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Maurer, Rainer; Sander, Birgit; Schmidt, Klaus-Dieter; Schrader, Jörg-Volker; Neu, Axel Dietmar

Working Paper — Digitized Version Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland: Vierter Bericht

Kieler Diskussionsbeiträge, No. 178

Provided in Cooperation with: Kiel Institute for the World Economy (IfW)

Suggested Citation: Maurer, Rainer; Sander, Birgit; Schmidt, Klaus-Dieter; Schrader, Jörg-Volker; Neu, Axel Dietmar (1991) : Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland: Vierter Bericht, Kieler Diskussionsbeiträge, No. 178, ISBN 3894560177, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel

This Version is available at: http://hdl.handle.net/10419/478

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KIEL DISCUSSION PAPERS

Deutsches Institut für Institut für Weltwirtschaft Wirtschaftsforschung, an der Universität Kiel

Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland

Vierter Bericht

INSTITUT FÜR WELTWIRTSCHAFT KIEL DEZEMBER 1 99 1

ISSN 0455-0420 Inhaltsverzeichnis

I. Gesamtwirtschaftliche Lage 3 II. Landwirtschaft 5 III. Energiewirtschaft 7 IV. Industrie 17 1. Aktuelle Situation 17 2. Chancen für Privatisierung und Sanierung 19 3. Zur Entflechtung der ostdeutschen Industrie 23 4. Zur Entwicklung des ostdeutschen Werkzeugmaschinenbaus 25 V. Bauwirtschaft 26 VI. Dienstleistungen 30 1. Handel 31 2. Verkehr und Nachrichtenübermittlung 33 3. Handwerk 37 4. Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen 39 5. Sonstige Dienstleistungen 42 6. Öffentliche Verwaltung 47 VII. Finanzen der Länder und Gemeinden 48 VIII. Wirtschaftsförderung 50 IX. Anpassungsprozesse in Ostdeutschland: Eine Zwischenbilanz 53 X. Spezialthemen 55 1. Zum Stand der Privatisierung der ehemaligen Dienstleistungskombinate und -betriebe der Örtlichen Versorgungswirtschaft 55 2. Die Bedeutung von Einkaufs- und Verbundgruppen für mittelständische Unter- nehmen und Organisationen im Einzelhandel 57 3. Zur Entwicklung des Franchising 60

Dieser Bericht wurde Anfang Dezember 1991 abgeschlossen. Vom Institut für Weltwirtschaft haben Rainer Maurer, Axel D. Neu, Birgit Sander, Klaus-Dieter Schmidt und Jörg-Volker Schrader mitgewirkt. Der Beitrag wird auch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, in den DIW-Wochen- berichten, Nr. 51/52,1991, veröffentlicht. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland / Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin; Institut für Weltwirtschaft, Kiel.-Kiel: Inst, für Weltwirtschaft. NE: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Bericht 4 (1991) (Kieler Diskussionsbeiträge; 178) ISBN 3-89456-017-7 NE: Klodt, Henning:;GT

© Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel Postfach 43 09, D-2300 Kiel 1 Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung ist es auch nicht gestattet, den Band oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Printed in Germany ISSN 0455 - 0420 Der Bundesminister ßr Wirtschaft hat mit Schreiben vom 19. Oktober 1990 dem Deutschen Institut ßr Wirtschaftsforschung, Berlin, und dem Institut ßr Weltwirtschaft, Kiel, einen Forschungsauftrag mit dem Titel "Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland " erteilt. Dabei sollen in vierteljährlicher Folge kurze Berichte geliefert werden. Die Institute legen hiermit ihren vierten Bericht vor. * Nach wie vor ist die Datenlage unbefriedigend. Das statistische Berichtssystem in Ostdeutschland befindet sich noch in der Umstellungsphase. Die Institute müssen deshalb versuchen, die Lücken auf unkonventionelle Weise zu schließen. Das geschieht vor allem durch mündliche und schriftliche Befra- gungen von ost- und westdeutschen Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, staatlichen Stellen und gesell- schaftlichen Organisationen sowie durch Auswertung der Fach- und Tagespresse. Der Bericht konzentriert sich auf eine Situationsanalyse der ostdeutschen Wirtschaft in folgenden Bereichen: Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Industrie, Baugewerbe, Dienstleistungsunternehmen und öffentlicher Sektor. Darüber hinaus werden verschiedene Spezialthemen behandelt. Bei der Arbeit an dem Bericht haben das Deutsche Institut ßr Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, und das Institut ßr Weltwirtschaft (IfW), Kiel, mit anderen Instituten zusammengearbeitet, die in das Forschungsprojekt eingebunden sind. Es sind dies: Die Bauakademie Berlin, die Forschungsstelle ßr den Handel (FfH), Berlin, das Institut ßr Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), Berlin, und das Institut ßr Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe.

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Die gesamtwirtschaftliche Produktion in Ostdeutschland hat im Sommer dieses Jahres ihren Tiefpunkt erreicht. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im dritten Quartal ebenso hoch wie im Vorquartal gewesen sein, obwohl Saisonfaktoren wie die Massierung der Ferien im dritten Quartal eine Abnahme der Produktion hätten erwarten lassen. Eine durchgreifende Belebung ist aber nicht in Sicht. Die ostdeutsche Wirtschaft befindet sich in einer Übergangsphase, in der das Neue sich noch nicht Bahn gebrochen hat und vieles Alte noch von vielfältigen staatlichen Hilfen gestützt wird. Mehr als ein Jahr nach Beginn der Einführung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen in Ost- deutschland ist der Prozeß der "schöpferischen Zerstörung" voll im Gange. Die Auflösung der alten Strukturen hat bisher vorwiegend die Produktion im Westen begünstigt. Die Kraft reicht für den Aufbau in Ostdeutschland noch nicht aus. Zu wenige Menschen sehen offenbar die Chance, mit Eigeninitiative eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen; zu wenige der bestehenden Unternehmen sind in der Lage, sich gegen die erdrückende Konkurrenz aus dem Westen zu behaupten — die Einsparung von Arbeitskräften alleine reicht nicht aus; zu wenige westliche Unternehmen errichten neue Produktionsstätten. Daß der Anpassungsprozeß in Ostdeutschland nur schleppend vorankommt, zeigt sich besonders deutlich an der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Nach einem ersten Schub an Freisetzungen im Gefolge des Übergangs zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion blieb die Lage am Arbeitsmarkt zunächst — sieht man von Verschiebungen zwischen Kurzarbeit und offener Arbeitslosigkeit ab — weitgehend unverändert. Kurzarbeit war über viele Monate hinweg das Mittel, um Anpassungsnotwendigkeiten zu verdecken. Erst das Auslaufen institutioneller Regelungen, wie das Kündigungsschutzabkommen oder die großzügige Kurzarbeiterregelung, führte zu sichtbaren Beschäftigungsreaktionen bei den Unterneh- men. Die meisten Unternehmen — insbesondere solche im Treuhandbesitz—verhalten sich aber passiv. Ein gewichtige Rolle spielt die Lohnentwicklung. Die mit staatlicher Unterstützung stabilisierte und im nächsten Jahr wohl leicht steigende Produktion würde einem Teil der Unternehmen Gewinne bescheren oder Preissenkungsspielräume eröffnen, wenn die Lohnzuwächse hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleiben würden. Weil nicht sofort neue Arbeitskräfte eingestellt und die Löhne kaum steigen würden, führten die kräftigen Produktivitätssteigerungen zur Verbesserung der Ertragslage der Unter-

Die ersten drei Berichte wurden vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin, in den Wochenberichten 12/91, 24/91 und 39^0/91, Berlin 1991, und vom Institut für Weltwirtschaft, Kiel, in den Kieler Diskussions- beiträgen, Nr. 168,169 und 176 veröffentlicht. Tabelle 1 — Bruttowertschöpfunga der Wirtschaftsbereiche in Ostdeutschland (1. Quartal 1990 bis 3. Quartal 1991, Mrd. DM zu Preisen vom 2. Hj. 1990)

1990 1991 I II III IV I II III Land- und Forstwirtschaft 1,7 1,2 2,8 1,0 1.1 1,3 2,4 Verarbeitendes Gewerbe 39,0 37,0 20,0 17,2 15,7 15,8 15,0 Industrie 34,8 31,6 15,0 12,8 11,2 10,4 9,5 Handwerk 4,2 5,3 5,0 4,4 4,5 5,3 5,5 Baugewerbe 4,2 5,4 4,8 • 5,6 3,8 5,1 6,1 Bauhauptgewerbe 3,0 4,1 3,6 4,1 2,5 3,4 4,0 Ausbaugewerbe 1,2 1,4 1,2 1,5 1,3 1,7 2,1 Handel 3,5 4,2 3,3 3,6 2,2 2,2 2,2 Verkehr 5,0 4,8 4,4 4,7 4,1 4,1 4,2 Dienstleistungen 8,1 8,3 9,0 9,4 10,5 10,1 9,0 Staat (einschließlich ABM) 9,8 9,9 10,0 9,3 8,7 8,4 8,0 Private Organisationen ohne 1,5 1,3 1,1 1,1 1.3 1,2 1,0 Erwerbscharakter +/- Bereinigungen -2,2 -2,8 -1,4 -1,2 -1,7 -1,6 -1,4 Bruttoi nlandsprodukt 70,5 69,3 54,0 50,5 45,7 46,5 46,4 aNicht saisonbereinigt. — ^Einschließlich Bergbau, Energie- und Wasserversorgung Quelle: Statistisches Bundesamt; DIW. nehmen, sobald der Tiefpunkt der Produktion durchschritten wäre. Die eigentliche, die offensive Phase der Umstrukturierung könnte dann beginnen. Viele Unternehmen würden dann nämlich ihre Gewinne nicht mehr in die alten Produktionsbereiche investieren, sondern neue Produktlinien und Märkte suchen. Es entstünde jetzt eine breite Welle der Investitionen, die den Aufschwung verstärken und ihn über induzierte Nachfrageeffekte infolge kräftiger Einkommenssteigerungen schließlich tragen würde. In Ostdeutschland überkompensieren aber selbst in dieser für den Gesamtprozeß so entscheidenden Phase, die jetzt beginnt, die Lohnsteigerungen die Kostenentlastung infolge der freisetzungsbedingten Produktivitätssprünge. Eine unternehmerische Anpassung bei Produktqualität und Kosten kommt in ganzer Breite nicht in Gang. Zu wenige Unternehmen schaffen — und dann zumeist nur mit westlicher Hilfe — die Lohnhürde. Das erklärt die unverändert große Abhängigkeit vieler Unternehmen von staatlichen Hilfen und den Stillstand, der den Prozeß der marktwirtschaftlichen Umgestaltung in Ost- deutschland derzeit in vielen Bereichen charakterisiert. In dieser Situation können staatliche Transfers das Einkommen auch derjenigen sichern, die keine Arbeit haben. Ein Prozeß, der diese Einkommen zu Markteinkommen macht, ist aber nicht in Sicht. Bisher ist die Anpassung an die Marktbedingungen in den einzelnen Sektoren nicht gleichförmig verlaufen. Die Unterschiede sind teilweise auf die verschiedenartigen Ausgangsbedingungen zurückzu- führen oder auf unterschiedliche Reaktionen auf den Einsatz der wirtschaftspolitischen Instrumente. In der Landwirtschaft sind Produktion und Beschäftigung stark zurückgegangen, ein Ende des Schrumpfungsprozesses ist noch nicht in Sicht (Tabelle 1). Die landwirtschaftlichen Betriebe haben vielfältige Anpassungsprobleme — Überbeschäftigung, Altlasten, niedrige Erzeugerpreise; hinzu kom- men politische Entscheidungen, die ihnen schwer zu schaffen machen. Im industriellen Bereich ist das extrem niedrige Niveau der Produktion zuletzt nicht weiter gesunken, und die Auftragseingänge signali- sieren zumindest keinen weiteren Rückgang. Im Handwerk hat sich der Aufwärtstrend weiter fortgesetzt. Auch in der Bauwirtschaft hat sich die positive Entwicklung stabilisiert, wenngleich dies in den Produk- tionszahlen noch nicht entsprechend zum Ausdruck kommt. Der Handel, der bis in den Sommer 1991 hinein starke Einbußen hinnehmen mußte, erholt sich dagegen nur allmählich. Im Verkehrssektor scheint der Rückgang gebremst. Bei den übrigen Dienstleistungen war die Entwicklung sehr heterogen. Expan- diert haben vor allem Banken, Versicherungen und Freie Berufe. Die registrierte Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu, auch wenn das tatsächliche Ausmaß durch die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen verdeckt wird. Die Zahl der Arbeitslosen ist im dritten Quartal 1991 um 200 000 gestiegen, Ende Oktober 1991 waren 1,05 Mill. Personen arbeitslos. Die Zahl der Kurzarbeiter ist um eine halbe Million gesunken, der Rückgang hat sich bis zuletzt fortgesetzt. Viele Arbeitslose sind durch Arbeitsbeschaffungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen aufgefangen worden. Zur Zeit sind fast 350 000 Personen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt und 400 000 Personen nehmen an einer Qualifizierungsmaßnahme teil. Insbesondere im industriellen Sektor wird es in den kommenden Monaten noch zu erheblichen Freisetzungen kommen.

II. Landwirtschaft

Für die Umstrukturierung der Landwirtschaft in Ostdeutschland markiert der 31. Dezember 1991 ein wichtiges Datum. Bis zu diesem Termin müssen alle ehemals etwa 4 500 landwirtschaftlichen Produk- tionsgenossenschaften (LPGen), die bis 1989:84 vH der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen beschäftig- ten, 82 vH der Fläche bewirtschafteten und rund 73 vH der Tierbestände hielten, aufgelöst bzw. in andere Unternehmensformen umgewandelt sein. Damit verbunden ist die Privatisierung des bisher in genossen- schaftlichem Besitz befindlichen Betriebsvermögens. Dieser Prozeß war zur Mitte des Jahres 1991 be- reits weit fortgeschritten.1 Zu dieser Zeit bestanden noch etwa 1600 LPGen. Der Rest war schon in andere Unternehmensformen umgewandelt, zuvor aufgelöst worden oder er befand sich in Liquidation. Von den noch bestehenden Betrieben, die fast die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche bewirtschafteten, dürften sich nach Einschätzung der ostdeutschen Bauernverbände bis zum Jahresende 500 bis 800 Betriebe ohne Rechtsnachfolger auflösen oder in Konkurs gehen. Unter den LPG-Nachfolgegesellschaften dominieren die eingetragenen Genossenschaften. Die Gesamtzahl der LPG-Nachfolgeunternehmen (ohne in Liqui- dation befindliche LPGen) wurde zur Jahresmitte auf mehr als 12 000 geschätzt. Davon waren reichlich 9 000 Einzelunternehmen, 160 Personengesellschaften, 550 Kapitalgesellschaften und 750 eingetragene Genossenschaften, die jeweils 11,6, 2,6, 11,8 bzw. 15,5 vH der Fläche bewirtschafteten. Bei der großen Zahl von Einzelunternehmen handelt es sich in knapp der Hälfte der Fälle um Nebenerwerbsbetriebe mit geringer Flächenausstattung. Die durchschnittliche Größe der Haupterwerbsbetriebe bewegt sich zwi- schen 170 ha in Mecklenburg-Vorpommern und 55 ha in Thüringen. Dagegen bewirtschaften Personen- und Kapitalgesellschaften durchschnittlich 970 bzw. 1 300 ha landwirtschaftlicher Fläche, wobei die Streubreite sehr groß ist. Die Größe der LPGen hat sich inzwischen u.a. durch Zusammenlegung von tierischer und pflanzlicher Produktion und durch das Ausscheiden von Alteigentümern auf durchschnitt- lich etwa 1 900 ha reduziert. Parallel zur Umstrukturierung im Unternehmensbereich hat die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft seit dem 30.9.1989 von 850 000 auf etwa 450 000 im September 1991 abgenommen. Die Zahl vollbeschäftigter Personen in landwirtschaftlichen Unternehmen wird derzeit auf etwa 300 000 geschätzt. Aufgrund der günstigen Betriebsgrößenstruktur und zunehmend moderner Technik wird ein weiterer Rückgang auf etwa 200 000 erwartet, was etwa 3 Arbeitskräften je 100 ha entsprechen würde. Durch eine anhaltend hohe, staatlich prämierte Flächenstillegung würde sich der Arbeitskräftebedarf weiter vermindern. Von den etwa 400 000 ausgeschiedenen Erwerbstätigen ist nur ein Viertel in andere Berufe abgewandert. Ein weiteres Viertel wurde arbeitslos, etwa 40 000 sind durch Arbeitsbeschaffungs- maßnahmen aufgefangen worden, und der Rest schied — z.T. vorzeitig mit Hilfe von Vorruhestandsre- gelung oder Altersübergangsgeld — aus dem Erwerbsleben aus. Die Produktion insgesamt wird 1991 gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgehen. Allerdings verlief die Entwicklung von pflanzlicher und tierischer Produktion sehr unterschiedlich. So blieb die Erzeugung bei den wichtigsten Feldfrüchten insgesamt annähernd unverändert. Das gilt zumindest für Getreide, wo l In Ermangelung einer aktuellen, flächendeckenden Gesamterhebung wird hier auf eine Auswertung des Land- wirtschaftsministeriums (Gewährung von Anpassungshilfen) vom Frühjahr 1991 auf Erhebungen der Bauernver- bände in den neuen Bundesländern (Mitte 1991 sowie Oktober 1991) und Untersuchungen von Jannermann zurückgegriffen (Jannennann, Gerhard, Die Landwirtschaft im strukturellen Anpassungsprozeß auf dem Terri- torium der ehemaligen DDR. Referat auf der 32. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwis- senschaften des Landbaues, Göttingen, Oktober 1991).

