Nummer 8/2021

BadKreuznacher Beilage Heimatblätter

Eine Dorfordnung aus Abtweiler – Einblicke in die Zeit um 1714

VON RAINER SEIL

Im Rahmen der Erstellung Im 17. und 18. Jahrhundert der unveröffentlichten Orts- kam es in der äußerst kriegeri- chronik Abtweiler (einst: Ver- schen Geschichte (Dreißigjähri- bandsgemeinde Meisenheim, ger Krieg, spätere Erbfolge- jetzt: Verbandsgemeinde Na- kriege) im Südwesten Deutsch- he-) im Zeitraum von 2017 lands auch in dem davon stark bis 2019 wurden in den ver- betroffenen Abtweiler und in schiedenen Archiven in Ko- der nahen Umgebung zu meh- blenz, , Speyer und reren administrativen Verände- Wiesbaden aus der Epoche des rungen. Adelige Familien, die Alten Reiches neben Güter- bei Ver- und Ankäufen orts- und Untertanenverzeichnissen, herrliche Rechte bzw. bei deren Auftragsbüchern, Schatzungs- testamentarische Weitergabe in registern, Weistümern auch ei- Abtweiler wiederholt eine Rolle ne Dorfordnung vom 8. Juni spielten, waren die Grafen von 1714 ermittelt, die bisher noch Eltz, die Reichsritter und Frei- nicht im heimatkundlichen herren Bock von Bleßheim, die Schrifttum publiziert wurde. Herren von Steinkallenfels Das 2017 etwa 202 Einwoh- (Burgen bei ), die Pfalzgra- ner1 zählende Dorf Abtweiler fen bzw. Herzöge von Simmern weist für seine Größe eine ver- sowie die Prinzessinnen des gleichsweise wechselhafte und Hauses Oranien-Nassau. äußerst komplexe Herrschafts- Im Jahr 1661 hatte Frau Wil- geschichte auf, die an dieser helmine von Bock das Dorf Stelle nur schlaglichtartig ge- „Appeweyler“ an den Pfalzgra- streift werden kann. Sie zeigt, fen bzw. Herzog (Ludwig) wie selbst in einem kleinen Heinrich I. aus der jüngeren Li- Dorf im Alten Reich sich die ört- nie Pfalz-Simmern verkauft, der lichen Herrschaftsverhältnisse verheiratet war mit der Prinzes- im Laufe der Geschichte immer sin von Oranien-Nassau. Wil- vielschichtiger und unüber- helmine von Bock war die Toch- schaubarer entwickelten. Dies ter des Johann Philipp von Eltz, trifft besonders auf die Reichs- der ihren Ehemann, Reichsritter ritterschaft zu, wozu auch die in Klaus Eberhard von Bock, zum Abtweiler in Erscheinung ge- Allodialerben eingesetzt hatte. tretenen Geschlechter gehör- Als Pfalzgraf Heinrich 1677 ten. Voraussetzung war der Be- starb, fiel das Fürstentum Pfalz- sitz eines Rittergutes. Um 1577 Simmern an Kurpfalz. Über sei- umfasste die Reichsritterschaft ne Witwe Marie, die in Kreuz- im Heiligen Römischen Reich nach residierte und bis 1688 leb- deutscher Nation etwa 350 ade- te, kamen deren Herrschaftsan- lige Familien. teile in Abtweiler an ihre Schwester Amalie von Oranien- Das in der Literatur2 häufig Nassau. Diese verkaufte 1710 für Abtweiler als Ersterwäh- ihre Anteile an die erwähnten nung genannte Jahr 1128 („Ab- Herren von Steinkallenfels.4 wilbre in pago Nachgowe“; Na- Weg zur Abtweilerer Kirche. Quelle: Kreismedienstelle, Kreisverwaltung Bad Kreuznach hegau) gilt als Fälschung des Die Herren von Steinkallenfels Kirner Archivars Georg Fried- erließen am 8. Juni 1714 eine rich Schott (1736/37–1823) um Dorfordnung, die ähnlich wie 1800. Die mittelalterliche Geschichte ist eng letzten Jahrzehnten gründlich erforscht die wesentlich bekannteren Weistümer ge- mit dem nahen Kloster Disibodenberg ver- wurde. Um 1507 gehörte das Dorf Abtweiler nau bestimmte, worin die Pflichten der Un- knüpft, soll hier jedoch nicht weiter vertieft den Herren von Löwenstein. Aus den Jah- tertanen bestanden. werden, zumal die Historie dieses wichti- ren 1522 und 1576 sind Weistümer des Or- Neben diesen umfangreichen verwal- gen Klosters an der mittleren am Zu- tes überliefert, die im heimatkundlichen tungsrechtlichen Ordnungen hatte Abtwei- sammenfluss von Nahe und Glan in den Schrifttum bereits veröffentlicht wurden.3 ler wie seine gesamte Umgebung unter den 2 (Seite 33 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 8/2021

