INTERVIEW

In einer Beziehung ist Reibung nötig, sonst schlägt sie keine Funken 8 PERSÖNLICHE FRAGEN AN CHRISTIAN BERKEL

Der Schauspieler und Schriftsteller über seine Frau, Schauspielkollegin Andrea Sawatzki, die eigene Andersartigkeit und warum er es für gefährlich hält, wenn man seine Bedürfnisse nicht artikulieren kann

PSYCHOLOGIE BRINGT DICH WEITER Januar/Februar 2021 29 INTERVIEW

„Ich glaube, dass es der Wunsch innerhalb jeder Beziehung ist, durch den anderen auch etwas über sich selbst zu erfahren“

Welches Tier wären Sie gern? das Glück hat, dass Kinder kommen, le und Desinteresse. Insofern: Nicht so einem oftmals gar nicht zugesprochen. 1Der Hund meiner Frau. Da würde ist das noch mal eine unglaubliche Be­ sicher sein, wie es geht, sonst landet Es wird von einem Kind verlangt, sich es mir sehr, sehr gut gehen. Der wird reicherung. Das Leben bietet einem man ganz schnell in der Pornografie. anzupassen, sich einzufügen in eine Ge- gut ernährt, viel gekrault, sie macht dadurch eine Chance, noch mal durch Da ist alles geklärt: was Lust macht, meinschaft; dafür wird es gelobt. Wir schöne Spaziergänge mit ihm und in­ all die Stadien der eigenen Kindheit was Unlust macht. Dann kann man es lernen ganz früh, dass wir persönliche tensive Lernstunden, um sein Gehirn und Jugend durchzugehen. Und man im Grunde schon lassen, wenn alles Impulse haben, die von der Außenwelt zu fordern. Durch unsere beiden Jungs wird immer da mit seinem Kind in klar ist. Ich sage nicht, dass Primär­ abgelehnt werden und die wir kontrol­ hatten wir alles – von Meerschwein­ Konfliktsituationen kommen, verun­ reize nicht reizvoll sind, aber sie sind lieren sollen. Das Kind hat ein tiefes chen bis Mäuse –, und Andrea hat im­ sichert, abweisend oder verärgert re­ nicht das einzig Reizvolle. Wenn ich kam, konnte ich die immer äußern. schweigende Generation die nächste Bedürfnis nach Zugehörigkeit, es möch- mer darauf bestanden, dass wir von agieren, wo man selbst Dinge damals nur ein eindeutiges Ziel vor Augen Aber bisweilen hat man sich ihr wie Generation in die Sprachlosigkeit ge­ te so sein wie alle anderen. An mei­ jeder Tierart ein Paar hatten, damit sie nicht klären konnte oder wo etwas habe – was auf Sexualität bezogen sehr auf rohen Eiern genähert. Bedingt trieben hat. Wenn ich zum Schweigen nem ersten Schultag sollte jedes Kind nicht einsam waren. Wir hatten sogar unglücklich verlaufen ist. Das bietet häufig der Orgasmus ist –, dann bin durch ihre Kriegs- und Familienge­ verdonnert bin, lerne ich nicht, mich den Stift vor sich in die Mitte des mal drei Hunde: einen Mops, einen einem die Möglichkeit, das noch mal ich nicht sehr neugierig. Dann besteht schichte litt sie unter depressiven auszudrücken. Dann werde ich auch Tisches legen, die Hände hinter den Boxer und eine Dogge. Sie waren wie neu anzugehen und zu verarbeiten. die Reise nur im Erreichen dieses Or­ Schüben. Und niemand wusste genau, nie besonders gut meine Bedürfnisse Rücken nehmen, dann nach dem die Orgelpfeifen – wenn wir mit Das ist eines der großen Geschenke, tes. Der gerade Weg ist per se nichts wodurch sie ausgelöst wurden. Ein artikulieren können. Und das halte Stift greifen. Ich habe ihn als Einziger denen irgendwo auftauchten, haben das Kinder einem machen, wenn man Schlechtes – aber wenn ich nicht bereit Satz, ein Blick, eine Geste – plötzlich ich für gefährlich. Wer das nicht kann, mit links aufgenommen. Die Lehrerin wir regelmäßig für Amüsement ge­ bereit ist, darauf einzugehen. Deswe­ bin zu gucken, was für Blumen rechts fiel sie in eine tiefe Depression, ein wird auch Schwierigkeiten damit rief: „Ah, Christian, du bist ja Links­ sorgt. Meine Frau würde sich auch um gen hat mich die Pubertät, das junge und links des Weges wachsen, ist das tagelanges Schweigen. Sie wurde dann haben, fremde Bedürfnisse wahrzu­ händer!