3 Vgl. Agra-Europe Nr. 45/91 (04.11.1991), Länderberichte, S. 54. Jannermann (1991). ein Flächenrückgang von etwa 14 vH durch den deutlichen Ertragsanstieg auf 55 Dezitonnen (dt)/ha (alte Länder 62 dt/ha) ausgeglichen wurde; bei Zuckerrüben führte die Einschränkung der Anbaufläche um 18 vH zu einem Rückgang der Produktion von nur etwa 8 vH. Der starken Abnahme der Kartoffelerzeu- gung stand eine kräftige Ausweitung der Rapsproduktion gegenüber. Die Stillegung von 600 000 ha Ackerfläche mittels staatlicher Prämien hat per Saldo zu einer Abnahme der Anbaufläche vor allem bei Getreide (-14 vH) und Futterpflanzen (-25 vH) geführt. Letzteres reflektiert den kräftigen Abbau der Rinderbestände um etwa 30 vH (Mai 1991 gegenüber Oktober 1989) und der Schweinebestände um annähernd 60 vH (August 1991 gegenüber Oktober 1989). Die Milcherzeugung (Molkereianlieferung) in den ersten drei Quartalen 1991 nahm gegenüber dem gleichen Zeitraum 1989 um 27 vH, die Rinder- und Schweineschlachtungen (gemessen am Schlachtgewicht) um 53 bzw. 52 vH ab. Die Erzeugerpreise für Schweinefleisch und Rindfleisch sind infolgedessen im Verlauf von 1991 kräftig gestiegen. Die Getrei- depreise haben sich kaum verändert, haben sich aber inzwischen dem gesunkenen Niveau in Westdeutsch- land angenähert. Deutlich, um etwa 0,10 DM/kg, niedriger als in Westdeutschland liegen noch die Milchpreise. Dies ist eine Folge der noch nicht abgeschlossenen Umstrukturierung und Modernisierung der ostdeutschen Molkereien und führt dazu, daß knapp 10 vH der erzeugten Mich in westdeutschen Molkereien verarbeitet wird. Die Produktionsentwicklung ist nur zum Teil eine Folge der veränderten Preisstrukturen, Marktgege- benheiten und strukturellen Umwälzungen. Ohne starke Anreize und Zwänge zum Abbau der Produk- tionskapazitäten, vor allem Stillegungsprämien und Produktionsquoten, wäre die pflanzliche Erzeugung wohl schon 1991 angestiegen, und der Rückgang in der tierischen Produktion wäre weniger gravierend ausgefallen. Zur Jahreswende 1991/92 dürften sich mit der Zwangsauflösung der noch bestehenden LPGen und der damit in der Regel verbundenen Freisetzung von weiteren Arbeitskräften, aber auch von Flächen, die Anpassungsprobleme noch einmal verschärfen. Als wichtige Ursache der bisher nicht vollzogenen Umwandlung in eine andere Unternehmensform sind Schwierigkeiten bei der Vermögens- aufteilung anzusehen, die u.a. aus divergierenden Interessen der Mitglieder bezüglich der Bewertung der Aktiva nach dem DM-Bilanzgesetz resultieren. Da ein geplantes Ausscheiden von Mitgliedern mit entsprechenden Abfindungsansprüchen verbunden ist, dürften diese Mitglieder ein starkes Interesse an der Beibehaltung der meist überhöhten Ansätze, vor allem für Stallgebäude, haben. Aus der Sicht jener, die den Betrieb fortführen wollen, bedeutet dies einen starken Kapitalverlust. Verschärft wird dieser Konflikt dadurch, daß die nach der Novellierung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes (LanpG) im Juni 1991 jetzt gültige Aufteilung der Vermögensanteile von den Mitgliedern zuvor schon anders beschlossen worden war. Bemühungen von Seiten einzelner Länder oder Interessenverbände, die Ausschlußfrist für die Um- wandlung von LPGen über den 31.12.1991 hinaus zu verlängern, werden u.a. damit begründet,2 daß andernfalls erhaltensfähige Arbeitsplätze und nur durch Fortbestehen der jetzigen Betriebe weiter nutz- bare Stallkapazitäten verloren gingen. Dem ist entgegenzuhalten, daß damit die Privatisierung des gemeinschaftlichen Vermögens und eine effiziente Nutzung der Ressourcen weiter hinausgezögert würde. Dies gilt in ähnlicher Weise für das hiermit häufig verknüpfte Problem der hohen Altschulden, das durch die von der Bundesregierung zur Teilentschuldung bereitgestellten 1,4 Mrd. DM nur wenig gemildert wurde. Die zusätzlich geschaffene Regelung (Besserungsscheinlösung) zur bilanziellen Entlastung, die auf eine Stundung der Altschulden hinausläuft, dürfte das Grundproblem auch der schon umgegründeten Unternehmen, den akuten Kapitalmangel, nicht lösen, da hierdurch die langfristige Kreditwürdigkeit der Unternehmen kaum erhöht wird. Auch stellt sie einen Anreiz dar, solche Rechtsformen bei der Umgrün- dung zu wählen, bei denen die Ausweisung von Gewinnen, die die Rückzahlungsforderung der Genos- l Zu einer ausführlichen Analyse der eingesetzten Instrumente und ihrer wirtschaftspolitischen Beurteilung vgl. Jörg-Volker Schrader et al., Anpassungsprozesse in der ostdeutschen Landwirtschaft; Analyse und Bewertung. Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 171/172. Eine weitere Begründung für die Forderung nach Fristverlängerung lag in der objektiven Schwierigkeit von Behörden und Prüfungseinrichtungen, die erforderlichen Unterlagen fristgerecht für die Registergerichte bereit- zustellen. Diesem Problem ist — auf Initiative des Landes Brandenburg — inzwischen durch Ergänzung des § 69 Abs. 3 LanpG legislativ begegnet worden. senschaftsbank auslösen würde, weitgehend vermeidbar ist.1 Im gesamtwirtschaftlichen, aber letztlich auch im Interesse der direkt beteiligten Betriebsmitglieder vorzuziehen wäre wohl ein schneller Schluß- strich in Form einer Liquidation, dem ein Neuanfang unter frei gewählten Bedingungen folgen könnte. Die Zahl der Arbeitsplätze sollte von der Ressourcenausstattung und der sich entfaltenden unterneh- merischen Initiative bestimmt werden und nicht durch den subventionierten Erhalt des einen oder anderen existierenden Unternehmens. Dazu müßten allerdings rasch klare Rahmendaten gesetzt werden. Hierzu zählt ganz vorrangig die schnelle Privatisierung der noch im Besitz der Treuhandanstalt befindlichen Flächen. Betriebe, die diese Flächen (ca 1,4 Mill. ha) wie bisher nur kurzfristig pachten können, werden an langfristigen Investitionsentscheidungen gehindert. Auf der anderen Seite dürfte das Kaufinteresse an Flächen, die langfristig verpachtet sind, deutlich vermindert sein. Der Beschluß, die Privatisierung einem Bankenkonsortium unter Mitwirkung von Siedlungsgesellschaften zu übertragen und zeitlich auf 10 bis 12 Jahre zu strecken, scheint deshalb kaum sachgerecht. Auch ist nicht auszuschließen, daß für Banken dadurch eine Interessenkollision entsteht, daß eine schnelle Privatisierung auch zu einer Senkung der Preise für Boden in Westdeutschland führen würde, der im Agrarbereich für viele Kreditgeber die wichtigste Sicherheit darstellt. Aber auch nach einem Neubeginn steht einer nach gesamtwirtschaftlichen Kriterien effizienten Landwirtschaft eine große Zahl von agrarpolitischen Maßnahmen entgegen. Dazu zählt generell das hohe Subventionsniveau im Agrarsektor. Wegen des ohnehin schon hohen Preisschutzes sollten Hilfen zur Überwindung des Kapitalmangels einfach gestaltet und in der Höhe eng begrenzt sein und nicht zwischen Betriebsformen und -großen und Investitionszwecken diskriminieren. Die nun auch für 1992 vorgesehe- nen Anpassungshilfen (0,69 Mill. DM), die vor allem die Folgen der Preisdivergenz zwischen Ost und West mildern sollten, scheinen im Lichte der Preisentwicklung nicht länger vertretbar. Auf der anderen Seite wird die Neugründung von Betrieben in Ostdeutschland durch starke Unsicherheit gebremst: —Die im Rahmen der EG-Agrarreform derzeit vorgesehenen generellen Preissenkungen, verbunden mit degressiven Ausgleichszahlungen, diskriminieren Großbetriebe. Grundsätzlich ist eine perma- nente Kompensation von Preissenkung durch flächengebundene Ausgleichszahlung ökonomisch und verteilungspolitisch nur schwer zu rechtfertigen. Insbesondere sollte schnell geklärt werden, daß Neugründern keine Nachteile dadurch entstehen, daß historische Referenzgrößen (Produktions- mengen, Bewirtschaftungsflächen) zu ihrem Nachteil ausgelegt werden. —Entsprechende Unsicherheit besteht bezüglich der Neugestaltung des sozio-strukturellen Einkom- mensausgleichs, der bisher nur an westdeutsche Betriebe gezahlt wurde. —Unter regionalen Gesichtspunkten besteht die Gefahr, daß die Landwirtschaft in Ostdeutschland durch hohe länderspezifische Sonderleistungen an die Landwirtschaft in einigen westdeutschen Regionen benachteiligt wird. Die wirtschaftliche Entwicklung des ländlichen Raums in Ostdeutsch- land dürfte zusätzlich dadurch negativ beeinflußt werden, daß infolge der für 1992 noch höheren Prämien für die Flächenstillegung, die Produktion und die Zahl der landwirtschaftlichen Ar- beitsplätze weiter abnimmt. Diese Maßnahme hat außerdem zur Folge, daß Boden- und Pachtpreise tendenziell angehoben werden. Dies erschwert wegen des zusätzlichen Kapitalbedarfs den Neuan- fang.

III. Energiewirtschaft

Der Übergang zur Marktwirtschaft hat auch für die ostdeutsche Energiewirtschaft eine veränderte Situation geschaffen. Allerdings verlaufen die Anpassungsprozesse hier anders als in den meisten anderen Sektoren: Die leitungsgebundene ostdeutsche Energiewirtschaft wurde nämlich nicht in den Wettbewerb l Vgl. Folkhard Isermeyer, Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern: Zwischenbilanz nach einem Jahr deutscher Einheit, Agrarwirtschaft, Jg. 40, H. 10 (Oktober 1991), S. 294-305. Ein gesonderter Schwerpunktbericht zu den Anpassungsprozessen der Energiewirtschaft in den Beitrittsländern wird derzeit vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel vorbereitet. 8 entlassen; sie wurde den gleichen wettbewerbsbeschränkenden Regelungen unterworfen, die für die westdeutsche leitungsgebundene Energiewirtschaft gelten. Eine große Chance für die Schaffung wettbe- werbsfreundlicher Strukturen in beiden Teilen Deutschlands wurde vertan. Diese werden aber im Zuge der Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes auch für den Energiesektor angemahnt. In der ostdeut- schen Energiewirtschaft hatten sich während der sozialistischen Planwirtschaft im Vergleich zu West- deutschland vor allem folgende Unterschiede herausgebildet:1 —Im Zuge einer offen propagierten Autarkiepolitik wurde ein höchstmöglicher Einsatz von Braun- kohle angestrebt, jenes heimischen Energieträgers, der als einziger reichlich zur Verfügung stand. Die danach verbliebenen Versorgungslücken wurden fast ausschließlich durch Energieeinfuhren aus den übrigen RGW-Ländern abgedeckt. —Die Preisgestaltung im Energiesektor orientierte sich nicht immer an den Kosten zur Bereitstellung der Energieträger, sondern an anderen Zielen, so bei der Lieferung an die privaten Haushalte an sozialpolitischen Zielen. Der Energiesektor wurde pro Jahr mit etwa 20 Mrd. Mark subventioniert; davon entfielen gut 8 Mrd. Mark auf Energielieferungen an private Haushalte, bei denen die Energiepreise im Durchschnitt nur ein Viertel der dafür aufgewendeten Kosten deckten. Mit der Schaffung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 wurden auch die bislang administrierten Preise zum größten Teil freigegeben; dies galt allerdings nicht für die Energie- preise, deren niedriges Niveau zunächst bis zum 31.12.1990 festgeschrieben wurde. Die Preise von Heizenergien für die privaten Haushalte wurden sogar bis zum 30. April 1991 festgehalten; die Fernwärmepreise für Mieter wurden zum 1. Oktober 1991 freigegeben. Seitdem erfolgt die Preisbildung im Energiesektor der Beitrittsländer nach den gleichen Regeln und Prinzipien wie im übrigen Bundesgebiet. Allerdings blieben die Beitrittsländer von der Erhebung des sog. Kohlepfennigs vorerst noch befreit. Die forcierte "Kohlevorrangpolitik" fand darin ihren Niederschlag, daß im Jahr 1989 fast 70 vH des Primärenergieverbrauchs im Beitrittsgebiet und fast 83 vH des Energieeinsatzes zur Stromerzeugung aus heimischer Braunkohle stammten (Schaubild 1). Die starke Konzentration auf Braunkohle sowie die völlig unzureichenden Anstrengungen bei der Rückhaltung von Luftschadstoffen haben dazu geführt, daß das Beitrittsgebiet (noch) eines der in Europa am höchsten mit Umweltgiften (insbesondere mit Schwefeldio- xid und Staubemissionen) belasteten Gebiete ist. Mit dem kräftig gesunkenen Energieverbrauch sind inzwischen aber auch die Emissionen schon deutlich zurückgegangen. Bei Neuanlagen gelten seit dem 1.7.1990 auch dort die hohen Sicherheits- und Umweltschutzbestimmungen, wie sie in den alten Ländern üblich sind. Bestehende alte Anlagen müssen bis zum 30.6.1996 an die Emissionsvorschriften der Bundesrepublik durch Nachrüstung herangeführt oder dann stillgelegt werden. Im Verlauf des ersten Halbjahres 1990 wurden wiederholt ernste Besorgnisse geäußert, daß es in der DDR im weiteren Verlauf, insbesondere in der kommenden Winterzeit, zu gravierenden Engpässen in der Energieversorgung kommen könnte, dies vorrangig auch im Bereich der Elektrizitätsversorgung. Dies wurde einerseits mit erwarteten Kürzungen der bisherigen Lieferungen an Erdgas und Erdöl seitens der Sowjetunion, andererseits mit äußerst geringen Kapazitätsreserven in der Elektrizitätsversorgung begrün- det. Der starke wirtschaftliche Niedergang im Beitrittsgebiet nach dem Vollzug der Wirtschaft- und Währungsunion (1. Juli 1990), der sich auch 1991 fortsetzte, hat diese Befürchtung jedoch gegenstandslos werden lassen. Der Primärenergieverbrauch im Beitrittsgebiet hat sich 1990 im Vergleich zum Vorjahr um gut 12 vH vermindert, der Elektrizitätsverbrauch ging mit 15 vH noch etwas stärker zurück. Der Rückgang des Energieverbrauchs hat sich im Verlauf des Jahres 1991 weiter fortgesetzt: Von Januar bis September 1991 hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum der Primärenergieverbrauch um 26 vH, der Elektrizitätsverbrauch aus dem Netz der öffentlichen Versorgung sogar um 28,7 vH vermindert. Dieser verstärkte Rückgang des Energieverbrauchs im Beitrittsgebiet ist vorrangig darauf zurückzuführen, daß im 1. Halbjahr 1991 eine Reihe von sehr energieintensiven Bereichen des Grundstoffgewerbes die Produktion eingestellt hat.

1 Zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. Axel D. Neu, Zum strukturellen Wandel des Energiesektors in der DDR. In: Die Weltwirtschaft 1990, Heft 1, S. 111-124. Schaubild 1 — Struktur des Energiesektors in den alten und neuen Bundesländern 1970,1980 und 1989/90

Bundesländer Bundesländer Bundesländer alt | I neu | alt neu alt neu j Endenergie- Endenergie- 1970 i I9601990 TOlaÖe9/90 I960 1990 70 i 80 l 89/90 1970 I 1980 I 1990 80 89/90 I 1970 verbrauch verbrauch des Verkehrs nach Energieträgern Primärenergiegewinnung im Inland nach Energieträgern Steinkohle Steinkohle Steinkohlenkoks Steinkohlenbriketts Braunkohlenbriketts

Steinkohle Kraftstoffe Motorenbenzin

Leichtes Heizöl

Schweres Heizöl

Naturgase Wasserkraft ^^ 5, „ 7 , , M,M,SKE Sonst. Energieträger u7 der Haushalte nach Energieträgern Primärenergieverbrauch nach Energieträgern nach Verbrauchergruppen Steinkohle Steinkohlenkoks Slelnkohlenbriketts Übriger Bergbau und Verarbeitendes Braunkohlenbriketts Gewerbe Übr feste Brennstoffe

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Braunkohle Übt Minrralölprodukte Naturgase Sonst feste Brennstoffe Übr. Mineralölprodukte Heizöl

Naturgase Sonstige Gase Elektrizität Wasserkraft Fernwärme Kernenergie 12 16 17 Hill I SKE 10