weitreichenden Folgen des Spanischen Erb- straff, wie auch die Würth (= Wirt) ihr ihn zu 11. Sollen meine Unterthanen fried- und folgekrieges (1701–1714/15) zu leiden, solche Zeit zu träuchen gibt, desgleichen freundlich gegeneinander (= miteinander) nachdem schon zuvor der Pfälzische Erb- soll unter der Predigt dem Bache, es seye leben und einer dem andern sein wolfarth folgekrieg (1688–1697) in der Region schwer dann die höchste noth abgestanden, auch (= Vermögen) nicht mißgönnen, noch seines gewütet hatte. Manche Historiker setzen nichts auf dem kirchhoff nichts ge- oder er- Unglücks sich efreuen, sondern selbiges so den Pfälzischen Erbfolgekrieg in seiner kauft werde. Wer uff den Sontag bey einem viel an ihnen ist, abwenden helffen, auch al- Auswirkung in unserer Region mit dem ver- Juden handelt, will verbrechen 2 oertl. Gul- le gelegenheit Zu Zanck, hass, Mißgunst u. hängnisvollen Dreißigjährigen Krieg gleich. den sttraff. Rachgier meiden. Wer aber über jemand Diese zahlreichen verheerenden Kriege und 4. Sollen die Eltern, welchen der liebe wesserley ursach es auch seye sich zu be- desaströsen Naturkatastrophen (Hagel- gott kinder beschert, s… (unleserlich) seyn, schwehren hat, soll desselbige gehörigen schlag 1703)5 bedeuteten für die ohnehin selbige so bald sie zu etwas Verstand kom- orths vorbringen und bescheids darüber er- arg gebeutelte Bevölkerung ungezählte Be- men, in conformität der Schulordnung flei- wartten. lastungen in Form von Einquartierungen ßig zur Schulen und Kirchen sonderlich zur 12. Wo deme zugegen einer mit dem an- „befreundeter“ und feindlicher Truppen, Kinderlehr zu halten, damit selbigen nicht dern sich in Hass, gezänck, schlägerey ein- Kontributionen, Dienstleistungen, zuletzt allein leßen und schreiben lernen, sondern lassen oder einer dem andern mit Ehrver- eine völlige Verarmung, Verschuldung und auch Voranglich in dem ihren Christlichen letzigen worthen heim- oder offentlich an- eine bedeutende Entvölkerung6, da immer glauben, zucht und ehrbarkeit erzogen wer- greiffen würde, soll 4 gulden straff ver- mehr Menschen aus wirtschaftlichen Grün- den mögen; ingleichen sollen die Eltern da- würckt (= zahlen) haben oder aber vorsetz- den abwanderten, da sie sich vor Ort nicht für sein, damit ihre Kinder nicht zum Mü- lichen und zum nachtheil gereichende lüge mehr ernähren konnten.7 Auch war die ßiggang und Bettlen gewohnet, sondern in (= üble Nachrede) nachsagen und ausspre- Viehtrift eingeschränkt.8 Zeiten in dem jenigen denn sie ihr brod ehr- chen würde, der soll nach befinden der sa- Die nachfolgend vorgestellte Dorford- lich verdienen mögen angehalten werden. che an Ehr, guth oder laib gestrafft werden. nung umfasst 48 Regeln und berücksichtigt 5. Würde aber jemand dieses alles un- 13. Weilen auch bey dem Hochzeiten alle wichtigen Lebensbereiche der damali- terlassen und gesonderheit Eltern, da sie und anders Imbsten (= Essen, Imbiss!) al- gen Zeit. Kleinere Verstöße wurden mit nicht gantz vermögend seyndt (= sind), ihre lerhand Unordnung und Überfluss verspü- Geldstrafe geahndet, schwerere Vergehen kinder nicht zur Schule halten oder dießel- ret wird, als soll solches hirmit verbotten se- der Untertanen mit Gefängnis („Thurm- ben zum bettlen gewöhnen, gegen diessel- yn; dennoch mögen züchtige Däntze (= Tän- straff“) belegt, woran der „Turmweg“ in be will die herrschaft sich behörende straff ze) bey solchen geschehen, nicht aber an Abtweiler erinnert. Von diesem Gebäude ist vorbehalten haben, dahingegen soll dem nichts mehr im Gelände nachweisbar. Pfarrer u. Schulmeister dasjenige so thuend Das wichtigste in den Dörfern war nach ausweis ihrer competenz odrr mit das des Schultheißen. In der Regel handelte dem unterthanen ohne enthalt zube- es sich um einen besonders angesehenen ständter zeit gerichtet