteil hat, nämlich den, dass ordneten der SPD) die Ordnungen der über 320 Ausbildungsberufe eine bun- desweite Gültigkeit haben . Diese bundesweite Gültigkeit Die Bundesregierung hat durch zahlreiche Maßnah- sollten wir erhalten und weiter unterstützen . Das ist ein men bereits viel erreicht, um Flüchtlingen den Zugang positives Merkmal . Um die Durchlässigkeit kümmern zum Arbeitsmarkt zu erleichtern . Zum Beispiel haben wir uns . Das haben wir mit den Ländern verabredet und wir das Gesetz zur Aufhebung des Arbeitsverbotes für beschlossen . Es gibt nach wie vor diese zwei wunderba- Asylsuchende und Geduldete verabschiedet . Seit dem ren Wege für die jungen Leute, um bis ganz nach oben 1. August 2015 sind Geduldete, die eine qualifizierte zu kommen . Das wird auch in unserem Antrag deutlich . Berufsausbildung aufnehmen wollen, für die Dauer der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ausbildung vor einer Abschiebung geschützt . Auch die Wartefrist für die Aufnahme einer Beschäftigung wur- Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte – er de auf 3 Monate gekürzt, und nach 15 Monaten entfällt ist auch schon von Vorrednern dargestellt worden –, ist (B) (D) auch die Vorrangprüfung . Die Aufnahme von Praktika die Situation mit den Flüchtlingen . Ich glaube, dass wir sowie der Zugang zu ausbildungs- und berufsbegleiten- ein großes und gutes Instrumentarium haben, um die den Maßnahmen für junge Asylsuchende und Geduldete jungen Flüchtlinge, deren aufenthaltsrechtlicher Status wurde erleichtert . geklärt ist, sozusagen in Qualifizierung zu nehmen. Ich möchte hier für die Einstiegsqualifizierung verbunden Dass sich jedes Engagement für die duale Ausbildung mit Sprachkursen als ein wesentliches Mittel werben . lohnt, zeigt sich beispielsweise daran, dass nach Zeiten Bei der Einstiegsqualifizierung können junge Leute ein sinkender Ausbildungszahlen im Handwerk nun ein An- Stück weit praktisch arbeiten und gleichzeitig Sprach- stieg der Zahl der Lehrverträge verzeichnet werden kann . kurse machen; dies orientiert sich an einer Ordnung der dualen Ausbildung . Wenn wir das in der Allianz mit den Wenn der Anstieg auch nicht allzu hoch ist, so sind auch Arbeitgebern, mit den Unternehmen, mit den Organisa- 2 Prozent etwas . In den ostdeutschen Ländern sind es so- tionen und mit den Arbeitgeberverbänden gemeinsam gar 4,3 Prozent mehr als im Vorjahr . hinbekommen, machen wir etwas sehr Gutes und Sinn- Einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichwertigkeit volles für die jungen Flüchtlinge in unserem Land . Dafür beider Bildungssäulen sind wir kürzlich gegangen, indem möchte ich sehr herzlich werben . wir die Leistungen nach dem AFBG deutlich verbessert (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) und so das Meister-BAföG erhöht haben . Ein weiterer Punkt ist sicherlich die Frage – das haben (Beifall bei der CDU/CSU) wir auch im Antrag formuliert –: Wie schaffen wir es, die Wege des Aufstiegs durch die duale Ausbildung stärker Mit unserem Antrag wollen wir die Qualität und At- bekannt zu machen? Was haben wir an Fortbildungsord- traktivität der Berufsausbildung weiter stärken und junge nungen? Ein Teil der Fortbildungsordnungen ist bundes- Menschen im Ausbildungssystem unterstützend beglei- weit geregelt . Wir haben auch vielfältige Ordnungen, die ten, egal ob Deutsche oder Migranten . Lassen Sie uns in den jeweiligen Industrie- und Handelskammern oder diesen Weg gemeinsam gehen . Ich lade Sie herzlich ein, in den Handwerkskammern, sprich: in den zuständigen unserem Antrag zuzustimmen und die Gleichwertigkeit Stellen, verankert sind . Für mich bedeutet Qualität der beider Bildungssäulen zu befürworten . dualen Ausbildung, diese Aufstiegsmöglichkeiten noch viel stärker als bisher in der Berufsorientierung, in der Vielen Dank . Berufsberatung deutlich zu machen, damit junge Leute (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wissen, welchen wunderbaren Weg sie über die duale 12086 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Willi Brase (A) berufliche Ausbildung gehen können. Das halte ich für Willi Brase (SPD): (C) richtig und notwendig . Am Ende wird alles gut . Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) In diesem Sinne: Glück auf! Lassen Sie mich noch ganz kurz zwei Bemerkungen zur assistierten Ausbildung und zur Unterstützung der (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Bundesländer machen . Die assistierte Ausbildung wird CDU/CSU) von der Allianz ausdrücklich gefordert . Wir haben sie im Frühjahr dieses Jahres hier im Bundestag beschlossen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Man kann bemängeln, dass das noch nicht genug ist; aber Danke .– Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind wenn man sich die Verlautbarung der Allianz zur Betreu- damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes angekom- ung und zur Unterstützung von jugendlichen Flüchtlin- men . gen anschaut, dann sieht man, dass dort die assistierte Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Ausbildung neben anderen Maßnahmen angeführt wird . schusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- (Dr .Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aber die abschätzung auf Drucksache 18/6040 . Der Ausschuss Betriebe machen nicht mit!) empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU – Doch, auch die Betriebe machen mit . und SPD auf Drucksache 18/4928 mit dem Titel „Prin- Schauen Sie sich in der Presse an, was derzeit von Un- zipien des deutschen Bildungswesens stärken – Gleich- ternehmen gesucht und was angeboten wird . Die Indus- wertigkeit und Durchlässigkeit der beruflichen und der trie- und Handelskammern nicht nur in meiner Region, akademischen Bildung durchsetzen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – sondern auch anderswo führen teilweise schon Kurse mit Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Flüchtlingen durch; Ehrenamtliche erteilen dort Spra- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen chunterricht . Das bürgerschaftliche Engagement ist ge- von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke waltig . Es ist gigantisch, was dort abläuft, nicht nur in der angenommen . direkten Betreuung, was Unterkunft, Kleidung und Essen angeht, sondern auch im Hinblick auf die Maßnahmen Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- der Industrie- und Handelskammern . Da kann man nur lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- Danke schön sagen, dass dies so schnell und unmittelbar sache 18/4931 mit dem Titel „Ausbildungsqualität si- vonstattengeht . chern – Gute Ausbildung für alle schaffen“ . Wer stimmt (B) für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen CDU/CSU) der Fraktion Die Linke angenommen . Was die Berufsschulen angeht, Frau Kollegin Hein: Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta- Wir haben 2002 – damals in Anbetracht der Zinserspar- be c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des nisse aufgrund der Versteigerung der UMTS-Frequen- Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- zen – ein Programm aufgelegt und den Ländern Mittel sache 18/4938 mit dem Titel „Mit einer echten Ausbil- gegeben, um die sächliche, technologische Ausstattung dungsgarantie das Recht auf Ausbildung umsetzen“ . Wer der Berufskollegs zu verbessern . Das war ein sehr gutes stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Programm . Ich denke, auch da ist es richtig, wenn wir bei dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim- den Berufsschullehrern anfangen . Wir brauchen zur Qua- men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen . litätssicherung gute Berufsschullehrer . Ich halte das, was Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: Kollege Spiering, Kollege Feist und auch Sie gesagt ha- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema ben, für richtig: Lassen Sie uns das gemeinsam machen! Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Frau Präsidentin, jetzt muss ich noch einen ganz kur- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE zen Satz zitieren, wenn ich darf . LINKE Versöhnung mit Namibia – Gedenken an und Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Entschuldigung für den Völkermord in der Aber wirklich einen kurzen . ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (Heiterkeit) Drucksache 18/5407 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Willi Brase (SPD): Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- Es ist ein ganz kurzer Satz . lung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Koenigs, Uwe Kekeritz, Kordula Schulz-Asche, Es ist immer verdächtig, wenn jemand von kurzen weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Sätzen spricht . NIS 90/DIE GRÜNEN Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12087

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Die Beziehungen zwischen Deutschland und Erstens eine offizielle Entschuldigung durch den Bun- (C) Namibia stärken und unserer historischen despräsidenten und die Bundeskanzlerin, am besten im Verantwortung gerecht werden Rahmen eines Besuchs in Namibia, bei dem vor den Drucksache 18/5385 Nachfahren der Opfer um Vergebung gebeten wird . Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der LINKEN) Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Einige denken vielleicht: Das ist so lange her . Warum Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung müssen wir uns jetzt noch entschuldigen? Es hat etwas mit Anstand zu tun, die Verbrechen der eigenen Vorfah- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ren beim Namen zu nennen und um Vergebung dafür zu die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- bitten . Das gehört zu einem anständigen Verhalten dazu . nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . (Beifall bei der LINKEN) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Niema Movassat, Fraktion Die Linke . Zweitens – und das ist sehr bedeutsam – leiden die Nachfahren der Opfer bis heute an den Folgen des da- (Beifall bei der LINKEN) maligen Völkermordes und insbesondere des Land- und Viehraubs . Noch heute sind fast 80 Prozent ihres ur- Niema Movassat (DIE LINKE): sprünglichen Farmlandes in der Hand von Weißen . Die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwi- Nachfahren der Opfer sind bitterarm und haben keine schen 1904 und 1908 beging das Deutsche Kaiserreich wirtschaftliche Grundlage für ein menschenwürdiges Le- in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem ben . Deshalb ist es notwendig, dass wir auch über eine heutigen Namibia, einen brutalen Völkermord . Bis zu Wiedergutmachung diskutieren . 100 000 Menschen wurden damals ermordet . Es war Generalleutnant Lothar von Trotha, der damals den Ver- (Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE LIN- nichtungsbefehl gegen die Herero erteilte . Ich zitiere ihn: KE]) Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Dabei geht es nicht um individuelle Entschädigungen, Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik . sondern darum, strukturelle Nachteile auszugleichen . Es Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strö- geht darum, diejenigen, deren Vorfahren Land und Vieh men von Blut … genommen wurden und die deshalb bis heute in bitterer Armut leben, zu unterstützen . Die deutschen Truppen trieben daraufhin die Herero, (B) darunter Alte, Frauen und Kinder, in die Wüste und lie- (Beifall bei der LINKEN) (D) ßen sie dort verhungern und verdursten . Die deutschen Die Bundesregierung sollte diese Fragen in einem Kolonialherren steckten Herero und Nama in Konzent- transparenten und ergebnisoffenen Dialog mit der nami- rationslager, deportierten sie und missbrauchten sie für bischen Regierung und den Nachfahren der betroffenen rassistische, pseudowissenschaftliche Experimente . Die Volksgruppen diskutieren . Ich möchte auch darauf hin- deutsche Wirtschaft zog Herero und Nama zur Zwangs- arbeit heran . Doch nicht nur ihre Freiheit, sondern auch weisen, dass es dem internationalen Ansehen der Bun- ihr Land und ihr Vieh wurden ihnen geraubt . desrepublik schaden würde, wenn diese Dinge erst vor internationalen Gerichten landen müssten – egal wie die Dies alles ist über 100 Jahre her . In diesen über Entscheidung dann ausgeht . 100 Jahren hatte kein einziges deutsches Staatsoberhaupt den Mumm und den Anstand, das Wort „Völkermord“ Lassen Sie uns endlich die richtigen Schritte gehen . in den Mund zu nehmen und offiziell um Vergebung zu Der Völkermord wird jetzt von der Bundesregierung bitten. Ich finde das beschämend. auch als solcher bezeichnet . Nun muss die Entschuldi- gung folgen, und der Dialog über Wiedergutmachung (Beifall bei der LINKEN) muss beginnen . Erst in den letzten Jahren bewegte sich endlich etwas: Ich finde es übrigens bedauerlich, dass die Regierungs- 2004 entschuldigte sich die ehemalige Entwicklungsmi- koalition bisher keinen eigenen Antrag zu diesem Thema nisterin Heidemarie Wieczorek-Zeul im eigenen Namen hier vorgelegt hat . Insbesondere von der SPD bin ich erstmals für die Verbrechen . Seit dem letzten Jahr führt enttäuscht; denn in der letzten Legislatur haben Sie noch das Auswärtige Amt einen Dialog mit der namibischen einen recht vernünftigen Antrag mit der Unterschrift des Regierung, in dem es die Definition „Völkermord“ heutigen Außenministers Steinmeier vorgelegt . endlich anerkannt hat . In diesem Jahr schließlich, zum 100 . Jahrestag des Endes der deutschen Kolonialherr- Wir müssen endlich gemeinsam eine Lösung finden schaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika, hat Bun- und dafür sorgen, dass Deutschland seiner kolonialen destagspräsident Lammert unmissverständlich von Völ- Vergangenheit offen ins Auge blickt . Das sind wir den kermord gesprochen . Das alles ist sehr zu begrüßen . Nachfahren der Opfer schuldig . (Beifall bei der LINKEN) Danke schön . Zwei wesentliche Schritte zu einer echten Versöhnung (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- mit Namibia stehen aber noch aus: NIS 90/DIE GRÜNEN) 12088 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: die Deutschland 31 Millionen Euro bereitgestellt hat . (C) Vielen Dank .– Nächster Redner ist Professor Dr . Egon Mit diesen Mitteln werden Maßnahmen der Kommunal- Jüttner, CDU/CSU-Fraktion . entwicklung in den Siedlungsgebieten derjenigen Volks- gruppen finanziert, die unter der deutschen Kolonialherr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schaft besonders gelitten haben . ordneten der SPD) Im kulturellen Bereich – um nur ein weiteres Beispiel Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): zu nennen – gibt es ebenfalls eine gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Namibia . Das bilaterale Kul- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und turabkommen zwischen beiden Ländern umfasst weit- Herren! Während der deutschen Kolonialzeit zwischen reichende Kooperationen in den Bereichen Hochschule, 1884 und 1915 sind in Deutsch-Südwestafrika die Men- Sprachförderung, Medien, Film, Literatur und Sport . schenrechte schwer verletzt worden . Den traurigen Hö- hepunkt stellt die brutale Niederschlagung des Aufstan- Meine Damen und Herren, es ist wohl unbestritten, des der Herero, der Nama und der Damara dar, in deren dass das, was vor 111 Jahren in Namibia geschehen ist, Folge Zehntausende Menschen auf grausamste Weise nach heutigen Maßstäben des Völkerrechts als Völker- umkamen . mord bezeichnet wird . Die Rechtsnorm des Völkermords wurde allerdings erst 1948 geschaffen, sodass ein Rück- Als im August 1904 der Aufstand der Herero nieder- bezug nicht möglich ist und Rechtsansprüche daraus geworfen wurde, floh der größte Teil von ihnen in die auch nicht hergeleitet werden können . Dennoch gibt es fast wasserlose Kalahari-Wüste, wo sie mitsamt ihren Frauen und Rinderherden verdursteten . Von rund 80 000 seit dem 2 .Juni 2014 – das muss man betonen – zwi- bis 100 000 Hereros im Jahre 1904 lebten 1911 nur noch schen dem deutschen Außenminister und der namibi- 15 130 . schen Außenministerin einen politischen Dialogprozess, der einen gemeinsamen Beitrag dazu leisten soll, die Die verbrecherische und menschenverachtende Vor- Fragen der Kolonialzeit zu überwinden und eine würdige gehensweise bei der Niederschlagung der Revolte der Kultur des Gedenkens und Erinnerns an die damaligen Herero war bezeichnend für die Denkweise der damals Gräuel zu finden. Verantwortlichen . Gefangene Herero und Nama wurden von den Deutschen in eigens für sie errichtete Konzentra- Die Gespräche verlaufen, wie aus dem Auswärtigen tionslager gebracht, in denen nicht einmal die Hälfte der Amt zu hören ist, sehr gut, sind aber noch nicht abge- Gefangenen überlebte . schlossen . Diesem Prozess und seinem Ergebnis sollten wir jetzt nicht durch Beschlüsse des Bundestages vor- Die Verurteilung der damaligen Ereignisse ist par- greifen . Vielmehr sollte erst der zwischen den beiden Re- (B) teiübergreifend . So wurden sowohl im Jahre 1989 unter gierungen gefundene Konsens abgewartet und danach im (D) der von der CDU/CSU geführten Bundesregierung als Deutschen Bundestag diskutiert werden . auch im Jahre 2004 unter der sozialdemokratisch geführ- ten Regierung weitreichende Anträge beschlossen, die Ich danke Ihnen . das deutsch-namibische Verhältnis betreffen . In diesen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Anträgen bekennen sich die Antragsteller zu Schuld und Verantwortung und stehen nach wie vor dazu . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Meine Damen und Herren, diese parteiübergreifen- Vielen Dank .– Als Nächster hat jetzt der Kollege Tom den Bekenntnisse machen deutlich, dass sich die Bun- Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . desrepublik Deutschland der historischen Verantwor- tung Deutschlands für die Ereignisse im ehemaligen Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutsch-Südwestafrika bewusst ist, zu ihrer Verantwor- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und tung steht und deshalb besondere Beziehungen zu Nami- Herren! Wir sind uns also hier im Hause einig: Das war bia pflegt. Völkermord . Es war der erste Völkermord im 20 .Jahr - Integraler Bestandteil, tragende Säule und Ausdruck hundert, und es war einer, bei dem wir Schuld auf uns der besonderen Beziehungen zwischen Namibia und geladen haben . Generalleutnant von Trotha, der damals Deutschland ist dabei die Entwicklungspolitik . Erwähnt Verantwortliche, sagte: sei die seither gezahlte Summe der deutschen Entwick- Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, lungshilfe, die etwa 800 Millionen Euro beträgt . Damit mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschos- ist Namibia nicht nur afrikaweit Spitzenreiter deutscher sen . Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, Zuwendungen pro Einwohner, sondern auch das Land, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie das von Deutschland weltweit die höchste Entwicklungs- schießen . hilfeleistung pro Einwohner erhält . Das erfüllt den Tatbestand der wissentlichen und gewoll- Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenar- ten Ausrottung dieses Volkes . beit werden Fachkräfte entsandt und beispielsweise für den Transportbereich Ausbildungsprogramme erarbeitet . Jetzt kann man sagen: Das ist lange her, wir sind uns Das Straßennetz wird verbessert . Bisher wurden etwa einig, und wir haben eigentlich schon alles gemacht .– In 1 000 Kilometer Straßen mit deutscher Unterstützung anderen Versöhnungsprozessen zwischen Ländern, in de- gebaut oder erneuert . Im Jahre 2007 wurde außerdem nen schwerste Verbrechen verübt worden sind – aktuell die deutsch-namibische Sonderinitiative begonnen, für gerade in Kolumbien –, fordern die Opfer immer Wahr- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12089