Elektrizitäts- und Fernwärmeversorgung Die Elektrizitätsversorgung in der DDR war dreistufig gegliedert und organisatorisch getrennt in die Bereiche Elektrizitätserzeugung, Fortleitung (auf Hochspannungsebene) sowie regionale Verteilung an die Endverbraucher (Schaubild 2). Diese Organisationsstruktur entsprach — allerdings nur formal — durchaus Vorstellungen von einer modernen Organisation der Elektrizitätswirtschaft, in die im Vergleich zu ihrer derzeitigen Struktur in Westeuropa Wettbewerbselemente eingebunden sind; solche Organisa- tionsmodelle werden derzeit in den Niederlanden und in Großbritannien erprobt. Die Privatisierung der Elektrizitätsversorgung in den neuen Bundesländern läuft aber in eine ganz andere Richtung. Ende Juni 1990 wurde der Öffentlichkeit bekannt, daß Verhandlungen zwischen den drei großen westdeutschen Verbundunternehmen RWE, PreussenElektra und Bayernwerke und dem Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit der DDR stattfanden, die darauf hinausliefen, die dortige Elektrizitätswirtschaft komplett von der Elektrizitätserzeugung bis zum Letztverteiler einem Konsortium aus diesen drei Unternehmen zu übertragen. Die massive Kritik von Parteien sowie Unternehmensverbänden führte zu "Nachverhandlungen" unter Einbindung des Bundeskartellamtes sowie der Bundesregierung und der Treuhandanstalt, die am 22. August 1990 in die derzeit noch gültigen neuen Stromverträge mündeten. Diese sehen unter anderem vor (Schaubild 2): —Die öffentliche Elektrizitätserzeugung (mit Ausnahme der Kernkraftwerke, die zwischenzeitlich stillgelegt sind) wird mit dem Verbundnetz zu einer Verbundgesellschaft verschmolzen, die Verei- nigte Energiewerke AG (VEAG). —Die drei Konsortialführer RWE, PreussenElektra und Bayernwerk erwerben 75 vH des Aktienkapi- tals an dieser Verbundgesellschaft, die übrigen Anteile werden an Unternehmen veräußert, die von den Konsortialführern rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sein müssen. —Die Konsortialführer erklären sich bereit, bis zu 15 vH ihres Aktienanteils an ausländische Interes- senten weiterzureichen, wenn diese entsprechende Beteiligungen an ihren Unternehmen anbieten. —Die privatisierten Energiekombinate müssen eine Spartentrennung vornehmen und alle Gas- und Brennstoffhandelsaktivitäten bis April 1991 ausgliedern und der Treuhandanstalt übereignen. Ein Querverbund auf dieser Ebene ist auch fürderhin untersagt. —Den Konsortialführern wird eine Kapitalmehrheit in 11 der 15 Regionalgesellschaften (entsprechend etwa 60 vH des regionalen Elektrizitätsverbrauchs) zugestanden; die übrigen vier Versorgungsge- biete müssen von Unternehmen übernommen werden, die von den Konsortialführern rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind. —Die Regionalgesellschaften verpflichten sich, mindestens 70 vH ihres Stromabsatzes als Fremdbe- zug von der Verbundgesellschaft zu übernehmen. —Alle Gesellschaften auf der Verbund- und Regionalebene werden zunächst auf der Basis einer Geschäftsbesorgung tätig; die Übertragung der Eigentumstitel erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt nach einer abschließenden Bewertung der Unternehmen. Der Einigungsvertrag legte darüber hinaus fest, daß die entflochtenen regionalen Elektrizitätsver- sorgungsunternehmen den Gebietskörperschaften (Gemeinden, Städten und Ländern) einen Kapitalanteil von bis zu 49 vH einräumen, der kostenlos zu übereignen ist. Die Gemeinden erhalten dann ihr volles Wegerecht zum 1. Januar 1992 und können von da ab von den Energieversorgungsunternehmen —wie im übrigen Bundesgebiet — eine Konzessionsabgabe erheben. Obwohl diese Regelungen für die Städte und Gemeinden nicht unvorteilhaft erschienen, stießen sie dort auf harten Widerstand. Es wehrten sich insbesondere jene 146 Kommunen, die vor der Bildung der Energiekombinate eigene Stadtwerke besessen hatten und Anfang der 1950er Jahre zwangsenteignet worden waren. Diese Kommunen führen ins Feld, daß ihnen durch die getroffenen Vereinbarungen die Möglichkeit genommen wird, auf lokaler Ebene optimierende Versorgungskonzepte, insbesondere bei der Erzeugung von Fernwärme durch Kraft-Wärme-Koppelung, zu entwickeln und zu realisieren. Bei nicht wenigen Kommunen scheint aber auch der Wunsch Pate zu stehen, ähnlich wie in vielen Kommunen im bisherigen Bundesgebiet, eine Einnahmequelle zu erschließen, mit der sich im Querverbund Verluste anderer kommunaler Betriebe ausgleichen lassen, etwa die von Betrieben des öffentlichen Personennah- 11

Schaubild 2 — Alte und neue Struktur der Elektrizitätsversorgung

alte Struktur neue Struktur

Braunkohlenkombinate Mitteldeutsche Lausitzer Braun- Braunkohlen AG kohlen AG Bitterfeld Senftenberg - MIBRAG - - LAUBAG -

(Übernahme- u. Beteiligungsstruktur offen)

Öffentliche Kraftwerke . Beteiligungen Kombinat Kombinat 1-1 01 und das Hochspannungs- Kernkraft- Braunkohlen- 75 vH RWE, Kraftwerke netz zusammen Preussen werke Elektra. Vereingte Energiewerke AG Bayern- - VEAG - werk 25 vH noch offen \ (wahrschein- /L - regionale Bezugsquote lich auch Kombinat Verbundnetz Elektrizität der nächsten Stufe - mit auslan- - 70 vH discher Be- - Lieferung von ca. 85 vH des teiligung) regionalen Stromverbrauchs - Aufhebung Querverbund 15 Regionale Energiekombinate (gleiche Gebiete) Heue Elektrizitatsversorgungsgebiete:

Bezirke: 1 Hanseatische "gleversorgung AG Energieversorgung AG, Energie-AG. 1 Rostock 6 Berlin 11 Rostock Harkkleabeci 2 Schwerin 7 Frankfurt/O. 12 Kommunale 2 Westmecklenburgische 12 Enerj 3 Neubrandenburg 8 Halle 13 Suhl Energieversorgung AG. Kapitalbe- Schwerin 4 9 Cottbus 14 Gera teiligung 3 Energieversorgung 5 10 IS MUritz-Odarhaff AC. torgung AG, von bis Haubrandenburg zu 49 vH Enei iorgung Magdeburg AG, irgung AG, Higdeburg ta 15 Enei Jrgung SUdi im regionalen Querverbund mit: / Chenrn: - Gasversorgung - Brennstoffhandel für Kleinverbraucher davon 3 RWE, 5 PreussenElektra, 3 Bayernverk 1 HEW, 1 Bewag, 1 VEW/Badenwerk. 1 EVS/HEW

noch \ Zulässigkeit, Umfang und Struktur von keine kommunalen Energieversorgungsunternehmen offen: J kommunalen Energieversorgungsbetrieben

verkehre. So ist denn auch nicht immer klar ersichtlich, wohin die Änderungswünsche der klageführenden Kommunen zielen, ob —ein höherer Anteil an den kostenlos zu übereignenden Kapitalanteilen der Regionalgesellschaften oder aber —eine Herausgabe der Energieerzeugungs- und -Fortleitungsanlagen angestrebt wird und ob dies unentgeltlich geschehen soll. Im Verlauf des Jahres 1990 wurde die Treuhandanstalt von den Kommunen mit Herausgabeansprüchen überschwemmt, denen sie allein schon wegen entgegenstehender vertraglicher Vereinbarungen in den Stromverträgen nicht nachkommen konnte. Im Februar 1991 versuchte die Treuhandanstalt unter den Beteiligten eine gütliche Einigung herbeizuführen. Dies führte wohl zu einer "Grundsatzverständigung über die künftige Rolle von Stadtwerken für die leitungsgebundenen Energien", die folgende drei wichtige Punkte regeln sollte: —Die Einrichtung von Stadtwerken muß sich an den energiewirtschaftlichen Postulaten der Versor- gungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit orientieren; —die Kommunen sollen sich am Kapital der Stadtwerke zusammen mit dem regionalen Energiever- sorgungsunternehmen je etwa zur Hälfte beteiligen; —die Stadtwerke sollen sich zu einem Fremdstrombezug von ihrem Regionalunternehmen in Höhe von mindestens 70 vH ihres Stromabsatzes verpflichten. Diese Vereinbarung fand jedoch im nachhinein nicht die Zustimmung seitens der Mehrzahl der betroffenen Kommunen. Dort will man eine Beteiligung des Vorlieferanten am Kapital, verbunden mit einer Abnahmequote nicht akzeptieren. Eine Abweichung von der "Grundsatzvereinbarung" wollen aber 12 die "Geschäftsbesorger" nicht hinnehmen. Dort heißt es: Eine vollständige Herauslösung hochverdichte- ter Absatzgebiete erschwere die Absatzplanung und beschränke die Versorgung auf relativ uninteressante ländliche Regionen. Bei der von den Kommunen angestrebten Lösung sei es fraglich, ob Großkraftwerke auf Basis der heimischen Braunkohle wirtschaftlich vertretbar errichtet oder weiterbetrieben (und nachge- rüstet) werden könnten. Anfang September 1991 haben 123 Kommunen des Beitrittsgebietes eine kommunale Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Regelungen der Stromverträge vom 22.8.1990 eingereicht; dieser Klage haben sich inzwischen 24 weitere Kommunen angeschlossen. Seit Einreichung dieser Klage sind die Investitionen in die Elektrizitätswirtschaft der Beitrittsländer stark gebremst worden, abgesehen von dringenden Reparaturarbeiten, die im Rahmen der Geschäftsbesorgungsverträge abgewickelt werden. Dabei ist das notwendige Investitionsvolumen zur Sanierung der ostdeutschen Elektrizitätswirtschaft nicht gerade klein; es wird auf einen Betrag von 40-60 Mrd. DM geschätzt. Falls das Bundesverfassungsgericht die Regelungen der Stromverträge vom 22.8.1990 ganz oder in Teilen für verfassungswidrig erklärt, so wäre die energiepolitische Landschaft in den Beitrittsländern in der Elektrizitätsversorgung wieder völlig offen.

Gasversorgung Die Gasversorgung basierte in der ehemaligen DDR auf drei Bezugsquellen: Der Einfuhr von Erdgas mit hohem Brennwert ausschließlich aus der Sowjetunion, dem Erdgas aus heimischer Förderung im Kombinat Gommern mit niedrigem Brennwert und der Produktion von Stadtgas, das auf der Basis der heimischen Braunkohle fast ausschließlich im "Kombinat Schwarze Pumpe" hergestellt wurde (Schaubild 3) und etwa den halben Brennwert des eingeführten Erdgases aufweist. Für alle drei Gasarten mußten getrennte Verteilungsnetze und Speichermöglichkeiten von dem einzigen Fernverteilungsunternehmen "Kombinat VEB Verbundnetz Gas" bereitgehalten und unterhalten werden, der Absatz erfolgte an die Industrie, die Kraftwerke sowie die regionalen Energiekombinate. Mit dem importierten und heimischen Erdgas wurden fast ausschließlich die Industrie und die Kraftwerke beliefert, ersteres wurde auch zur Anreicherung und Streckung des Stadtgases herangezogen. Letzteres wurde zu etwa einem Drittel des Produktionsvolumens an die privaten Haushalte geliefert und diente dort fast ausschließlich zum Kochen und zur Warmwasserzubereitung; die schwache Kapazität von Leitungen und Brennstoff erlaubte die Verwendung als Heizenergie nur in Ausnahmefällen. Insgesamt deckte der gesamte Gasabsatz in der ehemaligen DDR nur knapp 10 vH des Endenergieverbrauchs, verglichen mit fast 23 vH in der Bundesrepublik Deutschland (Schaubild 1). Der vormalige VEB Verbundnetz Gas wurde am 29.6.1990 in die Verbundnetz Gas AG (VNG) umgewandelt und in das Vermögen der Treuhandanstalt überstellt. An einer Beteiligung an dieser privatisierten Firma hatte der Quasimonopolist Ruhrgas AG in Essen, der etwa 70 vH des westdeutschen Erdgasmarktes beliefert, frühzeitig Interesse signalisiert. Schon vor der Privatisierung der Verbund Gas hatte die Ruhrgas AG im April 1990 mit diesem Unternehmen ein gemeinsames Joint-Venture in Form der Erdgasversorgungsgesellschaft mbH mit Sitz in Leipzig mit hälftigen Kapitalanteilen gegründet. Der Geschäftsauftrag dieser Firma war vorrangig die Verlegung und die Betreibung einer Ferngasleitung von Zwickau aus in einer Länge von 300 km bis zur hessischen Grenze, verbunden mit einer Stichleitung von Erfurt nach Saalfeld. Mit diesen Arbeiten an der EVG-Leitung wurde im März 1991 begonnen; im Verlauf des Jahres 1992 soll die Anbindung an das westeuropäische Erdgasverbundnetz hergestellt werden. Klares Ziel dieser Fernleitung ist die regionale Diversifizierung der Bezugsstrukturen gegenüber den bisherigen Monopollieferungen aus der Sowjetunion. Schon bald nach der Privatisierung der Verbundnetz Gas AG konnte die Ruhrgas AG im August 1990 einen Kapitalanteil von 35 vH an der VNG erwerben, fast zeitgleich mit der BEB Erdgas und Erdöl GmbH, der von der Treuhandgesellschaft ein Kapitalanteil von 10 vH übertragen wurde. Die BEB Erdgas und Erdöl GmbH befindet sich im Besitz der Ölgesellschaften Shell und Esso und hält ihrerseits einen Kapitalanteil von 25 vH an der Ruhrgas AG. Eine Kapitalbeteiligung wie die von BEB und Ruhrgas zusammen wurde auch von einem anderen Konsortium angestrebt: der BASF-Tochter Wintershall AG und der sowjetischen Gesellschaft Gazprom. Beide Gesellschaften hatten zusammen mit hälftigen Kapitalanteilen die Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (WIEH) gegründet mit dem Ziel, sowjetisches Erdgas auf der Fernversorgerebene an Großabneh- 13

Schaubild 3 — Alte und neue Struktur der Gasversorgung

alte Struktur neue Struktur

Herstellung von Beteiligungen Stadtgas auf der 35 vH Ruhrgas AG Basis von heimi- 10 vH BEB Erdgas Erdgaseinfuhren scher Braunkohle u. Erdöl GmbH Zusätzliche aus der (Shell u. Esso) Erdgasbezuge Sowjetunion 15 vH + 1 Aktie aus: (1989: 8,2 Mill. t SKE) Wintershall AG - Sowjetunion (BASF-Tochter) - Norwegen 5 vH Gazprom (UdSSR) - Großbritannien 15 vH ./. 1 Aktie - Niederlande kommunale Gebiets- körperschaften 5 vH British Gas 5 vH Alf Aquitane 5 vH Statoil (Norwegen) Verbundnetz 5 vH Erdgas Gommern Gas-AG - VNG

Lieferung an il die 15 regio- Neustruktu- Beteiligungsverhältnisse Industri- nalen Energie- rierung von Öffent- •gebündelten im Prinzip offen und auch elle Ab- versorgungs- liche Ortsgasver- variabel, im Regelfall nehmer u. kombinate im Kraft- sorgungsge- Übernahme von 49 vH durch dortige Querverbund werke bieten" in die kommunalen Gebietskör- Kraftwerke mit Stromliefe- Richtung der perschaften. Kommunaler rung an Letzt- Endverbraucher Querverbund zum Strom ist verbraucher -im Entstehen- erlaubt!

keine kommunalen Gasversorgungsunternehmen

mer (Industrie und Ortsgasversorger) zu vermarkten. Die BASF als der größte industrielle Erdgasver- braucher in Westdeutschland hatte nicht nur die Erdgasfördergesellschaft Wintershall AG erworben, sondern zur Verbreiterung einer eigenen Erdgasbezugsbasis eine Ferngasleitung von Emden nach Ludwigshafen mit einer Gesamtlänge von 560 km geplant und mit dem Ausbau begonnen. Diese "Mitte- Deutschland-Anbindungs-Leitung" (MIDAL) soll Nordseegas zur BASF und den übrigen (erwarteten) Absatzmärkten transportieren. Vor der endgültigen Entscheidung der Treuhandanstalt über die Vergabe der restlichen 55 vH Kapitalanteile an der VNG entschied sich das Konsortium Wintershall AG und Gazprom im Herbst 1990 zum Bau einer Ferngasleitung von Sayda nach Vitzeroda. Diese "Sächsisch- Thüringische Erdgas-Leitung" (STEGAL) folgt über weite Strecken der EVG-Fernleitung und soll im Endausbau an die Fernleitung von Emden nach Ludwigshafen (MIDAL) angebunden werden; diese Anbindung soll im Herbst 1992 erfolgen. Die endgültige Entscheidung über die Vergabe der restlichen Kapitalanteile bei der VNG erfolgte Ende September 1991. Entgegen den ursprünglichen Absichten und Erwartungen war der Wintershall AG mit 15 vH (plus eine Aktie) und der Gazprom mit 5 vH eine deutlich niedrigere Kapitalbeteiligung zugespro- chen worden als dem Konsortium Ruhrgas AG und BEB (zusammen: 45 vH). Aber schon vorher war abzusehen, daß die Patt-Situation — die eine Seite dominiert das Leitungsnetz, die andere das (derzeit verfügbare) Erdgasangebot — wegen der erheblichen Interessengegensätze Anlaß zu Konfliktstoff bieten würde. Der "Gaskrieg" entbrannte zur Jahreswende 1990/91 zunächst wegen Uneinigkeit über die Preisgestaltung. Aber auch von einer anderen Seite her droht dem bisherigen Konstrukt der Ferngasstufe erheblicher Konfliktstoff. Den Ländern und Gemeinden wurde ein Kapitalanteil von 15 vH (minus eine Aktie), zugestanden; dieser wird ihnen aber nicht wie auf der Regionalebene der 49 vH- Anteil unentgelt- lich übertragen, sondern sie müssen ihn, wie alle übrigen Anteilseigner käuflich und zum gleichen Preis (pro 1 vH Kapitalanteil 10 Mill. DM) erwerben. Die Aufbringung dieser Mittel übersteigt offensichtlich 14 die Finanzkraft vieler Gebietskörperschaften. Hier ist zwischenzeitlich die Ruhrgas AG "hilfreich" in Erscheinung getreten und hat eine Vorfinanzierung zu wohl offensichtlich nicht marktüblichen Konditio- nen angeboten. Nicht nur die WIEH, sondern auch das Bundeskartellamt argwöhnen, daß hier der Weg einer unzulässigen Einflußnahme beschritten wird. Das Bundeskartellamt hatte seinerzeit den 45 vH Aktienerwerb der Ruhrgas AG und der BEB nur mit dem ausdrücklichen Hinweis zugestimmt, daß die restlichen 55 vH der Aktien nur an Anteilseigner übertragen werden, die vom Marktführer Ruhrgas "rechtlich und wirtschaftlich unabhängig" sind (und bleiben). Wesentlich konfliktärmer als auf der Ferngasstufe scheint sich die rechtliche und organisatorische Umgestaltung auf der Ebene der regionalen und kommunalen Gasversorgung zu gestalten. Auch die Rechtsnachfolger der Energiekombinate müssen aufgrund des Stromvertrages eine Spartentrennung vornehmen und alle Gasaktivitäten ausgliedern und an die Treuhandanstalt übertragen. Dies wurde in aller Regel termingerecht bis Mitte 1991 abgeschlossen. Die anschließende Privatisierung scheint zügig voranzuschreiten. So wurden von der Contigas AG in München weite Teile des Versorgungsgebietes in Thüringen sowie in Südsachsen übernommen. Aber auch die Beteiligung von ausländischen Gasversor- gungsunternehmen scheint keineswegs die Ausnahme zu bilden: Die Gaz de France hat sich an mehreren Konsortien im Raum um Berlin beteiligt und die British Gas an solchen in Gebieten in Sachsen-Anhalt und in Sachsen. Die relativ konfliktarme Neuordnung des Gasmarktes auf der regionalen Ebene wurde zweifellos dadurch begünstigt, daß die übernehmenden Regionalgesellschaften den Wünschen nach kommunalen Versorgungsgebieten, ganz im Gegensatz zur Stromseite, keinen Widerstand entgegensetzten und bei gemeinsam gegründeten Kommunalbetrieben ohne weiteres den Kommunen die Kapitalmehrheit zuge- standen haben. Der ökonomische Hintergrund dieser sehr unterschiedlichen Strategien liegt auf der Hand: Anders als auf der Stromseite können kommunale Versorgungsgebiete im Gasgeschäft nicht vom Fremdbezug zur Eigenerzeugung "umsteigen". Einen Wechsel des Vorlieferanten können die Regionalgesellschaften aber durch die vertragliche Gestaltung sowie durch horizontale Demarkations- absprachen zumindest nachhaltig behindern. Das freundliche Bild der regionalen und kommunalen Gasversorgung wird durch die Schwierigkeiten bei der Ferngasversorgung stark getrübt. Die größten Marktpotentiale des Erdgasabsatzes sind im Wärmemarkt angesiedelt. Dort befindet sich das Erdgas im starken Substitutionswettbewerb zum Heizöl und zur Fernwärme. Sollte sich die Ausweitung und Umstellung des Erdgasnetzes aufgrund der aufgebrochenen Interessengegensätze zeitlich deutlich verzögern, so könnten für den Gasmarkt für lange Zeit unwiederbringlich Marktanteile verlorengehen. Hiervon würden letztendlich auch alle beteiligten Kontrahenten erhebliche Nachteile hinzunehmen haben. Bei normaler Entwicklung könnte sich der Anteil des Erdgases am Primärenergieverbrauch in den neuen Bundesländern nach Schätzungen der Esso AG von derzeit knapp 10 vH bis zum Jahr 2000 mehr als verdoppeln (Tabelle 2), bis zum Jahr 2010 sogar mehr als verdreifachen.