werde, wel- Ortseinwohner. Er wurde von den Ge- chen convention auch sind. meindsmännern ernannt und dem Landes- 6. Die hergebrachte gewohn- herren zur Bestätigung vorgeschlagen. Der heit, wenn einer lästerwort zu Schultheiß war der Beauftragte des Lan- Verachtung und Schmähung desherren. Seine wichtigste verwaltungs- gottes des allmächtigen fre- rechtliche Aufgabe bestand darin, für die ventlich und üppiglich gebrau- pünktliche und vollständige Ablieferung chen würde, derselbe soll zur der Steuern und Abgaben an die Herrschaft hafft gezogen und nach befin- zu sorgen. dung des Verbrechens an leib Die Orthografie des Jahres 1714 wurde und leben (= Körperstrafe) ge- beibehalten, gelegentlich bei unklaren For- strafft werden. mulierungen oder Begriffen im laufenden 7. Da aber einer aus Unbe- Text zum besseren Verständnis kurze Er- dacht, bößer gewohnheit und ohne läuterungen angegeben. geführten Vorsatz den nahmen Gottes unnöth führen, oder die sa- cramente Marter und leyden Christi Abtweiler Dorfordnung vom 8. Juni 17149 üppiglich gebrauchen würde, der soll das erste mahl deswegen gewarnet, Dorf Ordnung Vor (= für) die Gemeinde das 2te mal mit ein Orths gulden, das 3te zu Abtweiler mal mit einem halben gulden, das 4te mahl Demnach bey dem eine geraume Zteit ein gulden sofort an, wann er aber kein geld pro continuirenden (= fortdauernd) Ver- mittel hätte, mit der thurm strafe (= Haft- Das Gerichtssiegel von Abtweiler, 1711. derblichen und Hochschädlichen Kriegs- strafe) belegt werden. Foto: Kreismedienstelle, Kreisverwaltung Bad Kreuznach wesen und friedsänfften (= friedlich) Zeiten, 8. Da einer dem andern Christlicher lie- leider alle guten Ordnungen zerrüttet und be zu wieder alles übel mit Pestilenz (= die Communen Verwirrt worden; Als hat Pest) und andern bößen Kranckheiten wie man nöthig erachtet, eine neue jeden auch Donner, Hagel und dergleichen an heimlichen winckeln (= Örtlichkeiten), son- Christlichen obrigkeit oblieget, gerechtig- Laib u. Halß wünscht, soll sie strafe gegen dern an andern Ehrlichen orthen, sollen kei- keit Zu handhaben und gute Ordnung fort- den Verbrecher ebenmäßig mit Geld und ne frembdte persohn (= Ortsauswärtige) so zupflanzen und zu Verkommnung welche Thurmstraffe, wie ein nechst vorhergehents nit geladen, sich bey dem dantz einschlei- Angelegenheit eine Dorffs-Ordnung mit ge- artickel (= Artikel, Paragraf) vorgenommen chen, (3) soll niemand bey dem Dantz Ha- staltet über mit der Gemeinde einzuführen werde. der und Zanck anfangen, (4) auch sich mit und in folgendes puncten der gemeinde zu 9. Demnach auch heutigen tags des flu- leichtfertigem üppigen worthen (= Worten) Abtweiller Zu Zu stellen. chen. Und erhalten bey den Kindern uff der und gebehrte (= Gebärde) sich vergreiffen, straßen sehr gemein werden, als sollen son- (5) soll der Imbiß, Dantzen und alles bey 1. Wer an Fest, Sonn- und Festtagen derlich die Eltern und Vormündern sie da- den Hochzeiten umb neun Uhren Winters, den predigten unthetigerweiße und ohne von ernstlich abhalten und mit Ruthen (= des Sommers aber umb zehen Uhren auf- erhebliche Ursach versäumet, soll nach ge- Rute, Prügelstrafe) oder sonsten vor dem hören und geendiget seyn, alle u. jede punc- legenheit des Verbrechens der Persohn mit züchtigen, alles bey vermeydung vernach- ten dieses articuls (= Artikel) bey straff ei- einem hellerstück straff ein jeder angese- lässigen Geld- oder Thurmstrafe. nes halben gulden von jeder Verbrechen- hen werden. 10. Welche manns- und Weibspersohn spersohn. 