HEINRICH / POP-EYE Besucherattraktion Brandenburger Tor: Fürs Überleben fehlen vier Milliarden Mark pro Jahr

HAUPTSTADT „Endlich wieder Lagerwahlkampf“ In den Wahlkampf um greift nun auch die Bundesprominenz ein: Wolfgang Schäuble für die CDU und für die PDS. Die Christdemokraten wollen mit ihrem Schachzug Kanzler Schröder das Finanzdebakel der Metropole anhängen.

m 17. Stock des Berliner Hotels Estrel schen Hauptstadt – Gregor Gysi (PDS) und stimmungen im Abgeordnetenhaus gegen knallten die Sektkorken. Die Koali- Wolfgang Schäuble (CDU). den Christdemokraten Diepgen und für Itionäre von SPD und Grünen hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder, der den Sozialdemokraten Wowereit und sei- nach einer nur zweistündigen Sitzung ihr als SPD-Bundesvorsitzender seinem Berli- nen Senat am Wochenende waren hinfäl- künftiges Bündnis besiegelt. Die SED- ner Spitzengenossen beim lig geworden. Aus der Wahl für ein Lan- Nachfolgepartei PDS wussten die neuen Bruch der Großen Koalition den Rücken desparlament wird eine Abstimmung über Partner dabei billigend im Hintergrund. gestärkt hatte, wurde die Nachricht von die Bundesregierung. Der Sturz des Regierenden Bürgermeisters den neuen Bewerbern am Freitag beim Eu- Der Kanzler hatte sich in mehreren Ge- Eberhard Diepgen (CDU) war abgemacht. ropagipfel in Göteborg in eine Sitzung hin- sprächen mit den Berliner Landesgenossen Eine historische Stunde für die Stadt eingereicht. Er mochte sie zunächst nicht seit Anfang April über den geplanten Ko- Willy Brandts? glauben. Es war aber klar: Damit war die alitionsbruch informiert und ihn persönlich Auf dem Fernsehschirm der Präsiden- Wahl in Berlin zur Chefsache geworden. gebilligt: „Dann macht das mal so.“ Seit- tensuite flimmerten am Dienstag vergan- Alle Gedankenspiele über eventuell dem ist Schröder, ob er will oder nicht, Teil gener Woche Bilder, die den Noch-Regen- mögliche Konstellationen nach den Ab- dieses Manövers. Die avisierten Kandida- ten Eberhard Diepgen in einer turen von Schäuble und Gysi Talkshow zeigten, wie er die Stimmungswechsel stürzten die bis dahin sieges- „Putschisten“ beschimpfte. Da Derzeitige Sitzverteilung im sicheren Sozialdemokraten und Berliner Abgeordnetenhaus lachten die zukünftigen Herren SPD Grünen deutlich in Verwirrung. . Triumphierend ließ Peter 42 Sitze CDU Beide Parteien hatten so getan, Strieder, Supersenator für Bau- PDS 75 Sitze als wären sie der Aufgabe ohne en, Umweltschutz, Wohnen und 33 Sitze Hilfe von außen gewachsen. Verkehr, seinen Blick aus dem Jetzt reden andere mit. Sie Fenster über das glitzernde Ber- müssen eine Antwort mitbrin- lin Richtung Fernsehturm schwei- gen auf die Frage, was der Re- Bündnis 90/ fen und schwärmte noch lange. Die Grünen publik die Hauptstadt wert ist. „Die Stadt lag uns zu Füßen.“ 17 Sitze Denn wer auch immer nach den Ob sich der umtriebige Lan- Fraktionslose Neuwahlen regiert – er kann das desvorsitzende da nicht ein biss- 2 Sitze Gesamt: 169 Überleben Berlins nicht aus der chen zu früh gefreut hat? Vorbei eigenen Kasse bezahlen. 40 Mil- sind die Zeiten, da Berlin von „Wer könnte Berlin am ehesten aus der Krise führen?“ liarden Mark umfasst der Etat den lokalen Ablegern der SPD-geführter Senat CDU-geführter Senat 2001, der gerade mal Stagnation INSGESAMT großen Parteien wie deren Pri- Große Koalition Weiß nicht ermöglicht. Davon müssen 3,6 vateigentum behandelt und rui- Milliarden durch Neuverschul- niert wurde. Ende vergangener 19% OST WEST dung und 5,6 Milliarden durch Woche signalisierten zwei Figu- den Verkauf städtischen Eigen- ren von nationalem politischem 15% 49% 14 % 22% tums aufgebracht werden. 13% 42% und publizistischem Gewicht 57 % 16 % Das bedeutet eine Unter- ihre Kandidatur für die Neu- 17% 16 % deckung von über neun Milliar- 20% Quelle: Forsa wahlen um das Amt des Regie- Basis: 1048 Befragte den Mark, die sich nach Exper- renden Bürgermeisters der deut- tenschätzung noch um vier Mil-