Mineralölversorgung und Brennstoffhandel Die Raffineriekapazitäten in den neuen Bundesländern sind auf der Destillationsstufe mit einem Jahres- durchsatz von 20,2 Mill. t Rohöl relativ hoch angesiedelt, verglichen mit dem Jahresabsatz an Mineral- ölprodukten von 14 Mill. t im Jahr 1990 (Tabelle 2). Ein Teil dieser Kapazität wurde in der vergangenen Zeit dazu genutzt, Rohölbezüge aus der Sowjetunion für den westeuropäischen Markt weiterzuver- arbeiten. Aber auch bei einem Wegfall dieser Veredelungsaktivitäten ist mit einer kräftigen Steigerung des Mineralölabsatzes in den neuen Bundesländern zu rechnen, von derzeit 14 Mill. t auf bis zu 24 Mill. t bis zum Jahr 2000. Gut die Hälfte der derzeitigen Raffineriekapazität entfällt auf die Raffinerie "Petrochemie und Kraft- stoffe AG" (PCK — früher: Petrochemisches Kombinat Schwedt). Diese 1964 erbaute Raffinerie wurde zum 1. Juli 1991 privatisiert; hierbei wurden von DEA Mineralöl AG und der Veba Oel AG jeweils 37,5 vH des Aktienkapitals übernommen, den Rest von 25 vH hält ein Konsortium von Agip, Total und Elf. Der Kaufpreis soll eine Milliarde DM betragen haben, weitere 1,5 Mrd. DM sollen in die Modernisierung der Raffinerie und den Umweltschutz investiert werden. Die Verträge der Privatisierung der PCK wurden Ende November 1991 einer Überprüfung durch das Controlling der Treuhandanstalt unterzogen. Hierbei 15

Tabelle 2 — Projektion der Struktur des Energiemarktes in den neuen Bundesländern bis zum Jahr 2010

1989 1990 2000 2010 Primärenergieverbrauch nach Energieträgern insgesamt (Mill. tSKE) 128 105 115 110 davon (in vH): Mineralöl 13,3 17,1 31,3 30,0 Naturgas 9,4 8,6 19,1 29,1 Steinkohle 3,9 2,9 8,7 9,1 Braunkohle 68,7 68,6 35,7 24,5 Kernenergie 3,9 1,8 0 0 Erneuerbare Energien 0,8 1,0 5,2 7,3 Mineralölverbrauch insgesamt (Mill. t) 12 14 24 23 davon (in vH): Vergaserkraftstoff 25,0 28,6 25,0 26,1 Dieselkraftstoff 25,0 28,6 20,8 21,7 Leichtes Heizöl 0 0 25,0 26,1 Schweres Heizöl 8,3 7,1 8,4 4,4 Sonstige Produkte 41,7 35,7 20,8 21,7 Bestand Personenkraftwagen insgesamt (Mill.) 3,9 4,6 8,3 9,0 davon (in vH): Benzin-PKW 99,0 97,8 84,3 84,4 Diesel-PKW 1,0 2,2 15,7 15,6 Beheizungsstruktur Anzahl Wohnungen (Mill.) 7,0 7,0 7,5 7,5 davon beheizt mit (in vH): Fernwärme 23 23 25 30 Strom 3 3 5 5 Kohle 66 65 25 10 Gas 8 8 25 33 Heizöl 0 1 20 22 Kohlendioxidbelastung (CO2) der Luft durch: insgesamt (Mill. t) 360 300 277 243 davon (in vH): Mineralöl 10,8 13,7 28,9 30,9 Naturgas 5,4 4,7 12,3 20,6 Steinkohle 3,6 2,7 9,7 11,1 Braunkohle 79,4 78,0 48,0 36,2 Erneuerbare Energien 0,8 0,9 1,1 1,2 Quelle: Energiestruktur im Wandel. Hrsg. von der Esso AG, Hamburg 1991; eigene Berechnungen. tauchten Spekulationen darüber auf, daß die von der Treuhandanstalt im Rahmen dieses Vertrages übernommenen finanziellen Verpflichtungen den Verkaufserlös übersteigen könnten ("Minuspreis"). Tatsächlich wird von der Treuhandanstalt eingeräumt, daß der Kaufvertrag Bestimmungen enthalte, die erhebliche Leistungen der Voreigentümerin Treuhandanstalt vorsehen, insbesondere bei der Beseitigung und Sanierung von Altlasten. Die endgültige Bewertung dieses Vertrages durch das Controlling der Treuhandanstalt steht noch aus; die Entpflichtung des bisherigen Generalbevollmächtigten für die Energiewirtschaft, Hans Peter Gundermann, per 25.11.1991 soll hiermit nach Darstellung der Treu- handanstalt nicht in einem Zusammenhang stehen. Noch schwieriger als im Falle des PCKs wird sich eine Privatisierung des sächsisch-anhaltinischen Raffineriekomplexes mit den Werken in Leuna, Zeitz, Bohlen und Lützkendorf gestalten. Die Raffinerien sind sehr stark sowohl untereinander als auch mit den petrochemischen Werken in Bohlen, Leuna und Buna verbunden. Ob und inwieweit hier einzelne Betriebsteile ausgegliedert und privatisiert werden können oder aber eine komplexe Lösung auf politischem Wege gefunden werden muß, wird sich wohl erst im Verlauf des ersten Halbjahres 1992 abzeichnen. Hierbei haben einige westdeutsche Mineralölge- 16

Seilschaften unter Federführung der Deutschen Shell AG Interesse bekundet, eine Rohrleitung zum Transport von Mineralölprodukten von Hamburg nach Sachsen zu verlegen und zu betreiben. Sie soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung derzeitige Raffineriekapazitäten ergänzen, nicht aber ersetzen. Über dieses Projekt mit Baukosten in Höhe von ca. 700 Mill. DM wurde aber bislang noch nicht entschieden. Im Verteilernetz der Kraftstoffe dominiert der vormalige Monopolist, die noch im Besitz der Treu- handanstalt befindliche Minol AG. Von ihren derzeit vorhandenen etwa 1 200 Tankstellen betreibt sie etwa ein Zehntel in Form von Joint-Ventures mit westlichen Mineralölgesellschaften, wobei letztere aber dabei sind, eigene Tankstellen zu errichten. Die Gesamtzahl der Tankstellen wird sich im Verlauf der nächsten zehn Jahre vermutlich auf 2 500-3 000 erhöhen, dazu ist voraussichtlich eine Investitionssumme von 5 Mrd. DM notwendig. Der Bestand an PKWs in den neuen Bundesländern wird sich voraussichtlich von derzeit 4,6 Mill. bis zum Jahr 2000 auf 8,3 Mill. fast verdoppeln (Tabelle 2). Am Wärmemarkt war Mineralöl früher nicht zugelassen; derzeit werden noch zwei Drittel der Wohnungen durch Verbrennung von Braunkohlenbriketts beheizt (Tabelle 2). Die Versorgung der Bevölkerung mit Braunkohlenbriketts oblag den Energiekombinaten der Bezirke; diese Aktivitäten mußten, ebenso wie die Gasaktivitäten, aber im Gefolge der Stromverträge durch Spartentrennung abgespalten werden. Bereits im zweiten Quartal von 1990 wurden 26 Gesellschaften ausgegliedert, deren Privatisierung Mitte 1991 abgeschlossen werden konnte. Neben diesen Gesellschaften haben 50 Groß- händler von festen Brennstoffen in den Beitrittsländern ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen. Diese Firmen werden in aller Regel im Querverbund mit dem Heizölhandel betrieben. Es steht zu erwarten, daß die Kräfte des Wettbewerbs den anstehenden Strukturwandel bei der Mineralölversorgung bewältigen werden, mit Ausnahme der Überleitung der mit dem Chemiekomplex verbundenen Raffinerien.

Ressourcenbasis und En ergiepolitik Im vereinigten Deutschland ist die Braunkohle mit einem Fördervolumen von fast 122 Mill. t SKE (davon in den Beitrittsländern gut 90 Mill. t SKE) vor der Steinkohle mit einem Fördervolumen von 71,5 Mill. t SKE der wichtigste heimische Energieträger. In den Beitrittsgebieten ist die Braunkohleförderung gegenüber 1989 inzwischen allerdings schon um rund 40 vH zurückgegangen. Die Gewinnung und der Verbrauch von Braunkohle wird derzeit weder im Westen noch — mit Ausnahme der Beseitigung von Altlasten — im Osten durch staatliche Finanzhilfen gestützt. Der Steinkohlenbergbau im Westen, für dessen Erhalt vorrangig Argumente der heimischen Versorgungssicherheit ins Feld geführt werden, erhielt dagegen bislang einschließlich der über den sog. Kohlepfennig geleisteten Beträge direkte — produktionsabhängige — staatliche Unterstützungszahlungen von reichlich 11 Mrd. DM pro Jahr; fast der gleiche Betrag wurde jährlich noch einmal für indirekte — produktionsunabhängige — staatliche Beihilfen aufgewendet.1 Die gerade abgeschlossene "(Stein-)Kohlerunde" hat beschlossen, die derzeitige Steinkohlenförderung von jetzt gut 70 Mill. t pro Jahr bis zur Jahrhundertwende auf 54 Mill. t pro Jahr zu verringern; nur noch 50 Mill. t der Lieferungen an die Elektrizitätswirtschaft und an die Stahlindustrie sollen dann subventioniert werden. Dies würde das Ausmaß an direkter staatlicher Stützung um 4 Mrd. DM herabsetzen — vorausgesetzt, die Schere von heimischen Produktionskosten und Weltmarktpreis klafft nicht weiter auseinander. Es bleibt aber fraglich, ob diese Vereinbarung in Hinblick auf den Braunkohlenbergbau im Osten Bestand haben kann. Nachdem das Argument mit der heimischen Versor- gungssicherheit nicht mehr recht zieht, wird auch das Argument mit den Arbeitsplätzen zunehmend an Überzeugungskraft verlieren. Die Braunkohlenförderung in den Beitrittsländern hat sich von etwa 300 Mill. t (=90,5 Mill. t SKE) bis 1991 mit einer voraussichtlichen Förderung von 180 Mill. t fast halbiert; der Verstromungsanteil dieser Förderung wird sich von ursprünglich 50 vH bis auf voraussichtlich 80 vH erhöhen. Gleichzeitig hat sich die Anzahl der Beschäftigten in den ostdeutschen Braunkohlenrevieren von ursprünglich 130 000 auf derzeit knapp 80 000 Personen vermindert. Sobald die Stromversorgung der Beitrittsländer aus dem 1 Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) in: IEA/OECD, Energy Policies of IEA-Countries. 1990 Review. Paris 1991, S. 215, Tabelle 1. 17

RGW-Verbundnetz ausgekoppelt und dem Stromverbundnetz Westeuropas angeschlossen wird, werden die heimischen Energieträger Steinkohle und Braunkohle bei der Stromerzeugung in direkten Substitu- tionswettbewerb treten. Dies gilt dann auch entsprechend für die damit verbundenen Arbeitsplätze.

IV. Industrie

1. Aktuelle Situation

Kein anderer Wirtschaftszweig der neuen Bundesländer wurde so sehr von der Einführung der Markt- wirtschaft getroffen wie die ostdeutsche Industrie. Die großen Wettbewerbsnachteile gegenüber der westlichen Konkurrenz rühren nicht nur von den viel zu hohen Produktionskosten her, vielfach sind die Produkte auch nicht marktgerecht. Als Folge ist die Produktion stark geschrumpft. Ohne staatliche Hilfen wäre die Talfahrt noch rasanter verlaufen. Zum einen wurde der Export nach Osteuropa, insbesondere in die Sowjetunion, massiv gestützt — zunächst durch einen vorteilhaften Abrechnungsmodus für ostdeutsche Lieferungen, seit Beginn dieses Jahres durch besondere Ausfall- bürgschaften. Zum anderen wurden den ostdeutschen Industriebetrieben in hohem Maße Liquidität zur Verfügung gestellt. Die von der Treuhandanstalt verbürgten Kredite wurden in erster Linie zur Deckung der laufenden Kosten verwandt. Eine Umfrage des DIW hat ergeben, daß vier Fünftel aller Industriefir- men in Besitz der Treuhandanstalt solche Kredite in Anspruch genommen haben. Die Tatsache, daß ein Fünftel der Treuhandfirmen keine Liquiditätskredite aufgenommen hat, darf nicht zu falschen Schlüssen führen. Nicht wenige dieser Unternehmen haben deswegen auf Fremdmittel verzichten können, weil sie sich durch den Verkauf von Vermögenswerten Liquidität verschafften. So waren große Teile der ostdeutschen Industrie in der Lage, Güter zu einem Preis anzubieten, der nicht die Kosten deckte. Fallbeispiele aus den Befragungen des DIW haben gezeigt, daß der Verkauf von Waren und Leistungen unter Kosten durchaus nicht unüblich ist. Auf diese Praxis deuten auch statistische Kennziffern hin: Im ersten Halbjahr erreichte der Umsatz je Beschäftigten in der ostdeutschen Industrie nur etwa ein Sechstel von dem, was in den alten Bundesländern erreicht wird (Tabelle 3). Bei einem solchem Vergleich ist freilich das hohe Maß an Kurzarbeit zu berücksichtigen. Rechnet man die Kurzarbeit auf Vollbeschäfti- gung um,2 dann ist die Umsatz-Beschäftigten-Relation in der ostdeutschen Industrie noch immer viermal kleiner als in Westdeutschland.3 Das heißt, trotz des niedrigen Lohnniveaus machen die Unternehmen im Schnitt Verluste. Nach der Umfrage des DIW glauben die ostdeutschen Unternehmen, daß sich im zweiten Halbjahr 1991 ihre Absatzsituation verbessern wird. Erwartet wurde, daß der Umsatz dann um rund ein Viertel höher sein wird als in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Diese Einschätzung dürfte wohl in Anbetracht aktueller Statistiken viel zu optimistisch gewesen sein. Der Umsatz der ostdeutschen Industrie war im dritten Quartal genauso hoch wie im vorhergehenden und niedriger als im ersten Vierteljahr des Jahres. Damit das erwartete Umsatzwachstum tatsächlich eintrifft, müßte im vierten Quartal der Absatz enorm expandieren. Dies ist so gut wie ausgeschlossen, zumal die Erwartungen in hohem Maße auf eine l Die Fragebogenerhebung richtete sich an alle Unternehmen, die zu Beginn dieses Jahres im Besitz der Treuhand- anstalt waren, also fast an den gesamten Bestand der Industrieunternehmen der früheren DDR. Nicht in die Erhebung einbezogen wurden neue Betriebe; von den Investitionen "auf der grünen Wiese" dürften bis jetzt nur sehr wenige abgeschlossen und produktionsfähig sein. Die Umfrage begann im Juni 1991; der Rücklauf der Fragebögen erstreckte sich bis in den Oktober. Beteiligt haben sich knapp 1700 Unternehmen, davon waren rund 220 gänzlich in private Hand übergegangen und 60 waren teilprivatisiert. Mitte des Jahres hatten diese Unterneh- men etwas mehr als 1 Mio. Arbeitskräfte, das sind 60 vH aller Erwerbstätigen in der ostdeutschen Industrie. La Nach Schätzungen des DIW arbeiteten im 1. Halbjahr 1991 in der ostdeutschen Industrie fast 60 vH aller Arbeitnehmer weniger als die regelmäßige Arbeitszeit; der durchschnittliche Arbeitsausfall je Kurzarbeiter betrug in der Zeit ebenfalls fast 60 vH. Bei dieser Rechnung bleibt außer Acht, daß auch die Kurzarbeiter den Unternehmen Kosten verursachen, und zwar durch tariflich vereinbarte Zuschläge auf das Kurzarbeitergeld und durch tarifliche Sonderzahlungen. 18