2. Welche unter den Predikten (= Pre- mit segen oder messen oder Menschen zu 14. Gleichwie die Gemein- und Land- digt) zu Hauß mit ihrem Gesinde vor sich helfen sich unterstehet oder solche leuthe strassen, auch fueßpfäde (= Fußweg) Zu selbsten arbeiten oder arbeiten laßen, sol- gebrechen (= Krankheit) oder bey Wahrsa- und Umb Abtweiller folgender maßen be- che sollen in strafe einen halben gulden er- gern hüllf (= Hilfe) und Rath suchet, deren schrieben seyndt. Erstlich im Dorff ist ein legen (= zahlen). jeder soll zehen gulden strafe verwürckt (= weeg (= Weg) von dem wegen weeg her 3. Welche unter obbemelten Predigten zahlen) haben oder in ermangelung geld- und bey Henrich Gebhards Thür vorbey. im Wirthshauße betroffen wird, verbricht (= mitteln mit proportionirter (= angemessen) 1. ein gemeiner weeg (= Gemeinde- zahlen, schuldig sein) einen halben gulden Thurmstraff belegt werden. weg) unter der kirch her, Bad Kreuznacher Heimatblätter - 8/2021 (Seite 34 des Jahrgangs) 3

2. Eine gemeine strasse (= Gemeinde- sonsten aus hochmuth unterstünde in der halten seyn, an gehörigen orthen anzuzei- straße) mitten durch das Dorff gemeinde oder einem benachbarten händel gen oder gleiche straff, wie der verbrecher, Landstraßen (= Überregionale Straße) (= Streit) anzufängen und der beleidigte hät- verwürcket (= verwirkt) habe. 1. Eine Landstraße die trifft hinaus uf (= te nachbaren geschriehen und dießelbe 31. Weilen der Landleuthe beste nah- nach) Rheborn () umb hülff angeruffen, soll ein jeder mit sei- rung in Viehzucht bestehet als sollen die 2. Eine Landstraße uff (= nach) Sobern- ner besten wehr zu lauffen, würde es aber wießen von gertrauten (= Gertrud) tag an, heim von einem oder mehr Unterlaßen und nicht bis an Michaelis tag verschont werden, aber 3. Eine Landstraße den Wagenweg hi- erhebliche Ursachen ihres außenbleibens (= die Baum- und Pflanzgärten, bis Märtes (= naus uff Meißenheim Wegbleiben) anzeigen können, der oder März) tag. 4. Eine Landstraß den Fluhr her unter der dieselbe sollen jedweder umb 2 fl. gestrafft 32. Wer einen acker hat und will selbi- Hohl (heute: Auf der Hohl) hinaus werden. gen zu einer wießen liegen lassen, ist sol- Fußpfäd 23. Wenn sich in der gemeind (= Ge- ches zwar zugestanden, muß aber zuvor der 1. Gehet ein fußpfad die oberwieß hinaus meinde) oder zwischen benachbarten we- herrschafft einen halben gulden erlegen (= die Antoniushoffer wieß bis an die Hohl und gen der marckung (= Gemarkung) Zwey- zahlen). nicht weiter. tracht erheben und mangel verfallen würde, 33. Keinem andern, außer der gemeind, 2. Ein fuß pfad von der Wigerwießen biß soll durch ihrer vier nemlich zwey gerichten soll hinsichtlich mit schädlichen hüten uff an die Kleewieß (heute: Kleewiese) hinaus und zwey geschwornen Steinsetzer (= Kon- wießen (= Wiesen) und feldern verstattet, 3. Ein fußpfad durch das Thal (heute: im trolle der Gemarkungsgrenze) aus der sondern Ihnen den fremdben (= Auswärti- Tal) hinauff biß an Kinschel an den Wald. Steincallenfelsischen Herrschafft darzu ver- ge) ernstlich verwehret werden. 4. Ein fußpfad die Bannewieß hinunter ordnet und die marckung (= Vermessung, 34. Ein jeder soll sein Viehe vor die heer- biß unter Kinschel (heute: im Kinschel) Abmessung) oder Steinsetzung vorgenom- de (= Viehtrift) treiben oder im stall halten 5. Ein fußpfad durch den herren acker zu men werden. (= Stallhaltung), welcher aber solche selbst den Kappesgärten biß an den Reinen stein 24. So fern etwas an weegen und stee- hüten. Es wäre dann eines mangelhaft oder 6. Ein nothpfad durch die äcker in den gen oder sonst in der gemeind Zu bessern in denen gärten und feldern umbschweifen Brenckel (heute: am Brinkel) und bauen wäre, soll der Schultheiß mit lassen würde, einen orts gulden straff ge- Als soll der jenige, so aus einem nothpfad dem Bauermeister sich eines tags verglei- ben und anbey dem damnifizierten (= schä- oder weeg einen gemeinen pfad oder weeg chen, darauff einem jeden gemeinsmann (= digen, freveln) nach beschehener astimati- zu machen sich eigenmächtig unterstehet, Gemeindemitglied) solches einen abend zu- on (= Abschätzung) von zweyen Unpart- nebst der schadloßhaltung des damnificir- vor neben dem orth und stund