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liarden erhöhen müsste, wenn wirklich ein Umschwung bewirkt werden soll. Das heißt: Konkret fehlen Berlin nach dem derzeitigen Status pro Jahr 13 Milliarden Hilferuf nach draußen Mark. Ein Teil des Defizits erledigt sich, wenn Wie die Union auf den Kandidaten Schäuble kam. die Sparpläne einer rot-rot-grünen Koali- tion greifen – nach optimistischen Schät- ie zehn Christdemokraten, die Merkel, ob Diepgen nicht doch noch zungen bringt das zwei bis drei Milliarden am Dienstagabend vergangener umfallen und sich selbst zum Kandida- Mark Einsparungen. Eine höhere Neuver- DWoche vertraulich zusammen- ten ausrufen würde. schuldung ist nicht denkbar, zudem auch kamen, waren erstaunlich offen. Nüch- Das größte Risiko, das die Partei im rechtlich problematisch. Also müssen auf tern gingen sie in Eberhard Diepgens Falle einer Kandidatur Schäubles sieht, absehbare Zeit rund sieben Milliarden pro Amtsräumen im Roten Rathaus die sind die Ermittlungen der Berliner Jahr von irgendwoher kommen. möglichen Spitzenkandidaten der Ber- Staatsanwaltschaft. Schäuble steht im Ein Weg könnte eine intensivere Priva- liner Union für Neuwahlen durch – mit Verdacht, im Zusammenhang mit der tisierung sein. Doch bei den städtischen klarem Ergebnis. 100000-Mark-Spende des Rüstungslob- Betrieben sind meist nur noch Minusma- Diepgen komme als Kandidat nicht byisten Karlheinz Schreiber an die cher wie die Verkehrsbetriebe im Angebot mehr in Frage, preschte einer der Teil- CDU vor dem Untersuchungsausschuss – da finden sich kaum Käufer. Bleiben noch nehmer vor. Nach kürzerer Debatte des Bundestags falsch ausgesagt zu ha- Wohnungen und Grundstücke. war klar: Das sieht die Mehrheit der ben. Sein trickreicher Umgang mit der Die 370000 städtischen Wohnungen ha- Runde so, Diepgen eingeschlossen. Ein- Wahrheit in Sachen Schreiber-Spende ben zwar einen Buchwert von knapp 31 wände gebe es aber auch gegen die an- hatte ihn voriges Jahr Partei- und Frak- Milliarden Mark. Doch angesichts des deren potenziellen Frontmänner, den tionsvorsitz gekostet. Leerstands in Berlin ist dieser Wert nicht Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Wie ernst die Ermittler das Verfahren annähernd zu realisieren. Die Crux: Je , 35, und Finanzsenator nehmen, zeigt, dass sie mittlerweile so- mehr Wohnraum angeboten wird, desto Peter Kurth, 41 – die beide mit in der gar Altkanzler als Zeu- schneller verfallen die Preise. Runde saßen. gen vernommen haben. Zwei Stunden Bei den Grundstücken (insgesamt 400 Steffel sei zu jung und müsse außer- lang befragten sie den einstigen CDU- Millionen Quadratmeter) sieht die Rech- dem sein mittelständisches Raumaus- Chef vorletzten Freitag über die Ver- nung nicht ganz so düster aus. 2600 Grund- stattungsunternehmen führen, argu- sionen Schäubles und dessen Kontra- stücke mit 8,3 Millionen Quadratmetern mentierten einige. Kurth hingegen sei hentin . Dabei gab sind jetzt in einem Fonds zusammengefasst vor allem als Finanzexperte aufgetreten Kohl an, er könne zur Wahrheitsfin- – Wert: 