Tabelle 3 — Umsatz je Beschäftigten im westdeutschen und im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe

Westdeutsch- Ostdeutsch- Ostdeutsch- Modellrech- land3 Ostdeutschland13 land im 1. Hj. land0 im 2. nung: Um das 1991... Hj. 1991... westdeutsche Niveau bis zum Ende der Gewerbezweig Sanierung zu im Verhältnis zu West- erreichen, wä- c 1. Hj. 1991 1. Hj. 1991 2. Hj. 1991 ... deutschland im 1. Hj. 1991 re eine Um- (in vH) satzsteige- rung von ...vH nötig010 Grundstoff- und Produktions- güter produzierendes Gewerbe 183 000 30 000 44 000 16 24 33 darunter: Gewinnung und Verarbeitung von Steinen und Erden 121 000 20 000 37 000 16 31 29 Eisenschaffende Industrie. 142 000 33 000 42 000 23 30 18 Gießereien 80 000 14000 20 000 18 25 136 Chemische Industrie 172 000 29 000 50 000 17 29 95 Investitionsgüter produzierendes Gewerbe 112000 17 000 29 000 15 26 118 darunter: Stahl- und Leichtmetallbau 81000 30 000 38 000 37 47 49 Maschinenbau 96 000 17 000 29 000 17 30 96 Straßenfahrzeugbau' 163 000 20 000 X 12 X X Elektrotechnik/EDV 102 000 14 000 30 000 14 29 71 Feinmechanik, Optik 84 000 5 000 12000 7 14 232 Verbrauchsgüter produzierendes Gewerbe 98 000 13 000 24 000 13 25 133 darunter: Holzverarbeitung 99 000 20 000 34 000 21 34 135 Druckerei, Vervielfältigung 94 000 32 000 44 000 34 46 69 Textilgewerbe 105 000 9 000 18 000 9 17 137 Nahrungs- und Genußmittel produzierendes Gewerbe 222 000 64 000 100 000 29 46 56 Verarbeitendes Gewerbe insgesamt 130 000 22 000 37 000 17 28 81 "Einschließlich Berlin (West). — Einschließlich Berlin (Ost). — cHochrechnung der Ergebnisse aus der Unternehmensbe- fragung des DIW. — dBasis der Berechnung sind die erwarteten Umsätze für das 2. Halbjahr 1991 und die geplante Zahl der Beschäftigten am Ende der Sanierung laut Unternehmensbefragung des DIW. — 'Wegen nicht ausreichender Repräsentation sind die Angaben für den Straßenfahrzeugbau unsicher. Quelle: Statistisches Bundesamt; DIW.

Belebung des Osteuropa-Geschäftes gründete. Allein drei Fünftel des Umsatzwachstums sollten im Osthandel realisiert werden; von den Märkten in Ostdeutschland erwartet man kaum Impulse. Die aktuellen Zahlen über Produktion und Auftragseingänge zeigen, daß sich die Lage der ostdeutschen Industrie auf niedrigem Niveau stabilisiert hat, ein Aufschwung aber noch nicht zu erkennen ist. Die Produktion zog im September gegenüber dem August zwar etwas an, aber so schwach, daß dies allein schon mit dem Ende der Ferienzeit erklärt werden kann (Tabelle 4). Anders war der Verlauf bei den Auftragseingängen: Sie sind im August deutlich nach oben gegangen, im September ließen die Bestel- lungen — saisonunüblich — wieder stark nach (Tabelle 5). Im Zweimonatsvergleich sind die Auftrags- eingänge im Spätsommer nur wenig höher gewesen als im Juni/Juli. Zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen zeigen sich deutliche Unterschiede. Eine Erholung von Auftragseingang und Produktion läßt sich im Stahlbau, in der Baustoffindustrie und insbesondere im Druckgewerbe erkennen, ein weiterer Rückgang in der EDV-Industrie und im Textilgewerbe. In vielen 19

Tabelle 4 — Entwicklung der Produktion8 im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe (Januar bis Sep- tember 1991)

Gewerbezweig Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Verarbeitendes Gewerbe insge- samt 65,6 61,1 65,3 57,9 61,0 63,2 62,6 60,6 66,0 Grundstoff-/Produktionsgüter- gewerbe 71,1 64,9 79,4 68,6 68,1 67,1 69,9 71,0 76,8 darunter: Mineralölverarbeitung 111,0 108,4 112,3 92,8 113,8 107,6 114,9 116,1 114,4 Gewinnung und Verarbeitung von Steinen und Erden 31,4 24,7 42,8 47,7 54,9 51,7 57,0 55,1 61,4 Eisenschaffende Industrie 83,2 75,3 85,3 79,7 83,2 83,0 73,5 73,9 76,4 Gießereien 46,8 49,9 48,5 44,3 46,3 46,1 34,3 33,6 35,4 Chemische Industrie 87,0 78,2 95,5 80,4 66,1 66,5 74,3 79,5 85,9 Investitionsgüter produzierendes Gewerbe 53,9 50,2 51,6 45,5 48,6 52,8 51,0 48,7 54,2 darunter: Stahl- und Leichtmetallbau 67,4 68,6 82,2 76,4 86,6 89,4 103,3 100,6 106,6 Maschinenbau 51,6 44,1 44,1 38,6 42,8 49,1 44,1 42,2 49,9 Straßenfahrzeugbau 59,2 79,4 83,7 72,5 72,6 76,1 75,7 64,6 66,1 Elektrotechnik 46,6 44,0 42,1 35,4 36,6 41,8 38,3 39,2 42,7 Feinmechanik, Optik, Uhren 63,3 40,0 36,2 30,1 23,9 20,4 23,2 21,0 19,5 Herstellung von Büroma- schinen, EDV 38,9 25,3 32,8 39,5 34,6 30,1 23,1 22,5 18,5 Verbrauchsgüter produzierendes Gewerbe 74,2 69,6 73,2 66,6 68,0 72,1 67,9 64,9 73,4 darunter: Holzverarbeitung 83,0 68,7 72,6 66,6 65,7 65,3 57,3 59,8 75,6 Druckerei, Vervielfältigung 81,1 83,7 95,0 96,0 101,3 111,9 110,0 114,0 113,7 Textilgewerbe 98,9 92,8 90,4 74,2 78,4 82,7 80,4 62,8 73,9 Nahrungs- und Genußmittel pro- duzierendes Gewerbe 99,9 94,5 96,6 87,5 97,0 94,0 96,3 91,8 94,2 aIndex der Nettoproduktion fachlicher Unternehmensteile; arbeitstäglich bereinigt; 3. Vierteljahr 1990 == 100. Quelle: Statistisches Bundesamt.

Zweigen ist die aktuelle Lage unübersichtlich. Kurzfristig können Sonderentwicklungen in einzelnen Unternehmen, beispielsweise Großaufträge, das Bild bestimmen.

2. Chancen für Privatisierung und Sanierung

Viele Unternehmen können die Anpassung nicht aus eigener Kraft bewältigen. Es ist daher dringlich, daß die Treuhandanstalt-Unternehmen private Investoren finden, die die Anlagen erneuern, das Produktpro- gramm umstrukturieren und den Vertrieb verbessern. Trotz vielfältiger Bemühungen ist — gemessen an den hohen Anpassungserfordernissen — das Privatisierungstempo noch zu gering. Bisher wurden knapp 5 000 Unternehmen privatisiert. Darunter befinden sich etwa 1 000 ostdeutsche Industrieunternehmen. Die Käufer haben knapp 350 000 industrielle Arbeitsplätze vertraglich zugesagt.1 Sicherlich hemmen — mittlerweile nur teilweise aus dem Wege geräumte — Investitionshindernisse (ungeklärte Eigentumsverhältnisse, Verseuchung von Grundstücken, Infrastrukturmängel) die Privatisie-

Die Treuhandanstalt hat bei vielen ihrer Firmenverkäufe von den Erwerbern vertragliche Beschäftigungsgarantien verlangt. Wird die zugesicherte Beschäftigtenzahl unterschritten, muß der Erwerber eine Konventionalstrafe zahlen. Wie Einzelbeispiele gezeigt haben, ist diese aber deutlich geringer als der Investitionsaufwand je Arbeitsplatz. Die Konventionalstrafen dürften also die Käufer nicht abschrecken, weniger als die zugesagte Zahl von Beschäftigten zu halten. 20

Tabelle 5 — Entwicklung der Auftragseingänge8 im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe (Januar bis September 1991)

Gewerbezweig Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Verarbeitendes Gewerbe ins- gesamt 86,8 66,4 92,2 79,8 68,5 75,8 71,3 84,9 71,5 davon: Inland 92,9 66,1 70,9 70,2 72,1 69,2 70,3 72,5 70,9 Ausland 69,1 67,2 154,1 107,8 58,0 95,0 74,2 120,8 73,1 Grundstoff- und Produktions- güter produzierendes Ge- werbe 76,4 69,4 74,2 68,9 59,2 59,9 64,3 52,4 65,2 darunter: Gewinnung und Verarbei- tung von Steinen und Erden 39,4 29,9 46,1 60,3 63,4 68,1 69,7 67,9 80,0 Eisenschaffende Industrie 80,5 43,5 122,9 67,3 49,2 48,1 59,9 43,6 48,1 Chemische Industrie 79,2 88,7 61,9 66,9 62,8 63,7 66,7 48,5 68,6 Investitionsgüter produ- zierendes Gewerbe 93,8 65,6 115,1 93,8 78,3 93,7 81,0 121,2 80,0 darunter: Stahl- und Leichtmetallbau 81,4 52,3 338,0 92,3 82,5 176,0 118,9 256,7 157,6 Maschinenbau 112,7 79,1 138,5 148,8 100,1 120,3 96,6 182,0 100,0 Straßenfahrzeugbau 50,4 58,3 45,2 39,9 44,5 43,7 30,2 32,4 30,5 Elektrotechnik 90,4 61,6 53,6 59,4 59,9 53,2 51,9 50,5 43,3 Feinmechanik, Optik, Uhren 143,8 73,0 95,4 56,2 68,4 42,6 53,8 102,7 46,7 Herstellung von Büroma- schinen, EDV 86,9 20,1 21,2 21,0 33,1 27,1 20,2 26,2 29,9 Verbrauchsgüter produ- zierendes Gewerbe 91,1 61,6 69,2 65,3 62,2 62,3 60,4 57,3 62,1 darunter: Druckerei, Vervielfältigung 92,7 110,2 99,1 92,6 117,7 119,6 105,5 121,1 111,9 Textilgewerbe 68,4 53,1 56,9 70,1 52,4 65,6 57,0 53,5 48,1 aWertindex fachlicher Betriebsteile; 2. Halbjahr 1990 = 100. Quelle: Statistisches Bundesamt.

rung. Daß sie aber nur langsam vorankommt, liegt vor allem daran, daß es nur wenige Gründe für westliche Investoren gibt, ostdeutsche Betriebe zu übernehmen. Viele der Rosinen sind bereits gepickt. Auch eine Aufstockung der Kapazitäten ist wegen der Konjunkturabschwächung zunächst nicht dringlich. Dennoch rechnet nach den Umfrageergebnissen immerhin ein Fünftel der befragten Unternehmen damit, daß sie demnächst verkauft werden (Schaubild 4). Die Hälfte der ostdeutschen Industrie- unternehmen glaubt, daß die Privatisierung zwar nicht unmittelbar bevorsteht, es aber ernsthafte Inter- essenten für eine Übernahme gibt. Vergleichsweise große Chancen für eine Privatisierung rechnen sich Unternehmen aus den Branchen aus, die Güter herstellen, die für die Modernisierung der ostdeutschen Infrastruktur benötigt werden (Steine und Erden, eisenschaffende Industrie, Holzbearbeitung) und solche, die in der Nähe zu ihren Kunden angesiedelt sein müssen (wie ein Teil der Druckereien und der Nahrungsmittelhersteller). Ob die Einschätzungen zutreffen, ist zweifelhaft. Es ist bekannt, daß potentielle Investoren ihr Angebot noch kurz vor Abschluß des Kaufvertrages zurückziehen. Auch interessieren sie sich häufig nicht nur für ein, sondern für mehrere ähnliche Unternehmen gleichzeitig.

Zu den Investitionsmotiven vgl.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Institut für Weltwirtschaft: Gesamtwirtschaftliche und unternehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland. Zweiter Bericht. In: Wo- chenbericht des DIW, Nr. 24/1991 und in: Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 169. 21

Schaubild 4 — Einschätzungen ostdeutscher Industrieunternehmen im Besitz der Treuhandanstalt über den Stand ihrer Privatisierung nach Industriezweigen

Zahl der Unternehmen in vH 40 60 80 100

I Privatisierung 0 Es gibt D Es gibt keinkei e steht ernsthafte ernsthaften kurz bevor Interessenten Intressenten für den Kauf für den Kauf des Unter- des Untei— nehmens nehmens

Quelle: Befragung des DIW im Sommer 1991.

Besonders schwierig ist der Verkauf großer Unternehmen. Je größer sie sind, desto weniger rechnen sie mit einer alsbaldigen Privatisierung (Schaubild 5). Die in vielen Zweigen übermäßige Größe der ostdeutschen Industriebetriebe dürfte manche westliche Unternehmen vor einer Übernahme abhalten; die Produktionsstätten sind — gemessen an der Beschäftigtenzahl1 — im Schnitt in Ostdeutschland größer als in den alten Bundesländern (Tabelle 6). Die Treuhandanstalt betreibt deshalb in starkem Maße die Entflechtung von Unternehmen. Um den Niedergang der ostdeutschen Industrie aufzuhalten, will die Treuhandanstalt die Unterneh- men sanieren, die sie für sanierungsfähig hält. Fast alle befragten Unternehmen halten sich für sanierungs- fähig. Dieser Befund kontrastiert mit Einschätzungen der Treuhandanstalt, wonach 30 vH der Unterneh- men nicht sanierungsfähig sind. Ein nicht geringer Teil der Firmen — vor allem unter den großen — kann nur den Beschäftigungsstand nach der Sanierung beziffern, nicht aber den erforderlichen

Die durchschnittliche Beschäftigtenzahl ist nur ein sehr grober Indikator für die Größe der Betriebe; zuverlässige Angaben über die Größenstruktur der Unternehmen fehlen noch. Vgl. Handelsblatt vom 07.11.91. Wirtschaftszweigspezifische Angaben sind nicht zu erhalten; es ist aber unwahrscheinlich, daß Industriebetriebe häufiger sanierungsfähig sind als Unternehmen aus anderen Branchen. 22

Schaubild 5 — Einschätzungen ostdeutscher Industrieunternehmen im Besitz der Treuhandanstalt über den Stand ihrer Privatisierung nach Größenklassen

Unternehmen mit ... Beschäftigten 1

bis 49

50 bis 99

100 bis 199

200 bis 500

499 bis 999

1000 und mehr Zahl der Unternehmen in vH 60 80 100

I Privatisierung E2 Es gibt G Es gibt keine steht ernsthafte ernsthaften kurz bevor Interessenten Intressenten für den Kauf für den Kauf des Unter- des Untei— nehmens nehmens

1) Beschäftigte am 30. Juni 1991

Quelle: Befragung des DIW im Sommer 1991.

Investitionsaufwand. Das läßt darauf schließen, daß sie noch kein konkretes Sanierungskonzept erarbeitet haben. Grundlegend für die Sanierung ist die Erneuerung der Anlagen. Die Treuhand-Unternehmen rechnen — wie bereits berichtet1 — im Schnitt mit einem etwa halb so hohen Aufwand wie die inzwischen privatisierten Finnen. Wenn auch branchenspezifische Besonderheiten einen Teil des Unterschiedes erklären, so lassen die erheblichen Diskrepanzen nur den Schluß zu, daß die Treuhandfirmen den Sanierungsaufwand unterschätzen oder daß sie mit geringeren Lohnkosten kalkulieren. Träfen diese Einschätzungen zu, wären zur Sanierung der Treuhand-Unternehmen Investitionen in Höhe von nur 40 Mrd. DM erforderlich. Stellt man indes in Rechnung, daß —die veranschlagte Kapitalausstattung der privaten Unternehmen höher ist, —die Treuhand-Unternehmen weniger modern sind und —die ökologischen Altlasten vielfach noch nicht berücksichtigt sind,

Vgl.: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Institut für Weltwirtschaft: Gesamtwirtschaftliche und unter- nehmerische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland. Dritter Bericht, In: Wochenbericht des DIW, Nr. 39-40/1991 und in: Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 176. 23

Tabelle 6 — Beschäftigte je Betrieb im ostdeutscheii und im westdeutschen verarbeitenden Gewerbe

Verhältnis Ostdeutschland Gewerbezweig Ostdeutschland15 Westdeutschland0 zu Westdeutschland Grundstoff- und Produktions- 305 153 2,0 güter produzierendes Gewerbe darunter: Mineralölverarbeitung 1535 283 5,4 Gewinnung und Verarbei- tung von Steinen und Erden 127 45 2,8 Eisenschaffende Industrie 1666 1073 1,6 Gießereien 308 200 1,5 Chemische Industrie 532 368 1,4 Investitionsgüter produzie- rendes Gewerbe 334 198 1,7 darunter: Stahl- und Leichtmetallbau 336 115 2,9 Maschinenbau 324 173 1,9 Straßenfahrzeugbau 211 344 0,6 Elektrotechnik 412 259 1,6 Feinmechanik, Optik 735 112 6,6 Herstellung von Büroma- schinen, EDV 1638 431 3,8 Verbrauchsgüter produ- zierendes Gewerbe 155 109 1,4 darunter: Holzverarbeitung 88 93 0,9 Druckerei, Vervielfältigung 160 85 1,9 Textilgewerbe 231 141 1,6 Nahrungs- und Genußmittel produzierendes Gewerbe 119 111 1,1 Verarbeitendes Gewerbe 242 156 1,6 insgesamt "Betriebe (örtliche Einheiten) mit im allgemeinen 20 und mehr Beschäftigten im Juni 1991. — ''Einschließlich Berlin (Ost). — °Einschließlich Berlin (West). Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW.

muß mit einem Betrag in dreistelliger Milliardenhöhe gerechnet werden. In den Sanierungsplänen der ostdeutschen Betriebe spielen die Personaleinsparungen eine wichtige Rolle. Wie die hohe Zahl der Kurzarbeiter belegt, haben bisher viele Unternehmen versucht, Entlassungen so weit wie möglich zu vermeiden. Jetzt sind sie aber zum Personalabbau gezwungen. Die an der Befragung beteiligten Unternehmen wollten im zweiten Halbjahr 1991 ihren Personalstand um gut ein Drittel verringern. Nach Ende der Sanierungsmaßnahmen wollen sie über die Hälfte der Beschäftigten abgebaut haben. Rechnet man die Befragungsergebnisse auf die gesamte ostdeutsche Industrie hoch, so wären nach Abschluß der Sanierung nur noch 800 000 Personen beschäftigt; dabei sind Investitionen "auf der grünen Wiese" außer Acht gelassen. Will man dieses Beschäftigungsniveau erreichen, müßte — legt man westdeutsche Maßstäbe an — die abgesetzte Menge je Beschäftigten in der ostdeutschen Industrie verdoppelt werden. Die Rechnung sähe anders aus, wenn das Löhnniveau in Ostdeutschland niedriger wäre als in den alten Bundesländern, denn dann könnte mit einem geringeren Umsatz je Beschäftigten rentabel gewirtschaftet werden.