Tom Koenigs (A) heit, Gerechtigkeit, Entschädigung und die Garantie der Ich glaube – das hat Professor Jüttner richtig gesagt –, (C) Nichtwiederholung . wir brauchen eine ganz besondere Beziehung zu der Re- Wir müssen uns schon fragen, wie weit die Wahrheit publik Namibia . Diese Beziehung muss so besonders und über die koloniale Verantwortung Deutschlands in unse- so intensiv wie mit anderen Staaten sein, deren Angehö- ren Schulen bekannt ist . Wissen wir, dass zum Beispiel rige wir zu Opfern gemacht haben . im Wettlauf um Afrika der damalige Staatssekretär im (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!) Auswärtigen Amt, Bernhard von Bülow, sagte: Ich würde mich freuen, wenn sich das auf allen Ebenen Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber unseres Staates und auch in diesem Parlament ausdrü- wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne . cken würde . Das war unsere Sonne, nicht die Sonne in Afrika . Danke sehr . Wissen wir auch, dass zum Beispiel August Bebel in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesem Hause an dieser Stelle vehement gegen den Ko- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten lonialismus polemisiert hat? der CDU/CSU) (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! Lieb- knecht auch!) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Das ist weitgehend nicht bekannt . Das gehört aber zur Vielen Dank .– Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wahrheit . Das muss in die Schulen . Freitag, SPD-Fraktion . Der zweite Punkt ist Gerechtigkeit . Wie kann man den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nachkommen der Opfer Gerechtigkeit angedeihen las- der CDU/CSU) sen? Ich glaube, da ist sehr vieles nötig: das Anerkennen der Schuld, etwa in einer Resolution dieses Bundestages, Dagmar Freitag (SPD): die Bitte um Entschuldigung, auch durch eine Resolution Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dieses Bundestages, aber vor allem die Wiederherstel- Wir haben heute Abend schon einiges über die deutsche lung der Würde der Opfer . Deshalb muss man die Nach- Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwestafrika, wie es da- kommen der Opfer anhören, und zwar auf Augenhöhe . mals hieß, gehört . Ohne Zweifel gehört dieses Kapitel zu Das ist sehr schwierig . Da gibt es aber ein paar Dinge, den ganz dunklen in der deutschen Geschichte . zum Beispiel die Rückgabe der Schädel, an die man übrigens auf scheußliche Weise gekommen ist und die Natürlich – ich denke, darin sind wir uns hier alle (B) angeblich zu wissenschaftlichen Zwecken – das waren einig – ist es an der Zeit, eine politische und morali- (D) fadenscheinige Gründe – hierhergeschickt worden sind . sche Verantwortung für die Gräueltaten an den Herero, Aber es gibt auch andere Dinge, etwa Austausch oder den Nama und Angehörigen weiterer Volksgruppen zu Zusammenarbeit . übernehmen . Ich glaube, wir sind uns fraktionsübergrei- Dann kommt der schwierige Punkt Entschädigung . fend dieser nicht geringen, sondern sehr großen Verant- Was kann das sein? Richtig: Es geht nicht darum, jedem wortung bewusst . Ebenso sind wir uns – Herr Kollege Nachkommen oder jedem, der behauptet, ein Nachkom- Koenigs, ich stimme Ihnen darin ausdrücklich zu – der me zu sein, 1 000 Euro in die Hand zu drücken . Aber Schuld bewusst, die die kaiserlichen Kolonialtruppen auf eines ist ganz offensichtlich: Wer schon einmal in Nami- sich geladen haben, und ich wiederhole – auch wenn es bia war, der weiß, dass es in Namibia eine fast perfekte heute Abend schon mehrfach festgestellt worden ist –: Rassentrennung gibt . Von den wunderschönen Loggias Der Vernichtungskrieg vor über 100 Jahren war ein gehört keine einzige einem Schwarzen. Sie finden in den Kriegsverbrechen, ja, es war auch Völkermord . Restaurants in Windhuk keinen einzigen weißen Kellner (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ und keinen einzigen schwarzen Gast. Sie finden in den CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Slums in Namibia keinen einzigen Weißen . Das kann NEN) doch kein Zufall sein . Ich glaube, da müssen wir ansetzen . Wir müssen se- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesaußenminis- hen: Da ist noch einiges im Argen . Das ist Rassismus, ter Dr . Frank-Walter Steinmeier nahm Mitte letzten Jah- wenn auch nicht so aggressiv wie damals in Südafrika, res mit seiner namibischen Amtskollegin Gespräche auf den es anzugehen gilt . In diese Richtung müssen wir un- mit dem Ziel, dem deutsch-namibischen Dialogprozess sere Initiativen lenken . neue Dynamik zu geben und endlich die ungeregelten Fragen aus unserer Vergangenheit aufzuarbeiten . Ziel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieses Dialoges ist es, gemeinsam – auf diesem Wort und bei der LINKEN) liegt die Betonung – eine angemessene und natürlich Das darf nicht durch entwürdigenden Paternalismus ge- auch würdige Form des Gedenkens und des Erinnerns schehen oder in der Art: Wir wissen schon, wie es geht . an die entsetzlichen Taten der Vergangenheit zu finden. Vielmehr muss dies mit der Bevölkerung, auch mit der Denn natürlich haben Deutschland und Namibia eine ge- armen Bevölkerung des Landes geschehen und auch mit meinsame Vergangenheit, und diese muss auf der Basis Kritik an der reichen, der weißen Bevölkerung, die das des gegenseitigen Vertrauens aufgearbeitet werden . Ich immer hintanstellt . glaube, die Initiative unseres Außenministers ist sehr 12090 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Dagmar Freitag (A) dazu angetan, genau diese Basis des Vertrauens zu schaf- Zurzeit läuft eine gemeinsame Auswertung dieser Initi- (C) fen . ative von namibischer und deutscher Seite . Eines wurde in unseren Gesprächen in Namibia ganz deutlich – die (Beifall bei der SPD) Kollegen werden das bestätigen können –: Eine Fortset- Die ersten Gespräche verlaufen auf beiden Seiten sehr zung dieser Sonderinitiative über das Jahr 2015 hinaus konstruktiv, aber – und das sollten wir nicht unterschät- würde begrüßt . Ich denke, wenn die Evaluierung posi- zen – sie werden ihre Zeit brauchen . Diese Zeit sollten tiv ist, werden wir uns fraktionsübergreifend – so ist es wir ihnen, denke ich, geben . Denn Sorgfalt geht in dieser jedenfalls verabredet – dafür einsetzen, diese Initiative schwierigen Phase sicherlich vor Schnelligkeit . weiter zu verfolgen . Wichtig ist aus unserer Sicht – auch das möchte ich Zum Schluss noch ein Wort zu den Anträgen der Kol- erwähnen –, dass die namibische Seite mit abgestimmten leginnen und Kollegen der beiden Oppositionsfraktio- Wünschen in die formellen Gespräche mit Deutschland nen . Sie enthalten sehr viele richtige Ansätze und sinn- hineingehen kann . volle Impulse . Aber viele der von Ihnen angesprochenen Elemente sind ohnehin fester Bestandteil des laufenden Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Es gibt Dialogprozesses . Ich sage ganz offen: Ich halte es für bereits einen eng abgestimmten Dialog auf Regierungse- wenig sinnvoll, wenn in dieser sensiblen Phase der Ge- bene . Hinzu kommen – das werden auch die Kolleginnen spräche durch Anträge möglicherweise eine Diskussion und Kollegen aus der SADC-Parlamentariergruppe be- in Gang gesetzt wird, die nicht als ausgesprochen hilf- stätigen können – ausgesprochen gute parlamentarische reich bezeichnet werden könnte . Der Gedanke unseres Beziehungen, nicht nur vonseiten der Präsidenten der Handelns sollte wie ein roter Faden die Versöhnung zwi- beiden Parlamente, sondern auch vonseiten der Fraktio- schen beiden Ländern sein . Das gilt für die Versöhnung nen des Hohen Hauses . zwischen den Ländern genauso wie für die innernamibi- Im Juni dieses Jahres leitete ich als Vorsitzende der sche Versöhnung; denn nach Möglichkeit sollen – auch SADC-Parlamentariergruppe eine Delegationsreise, die das ist wichtig – keine neuen innernamibischen Gräben uns selbstverständlich auch nach Namibia führte; das aufgerissen werden . war in der Gruppe von vornherein völlig klar . Wir hatten Wir sind auf einem wirklich guten Weg, unserer his- dort einen ausgesprochen intensiven Meinungsaustausch torischen Verantwortung gegenüber Namibia – ich sage mit Abgeordneten sowohl der Regierungspartei als auch ausdrücklich: endlich – gerecht zu werden . Daher begrü- der Opposition und mit zahlreichen Vertretern der Regie- ße ich natürlich, dass beide Länder im Rahmen des Di- rung . Dies gilt es unbedingt aufrechtzuerhalten und, wo alogprozesses an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten . möglicherweise noch notwendig, vielleicht auch noch zu Vergangenheit aufarbeiten bedeutet in der Konsequenz, (B) (D) intensivieren . Denn wir dürfen eines nicht unterschätzen: Zukunft zu gestalten . Das ist der Weg unserer beiden All das, was in der Vergangenheit von deutscher Seite in Länder . Namibia geschehen ist, ist bis heute tief im geschichtli- chen Bewusstsein der Menschen im Lande präsent . Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Das heißt, ein offener Diskurs zur deutschen Koloni- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) alvergangenheit ist aus unserer Sicht unverzichtbar . Wir befürworten und unterstützen daher auch eine Vielzahl Vizepräsidentin Ulla Schmidt: von Förderprogrammen im In- und Ausland, die an die Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht Gewalttaten von damals erinnern . Ich will nur beispiel- jetzt Dr . Bernd Fabritius . haft auf Maßnahmen des Auswärtigen Amtes wie die „Aktion Afrika“ oder das Kulturerhaltprogramm ebenso (Beifall bei der CDU/CSU) wie auf die Programme des Goethe-Instituts verweisen . Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): In diesem Zusammenhang ist es für Sie sicherlich auch von Interesse, dass wir einem langgehegten namibi- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schen Wunsch nachkommen, indem wir das Goethe-Zen- Kollegen! Was vor nunmehr 111 Jahren im heutigen Na- trum in Windhuk in ein Goethe-Institut umwandeln und mibia begann, ist sicher mehr als nur ein sehr trauriges damit aufwerten . Kapitel deutscher Kolonialgeschichte . Ein beachtlicher Teil der Historiker sowie letztlich die Aufzeichnungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der deutschen Kolonialherren selbst zeichnen ein bruta- der CDU/CSU) les Bild des Grauens . Nachdem es zu einem Aufstand der Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Nachgang des unterdrückten Völker und des damaligen Deutsch‑Süd- westafrikas kam, rächte sich die sogenannte deutsche 100 .Jahrestages der Schlacht am Waterberg und der be- Schutztruppe gnadenlos und rottete mit menschenver- reits zitierten Äußerungen der damaligen Entwicklungs- achtender Konsequenz beträchtliche Teile der Stämme ministerin Heidi Wieczorek-Zeul wurde die Sonderiniti- aus . ative „Namibian-German Special Initiative Programme“ ins Leben gerufen . Diese Sonderinitiative hat das Ziel, Im vergangenen April haben wir in einer anderen durch mit der Bevölkerung abgestimmte Projekte die Le- Debatte hier im Haus über das erbarmungslose Vorge- bensbedingungen in den Siedlungsgebieten derjenigen hen des Osmanischen Reiches gegen die Armenier vor Volksgruppen zu verbessern, die in besonderer Weise 100 Jahren gesprochen . Dabei wurde festgehalten, dass unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben . die UN-Völkermordkonvention, die erst 1951 in Kraft Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12091

Dr. Bernd Fabritius (A) getreten ist, selbstverständlich hinsichtlich ihrer Rechts- so weitergeht, zu einem Kollaps staatlicher Systeme füh- (C) folgen nicht rückwirkend angewendet werden kann . ren wird . Sie verweigern sich einer Realpolitik zu dieser Gleichzeitig haben wir aber einhellig bekräftigt, dass die Thematik, erschöpfen sich in Symbolpopulismus und be- in der Konvention enthaltene Definition von Völkermord schäftigen uns mit solchen Anträgen, die nur eine weitere keine zeitlich beschränkende Komponente beinhaltet . emotionale Betroffenheit befeuern sollen . Dem kann ich Deshalb haben wir damals klar gesagt, dass die an den nicht zustimmen . Armeniern verübten Verbrechen den Tatbestand des Völ- kermordes erfüllen und daher selbstverständlich als Völ- (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel kermord zu bezeichnen sind . [DIE LINKE]: Das sind schon böse Unterstel- lungen! Das sind sehr mutwillige Unterstel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . lungen!) Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Was Sie in Ihren Anträgen leider auch ausblenden, auch wenn Sie, Herr Kollege Movassat, es vorhin zu- Lassen Sie es mich an dieser Stelle ganz klar sagen: Selbstverständlich muss bei Beurteilung der Verbrechen gegeben haben: Parallel zu dem angesprochenen Di- im damaligen Deutsch‑Südwestafrika derselbe Maßstab alogprozess findet seit vielen Jahren gerade wegen der angelegt werden . Das Vorgehen der Kolonialtruppen besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber unter dem berüchtigten General von Trotha erfüllt bei Namibia eine ausgeprägte Entwicklungszusammenar- genauer Betrachtung und nach heutigen Erkenntnissen beit statt . Diese ist integraler Bestandteil der besonderen den gleichen Tatbestand und kann daher – so meine fes- Beziehungen beider Länder, was auch im Umfang der te Überzeugung – ebenfalls als Völkermord bezeichnet deutschen Leistungen deutlich zum Ausdruck kommt: werden . Bis zum Jahr 2014 belief sich das Volumen der Entwick- lungszusammenarbeit auf insgesamt über 800 Millionen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Euro . des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar – damit Bereits in besagter Debatte im April habe ich daran erinnert, dass eine wahrheitsgetreue, kritische Auseinan- komme ich zum Ende –, dass die bilateralen Beziehungen dersetzung mit der jeweils eigenen Geschichte Grundlage zu Namibia weiterhin so hohe Priorität genießen . Noch jedweder Versöhnung ist . Ein solcher Aufarbeitungspro- mehr freut es mich, dass in den vergangenen Jahren ge- zess ist in Bezug auf die Verbrechen, die an den Herero, radezu freundschaftliche Bande zwischen unseren beiden Nama und anderen Völkern verübt wurden, seit länge- Ländern aufgebaut werden konnten . Gerade deshalb bin rem im Gange . Das eindeutige Bekenntnis zur deutschen ich sehr zuversichtlich, dass der laufende Dialogprozess (B) Verantwortung hat auch der Bundestag bereits 1989 und zeitnah und vor allem mit einem positiven Ergebnis im (D) 2004 bekräftigt, was Sie, Herr Kollege Jüttner, schon zu Sinne einer angemessenen Aufarbeitung abgeschlossen Recht erwähnt haben . werden kann . Die Anträge der Opposition brauchen wir dazu nicht, erst recht nicht zum jetzigen Zeitpunkt . Nicht nur aus diesem Grund bin ich allerdings über den Zeitpunkt der Einbringung der Oppositionsanträge Danke . etwas verwundert . Auch die Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken müssten wissen, dass derzeit (Beifall bei der CDU/CSU) ein Dialogprozess zwischen Deutschland und Namibia in die entscheidende Phase geht, in dem gemeinsam eine Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ganze Reihe der von Ihnen zu Recht – das betone ich – Vielen Dank .– Wir sind damit am Ende der Ausspra- vorgebrachten Punkte thematisiert werden . Am Ende die- che . ser intensiv und erfreulich konstruktiv geführten Gesprä- che soll ein würdiges Gedenken, ein würdiges Erinnern Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen an die damaligen Verbrechen gefunden werden . Es wäre auf den Drucksachen 18/5407 und 18/5385 an die in der äußerst unklug – hier teile ich ebenfalls die Meinung des Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Kollegen Jüttner –, den Ergebnissen dieses Dialogpro- Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . zesses vorzugreifen . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Ihre Anträge verwundern auch aus einem anderen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Grund: Es gibt in Afrika nun wahrlich eine ganze Rei- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- he akuter Probleme zu bewältigen . Von Somalia über gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berei- Boko Haram bis hin zu den Nachwehen des sogenann- ten Arabischen Frühlings reicht die Bandbreite, um nur nigung des Rechts der Lebenspartner einige dieser Probleme zu nennen . In Europa wiederum Drucksache 18/5901 stehen wir derzeit vor der größten Herausforderung für Überweisungsvorschlag: Staat und Gesellschaft seit Jahrzehnten . Die Asylkrise in Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Deutschland ist Symptom einer humanitären Katastro- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend phe gigantischen Ausmaßes . Wir werden mit einer Völ- kerwanderung konfrontiert, auf die unser Asylrecht – als Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Individualanspruch für einzelne Personen und nicht für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- ganze Völker – nicht eingerichtet ist und die, wenn es nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . 12092 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ich eröffne die Aussprache . Für die Bundesregierung Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- (C) hat der Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange minister der Justiz und für Verbraucherschutz: das Wort . Nein, das gestatte ich nicht; denn ich bringe den Ge- setzentwurf der Bundesregierung ein . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten hier mal erläutern, wa- Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- rum da was drinsteht und anderes nicht!) minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Der Gesetzentwurf sieht gleichstellende Regelungen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten für Ehe und Lebenspartnerschaft in zahlreichen Gesetzen Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregie- und Verordnungen aus ganz unterschiedlichen Rechtsge- rung ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zum Ziel der bieten vor . Die vorgeschlagenen Änderungen betreffen vollständigen Gleichstellung von Ehe und Lebenspart- insbesondere das Zivilrecht, das Sozialrecht und das Ver- nerschaft . fahrensrecht . (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE Ich möchte hervorheben, dass der Entwurf mehrere GRÜNEN]: Ich dachte, es geht um Rechtsbe- Änderungsvorschläge enthält, die durchaus sehr große praktische Auswirkungen entfalten, zum Beispiel die reinigung!) geplante Einführung einer Bescheinigung zur Begrün- In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften werden dung einer Lebenspartnerschaft im Ausland . Der Ge- Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft setzentwurf sieht die Möglichkeit der Ausstellung einer sind . Die Bundesregierung verfolgt daher das Ziel, be- Bescheinigung für gleichgeschlechtliche Paare vor, die stehende Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen im Ausland eine Partnerschaft auf Lebenszeit begründen Lebenspartnerschaften und damit eine unterschiedliche wollen . Die Behörden einiger Staaten verlangen näm- Behandlung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen lich eine Bescheinigung einer deutschen Behörde, dass Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen zu been- der Begründung einer Partnerschaft auf Lebenszeit kein den . Dies umfasst insbesondere die Beseitigung rechtli- rechtliches Hindernis entgegensteht . Eine deutsche Be- cher Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspart- scheinigung ist daher notwendig . Ihre Einführung ent- spricht nicht nur dem Wunsch der Betroffenen; auch die nerschaften im Vergleich mit der Ehe schlechterstellen . deutschen Auslandsvertretungen haben einen entspre- Lebenspartnerschaften – in kaum einem anderen Be- chenden Bedarf mitgeteilt . (B) (D) reich des Rechts dürfte es in den letzten Jahren einen Als wichtigen Schritt auf dem Weg hin zur vollständi- so erheblichen und rasanten gesellschaftlichen Wandel gen Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft und, damit verbunden, eine Änderung des Rechts gege- sehe ich ferner, dass mit dem Inkrafttreten des Gesetzes ben haben . Diese Entwicklung dauert noch an . Erst seit eine Gleichstellung im gesamten Mietrecht erreicht wird . dem 1 .August 2001 können gleichgeschlechtliche Paare Dann wird nämlich beim Tod eines Mieters dessen Le- durch Begründung einer Eingetragenen Lebenspartner- benspartner ein vorrangiges Eintrittsrecht in das Miet- schaft ihrer Beziehung einen rechtlichen Rahmen ge- verhältnis zustehen . Nach derzeitigem Recht hat nur ein ben, nicht einmal zehn Jahre nach der ersatzlosen Auf- Ehepartner ein solches vorrangiges Eintrittsrecht . hebung der Strafandrohung in § 175 Strafgesetzbuch . Sie sehen: Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir Um die Schlechterstellung von Lebenspartnerinnen und auf dem Weg der vollständigen Gleichstellung der Le- Lebenspartnern zu beseitigen, wurden in der Folgezeit benspartnerschaft mit der Ehe ein Stück weiter . weitere Anpassungen, unter anderem im Steuerrecht und im Beamtenrecht, vorgenommen . Noch immer gibt es je- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten doch im deutschen Recht Vorschriften, in denen Ehe und der CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜND- Lebenspartnerschaft unterschiedlich behandelt werden, NIS 90/DIE GRÜNEN]: „Ein Stück“ und ohne dass dafür ein überzeugender Grund ersichtlich „vollständig“! Die Formulierung ist ja kaba- rettreif!) wäre, und genau das wollen wir ändern . Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bitte (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ich um Ihre Zustimmung . Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat Herzlichen Dank . nach der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsur- teils zur Sukzessivadoption im letzten Jahr nunmehr den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechts der der CDU/CSU) Lebenspartner auf den Weg gebracht . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank .– Nächster Redner ist Harald Petzold, Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage Fraktion Die Linke . des Kollegen Beck? (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12093

(A) Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): aber kommen uns hier wieder mit einem Gesetzentwurf, (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und den Sie noch dazu als großen Wurf feiern, der nicht Herren! Sehr verehrte Besucherinnen und Besucher! Der gleichstellt – im Gegenteil . Sie schreiben ja selbst: vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um redakti- Rechts der Lebenspartner, wie er genannt wird, ist aus onelle Änderungen von Vorschriften von geringerer Sicht meiner Fraktion eine einzige Mogelpackung . praktischer Bedeutung . (Beifall bei der LINKEN) Genau das ist es . Er täuscht etwas vor, was er im Endeffekt nicht einhält . (Mechthild Rawert [SPD]: Mietrecht ist nicht so ohne!) (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er bereinigt!) Die Bundesländer – wenigstens diejenigen mit Regie- rungsbeteiligung von SPD, Grünen und Linken – haben – Na ja . Volker, du wirst uns nachher noch ganz ge- inzwischen begriffen, dass man das Problem mit einem nau erklären, was er bereinigt .– Ich sage: Man könnte es einzigen Satz lösen könnte: der Öffnung der Ehe für auch Betrug nennen . gleichgeschlechtliche Partnerschaften . (Widerspruch bei der CDU/CSU und der (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Es ist bezeichnend, dass sich Herr Staatssekretär ten der CDU/CSU) Lange als Vertreter eines SPD-geführten Bundesministe- Genau das hat die Linke bereits im Dezember 2013 mit riums hier weigert, eine Zwischenfrage zu dem Gesetz- einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, der seitdem im entwurf zuzulassen, Rechtsausschuss zur Behandlung vorliegt, genauso wie es Bündnis 90/Die Grünen in diesem Sommer beantragt (Mechthild Rawert [SPD]: Ein bisschen auf haben; ihr Gesetzentwurf liegt ebenfalls im Rechtsaus- dem Teppich bleiben! – Bernhard Kaster schuss . Sie haben immer mit dem Verweis darauf, dass [CDU/CSU]: Das ist jedermanns Sache! – die Bundesregierung einen eigenen Gesetzentwurf ein- Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE bringen wird, eine öffentliche Anhörung zu unseren Ge- GRÜNEN]: Dann hätte er die Hosen runter- setzentwürfen verhindert oder verschoben, lassen müssen!) (Dr . Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: weil nämlich die SPD im Wahlkampf versprochen hat: Kommt doch jetzt!) (B) 100 Prozent Gleichstellung nur mit uns . (D) und jetzt legen Sie hier einen solchen Witz vor . (Mechthild Rawert [SPD]: Das wollen wir (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ja eine immer noch!) Sauerei!) Jetzt wird wieder ein Gesetzentwurf vorgelegt, der Kommenden Freitag werden die Bundesländer uns nicht vollständig gleichstellt . Das ist ein Betrug an all wieder ins Stammbuch schreiben, was eigentlich ver- denjenigen, die an die Umsetzung des Koalitionsvertra- langt wird, nämlich die volle rechtliche Gleichstellung . ges glauben und auf das vertrauen, was dort zugesichert Die Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, wird, dass nämlich bestehende Diskriminierungen von Schleswig-Holstein, Thüringen, Bremen, Hamburg, gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – alles Bundes- Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen ge- länder, in denen die Linke, die SPD und die Grünen an sellschaftlichen Bereichen beendet werden . der Regierung beteiligt sind – werden einen entsprechen- (Mechthild Rawert [SPD]: Daran arbeiten wir den Gesetzentwurf vorlegen . Brandenburg wird dem als noch!) neuntes Bundesland ebenfalls zustimmen . Damit ist die Mehrheit gesichert . Dieser Gesetzentwurf ermöglicht die Das wird mit diesem Gesetzentwurf nicht eingehalten . Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare durch Ich frage Sie: Ist es Ihnen nicht peinlich, dass Sie die Ergänzung des § 1353 des BGB . Umsetzung des Koalitionsvertrages nicht einmal von Ih- (Beifall bei der LINKEN) rem SPD-geführten Bundesministerium einfordern, ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD? Wenn Sie hier im Bundestag die Abstimmung schon nicht freigeben, sodass jeder Abgeordnete nach seinem (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Gewissen abstimmen kann, dann nehmen Sie sich doch NIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck (Köln) wenigstens ein Beispiel an dem Abstimmungsverhalten, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bankrotter- das im Bundesrat gepflegt wird. Wenn sich dort eine Ko- klärung!) alitionsregierung nicht einig ist, dann enthält sie sich . An die Bundesregierung gerichtet, sage ich: Wir ha- Enthalten Sie sich hier doch einfach der Stimme, wenn ben jetzt die Halbzeit der Wahlperiode . Sie feiern sich als über die Gesetzentwürfe von Grünen und Linken abge- stimmt wird! Dann reichen unsere Stimmen nämlich aus . Bundesregierung rauf und runter, Dann haben wir eine Mehrheit dafür, dass endlich gleich- (Zurufe von der CDU/CSU: Zu Recht!) gestellt werden kann . 12094 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Harald Petzold (Havelland) (A) Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Her- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) ren . Frau Kollegin, der Kollege Beck möchte Ihnen eine Frage stellen . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Ich folge der Tradition des Staatssekretärs und möchte Vizepräsidentin Ulla Schmidt: diese Frage nicht zulassen . Vielen Dank .– Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Dr .Sabine Sütterlin-Waack . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Der Kollege Beck hat danach auch noch das Wort . Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Koalition nicht in der legen! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Be- Lage ist, ihren Gesetzentwurf zu verteidigen!) reinigung des Rechts der Lebenspartner, den wir heute in erster Beratung lesen, ist ein weiterer wichtiger Schritt zur rechtlichen Gleichstellung von Ehegatten und Le- Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): benspartnern; der Herr Staatssekretär hat das ausgeführt . Heute geht es überwiegend um redaktionelle Ände- Die Bundesregierung hat ein Artikelgesetz ausgearbeitet rungen von Vorschriften des Zivil- und Verfahrensrechts ähnlich dem Gesetz zur Anpassung steuerlicher Regelun- sowie des sonstigen öffentlichen Rechts . So sieht der Ge- setzentwurf gleichstellende Regelungen unter anderem gen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- in der Insolvenzordnung, im Bereich der Vollstreckung, richts, das wir im letzten Jahr verabschiedet haben . im Bundesvertriebenengesetz sowie in vielen anderen (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE Gesetzen und Verordnungen vor . Konkret heißt es zum GRÜNEN]: Dafür haben Sie gleich zwei Ge- Beispiel, dass die Vorschriften bezüglich der Insolvenz- setze gebraucht, weil es im ersten Anlauf nicht masse nicht nur für die ehelichen Partner, sondern auch geklappt hat!) für die Gütergemeinschaft der Lebenspartner gelten . Darüber hinaus wird geregelt, dass ein eingetragener Mithilfe des Gesetzes sollen Vorschriften verschiedens- Lebenspartner gegenüber seinem Partner nun auch die ter Rechtsbehelfe angepasst werden, Vorschriften, in de- einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bean- (B) nen Ehegatten und Lebenspartner bislang unterschiedlich tragen kann, allerdings nur, wenn diese der Aufhebung (D) behandelt wurden . der Miteigentümergemeinschaft dient und Kinder sonst in Mitleidenschaft gezogen werden würden . Ansprüche Gleich vorweg: Die gemeinsame Adoption durch aus dem Bundesvertriebenengesetz können dem Gesetz- gleichgeschlechtliche Paare sowie die Öffnung der Ehe entwurf folgend jetzt nicht nur durch Ehegatten, sondern stehen heute nicht zur Debatte bzw . sind – wenig über- auch durch die eingetragenen Lebenspartner geltend ge- raschend – nicht Regelungsgegenstand des vorliegenden macht werden . Gesetzentwurfs . In einigen wenigen Fällen gab es sogar Besserstellun- (Mechthild Rawert [SPD]: Was nicht ist, kann gen der Lebens- gegenüber den Ehepartnern . ja noch kommen!) (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE Der Entscheidungsfindung mit Blick auf diesen Ge- GRÜNEN]: Das ist Quatsch!) setzentwurf und einige andere Gesetzentwürfe wird Auch diese werden nun beseitigt . So wird künftig nicht sicherlich die öffentliche Anhörung am kommenden nur die Begründung der doppelten Ehe, sondern auch die Montag dienen . Dem Kenner der Materie wird nicht Eingehung der doppelten Lebenspartnerschaft strafbar entgangen sein, dass uns vor einigen Monaten ein Ar- sein . Wir beraten also heute keine spektakulären, aber tikelgesetz, eingebracht von der Fraktion Bündnis 90/ dennoch wichtige Änderungen . Die Grünen, vorgelegt wurde, das eine höhere Anzahl an zu verändernden Gesetzen zum Inhalt hat . Aus diesem (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie das Frau Kramp‑Kar- quantitativen Unterschied lässt sich nun aber wirklich renbauer gleich durchgeben?) nicht der Schluss ziehen, die Regierungskoalition wol- le weitere Ungleichheiten bewusst aufrechterhalten . Das Besonders hervorheben möchte ich die Änderung im wäre falsch . Personenstandsgesetz sowie die Änderung im BGB im Bereich des Mietrechts . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Im Personenstandsgesetz ist ein bisher wichtiger Sachverhalt nicht geregelt, nämlich das Ausstellen von Fast alle im vorliegenden Gesetzentwurf ungeregelten Ehefähigkeitszeugnissen für diejenigen, die im Ausland Angleichungen werden auf andere Art und Weise regu- eine Partnerschaft auf Lebenszeit mit einem gleichge- liert, teils durch Wegfall, teils durch grundlegende Über- schlechtlichen Partner begründen wollen . Bisher war das arbeitung der entsprechenden Gesetze . Ausstellen solcher Zeugnisse den Ehewilligen vorbehal- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12095