anzeigen. Da heyschen (= unparteiisch) Männern, den ten (= Verdammten) einen orths gulden so ein jeder frohner (= Ortseinwohner, der schaden erdsetzen. straff verwürckt haben. Dahingegen Fronarbeit verrichten musste) selbsten kom- 35. Wiewohlen (= gleichwohl) die Gei- 15. Sollen wegen stege anbaulichem we- men oder eine tüchtige persohn, die einen ßen (7) ein schädliches Viehe ist, und hier- sen (= Unterhaltung von Wartung von We- taglöhner vertretten kann, darzu verordnet, von dergleichen zu halten, nicht gestattet gen und Stegen) und würden erhalten auf und er eine fuhr (= Wagenfuhre), mit wagen werde, so ist es doch in ansehung jetziger den straßen nichts Unreines oder Unflat ge- oder ochsen erscheinen, der aber nicht zu zeit läuffen in so mit zugelassen, daß ein je- schüttet auch die Straßen, Hofreiten so viel rechter Zeit sich einstellet, Ein orths gulden ner in die gemeind Abtweiller biß zu bes- möglich möglich reingehalten werden. und da einer gar außen bleibt, soll der mit ei- seren Zeiten und da man sich eines anderen 16. Wenn Zur gemeind gelitten oder ner fuhr einen halben gulden, und ein hand- Vergleicht 2 oder 3 geißen halten, solche durch den Schultheißen zusammen gefor- frohner (= Handfröner) einen orth (ergänzt: aber von den hirten treiben Und niemand dert wird, soll keiner ohne deßelben vor- Gulden) in die Gemeind geben (= zahlen). damit nach beschehener (= stattfinden) as- wissen oder Erlaubens außen bleiben. Und 25. Hinführo soll kein holtz, futter oder timation (= Abschätzung) von zweyen Un- so er vor seiner Persohn nicht erscheinen stroh bey straff eines halben gulden uff die partheyschen Männern, den schaden er- könnte, genugsamen Ursach anzeigen, speicher. Und kein gewirch, dadurch feuer setzen. nichtsdestoweniger seine haußfrau (= Ehe- zu befahren bey straff 3 fl. (Gulden) in die 36. Wo nur ein und schädliches Viehe frau) oder eine tüchtige persohn an seine Stuben und in die Hechel-Oeffen (Hechel = bey der heerde wär, solle das hirte bey sei- statt ordern, bey straff eines halben gul- Werkzeug zum Auskämmen von Flachs) ge- nen pflichten anzeigen, zugleichen wenn er dens, wer aber nicht zu rechten Zeit er- legen – derowegen alle Monat durch den einen schaden an Treib und Treib antrifft. scheinet, wenn innerhalb einer Viertel stund Schultheißen oder Baurmeister und etliche 37. Da einer solche maaß oder gewicht auh dem geleit, verbricht eines orts gulden. gerichten von hauß zu hauß besichtigung im handel und wandel gebrauchen würde, 17. Forthin solle keiner unter den be- eingenommen werden. ist er zu straff verfallen 3 fl. nachbarten (= Nachbar), wer der auch seyn 26. Gleicher gestalt soll niemand kein 38. Wer beym Zehenden (= Zehntabga- mag, mit einem schneidenden oder sonst feuer bey tag und nacht aus des andern be) fehl oder Untreu gefunden wird ist zu schädlichen waffen bey versammlung der hauß offentlich sondern wohl vermehret tra- straff verfallen 3 fl. gemeind sich betreffen laßen, bey straff ei- gen, nicht mit brennende fackeln oder 39. Wenn einer in der Sat (= Saat), da der nes orts gulden. Spähnen (= Span) über die gassen gehen, oberste acker schon besamet, uff einem 18. Es haben sich auch zuvoren bey der daß das feuer in häußern, besonders bey be- Setzstein führet und ober sich zackert (= gemeind Zusammenkunft allerley schlecht- reitung des flachses in guter hut (= Aufsicht) ackern, pflügen), verbricht er einen ortds- worthe Zu getragen. Zu bevorkommnung gehalten und kein flecht in Stuben und gulden. dessen sollen ferner jeder Zeit der Schul- Backöffen zu dürren gestattet werde. 