3. Zur Entflechtung der ostdeutschen Industrie

Die Entflechtung der ehemaligen Kombinate war eine wichtige Voraussetzung für die Herausbildung wettbewerbsfähiger Strukturen in Ostdeutschland. Sie begann mit der Umwandlung der Großunter- nehmen in Kapitalgesellschaften. Die Anteile an den Kapitalgesellschaften übernahm die Treuhandan- 24 stalt. Ein Teil etablierte sich als wirtschaftlich und rechtlich eigenständige Unternehmen. Ein anderer Teil bevorzugte das Verbleiben unter dem Dach einer Holding; ehemalige Kombinatsleitungen versuchten so, ihre "Hausmacht" zu behaupten. Nächste Schritte waren Aufsplittung und Ausgründungen von Sparten bzw. Geschäftsfeldern. Dadurch sollten Unternehmenseinheiten mit überschaubarem, eigenständigem Produktionsprofil entstehen. Aus- gründung beinhaltet die Herauslösung von Sparten oder Geschäftsfeldern und ihre Überführung in juristisch und wirtschaftlich selbständige Einheiten. Ziel ist die Konzentration der Geschäftstätigkeit auf einen Kernbereich und die Reduzierung der Fertigungstiefe. Schwerpunkte von Ausgründungen waren die Herauslösung der sozialen Dienste, der FuE-Aktivitäten, des Fuhrparks, der Reparatur- und Bauab- teilungen sowie sonstiger Dienstleistungen. Bei der Ausgründung bleibt der Kern des Stammunter- nehmens erhalten. Aufsplittung heißt indes die Zergliederung von Großunternehmen und die Überführung der neu gebildeten Einheiten in juristisch und wirtschaftlich selbständige Produktionsunternehmen, ohne daß bestimmte Funktionen ausgegliedert werden. Dieser Prozeß gestaltete sich äußerst schwierig. So wurden zunächst nicht selten ungezielt Unter- nehmensteile abgestoßen. Die abgestoßenen Betriebe gingen häufig in Liquidation, und für das Mutter- unternehmen verbesserte sich die Lage auch nicht immer, weil beispielsweise beim Ausgründen von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen innovatives Potential verloren ging. Später trat ein Wandel ein. In der Regel wurden Unternehmen erst dann ausgegründet, wenn für sie eine Marktchance gesehen wurde und/oder ihre Existenz durch Aufträge des alten Unternehmens gesichert wurde z.B. durch Serviceverträge, vorrangige Berücksichtigung bei Vergabe von Aufträgen oder Auftragsvermittlung. So ist beispielsweise in Verträgen eines Chemieunternehmens mit ausgegliederten produktionsnahen Dienstleistungsunternehmen eine Klausel enthalten, daß ein zusätzliches Angebot unterbreitet werden kann, wenn das erste Angebot ungünstiger als das von Mitbewerbern ist. Dieses muß mit dem zweitgün- stigsten Angebot konkurrieren. Damit wurde versucht, auf dem Grat zwischen "fürsorglicher Begleitung" und Wettbewerbsgleichheit zu balancieren. Vielfach gewährten die alten Unternehmen auch finanzielle Starthilfen, beispielsweise befristete Beteiligung an Lohnzahlungen oder Mietfreiheit, Übertragung oder Verpachtung von Gebäuden, Anla- gen, Maschinen zu günstigen Konditionen. Erfolgreiche Ausgründungen waren auch für andere Betriebs- teile ein Anreiz, sich selbständig zu machen. Nach einer Untersuchung des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung über die Aufsplittung in der ostdeutschen Industrie lassen sich im wesentlichen vier Typen bilden: —Ein großes Stammunternehmen mit einer größeren Anzahl zugeordneter mittlerer und kleiner Betriebe, die Zulieferer sind und das Sortiment ergänzen, will sich aufsplitten. Ein gegenseitiges Interesse an der Aufsplittung besteht in der Regel dann, wenn die auszugliedernden Betriebe über ein relativ breites Spektrum an Zuliefererzeugnissen verfügen. Probleme tauchen dort auf, wo es sich um spezialisierte, ausschließlich auf das Hauptunternehmen ausgerichtete Zulieferproduktionen handelt. Sie treten auch auf, wenn sich das ausgliedernde Unternehmen die Rosinen picken will. —Ein Großunternehmen mit an Großanlagen gebundener Produktion (wie in der Chemischen Indu- strie) will sich auf den Kernbereich seiner Produktion konzentrieren und die Betriebsteile, die auf Bau- und Instandsetzungsleistungen spezialisiert waren, ausgliedern. Es ergibt sich aber die Situa- tion, daß mittelfristig ein hoher Bedarf an Bau- und Instandsetzungs- bzw. Modernisierungs- leistungen von Unternehmen mit an Großanlagen gebundener Produktion zu erwarten ist. Um zu verhindern, daß spezielles, vor allem an Humankapital gebundenes Know-how auf diesem Gebiet verloren geht und längerfristig gesehen Engpässe entstehen, müssen Übergangslösungen gefunden werden. Vielfach wird die Ausgliederung von spezialisierten Bau- und Instandsetzungsunternehmen vorbereitet, ihr Vollzug jedoch bis zur Konsolidierung der entsprechenden Großunternehmen aus- gesetzt. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer aus den Bereichen der spezialisierten Bauproduktion und Instandsetzung befindet sich in Kurzarbeit. —Ein Großunternehmen, das in seinem Kern aus einem Zusammenschluß von größeren und mittleren Betrieben an unterschiedlichen Standorten mit weitgehend eigenständigem Produktionsprofil be- steht, will sich aufsplitten. In diesen Fällen stimmen die Interessen der beteiligten Betriebe weitge- hend überein. Hier ist die Entflechtung auch bereits gut vorangekommen. 25

Ein Großunternehmen, beispielsweise des Maschinenbaus, wird aufgesplittet, indem das Mutterunter- nehmen sich auf die Produktion von Großteilen konzentriert, während die Bereiche Härterei und mechanische Fertigung in Tochterunternehmen überführt werden. Diese Töchter können als Zulieferer oder Dienstleister auch für andere Unternehmen tätig werden. Einige Betriebe sehen nach wie vor im Verbleib unter dem Dach einer Holding günstigere Überleben- schancen. Allerdings erweisen sich die Holding-Gesellschaften zu einem erheblichen Teil gegenüber den "entflochtenen Unternehmen" als weniger anpassungsfähig. Ihre Privatisierungschancen sind geringer. Nach Auffassung der Treuhandanstalt ist noch die Hälfte der bestehenden Holdings zu entflechten.

4. Zur Entwicklung des ostdeutschen Werkzeugmaschinenbaus

Mitte 1991 gab es in Ostdeutschland rund 100 bis 110 werkzeugmaschinenproduzierende Betriebe. Die Beschäftigtenzahl sank von Ende 1989 bis Mitte 1991 um knapp 40 vH. Nach der Umfrage des DIW sollen bis zum Ende des Jahres 1991 nochmals 20 vH der Beschäftigten abgebaut werden. Auf mittlere Sicht rechnet die Branche mit 15 000 Beschäftigten. Die Befragung vermittelte kein eindeutiges Bild, ob und inwieweit die Anpassung an westliche Marktverhältnisse vorangekommen ist. Immerhin waren 85 vH der Werkzeugmaschinen-Hersteller der Auffassung, daß die Qualität ihrer Produkte den Marktanforderungen entspricht bzw. eine Produktver- besserung ohne größere Schwierigkeiten zu erreichen ist. In den weiterführenden Unternehmens- gesprächen wurde dies damit begründet, daß auch schon früher Werkzeugmaschinen in das westliche Ausland exportiert worden sind. Allerdings wurde der Export subventioniert. Wegen der technischen Rückständigkeit in der Steuerungstechnik wurden bei den ins westliche Ausland gelieferten Maschinen allerdings häufig westliche Steuerungselemente eingebaut. Die Einbindung von modernen Steuerungen wie auch von anderen Zulieferprodukten stellen nach Einschätzung der ostdeutschen Werkzeugm- aschinen-Hersteller somit kein größeres Problem dar. Trotz dieser Einschätzung ist der Absatz ostdeutscher Werkzeugmaschinen auf westlichen Märkten nur schleppend in Gang gekommen. Mehr als die Hälfte der beteiligten Werkzeugmaschinen-Produzenten begründet dies mit Befürchtungen der Kunden, daß die Zukunft des Unternehmens unbestimmt ist und Serviceleistungen nicht gewährleistet sind. Einige Anbieter in Treuhandbesitz versuchen, durch Preis- dumping renommierte Abnehmer zu gewinnen, etwa solche aus der Automobilbranche. Sämtliche an der DIW-Umfrage beteiligten Betriebe haben ihre Vertriebsaktivitäten im Westen verstärkt, hoffen aber auch darauf, wieder vermehrt in die Sowjetunion liefern zu können. Der Optimismus hinsichtlich des Osthan- dels gründet sich auf der Zufriedenheit der Abnehmer in der Vergangenheit und dem immensen Bedarf der sowjetischen Wirtschaft. Trotz der politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung in der Sowjetunion ist es einem Teil der Unternehmen gelungen, alte Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten oder neue aufzubauen. Die Hoffnung auf die Erholung des sowjetischen Marktes ist jedoch trügerisch. Zum einen ist kurzfristig ein Nachfrageschub wegen fehlender finanzieller Mittel in der sowj etischen Wirtschaft ohne westliche Fördermaßnahmen nicht in Sicht. Zum anderen wird sich im Zuge der Umwälzungen in der Sowjetunion dort ein Markt etablieren, der andere Anforderungen an die zu liefernden Werkzeugmaschi- nen stellt als diejenigen, die zu Zeiten der DDR aktuell waren. Erfolgreich werden ostdeutsche Werk- zeugmaschinenhersteller auf dem sowjetischen Markt künftig nur dann sein, wenn sie auch auf den westlichen Märkten konkurrenzfähig sind. Die Unternehmen des ostdeutschen Werkzeugmaschinenbaus messen der eigenen Forschung und Entwicklung große Bedeutung bei. Dennoch haben sie in erheblichem Maße Konstruktions- und FuE-Po- tential abgebaut. Der teilweise drastische Abbau des FuE-Personals hat seine Ursache offensichtlich auch in personeller Übersetzung. Bei den befragten Unternehmen wird die Ausgliederung von Betriebsteilen Ende 1991 weitestgehend abgeschlossen sein. In den Treuhandbetrieben sind Rationalisierungspotentiale groß, entsprechende Konzepte werden derzeit erarbeitet, ihre Umsetzung steht allerdings noch aus. Im Gegensatz dazu sind die Betriebe in Privatbesitz im Anpassungsprozeß schon weiter vorangekommen. Von den rund 40 Werkzeugmaschinenherstellern, die einst in den Zuständigkeitsbereich der Abteilung Werkzeugmaschinenbau der Treuhandanstalt fielen, ist ein Drittel privatisiert. Die Investoren hatten 26

Interesse an der Erweiterung ihrer Produktionskapazitäten, an der qualifizierten Facharbeiterschaft sowie an günstigen Lohnkosten gehabt. Das haben Gespräche mit der Treuhandanstalt, dem Verband deutscher Werkzeugmaschinenhersteller sowie den Investoren selbst ergeben. Gegenwärtig tut sich allerdings die Treuhandanstalt aufgrund der schleppend verlaufenden Konjunktur im Werkzeugmaschinenbau mit der Veräußerung weiterer Betriebe schwer. Um den Verkauf anzukurbeln, sollen folgende Wege eingeschla- gen werden: —Gruppierung technologisch zusammenhängender Unternehmen mit dem Ziel, ganze Unternehmens- gruppen für die Erstellung kompletter Fertigungsanlagen anbieten zu können; —forcierte Werbung bei ausländischen Interessenten, insbesondere aus Italien, Japan und USA; —Ansprache branchenfremder, aber am Facharbeiterstamm interessierter Unternehmen aus West- deuschland und dem westlichen Ausland. Andere Formen einer Übernahme — Management-buy-out oder Employee-buy-out — werden nur in Ausnahmefällen für eine Option gehalten. Der hohe Kapitaleinsatz, der hier notwendig ist, kann in der Regel von den Interessenten aus Management und Belegschaft nicht finanziert werden. Für's erste hat sich die Treuhandanstalt zu folgender Vorgehensweise entschlossen: Diejenigen Betriebe, von denen sie glaubt, daß sie mittelfristig privatisiert werden können, werden "begleitend saniert". In solchen Fällen versorgt die Treuhandanstalt die Betriebe mit Liquidität, berät das Management — und wartet ab. Unter "aktiver Sanierung" werden jene Betriebe geführt, von denen sie annimmt, daß sie auch auf lange Sicht nicht privatisiert werden können. Dabei wird die Treuhandanstalt selbst unternehmerisch tätig. Liquida- tionen sind keine geplant.

V. Bauwirtschaft

Nimmt man die Entwicklung der Baunachfrage zum Maßstab, hat die ostdeutsche Bauwirtschaft die Talsohle längst durchschritten. Der öffentliche Bau expandierte im Jahresverlauf exorbitant. Sein Anteil am gesamten Auftragseingang des Bauhauptgewerbes vergrößerte sich von knapp einem Drittel auf über die Hälfte. Auch im Wirtschaftsbau kam es zu einem deutlichen Anstieg; er dürfte überwiegend auf Investitionen westdeutscher Unternehmen zurückzuführen sein. Im Wohnungsbau hat sich die Nachfrage auf sehr niedrigem Niveau stabilisiert, größere Zuwächse sind nicht zu erwarten: Im Eigenheimbau üben Zins- und Baupreisentwicklung, das niedrige Einkommensniveau der privaten Haushalte und die Arbeits- platzunsicherheit dämpfende Einflüsse aus. Im Mietwohnungsbau hemmen die bekannten Gründe — ungelöste Eigentumsverhältnisse, fehlende Bauplanung etc. — die Entwicklung im Neubau, für die Instandsetzung und Modernisierungsmaßnahmen ist die Rendite Investoren noch viel zu gering. Der Nachfrageanstieg wird erst zeitverzögert produktionswirksam. Insgesamt war das Niveau der Bautätigkeit im Bauhauptgewerbe bis August noch relativ niedrig. Bis dahin ist es nur im öffentlichen Bau —jedenfalls gemessen an den geleisteten Arbeitsstunden — zu verstärkten Aktivitäten gekommen. Im Ausbaugewerbe war die Situation bereits günstiger, insbesondere deshalb, weil die diversen staatlichen Förderungsmaßnahmen sehr schnell gegriffen haben. Mittlerweile dürfte aber auch die Produktionstätig- keit im Bauhauptgewerbe an Fahrt gewonnen haben. Die relativ günstige Entwicklung in der Bauwirtschaft ist zum größten Teil auf das Verhalten von Gebietskörperschaften, Bahn und Telekom zurückzuführen. Von dieser Nachfrage — das Investitions- volumen wird für 1991 auf 23 Mrd. DM und für 1992 auf über 30 Mrd. DM geschätzt — profitiert aber nicht nur die Bauwirtschaft, sondern es profitieren auch vor- und nachgelagerte Wirtschaftsbereiche. Anhaltspunkte über das Ausmaß solcher Wirkungen können anhand von Input-Output-Tabellen gewonnen werden; sie liefern Informationen über Produktionsstruktur und Vorleistungsverflechtung einer Volkswirtschaft. Für Ostdeutschland gibt es noch keine Input-Output-Tabelle. Infolge der raschen Anpassung an marktwirtschaftliche Bedingungen kann in diesen Bereichen von ähnlichen Ver- flechtungsstrukturen wie in Westdeutschland ausgegangen werden. Nicht ohne weiteres möglich sind Aussagen darüber, wieviel der Nachfrage in Ost- und wieviel der Nachfrage in Westdeutschland produktionswirksam werden. Befragungen von Unternehmen der Bauwirtschaft in Ostdeutschland am 27

Jahresanfang 1991 haben ergeben, daß teilweise weit über die Hälfte der Vorleistungen von westdeutschen Lieferanten bezogen wurden, weil diese Unternehmen kostengünstiger anbieten und sich flexibler auf Kundenwünsche einstellen konnten. Inzwischen haben sich die ostdeutschen Unternehmen schon besser den neuen Gegebenheiten angepaßt, auch haben sich westdeutsche Lieferanten und Baustoffhändler — teilweise in Kooperation mit ostdeutschen Unternehmen — in Ostdeutschland niedergelassen. Rund drei Viertel der Investitionsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sind Bauinvestitionen. Damit diese Baunachfrage befriedigt werden kann, muß die Bauwirtschaft — unterstellt man westdeut- sche Verflechtungsstrukturen — mehr als 40 vH der Auftragssumme für den Kauf von Vorleistungen verwenden. Die Nachfrage des Bauhauptgewerbes nach Vorleistungen konzentriert sich auf relativ wenige Wirtschaftszweige, vor allem auf die Bereiche Steine und Erden, Eisen und Stahl, Verkehr, Handel und Dienstleistungen (Tabelle 7). Die Vorleistungskäufe des Ausbaugewerbes sind etwas breiter gestreut, hier spielen Industriezweige wie Holzverarbeitung, Elektrotechnik, EBM- Waren oder chemische Erzeug- nisse noch eine größere Rolle. Auch die Nachfrage der Eisenbahn nach Investitionsgütern trifft in erster Linie die Bauwirtschaft, die fast 45 vH der Nachfrage befriedigt; entsprechend hoch ist auch der Anteil des Wirtschaftszweiges Steine und Erden. Ins Gewicht fallen noch die Eisen- und Stahlerzeugung, Handel und Verkehr sowie die Dienstleistungen. Von der Investitionstätigkeit der Telekom profitiert vor allem die eletrotechnische Industrie. Hier entfällt gut ein Zehntel der Nachfrage auf die Bauwirtschaft. Der Nachfrageschub hat noch nicht zu einem Aufbau der Beschäftigung in der Bauwirtschaft geführt. Zwar ist die Kurzarbeit fast vollständig abgebaut worden, doch ist die Zahl der Beschäftigten insgesamt weiter gesunken; dem Beschäftigungsrückgang in den Betrieben des Bauhauptgewerbes mit mehr als 20 Beschäftigten — seit Jahresbeginn um etwa 10 000 — steht eine Beschäftigungszunahme im Ausbauge- werbe um 3 500 Personen gegenüber. Dabei veränderte sich auch die Beschäftigtenstruktur. Der Anteil der gewerblichen Arbeitnehmer an der Gesamtbeschäftigung nahm gegenüber früher deutlich zu und liegt nunmehr sowohl im Bauhaupt- wie auch im Ausbaugewerbe bei über 80 vH. Die Relation von Arbeitern zu Angestellten hat sich inzwischen fast den westdeutschen Verhältnissen angepaßt. Die Ausbildungs- quote ist in Ostdeutschland ebenso hoch wie in den alten Bundesländern; hier wie dort kommen auf 100 Facharbeiter 12 Lehrlinge.