Dr. Sabine Sütterlin-Waack (A) ten . Eine derartige Bescheinigung ist in einigen Staaten Welches Defizit haben homosexuelle Menschen, dass (C) eine Voraussetzung, um zu heiraten oder die Partner- beim Sprengstoffgesetz für Ehegatten und Lebenspartner schaft eintragen zu lassen . Deswegen ist die Neuregelung ein anderes Recht gelten soll? des § 39 a Personenstandsgesetz sehr zu begrüßen . Durch diese Vorschrift wird es dem zuständigen Standesamt (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- künftig möglich sein, ein Äquivalent zum Ehefähigkeits- NEN]: Das ist unglaublich!) zeugnis auszustellen . Haben Sie sich etwas dabei gedacht, oder haben Sie ein- Wir haben es schon gehört: Eine weitere Änderung, fach den Überblick verloren? die ich ausdrücklich erwähnen möchte, ist die Ergänzung Dass Sie den Überblick verloren haben, mag schon im Mietrecht . Konkret: Jetzt können Lebenspartner ge- sein . Wir haben im Mai nachgefragt, ob die Bundesre- nau wie Ehepartner nach dem Tod des alleinigen Mieters gierung weiß, wie oft das Lebenspartnerschaftsrecht seit vorrangig vor den Kindern in den Mietvertrag eintreten . 2001 geändert wurde . Die Bundesregierung konnte das Wir gehen also mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht sagen . Mittlerweile wissen die Ressorts nicht mehr, den seit 2001 beschrittenen Weg weiter, Lebenspartner wann und wo sie etwas angeglichen haben oder wo sie und Ehegatten rechtlich gleichzustellen . bei einer Reform etwas vergessen haben, was hinterher Vielen Dank . wieder angeglichen werden muss . Das zeigt: Das Herum- doktern am Lebenspartnerschaftsgesetz sollte ein Ende (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben . Nehmen Sie sich an der großen Zahl der Länder ein Beispiel, und öffnen Sie die Ehe! Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Volker Beck, und bei der LINKEN) Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Das wäre ein Beitrag zur Entbürokratisierung, und das (Dr .Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: End- würden die Menschen verstehen . Wie wollen Sie eigent- lich! – Mechthild Rawert [SPD]: Jetzt sind wir lich den vielen Menschen, die gerade zu uns kommen, aber neugierig!) erklären, was den Gesetzgeber getrieben hat, ein Le- benspartnerschaftsgesetz zu verabschieden, und was es Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beinhaltet? Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war ein Beispiel für Feigheit vor der Wahrheit, wenn Koaliti- (Dr . Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: (B) onsredner nicht Rede und Antwort stehen wollen zu der Die Flüchtlinge haben andere Probleme!) (D) Frage Lassen Sie uns die Ehe öffnen . Jeder weiß, was darunter (Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was zu verstehen ist . Von Finnland bis Südafrika, von Kanada wollten Sie denn fragen? Wir sind schon sehr bis Argentinien gibt es die Ehe für gleichgeschlechtliche gespannt!) Paare . Was läuft in diesem Land verkehrt, dass das bei uns nicht möglich sein soll? – das will ich gerade sagen; vielleicht kann der Anschluss- redner das aufklären –, warum bestimmte Regelungen Frau Kramp-Karrenbauer, Ihre Parteivorsitzende im in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthalten Saarland, hat kürzlich vor Publikum erklärt, worum es sind, inwiefern das Recht da bereinigt wird, wie es in der geht . Ja, es ginge um Bauchgefühl .– Ich sage Ihnen: Es Überschrift des Gesetzentwurfs heißt, und warum andere wäre ganz schön, Frau Merkel kaufte sich einen Kamil- Regelungen darin fehlen . Es ist ja nicht so, dass dieses lentee, widmete sich der Besserung ihrer Stimmung im Gesetz konkurrenzlos ist . Sie haben es erwähnt: Ein Ge- Bauch setzentwurf meiner Fraktion, der tatsächlich Schluss ma- chen würde mit allen Rechtsungleichheiten zwischen der (Mechthild Rawert [SPD]: Magen!) Lebenspartnerschaft und der Ehe, liegt seit einem Jahr im und sagte auch bei diesem Thema: Ja, gleiche Rechte für Rechtsausschuss . Sehen wir einmal von dem Streit beim Lesben und Schwule, Respekt vor der Verschiedenheit Adoptionsrecht ab, bleiben trotzdem noch einige Fragen der Menschen . Wir schaffen das . offen: Warum werden die Schutzrechte im Transsexuel- lengesetz, die für Ehegatten gelten, nicht auf Lebenspart- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ner übertragen? und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold (Havelland) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: [DIE LINKE]) Vielen Dank . – Als Nächster hat Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . Warum wird bei der Einbürgerung des Lebenspartners eines Spätaussiedlers – das interessiert vielleicht Herrn (Beifall bei der CDU/CSU) Fabritius – ein anderes Recht angewandt, als wenn beide verheiratet wären? Alexander Hoffmann (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) nen und Kollegen! Kollege Beck, ich habe Ihren Einwurf 12096 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

Alexander Hoffmann (A) bezüglich der Flüchtlingssituation nicht so recht verstan- Wir wollen Gleichstellung, wenn auch – das gebe ich (C) den . zu – mit einer unterschiedlichen Bezeichnung . Wir wol- len uns die Zeit nehmen, uns die Gesetze vorzunehmen . (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich schon!) (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und warum nicht beim Die Zuwanderungssituation stellt uns im Moment vor Sprengstoffgesetz?) besondere Herausforderungen. Ich finde es wichtig, dass auch die Regierungskoalition keinerlei Zweifel daran Und Sie wollen – Kollege Beck, das war doch Ihr neues- ter Antrag – eigentlich die Ehe für alle öffnen und deswe- lässt, dass die Menschen, die in diesen Tagen zu uns kom- gen alle Zweifel beseitigen . men, unser Rechtsgefüge, unsere Rechtsordnung akzep- tieren müssen . Dazu gehört auch, dass gleichgeschlechtli- (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE che Menschen bei uns in Form einer Lebenspartnerschaft GRÜNEN]: Aber warum machen Sie das mit gegenseitige Verantwortung auf Lebenszeit übernehmen der Gleichstellung so unvollständig? Hat das können. Aber, Herr Kollege Beck, Sie pflichten mir si- einen Sinn? Haben Sie sich etwas dabei ge- cher bei, dass das eine große Herausforderung sein wird, dacht?) weil es gerade im muslimischen Kulturkreis noch das Aber dass eine gleichgeschlechtliche Lebenspartner- eine oder andere Vorurteil zu beseitigen gilt . schaft etwas anderes ist als eine Ehe, (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen, wenn Sie die GRÜNEN]: Das machen wir am Sprengstoff- Differenzierung im Sprengstoffgesetz erklä- gesetz fest!) ren müssen!) sagt zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht . Am Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass 7 . Mai 2013 bestätigte es, dass das Institut der Ehe allein wir heute die Gelegenheit haben, über dieses Thema zu der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehalten ist . debattieren . Es ist ein Thema, das sensibel ist und Emo- (Mechthild Rawert [SPD]: Aber der Gesetz- tionen betrifft . Deswegen ist es wichtig, dass wir darüber geber kann es ändern!) reden und nicht nur etwas aufschreiben und zu Protokoll Man beachte die Wortwahl: „vorbehalten“ . geben . Was mich an dieser Debatte grämt – das will ich ganz offen sagen –, ist, dass die Opposition heute wieder Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben seit keine Gelegenheit ausgelassen hat, das Bild von einer Jahren über Gleichstellung gesprochen . Mit der Verwen- (B) (D) Union zu zeichnen, die offensichtlich durchsetzt ist von dung des Wortes „Gleichstellung“ haben wir immer be- stätigt, dass wir dem Grunde nach davon ausgehen, dass homophoben Spinnern . es sich um verschiedene Konstellationen handelt, die wir (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja!) gleichwertig behandeln wollen . Wenn man im Duden, wenn man in Wikipedia nach dem Begriff „Gleichstel- Wenn man genau hinsieht, dann muss man ehrlich sagen: lung“ forstet, dann findet man folgende Erklärung: Es ist Über 90 Prozent der Regelungen, die wir heute verab- die „Angleichung der Lebenssituation von im Prinzip als schieden, können Sie unterschreiben . Warum kann man gleichwertig zu behandelnden Bevölkerungsgruppen“ – an der Stelle nicht fernab von jeglicher Parteipolitik sa- gleichwertig zu behandeln, aber eben nicht gleich . gen: „Mensch, das ist ein gewaltiger Schritt in die rich- tige Richtung“? (Mechthild Rawert [SPD]: Ich wusste schon immer, warum ich Frauenpolitikerin bin! – (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE Weil es kein gewaltiger Schritt ist, Herr Kol- GRÜNEN]: Wikipedia als Rechtsquelle!) lege!) Dinge, die gleich sind, können wir gleich bezeichnen . Das ist ein Schritt in die richtige Richtung . Es sind über Bei Dingen, die gleichwertig sind, schadet eine unter- 31 Gesetze, die heute ihre Überarbeitung finden. schiedliche Bezeichnung aber doch nicht . (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Petzold (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Havelland) [DIE LINKE]: Das ist kein ge- Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sei denn, die Leute müssen ei- waltiger Schritt!) nen Antrag auf Grenzübertritt stellen!) Man muss konstatieren: Wir sind uns doch im Ergeb- So sind wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, über Jah- nis einig . Wir alle wollen nicht, dass Menschen aufgrund re hinweg an dieses Thema der Antidiskriminierung, der ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden . Gleichstellung herangegangen – so wie bei Mann und (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Frau, die unterschiedlich bezeichnet werden, die aber bei Mechthild Rawert [SPD]) uns über genau dieselben Rechte verfügen . Wir wollen Gleichstellung . Das Einzige, was uns im Mo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ment noch unterscheidet, liebe Kolleginnen und Kolle- Erst in den letzten Monaten hat ein Schwenk stattge- gen, ist der Weg dorthin . funden, vielleicht unter dem Eindruck eines gesellschaft- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12097

Alexander Hoffmann (A) lichen Mainstreams . Und jetzt ist die Diktion: Wir wollen die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele unterlaufen, (C) die Ehe für alle . – ignoriert und torpediert werden . Man müsste erwarten – (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE ja, man sollte es –, dass das Wohl aller Deutschen ein- GRÜNEN]: 1989 habe ich die Ehe für alle schließlich der Schwulen und Lesben Richtschnur des zum ersten Mal gefordert!) Handelns ist, und zwar im Kanzleramt, bei der Kanzlerin . Ich empfehle uns: Nehmen wir uns die Zeit, zu einer ech- Warum sage ich das? Ich wiederhole, was ich schon ten Gleichstellung zu kommen . Ich glaube, das ist sehr im Frühjahr gesagt habe: Schon seit Sommer 2014 lag im Interesse aller Beteiligten . der entsprechende Gesetzentwurf im Kanzleramt . Ich Ich freue mich auf die weitere Beratung und bedanke frage: Warum hat ihn Frau Merkel bis zum Koalitions- mich für die Aufmerksamkeit . gipfel im Frühjahr 2015 in ihrem Hause blockiert? Und (Beifall bei der CDU/CSU) warum hat Frau Merkel die Bedenkenträger und Bewah- rer miefiger Intoleranz weitere sieben Monate das Ver- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: fahren verzögern lassen? Vielen Dank .– Als letzter Redner zu diesem Tages- Warum geht es mit dem Nationalen Aktionsplan gegen ordnungspunkt hat jetzt der Kollege Karl-Heinz Brunner das Wort . Homophobie im federführenden Innenministerium nicht voran? Schließlich zeigt unsere Familienministerin, wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das gehen könnte . der CDU/CSU) (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig!) (SPD): Dr. Karl-Heinz Brunner Warum sind hier die kleinen Schritte so klein, dass es Geschätzte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und auch mir schwerfällt, überhaupt noch Bewegungen fest- Kollegen! Schön, dass zu dieser späten Stunde noch so viele der Debatte zu diesem wichtigen Thema folgen! Ich zustellen? Warum ist die Entscheidung über die feste befürchtete schon eine etwas schütterere Anwesenheit . Verbindung zweier Menschen eine politische und keine Die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne ma- Gewissensfrage? chen es noch besser . (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE Es hat mich eigentlich gefreut, heute festzustellen: GRÜNEN]: Hat die Kanzlerin auch das Ex- (B) Schön, dass es die SPD gibt! Denn wenn es uns nicht plosionsstoffgesetz gestoppt?) (D) gäbe, woran könnte sich sonst jetzt die Opposition abar- beiten und reiben? Ich will nicht, dass wir auf der Stelle treten . Ich als (Harald Petzold (Havelland) [DIE LINKE]: Sozialdemokrat will Bewegung . Da finden wir schon etwas!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Eine wirkliche Gleichstellung gibt es nur mit uns . Des- Ich will ein weltoffenes Land ohne Diskriminierung von halb war der Slogan „100 % Gleichstellung nur mit uns“ Asylbewerbern, Flüchtlingen, Schwulen, Lesben, Bi- richtig; er ist richtig und wird richtig bleiben . Denn die Beseitigung von Diskriminierungen bei schwulen und und Transsexuellen . Ich will dies, das sage ich deutlich, lesbischen Ehen und Familien gibt es nur mit uns . mit dieser Regierung, und das möglichst bald . (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In wie vielen Wahlkämpfen wol- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: len Sie das noch plakatieren?) Gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Hoffmann? Meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlich ist es ja beschämend, dass es bei uns 14 Jahre nach der Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft immer Gerne, wenn wir schon einmal beieinander sind . Kol- noch Diskriminierung, Ausgrenzung und Intoleranz gibt . lege Beck darf auch noch eine Frage stellen . Wir haben Schlimm ist für mich immer noch, wenn gegen diese Dis- heute Abend, bis das Licht ausgeht, noch etwas Zeit hier kriminierung und Intoleranz nicht entschieden vorgegan- gen wird, obwohl die breite Mehrheit der Gesellschaft, im Hause . die Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses – aus allen (Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD]) Fraktionen – sowie inzwischen die Mehrheit in Europa längst für die Ehe für alle ist . Alexander Hoffmann (CDU/CSU): (Beifall bei der SPD) Kollege Brunner, ich denke, die Zeit haben wir .– Sie Aber das ist heute leider nicht das Thema . haben über die Kanzlerin und über das Innenministerium Heute geht es nur um die Angleichung der Rechtsvor- referiert . In meinem Kopf ist noch ein Fragezeichen ge- schriften . Meine Damen und Herren, für mich ist es abso- blieben . Der Entwurf, über den wir reden, ist ein Entwurf lut unverständlich und auch nicht hinnehmbar, dass selbst des Justizministeriums? 12098 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015

(A) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 d auf: (C) Selbstverständlich . Im Sommer 2014 wurde er dem a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Kanzleramt vorgelegt, und bis zum Koalitionsgipfel im eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Frühjahr 2015 ist er im Kanzleramt liegen geblieben . Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Okto- (Dr . Katarina Barley [SPD]: Das geht ja gar ber 2014 zwischen den zuständigen Behörden nicht!) über den automatischen Austausch von Infor- mationen über Finanzkonten Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Drucksache 18/5919 Jetzt darf der Kollege Beck endlich seine Frage stel- Überweisungsvorschlag: len . Finanzausschuss (f) Innenausschuss (Dr . Katarina Barley [SPD]: Ja, endlich! – Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- mit dem Sprengstoffgesetz?) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum auto- matischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur Ände- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rung weiterer Gesetze Zunächst einmal lobe ich ausdrücklich Ihren Mut und Ihre kollegiale Fairness, die anderen Rednern vorhin ab- Drucksache 18/5920 gingen . Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Innenausschuss Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der LINKEN) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, warum das c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Rechtsbereinigungsgesetz von Heiko Maaß zahlreiche Paus, Dr .Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Regelungen wie das Explosionsstoffgesetz, die Einbür- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- gerungsregelung für Lebenspartner von Spätaussiedlern NIS 90/DIE GRÜNEN oder verschiedene Laufbahnverordnungen des Bun- des nicht enthält? Gibt es dafür einen rechtspolitischen Abgeltungsteuer abschaffen oder einen verfassungsrechtlichen Grund? Oder war das Drucksache 18/6064 Schlamperei? Oder hat die Bundeskanzlerin diese Artikel Überweisungsvorschlag: (B) eigenhändig aus dem Gesetzentwurf herausgerissen? Finanzausschuss (D) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Hat die Paus, Dr .Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Kanzlerin herausgenommen! Genau!) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Transparenz von Kapitaleinkommen stärken Da ich nicht weiß, was die Bundeskanzlerin in dem – Automatischen Austausch von Informatio- Fall denkt bzw . was im Gesetzentwurf enthalten ist, kann nen über Kapitalerträge auch im Inland ein- ich nur die Vermutung anstellen, man wollte auch der führen Opposition die Gelegenheit geben, in der Beratung in den Ausschüssen an diesem Gesetzentwurf zu feilen . Drucksache 18/6065 Überweisungsvorschlag: (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Finanzausschuss CDU/CSU – Volker Beck (Köln) [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich unserem Änderungsantrag ja sicher zu!) sehe, Sie sind damit einverstanden . Ich sage herzlichen Dank und wünsche allen einen Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen schönen Abend . auf den Drucksachen 18/5919, 18/5920, 18/6064 und 18/6065 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- schüsse vorgeschlagen . – Ich sehe, Sie sind damit einver- wie bei Abgeordneten der LINKEN) standen . Damit sind die Überweisungen so beschlossen . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende dieser Aus- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- sprache . gebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Geset- zes zur Änderung des Atomgesetzes Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/5901 an die in der Tagesord- Drucksache 18/5865 nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht heit (f) der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Ausschuss für Wirtschaft und Energie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12099

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden 1). – Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- (C) Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . destages auf morgen, Freitag, den 25 .September 2015, 9 Uhr, ein . Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 18/5865 an die in der Tagesord- Die Sitzung ist geschlossen . nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es Ich wünsche Ihnen allen noch einen wunderschönen dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht Abend . Auf Wiedersehen . der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . (Schluss: 22 .39 Uhr) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

1) Anlage 4

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12101

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten entschuldigt bis Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Abgeordnete(r) einschließlich Befristung von Vorschriften nach den Terroris- musbekämpfungsgesetzen Becker, Dirk SPD 24 .09 .2015 – der Unterrichtung durch die Bundesregierung Evaluation nach Artikel 9 des Gesetzes zur Än- Dağdelen, Sevim DIE LINKE 24 .09 .2015 derung des Bundesverfassungsschutzgesetzes

Feiler, Uwe CDU/CSU 24 .09 .2015 (Tagesordnungspunkt 14 a und b)

