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2.7.Intermedialität_Hess-Lüttich 11.10.2007 21:27 Uhr Seite 261

Ernest W.B. Hess-Lüttich

Tristan: Sprachliche Komposition und musikalische Bedeutung.

Vier Variationen des Themas in Oper/Theater, Novelle, Film und Fernsehen

1. Vorbemerkung

Die folgende kleine Fallstudie schließt an zeichentheoretische Überlegungen zur sys- tematischen Beschreibung intermedialer Relationen von Codes in ästhetischen Texten an, die zur Einführung in einen der Intermedialitätsproblematik gewidmeten Band von Kodikas/Code – An International Journal of Semiotics1 entfaltet wurden und die hier aus Raumgründen nicht zusammengefasst werden können.2 Komplementär zu den dort auf der Grundlage der Peirce‘schen Semiotik entwickelten Positionen soll es hier gerade nicht um theoretische Probleme des Text-Transfers von (Kunst-)Werken eines Mediums in solche eines anderen gehen, sondern – diese Positionen voraus- setzend – um die konkrete Beschreibung von intertextuellen und intermedialen Bezie- hungen zwischen einer Oper (Richard Wagners UND ISOLDE von 1859), einer No- velle (Thomas Manns Tristan von 1901/1903), einer Verfilmung dieser Novelle für das Zweite Deutsche Fernsehen durch Herbert Ballmann und Wolfgang Patzschke von 1975 und einer aktuellen Inszenierung der Wagnerschen Oper für das Berner Theater (2000).

1 Hess-Lüttich, Ernest W.B./Wenz, Karin (Hrsg.): Stile des Intermedialen. Zur Semiotik des Übergangs (Special Issue of Kodikas/Code. An International Journal of Semiotics, Jg. 29, H. 1-3), Tübingen 2006. 2 Vgl. Hess-Lüttich, Ernest W.B.: „Sprache, Literatur und Musik. Intermediale Relationen“, in: ders./Wenz: Stile, S. 17-46. 2.7.Intermedialität_Hess-Lüttich 11.10.2007 21:27 Uhr Seite 262

TRISTAN: SPRACHLICHE KOMPOSITION UND MUSIKALISCHE BEDEUTUNG

Angesichts der Fülle von Arbeiten, die heute zu den Verfilmungen von Werken Thomas Manns vorliegen, überrascht die relative Zurückhaltung gegenüber dem Fern- sehfilm TRISTAN, der bislang, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum zum Gegen- stand genauerer Analyse im Hinblick auf sein Verhältnis zu der frühen Novelle gemacht wurde. Für das große Thomas-Mann-Handbuch hat Rolf G. Renner die einschlägige Literatur verdienstvoll aufgearbeitet3, aber auch in dessen dritter Auflage wird Tristan nur mit einem Nebensatz erwähnt: Gegenüber Rolf Thieles psychologisierenden Ver- filmungen von Tonio Kröger und von Wälsungenblut entferne sich die Fernsehbear- beitung des Tristan von Herbert Ballmann „noch weiter von der Textvorlage.“4 Mehr nicht. Gerade im Blick auf das hier leitende Interesse am Verhältnis von Sprache, Musik und Bild scheint es mir jedoch lohnend, einen Text noch einmal zur Hand zu nehmen, dessen Vorlagen für den frühen von so entscheidender Be- deutung sein sollten, dass er sich dafür (Mitte der 1920er-Jahre) nicht nur selbst als Drehbuchautor zu versuchen bereit fand (auch wenn das Projekt, mit seinem Bruder Viktor das Tristan-Epos zu verfilmen, dann aus technischen, politischen und finanziel- len Gründen scheiterte5), sondern, wie sattsam bekannt und im Detail untersucht6, ein Leben und Lebenswerk lang an dem des Komponisten abgearbeitet hat, wie er wiederholt und gerne einbekennt: man habe ja schon gelegentlich auf den Einfluss hin- gewiesen, „den die Kunst Richard Wagners auf meine Produktion ausgeübt hat. Ich verleugne diesen Einfluss nicht“.7 Und: „Die Passion für Wagners zaubervolles Werk begleitet [...] nicht ohne Mißtrauen, ich gebe es zu“.8 In der Tat war Thomas Manns Haltung zu Wagners bekanntlich durchaus zwiespältig: während er an seiner Novelle arbeitete, habe er zwar „keine Aufführung des ‚Tristan‘ im Münchner Hoftheater“ versäumt, und schon im „Versuch über das Theater“ schreibt er 1908 über das „ungeheure und fragwürdige Werk, das zu erleben und zu erkennen [er] nicht satt [werden könne]“.9 Bewunderung und Ab-

3 Renner, Rolf G.: „Verfilmungen der Werke von Thomas Mann“, in: Koopmann, Helmut (Hrsg.): Thomas- Mann-Handbuch, Frankfurt a.M./Stuttgart 32005, S. 799-822. 4 Renner: Verfilmungen, S. 800. 5 Vgl. Wessendorf, Stephan: Thomas Mann verfilmt. ‚Der kleine Herr Friedemann‘, ‚Tristan‘ und ‚Mario und der Zauberer‘ im medialen Wechsel, Frankfurt a.M. u.a. 1998, S. 8 u. 126; Lehnert, Herbert: „‚Tristan‘, ‚Tonio Kröger‘ und ‚Der Tod in Venedig‘. Ein Strukturvergleich“, in: Orbis Litterarum, Jg. 24, H. 1, 1969, S. 271-304. 6 Stellvertretend sei hier nur verwiesen auf den konzentrierten Beitrag von Walter Windisch-Laube über „Thomas Mann und die Musik“ zu dem erwähnten Thomas-Mann-Handbuch (Koopmann: Thomas-Mann- Handbuch, S. 327-342) oder auf Hermann Fähnrichs Studie über Thomas Manns episches Musizieren im Sinne Richard Wagners. Parodie und Konkurrenz, Frankfurt a.M. 1986; vgl. auch Bolduc, Stevie Anne: „A Study of Intertextuality. Thomas Mann‘s Tristan and Richard ‘s Tristan und Isolde“, in: Rocky Moun- tain Review of Literature and Language, Jg. 37, H. 1-2, 1983, S. 82-90. 7 Mann, Thomas: Rede und Antwort. Über eigene Werke, Huldigungen und Kränze: über Freunde, Wegge- fährten und Zeitgenossen, (Gesammelte Werke in Einzelbänden, Bd. 15), hrsg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1984, S. 75. 8 Vaget, Hans R. (Hrsg.): Im Schatten Wagners. Thomas Mann über . Texte und Zeugnisse, Frankfurt a.M. 1999, S. 94. 9 Die beiden Textstellen aus Mann, Thomas: Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Frankfurt a.M. 1960, Bd. 10, S. 895 und ebd., S. 37, verzeichnet Ulrich Dittmann in seinem Materialienband Thomas Mann. Tristan. Erläuterungen und Dokumente [1971], Stuttgart 1999, S. 69.

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