Tabelle 7 — Produktionswirkungen der öffentlichen Investitionen nach Wirtschaftszweigen (Der End- nachfrage zugerechnete Bruttoproduktion in vH; Ergebnisse einer Modellrechnung für Westdeutschland)

Nachfrage des Staates nach Leistungen des Leistungen des Investitionen uer invcMiLiuiicn ucr Telekom Bauhauptgewerbes Ausbaugewerbes Eisenbahn Energie- und Wasserversorgung, Bergbau 2,0 1,5 2,3 2,1 Chemische Industrie, Mineralölverarbei- tung, Herstellung von Kunststoffwaren, Gummiverarbeitung 3,2 6,4 3,1 4,8 Steine und Erden 10,6 1,6 8,1 2,1 Eisen und Stahl 4,6 4,5 15,4 5,6 Straßenfahrzeugbau 0,3 0,2 2,8 0,8 Elektrotechnik 0,7 2,6 2,0 44,0 Holz- und Papierverarbeitung 1,3 4,6 1,2 1,1 Bauhauptgewerbe 57,8 0,1 43,5 10,5 Ausbaugewerbe 0,1 58,0 0,2 1.1 Handel 3,5 3,6 3,6 3,1 Verkehr, Nachrichtenübermittlung 3,0 2,6 2,8 11,3 Dienstleistungsunternehmen 10,6 7,9 10,3 9,0 Sonstige 2,3 6,4 4,7 4,5 Alle Wirtschaftsbereichea 100,0 100,0 100,0 100,0 aAbweichungen in den Summen durch Runden. Quelle: DIW. 28

Schaubild 6 — Entflechtung des Metalleichtbaukombinats

Ehem. Werk/Werkteil des VEB Metalleicht- Mitteldeutsche INDUSTRIEANLAGEN- baukombinats UND STAHLBAU GmbH

Metalleictubau Leipzig Industriestahlbau Leipzig GmbH

Industrieanlagen- und Stahlbau MLK BT Forschung, Leipzig Service GmbH Leipzig

Leipziger Stahlbau-Handelsgesell- MLK Kombinatsleilung Leipzig schaft mbH

Ingenieurbüro für Bau- und Be- MLK Ingenieurbüro Leipzig triebsplanung Leipzig

Lausitzer Stahlbau GmbH Ruh- land Metalleichtbau Ruhland STAKOM Stahl- und Komplettbau GmbH Hosena

Magdeburger Suhlbau GmbH

Stahl- und Raumzellenbau GmbH Metalleichtbau Magdeburg Brandenburg

Stahlbau Parey GmbH

Metalleichtbau Niesky Stahlbau Niesky GmbH

Einen Anhaltspunkt für die Intensität des Anpassungsprozesses liefert auch die Entwicklung der Zahl der Betriebe. Im Bauhauptgewerbe ist sie seit Jahresbeginn um 300 auf annähernd 2 000, im Ausbauge- werbe um 170 auf etwa 1 000 angewachsen. Diese Zunahme kam vor allem durch Aufsplittung und Ausgründung zustande. So wurden vielfach komplette Betriebsteile mit einem speziellen Leistungsprofil aus den zentral-, bezirks- oder kreisgeleiteten Kombinaten herausgelöst. Zum Teil sind sie privatisiert worden, zum Teil befinden sie sich noch im Besitz der Treuhandanstalt. Die Entflechtung läßt sich exemplarisch anhand der Entwicklung des ehemaligen VEB Metalleicht- baukombinat darstellen, das eines von 12 zentralgeleiteten Kombinaten war und ein Monopol im Stahlbau besaß. Das Kombinat bestand aus 12 wirtschaftlich selbständigen Einheiten, die an verschiedenen Standorten angesiedelt waren; insgesamt waren in dem Kombinat 20 000 Personen beschäftigt. Von diesen Zweigwerken sind vier Betriebe — Leipzig, Ruhland, Magdeburg, Niesky — in die "Mittel- deutsche Industrieanlagen- und Stahlbau GmbH" überführt worden (Schaubild 6). Teilweise wurden auch Werkteile herausgelöst und in neue, selbständige Unternehmen überführt (wie Metalleichtbau Blanken- burg oder Ruhland-Betriebsteil Großräschen). Die Firmenleitung der Muttergesellschaft hat sich aus der ehemaligen Kombinatsleitung rekrutiert, und aus der Forschungsabteilung und dem Ingenieurbüro sind eigenständige Töchterfirmen entstanden. Das gesamte Unternehmen untersteht der Zentrale der Treu- handanstalt und soll alsbald verkauft werden. Die Zahl der Beschäftigten wurde drastisch — um 40 vH — gesenkt; ein weiterer Personalabbau ist geplant. Die anderen ehemaligen Werke oder Betriebsteile des Metalleichtbaukombinats agieren inzwischen als selbständige Unternehmen, zumeist als GmbH. Ein Teil 29

Schaubild 7 — Entflechtung des Metalleichtbaukombinats

Ehem. Werk/Werkteil des VBB Metalleicht- Zugehörigkeit/Eigen)liumsverhSltoisse : Jetzige Bezeichnung baukombinats : : (Stand: 05.11.91)

Metalleichtbau Berlin B-Suhlbau GmbH Berlin Treuhandanstalt

Metalleichtbau Blankenburg Blankenburger Metallbau GmbH Treuhandanstalt

Kraftwerk und Stahlbau noch Treuhand- Metalleichtbau Calbe SPVE GmbH Stahlbau, Porenbeton, Verzinkung, Energie anstalt

Metalleichtbau Dresden Metalleichtbau Dresden GmbH MBM Metallbau Möckmuhl GmbH

- Verzinkerei Dresdner Feuerverzinkungs-GmbH Wirtz GmbH u. Co Gelsenkirchen

BT Börnewitz ALHO-Systembau GmbH Albert Holschbach GmbH Morsbach

Metalleichtbau Plauen Stahlbau Plauen GmbH Lentjes Aktiengesellschaft Düsseldorf

- Feuervcrzinkung und Genistbau Hühnebeck RöRo GmbH Ratingen - Gitterrostbau

BT Zwickau Eberspächer Glasdachbau Eberspächer Esslingen

BT Falkenstein Stahlbau Seidel Privat

(- Konstruktionsbüro) (Goldbeckbau GmbH)

Metalleichtbau Projektierungsbetr. Plauen SIGMA PLAN Interdisziplinäre Bauplanung GmbH

- früherer MLB Bereich Architekten und Ingenieurbüro Engerbär und Partner

- früherer Stahlhochbau Wolf und Partner Ing.-Büro für Tragwerk- splanung

MLK Werk Frankfurt/Oder Stahlleichtbau GmbH Frankfurt/Oder Privat (MBO)

Metalleichtbau Ruhland BT Großräschen Niederlausitzer Stahl- und Maschinenbau Plettac GmbH, Plettenberg GmbH (STAMA)

Metalleichtbau Halle Hallesche Metall- und Stahlbau GmbH Treuhandanstalt (HAMESTA)

MLK Werk Korr. Schwarzheide Korrosionsschutz Schwarzheide GmbH

IMO Leipzig Industriemontagen Leipzig Treuhandanstalt 30 von ihnen ist privatisiert worden — teilweise durch Verkauf an westdeutsche Unternehmen, teilweise indem die Belegschaften Anteile erworben haben (Schaubild 7). In der gesamten Bauwirtschaft sind inzwischen von den der Zentrale der Treuhandanstalt zugeordneten Betrieben — also den größeren Unternehmen — erst 10 vH privatisiert worden. Die Filialen der Treuhandanstalt haben erst 17 vH ihrer Baubetriebe veräußern können. Eine Erklärung für die geringe Privatisierungsquote dürfte sein, daß vor allem westdeutsche Bauunternehmen in Ostdeutschland Nieder- lassungen gründen. Setzt man die Zahl der Beschäftigten in Relation zu der Zahl der Betriebe, so zeigt sich, daß in einem ostdeutschen Baubetrieb im Durchschnitt zur Zeit noch mehr als doppelt so viele Beschäftigte (139) tätig sind wie in Westdeutschland (62). Das Bild wird noch in sehr starkem Maße von Großbetrieben geprägt. Aktuelle Zahlen über die Größenstruktur liegen für Berlin vor. Danach entfallen in Ost-Berlin auf die Betriebe mit 500 und mehr Beschäftigten knapp 50 vH der Arbeitskräfte des Bauhauptgewerbes, in West-Berlin beträgt der Anteil 5 vH. Die Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten stellen hier 45 vH aller Erwerbstätigen, in Ost-Berlin aber nur 12 vH.1

VI. Dienstleistungen

Der Dienstleistungssektor hat — anders als die Bauwirtschaft — bislang nicht die Rolle eines Schrittma- chers für den "Aufschwung Ost" spielen können. Produktion und Beschäftigung in diesem Sektor sind —nach den vorliegenden Informationen zu urteilen — insgesamt noch immer leicht rückläufig. Dennoch ist die Wende zum Besseren in Sicht: —Auf der Angebotsseite ist der Umstrukturierungsprozeß voll im Gange. Die Privatisierung ist bis auf wenige Bereiche abgeschlossen; von den rund 1,8 Mill. Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor sind nur noch schätzungsweise 200 000 in Betrieben tätig, die der Treuhandanstalt gehören, Ende 1990 waren es noch doppelt so viele (Tabelle 8). Zudem sind zahlreiche neue Unternehmen entstanden, weit mehr sogar als liquidiert worden sind. Inzwischen dürfte es im ostdeutschen Dienstleistungssektor (einschließlich Produzierendes Handwerk) schon etwa 300 000 selbständige Existenzen geben, verglichen mit nicht einmal 100 000 vor der Wende. —Auch auf der Nachfrageseite gibt es Anzeichen der Besserung: Unternehmensbezogene Dienstlei- stungen werden stärker nachgefragt und auch die konsumnahen Dienstleistungen dürften leicht zunehmen, weil die Realeinkommen der privaten Haushalte — im Durchschnitt — steigen. Derzeit dürfte der Dienstleistungssektor (ohne Staat) reichlich ein Drittel zur Bruttowertschöpf ung der ostdeutschen Wirtschaft beitragen, in der früheren DDR war es nicht einmal ein Viertel. Freilich befindet sich der Dienstleistungssektor in den neuen Bundesländern mitten im Umbruch: Alte Strukturen lösen sich auf und neue bilden sich heraus, wobei jedoch auch die neuen Strukturen teilweise nur einen Zwischenschritt markieren. So entwickelt sich in den ostdeutschen Städten derzeit vor allem aus baulichen Gründen eine Einzelhandelslandschaft heraus, die an die Westdeutschlands in den fünfziger und sechziger Jahren erinnert, mit zu kleinen Verkaufsflächen und einem unattraktiven Umfeld. Riesige Verbraucher- märkte, die außerhalb der Stadtgrenzen auf der grünen Wiese entstehen, machen den vielen kleinen Einzelhandelsgeschäften das Leben schwer. Ein scharfer Verdrängungswettbewerb ist auch in anderen Bereichen spürbar, so im Verkehrsgewerbe und in Teilen des Handwerks. Der Druck des Wettbewerbs zeigt sich nicht zuletzt im anhaltenden Personalabbau. Nach den vorlie- genden Informationen sind seit Ende 1989 bei den Dienstleistungsunternehmen fast 400 000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Wie fast überall gab es und gibt es dort teilweise noch immer zuviel Personal. Es wird

l Statistisches Landesamt Berlin, Ergebnisse der Totalerhebung im Bauhauptgewerbe von Juni 1991. Es handelt sich dabei ganz überwiegend um Beschäftigte im Großhandel, im Verkehrsgewerbe, im Beher- bergungsgewerbe und in einigen kleinen Dienstleistungsbereichen. 31

Tabelle 8 — Zahl der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor (in 1 000)

Bereiche 31.12.1989 31.12.1990 30.09.1991 Handel 730 600 480 datunter: Treuhandunternehmen - 190 70 Großhandel 470 200 170 Einzelhandel 670 400 310 Verkehr und Nachrichtenübermittlung 670 590 500 darunter: Treuhandunternehmen - 105 65 Eisenbahnen 270 243 222 Schiffahrt, Wasserstraßen, Häfen 34 28 20 Postdienste 138 128 117 Sonstiger Verkehr 228 191 141 Sonstige Dienstleistungsunternehmen 810 820 840 darunter: Treuhandunternehmen - 130 70 Kreditinstitute 38 52 53 Versi cherungsunternehmen 12 19 27 Gastgewerbea 200 150 160 Dienstleistungshandwerk 70 80 83 Sonstige Bereiche 510 499 496

Alle Bereiche 2 210 2010 1820 Nachrichtlich: Staatb 2 285 1895 1550 aOhne Beherbergungsbetriebe. — Ohne Personen im Wartestand. Quelle: Statistisches Amt der DDR; Statistisches Bundesamt; Treuhandanstalt; IAB; Schätzungen des DIW und des IfW. noch einige Zeit vergehen, bis die Dienstleistungsunternehmen die Rolle des Arbeitsplatzbeschaffers spielen können, die ihnen langfristig zukommt. Noch immer ist es nicht möglich, ein vollständiges Gesamtbild der Anpassungsprozesse im Dienst- leistungssektor zu zeichnen. Im folgenden wird die Situation in denjenigen Bereichen skizziert, in denen das Informationsmaterial dazu ausreicht.

1. Handel

Einzelhandel Die wirtschaftliche Situation im ostdeutschen Einzelhandel ist nach wie vor nicht rosig. Die schlechte gesamtwirtschaftliche Lage dämpft weiterhin die Kaufbereitschaft. Die Umsätze stagnieren — trotz steigender Realeinkommen. Dennoch ist auf mittlere Sicht mit einer günstigen Entwicklung im ostdeut- schen Einzelhandel zu rechnen. Der Ausbau der bestehenden und der Aufbau neuer Ladennetze schreitet rasch voran, so daß gegenwärtig die Ausweitung des Angebots der Entwicklung der Nachfrage vorauseilt. Veränderungen des Ladennetzes prägen die Anpassungsprozesse im ostdeutschen Einzelhandel. Im Vergleich zur Netzstruktur in Westdeutschland gab es große Unterschiede (Tabelle 9). Der Anpassungs- prozeß wird demzufolge durch den Abbau der Defizite — zu wenig Verkaufsfläche insgesamt, zu kleine Verkaufsstellen, mangelnde Betriebstypenvielfalt — bestimmt.

Tabelle 9 — Merkmale der Netzstruktur im Einzelhandel von BRD und DDR 1988

Merkmal Einheit DDR BRD Verkaufsfläche je 1000 Einwohner m2 302 1141 Verkaufsfläche je Verkaufsstelle m2 66 194 Anteil der Verkaufsstellen unter 100 m2 vH 91,9 68,2 Anteil der Verkaufsflächen über 400 m2 vH 0,9 8,7 Quelle: Forschungsstelle für den Handel, Berlin. 32

Dabei zeichnen sich folgende Grundlinien ab: —Kleinflächige Verkaufsstellen werden weiterhin wegen mangelnder Rentabilität geschlossen. Eine Prognose des Marktforschungsinstituts Nielsen für den Lebensmitteleinzelhandel in den neuen Bundesländern geht davon aus, daß der Anteil von Läden mit einer Verkaufsfläche von weniger als 400 qm an der Gesamtzahl der Verkaufsstellen von heute 92 vH auf 78 vH im Jahre 2 000 zurückgehen wird. —Weitergeführte Läden müssen mit erheblichem finanziellen Aufwand modernisiert werden; ande- renfalls werden sie dem zunehmenden Wettbewerb langfristig nicht gewachsen sein. —In erheblichem Umfang werden größere Verkaufsflächen geschaffen. Als Folge ungeklärter Eigen- tumsverhältnisse und aus anderen Gründen werden diese neuen Läden bevorzugt im Umland größerer Städte, nicht aber in den Zentren selbst gebaut werden. —Der Boom bei den fliegenden Händlern und beim Versandhandel läßt in dicht besiedelten Regionen allmählich nach. In dünn besiedelten, ländlichen Gegenden allerdings wird die Bedeutung mobiler Händler als Folge der Schließung kleiner, unrentabler Läden noch zunehmen. —Provisorische Verkaufsstellen wie Zelte, Container etc. weichen immer mehr stationären Ladenlo- kalen. Eine Reihe neuer, insbesondere discounterorientierter Betriebstypen ist im Entstehen. —Großflächige Betriebsformen des Einzelhandels wie Verbrauchermärkte, Einkaufszentren, SB-Cen- ter und SB-Warenhäuser bleiben im Aufwind. Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), Nürnberg, betrieben im Juni 1991 bereits zahlreiche Unternehmen Verbrauchermärkte und SB-Warenhäuser in Ostdeutschland (Tabelle 10).