“ Alle fingen an zu lachen, eine gute Partnerin für mich küm­ Erwachsensein bei der Protagonistin schade. aus dem Leben in einen Zustand nehmen und zu respektieren. ich habe mich vollkommen erschrocken mern. Besser kann man es doch gar meines Romans Ada auch so interes­ katapultiert, in dem sie wie lebendig Wir erlauben uns noch heute häufig und war nicht mehr zu bewegen, den nicht haben. siert. Ich habe mich mit verschiedenen Was haben Sie sich nicht ge- begraben wirkte. Das war sehr er­ nicht, Gefühle zu haben. Die klassi­ Stift in die linke Hand zu nehmen. Ich Psychiatern unterhalten: Das ist eine 4 traut, Ihren Eltern zu sagen? schreckend und irritierend. sche Situation, die sich auf jedem Spiel- habe bis heute eine saumäßige Hand­ Welche Eigenschaft schätzen Lebensphase, die von vielen Erwachse­ Ich wurde in manchen Punkten durch­ platz beobachten lässt: Ein Kind fällt schrift. In den ersten Jahren habe ich 2 Sie an Ihrer Frau am meisten? nen schnell vergessen wird. Es ist eine aus streng erzogen – aber die Freiheit, Was macht Ihnen Angst? hin und schlägt sich das Knie auf. mit großen Rechtschreibproblemen Ihre Fantasie. Ihre Liebesfähigkeit. Krisenzeit. Alles, was einem wider­ das zu denken und zu sagen, was man 5 Ich sehe häufig, dass Menschen Sofort versuchen die Eltern, es abzu­ gekämpft, ich bin sogar auf Legasthe­ Ihre Zugewandtheit. Und ihr sehr ori­ fährt, ist relativ neu: Man entdeckt will, war in unserer Familie definitiv ein große Probleme haben, an ihre Gefüh­ lenken, damit es nicht schreit, den nie untersucht worden, das war aber ginelles Wesen. Sie überrascht mich das Begehren, hofft, begehrenswert zu hohes Gut. Gerade mit meinem Vater le heranzukommen. Das hat viel mit Schmerz, das Erschrecken nicht wahr­ nicht der Fall. Ich sehe mich noch mit immer wieder – auch wenn wir seit sein, entdeckt die Liebe, hat aber noch konnte ich extrem gut – und lautstark Verboten zu tun wie der Aufforderung nimmt: „Guck mal, da oben!“ Das sieben, acht Jahren völlig verzweifelt über zweiundzwanzigeinhalb Jahren keinen Umgang damit. Und in dieser – streiten. Als ich 16, 17 war, haben zum Schweigen: Rede nur dann, wenn funktioniert fast immer, ist aber fatal. auf der Treppe bei uns zu Hause sitzen zusammen sind. Ihre Reaktionen sind Ungeschütztheit entstehen viele Verlet­ wir uns so über den Standpunkt des du gefragt wirst. Im Deutschland der Denn man bringt dem Kind damit bei, und fragen: „Mama, glaubst du, dass teilweise unvorhersehbar. Insofern zungen und Schmerzen. anderen aufgeregt, dass wir uns in Dis- 50er- und frühen 60er-Jahre gab es das unangenehme Gefühl nicht zu er­ ich das jemals lernen werde, lesen und kommt nie Langeweile auf. Ich glau­ kussionen angeschrien haben. Aber sehr konkrete Gründe, warum eine leben. Und es wird auch als Erwachse­ schreiben?“ Ich habe später in be, dass es der Wunsch innerhalb Was ist das Geheimnis von da gab es nicht eine Sekunde des ganze Generation geschwiegen hat. ner nach Ablenkung suchen – mithilfe das französische Gymnasium besucht. jeder Beziehung ist, dadurch auch et­ 3 gutem Sex? Nachtragens. Das habe ich als sehr Und sie hat von ihren Kindern – das von Alkohol, Drogen, dem Fernseher. Und im Französischen schrieb ich was über sich selbst zu erfahren. Wir Ganz spontan würde ich sagen: den große Freiheit empfunden. ist eine zentrale Thematik in meinem vom ersten Tag an alles richtig – das kommen uns als soziale Wesen über anderen in seinem ganzen Geheimnis Für meine Mutter muss ich die Frage Buch – das Schweigen ebenfalls ver­ Was ist Ihr größter Schmerz? war wie eine zweite Chance. den anderen näher. Die Familie, die wahrzunehmen und zu belassen. In anders beantworten. Ich habe mich langt. Es wird immer vom Leid der 6 Zu den schmerzhaftesten Kind­ Aufgrund meiner Biografie zwischen wir gründen, ist erst mal der Partner, dem Moment, wo wir behaupten, uns nie gescheut, ihr alles zu sagen. Sie Kriegsgeneration gesprochen, erst heitserlebnissen gehört das Erschre­ zwei Kulturen, zwei Ländern, zwei den man sich aussucht und von dem selbst oder den anderen in- und aus­ war ziemlich liberal, und wenn ich mit langsam wird auch von der Leid­ cken über die eigene Andersartigkeit. Sprachen, aufgewachsen in einer ge­ man auserwählt wird. Und wenn man wendig zu kennen, droht ja Langewei­ irgendwelchen schrägen Ansichten übertragung geredet, wie stark diese Das Recht auf Andersartigkeit wird teilten Stadt, mit Eltern, die aus sehr