40. Im acker fahren, so des nachtbaren (= theis, oder in dessen abwesenheit der erste 27. Sollen auch alle schädliche hund (= Nachbar, Anrainer) acker frisch gesäet ist, gerichtsmann vorgefallener sachen Umbs- gefährliche Hunde), wodurch denen Nach- hat einer macht (= Berechtigung) 6 Tage zu tände zeige, alsdann die Umbfrage (= Be- barn schaden geschieht, hinfort angehänget der anderen, des siebenten tag aber und fol- fragung), von dem ältesten inhabend, thun, (= anleinen) werden, bey straff eines orts gende zeit, auch beschehener Saat ist es ver- und was die meisten stimmen seynt (= sind), gulden. botten bey straff 6 albus. darauf endlich beschließen, welcher aber in 28. Die brunnen und fruchttröge sollen 41. Ingleichen ist verbotten, uff einer solcher Versamlung das oder anderst redet, rein und im baulichen weßen (= Zustand) wießen, wenn graß (= Gras) darinnen ist der soll in die gemeind zu geben schuldig gehalten, auch denselben auf keinerley zeitwender (?), wenn einer im Sommer mit seyn 3 albus. Und nunmehro keiner den an- weiße (= Weise) schaden zugefüger wer- einem wagen durch eine wiese fährt, des dern an seinen Ehren wie bißhero gesche- den. seye noch es wolle bey straff 5 albus. hen, an Ziehen oder lügen straffen, bey 29. Da ein feld dies nachts (= Felddieb- 42. Wer das gemeine Simmer (Getreide- straff eines 4 Gulden nach beschehener as- stahl) angetroffen würde, soll solcher in 2 fl. maß mit regionalen Abweichungen) über timation (= Estimation, Abschätzung) von Straff verfallen (= bezahlen) seyn und an- nacht in seinem Haus behält, verbricht 3 zweyen Unpartheyschen Männern, den bey das gestohlene doppelt ersetzen, da er alb.(Albus) Schaden ersetzen. aber nichts zu zahlen hatte (= zahlungsun- 43. Mit dem gemeinen holtz oder Wald 19. Es soll auch, da sich sachen zutrügen, fähig), mit proportionirte Thurmstraffe (= (= Kommunalwald) sollen die unterthanen davon in der Versammlung in geheim be- Gefängnis) belegt werde. Desgleichen und Einwohner räthig (= sorgsam) umbge- rathschlaget – da aber eine nacht herberget 30. Wann (= wenn) ein felddieb bey tag hen, dahero des brennholtzes ein jeder – da aber eine hinderung einfiele, solches angetroffen würde, soll er neben ersetzung mehr nicht als er in seiner Haushaltung bey dem Schultheißen oder Baurmeister an- des schadens, einen halben gulden straff braucht, bey straff eines halben gulde, wer gezeigt werde. wie ein Kimnd aber eines orts gulden, es aber eines grünen Baum hauet oder stimm- 20/21/22. Da etwa einfall im Dorrff bey mag seyn in wiese, Pflantz-Baum oder elt (= stümmelt) 2 fl. täglich oder nächtlich weil geschehe oder Weingärten. Weniger nicht so ein jeder ge- 44. Kein Baum so bauholtz bekommen, 4 (Seite 35 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 8/2021

soll es zwey unverbauet liegen lassen, bey des Unteren Nahegebietes. Der Nahegau unß eine sichel ins feld setzen“ konnte. Die straff 1 viertel fl. und seine Umgebung (Erläuterungen zum Ernte fiel damit praktisch weitgehend aus 45. Das Schützen Amt (= Flurschütz, geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, VI). und eine große Armut war die Folge. Schon Feldschütz) soll in der gemeind umbgehen Bonn 1914. 1702 hatte das „teutsche“ Winterquartier im und wer saumhaft darinnen gefunden wird, POITTNER, Barbara: Wüstungen im Kreis Spanischen Erbfolgekrieg 800 Gulden ge- verbricht 5 alb. Straffe, habenden noch die Bad Kreuznach. (Heimatkundliche Schrif- kostet. Es folgte bald die „schwere franzö- hut (= Aufsicht) einen Tag weiter haben. tenreihe des Landkreises Kreuznach, 2). sische Contribution“(Kriegssteuer). Ent- 46. Alle oberen straffen seynd (= sind) Bad Kreuznach 1972. sprechend pessimistisch klingen folgende halb der herrschaft und halb der gemeinde REISEK, Jörg Julius: „Ich bin sehr gnädig Zeilen: „… wir durch diese betrübte Fälle verfallen und bei wiedersetzlichlichkeit (= von ihnen empfangen worden“. Samuel solcher schuldenlast und armuth gerathen, Weigerung) gepfändet, auch gestalten sa- Chapuzeau besucht 1699 den Pfalz-Sim- worauß unßere arme Nachkömmlinge ob- chen noch gethürmet (= in den Turm ein- merschen-Fürstenhof zu Kreuznach – Ein gleich die zeiten sich wieder beßern sollten sperren) werde. Mosaikstein zur Kreuznacher Residenzge- in 90 und mehr jahren sich schwerlich wie- 47. Was zu Straff in die gemeind (= Ge- schichte, in: Bad Kreuznacher Heimatblät- der retten können.