3,8 Milliarden. Für 200 Grundstücke und repräsentiere nicht die konservati- laufen derzeit Verkaufs- ve Basis der Union. verhandlungen, als Er- Nach knapp vierstündiger Diskus- lös wird mit einer Mil- sion verständigte sich der Kreis darauf, liarde Mark kalkuliert. mit keinem der drei Berliner Eigenge- „Das wird Berlin al- wächse in den Wahlkampf zu ziehen, lein nicht wuppen“, ist und erkor Diepgen zum Headhunter. sich Markus Klimmer, Der Regierende Bürgermeister und Leiter des Öffentlichen CDU-Landesvorsitzende solle einen ge- Sektors der Unterneh- eigneten Spitzenmann von außen su- mensberatung McKin- chen – am liebsten Wolfgang Schäuble. sey sicher. „Brutalst- Noch am Montagmorgen hatte Stef- mögliche Haushaltssa- fel vor Kameras gepoltert, die Berliner nierung“ reiche da nicht Union brauche keine Hilfe von außer- mehr aus. halb. Dennoch nahm Steffel am glei- Die Konsequenz ist chen Tag Kontakt zu Schäuble auf. Der eindeutig: Da pro Jahr Name des früheren CDU-Bundesvor- kaum mehr als drei sitzenden war zu diesem Zeitpunkt Milliarden durch den schon durch die Medien gegeistert, aus Verkauf des Tafelsilbers

der Berliner CDU-Führung allerdings M. EBNER / MELDEPRESS zu erzielen sind, ist hatte mit ihm noch niemand geredet. Unionspolitiker Merkel, Schäuble: „Spontane Empörung“ Berlin auf jährlich vier Am Dienstag, vor der abendlichen Milliarden Mark an Strategiesitzung im Roten Rathaus, te- dung nichts Wesentliches beitragen. Hilfen durch Bund und Länder angewiesen lefonierten Steffel und Schäuble noch Über die Kohl-Vernehmung wurde jus- – zuzüglich zum regulären Länderfinanz- einmal lange miteinander. Wenn über- tizintern nach oben berichtet. Der hier- ausgleich. haupt, so der etwas pikierte Schäuble, für übliche Weg geht über den Gene- Dennoch drängt es Bundespolitiker zur dann komme er nur, wenn die gesam- ralstaatsanwalt zur Behörde des Justiz- Machtprobe in die Stadt. Für die CDU be- te Partei ihn rufe. Tags darauf sprach senators. Der hieß vergangene Woche deutet die Wahl in Berlin die unverhoffte Diepgen bei Schäuble vor – und infor- noch Diepgen. Chance, Bundeskanzler Gerhard Schröder mierte dann Parteichefin Angela Mer- Als die Runde vom Dienstag am vor der Bundestagswahl 2002 doch noch kel. Die ließ sich bis Ende vergangener Donnerstagabend noch einmal zusam- aus dem Tritt zu bringen. „Die SPD war Woche täglich vom Berliner Lan- mentraf, gab es plötzlich einen, der bei übermütig“, urteilt ein CDU-Präsidiums- deschef über den Stand der Gespräche der Frage der Schäuble-Kandidatur zö- mitglied über die Aufkündigung der Berli- unterrichten. Bis zum Schluss bangte gerte – Eberhard Diepgen. ner Koalition. Mit nur 22,4 Prozent der Stimmen bei der letzten Abgeordneten- hauswahl jetzt die ganze Stadt umkrem-

32 der spiegel 25/2001 peln zu wollen – das könnte und Bundestagsfraktionschef die Bundes-CDU vereiteln, geht es für die falls sie ihre stärksten Batail- PDS um alles – um die West- lone in die Wahlschlacht wer- Ausdehnung der Partei, um fen würde. den bundesweiten Rang drei Dass die Berliner Wahl im Wettbewerb mit FDP und deshalb „keine Privatangele- Grünen, kurz – um den Platz genheit der Berliner CDU“ in der Berliner Republik. sein könnte, versuchten die Deshalb hatten sich Bartsch CDU-Oberen der Bundes- und Co. auch händeringend partei dem Regierenden Bür- bemüht, den eitlen Gysi zur germeister Eberhard Diep- Spitzenkandidatur zu überre- gen klarzumachen. Sofort den (siehe Kasten Seite 34). wurden Namen von außer- „Mit ihm könnten wir über halb genannt: Wolfgang 20 Prozent kommen“, glaubt Schäuble, Klaus Töpfer und Bartsch, „der Wiedereinzug auch . in den wäre so Vor allem müssten, hieß es gut wie sicher.“ Die noch in