Hartmann (Wackern- SPD 24 .09 .2015 Clemens Binninger (CDU/CSU): Der internationale heim), Michael Terrorismus ist unverändert eine weltweite Gefahr, die auch in Deutschland und Europa mittlerweile Realität ist . Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 24 .09 .2015 Das machen die Nachrichten deutlich, die uns besonders DIE GRÜNEN auch in den letzten Monaten viel zu häufig erreichten. Ob in Paris im Januar dieses Jahres, in Kopenhagen nur ei- Irlstorfer, Erich CDU/CSU 24 .09 .2015 nen Monat später oder erst kürzlich im August im Thalys von Amsterdam nach Paris . Karawanskij, Susanna DIE LINKE 24 .09 .2015 Die Zahl der radikalislamischen Salafisten in Deutsch- Kiziltepe, Cansel SPD 24 .09 .2015 land steigt . Viele von ihnen, mittlerweile über 700, haben sich aufgemacht, um in Syrien und Irak für die IS-Terror- Kolbe, Daniela SPD 24 .09 .2015 miliz zu kämpfen . Einige kehren zurück, manche desillu- sioniert, manche aber auch radikalisiert . Damit steigt das Kühn (Tübingen), BÜNDNIS 90/ 24 .09 .2015 Gefährdungspotenzial in Deutschland weiter erheblich, Christian DIE GRÜNEN denn es ist nicht auszuschließen, dass Anschläge auch (B) in Deutschland geplant werden . Dabei stehen auch die (D) Lach, Günter CDU/CSU 24 .09 .2015 Nachrichtendienste vor besonderen Herausforderungen . Lenkert, Ralph DIE LINKE 24 .09 .2015 Unsere Aufgabe ist es deshalb, die Dienste weiter mit geeigneten Befugnissen auszustatten, um die erforderli- Möhring, Cornelia DIE LINKE 24 .09 .2015 che Aufklärungsarbeit leisten zu können . Das Terroris- musbekämpfungsgesetz ermöglicht Nachrichtendiensten Müller (Chemnitz), SPD 24 .09 .2015 bisher, bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Detlef Telekommunikationsdiensten Auskünfte einzuholen . Es geht jetzt darum, die Fristen für diese Befugnisse zu ver- Nick, Dr . Andreas CDU/CSU 24 .09 .2015 längern . Die Grundlage für den heute behandelten Ge- setzentwurf ist ein Evaluierungsbericht des Instituts für Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 24 .09 .2015 Gesetzesfolgenabschätzung . Durch die Evaluierung ist erneut deutlich geworden, dass die Befugnisse für den Röspel, René SPD 24 .09 .2015 Erkenntnisgewinn wesentlich sind: Scheuer, Andreas CDU/CSU 24 .09 .2015 Durch die erhobenen Verkehrsdaten stellte etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz im vergangenen Jahr Schlecht, Michael DIE LINKE 24 .09 .2015 zahlreiche Kontakte von Angehörigen des gewaltbe- reit-salafistischen Spektrums fest und war so in der Lage, Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ 24 .09 .2015 Beziehungen und Netzwerke aufzuklären . Einer Person DIE GRÜNEN konnte daraufhin die Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nachgewiesen werden . In Ulrich, Alexander DIE LINKE 24 .09 .2015 weiteren Fällen konnten Syrien-Rückkehrer erkannt oder auch die Mitgliedschaft in der PKK erwiesen werden . Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 24 .09 .2015 Leidvolle Erfahrungen hat es in Deutschland in Wicklein, Andrea SPD 24 .09 .2015 jüngster Zeit auch mit Terrorakten rechtsextremistisch motivierten Hintergrunds gegeben . Die Gefährdung ist Wiese, Dirk SPD 24 .09 .2015 angesichts der zunehmenden, sich radikalisierenden Sze- ne längst nicht gebannt . Im Gegenteil, Waffenbeschaf- Zimmermann DIE LINKE 24 .09 .2015 fungen und Waffendeals in der rechtsextremen Szene (Zwickau), Sabine waren und sind eine reale Gefahr . Die Befugnisse der 12102 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) Nachrichtendienste aus dem Terrorismusbekämpfungs- Das ist nun die dritte Verlängerung . Ich kann Ihnen (C) gesetz sind deswegen auch in diesem Bereich Grundlage heute keine Hoffnung machen, dass die Bedrohung durch für wertvolle Erkenntnisse: So konnten im Rahmen einer den internationalen Terrorismus, den islamischen Terro- Finanzermittlungsmaßnahme gegen einen Verdächtigen rismus, nachlässt . Wir wissen, dass schreckliche Terro- wegen möglicher Waffenbeschaffung für die rechtsext- ranschläge wie im Mai 2014 in einem jüdischen Museum remistische Szene Kontakte in die Schweiz festgestellt in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Sati- werden . Darüber hinaus war feststellbar, dass der Ver- reblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutsch- dächtige über ein Konto im Ausland verfügte, auf das land passieren können . Die Terrormiliz IS ruft ganz kon- Gelder unbekannter Herkunft einbezahlt wurden, und kret zu individuellen Terrortaten in Deutschland auf . Wir auch, dass der Verdächtige selbst immer wieder hohe können und dürfen uns aber nicht darauf verlassen, dass Bargeldbeträge auf sein Konto einzahlte . Zudem zeig- „zivile“ Helden wie im Thalys-Schnellzug in Frankreich ten Finanztransaktionen an regionale und überregionale ihr Leben für uns riskieren . Größen der rechtsextremen Szene die Einbindung und Unsere Sicherheitsbehörden sind deshalb gut aufge- Bedeutung des Rechtsextremisten in der Szene . stellt, in den aktuellen Haushaltsberatungen stocken wir Die Evaluierung hat deutlich gezeigt, dass die Befug- beispielsweise das BKA mit 200 zusätzlichen Beamten nisse notwendig sind . Ich höre auch immer wieder aus und 12 Millionen Euro Sachmitteln auf . Die Bundespoli- den Reihen der Opposition, es bestehe die Gefahr, die zei bekommt 3 000 neue Beamtenstellen . Dienste würden ihre Befugnisse maßlos einsetzen . Aber Wir wissen, dass Paragraphen alleine noch keine ef- auch hier hat ist das Ergebnis eindeutig: Die Dienste fektive Terrorbekämpfung sind: Ich setze auf Prävention . handeln sehr maßvoll . Genau, wie es der Bundestag als In den letzten Wochen und Monaten habe ich mich mit Gesetzgeber beabsichtigt hat . So wurden im Jahr 2014 sehr vielen im Bereich Extremismusprävention engagier- insgesamt gerade einmal 72 besondere Auskunftsverlan- ten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein Bild von gen angeordnet . 33 davon sind bei Telekommunikations- ihrer Arbeit gemacht . Ihre Arbeit ist nachgefragter, denn diensteanbietern ergangen, um Verkehrsdaten-Auskünfte je . Ich denke da an die Beratungsstelle „Hayat“, die Aus- einzuholen. Von flächendeckender Überwachung kann steigern und Angehörigen von radikalisierten Personen nicht einmal im Ansatz die Rede sein . Hilfe anbietet . Es geht nun darum, die Empfehlungen aus der Eva- Und auch an das Violence Prevention Network (VPN), luierung umzusetzen und die Befugnisse erneut zu be- in dem erfahrene Fachkräfte sich in Justizvollzugsanstal- fristen . Mit einer weiteren Befristung gewährleisten wir, ten um jugendliche Gewalttäter kümmern, um nicht den dass die weitere Entwicklung im Blick bleibt . Alle Ex- islamistischen Rattenfängern das Feld zu überlassen . In (B) perten bestätigen, dass die Gefährdungslage ernst ist . Wir einem weiteren Projekt betreuen sie von Rekrutierungs- (D) sollten deshalb nicht zur Hysterie neigen, aber wir soll- maßnahmen des IS betroffene junge Frauen . Es gibt in ten das Notwendige tun für die Sicherheit der Menschen den Bundesländern viele solcher niedrigschwelligen und die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden . Die Projekte, die sich gegen den gewaltorientierten Islamis- Sicherheitsbehörden verdienen unser Vertrauen . Es gibt mus wenden und erfolgreich sind . Deshalb war es rich- keinen Grund, eine weitere Befristung abzulehnen . tig, letztes Jahr das neue Bundesprogramm „Demokratie Leben“ um 10 Millionen Euro auf jetzt 40,5 Millionen Euro aufzustocken . Das ist der richtige Weg, und deshalb Uli Grötsch (SPD): Heute beraten wir den Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vor- danke ich unserer Bundesministerin für Familie, Senio- schriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen, ren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass es auf Prävention ankommt . die wir nach den Anschlägen am 11 .September 2001 eingeführt haben . Bei diesem Wortungetüm handelt es Wir alle haben in den letzten Monaten Videos und sich um die nachrichtendienstlichen Befugnisse unserer Bilder vom Terrorregime des IS sehen müssen, die men- Sicherheitsbehörden zur Auskunftseinholung bei etwa schenunwürdig sind . Wir sind fassungslos angesichts Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommu- dieser Enthemmtheit, aber wir dürfen nicht sprachlos nikationsdienstleistern . sein . Lassen Sie uns als gesamtes Haus ein deutliches Si- gnal senden und unsere Entschlossenheit zeigen . Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung, dass wir diese Anti-Terrorgesetze erneut befristen, bis 2021 . Es wird dann erneut auf seine Wirksamkeit hin ge- Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung be- prüft . antragt die weitere Verlängerung einer ganzen Reihe so- genannter Antiterrorgesetze, die seit 2001 nach und nach Diese zugegebenermaßen weitreichenden Befugnisse eingeführt wurden . Auf die Kritik, diese Gesetze griffen haben sich bewährt: Unsere Sicherheitsbehörden arbei- unverhältnismäßig in die Grundrechte ein, hieß es bei ten auf Hochtouren: Erst im April dieses Jahres konnten ihrer Einführung beschwichtigend, sie seien ja befristet, in Oberursel Terrorverdächtige verhaftet werden . Um nur würden also nur vorübergehend gelten . ein Beispiel zu nennen . Tatsächlich werden sie aber routinemäßig verlängert, Diese und andere Anschlagspläne konnten unter ande- ohne dass die Grundrechtseingriffe überhaupt noch the- rem dank dieser Befugnisse verhindert werden . Meiner matisiert werden. Wir von der Linken finden jedenfalls: Meinung nach stellt sich heute und hier deshalb die Frage Den Geheimdiensten immer mehr Macht einzuräumen, nicht, ob wir das Gesetz verlängern . ist nicht Teil einer Lösungsstrategie, es ist Teil des Prob- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12103

(A) lems . Nun gilt es, wieder abzurüsten und den Grundrech- zurück . Damals wurden den Geheimdiensten mit dem (C) ten die Priorität einzuräumen, die sie verdienen . Terrorismusbekämpfungsgesetz Befugnisse eingeräumt, in Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern einzugrei- Die Gesetze, um die es hier geht, berechtigen die fen . Sie sollten Kontendaten, Flugdaten, Passdaten und Geheimdienste etwa dazu, Kontodaten abzufragen, Ver- Verkehrsdaten von Telekommunikationsmedien abfragen kehrsdaten von Telekommunikationsunternehmen und dürfen . Auch ging es um den Einsatz von so genannten Flugdaten einzusehen, Handy-Standorte zu erfassen IMSI-Catchern . Weil es um Grundrechtseingriffe ging, und Gespräche abzuhören . Die Anzahl der durchge- sollten diese an enge Einschränkungen gebunden sein . führten Maßnahmen beläuft sich im Schnitt nur auf eine Schon die Anordnung sollte von höchster Stelle und nur zweistellige Zahl pro Jahr . Das allein gibt aber noch kei- mit parlamentarischer Kontrolle möglich sein . Die Be- nen Aufschluss über deren Verhältnismäßigkeit . troffenen sollten nachträglich informiert werden . Die Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder dar- Regelungen sollten nur dem Kampf gegen Terrorismus auf hingewiesen, dass es bei Grundrechtseingriffen auch dienen und befristet auf zehn Jahre gelten . Wegen der auf deren kumulative Wirkung ankommt . Das heißt: gewollt stark einschränkenden Bedingungen wurde das Angesichts der Vielzahl von Geheimdienstbefugnissen Gesetz nur restriktiv und in wenigen Fällen angewandt . und der heutigen technischen Möglichkeiten muss jedes Befürchtungen, das Gesetz könnte zu massenhaften Gesetz im Rahmen einer Gesamtschau und in der Wech- Grundrechtsverletzungen führen, bewahrheiteten sich selwirkung mit anderen Gesetzen bewertet werden . Aber nicht . in der Evaluation, die jetzt die Verlängerung der Gesetze legitimieren soll, ist diese Prüfung einfach unterblieben . Flugdaten, Kontodaten, Verkehrsdaten wurden im ein- stelligen und unteren zweistelligen Bereich pro Jahr erho- In dem Papier heißt es wörtlich: „Eine solch umfas- ben, insgesamt 64#$# bis 77#$#mal pro Jahr, Postdaten sende Analyse ist jedoch vom Evaluationsauftrag nicht gar nicht . Gleichwohl wurde die Geltung des Gesetzes abgedeckt gewesen“ . Weiter heißt es, eine umfassende 2007 für fünf Jahre verlängert . Die Bedingungen wur- Auswertung sei schon – Zitat – ,,mit Blick auf die Be- den etwa für Kontodaten gemildert . Nicht mehr Minister sonderheiten nachrichtendienstlichen Arbeitens nicht mussten die Anordnungen genehmigen . 2011 wurde die realisierbar “. Auch eine Langzeitbeobachtung sei weder Gesetzesanwendung erneut um fünf Jahre verlängert . beauftragt gewesen noch mit den Geheimdiensten über- haupt möglich, heißt es . Beiden Verlängerungen lagen keine unabhängigen Überprüfungen des Nutzens der Verlängerung zugrun- Schuld daran ist das Bundesinnenministerium, das de . Deshalb wurde nun erstmals eine Evaluierung durch den Rahmen für dieses Gutachten erstellt hat . Es hat den Wissenschaftler durchgeführt . Das Ergebnis liegt seit (B) Auftrag bewusst eng formuliert, um einen Bericht zu April 2015 vor . Wieder wurde festgestellt, dass das Ge- (D) bekommen, der die Regierungslinie unterstützt . Anders setz nur in wenigen Fällen angewandt wurde . So gab es ausgedrückt: Das Bundesinnenministerium hat sich ein zum Beispiel von November 2013 bis November 2014: Gefälligkeitsgutachten besorgt . 23 Kontoabfragen, zwei für Flugverbindungen, für Ver- Das zeigt sich zum Beispiel auch bei der Frage nach kehrsdaten 33 und Kontostammdaten 21#$#mal Abfra- der Wirksamkeit der Überwachungsgesetze . Da tappen gen . Unterrichtungen der Betroffenen erfolgten all die wir auch nach der Evaluation weiterhin im Dunkeln . Jahre nur in etwa in einem Drittel der Fälle . Denn die Bewertung der Gesetze wurde von den Nach- Jetzt soll das Gesetz zum dritten Mal verlängert wer- richtendiensten selbst vorgegeben . Deren Behauptung, den bis 2021 . Schon angesichts der geringen Zahl der die Gesetze seien notwendig und wirksam, sollen wir Anwendungsfälle ist zu bezweifeln, ob dies zwingend einfach glauben ohne die Möglichkeit einer unabhängi- notwendig ist . Schließlich geht es nicht nur um irgend- gen Nachprüfung . welche Befugnisse für die Geheimdienste, sondern um Entschuldigung, aber eine solche Blauäugigkeit zu Grundrechtseingriffe . Deshalb wurde das Gesetz 2002 verlangen, nach Jahren voller NSU- und NSA-Skanda- nur beschlossen, um Aufklärungsmöglichkeiten in der le, das ist wirklich eine Beleidigung des Parlaments und besonders angespannten und gefährlichen Situation zu auch der Bürgerinnen und Bürger . schaffen . Ein Dauergesetz für Jahrzehnte war nicht be- absichtigt . Es gibt für eine solche Art von Bewertungen ein Wort: Gefälligkeitsgutachten . Ein einfaches Durchwinken einer Verlängerung kommt für uns nicht in Betracht . Zur Vorbereitung einer Die Linke ist sehr dafür, Terroristen das Handwerk zu vertretbaren Entscheidung müssen die konkreten Ergeb- legen . Aber wir werden keinem Gesetz zustimmen, das nisse der Gesetzesanwendung in den letzten fünf Jahren die Kompetenzen der Geheimdienste erweitert, ohne die darauf anhand der konkreten Fälle überprüft werden, Folgen für die Grundrechte zu beachten . Der Nutzen der wie relevant diese für den Kampf gegen den Terrorismus Gesetze ist nicht erwiesen, daher kann man sie Ende des gewesen sind . Das bisherige Evaluationsergebnis bringt Jahres getrost auslaufen lassen . dazu keine ausreichenden Erkenntnisse . Also muss die Bundesregierung uns konkrete Zahlen nachliefern, wie Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oft durch die Anwendung der fraglichen Befugnisse NEN): Die Ursprünge des Gesetzes, dessen Geltung zum schwere Terrordelikte verhindert oder aufgeklärt werden dritten Mal verlängert werden soll, reichen in die Zeit un- konnten . Ohne solche Belege können Grüne dem Ent- mittelbar nach den Anschlägen vom 11 .September 2001 wurf nicht zustimmen . 12104 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) Dr. Günter Krings, Parl . Staatssekretär im Bundes- Im Erhebungszeitraum der Evaluation wurden (C) ministerium des Innern: Der internationale djihadistische 329 Personen im SIS II ausgeschrieben, überwiegend Terrorismus ist nach wie vor eine globale Bedrohung für durch das Bundesamt für Verfassungsschutz . So konn- das friedliche Zusammenleben und die zentrale Heraus- ten zum Beispiel wichtige und dringend notwendige Er- forderung für unsere Sicherheitsbehörden . kenntnisse über Syrien-Rückkehrer gewonnen werden . Erfolgreiche und zum Teil in letzter Minute verhinder- Die wissenschaftliche Untersuchung des evaluieren- te Anschläge haben sich in jüngster Zeit in unmittelbarer den Instituts kommt zu glasklaren Ergebnissen: Nähe zu uns ereignet: in Brüssel, Paris und Kopenhagen Die Anwendung der nachrichtendienstlichen Befug- und im Thalys-Schnellzug in Nordfrankreich . Das zeigt, nisse ist auch im aktuellen Auswertungszeitraum wiede- dass der Terror längst Mitteleuropa erreicht hat . Und es rum fokussiert und verantwortungsvoll erfolgt . Und sie gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass nicht auch Deutsch- hat unverzichtbare Erkenntnisse erbracht . land längst im Fadenkreuz des islamistischen Terror steht . Ja, und auch bislang mussten wir schon deutsche Das Terrorismusbekämpfungsgesetz wahrt die Balan- Terror-Tote und Terror-Tote in Deutschland beklagen . ce zwischen Freiheit und Sicherheit . Wer diese Befug- nisse beseitigen will, der opfert unsere Sicherheit – und Ein konkretes Anzeichen für die Gefährdung der Men- zwar nicht zugunsten der Freiheit . Nein, er beseitigt un- schen in Deutschland sind vor allem die über 700 Perso- sere Freiheit dabei gleich mit . nen mit salafistischem Hintergrund, die aus Deutschland in die Krisenregion Syrien/Irak ausgereist sind . Von den Ich bitte den Deutschen Bundestag daher um eine Rückkehrern aus dieser Gruppe geht eine besondere Ge- ebenso sorgfältige wie zügige Beratung dieses Gesetzes fahr aus . Sie sind weiter radikalisiert, oft kampferprobt, zum Schutze der Menschen in unserem Lande . verroht und zu ungeheurer Brutalität fähig . Die gesetzgeberischen Antworten auf diese Ter- ror-Gefahr basieren auf einer rationalen Gefährdungs- Anlage 3 analyse . Und das Terrorismusbekämpfungsgesetz ist ein Zu Protokoll gegebene Reden Herzstück bei dieser besonnenen und rationalen Antwort des Gesetzgebers . zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Mit dem heute in erster Lesung behandelten Gesetz- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sonderer- entwurf wollen wir die bewährten nachrichtendienstli- mittler zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Geschäfte chen Befugnisse verlängern, um den Kampf gegen den einsetzen (B) internationalen Terrorismus fortsetzen zu können . Im (D) Wesentlichen geht es um Vorschriften zur Auskunftsein- (Tagesordnungspunkt 15) holung bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdiensten, die bis Januar 2016 be- Olav Gutting (CDU/CSU): Bereits im Januar, als fristet sind . wir hier im Parlament zum Thema Dividendenstripping, auch bekannt als Cum-/Ex-Trade, debattiert hatten, habe Grundlage des Gesetzentwurfs ist der Evaluierungsbe- ich klargestellt, dass es sich dabei um kein Steuergestal- richt unabhängiger Wissenschaftler des Instituts für Ge- tungsmodell findiger Berater, sondern nach meinem Da- setzesfolgenabschätzung und Evaluation . Die Auswahl fürhalten schlicht um Betrug zulasten des Fiskus gehan- des Instituts war zusammen mit dem Bundestag erfolgt . delt hat . Lassen Sie mich zu den Evaluierungsergebnissen zwei Auch wir halten die Rückforderung von Kapitalertrag- besonders praxisbedeutsame Maßnahmen herausstellen . steuer, welche tatsächlich nie gezahlt wurde, nicht nur Besondere Auskunftsverlangen: Im Untersuchungs- für höchst problematisch und unmoralisch, sondern für zeitraum November 2013 bis November 2014 wurden rechtswidrig . gerade einmal 72 Auskunftseinholungen bei Luftfahrtun- Auch das Bundesfinanzministerium hatte stets die ternehmen, Kreditinstituten, Telediensten und Telekom- Rechtsauffassung, dass nur einmal abgeführte Kapitaler- munikationsdiensten angeordnet . Das ist maßvoll und tragssteuer nie doppelt bescheinigt werden darf . Zweck zeigt wie streng wir die Regelungen gefasst haben . dieses unrechtsmäßigen Geschäftsmodels war es, bei Vielfach konnten dabei Kontakte, Beziehungen und Leerverkäufen über den Dividendenstichtag Zusatzren- Netzwerkstrukturen auf geklärt werden . Einer Person diten zu erzielen, weil die deutsche Kapitalertragsteuer konnte etwa die Unterstützung einer terroristischen Ver- durch das Auseinanderfallen von rechtlichem und wirt- einigung nachgewiesen werden . schaftlichem Eigentum mehrfach bescheinigt wurde . Ausschreibung im SJS II: Eine weitere, wichtige Jedem, der die doppelte Bescheinigung zu seiner Vorschrift ermöglicht den drei Nachrichtendiensten, Renditesteigerung nutzte, muss klar gewesen sein, dass Personen im Schengenerinformationssystem II auszu- er unrechtmäßig doppelt kassiert und damit den Fiskus schädigt . schreiben . Wird dann die ausgeschriebene Person im Schengenraum kontrolliert, erhält die ausschreibende Bereits im Januar habe ich bei meiner Rede gefordert, Behörde Informationen über Reisebewegungen und die rechtliche Einordnung dieser Handlungen den zustän- eventuell mitreisende Personen . digen staatlichen Strafverfolgungsbehörden und unserer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12105