30 PSYCHOLOGIE BRINGT DICH WEITER Januar/Februar 2021 PSYCHOLOGIE BRINGT DICH WEITER Januar/Februar 2021 31 „Was wäre das Leben, wenn wir von einer Eindeutigkeit in die nächste plumpsten? Dann gäbe es ja überhaupt keine Schattierungen“ unterschiedlichen Kreisen kamen, bin unbändigen Freiheitsdrang, auf der Was würden Sie gern noch ich nicht jemand, der so einfach auf anderen eine große Sehnsucht nach 8 klären oder wiedergutmachen? den einen oder anderen Stuhl passt. Struktur. Wobei ich, wenn ich das Im Zusammenhang mit unserer Ge­ Es hat lange gedauert, bis ich das be­ sage, denke: Vielleicht ist das nur ein schichte finde ich den Begriff der Wie­ griffen habe beziehungsweise das an­ scheinbarer Widerspruch. Gerade dergutmachung problematisch. Ich nehmen konnte. Man wird sehr stark die Struktur ermöglicht einem ja dann habe nie daran geglaubt, dass ich ir­ zum Schwarz-Weiß-Denken erzogen: oft Freiräume. gendwas, was mir misslungen ist, wie­ Ist man eher Jude oder eher Christ? Struktur oder auch Disziplin ist etwas, dergutmachen könnte. Ich kann aber Eher Franzose oder Deutscher? Das wonach ich immer wieder suche – um versuchen, diese Erfahrung in mein Le­ kann man ja beliebig weitertreiben. sie dann zu sprengen. Man kann als ben hereinzunehmen, um mich damit Diese Eindeutigkeit war für mich Autor ein Exposé verfassen, alle Stati­ nicht zu blockieren. Ich sage meinen nicht zu haben. Das hat mich lange onen der Geschichte festlegen und Kindern immer wieder: Aus Fehlern Zeit unbewusst und irgendwann im­ danach beginnen zu schreiben. So fan­ kann ich eine ganze Menge lernen, aus mer bewusster beschäftigt, weil ich ge ich in der Regel auch an, genauso Erfolgen lässt sich keine Lehre ziehen. merkte, dafür scheint erst mal kein wie ich auch mit einer gewissen Vor­ Die sind absolut nicht reproduzierbar. Platz vorgesehen zu sein in unserer stellung in einen Drehtag oder in eine Weil so viele Imponderabilien, Zufälle Gesellschaft. Andererseits: Was wäre Theaterprobe gehe – aber unterwegs und auch Glück mit reinspielen, dass unser Leben, wenn wir von einer Ein­ werfe ich diese Struktur dann weg. sie sich nicht systematisieren lassen. deutigkeit in die nächste plumpsen Diese Reibung ähnelt der in einer In der japanischen Kultur gibt es Sumi-e würden? Dann gäbe es ja überhaupt Beziehung. Sei es in der Liebe, der genannte Tuschzeichnungen. Ein Le­ keine Schattierungen. Freundschaft oder zwischen Eltern ben lang malt man immer wieder den und Kindern: Wenn die Beziehung gleichen Berg, der natürlich nie der Was ist der größte Gegensatz die Reibung nicht ermöglicht, wenn gleiche ist. Irgendwann lernt man tat­ 7in Ihnen? sie eine Dauerharmonie verlangt, sächlich etwas über sich und den Auf der einen Seite habe ich einen dann wird sie wenig Funken schlagen. Gegenstand. Die alte japanische Kampf- kunst Iaido besteht aus nur drei Bewe­ gungen: dem Ziehen des Schwertes, der Schlagbewegung und dem Zurück­ Christian Berkel wurde 1957 in Berlin-Tegel geboren und lebte bis führen des Schwertes in die Scheide. zu seinem 14. Lebensjahr in . Er ist mütterlicherseits jüdischer Das mag einem absurd vorkommen, Abstammung, aber katholisch getauft. Seit 1998 ist er mit der Schau- führt aber zurück zu der Behauptung spielerin Andrea Sawatzki liiert, die er 2011 heiratete. Ihre gemeinsamen von Albert Camus, Sisyphos, der den Söhne kamen 1999 und 2002 zur Welt. Berkel lebt in Berlin. Er hat sich Stein wieder und wieder den Berg als Schauspieler, Synchronsprecher, Sprecher von Hörbüchern und Buchau- hochrollte, bevor dieser wieder herun­ Fotos: Gerald von Foris von Gerald Fotos: tor einen Namen gemacht. Er spielte die Hauptrolle in der ZDF-Reihe Der terkullerte, sei ein glücklicher Mensch Kriminalist und wirkte an Hollywood-Blockbustern mit. So hatte er eine gewesen. Oder wie es nach einem Zitat // Rolle im Tarantino-Klassiker oder an der Seite von Samuel Beckett heißt: Scheitern, von Tom Cruise in Operation Walküre. 2001 spielte er im Psycho­ scheitern, besser scheitern – im Grunde thriller mit. Nach seinem Roman Der Apfelbaum ist es doch das, was wir alle im Leben erschien jetzt Ada (Ullstein). versuchen. // Bremm Ulrike Text:

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