in der CDU-Führung, die / DDP M. KAPPELER Moskau geschulten Strategen Neuwahlen schnell erfolgen. Sozialdemokraten Schröder, Wowereit: „Die SPD war übermütig“ im Berliner Karl-Liebknecht- „Wenn man empört ist, muss Haus träumen sogar davon, man die Empörung spontan mit dem populären Zugpferd ausdrücken“, sagte ein Präsi- an der Spitze die eigene Par- diumsmitglied – ein deutli- tei in Berlin stärker machen cher Seitenhieb auf Diepgen, zu können als die SPD. der zunächst aussitzen wollte. Bartsch: „Wenn Gysi kandi- Anders als Edmund Stoibers diert, setzen wir auf Sieg und CSU erkannte die CDU- nicht auf Platz.“ Führung, dass Gefahr im Ver- Als Regent im Roten Rat- zug war: Sollte die SPD haus ist der PDS-Spitzen- mit ihrem dreisten Koali- mann allerdings weiterhin tionswechsel in Berlin Erfolg schwer vorstellbar. Das wis- haben, könne sie mit der PDS sen auch die PDS-Planer. überall im Land koalieren, Sollte also die Gysi-PDS mittelfristig sogar im Bund. die Wowereit-SPD schlagen, Bei der Diskussion um könnte sich Gysi mit großer Spitzenkandidaten von au- Geste zurückziehen und Wo- ßen richtete sich das Augen- wereit das Amt des Regie- merk schnell auch auf die renden Bürgermeisters über- Parteivorsitzende Angela lassen, um das Bündnis zwi- Merkel – Berlin wäre für sie schen SPD und PDS nicht zu

eine Chance, endlich an das AP gefährden. operative Amt zu kommen, Christdemokrat Diepgen: „Den Bundestagswahlkampf eingeläutet“ Die PDS-Strippenzieher das ihr bisher fehle, sagte ein würden aber auch schon eine Vorständler. Sie würde damit ohne Ge- mehrfacher Weise legitimiert. Er handelte Regierungsbeteiligung unter der Führung sichtsverlust aus dem Unions-Kandidaten- als damaliger Bundesinnenminister nicht der SPD als einen Erfolg werten. „Die rennen herauskommen, das er für sie oh- nur den Einigungsvertrag aus, sondern Bündnisse in Sachsen-Anhalt und Meck- nehin verloren glaubt. war stets ein leidenschaftlicher Verfechter lenburg-Vorpommern“, meint Claus, „wur- Merkel witterte eine Falle. Als Kandida- Berlins als Hauptstadt des vereinten den von der SPD-Spitze noch wie Sünden- tin im unionsinternen Rennen um die Deutschlands. fälle im Ausland behandelt. In Berlin wird Schröder-Herausforderung wäre sie auf je- Schäuble, der in seiner Fraktion auch das anders.“ den Fall „entsorgt“ – ob sie nun siege oder als Finanzpolitiker von Gewicht galt, glaubt Das Parteivolk der PDS – auch das ist unterliege. Sie habe deshalb die Chance zudem, mit einem Wahlerfolg in Berlin den Chefsache – wird inzwischen auf eine verworfen, hieß es in ihrer Umgebung. Makel der Spendenaffäre, die ihn Anfang Machtbeteiligung in Berlin eingestimmt. Einen Frontstadt-Wahlkampf, wie Hard- 2000 Partei- und Fraktionsvorsitz kostete, Mit einem dramatischen Brief an die Basis liner in der Union ihn wünschten, wollte doch noch loswerden und einen politischen wird die Vorsitzende die Par- und könnte sie ohnehin nicht führen. „Es Neuanfang schaffen zu können. tei kommende Woche auf schmerzliche wird zum ersten Mal wieder einen Lager- Er genoss zwar die Anerkennung, die Einbußen vorbereiten. Sozialisten und So- wahlkampf geben und nicht einen, bei dem ihm nach seinem schmachvollen Ausschei- zialistinnen, so wird Zimmer in ihrem ers- es um die Frage geht, wer hat den sympa- den zuteil wurde, doch wusste er