(A) Gerichtsbarkeit zu überlassen . Im Übrigen laufen hierzu ob Vorkehrungen getroffen wurden, ähnliche Probleme (C) bereits verschiedene Ermittlungsverfahren . frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden . Der Bundestag und auch die Bundesregierung haben Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob ein Sonde- sich aus staatsanwaltlichen Ermittlungen rauszuhalten . rermittler tatsächlich eingesetzt werden kann . Dem ste- Dies gebietet schon unsere Verfassung, in der – mit sehr hen nämlich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken guten Gründen – die Gewaltenteilung festgeschrieben ist . gegenüber . Unsere Verfassung kennt die Funktion eines Gegen die Einsetzung eines Sonderermittlers bestehen Sonderermittlers nicht . auch deshalb verfassungsrechtliche Bedenken, weil un- Die Einsetzung eines Sonderermittlers ist also verfas- sere Verfassung einen solchen Ermittlertyp schlichtweg sungsrechtlich zumindest zweifelhaft und schon allein nicht kennt . daher abzulehnen . Es stellt sich aber auch die Frage, Ihr Antrag lässt auch nicht erkennen, welchen Mehr- warum die beiden Oppositionsfraktionen diesen Sonde- wert Sie sich von der Einsetzung eines solchen verfas- rermittler fordern, der ja wohl von der Bundesregierung sungsrechtlich bedenklichen Sonderermittlers erhoffen? eingesetzt werden sollte und damit auch erst einmal nur Schließlich sind alle Erkenntnisse der Bundesregierung der Bundesregierung gegenüber berichtspflichtig wäre. hierzu bekannt, weil dieses Thema Gegenstand mehrerer Das Parlament wäre damit zunächst einmal außen vor . Anfragen war . Wenn man so erheblichen Zweifel an der Korrektheit der Vorgehensweise bei den Vorfällen der Cum-Ex-Trans- Der Antrag zur Einsetzung eines unabhängigen Son- aktionen anmeldet, dann wäre das geeignete parlamen- derermittlers ist deshalb völlig unnötig, man kann auch tarische Instrument zur Aufklärung aller Fragen und zur sagen schlicht Unfug . Er stellt nur eine Nebelkerze Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen ein Untersu- dar, um das zu verschleiern, was Sie mit Ihrem Antrag chungsausschuss . tatsächlich bezwecken, nämlich die Klärung einer ver- meintlichen politischen Verantwortung, für die es aber Im übrigen wäre zu klären, wer denn überhaupt so die das Instrument des Untersuchungsausschusses gibt . Rolle eines Sonderermittlers übernehmen könnte . Wer hätte das geeignete Fachwissen und gegebenenfalls auch Obwohl die Grünen sonst nicht so zimperlich bei der den ausreichend geschulten Apparat, um eine so umfang- Forderung zur Einsetzung von Untersuchungsausschüs- reiche Überprüfung der vielen, durchaus unterschiedli- sen sind, begnügen sie sich hinsichtlich der Cum-Ex-Ge- chen Sachverhalte durchzuführen . Die Transaktionen schäfte mit der Bestellung eines verfassungsrechtlich erstreckten sich ja nicht nur auf inländische Kreditinsti- problematischen Sonderermittlers . tute, sondern auch auf das Ausland . Auch Landesbanken Die jeweilige Bundesregierung hat gemeinsam mit waren in diese Transaktionen verwickelt . Müsste man (B) (D) dem zuständigen Bundesfinanzministerium – dies muss dazu dann auch noch entsprechende Landesbehörden be- in diesem Zusammenhang festgehalten werden – stets auftragen? mit Erlassen auf entsprechende konkrete Hinweise re- Die Cum-Ex-Transaktionen sind hochgradig kompli- agiert . Auch der Gesetzgeber selbst blieb nicht untätig . zierte Geschäfte, die nur mit umfänglichen Spezialwissen Ein politisches Aufklärungsbedürfnis sehe ich daher und mit großem Sachverstand geprüft werden können . nicht . Das Bundeszentralamt für Steuern hat bereits zusätzli- Ihr Sonderermittler soll auch klären, welche Stellen che personelle Ressourcen bereitgestellt, damit auffällige und welche Personen auf der staatlichen Seite für den Erstattungsanträge, auch aus der Vergangenheit, geprüft entstandenen Schaden zum einen formal und zum ande- werden können . Den Bundesländern wurde vom Bundes- ren tatsächlich verantwortlich sind . Mit Verlaub! Dieses zentralamt in diesem Zusammenhang eine Unterstützung Ansinnen ist nun wirklich Unfug, denn eine Mitverant- bei Außenprüfungen angeboten . Dabei wird auf Initiative wortung setzt eine Beteiligung an dem rechtwidrigen des Bundesministeriums für Finanzen ein Wissenstrans- Geschäftsmodell voraus . Eine solche Unterstellung ist absurd . fer zwischen den mit Cum-Ex-Transaktionen befassten Stellen aus Bund und Ländern ermöglicht, um ständig Der Bundestag hat in den Jahren 2007 und 2009 sowie weitere Erkenntnisse zu dieser komplexen Materie und zuletzt im Jahr 2011 mit dem OGAW-IV-Umsetzungs- zur börsentechnischen Abwicklung dieser Geschäfte zu gesetz den Cum-Ex-Geschäften die Grundlage vollends gewinnen . entzogen . Somit liegt die nachträgliche strafrechtliche Aufarbeitung allein bei den zuständigen Staatsanwalt- Um den aus Cum-Ex-Transaktionen resultierenden schaften . Steuerausfällen entgegenzuwirken, wurden im Jahres- steuergesetz 2007 Dividendenausgleichszahlungen der Ihr Antrag ist daher abzulehnen . materiellen Steuerpflicht und damit der Kapitalsteuer- pflicht unterworfen. Abzuführen war damit die Kapita- Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Im Antrag lertragsteuer auf Rechnung des Erwerbers durch das in- wird gefordert, einen unabhängigen Sonderermittler ein- ländische Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, das zusetzen, der klären soll, wie es dazu gekommen ist, dass für den Veräußerer der Aktien dessen Verkaufsauftrag die sogenannten Cum-Ex-Transaktionen zehn Jahre nicht ausführte . Die von dem Kredit- bzw . Finanzdienstleis- unterbunden wurden, wer letztendlich verantwortlich tungsinstitut abgeführte Kapitalertragsteuer wurde dem für den entstandenen Schaden war, ob die getroffenen Konto des Veräußerers zusammen mit der Dividenden- Maßnahmen zur Schadensbegrenzung adäquat sind und ausgleichszahlung belastet . 12106 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) Die Anwendung dieser Vorschrift erfasst allerdings Aus diesen Gründen wird dieser Antrag von uns ab- (C) nicht Geschäfte, die ohne Intermediär oder über einen gelehnt . ausländischen Intermediär abgewickelt wurden . Ab 1 . Januar 2012 wurde deshalb eine weitere ge- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Cum ex? Bei setzliche Maßnahme ergriffen, um die missbräuchlichen den Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um einen der Gestaltungen unter Einbeziehung ausländischer Ban- größten Fälle von Steuerbetrug in Deutschland . Einzel- ken zu unterbinden . Dividenden müssen jetzt von der ne Banken und Fonds haben aus dem Steuerbetrug ein ausschüttenden Aktiengesellschaft als Bruttodividende, Geschäftsmodell gemacht . Der entstandene Schaden für sprich ohne Kapitalertragsteuerabzug, an die auszahlen- den Fiskus ist immens . Im Kern haben sich die Finanz- marktakteure vom Fiskus Kapitalertragsteuer erstatten den Stellen weitergeleitet werden . lassen, die sie gar nicht bezahlt haben . Aufgrund der Die Abzugsverpflichtung liegt damit bei dem inlän- Komplexität und Intransparenz der Geschäfte konnten dischen Institut, das die Kapitalerträge gutschreibt bzw . diese Machenschaften lange Zeit nicht aufgedeckt wer- auszahlt oder – falls die Gutschrift bzw . Auszahlung den . Es bedurfte auch mehr als eines Anlaufs, um diesen durch eine ausländische Stelle erfolgt – bei der letzten Geschäften die Grundlage zu entziehen . Die Gestaltun- inländischen Stelle, die die Beträge an die ausländische gen konnten erst durch eine vollständige Umstrukturie- Stelle weitergeleitet hat . Steuerausfälle sind mit dem rung des Erhebungsverfahrens der Kapitalertragsteuer neuen System damit ausgeschlossen . abgestellt werden . Es wurden also sämtliche gesetzliche Maßnahmen er- Grundlage der „Geschäfte“ waren Leerverkäufe von griffen, um dem Missbrauch bei Cum-Ex-Transaktionen Aktien rund um den Dividendenstichtag . Es wurde dabei zu begegnen . ausgenutzt, dass die Stelle, die die Kapitalertragsteuer an den Fiskus abführte, und die Stelle, die die Kapita- Vergangenheitsfälle werden immer wieder aufgedeckt lertragssteuerzahlung bescheinigte, auseinanderfielen. Es und führen zu entsprechenden Steuer- und Strafzahlun- konnten deshalb mehrere Steuerbescheinigungen erlangt gen . Ein besonders augenfälliger Streitfall in diesem Zu- werden, die unberechtigte Erstattungsansprüche begrün- sammenhang ist die Klage von einem Steuerpflichtigen deten . gegen die Bank Sarrasin in der Schweiz, in dem meh- rere Kläger Schadensersatz in Millionenhöhe von der In verschiedenen Gerichtsverfahren geht es inzwi- Bank wegen falscher Beratung fordert . Die Bank Sarasin schen um die Frage, ob die „Geschäfte“ legal waren in Basel hatte das Cum-Ex-Vehikel im Frühling 2010 oder nicht . Die Dreistigkeit der Betrüger ist beispiellos . aufgebaut mit dem Ziel, dieses groß in Deutschland zu Sie pochen auf die Legalität der mehrfachen Erstattung (B) (D) vermarkten . Jetzt sieht sich die Bank und ihr Eigentümer einer einmal gezahlten Steuer . Einen rechtmäßigen Er- allerdings neben den Privatklagen auch umfänglichen stattungsanspruch kann es aber nur auf eine zuvor durch einen Steuerabzug erhobene Kapitalertragsteuer geben . Ermittlungen schweizerischer und deutscher Strafverfol- Wir sehen erneut: In einer Unkultur, in der alles als er- gungsbehörden ausgesetzt . laubt gilt, was nicht verboten ist, gibt es praktisch keine Die Finanzverwaltung war immer der Auffassung, Grenzen für die Gier – wer „den Staat“ dermaßen be- dass es sich bei diesen Geschäften nicht um ein steuer- trügt, betrügt jeden seiner Nachbarn, jeden seiner Freun- liches Gestaltungsmodell handelt, sondern um unzuläs- de, denn alle anderen im Staat müssen für den Schaden sige Gestaltungen . Diese Haltung wurde auch vom BFH aufkommen, also mehr Steuern bezahlen . mehrfach bestätigt . Klaus Ott schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom Frühe Hinweise auf diese Handhabungen waren aller- 28 . Februar 2015: dings so unkonkret, dass erst entsprechende Prüfungen Bei dieser speziellen Form des Börsenhandels zu den heutigen Erkenntnissen führten . Die Modelle wa- muss sich der Verkäufer der Aktien dieselben erst ren außerdem mit größtmöglicher Verschleierung konst- noch beschaffen, obwohl er die Papiere bereits ruiert, womit eine Entdeckung äußerst schwierig war . einem Abnehmer verbindlich zugesagt hat . Bei Alle diese Sachverhalte wurden vom zuständigen Mi- Cum-Ex-Leerverkäufen konnte es passieren, dass nisterium auf zahlreiche Anfragen von Mitgliedern des eine- und dieselbe Aktie rein formal betrachtet zwei Hohen Hauses immer wieder vollumfänglich dargestellt . Eigentümer hatte . Den alten Inhaber mit (Cum) Di- vidende, bei dem sich der Leerverkäufer erst noch Es ist nicht notwendig, diese Sachverhalte nochmals mit den von ihm bereits weiter verkauften Papieren durch einen Sonderermittler prüfen zu lassen, weil es zu eindecken musste . Und den neuen Inhaber, dem der keiner neuen Erkenntnis führen würde . Leerverkäufer das Papier fest versprochen hatte, Für die Einsetzung eines Sonderermittlers gibt es kei- inklusive (Cum) einer Kompensationszahlung für ne Rechtsgrundlage . Die illegalen Machenschaften wer- die Dividende . Zwei Eigentümer, zwei Mal Cum, den von den Steuerbehörden und von der Staatsanwalt- zumindest auf dem Papier, das bedeutete für den schaft verfolgt . Fiskus bis 2012 in zahlreichen Fällen: Es gab zwei Bescheinigungen über gezahlte Dividende und die Es wurden auch alle Maßnahmen ergriffen, um miss- darauf fällige Kapitelertragsteuer; ausgestellt von bräuchliche Gestaltungen für die Zukunft zu unterbinden den am Aktienhandel beteiligten Banken . Mit die- und für die Vergangenheit aufzuarbeiten . sen Bescheinigungen konnten sich beide Aktien- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12107

(A) besitzer die Kapitalertragsteuer später vom Fiskus Abgeordnete von Union und SPD, Grünen und den (C) wieder erstatten lassen; im Wege der Verrechnung Linken entrüsteten sich über „skrupellose“ Metho- mit anderen Abgaben . Tatsächlich aber war die Di- den . Von „Betrug“ und „Schweinerei“ war die Rede, vidende nur einmal geflossen und die darauf fällige und von einem „Raubzug“ von „Multimillionären“ . Steuer auch nur einmal an das Finanzamt gezahlt Gierige Kapitalanleger, gerissene Fondsbetreiber worden . Bei Cum-Ex-Leerverkäufen im Inland war und abgebrühte Banker hätten, so der Tenor, syste- es ab 2007 nicht mehr möglich, den Fiskus auszu- matisch die Staatskasse geplündert . Das sei krimi- nehmen . Doch eine Abwicklung über ausländische nell gewesen . Mit der Einigkeit war es aber sofort Banken machte das noch bis 2012 möglich . vorbei, als die Opposition wissen wollte, warum Grüne und Linke fordern mit ihrem Antrag – wir wer- die Bundesregierung diese Steuertricks in Milli- den an die USA erinnert – die Einsetzung eines „Son- ardenhöhe erst 2012 endgültig unterbunden hatte, derermittlers“ zur Aufklärung dieser Cum-Ex-Geschäfte . und einen Sonderermittler forderte . Union und SPD Für die Einsetzung eines „Sonderermittlers“ gibt es aber spotteten, Grüne und Linke könnten ja einen Unter- weder eine Rechtsgrundlage noch ist sein Nutzen erkenn- suchungsausschuss beantragen . bar . Solch ein Ausschuss ist aber gar nicht nötig, um auf- Allerdings kein Sonderermittler des Parlaments, zuklären, was schief gelaufen ist . Die Süddeutsche sondern der Regierung . Also: Die Regierung soll einen Zeitung hat nach dem Informations-Freiheitsgesetz Sonderermittler beauftragen, der gegen die Arbeit der (IFG), das die Bundesbehörden zu weitreichen- Regierung auf der Grundlage der von der Regierung zur den Auskünften verpflichtet, Einblick in mehrere Verfügung gestellten Unterlagen und anschließend dem tausend Seiten umfassenden Cum-Ex-Akten des Parlament – natürlich objektiv – berichtet . Das entspricht Bundesfinanzministeriums genommen. Die SZ hat in etwa dem naiven Aufsichtsrat, der den Vorstand ent- zudem interne Dokumente großer Banken sowie Er- lastet, weil er die Vorlage des Vorstandes kritisch geprüft mittlungsunterlagen gesichtet und mit Akteuren auf hat und deshalb ja 100#$#prozentig Bescheid weiß . Ist ja allen Seiten gesprochen . Akten und Auskünfte ge- klar . Wenn der Vorstand das sagt . ben Aufschluss über das Versagen der Politik; über die fragwürdige Rolle großer Banken und weiterer Natürlich kann ein Sonderermittler der Bundesregie- Profiteure; und über die schleppende Aufklärung. rung nur von der Bundesregierung eingesetzt werden . Und das ist ihr jederzeit und unbeschränkt möglich . Das So weit Klaus Ott . Parlament kann das fordern, hat aber keinen Anspruch Wir sehen, dass die Forderung nach einem Sonderer- darauf . Es gibt keine Regelung, keine Rechtsgrundlage . (B) mittler ein wenig Marketing für die Opposition ist . Tat- (D) Wir schauen mal auf den Geheimdienst-Untersu- sächlich ist hier eine andere staatliche Gewalt gefragt . chungsausschuss des Bundestages: Dort ging es um eine Die Strafprozessordnung sieht die Staatsanwaltschaften „unabhängige Vertrauensperson“ . Die Bundesregierung als Ermittlungsorgane vor . Diese ermitteln in eigener hatte zur Wahrung der Rechte des Untersuchungsaus- Zuständigkeit als zur Objektivität verpflichtete Organe schusses (UA) dem UA den Vorschlag gemacht, einen der Rechtspflege. Einen Sonderermittler sieht unsere „Sonderermittler“ einzusetzen, den der UA benennt und Strafprozessordnung dagegen nicht vor . Der Beitrag, den der dem UA dann Bericht erstattet . Eingesetzt hat ihn ein Sonderermittler für die politische Aufklärung liefern aber die Bundesregierung . könnte, ist unklar . Ein Mangel an Aufklärung besteht Das war ein Kompromiss, weil die Bundesregierung nicht . Die Bundesregierung hat parlamentarische Anfra- nicht bereit war, den Kolleginnen und Kollegen des UA gen ausführlich beantwortet . Der Presse wurde umfas- unmittelbar Akteneinsicht zu gewähren . Die Grünen ha- sender Einblick in die Akten des Bundesfinanzministeri- ben das zusammen mit den Linken gefordert . Sie haben ums gewährt . Klaus Ott, der für die Süddeutsche Zeitung die Vertrauensperson abgelehnt, weil sie sich aus Arti- die Vorgänge um die Cum-Ex-Geschäfte recherchiert kel 44 GG berechtigt sahen, selbst Einblick zu nehmen . hat, stellt dies, wie sich aus den Zitaten leicht ergibt, ausdrücklich in seinem Artikel vom 28 . Februar dieses In diesem Fall gehen die Grünen und Linken vehe- Jahres fest . ment gegen einen Sonderermittler vor, obwohl dies mit ein wenig Abstraktionsvermögen eine ganz ähnliche Derzeit werden verschiedene Gerichtsverfahren über Konstruktion ist, wie sie für die Cum-Ex-Geschäfte nun die Frage der Legalität der Cum-Ex-Geschäfte geführt . gefordert wird . Die Gestalter sind der Auffassung, dass die Cum-Ex-Ge- schäfte rechtmäßig waren und sie einen Erstattungsan- Grüne und Linke wollen also selber Einsicht nehmen . spruch hätten . Dies begründen sie damit, dass sie ein Merkwürdigerweise wollen sie das bei der Aufarbeitung wirtschaftliches Eigentum an den Aktien erworben hät- der Cum-Ex-Geschäfte einem „Sonderermittler“ überlas- ten . sen, obwohl dort die Verhältnisse offen liegen . BMF vertritt dagegen Auffassung, dass unabhängig Nachfolgend sei nochmal Klaus Ott aus der SZ vom von der Erlangung eines wirtschaftlichen Eigentums an 28 .2 .1015 zitiert: einer Aktie nur die durch Steuerabzug erhobene Kapita- Die Empörung war groß und parteiübergreifend, als lertragsteuer einmal erstattet werden könne – außerdem der Bundestag am 15 .Januar 2015 über spezielle seien solche Geschäfte von jeher rechtswidrig gewesen Börsengeschäfte mit Namen Cum-Ex diskutierte . und gesetzlich nicht gedeckt . 12108 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) Die Cum-Ex-Geschäfte wurden zuletzt am Mittwoch Cum-Ex-Geschäfte illegal waren – das Geld der Steu- (C) eingehend im Finanzausschuss beraten . erzahlerinnen und Steuerzahler ist weg . Um nach vorne schauen zu können, muss erst mal geklärt werden, wel- Konsequent, jedenfalls formal gedacht, wäre die For- che Abläufe im Ministerium und bei der Bundesanstalt derung nach einem Untersuchungsausschuss . Da Grüne für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, strukturell und Linke auf die Einsetzung eines solchen Untersu- diese Vorgänge befördert haben, damit sich so etwas eben chungsausschusses verzichten, scheint ihr Aufklärungs- interesse doch begrenzt zu sein . nicht wiederholt . Und wenn Sie schon stets betonen, dass es sich bei den Cum-Ex-Geschäften um Straftaten han- Seit der Umstellung des Erhebungsverfahrens der delte, dann nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass es Kapitalertragsteuer sind die betrügerischen Cum-Ex-Ge- Aufgabe des Staates ist, Straftaten von vornherein zu ver- schäfte ausgeschlossen . Versuche des Steuerbetrugs wird hindern, insbesondere, wenn diverse Hinweise auf ihre es leider auch in Zukunft geben . Notwendig ist deshalb fortwährende Begehung vorliegen . die Herstellung transparenter Besteuerungsverfahren und die enge Zusammenarbeit der Finanzverwaltung über In der ersten Lesung zu diesem Antrag hat der ge- Grenzen hinweg . Die SPD wird sich auch weiterhin kon- schätzte Kollege Binding von der SPD immerhin ein- sequent für solche Maßnahmen zur Vorbeugung und Ver- gestanden, dass sich hier keiner freisprechen könne und folgung von Steuerbetrug einsetzen . dass dieser gewaltige Schaden zulasten der Steuerzahle- rinnen und Steuerzahler unter den Augen der Politik über Jahre hinweg entstehen konnte . Ich begrüße Ihre Selbst- Richard Pitterle (DIE LINKE): Zusammen mit den kritik, sehr geehrter Herr Kollege, aber wieso sehen Sie Grünen fordert die Fraktion Die Linke die Einsetzung ei- dann keinen Aufklärungsbedarf? nes Sonderermittlers zur Aufarbeitung der Cum-Ex-Ge- schäfte . Nochmal zur Erinnerung: Bei den sogenannten Noch einmal: Zwölf Milliarden Euro Schaden! Zehn Cum-Ex-Geschäften handelte es sich um Aktiengeschäf- Jahre hat das Bundesfinanzministerium fast tatenlos zu- te, durch welche der deutsche Staat und damit die Steu- geschaut! Dass Sie, meine Damen und Herren von der erzahlerinnen und Steuerzahler von 2002 bis 2012 um großen Koalition, angesichts dieser Eckwerte trotzdem geschätzt zwölf Milliarden Euro gebracht wurde . Dieser keinen Aufklärungsbedarf sehen wollen, ist unbegreif- Schaden entstand, weil bei diesen Geschäften zweimal lich . Geben Sie sich also einen Ruck und sorgen Sie ge- Kapitalertragsteuer vom Staat zurückerstattet oder ver- meinsam mit Grünen und Linken dafür, dass die Steu- rechnet wurde, obwohl sie nur einmal gezahlt worden erzahlerinnen und Steuerzahler erfahren, wie es dazu war . Banken und Großinvestoren lachten sich ins Fäust- kommen konnte, dass sie um zwölf Milliarden Euro ge- chen und machten ordentlich Kasse . Ob diese Praktiken bracht wurden . (B) legales Ausnutzen einer Regelungslücke oder schlicht (D) Betrug waren, ist noch nicht abschließend geklärt, aber Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das ist bei dem vorliegenden Antrag auch gar nicht die Zehn Jahre lang konnten Betrüger am Finanzmarkt die Frage . Die Frage ist: Warum hat die Bundesregierung Bürgerinnen und Bürger unseres Land ausplündern . und insbesondere das Bundesfinanzministerium trotz Schätzungsweise 12 Milliarden Euro konnten uns ge- verschiedener Hinweise auf diese Geschäfte zehn Jah- stohlen werden, weil die verschiedenen staatlichen Stel- re lang fast nichts unternommen, um diese Praxis zu len nicht in der Lage waren, diese Betrügereien recht- unterbinden? Bereits 2002 kam der erste Hinweis des zeitig zu stoppen. Profitiert haben die beteiligten Banken Bankenverbandes an das Ministerium, nichts ist pas- und die Millionäre, die in die entsprechenden Finanz- siert . Trifft es zu, dass es nicht nur diesen Hinweis des produkte investiert haben . Verloren haben die ehrlichen Bankenverbands gegeben hat, sondern zugleich die War- Steuerzahler, deren Geld nicht für öffentliche Leistungen nung aus den Lobbykreisen davor, gesetzgeberisch ein- verwendet, sondern ohne Gegenleistung an Millionä- zugreifen, weil die Cum-Ex-Geschäfte dann nach Lon- re überwiesen wurde . Das ist der Skandal, der sich mit don abwandern würden, womit der Standort Frankfurt dem Stichwort Cum-Ex verbindet . Und das schlimme ist, gefährdet wäre? Diese Untätigkeit zugunsten der Finan- dass das Hase-und-Igel-Spiel am Finanzmarkt unverän- zindustrie hat die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dert weitergeht . Mit den Cum-Cum-Geschäften haben zwölf Milliarden Euro gekostet, und das lassen wir so wir ja bereits die nächste Runde in diesem Spiel, bei der nicht durchgehen . es wieder um Milliarden Euro an Steuergeld geht . Umso Meine Damen und Herren von der großen Koalition, wichtiger ist es, dass dieser Skandal aufgeklärt wird und leider haben Sie in den Beratungen zu diesem Antrag daraus Konsequenzen gezogen werden, damit so etwas kein Interesse an der Aufklärung dieses zahlenmäßig künftig nicht mehr vorkommen kann . wohl größten Finanzskandals in der Geschichte der Bun- Die Finanzverwaltungen versuchen inzwischen, den desrepublik gezeigt . Sie haben immer nur abgewiegelt, Schaden für den Steuerzahler zu mindern . Zahlreiche zi- dass das Ganze ja ohnehin als Betrug zu klassifizieren vilrechtliche Verfahren sind anhängig, in denen die Frage und dementsprechend strafbar sei . Man müsse stattdes- geklärt wird, wie die Geschäfte steuerlich zu behandeln sen nach vorne schauen, für die Vergangenheit sei alles sind, wer Steuern nachzahlen oder erstattete Steuer zu- geklärt . rückzahlen muss . Doch die Frage, warum die Behörden Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, das eigentlich dem Treiben an den Finanzmärkten so spät auf kann doch nicht Ihr Ernst sein . Selbst wenn die Gerich- die Spur kamen und nicht in der Lage waren, den Fiskus te abschließend zu der Feststellung kommen, dass die vor dem Betrug zu schützen, wird in diesen Gerichtsver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12109