“ aus: LHAK (= Landes- meinde) fället (= zusteht), so von Baurmeis- ter Nr. 2012/9, S. 33–36. hauptarchiv Koblenz), Best. 24 Nr. 1526. ter Zeit seines eingebracht, gantz treu- SCHAUS, Emil: Eine Schottsche Fäl- 6 Über die demografische Entwicklung in lich zu Pfarr- und Schulhäußer oder andern schung zur Geschichte des Nahegaus, in: Abtweiler sind wir vergleichsweise gut un- nothwendigen gebauen unterhelt ange- Neues Archiv der Gesellschaft für die ältere terrichtet. 1663/74 zählte das Dorf 13 Haus- wendet werde, denn bey beschließung sei- Geschichtskunde zur Beförderung einer gesäß, wobei jedem Haushalt etwa 4 bis 5 nes amts, der gemeind ordentlich ... thun. Gesamtausgabe der Quellenschriften deut- Personen lebten. 1674 ist von „13 persoh- 48. Solle auch diese gemein-ordnung (= scher Geschichte des Mittelalters 45, 1924, nen“ die Rede. 1735 lebten 33 Familien, ca. Ortsrecht, Gemeindesatzung) alle wegen S. 363–367. 130 Personen im Dorf. Im Jahr 1815 waren von einem Baurmeister bey jährl. Abtret- SCHMITT, Friedrich: Die Bedeutung der es 226 Einwohner. Die höchste Einwohner- tung seines amts (= Amtsübergabe) dem an- Weistümer für die Ortsgeschichtsschrei- zahl war in Abtweiler 1900 mit 383 Ein- gehenden (= Nachfolger) wiederum be- bung, in: Bad Kreuznacher Heimatblätter wohnern erreicht. Seitdem ist die Einwoh- händiget werden, damit man sich, wenn je- 1996/6 und 1996/7, S. 21–22, S. 27. nerzahl rückläufig: 1950 waren es 368 Ein- mand in der gemeind in den vorerzelten (= SCHMITT, Friedrich: Der Raum des heu- wohner, bedingt durch das Zuweisen meh- zuvor genannten) puncten einen straffbar tigen Landkreises Bad Kreuznach vor 1815. rerer Flüchtlingsfamilien aus den ehemali- befände, der gebühr zu verfallen hat. In: Beiträge zur Geschichte des Landkreises gen deutschen Ostgebieten jenseits von Wie nicht weniger solle dieße Verord- Bad Kreuznach. ( Heimatkundliche Schrif- Oder und Neiße, im Jahr 1961 waren es nung, so oft ein schultheiß vorgestellet – tenreihe des Landkreises Bad Kreuznach, noch 319 Einwohner, im Jahr 2000 noch 257 oder ein Baurmeister oder gerichtsmann er- 31). Bad Kreuznach 2000. S. 37–117. und 2017 zuletzt noch 202 Einwohner. Eine wehlet wird, der gemeinde vorgelassen SILBERMANN, Horst: Wittelsbacher als Entwicklung von 383 Einwohnern (1900) zu werden. Kreuznacher Stadtherren. Ein 400-jähriges 202 Personen (2017; 2019 [s.o] nur noch 197 Dessen zu mehrer bekräfftigung ist dieße Kapitel der Kreuznacher Stadtgeschichte im Personen) spricht eine deutliche Sprache, Dorfordnung unter meiner eigenen hand Überblick, in: Bad Kreuznacher Heimat- zeigt aber nur den demografischen Wandel unterschrifft und vorgedruckte angebohr- blätter 2016/6, S. 21–24. auf, wie er in den Dörfern um Meisenheim nem Insigel ausgefertiget worden. TADDEY, Gerhard (Hrsg.): Lexikon der schon in den 1950er und 1960er Jahren be- Geschehen Meisenheim den 8. Juny 1714 deutschen Geschichte bis 1945. Ereignisse, dingt durch die extreme Abwanderung jün- Anton (?) Steincallenfelß Institutionen, Personen. Stuttgart 1998. gerer Altersgruppen eingesetzt hatte. Er VOGT, Werner: Die Geschichte des mitt- setzt sich weiterhin durch die Alterung der leren und unteren Naheraumes, in: K. BE- Bevölkerung verstärkt fort. Alle Zahlenan- Fazit CKER (Hrsg.): Heimatchronik des Kreises gaben nach dem WIKIPEDIA-Artikel „Abt- Kreuznach. Köln 1966. S. 75–194. weiler“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Abt- Diese „Dorfordnung“ knüpft an die we- WIBEL, Hans: Die Urkundenfälschungen weiler; zuletzt besucht 24.09.2020). sentlich bekannteren Weistümer an, wie sie des