genau, ten Brief an die Genossen schreiben, müss- thischeren Kandidaten“, freute sich CSU- dass er nicht in seine alten Ämter zurück- ten sich auch bei der Haushaltskonsoli- Generalsekretär Thomas Goppel. Mit dem kehren konnte. Berlin mag er als letzte dierung beweisen. Putsch von Berlin sah Goppel „den Bun- Chance zum Comeback begreifen. Auch deutliche Worte zum „Unrecht“ destagswahlkampf eingeläutet“. Auch Gregor Gysi konnte dem Sog der der Mauer wird die PDS-Chefin finden, Statt Merkel zeigte sich überraschend Macht nicht widerstehen. Schon vor seiner um so die Zweifel an der Glaubwürdigkeit Wolfgang Schäuble bereit, der zunächst Bereitschaft zur Kandidatur war aber die der Partei zu mindern. Die hat der säch- alle Spekulationen als „absurd“ zurückge- politische Schlacht um Berlin für die PDS sische Landeschef Peter Porsch mit dem wiesen hatte (siehe Kasten). Für eine sol- längst Chefsache. Nach Einschätzung von Bekenntnis, die Mauer habe 1961 den Frie- che Herausforderung fühlt Schäuble sich in Bundesgeschäftsführer den erhalten, neu in Frage gestellt. Und

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noch ein anderer Genosse brachte die Stra- tegen im Karl-Liebknecht-Haus und Gysi selbst in Rage. Der von der SPD über- gelaufene Partei-Vize „Eine Art Erleuchtung“ schwadronierte im Fernsehen davon, die PDS wolle „langfristig“ Konzerne wie Wie Gregor Gysi sich zierte, in Berlin anzutreten. BMW enteignen – dabei kämpft die SPD/PDS-Regierung von Mecklenburg- as Parkett knarrt, die Stühle kip- auf dem Spiel – und der innere Frieden Vorpommern derzeit um die Ansiedlung peln, der braune Vorhang hinter in der PDS. Denn je länger Gysi zö- eines BMW-Werks. Ddem Rednerpult ist fast der ein- gerte, die Partei in den Wahlkampf Solche Ausrutscher gefährden ein Ziel, zige Farbtupfer im Plenarsaal des frü- zu führen, desto mehr wuchs die Wut das die PDS mit der Machtbeteiligung ganz heren Bezirksamts Prenzlauer Berg. der Berliner Vorleute Harald Wolf und elegant erreichen möchte – das Ende der So ein Raum ist keine Bühne für Gre- . Sie waren es leid, dass Beobachtung durch den Verfassungsschutz. gor Gysi – auch wenn die Berliner PDS die Ikone Gysi alle Kameras auf sich „Ich gebe der Berliner PDS gewöhnlich am Freitagabend hier über die Zukunft zog, während sie die Kärrnerarbeit keinen Ratschlag“, meint Zimmer, „diesen der Stadt berät. Er rauscht im dunklen leisteten. aber schon: Sie sollte auf der Beendigung Dienstwagen durch das Land, während Nicht nur die Genossen machten der Überwachung der PDS beharren.“ die Delegierten den Sturm des Roten Druck. In Frankfurt wurde er begrüßt Landeschefin Petra Pau ist da noch resolu- Rathauses planen. Gysi findet nichts und bejubelt, als sei er schon, was er ter: „Ich erwarte, dass der rot-grüne Senat dabei: „Wieso bin ich denen Rechen- kaum werden kann, Regierender Bür- die Beobachtung der PDS sofort beendet.“ schaft schuldig, ob ich kandidiere?“ germeister. „Nach dem Beifall“, rief Eilig signalisierte der in Berlin für Der Meister lenkt die Geschicke der ihm aufmunternd ein Moderator vor den Geheimdienst zuständige SPD-Mann Partei wieder einmal per Handy, ist un- 5000 Zuhörern zu, „müssten Sie nicht Klaus-Uwe Benneter, die „gewollte und terwegs in Thüringen, wo er aus sei- nur Bürgermeister Berlins, sondern gezielte Diskriminierung“ werde „sicher nem Buch („Ein Blick zurück, ein auch von Frankfurt werden.