(A) fahren nicht geklärt, das müssen wir politisch klären . Das möglichkeiten durch das Gesetz nur „verringert“ wur- (C) fehlt bisher . den, wie es in der Begründung des Finanzministeriums Die Staatsanwaltschaften ermitteln inzwischen gegen zum Gesetz hieß (BT Drucks .16/2712, Anlage 3, S .47) . eine Reihe von Beteiligten . Natürlich müssen diese Be- Warum gelang es 2007 nicht, dem Treiben ein Ende zu trüger bestraft werden . Ich hoffe, dass anders als in vielen machen? Das sind auch Fragen, denen wir uns im Finan- anderen Fällen am Finanzmarkt tatsächlich die Verant- zausschuss kritisch stellen müssen . wortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können . Besonders peinlich für den Staat wird es, wenn man Was aber die Staatsanwaltschaften nicht untersuchen, sich die Rolle der Landesbanken anschaut . Warum haben sind die Fehler aufseiten der Politik . Das zu klären, ist öffentliche Banken mitgemacht beim Betrug an der Öf- unsere Aufgabe . Wir müssen doch verstehen, warum wir fentlichkeit? Auch hier gibt es bislang keine Antworten, diese Betrügereien überhaupt ermöglicht haben . Um es wie das geschehen konnte . in einem Bild zu sagen: Wir wissen alle, dass Einbruch illegal ist . Trotzdem schließen wir unsere Türen ab, wenn Angesichts all dieser offenen Fragen ist es dringend wir morgens das Haus verlassen . Was würde Ihre Fami- erforderlich, aufzuarbeiten, was aufseiten des öffentli- lie Ihnen sagen, wenn Sie ihre Haustüre und ihre Fenster chen Sektors – Bankenaufsicht, Bundeszentralamt für weit geöffnet gelassen hätten und Einbrecher ihre Woh- Steuern, Landesbanken, Landesfinanzministerien und nung verwüstet hätten? Was müssten Sie sich anhören, Bundesfinanzministerium – politisch, strukturell und or- wenn Sie dies nicht einmal aus Versehen gemacht hätten, ganisatorisch schiefgelaufen ist . Wir müssen Fehler ver- sondern zehn Jahre lang, jeden Tag die Türen offen gelas- stehen, sonst werden wir sie wieder machen . sen hätten und jeden Tag die Einbrecher bei Ihnen ein – und ausgegangen wären? Würde Ihre Familie sich damit Die Koalition argumentiert nun widersprüchlich . Ei- zufrieden geben, wenn Sie auf die Gesetze hinweisen nerseits wird so getan, als sei der Koalition das Thema würden, dass Einbruch illegal sei? Nein, die Erwartung auch sehr wichtig und nur das von uns vorgeschlagene wäre, dass man die Türen verschließt . Genau das aber Instrument Sonderermittler passe nicht . Andererseits gab ist doch die Situation mit den Cum-Ex-Geschäften . Das es aber keine Bereitschaft für einen anderen Weg der Finanzministerium hat die Tür zum Finanzamt weit offen Aufklärung . Wir hatten in mehreren Gesprächen in den gelassen . Tag für Tag, zehn Jahre lang durften Einbre- letzten Wochen deutlich gemacht, dass wir auch für an- cher die Steuergelder Ihrer und unser aller Familien aus- dere Wege der Aufarbeitung dieses Skandals bereit wä- plündern . Niemand hat die Türe abgeschlossen, obwohl ren . Doch die Koalition hat keinen Vorschlag gemacht, es laute Warnung gab, dass sie weit offen stand . Und wie es denn anders gehen könnte . Das macht deutlich, die Verantwortung dafür und die Konsequenzen daraus was die eigentliche Position der Koalition ist – und das (B) müssen geklärt werden, damit in Zukunft das Steuergeld (D) wurde dann in den Ausschussberatungen ja auch am geschützt ist . Schluss ehrlich zugegeben: Die Koalition will nicht, dass Durch eine Gesetzesänderung wurden die Verfahren hier etwas aufgearbeitet wird . verändert, sodass heute die damaligen Trickerseien in genau dieser Form wohl nicht mehr nötig sind . Doch Ein anderes Argument gegen unseren Antrag war: Die warum geschah das erst, nachdem schon Milliarden ver- Unterlagen sind doch alle öffentlich . Doch das stimmt loren waren? Im Jahr 2002 hat der Bankenverband die nicht . Über das Handeln oder Nicht-Handeln der Ban- Bundesregierung schriftlich darauf hingewiesen, dass kenaufsicht gibt es keine öffentlichen Informationen . das System der Kapitalertragsteuer in Deutschland be- Auch nicht über die interne Kontrolle bei den Landes- trugsanfällig sei . Banken und sehr vermögende Privat- banken oder die Meinungsbildung zwischen Bund und personen könnten sich die Kapitalertragsteuer zweimal Ländern . Vor allem aber ist das eine sehr komplexe Mate- vom Fiskus erstatten lassen, obwohl sie nur einmal abge- rie, bei der es nicht um eine einzelne Fehlentscheidunge führt worden sei . In seinem Schreiben hatte der Banken- geht, sondern um eine ganze Phase von offenbar unzu- verband nicht nur abstrakt auf eine Betrugsmöglichkeit reichendem Handeln staatlicher Organe und Behörden . hingewiesen, sondern diese klar beschrieben: Es ging Sinnvoll wäre daher – und deshalb haben wir genau das um Leerverkäufe von Aktien während des Dividenden- vorgeschlagen –, dass ein sachkundiger und unabhängi- stichtags, sogenannte Cum-Ex-Geschäfte . Besonders ger Experte Zugang zu den entsprechenden Dokumenten betrugsanfällig seien diese Cum-Ex-Geschäfte zwischen bekommt und uns die Zusammenhänge, Ursachen und einer ausländischen und einer inländischen Bank . Die die Reaktionen der Exekutive aufarbeitet und bewertet . Bundesregierung ignorierte dieses Schreiben fünf Jahre Auf dieser Grundlage könnten wir im Finanzausschuss lang. Warum? Waren das Bundesfinanzministerium und die Länderfinanzministerien so naiv, zu meinen, dass Fi- dann fundiert über notwendige Konsequenzen aus die- nanzmarktakteure eine solche Möglichkeit nicht nutzen sem Skandal für Gesetzgebung und Administration dis- würden? Oder sollte aus Gründen der Finanzmarktförde- kutieren . In anderen Ländern, aber auch bei uns gibt es rung möglichst nicht gegengesteuert werden? zahlreiche Vorbilder für eine solche Vorgehensweise . Im Jahressteuergesetz 2007 wurden Regelungen ein- Ich finde es vor dem Hintergrund des entstandenen geführt, die Betrügereien mittels Cum-Ex-Geschäften Schadens unverständlich und aus der Perspektive der ge- zwischen inländischen Banken mindern sollten . Die schädigten Bürgerinnen und Bürger unverständlich, dass Bundesregierung war sich dessen bewusst, dass es sich Sie sich einer solchen konstruktiven Vorgehensweise hier nur um eine Teillösung handelte und die Betrugs- verweigern . 12110 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) Anlage 4 eigenes Stammgesetz zum automatischen Austausch (C) von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: geschaffen . Informationen sollen aber nur mit den Län- – des von der Bundesregierung eingebrachten dern ausgetauscht werden, die unsere hohen deutschen Entwurfs eines Gesetzes zu der Mehrseitigen Datenschutzstandards erfüllen . Dazu wird Deutschland Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen eine besondere Datenschutzklausel bei der OECD hin- den zuständigen Behörden über den automa- terlegen . tischen Austausch von Informationen über Fi- nanzkonten Durch den jährlichen Informationsaustausch wird es für die Finanzbehörden künftig einfacher, für eine ge- – des von der Bundesregierung eingebrachten rechte Besteuerung zu sorgen . Indem wir bestehende Entwurfs eines Gesetzes zum automatischen Steueransprüche durchsetzen, sichern wir die Grundla- Austausch von Informationen über Finanzkon- gen unseres Gemeinwesens . Unser Bildungswesen, unse- ten in Steuersachen und zur Änderung weiterer re Verkehrsinfrastruktur, unsere innere Sicherheit, unsere Gesetze hohe soziale Absicherung – all das hängt davon ab, dass – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE die öffentlichen Haushalte zuverlässig und auskömmlich GRÜNEN: Abgeltungsteuer abschaffen finanziert sind. Niemand soll sich auf Kosten der Allge- meinheit seiner Steuerpflicht entziehen können. – des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Kapitaleinkommen Wir haben aber nicht nur die illegale Steuerhinterzie- stärken – Automatischen Austausch von Infor- hung im Blick, sondern genauso die Probleme legaler mationen über Kapitalerträge auch im Inland Steuervermeidung, vor allem durch international tätige einführen Konzerne . (Tagesordnungspunkt 19 a bis d) Gemeinsam mit seinem britischen Kollegen hat Fi- nanzminister Schäuble dazu bereits vor vier Jahren auf Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Bei der Be- Ebene der G 20 und im Rahmen der OECD das internati- kämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermei- onale Projekt „Gegen die Aushöhlung von Steuerbemes- dung gehen wir heute einen weiteren – grundlegenden – sungsgrundlagen und Gewinnverlagerung“ (Base Eros- Schritt voran . ion and Profit Shifting – kurz BEPS) initiiert. Ziel des BEPS-Projekts ist es, international abgestimmte Stan- Bei der Bekämpfung der illegalen Steuerhinterzie- dards zu vereinbaren, um die Möglichkeiten multinati- hung – das sind Fälle wie Hoeneß oder Alice Schwarzer – (B) onal tätiger Unternehmen zur kreativen Steuergestaltung (D) sind wir einen ganz wesentlichen Schritt vorangekom- zu begrenzen . Es ist ein veritabler Erfolg, dass Anfang men . Im Oktober vergangenen Jahres haben insgesamt Oktober in Lima die abschließenden Berichte zu BEPS 51 Staaten hier in Berlin die multilaterale Vereinbarung vorgestellt werden . Die nationale Umsetzung steht dann über den automatischen Informationsaustausch über Fi- unmittelbar an . nanzkonten unterzeichnet, die maßgeblich durch diese Bundesregierung initiiert wurde . Danach werden ab 2017 Mit dem automatischen Informationsaustausch und die Steuerbehörden in den Unterzeichnerstaaten in einem der BEPS-Initiative gehen wir deshalb gleichermaßen automatisierten Verfahren Kontoinformationen von den entschieden gegen Steuerbetrug und legale Steuerver- in ihrem Staat oder Gebiet ansässigen Banken und Fi- meidung vor . nanzdienstleistern erhalten, und sie werden diese Daten untereinander austauschen . Das ist ein grundlegender Die Anträge der Opposition lehnen wir ab . Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung . Länder, die Es bedarf keiner schrankenlosen Transparenz über sich daran beteiligen, stehen als Fluchtort für Kapitalver- alle Kapitaleinkünfte und keiner weiteren Lockerung mögen nicht mehr zur Verfügung . des Bankgeheimnisses . Die Finanzbehörden – das ist Dazu beraten wir heute zwei Gesetzentwürfe, mit entscheidend – werden die Informationen über Kapital- denen der automatische Informationsaustausch über Fi- einkünfte im Ausland durch den Informationsaustausch nanzkonten in Steuersachen mit den anderen EU-Mit- umfassend erhalten . Im Inland werden Kapitaleinkünfte gliedstaaten und Drittstaaten ab 2017 in Deutschland bereits heute durch die flächendeckende Kapitalertrag- umgesetzt wird . steuer erfasst. Schlupflöcher bestehen nicht, denn die Kapitalertragsteuer wird automatisch durch die Banken Mit der Mehrseitigen Vereinbarung verpflichten sich erhoben und in anonymisierter Form an die Finanzver- die Vertragsparteien, die in dieser Vereinbarung bezeich- waltung abgeführt . neten und für das Besteuerungsverfahren in den ande- ren Vertragsstaaten erforderlichen Informationen über Eine Abschaffung der Abgeltungsteuer steht jetzt nicht Finanzkonten regelmäßig zu erheben und dem anderen zur Debatte . Zwar erklären sich immer mehr Staaten zum Vertragsstaat automatisch zu übermitteln . Mit dem Ge- Informationsaustausch über Kapitaleinkünfte bereit, setz zum automatischen Austausch von Informationen noch ist aber nicht gesichert, dass wir alle Auslandsein- über Finanzkonten in Steuersachen und zur Änderung künfte erfassen können . Im Interesse der Wettbewerbsfä- weiterer Gesetze soll die Anwendung des Gemeinsamen higkeit unseres Finanzstandortes, der damit verbundenen Meldestandards für den Informationsaustausch zwischen Arbeitsplätze sowie der daran anknüpfenden Steuerein- den zuständigen Behörden geregelt werden . Es wird ein nahmen ist die Abgeltungsteuer sinnvoll und richtig . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12111

(A) Andreas Schwarz (SPD): Die vorliegenden Umset- rungen trat sie im Juli 2005 in Kraft . Lediglich Belgien, (C) zungsgesetze zum automatischen Informationsaustausch Österreich und Luxemburg scherten aus und erhoben zur sind ein Meilenstein in der Bekämpfung der Steuerkri- Wahrung ihres Bankgeheimnisses eine Quellensteuer . Es minalität . Seit vielen Jahrzehnten diskutiert die Politik, hat also über 40 Jahre gedauert, bis endlich ein Instru- wie man Steuerhinterziehern auf die Schliche kommt, die ment für eine effektive Besteuerung grenzüberschreiten- ihre Zinsgewinne vor dem Fiskus im Ausland verstecken . der Zinszahlungen zur Verfügung stand . Über 40 Jahre! Steuerbetrug kann auch mit nationaler Gesetzgebung In der heutigen Zeit kommt es aber vor allem bei den wirksam bekämpft werden . Das haben wir mit der Ver- Kapitalströmen entscheidend darauf an, dass wir schnell schärfung der strafbefreienden Selbstanzeige im vergan- reagieren, wenn wir einen Missstand beheben wollen . genen Jahr eindrucksvoll unter Beweis gestellt . Bereits Mit der Umsetzung der Mehrseitigen Erklärung spitzen die Ankündigung, die Bedingungen für die Selbstanzeige wir nicht nur den Mund, wir pfeifen auch . Denn bereits ab 1 1. 2015. zu verschärfen und vor allem deutlich teurer ein knappes Jahr nach der Unterzeichnung der Mehrsei- zu machen, hat im letzten Jahr über 40 000 Steuerflüchti- tigen Erklärung Ende Oktober 2014 schaffen wir nun ge dazu bewogen, sich selbst anzuzeigen . Auch in diesem die gesetzlichen Grundlagen für die Anwendung des Jahr wird mit rund 20 000 Selbstanzeigen gerechnet . Das OECD-Standards . Für diese Leistung spreche ich allen war in dieser Höhe nicht unbedingt zu erwarten . Beteiligten meinen herzlichen Dank aus . Trotz dieses großen Erfolges eines nationalen Geset- Die im Jahre 2014 überarbeitete Zinsrichtlinie ist ein zes: Steuerhinterziehung ist mit nationalstaatlicher Ge- guter Zwischenschritt zum Automatischen Informations- setzgebung alleine nicht beizukommen . Das erreichen austausch nach OECD-Standard . Ein Zwischenschritt wir nur durch internationale Zusammenarbeit . deshalb, weil der OECD-Standard weiter geht als die EU-Zinsrichtlinie . Denn künftig werden zum Beispiel Bereits am 13 .Oktober 1931 hatte der damalige sozial- auch Beteiligungs- und Veräußerungserträge erfasst . demokratische Reichstagsabgeordnete Dr . Rudolf Breit- scheid in einem Antrag die Reichsregierung Brüning auf- Mit der Ratifizierung der Mehrseitigen Vereinbarung gefordert – ich zitiere –, „der frevelhaften Kapital- und von Ende Oktober 2014 über den automatischen Aus- Steuerflucht deutscher Staatsangehöriger“ zu begegnen. tausch von Informationen über Finanzkonten nach dem Breitscheid forderte die damalige Reichsregierung auf, OECD-Standard und dem Finanzkonten-Informations- austauschgesetz, das die Anwendung des Gemeinsamen ich zitiere–, „über eigene gesetzgeberische Maßnah- Meldestandards für diesen automatischen Informations- men zur Bekämpfung der Steuer- und Kapitalflucht hinaus austausch über Finanzkonten mit den EU-Mitgliedstaa- in Verhandlungen mit den Regierungen anderer Staaten ten auf Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie sowie mit einzutreten mit dem Ziele, eine internationale Rechtshilfe Drittstaaten auf Grundlage der Mehrseitigen Vereinba- (B) gegen Kapital- und Steuerfluchthandlungen zu vereinba- (D) rung regelt, kommen wir endlich den globalen Erfor- ren“ . Dieses über 80 Jahre alte Zitat drückt sehr gut aus, dernissen nach . Von Januar 2016 an werden die teilneh- um was es geht . Es bedarf nationaler, aber vor allem auch menden Staaten Daten über Konten erheben, die diese ab internationaler Gesetze und Vereinbarungen, um Steuer- September 2017 untereinander austauschen . kriminalität wirksam bekämpfen zu können . Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, Es fehlte viel zu lange an dieser unerlässlichen inter- dass es für unsere Steuerbehörden somit künftig deut- nationalen Zusammenarbeit, wobei wiederum nicht jedes lich einfacher wird, die notwendigen Informationen über internationale Abkommen zielführend sein muss . Das Privatkonten deutscher Staatsbürger von ausländischen deutsch-schweizerische Steuerabkommen ist so ein Bei- Steuerbehörden zu erhalten . spiel . Bei Inkrafttreten dieses Abkommens wären sämt- liche Steuerhinterzieher anonym und straffrei geblieben . Die Übermittlung der Finanzkonten-Daten sind uner- Das haben wir damals aus guten Gründen zum Glück lässlich, um Steuerflucht noch wirksamer zu bekämpfen verhindern können . und damit dem Staat die Mittel zukommen zu lassen, die er für die Erfüllung seiner Aufgaben dringend braucht . Aber was wurde in den letzten Jahrzehnten tatsächlich Das damit einhergehende faktische Ende des Bankge- auf internationaler Ebene unternommen, um ein wirksa- heimnisses war unumgänglich . Es diente in den vergan- mes Instrument zur Aufdeckung grenzüberschreitender genen Jahrzehnten leider allzu oft als Deckmantel für Steuerhinterziehung zu schaffen? Steuerhinterziehung . Damit wird jetzt endlich Schluss 1962 erarbeitete Fritz Neumark im Auftrag der gemacht . Steuerhinterziehung darf sich nicht lohnen . Es EG-Kommission ein Konzept, das die EG-weite Ein- lohnt sich deshalb nicht, weil die Gefahr erwischt zu wer- führung einer einheitlichen anrechenbaren Quellensteu- den immer größer wird . Mit dem neuen OECD-Standard er sowie einen gemeinschaftlichen Auskunftsdienst für existiert jetzt ein neues Instrument zur Aufdeckung von eine wirksame Steuerkontrolle vorsah . Realisiert wurde Steuerstraftaten, das hoffentlich auch dem Letzten klar es nicht . macht, welche Stunde es geschlagen hat . 1989 war der Vorschlag der Europäischen Kommissi- Ich komme zum Schluss . Die Bekämpfung von Steu- on, eine Quellensteuer in Höhe von 15 Prozent auf die erbetrug bedeutet für uns Sozialdemokraten immer auch Zinserträge ausländischer Anleger einzuführen, von den ein Stück Steuergerechtigkeit . Mit der heutigen ersten Mitgliedstaaten mehrheitlich abgelehnt worden . Es dauer- Lesung und der endgültigen Verabschiedung am 13 .No - te viele weitere Jahre, bis dann im Juni 2003 die EU-Zins- vember kommen wir auch hier wieder ein gutes Stück richtlinie verabschiedet wurde . Nach einigen Verzöge- voran . 12112 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) Richard Pitterle (DIE LINKE): Vor einem Jahr wur- Bei der Unterzeichnung des Abkommens hat die Bun- (C) de das völkerrechtliche Abkommen über den Austausch desrepublik zwar die Verwendung der Daten für andere von Kontodaten zwischen Finanzbehörden der Unter- Zwecke als die Besteuerung untersagt und die Zustim- zeichnerstaaten geschlossen . Ziel des Abkommens ist mung an die Wahrung des Datenschutzes geknüpft . Nur es, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung durch finden diese richtigen Beschränkungen keinen Nieder- die Nutzung von Konten im Ausland zu bekämpfen . Das schlag im Ausführungsgesetz . Mit dem Gesetz werden Abkommen gibt den Steuerbehörden die Möglichkeit, Finanzinstitute verpflichtet, Daten - wie zum Beispiel Auslandskonten durch einen Datenaustausch weltweit Namen, Geburtsort, Geburtstag, Steuernummer, Konten- nachzuspüren . salden, Zinsen - zu erheben und an das Bundeszentralamt für Steuern zu übermitteln . Dieses speichert und über- Dieses Abkommen erfüllt eine langjährige Forderung trägt die Daten automatisch auf Abruf ins Ausland . der Linken . Wir werden daher das Zustimmungsgesetz zum Abkommen selbstverständlich unterstützen . Der automatische Austausch von Informationen über Was uns der Bundesfinanzminister darüber hinaus zur Finanzkonten ist damit die anlasslose Vorratsdatenspei- Beratung vorgelegt hat, verdient nicht einmal die Note cherung im Steuerrecht. Ich bezweifle, dass der Entwurf ungenügend . Mit dem Finanzkonten-Informationsaus- der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfas- tauschgesetz soll der vereinbarte Datenaustausch gesetz- sungsgerichtes zur Vorratsdatenspeicherung und zum lich geregelt werden . Die Stümperhaftigkeit dieses Wer- automatisierten Kontenabruf gerecht wird . Ich sehe im kes lässt mich fassungslos und ratlos zurück . Entwurf keine klaren und präzisen Regelungen hinsicht- lich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Es ist eine Ansammlung 1:1 kopierter Textpassagen Transparenz und des Rechtsschutzes . Ich sehe auch keine aus der EU-Amtshilferichtlinie und dem Abkommen . Regelungen, die einen wirksamen Schutz personenbezo- So ist zum Beispiel § 25 des Gesetzentwurfes - mit der gener Daten vor Missbrauchsrisiken, vor unberechtigtem schon unverständlichen amtlichen Überschrift „Trusts, Zugang und unberechtigter Nutzung gewährleisten . Ein die passive NFEs sind“ - der Text der Nr . 5 Anhang II der Schutz, der bei einer Vielzahl von Unterzeichnerstaaten EU-Amtshilferichtlinie . Der strukturlose Entwurf wim- mit völlig unzureichendem Datenschutzniveau zwingend melt von unverständlichen Formulierungen, Doppelun- ist . gen und Leerplätzen. Unzählige Definitionen sind völlig sinnfrei: Ein „Neukonto natürlicher Personen“ ist überra- Abschließend lassen Sie mich erneut für die Abschaf- schend definiert als „ein Neukonto, dessen Inhaber eine fung der Abgeltungssteuer werben . Lieber „25 Prozent natürliche Person ist“ . Ein „passiver NFE“ ist ein „NFE, von X, statt 42 Prozent von nix“ ließ der damalige Bun- der kein aktiver NFE ist“ . desfinanzminister Steinbrück verlauten. Der tragende (B) Grund für die Abgeltungssteuer war die Angst vor einer (D) Offenkundig ist im Bundesfinanzministerium we- Kapitalflucht ins Ausland. Mit der Umsetzung des Ab- der das vom Bundesjustizministerium herausgegebene kommens entfällt dieser Grund . Lassen Sie uns endlich Handbuch der Rechtsförmlichkeit noch die seit 2009 be- mehr Steuergerechtigkeit herstellen und Kapitalerträge stehende Sprachberatung in den Bundesministerien für in Zukunft wenigstens genauso besteuern wie Arbeits- verständliche Gesetze bekannt . Im Vorwort zum Hand- einkommen . buch der Rechtsförmlichkeit heißt es mahnend: „Es geht aber nicht nur darum, dass eine Vorschrift juristisch stim- Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Ein- mig ist . Wenn sie die Bürgerinnen und Bürger, die Unter- führung des automatischen Informationsaustauschs for- nehmen und die Rechtsanwender erreichen soll, muss die dern wir Grüne im Bundestag seit vielen Jahren . Finanz- Norm auch übersichtlich gestaltet, klar und verständlich minister Schäuble hat sich solch einem automatischen formuliert sein“ . Nichts, aber auch gar nichts davon er- Informationsaustausch lange verweigert . Indem er mit füllt dieser Entwurf! der Schweiz ein auf Anonymität basierendes Steuerab- Auch scheint das Bundesfinanzministerium nicht zu kommen aushandelte bewies er, dass ihm nichts an ei- wissen, dass Richtlinien und völkerrechtliche Verträge nem automatischen Informationsaustausch lag . Erst die weder nach ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Struktur rot-grüne Ablehnung dieses Abkommens im Bundesrat noch nach ihrer Zielgruppe überhaupt dazu geeignet sind, hat den Weg für den automatischen Informationsaus- wörtlich übernommen zu werden . Das nationale Recht tausch frei gemacht . Ohne unseren Einsatz würden wir ist den Richtlinien anzupassen und hat völkerrechtliche heute diesen Gesetzentwurf nicht diskutieren . Verträge umzusetzen . Verbindlich ist das Ziel, nicht die Die Einführung des automatischen Informationsaus- Form . So steht es im Vertrag über die Arbeitsweise der tauschs ist nur ein erster Schritt hin zu einem gerechte- Europäischen Union . ren Steuersystem, das Steuerhinterziehung konsequent Schon formell ist das Gesetz handwerklich ein Total- unterbindet . Meine Fraktion bringt daher zwei Anträge schaden und so miserabel, dass sich die Fehler in unse- zu dem vorliegenden Gesetzentwurf ein, mit denen wir rem Haus nicht mehr beheben lassen . weitere notwendige Schritte einfordern . Ich habe aber auch inhaltliche Bedenken . Als Finanz- Mit dem ersten Antrag fordern wir die längst überfälli- politiker streite ich für maximale Transparenz im Kampf ge Abschaffung der Abgeltungsteuer . Von Anfang an war gegen die Steuerhinterziehung . Als Rechtspolitiker sehe die Abgeltungsteuer ungerecht und verfassungsrechtlich ich, dass der automatische Datenaustausch Fragen des zweifelhaft, weil sie Kapitaleinkünfte gegenüber zum Datenschutzes - und damit Grundrechte - vital berührt . Beispiel Arbeitseinkommen stark privilegiert . Die steu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12113