Georg Friedrich Schott, in: Neues Ar- 7 Demografisch kann somit Abtweiler als für verschiedene Ortsgemeinden unseres chiv der Gesellschaft für Ältere Deutsche ein Musterbeispiel gelten, was zahlreiche Landkreises schon mehrfach untersucht und Geschichtskunde 1904, S. 655–765. Dörfer künftig bevölkerungspolitisch bei in der heimatkundlichen Literatur ver- der derzeitigen Altersstrukturentwicklung schriftlicht wurden. erwartet! Manche Demografen sehen die Abgedeckt werden in diesem Ortsrecht Anmerkungen stetig sinkenden Geburtenzahlen in Indus- die wichtigen Lebensbereiche Kirche, Schu- triestaaten als ireversibel an. Die proble- le, Erziehung der Jugend, soziales Zusam- 1 Im Jahr 2019 zählte Abtweiler 197 Ein- matischen Bevölkerungsentwicklung ist im menleben, Gemarkungsgrenze, Dienstleis- wohner und hatte damit die 200er Marke Datenmaterial des WIKIPEDIA-Artikels (s.o. tungen (Wege- und Straßenunterhaltung), unterschritten mit weiterhin abnehmender vorh. Anm.) zu entnehmen. Viehhaltung (Weiderechte), Waldnutzung Tendenz! 8 Über die Viehtrift im nahen Soonwald sowie die entsprechenden Sanktionen bei 2 Nach der Nachricht von 1128 schenkte liegen heimatkundlich mehrere wissen- deren Nichtbeachtung. Die Strafen reichten der Mainzer Erzbischof Ruthard (1089–1109) schaftliche Untersuchungen vor, die sich von Zahlungen betreffender Geldbeträge den Mönchen einen Hof in „Hene“ (Hüh- auch auf das vorliegende Beispiel Abtweiler unterschiedlicher Höhe mit betreffender nerhof bei Abtweiler) und 4 Morgen Wein- übertragen lassen. Vor der später üblichen festgelegter Geldabgabe, Haftstrafen (Turm) berge, die verpachtet waren. WIBEL 1904 Stallhaltung wurde das Vieh in unserer Re- und körperlichen Züchtigungen, also die wies mit seiner Untersuchung die zahlrei- gion und weit darüber hinaus zur Mast in niedere Gerichtsbarkeit (= Niedergericht), chen Fälschungen des Georg Friedrich angrenzende Wälder getrieben. Das galt für die es in jedem Dorf gab. Das Hochgericht Schott nach. SCHAUS 1924 befasste sich Schweine, Rinder, Schafe und Ziegen. Be- (= Halsgerichtsbarkeit) urteilte über Raub, nochmals mit dieser Thematik. reits im 18. Jahrhundert wurde jedoch bei Mord, Schändung und Ehebruch und war in 3 Vgl. FABRICIUS 1914, POITTNER 1972, Ziegen und Schafen sogleich eine Ein- dieser Dorfordnung nicht vorgesehen. Dafür BUSS 1992. schränkung vorgenommen, weil diese Tiere war der betreffende Gerichtsbezirk zustän- 4 Noch heute erinnern im Hahnenbachtal im Wald große Schäden anrichteten. dig. bei Kirn die drei Burgen Stock im Hane, Kal- 9 LHAK Best. 53 C 46 Nr. 473. denfels und Stein auf einer imposanten Fels- 10 Vgl. hierzu insbesondere SCHMITT gruppe an dieses Geschlecht. Diese Burg- 1996. Bibliografie (Auswahl) anlagen (Ganerbenburgen) entwickelten sich seit dem 13. Jahrhundert als Zollstätte BECKER, Kurt: (Hrsg.): Heimatchronik an dieser topografisch wichtigen Stelle. des Kreises Kreuznach. (Heimatchroniken 5 Solche Naturkatastrophen stellten in ei- der Städte und Kreise des Bundesgebietes, ner Zeit, in der die Nahrungsmittel über- Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen 30). Köln 1966. wiegend auf der eigenen Gemarkung eines monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein für BUSS, Karl: Ein Weistum von Abtweiler Ortes produziert werden mussten, für die Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach e.V. bei Meisenheim von 1576 und 1522, in: ansässige ländliche Bevölkerung eine kom- (v.i.S.d.P. Anja Weyer M.A. und Dr. Jörn Kobes M.A., Landeskundliche Vierteljahrsblätter 1983. promisslose Härte dar. Unmissverständlich Heimatwissenschaftliche Zentralbibliothek, Hospital- S. 41–44. heißt es, dass „alle ausgesäte früchten der- gasse 6, 55543 Bad Kreuznach, Tel. 0671/27571, FABRICIUS, Wilhelm: Die Herrschaften gestalt erschlagen [wurden], daß keiner von E-Mail: [email protected]).