“ Selbst be- nicht mehr lange andauern“. Prompt Schritt nach vorn“) liest. „Ich bin hier“, kennende CDU-Wähler aus dem Wes- widersprach Bundesinnenminister Otto hat er tags zuvor auf dem Kirchentag in ten bedrängten ihn: „Herr Gysi, wir Schily (SPD): Er sei durch die jüngsten Frankfurt am Main erklärt, „um eine Äußerungen zum Mauer- Art Erleuchtung zu erleben, weil ich bau „eher darin bestärkt, am Wochenende eine Lebensentschei- die Beobachtung fortzu- dung treffen muss.“ setzen“. Tagelang hatten die führenden Kader Doch das wichtigste der Partei, Bundesgeschäftsführer Diet- Ziel für die SED-Nach- mar Bartsch und Bundestagsfraktions- folgepartei bleibt die chef Roland Claus, auf ihn eingere- „strategische Partner- det – mit „Marx- und Engelszungen“, schaft“ (Claus) mit der hätte es Heiner Müller beschrie- SPD. Claus spottet schon ben. André Brie, Europa-Abgeordne- über den „Ostblock“, den ter, Stratege und Freund des Umworbe- es demnächst im Bundes- nen, war extra aus Brüssel eingeflogen rat geben könnte: mehre- worden. re rot-rot-regierte Län- Dabei war für Gysi, das Perpetuum der, mit denen dann mobile der Partei, das Gerede über die Kanzler Schröder zu ver- Kandidatur fürs Bürgermeisteramt Ber- handeln hat. Von da sieht lins anfangs nicht viel mehr als ein Spiel er dann nur noch einen

der Eitelkeiten. Da waren Wahlen in / VERSION C. DITSCH kleinen Schritt zur Re- Berlin erst für 2004 geplant. Genossen Zimmer, Gysi: „Zwischen Herz und Verstand“ gierungsbeteiligung im Wenige Monate nach seinem Rück- Bund. Wann es dazu zug vom Vorsitz der Bundestagsfrak- wollen Sie unbedingt in Berlin als Bür- kommen könnte? Claus, der einst das Mag- tion hatte Gysi in Berlin die Rolle ge- germeister sehen.“ deburger Modell miterfand, hat dafür eine funden, die ihm liegt – die des Provo- Doch der schwankte weiter – „zwi- griffige Losung: „2006 minus X“. kateurs. Frei von den Vorgaben seiner schen dem Herz, das Ja sagt, und dem Im Willy-Brandt-Haus, der Berliner Zen- Partei konnte er selbst über einen PDS- Verstand, der Nein sagt“. Denn Gysi trale der Bundes-SPD, fragten Strieder und CDU-Senat orakeln, in dem beide kennt das Risiko. Kann er Visionär blei- Wowereit schon mal um einen Profi als Stadthälften endlich angemessen ver- ben, wenn er ganz konkret erklären Wahlkampfmanager nach: Michael Don- treten wären. soll, wie welches Haushaltsloch der nermeyer, aus Berlin stammender Partei- Doch plötzlich war er nicht mehr Stadt zu stopfen sei? sprechƒer, der im engsten Zirkel um Franz Herr des Verfahrens. Der schnelle Nie- Ende vergangener Woche fiel die Müntefering 1998 die Abwahl von Kohl in dergang Diepgens zwang die PDS zu Entscheidung: „Meine Frau“, erzählte Bonn organisiert hatte. Generalsekretär Entscheidungen. Er könne nicht der er, „wurde einfach weich gekocht, ob Müntefering versprach, hilfreich zu sein Partei predigen, sie solle Verantwor- sie Brötchen holte oder beim Schlach- „mit allem, was wir haben“. tung übernehmen, und sich nun selbst ter war, alle wollten von ihr, dass ich Das ist bisher nicht viel mehr als ein drücken, hielten ihm die Genossen vor. kandidiere.“ Irgendwann in der Nacht Appell: „Geht raus auf die Straße und Er sei der „Mann der Visionen, nicht zum Freitag habe sie dann zu ihm ge- zeigt euch.“ Stefan Berg, Ulrich Deupmann, der Verwaltung“, wand er sich. Seine sagt: „Gregor, ich bin doch dafür, dass Tina Hildebrandt, Wolfgang Krach, Jürgen Leinemann, Hartmut Palmer, eigene Glaubwürdigkeit stand plötzlich du es machst.“ Sven Röbel, Heiner Schimmöller, Holger Stark, Peter Wensierski

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