(A) erliche Begünstigung von Fremdkapital gegenüber Ei- Daten müssen natürlich durch das strikte deutsche Steu- (C) genkapital führte zudem zu ökonomischen Verzerrungen ergeheimnis geschützt werden, um sicherzustellen, dass bei der Finanzierung und Investitionstätigkeit von Unter- diese Daten nicht für andere Zwecke verwendet oder an nehmen . andere Stellen weitergeleitet werden . Die einzige Begründung für die Abgeltungsteuer war, In den vergangenen Jahren erlebten wir eine Vielzahl dass die deutsche Regierung vermeintlich keine Hand- an Steuerhinterziehungs-Skandalen, die das Verstecken habe gegen illegale Kapitalflucht ins Ausland hatte. Die von Geldern in Steuersümpfen, auf Offshore-Konten damalige Bundesregierung kapitulierte und machte den oder in Offshore-Firmen zum Hintergrund hatten . Be- Steuerflüchtigen das Angebot: Ihr bleibt mit eurem Ver- zeichnend war, dass die Informationen zu den Steuer- mögen in Deutschland, versteuert eure Kapitalerträge, betrügern nicht auf offiziellem Wege zugänglich waren, aber nicht mehr mit bis zu 45 Prozent progressiv, son- sondern zufällig durch Datenlecks an die Öffentlichkeit dern anonym und linear mit 25 Prozent . Dieser Steuer- gelangten . Dass die Zahl der Selbstanzeigen während der satz gilt selbst bei Kapitaleinkünften in Millionenhöhe . Berichterstattung über diese Steuerskandale signifikant Schon die vielen Steuerhinterziehungsskandale wie zum gestiegen ist, macht deutlich: Nicht die Anonymität von Beispiel Swiss-Leaks, Commerzbank-Leaks und der Konten oder gar die Begünstigung von Kapitalerträgen Fall Uli Hoeneß zeigen deutlich, dass diese Rechnung durch eine Abgeltungsteuer führen zu Steuerehrlichkeit nie aufging . Auch 25 Prozent sind zu hoch, wenn man bei Steuerbetrügern, sondern ein hohes Entdeckungsri- woanders gar keine Steuern zahlt . Mit Einführung des siko . Ein automatischer Informationsaustausch für sämt- automatischen Informationsaustauschs mit allen wichti- liche Kapitalerträge in Verbindung mit der Abschaffung gen internationalen Finanzzentren ist die Begründung für der Abgeltungsteuer wird die Entdeckungsgefahr erhö- die Abgeltungsteuer endgültig hinfällig . Es besteht eine hen . Das ist ein großer Fortschritt im Kampf gegen Steu- Handhabe gegen Steuerhinterziehung . erhinterziehung . Im Vergleich zu Arbeitseinkommen liegt der Steuer- Einige offensichtliche Schwächen enthält aber auch satz bei Kapitaleinkünften durch die Abgeltungsteuer um der vorliegende Gesetzentwurf . Ein mit Vorsatz begange- bis zu 20 Prozent niedriger . Das verstößt nicht nur gegen ner Verstoß gegen die zukünftigen Meldeverpflichtungen jegliches Gerechtigkeitsempfinden, es verstößt auch ge- der Banken soll lediglich als Ordnungswidrigkeit gelten, gen den Gleichheitsgrundsatz . Spätestens mit der Einfüh- die mit maximal 5 000 Euro Geldbuße geahndet wird . rung des automatischen Informationsaustauschs besteht Es ist abzusehen, dass von dieser Regelung keine große keine Rechtfertigung mehr für diese steuerliche Begüns- Abschreckungswirkung ausgeht . Dass wir in Deutsch- tigung von Kapitaleinkünften . Die Abgeltungsteuer wird land kein Unternehmensstrafrecht haben, darf nicht dazu somit verfassungswidrig . In unserem Antrag fordern wir führen, dass vorsätzlich gegen die Vorschriften handeln- (B) daher, dass Kapitaleinkünfte noch in dieser Legislatur- de Personen nicht strafrechtlich belangt werden . Hier (D) periode dem progressiven Einkommensteuertarif unter- bedarf es unbedingt einer Klarstellung oder aber einer worfen werden . Verschärfung der Straf- und Bußgeldvorschriften . An- dernfalls gleicht diese Regelung eher einer Einladung, In unserem zweiten Antrag „Transparenz von Kapi- Konteninformationen von zum Beispiel politisch expo- taleinkommen“ setzen wir uns dafür ein, dass deutsche nierten Personen weiterhin vorsätzlich nicht zu melden . Banken verpflichtet werden, sämtliche Kapitalerträge an Auch die Regelung, nach der es gerade die Banken selbst die Finanzbehörden zu melden, unabhängig davon, wo sind, die die Ansässigkeit der Konteninhaber und Melde- der Konteninhaber ansässig ist . Denn für die Frage der pflicht prüfen sollen, lässt viel Spielraum für Steuerhin- Transparenz bei Kapitaleinkommen ist eine Unterschei- terziehung . Bei fehlender Strafandrohung darf vermutet dung von ausländischen und inländischen Inhabern deut- werden, dass diese Prüfung eher lax ausfällt . Zielführen- scher Konten nicht gerechtfertigt . der wäre eine Überprüfung durch die Finanzämter . Spätestens wenn die Abgeltungsteuer abgeschafft ist Weiterhin dürfen wir natürlich nicht vergessen: Es und Kapitaleinkommen wieder im Rahmen der Einkom- ist gut, dass bisher fast 100 Länder beim automatischen mensteuer erklärt werden, brauchen die Finanzbehörden Informationsaustausch mitmachen . Aber das bedeutet mehr Befugnisse, um die Richtigkeit der Steuererklärun- eben auch, dass ungefähr 100 Staaten noch fehlen . Der gen überprüfen zu können . Die einfachste und gerech- automatische Informationsaustausch wirkt umso besser teste Lösung ist dabei ein automatischer Informations- gegen Steuerhinterziehung, wenn weltweit alle Staaten austausch zwischen Banken und Finanzbehörden auch mitmachen . Deshalb muss die Bundesregierung dafür im Inland . Die Meldung sämtlicher Kapitalerträge hätte sorgen, dass sich die Zahl der Teilnehmerstaaten weiter zum einen den Vorteil, dass die Banken die Ansässigkeit erhöht . der Kunden nicht mehr aufwendig prüfen müssen, wie es im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist . Mit unseren Anträgen wollen wir das deutliche Sig- Zum anderen wäre die Besteuerung der Kapitalerträge nal setzen, dass wir beim internationalen automatischen in Deutschland weitestgehend sichergestellt, wenn die Informationsaustausch nicht stehen bleiben dürfen und Finanzbehörden automatisch Informationen über die Ka- auch zu Hause unsere Hausaufgaben machen sollten . pitalerträge erhalten . Bei Arbeitseinkommen ist es selbst- Zusätzlich zur Einführung des automatischen Informati- verständlich, dass die Löhne vom Arbeitgeber an das Fi- onsaustausches ist die Abgeltungsteuer abzuschaffen und nanzamt gemeldet werden . Wir sehen keinen Grund für eine Meldepflicht für sämtliche Kapitalerträge unabhän- die Ungleichbehandlung von Löhnen und Zinsen – hier gig von der Ansässigkeit der Konteninhaber einzuführen . völlige Transparenz, dort völlige Verschwiegenheit . Die Dadurch erfolgt die Besteuerung von Kapitalerträgen 12114 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) nicht mehr anonym und steuerbegünstigt, sondern pro- um einen internationalen fairen Steuerwettbewerb, der (C) gressiv nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit . eben nicht auf Verzerrungen und mangelnde Transparenz aufbaut . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- Nicht zuletzt unsere Bemühungen im Rahmen des desminister der Finanzen: Die Welt hat sich durch mo- G20-Prozesses haben dazu geführt, dass es zu einer be- derne Kommunikationstechnologie maßgeblich gewan- schleunigten Umsetzung des bei der OECD entwickelten delt; sie hat sich vernetzt . Damit ist es leichter geworden, einheitlichen Common Reporting Standard zum Infor- Gelder innerhalb kürzester Zeit auf andere Kontinente zu mationsaustausch für Besteuerungszwecke gekommen verschieben und damit auch vor nationalen Steuerbehör- ist . den zu verbergen . Die Bundesregierung wird sich für eine rasche Ent- Es war daher ein großer Erfolg unserer Politik, als sich wicklung von wirksamen Einzelregelungen auf der fast genau vor einem Jahr hier in Berlin über 50 Staaten Grundlage der Mehrseitigen Vereinbarung einsetzen . und Gebiete mit der Unterzeichnung der Mehrseitigen Hierzu zählt auch der vorliegende eingebrachte Entwurf Vereinbarung zu dem OECD-Standard zu Transparenz eines Gesetzes zum automatischen Austausch von In- und effektivem Informationsaustausch für Besteuerungs- formationen über Finanzkonten in Steuersachen und zur zwecke bekannt und sich entsprechend verpflichtet ha- Änderung weiterer Gesetze . All diese Gesetze dienen der ben, diesen umzusetzen . Inzwischen sind es übrigens konsequenten nationalen Umsetzung der von uns einge- schon 61 Staaten und Gebiete und es werden immer mehr . gangenen völkerrechtlichen Verpflichtung zum interna- Der grenzüberschreitende Steuerbetrug und die gren- tionalen Informationsaustausch . Hierdurch soll national züberschreitende Steuerhinterziehung haben die einzel- gewährleistet werden, dass wir der durch die Zeichnung nen Staaten in den zurückliegenden Jahren vor erhebli- der Mehrseitigen Vereinbarung eingegangenen völ- che und von den einzelnen Ländern nicht mehr allein zu kerrechtlichen Verpflichtung zum ersten Informations- bewältigende Herausforderungen gestellt . Steuergerech- austausch ab 2017 nachkommen . Durch dieses Gesetz tigkeit und die Gewährleistung der Gleichmäßigkeit der werden daher deutsche Finanzinstitute verpflichtet, die Besteuerung sind unabdingbare Voraussetzungen für ein entsprechenden Informationen an das Bundeszentralamt funktionierendes Gemeinwesen und einen handlungsfä- für Steuern zu übermitteln . Das Bundeszentralamt für higen Staat . Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Steuern leitet diese Informationen dann an die Staaten den nationalen Steuerbehörden ist daher unerlässlich, weiter, die diese Informationen für eigene Steuerzwecke um die ordnungsgemäße Ermittlung der Steuerpflicht benötigen . zu gewährleisten und damit internationale Steuerhin- Ich möchte nicht verhehlen, dass der vorgegebene (B) terziehung zu bekämpfen . Dabei kommt insbesondere Zeitplan sowohl in rechtlicher als auch in technischer (D) der Schaffung von Transparenz in Steuerangelegenhei- Hinsicht sehr ambitioniert ist . Das Bundesministerium ten und dem automatischen Informationsaustausch eine der Finanzen arbeitet daher in enger Zusammenarbeit entscheidende Rolle zu . Das ist ein neues wichtiges In- mit dem Bundeszentralamt für Steuern mit Hochdruck an strument im Bereich der internationalen Amtshilfe . Wir der rechtzeitigen technischen Implementierung des Stan- schaffen hierdurch mehr Transparenz und mehr Fairness dards . Wir sind davon überzeugt, die vorgegebenen An- für unsere globalisierte Welt im 21 . Jahrhundert . forderungen zeitgerecht umzusetzen . Dies gilt auch für Die Bundesregierung wird sich im Rahmen dieses die Umsetzung durch die von dem vorliegenden Gesetz vorgesehenen Informationsaustauschs weiter dafür ein- verpflichteten Finanzinstitute. setzen, dass eine möglichst große Anzahl von Staaten an Mit den Gesetzesentwürfen wird der automatische diesem Informationsaustausch teilnehmen wird . Nur so internationale Informationsaustausch in Steuerangele- ist es möglich, weltweit einen einheitlichen internationa- genheiten als effizientes und wirkungsvolles Instrument len Standard für einen fairen internationalen der Verwaltungszusammenarbeit in der Bundesrepublik Steuerwettbewerb zu schaffen . Steuerhinterziehung Deutschland implementiert und stellt einen Pfeiler für kann letztlich nur auf globaler Ebene wirkungsvoll be- unsere Brücke zu mehr internationaler Steuergerechtig- kämpft werden . keit dar . Aufgrund der vorliegenden Mehrseitigen Vereinba- Von Beginn an war dabei auch der Schutz der im Rah- rung erhalten deutsche Finanzbehörden künftig von den men des automatischen Informationsaustauschs zu über- anderen Unterzeichnerstaaten Informationen, die zur Si- mittelnden Daten ein wesentliches Anliegen der Bundes- cherung und dem Erhalt deutschen Steuersubstrats bei- regierung . Sowohl bei den Beratungen auf OECD-Ebene tragen . Ein erster Informationsaustausch ist bereits in als auch bei der Erstellung des Gesetzentwurfs wurde 2017 vorgesehen . dafür Sorge getragen, dass die Sicherheit und der Schutz dieser personenbezogenen Daten gewährleistet werden . Durch das Vertragsgesetz soll dieses Abkommen die Die Bundesrepublik Deutschland wird durch die Hinter- Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erhal- legung einer sehr umfangreichen Erklärung zu Verwen- ten . dungsbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen Die von der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich gewährleisten, dass Informationen, die ein anderer Staat geprägte Mehrseitige Vereinbarung zum automatischen von Deutschland erhält, dem gleichen datensicherheits- Austausch von Informationen über Finanzkonten ist ein rechtlichen Schutz unterliegen, wie Daten die wir von an- weiterer wesentlicher Beitrag in unseren Bemühungen deren Staaten erhalten . Zudem stellt die Erklärung klar, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12115

(A) dass die von der Bundesrepublik Deutschland übersand- zept für den Ausstieg aus der Kernenergie, dann müssen (C) ten Daten nicht für Zwecke verwandt werden dürfen, die wir systematisch vorgehen und nicht das Pferd von hin- gegen den „Ordre public“ der Bundesrepublik Deutsch- ten aufzäumen . Es gibt offene Fragen, die wir zügig und land verstoßen . in der richtigen Reihenfolge klären müssen . Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Um diese noch offenen Fragen zu klären haben wir (Abgeltungsteuer abschaffen) drei Prozesse in Gang gebracht: Ein abschließendes Wort zu dem Antrag der Fraktion Erstens . Wir haben die noch laufende Endlagerkom- Bündnis 90/Die Grünen: Die Bundesregierung ist der mission eingerichtet, die bis Mitte 2016 Empfehlungen Auffassung, dass eine Evaluierung der Notwendigkeit für das Verfahren einer neuen Endlagersuche formulieren der Abgeltungsteuer erst vorgenommen werden sollte, wird . Das ist auch für die Frage eines Nachhaftungsge- wenn der internationale Informationsaustausch über Fi- setzes relevant . Denn von dem noch festzulegenden Ver- nanzkonten etabliert ist und wirksam umgesetzt wurde . fahren wird auch der Kostenrahmen der Endlagersuche Zieldatum für die Umsetzung des automatischen Infor- abhängen . Dieser hängt maßgeblich von der Frage ab, mationsaustausches ist 2017 . Die Frage der Evaluierung wie viele potenzielle Endlagerstandorte erkundet werden der Abgeltungsteuer stellt sich vor diesem Hintergrund sollen . Erst wenn der Kostenrahmen feststeht, wird man derzeit nicht .“ wirklich beurteilen können, ob die 39 Milliarden Euro an Rückstellungen, die die Kernkraftwerkbetreiber bis- her gebildet haben, ausreichen werden . Solange wir das nicht wissen, können wir auch nicht mit dem Finger auf Anlage 5 die Unternehmen zeigen und kritisieren, dass die Rück- Zu Protokoll gegebene Reden stellungen nicht ausreichen . Das macht für mich keinen Sinn und ist auch nicht zielführend . Ob die 39 Milliarden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- ausreichen, kann zurzeit keiner sagen . brachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes Auch Zeitungsberichte zu aktuellen Prognosen von Wirtschaftsprüfern würde ich mit Vorsicht genießen . Die (Tagesordnungspunkt 20) Wirtschaftsprüfer haben offenbar mit einem negativen Realzins gerechnet, was dazu führt, dass die notwendi- Steffen Kanitz (CDU/CSU): Mir ist wichtig, dass wir gen Rückstellungen finanzmathematisch ins unendliche in Deutschland eine tragfähige und verantwortungsvolle steigen . Dieses Szenario ist völlig unrealistisch . Gesamtstrategie der nuklearen Entsorgung entwickeln . (B) Dafür müssen wir in Sachen sichere Endlagerung in Interessant finde ich, dass die Opposition vor wenigen (D) Deutschland endlich weiterkommen . Alles andere wäre Jahren noch lautstark kritisiert hat, dass die Kernkraft- weder im Sinne der Sicherheit noch im Sinne der Wirt- werksbetreiber zu HOHE Rückstellungen in ihre Bücher schaftlichkeit und damit auch nicht im Sinne der jungen geschrieben hätten mit dem Ziel, Steuern zu sparen . Sie Generation. Beide Prinzipien finden sich übrigens im müssen sich schon auf eine Argumentationslinie einigen, Standortauswahlgesetz . Wir täten gut daran, diese zu be- wenn Sie glaubwürdig sein möchten . herzigen . Deutsche Konzerne sind dafür bekannt, dass sie mit Die nationale Entsorgungsstrategie im Nuklearbe- einem konservativen Realzins von nur einem Prozent reich wird maßgeblich von den Empfehlungen der End- rechnen, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern . lagerkommission mitbestimmt, die diesem Parlament bis Ich sehe uns als Politik in der Pflicht, anhand der Mitte 2016 ihren Abschlussbericht vorlegen wird . Denn Empfehlungen der Endlagerkommission den betroffenen das Nationale Entsorgungsprogramm steht explizit unter KKW-Betreibern Planungssicherheit zu gewähren . Das Revisionsvorbehalt der Ergebnisse dieser Kommission . erreichen wir, indem das vorgeschriebene Verfahren zur Um das Ziel eines tragfähigen Gesamtkonzeptes zu Endlagersuche mit einem Kosten- und Terminplan bele- erreichen, muss die Endlagerkommission ihren Arbeits- gen, der dann den KKW-Betreibern vorzugeben ist . auftrag stringent und pünktlich abarbeiten . Aber die End- Bis dahin gilt es, den Arbeitsergebnissen der Endla- lagerkommission ist eben nur ein Meilenstein auf dem gerkommission nicht durch ein Haftungsgesetz vorzu- Weg zu einer erfolgreichen Gesamt-Entsorgungsstrate- greifen, sondern die Robustheit der bestehenden Rück- gie . stellungen zu prüfen und diese in einem sinnvollen In der Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik wird Modell zu sichern . Genau zu diesem Zweck haben wir neben der Endlagerkommission zwei weitere Prozesse in derzeit im Nuklearbereich nicht nur die Arbeit der End- Gang gesetzt: lagerkommission diskutiert, sondern auch Stresstests, Rückstellungen, Unternehmensabspaltungen, mögliche Zweitens . Wir haben die noch laufenden Stresstests Atomstiftungen und zuletzt insbesondere ein mögliches eingeführt, die Aufschluss über den Status Quo der vor- Nachhaftungsgesetz . Leider geht in der öffentlichen De- handenen Rückstellungen und deren Robustheit geben batte dabei vieles durcheinander . sollen. Ein offizielles Ergebnis liegt uns nicht vor. Mein Appell ist: Lassen Sie uns die verschiedenen Drittens . Zusätzlich soll eine Rückstellungskommis- Prozesse im Nuklearbereich miteinander denken: Wenn sion eingerichtet werden, die die verschiedenen Modelle wir es ernst meinen mit einem vernünftigen Gesamtkon- zur Sicherung der Rückstellungen diskutiert und Emp- 12116 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) fehlungen erarbeitet – Stichwort öffentlich-rechtliche hätten alles zu bezahlen, was der Staat für gesellschafts- (C) Stiftung oder Fondsmodell . Ich würde es sehr begrüßen, politisch wünschenswert hält . Das ist ein Irrglaube! wenn diese Kommission zeitnah ihre Arbeit aufnähme . Als Mitglied der Endlagerkommission liegt mir de- Als Blaupause für eine öffentlich-rechtliche Stiftung ren Arbeit besonders am Herzen . Daher erlauben Sie im Entsorgungsbereich wird häufig die RAG-Stiftung mir noch eine kurze Bemerkung: In den letzten Wochen für Ewigkeitslasten genannt . Die RAG-Stiftung ist eine ging das Thema Asseabfälle und die Frage, ob diese in in der deutschen Wirtschaft einzigartige Konstruktion der Endlagerkommission auch behandelt werden sol- zur Übernahme von langfristiger Verantwortung für die len, durch die Presse . Und damit verbunden kamen vie- Ära nach dem Steinkohlebergbau; ein Modell das funk- le besorgte Fragen, ob denn der gesetzte Zeitrahmen bis tioniert . Mitte 2016 dann noch einzuhalten sei . Dazu möchte ich sagen: Die Herausforderung ist dort eine ähnliche, wie die Unsere, sowohl mit Blick auf den Zeitfaktor, als auch vor Wir werden das Thema „Wohin mit den Asse-Abfäl- dem Hintergrund der Tragweite der Aufgabe . len“ in der Kommission bearbeiten und aufzeigen, wel- che Auswirkungen diese Abfälle auf ein Endlager für Die RAG-Stiftung finanziert sich durch ihre Anteile insbesondere hochradioaktive Abfälle hätten . Und laut an den Gewinnen der abgespalteten RAG-Nachfolge- unseres Vorsitzenden der entsprechenden Arbeitsgruppe konzerne – Evonik und Vivawest –, die ihre Profitabilität ist das bis Mitte 2016 auch leistbar . u a. . durch Unternehmensbeteiligen dynamisch steigern und auf diese Weise hohe Erträge erwirtschaften . Wir Klar muss aber auch sein, dass der Schwerpunkt un- sprechen jährlich etwa 330 Millionen Euro, um mal eine serer Arbeit der Kriterienkatalog für ein HAW-Endlager Hausnummer zu nennen . Wenn man das Stiftungsver- bleibt . Denn wir haben den Auftrag, einen robusten Weg mögen stattdessen langfristig in Staatsanleihen anlegte, zur Lösung der Endlagerfrage in Deutschland zu finden. käme man angesichts der aktuellen Niedrigzinsphase auf Sollte sich der Zeitplan zur Rückholung der Abfälle aus eine Wertsteigerung von gerade einmal 1,5 Prozent, das der Asse verzögern, dann muss das HAW-Endlager trotz- ist weniger als die Inflation und käme somit einem Wer- dem unabhängig davon geplant und umgesetzt werden teverlust gleich . können . Alles andere wäre verantwortungslos . Zudem hat die RAG-Stiftung einen sozialverträgli- In diesem Sinne werde ich mich weiter für ein konst- chen Anpassungsprozess des Bergbaus ermöglicht, den ruktives und wissenschaftsbasiertes Ergebnis der Endla- auch wir anstreben sollten . Bisher wurde kein Bergbau- gerkommission einsetzen . mitarbeiter frühzeitig entlassen, und alles deutet darauf (B) hin, dass dies bis zum endgültigen Ausstieg aus dem Ber- Florian Oßner (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden (D) gbau im Jahr 2018 so bleiben wird . Das sollte auch unser Entwurf eines Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Leitmotiv sein . Atomgesetzes kommt die Bundesrepublik Deutschland nicht nur ihren vertraglichen Verpflichtungen nach, die Wenn es um das Lieblingsthema der Opposition – ei- Richtlinie 2011/70/Euratom in nationales Recht um- nen externen Fonds mit unbegrenzter Nachschusspflicht zusetzen, sondern es wird mit dem hierdurch erstellten der Konzerne – geht, dann kann ich nur den Kopf schüt- Nationalen Entsorgungsprogramm auch eine unschätzbar teln und mahnen: Haftung und Kontrolle müssen schon nützliche Übersicht geschaffen . zusammengehören . Wenn öffentlicher Fonds, dann muss die Haftung und die Verantwortung für vernünftige Ren- Für die Bewältigung der Jahrhundertaufgabe einer si- diten auch dort liegen . Sonst schlachten Sie die Kuh, die cheren Einlagerung des radioaktiven Abfalls bietet das Sie melken wollen, liebe Kollegen von der Opposition . Nationale Entsorgungsprogramm ein Verzeichnis, das uns ermöglicht, den nötigen Umfang von Endlagern für Vor dem Hintergrund der laufenden Prozesse im Be- Atomabfälle besser einschätzen zu können . Alle derzei- reich der nuklearen Entsorgung – Endlagerkommission, tigen und zukünftig noch anfallenden radioaktiven Ab- Stresstests, Rückstellungskommission – ist es derzeit fallarten sind hier ebenso aufgelistet wie der Zeitumfang wenig sinnvoll, ein Haftungsgesetz zu verabschieden . und die Prognose der zu erwartenden Kosten . Über diese Übrigens wäre ein solches Gesetz im sonstigen Gesell- Anpassung im Atomgesetz durch die Einführung der Pa- schaftsrecht ohne Beispiel . ragrafen 2 c und 2 d sowie 9 h und 9 i werden weitere Unabhängig von rechtlichen Fragen, sehe ich aber Vorgaben der Richtlinie 2011/70/Euratom in bundes- noch eine ganz andere Gefahr: nämlich dass ein solches deutsches Recht umgesetzt . Bereits mit dem Standor- Gesetz zum Startschuss für die Deindustrialisierung unse- tauswahlgesetz haben wir 2013 zentrale Vorgaben dieser res Landes wird . Eine zeitlich und inhaltlich unbegrenzte EU-Richtlinie in Angriff genommen . Haftung kann nicht verhältnismäßig sein und entfaltet Wir sind bei der durch das Standortauswahlgesetz eine gefährliche Signalwirkung für andere, risikobehaf- vorgegeben Aufgabe, Kriterien und Verfahren für die tete Branchen . Heute wollen Sie ein Einzelfallgesetz für Endlagerung von insbesondere hoch radioaktiven Abfall- die Energieversorgungsunternehmen und morgen disku- stoffen zu erarbeiten, auch schon ein gutes Stück voran- tieren wir über weitere Branchen mit langfristigen Risi- gekommen . So haben wir in der Kommission Lagerung ken – ein verheerendes Signal für den Industriestandort hoch radioaktiver Abfallstoffe, der sogenannten „Endla- Deutschland! Das Nachhaftungsgesetz geht von der ver- gerkommission“, als eines der zentralen Elemente des fassungsrechtlich unzutreffenden Prämisse aus, die EVU Standortauswahlgesetzes beispielsweise erste Grundla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12117

(A) gen für eine mögliche Behördenstruktur der Endlagerung Vertrauen und Glaubwürdigkeit sollten wir bei der (C) skizziert . Ziel muss eine klare und vernünftige Struktur Ausarbeitung von Kriterien auch in Bezug auf die Stand- sein, die im Einklang mit den EU-Vorgaben steht . So orte beachten . Es gilt, dass kein infrage kommender mög- sollte die Regulierung und der Betrieb der Endlagerung licher Standort vorab ausgeschlossen wird . Die besonde- in einer Bundesbehörde und einer Gesellschaft getrennt re Geschichte des Erkundungsbergwerks in Gorleben in voneinander organisiert werden, die unter der Aufsicht diesem Zusammenhang ist mir bewusst . Doch heißt das unterschiedlicher Bundesministerien stehen . nicht, dass dieser Standort per se ausscheidet . Das Stand- ortauswahlgesetz spricht hier in Paragraf 29 eine klare Doch verdeutlicht uns das Nationale Entsorgungspro- Sprache . Das Bundesamt für Strahlenschutz als zustän- gramm auch, dass die Endlagerkommission noch weitere dige Bundesbehörde ist daher gefordert, alle rechtlichen, komplexe Fragen zu beantworten hat . Uns wird ausdrück- bergmännischen und technisch erforderlichen Maßnah- lich vor Augen geführt, dass wir sowohl hoch radioaktive men zu veranlassen, dass das Grubengebäude in Gorle- als auch schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe zu ben für eine mögliche Erkundung offen bleibt . entsorgen haben . Obwohl mit dem Schacht Konrad vor- aussichtlich 2022 ein Endlager für die schwach- und mit- Das Nationale Entsorgungsprogramm führt auch die telradioaktiven Abfälle für 303 000 Kubikmeter in Be- Menge der Abfälle durch Forschungsreaktoren wie zum trieb gehen wird, bleibt zu klären, was beispielsweise mit Beispiel in München/Garching auf . Diese Tatsache sollte den im Nationalen Entsorgungsprogramm aufgeführten uns jedoch nicht dazu veranlassen, ein generelles Export- 47 000 Kubikmetern schwach- und mittelradioaktivem verbot von hoch radioaktiven Abfällen in der Debatte um Abfall aus der Schachtanalage Asse II geschehen soll . die Endlagersuche zu fordern, das auch entsprechende Abfälle aus Forschungsreaktoren betreffen würde . Es Doch darf uns dieser Aspekt nicht daran hindern, gilt, die Grundlagenforschung weiterhin aufrechtzuerhal- im vorgesehenen gesetzlichen Zeitrahmen der Endla- ten, um weitere Entwicklungen in der Nuklearmedizin, gerkommissionsarbeit bis zum 30 . Juni 2016 einen Ab- der Radiologie sowie bei Krebsbehandlungen zu ermög- schlussbericht zu erstellen . In diesem Bericht sollten wir lichen . Gerade im Hinblick auf die Spitzenstellung des ein Verfahren für die Suche nach einem Endlager mit Forschungsstandorts Deutschland sollten wir Augenmaß Schwerpunkt hoch radioaktive Abfälle entwickeln . Die walten lassen und nicht kopflos unsere Zukunft verspie- Verfahrensentwicklung für die Endlagersuche der ande- len . Das Nationale Entsorgungsprogramm darf hier nicht ren Abfallarten könnte beispielsweise im Anschluss er- als Begründung für ein komplettes Exportverbot von ab- folgen . gebrannten Brennelementen zweckentfremdet werden, Wir müssen uns der Verantwortung für zukünftige Ge- weil man unzutreffend befürchtet, über die Beibehaltung (B) nerationen bewusst sein . Verschiebungen oder Verzöge- der Atomforschung eine Hintertür für den Wiedereinstieg (D) rungen verunsichern und tragen massiv zum Unverständ- in die friedliche Nutzung der Kernenergie offen zu hal- nis innerhalb der Bevölkerung bei . ten . Daher ist die Einhaltung der Zeitvorgabe ein klares Für die nun beginnende Behandlung im Umweltaus- Zeichen an die Menschen, dass wir das Thema ernst neh- schuss fordere ich ein, dass das Nationale Entsorgungs- men und pragmatische Lösungsvorschläge zügig erarbei- programm entsprechend sachlich behandelt wird und ten . nicht im parteipolitischen Streit für einseitige Sichtwei- sen auf das Thema Endlagerung missbraucht wird . Die Gerade für die Bürgerinnen und Bürger an den konsensorientierte Arbeitsweise in der Endlagerkommis- Standorten der Kernkraftwerke ist es wichtig, zu er- sion könnte bei diesem sensiblen Thema auch beispielge- fahren, dass und wann sie mit einem Endlager rechnen bend für die Behandlung in den beteiligten Ausschüssen können . Schließlich lagern bei ihnen die abgebrannten sein . Brennelemente aus den Kernkraftwerken in den dorti- gen Zwischenlagern . Zudem muss der Rückbau stillge- legter Anlagen zur „grünen Wiese“ schnellstmöglich in Hiltrud Lotze (SPD): uns liegt der Gesetzentwurf Angriff genommen werden, um die vor Ort vorhandene der Bundesregierung zur 14 .Novelle des Atomgesetzes Fachkräftekapazität zu nutzen . Durch die Vorgaben des vor . Damit soll eine EU-Richtlinie in nationales Recht Standortauswahlgesetzes werden jetzt auch noch 26 Cas- umgesetzt werden . Für uns in der Legislative ein an sich tor-Behälter mit hoch radioaktivem Abfall aus den Wie- normaler, ja manchmal schon routinemäßiger Vorgang . deraufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield in vier Aber es lohnt, wie immer, eine intensive Beschäftigung mit dem Inhalt und Vorgang . der Kernkraftwerk-Standorte verbracht . Die EU-Richtlinie 2011/70/Euratom, die nun in wei- Damit die möglichen Zwischenlagerstandorte sich teren Teilen in unser Recht aufgenommen wird, ist inso- nicht schleichend in Endlager verwandeln, ist es mehr als fern sehr bemerkenswert, weil sie die Grundlage für ganz notwendig, die vorgegeben zeitlichen Fristen im Stand- Europa bildet . Sie setzt den Rahmen dafür, wie wir hier ortauswahlgesetz einzuhalten . In der Frage der Casto- in Zukunft mit den Folgen der Atomwirtschaft umgehen ren-Rückführung müssen auch die betroffenen Länder wollen . und Standortgemeinden rechtzeitig einbezogen werden . So schaffen wir gegenüber den Betroffenen Vertrauen Es ist eine Gemeinschaftsanstrengung, und das Ziel und können gleichzeitig transparente Verfahren der Öf- ist, vergleichbare Bedingungen in ganz Europa zu schaf- fentlichkeitsbeteiligung anwenden . fen . Auf dieser Gemeinsamkeit basiert Europa, auch 12118 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) wenn es sich in der Flüchtlingsfrage gerade anders dar- nahme des vorhandenen und noch anfallenden Mülls ge- (C) stellt, leider . macht . In Fragen des Umgangs mit dem Atommüll jedenfalls Und ich werbe dafür, dass wir jetzt auch so weiterma- sind wir ein gutes Stück weiter . Künftige Generationen chen: offen und ehrlich, ohne Vorfestlegungen . Denn nur sollen sich darauf verlassen können, dass in allen Län- dann können wir letztlich zu einer Endlagersuche kom- dern nach den gleichen Rahmenbedingungen mit dem men, die möglichst breit akzeptiert wird . Müll verfahren wird . Ich meine, es ist der richtige Weg, wenn die Kommis- Der erste große Schritt, die europäische Norm in nati- sion weiterhin insbesondere die Kriterien für die Endla- onales Recht umzusetzen, ist mit dem Standortauswahl- gerung hochradioaktiven Mülls erarbeitet, gleichzeitig gesetz vom 23 . Juli 2013 gegangen worden . aber in einem Kapitel des Endberichts auf die Implikati- onen eines möglichen Kombilagers eingeht . Einen weiteren Schritt stellt nun die 14 .Novelle des Atomgesetztes dar, wobei der wichtigste Teil die Regeln Ob wir, angesichts dieser veränderten Situation, mehr für die Erstellung eines Nationalen Entsorgungspro- Zeit für die Endlagerkommission benötigen oder die gramms festlegt . Kommission womöglich nur eine Art Zwischenbericht abliefern kann, müssen wir hier noch einmal intensiv de- Das Nationale Entsorgungsprogramm – kurz NaPro – battieren . ist im August endgültig vom Kabinett verabschiedet wor- den, und zwar schon nach den Leitlinien, die wir jetzt erst Diese Debatte heute ist aber auch ein guter Anlass, ins Gesetz aufnehmen wollen . um hier einmal explizit unseren Ministern Barbara Hendricks und Sigmar Gabriel zu danken, denn es be- Jetzt zeigt sich auch, wie entscheidend es ist, dass das wegt sich unter ihrer Verantwortung so vieles mehr in NaPro explizit unter Vorbehalt der Ergebnisse der End- und um die Frage des Atommülls als in vielen, vielen lager-Suchkommission steht – und nicht umgekehrt, wie Jahren vorher . Sigmar Gabriel hat sich ausdrücklich der von den Linken gefordert . Frage angenommen, ob und wie die Atomkonzerne ihren In der letzten Woche vor der Sommerpause haben wir Verpflichtungen auch in Zukunft gerecht werden können den Antrag der Linken debattiert, in dem gefordert wird, und wie wir vermeiden, dass die Allgemeinheit auf den den Auftrag der Endlagerkommission dem Nationalen Kosten sitzen bleibt, nachdem die Konzerne die Gewinne Entsorgungsprogramm anzupassen . eingestrichen haben . Nun hat das federführende Umweltministerium, ab- Barbara Hendricks hat nicht nur für eine ehrliche Bi- lanz des vorhandenen Atommülls gesorgt, sondern auch (B) weichend von den ersten Entwürfen, ein gemeinsames (D) Lager vorgeschlagen für die Endlagerung von schwach- dafür, dass sich wieder Vertrauen in diesen Fragen bilden und mittelradioaktivem Müll, insbesondere dem Müll, kann . der aus der Asse herausgeholt werden soll . Ein höchst Mit der 14 .Atomrechtsnovelle gehen wir weiter den umstrittener Vorschlag, der zahlreiche Konsequenzen mit richtigen Weg, um die Bürden der verfehlten Atompoli- sich bringt . tik der Vergangenheit für die künftigen Generationen so klein wie möglich zu halten . In der Endlagerkommission gab es folgerichtig heftige Debatten über den Umfang des Auftrags der Kommis- sion, über das Ziel und den Zeitplan . Denn laut Gesetz Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Schon wieder dient die Kommission der Kriterienfestlegung für die Atommüll – und das Thema wird der Republik noch Suche nach einem Lager für „insbesondere“ hoch radi- viele Jahre erhalten bleiben . Direkt vor der Sommerpau- oaktiven Müll . Einige Mitglieder legten den Begriff „ins- se hat der Bundestag bereits über das neue „Nationale besondere“ so aus, dass definitiv ein Endlager nur für den Entsorgungsprogramm“ diskutiert . Auf Anforderung der hochradioaktiven Müll gesucht werden soll . EU hat die Bundesregierung einen Plan erstellt, in dem sie über die immer noch wachsenden Atommüllberge Wären wir dem Antrag der Linken gefolgt – ich er- und was sie damit vorhat, berichtet . Und jetzt muss mit innere: den Auftrag der Endlagerkommission dem Na- der 14 .Atomgesetznovelle der Rechtsrahmen für diesen tionalen Entsorgungsprogramm anzupassen – hätte die Atommüllbericht geschaffen werden . Kommission wieder bei Null anfangen müssen . Denn: Ob man einen Standort und eine geologische Formati- Fast 70 000 Menschen, Initiativen und auch Kommu- on für 30 000 Kubikmeter hochradioaktiven Müll sucht nen haben zum Bericht des Nationalen Entsorgungspro- oder für zusätzlich 300 000 Kubikmeter schwach- und gramms (NaPro) Einsprüche erhoben . Die Öffentlichkeit mittelradioaktiven Müll, das macht einen erheblichen schaut also hin, wenn es um Atommüll und die mit seiner Unterschied . Lagerung verbundenen Risiken geht . Das ist gut so, und der Bundestag ist gut beraten, sich mit diesen Einsprü- Auch ich bin alarmiert, wenn ich lese, dass bei einem chen intensiv zu befassen . möglicherweise so riesigen Kombilager eigentlich nur Auch deswegen hat Die Linke schon vor den Sommer- noch eine geologische Formation in Frage kommt, näm- ferien einen Antrag zum NaPro-Bericht und zur Kritik lich Salz . daran in den Bundestag eingebracht, und es dürfte sinn- Mit dem Nationalen Entsorgungsprogramm hat die voll sein, den Bericht im Zusammenhang mit der Ge- Bundesregierung eine offene und ehrliche Bestandsauf- setzesnovelle hier im Bundestag weiter zu diskutieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015 12119

(A) Hier mal eben schnell die ATG-Novelle durchzuziehen dem gemäß dem Atomausstieg ein Abschaltdatum für die (C) und dann den Deckel drauf zu setzen, wäre kein gutes Urananreicherungsanlage in Gronau verfügt wird . Signal für den angeblichen Neustart beim Umgang mit Nein, Urenco soll unbegrenzt weiter Uran anreichern Atommüll, bei dem doch ein gesellschaftlicher Konsens und unbegrenzt Atommüll produzieren dürfen . Das macht angestrebt wird . diesen Atommüll innerhalb der Aufgabe, die BMUB mit Wir Linken fordern beim Umgang mit den radioak- dem NaPro an die Endlager-Kommission weiterreicht, zu tiven Abfällen mehr Transparenz und Ehrlichkeit . Der einem unberechenbaren Faktor . Das Umweltministerium Bericht hat dazu durchaus einige positive Ansätze, die weiß, dass es für die Suche nach einem Endlager Zahlen wir ausdrücklich begrüßen . Aber wir sehen auch die er- nennen muss . Für die Urantails nennt es 100 000 m³ . Die- heblichen Mängel im Nationalen Entsorgungsprogramm . se Zahl ist logischerweise völlig gegriffen . So unseriös An dieser Stelle nur zwei Hinweise, wo aus unserer Sicht kann die Endlager-Kommission nicht arbeiten . nachzubessern ist: Es wäre eine gute Gelegenheit, Frau Ministerin, die An diversen Standorten sind in den letzten Jahren ver- Lücke im Atomausstieg, die die beiden Atomfabriken in rostete Atommüllfässer gefunden worden, in Brunsbüttel Deutschland bilden – die Urananreicherung in Gronau, und in Karlsruhe zum Beispiel . Von diesen Problemen die Brennelementefabrik in Lingen – zu schließen . Bun- wird im Bericht mit keiner Silbe gesprochen, und es ist destag und Bundesregierung sollten das Ziel ins Auge nicht gut, wenn diese Wirklichkeit beim Umgang mit fassen, die Atomfabriken in Deutschland abzuschalten, Atommüll einfach nicht genannt wird . um den Atomausstieg voranzubringen und eine gelingen- de Endlagersuche zu ermöglichen . Der Bericht spricht ferner von einem Eingangslager für Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll . Der vorgelegte Nationale Entsorgungsplan und die Dieses Lager soll dort neu gebaut werden, wo irgend- entsprechende 14 .Atomgesetz-Novelle, über die wir heu- wann mal ein „Endlager“ für diesen Müll entstehen soll . te beraten, weist eine entscheidende Veränderung zum Doch der Bericht schweigt darüber, dass dort die enorme ursprünglichen Entwurf auf: Sowohl die Urenco-Abfälle Menge von bis zu 500 Castoren mit hochgefährlichem wie auch die Asse-Abfälle nach geglückter Rückholung Atommüll oberirdisch gelagert werden soll und dass das sollen nicht mehr für das Endlager Schacht Konrad vor- für Jahrzehnte so sein wird . Diese Information fehlt völ- gesehen werden, sondern es soll prioritär geprüft werden, lig, und damit wird ein ganz wichtiger Aspekt im Grun- ob diese Abfälle auch im noch zu findenden Standort des de unter den Tisch gefegt . Für Insider ist das völlig klar: Endlagers für hochradioaktiven Atommüll eingelagert Dieses neue Eingangslager ist von zentraler Bedeutung . werden können . Darüber soll die Endlager-Kommission Nur kann das niemand erkennen, der den Bericht als ge- beraten und eine Empfehlung abgeben . BMUB reagiert (B) bildeter Laie liest . hier auf über 70 000 Einwendungen aus der Bevölke- (D) rung, die sich gegen den ursprünglichen Plan verwahren . Deswegen braucht es nach Auffassung der Linken – und das ist in der jetzt anstehenden Beratung über die Ich finde diese Reaktion richtig. Schacht Konrad ist 14 .A TG-Novelle dann zu klären und gesetzlich umzu- in der Bevölkerung nach wie vor umstritten, es fand kein setzen – klare und ehrliche Anforderungen, wie solche vergleichendes Auswahlverfahren statt, das Endlager NaPro-Berichte erstellt werden . Ein solcher Bericht muss entspricht bei Inbetriebnahme nicht dem Stand von Wis- auch die Probleme beim Umgang mit dem Atommüll be- senschaft und Technik, wenn es nicht in einem neuen An- nennen, er sollte die möglichen Alternativen nennen und lauf auf diesen gebracht wird. Im NaPro findet sich dazu auch die Abwägungen beschreiben, warum die eine oder allerdings keine Absichtserklärung, sondern ganz im andere Variante am Ende vorgeschlagen wird . Das würde Gegenteil der Hinweis, dass der Stand von Wissenschaft die Qualität und die Ehrlichkeit eines solchen Berichts und Technik laut Planfeststellungsbeschluss erst zum deutlich verbessern . Betriebsende hin nachgewiesen sein muss . Frau Minis- terin, so machen Sie den Menschen um Schacht Konrad das Leben mit dem Endlager zusätzlich schwer . Schacht Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Nationale Entsorgungsplan, um den es bei der Konrad muss vor der Einlagerung von Atommüll auf den 14 .AtG-Novelle geht, steht unter Revisionsvorbehalt . Stand von Wissenschaft und Technik gebracht werden . Die Endlager-Kommission hat das Recht, ihn durch ihre Hier haben Sie noch nachzuarbeiten . Gleichwohl be- Empfehlungen zu verändern, und das ist gut so . Denn in grüße ich, dass Sie der Bevölkerung um Schacht Konrad der Kommission werden die Dinge – anders als in Aus- nicht auch noch zumuten wollen, sich mit der Einlage- schüssen und Plenum mit den eng begrenzten Redezeiten rung von doppelt so viel Atommüll wie die Genehmi- für die Opposition – zwischen allen Beteiligten ausdis- gung bisher vorsieht konfrontiert zu sehen . kutiert . Die Arbeit der Endlager-Kommission wird durch die Die Grundausrichtung des NaPro ist positiv: das Be- neue Aufgabe erheblich erschwert . Niemand kann heu- kenntnis zur Inlandsentsorgung, die erstmalige Benen- te sagen, wie die Asse-Abfälle genau zusammengesetzt nung der Abfälle aus der Urananreicherung in Gronau sind und wieviel kontaminiertes Salz mit zu entsorgen als Atommüll . Doch dieser Grundausrichtung fehlt die sein wird . Das macht es mindestens schwer – einige klare Konsequenz . Das Bekenntnis zur Inlandsentsor- Kommissionsmitglieder sagen: unmöglich – Sicherheits- gung endet an den Forschungsreaktoren . Und der Er- kriterien für das Endlager zu erstellen . Klar ist dagegen kenntnis, dass Urantails Atommüll sind, folgt nicht die heute schon, dass Wechselwirkungen zwischen Wärme Konsequenz, die Menge des Atommülls festzulegen, in- entwickelnden bzw . hochradioaktiven und nicht Wärme, 12120 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 September 2015

(A) dafür aber Gas entwickelnden schwach- und mittelradi- aus, die Bundestag und Bundesrat der Kommission über- (C) oaktiven Abfällen verhindert werden müssen . Das heißt, tragen haben . die Abfälle werden in zwei klar voneinander getrenn- te Endlager eingelagert werden müssen, was an einem Letzter Punkt: große Kritik an der laut NaPro beab- Standort entweder ein Wirtsgestein von besonders großer sichtigten Errichtung eines Eingangslagers mit der ersten Mächtigkeit erfordert oder zwei eventuell übereinander Teilgenehmigung des Endlagers . Liebe Frau Ministerin, liegende günstige Wirtsgesteine . Die Zahl geeigneter wenn man mit dem A . . wieder einreißen will, was man Standorte wird sich definitiv drastisch verringern. mit den Händen aufgebaut hat, dann errichtet man nach einer langen ergebnisoffenen transparenten und parti- Wir nehmen uns der neuen Aufgabe in der Kommissi- zipativen Endlagersuche ein Eingangslager am Endla- on, an ohne zu wissen, ob wir sie lösen können . Vielleicht ger-Standort, bevor es genehmigt ist . So landet man am können wir zum Ende unserer Tätigkeit im Juni 2016 nur einen Zwischenbericht abgeben, vielleicht müssen wir Ende dann doch wieder beim Prinzip Gorleben . Ich weiß, sagen, dass eine Suche nach einem gemeinsamen Stand- dass wir mit den Zwischenlagern in schweres Wasser ort für diese unterschiedlichen Abfälle in überschaubarer kommen, weil wir aus allen Genehmigungen rauslaufen . Zeit aussichtslos ist . Klar muss aber für alle Kommissi- Das heilen wir aber damit nicht . Über die Zwischenla- onsmitglieder sein, dass wir die Gesamtgemengelage in ger-Situation müssen wir uns gesondert Gedanken ma- den Blick nehmen müssen . Sich mit einer Art Tunnelblick chen . Die Endlagersuche darf nicht am Ende durch un- auf die hochradioaktiven Abfälle zu konzentrieren, weil angemessenes Faktenschaffen desavouiert werden . Da die Verfahrensentwicklung dann immer noch schwer ge- dürfen Sie, Frau Ministerin, mit unserem erbitterten Wi- nug, aber einfacher ist, das füllt die Verantwortung nicht derstand rechnen .

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