Tabelle 10 — Verbrauchermärkte in den neuen Bundesländern (Stand: Juni 1991)

Unternehmen Zahl Verkaufsfläche (m2) Massa 42 120 000 Allkauf 18 100 000 Lidl & Schwarz 18 100 000 Kaiser's 38 50 000 Spar Nordost 31 40 000 Rewe Bad Homburg 17 30 000 Konsum Berlin 18 25 000 Quelle: GFK Nürnberg.

Im Zuge dieser Anpassungsprozesse wird auch weiterhin Personal stark abgebaut. Bei den Konsum- genossenschaften stehen in den kommenden Monaten abermals Entlassungen an. Auch die westdeutschen Ladenketten, die bei der HO-Privatisierung eine größere Anzahl von Läden übernommen haben, werden sich im Rahmen der Netzkonsolidierung — insbesondere durch die Schließung kleinflächiger Läden — von überzähligem Personal trennen.

Großhandel Die wirtschaftliche Lage des ehemaligen staatlichen Großhandels bleibt schwierig. Umsatz und Beschäf- tigung sind stark rückläufig. Eine Wende zum Besseren ist nicht in Sicht. Marktchancen bestehen zur Zeit allenfalls in Nischen, und auch dies oft nur in regionaler Hinsicht. Für diese Misere gibt es eine ganze Reihe von Gründen: wohl wichtigste ist die dominierende Rolle westdeutscher Großhandelsunternehmen in Ost- deutschland. Dies hängt mit den andersartigen Aufgaben zusammen, die der Großhandel in der früheren DDR wahrnahm. Viele Funktionen, die ein Großhandelsbetrieb erfüllen muß, um im Wettbewerb bestehen zu können, waren dort gänzlich unbekannt. Insbesondere Serviceleistungen aller Art gab es kaum. Der zuvor ausschließlich an Produktionskapazitäten der Lieferanten und nicht am Kundenbedarf ausgerichtete ostdeutsche Großhandel muß also zunächst einmal seine Strukturen grundlegend verändern, um wettbewerbsfähig zu werden. 33

—Ein zweiter Grund liegt in den anhaltend starken Umstellungsprozessen in den vorgelagerten Wirtschaftsbereichen. Viele der ehemals bestehenden Beziehungen zur ostdeutschen Industrie sind zusammengebrochen oder werden durch die Probleme der ostdeutschen Produzenten in Mitleiden- schaft gezogen. —Ein dritter Grund liegt in den Veränderungen der nachgelagerten Wirtschaftsbereiche. Insbesondere die Einzelhandelsstrukturen haben sich gewandelt. Der ehemals staatliche Einzelhandel ist weitge- hend in der Hand westdeutscher Handelsketten, die den Bezug ihrer Waren selbst organisieren. —Ein vierter Grund schließlich ist, daß die Aufgabe der speziellen Außenhandelsfirmen in der ehemaligen DDR, den überwiegenden Teil des Außenhandels abzuwickeln, nun entfallen ist. Ein großer Teil dieser Firmen ist schon liquidiert worden.

2. Verkehr und Nachrichtenübermittlung

Post- und Fernmeldedienste Einer der wenigen Wirtschaftsbereiche, in denen die Nachfrage seit Beginn der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion kräftig expandiert, ist das Post- und Fernmeldewesen. Es gibt allerdings beträchtliche Probleme auf der Angebotsseite: Die Kapazitäten reichen in den meisten Bereichen nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Im Fernsprechverkehr ist es gelungen, die Anzahl der Telefonverbindungen zwischen Ost und West von rund 6 600 zu Beginn dieses Jahres auf nun rund 32 000 zu erhöhen. Nach Angaben der Telekom wird diese Kapazität von den Kunden derzeit nicht voll genutzt. Dennoch kommt es noch immer im Verkehr mit bestimmten Regionen zu Netzblockaden. Ein weiterer Kapazitätsausbau ist aber auch deshalb geboten, weil die Nachfrage nach Ost-West-Verbindungen mit dem Ausbau des Telefonnetzes innerhalb Ostdeutschlands zunehmen wird. Beim Telefonverkehr innerhalb Ostdeutschlands hat sich die Situation im Vergleich zu früher nicht grundlegend verbessert. Sowohl der Verbindungsaufbau als auch die Qualität der Verbindungen sind unzureichend. Es ist derzeit leichter, zwischen Ostdeutschland und Westdeutsch- land zu telefonieren, als innerhalb Ostdeutschlands. Diese Situation kann sich nur bessern, wenn der Ausbau des "Overlay"-Netzes rasch vorankommt. Die Anzahl der Neuanschlüsse, die von der Telekom in Ostdeutschland verlegt worden sind, beläuft sich mittlerweile auf über 300 000. Das Unternehmen geht davon aus, daß es das Ziel, bis Ende dieses Jahres 500 000 Neuanschlüsse zu verlegen, erreichen kann. Das alles ist freilich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nach Auskunft des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation gab es am 30.09.1991 noch 2 Millionen unerledigte Anträge auf einen Telefonanschluß, darunter 277 000 von Gewerbetreibenden. Im Bereich des Postdienstes zog die Nachfrage kräftig an: Seit Oktober 1990 hat sich das Briefauf- kommen verfünffacht, das Paketaufkommen vervierfacht und das Aufkommen von Päckchen gar verzehn- facht. Zu schaffen macht der Post vor allem der Boom im Stückgutbereich. Er ist insbesondere auf die starke Zunahme des Versandhandels zurückzuführen. Trotz der Verbesserung der ostdeutschen Einzel- handelsstruktur ist das Gewicht des Versandhandels nicht — wie erwartet — zurückgegangen. Dem immensen Anstieg des Brief- und Paketaufkommens war die Post mit den veralteten Anlagen zunächst nicht gewachsen. Allenthalben kam es zu erheblichen Transportstaus. Inzwischen hat sich die Situation zumindest in Teilbereichen gebessert. Durch den Anschluß der meisten ostdeutschen Länder an das westdeutsche Nachtflugnetz ist es nach Angaben des Postdienstes gelungen, im Ost-West-Briefverkehr Laufzeiten von ein bis zwei Tagen zu realisieren. Verkürzt hätten sich die Brieflaufzeiten auch zwischen ostdeutschen Großstädten. Nach den Erfahrungen ostdeutscher Postbenutzer dagegen sind Laufzeiten von ein bis zwei Wochen keineswegs die Ausnahme. Schwierig- keiten gibt es weiterhin im Postverkehr zwischen kleineren Gemeinden. Kritiker des Postdienstes weisen darauf hin, daß bei der Übernahme durch die Bundespost funktionierende Organisationsstrukturen vorschnell abgebaut worden sind, ohne daß dafür angemessener Ersatz geschaffen worden wäre. Der Postdienst ist derzeit bemüht, die Engpässe durch die Errichtung neuer Gebäude und Abfertigungsanlagen zu beseitigen. So sollen von den bundesweit geplanten 33 Frachtzentren 8 in den neuen Bundesländern errichtet werden. Die Modernisierung des ostdeutschen Postnetzes wird nach Angaben des Postdienstes noch ein bis zwei Jahre beanspruchen. 34

Die Personalentwicklung bei Telekom und Postdienst verläuft unterschiedlich. Der von der Telekom übernommene Personalbestand in Höhe von 42 000 wurde geringfügig aufgestockt. Für die nächsten Jahre plant die Telekom weitere Neueinstellungen. Der Postdienst dagegen hat von den ursprünglich 75 000 Arbeitsplätzen 5 000 abgebaut. Geplant ist die Einsparung weiterer 8 000 Stellen. Der Postdienst be- gründet dies mit der Notwendigkeit zur weiteren Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die Engpässe im Postvertrieb sind danach in erster Linie durch die mangelhafte Ausstattung mit Anlagen und Gebäuden verursacht und nicht durch einen zu geringen Personalbestand.

Verkehrsgewerbe Die Anpassungsprozesse im Verkehrsgewerbe sind durch das drastische Schrumpfen des Verkehrsauf- kommens, starken Veränderungen in der Aufteilung auf die Verkehrsträger sowie Richtungsänderungen der Transportströme gekennzeichnet. Das gilt sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr. Im Personenverkehr zeichnete sich bereits im letzten Jahr eine deutliche Verschiebung zum Individual ver- kehr ab, der als einziger Bereich im Personenverkehr ein Plus aufwies. Im Güterverkehr änderte sich dagegen die Struktur des Aufkommens der Gütertransportleistung im vergangenen Jahr kaum (Schaubild 8). Die erwartete Umorientierung weg von der Schiene und hin zu Straße und Binnenschiffahrt blieb zunächst aus. Der Straßengüterverkehr verlor sogar geringfügig Transportanteile. Erst in diesem Jahr kam es nach Angaben des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung zu einer starken Verlagerung des Gü- teraufkommens auf die Straße. Schaubild 8 — Struktur des Aufkommens der Gütertransportleistung in den neuen Bundesländern 1989 bis 1991

20

1989 1990 1991 1990 Ostdeutschland Ostdeutschland(a) •"" Ostdeutschland WMIdautielilind Hl Eisenbahnen Straßengüterverkehr L-.'.J Rohrleitungen Binnenschiffahrt

(a) Schätzung

Quelle: ifo-Institut. 35

-Straßengüterfernverkehr Im Straßengüterfernverkehr sank das Transportleistungsaufkommen bei ostdeutschen Unternehmen im vergangenen Jahr um rund ein Drittel. Für dieses Jahr rechnet das ifo-Institut damit, daß das Niveau des Jahres 1989 bereits wieder deutlich überschritten wird. Das Beförderungsvolumen im West-Ost-Verkehr stieg 1990 um 770 vH und im Ost-West- Verkehr um 44 vH. Das ifo-Institut rechnet für dieses Jahr mit einem weiteren Zuwachs des Verkehrs von West nach Ost um 44 vH und für den Verkehr von Ost nach West mit einem Rückgang um 16 vH. Der Rückgang des Produktionsvolumens hat die ostdeutschen Gütertransportunternehmen schwer getroffen. Der Bundesverband des Güterfernverkehrs spricht von einer "äußerst schwierigen Auftragsla- ge". Davon dürften insbesondere die rund 8 000 ostdeutschen Privatunternehmer betroffen sein, die bereits zu DDR-Zeiten existierten. Nach Verbandsschätzungen arbeiten viele Betriebe auf einem Auslastungs- niveau, das keine Kostendeckung ermöglicht. Es zeigt sich auch, daß es vielen schwer fällt, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Aus den Reihen der privaten Transportunternehmer werden zudem Vorwürfe gegen die Transportunternehmen, die noch im Besitz der Treuhandanstalt sind, gerichtet. Danach bieten die Treuhandunternehmen ihre Transportleistungen zu nicht kostendeckenden Preisen an, die Verluste würden dann von der Treuhandanstalt getragen. Bisher sind rund 100 ostdeutsche Straßentransportunternehmen privatisiert worden. In knapp zwei Fünfteln der Fälle erfolgte die Privatisierung durch Management- oder Mitarbeiter-Übernahme. Die Treuhandanstalt rechnet damit, daß sie aus den 154 in ihrem Besitz befindlichen Kraftverkehrsbetrieben noch rund 400 verkaufsfähige Einheiten des Straßentransportgewerbes ausgliedern kann. Sie verhan- delt zur Zeit über den Verkauf von 80 dieser Einheiten.

- Eisenbahngüterverkehr Das Gütertransportaufkommen der Deutschen Reichsbahn sank im vergangenen Jahr um knapp 30 vH. Im ersten Halbjahr dieses Jahres betrug der Rückgang knapp 60 vH. Derzeit ist eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau eingetreten. Besonders zu schaffen macht der Reichsbahn der Rückgang im Massen- gutverkehr mit Braunkohle, Stahl und Eisen. Auch bei Baustoffen verliert sie Transportaufkommen. Von der Erholung der Bauwirtschaft profitiert sie allem Anschein nach bisher nicht. Das Schrumpfen des Massengutaufkommens ist eine Folge des Wandels der ostdeutschen Wirtschaftsstruktur: Zukünftig wird das Massengutaufkommen eine weitaus geringere Rolle spielen als das Stückgutaufkommen. Wenn die Reichsbahn verhindern will, einen großen Teil ihres Gütertransportaufkommens an den Straßengüterver- kehr zu verlieren, muß sie diesem Wandel Rechnung tragen. Dazu wird es nicht allein genügen, das alte Streckennetz zu modernisieren und neue Verbindungen zu errichten. Es wird auch nötig sein, die Schnittstelle Straße — Schiene besser auszubauen. Bisher stand die Reparatur der sogenannten Langsamfahrstellen und das Schließen von Lücken bei innerdeutschen Verbindungen im Mittelpunkt der Arbeiten am Streckennetz.

- Binnenschiffahrt Im vergangenen Jahr sank der Güterumschlag im Bereich der ostdeutschen Binnenhäfen um 28 vH. In diesem Jahr wird der Rückgang voraussichtlich 40 vH betragen (Schaubild 9). Bisher zeichnet sich ab, daß der Rückgang bei Baustoffen, Erzen und Braunkohle besonders stark ist. Dazu trug vor allem die rückläufige Wirtschaftstätigkeit bei. Die Binnenschiffahrt erlitt zudem durch überdurchschnittlich lange Niedrigwasserperioden auf Elbe, Oder und Saale weitere Einbußen. Die Deutsche Binnenreederei GmbH, die aus dem VEB Binnenschiffahrt hervorgegangen ist, der mehr als 97 vH der Gesamttonnage der alten DDR Binnenflotte besaß, ist noch nicht privatisiert worden. Die Treuhandanstalt hat bislang zwei Privatisierungskonzepte diskutiert. Das eine Konzept sieht den Verkauf des Gesamtunternehmens an ein Reedereikonsortium vor, das andere die Aufspaltung und den Verkauf in kleineren Einheiten. Ein Verkauf an das Reedereikonsortium hätte nach Ansicht der Treuhandanstalt den Vorteil, daß die Deutsche Binnereederei GmbH mit den notwendigen Markt- und Kundenkenntnissen ausgestattet würde. Das könnte helfen, Ladungsaufkommen zu sichern. Der Verkauf der Binnenreederei in kleineren Einheiten trüge mittelstandspolitischen Erwägungen Rechnung. 36

Schaubild 9 — Entwicklung des Güterumschlags der öffentlichen Binnenhäfen in den neuen Bundeslän- dern 1989 bis 1991

Kilotonnen

JAN FEB MÄR APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ

Quelle: Fachverband der öffentlichen Binnenhäfen e.V., Halle.

Neben dem VEB Binnenschiffahrt gab es zuletzt in der DDR rund 50 Binnenschiffer. Diese haben große Schwierigkeiten, sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Ihre Schiffe sind in der Regel zu klein, die durchschnittliche Tragfähigkeit liegt bei etwa 350 t, in Westdeutschland liegt sie bei 1 014 t. Einige Reeder versuchen deshalb, durch den Kauf größerer Schiffe die Kosten zu senken; andere haben fremdes Personal entlassen und versuchen, ihr Schiff im Familienbetrieb weiterzuführen. Langfristig besitzt die Binnenschiffahrt in Ostdeutschland ein erhebliches Wachstumspotential. Dies ergibt sich einerseits aus den veränderten Rahmenbedingungen, die eine Neuverteilung des Verkehrs- aufkommens erwarten lassen, andererseits aus der geographischen Lage des ostdeutschen Wasser- straßennetzes an der Schnittstelle zwischen dem westeuropäischen und osteuropäischen Wirtschaftsraum. Die wesentliche Voraussetzung dafür, daß die Binnenschiffahrt ihr Wachstumspotential ausschöpfen kann, ist die rasche Modernisierung des ostdeutschen Wasserstraßennetzes. Allerdings ließe sich bereits durch die Beseitigung einiger weniger Engpässe—etwa durch den Ausbau des Magdeburger Eibkreuzes —die Wettbewerbsfähigkeit der Binnenschiffahrt erheblich steigern.

- Personenverkehr Die Entwicklung im Personenverkehr ist seit der Wende von einem steilen Anstieg des Individualver- kehrs gekennzeichnet. Die Pkw-Dichte stieg nach Angaben des ifo-Instituts von Ende 1989 bis Mitte 1991 von 228 auf 331 Fahrzeuge pro 1 000 Einwohner. Ins Hintertreffen geriet der Öffentliche Personenver- kehr. Im vergangenen Jahr sank die Leistung um 18 vH. Das ifo-Institut erwartet für dieses Jahr einen 37

ähnlich starken Rückgang. Die Einbußen bei der Deutschen Reichsbahn werden mit voraussichtlich 35 vH stärker sein als beim Öffentlichen Straßenverkehr mit voraussichtlich 15 vH. Beim Öffentlichen Personennahverkehr war der Nachfragerückgang am größten. Hier schlug sich vor allem das Schrumpfen des Berufsverkehrs nieder. Dabei gab es auffällige regionale Unterschiede: In Ballungsräumen war der Rückgang durchweg weniger stark als in ländlichen Gebieten. Erschwert wird die Lage des Personennahverkehrs durch Probleme bei der Übertragung der Betriebe auf die Kommunen. Insgesamt befinden sich noch 111 Unternehmen mit reichlich 57 000 Beschäftigten im Besitz der Treuhandanstalt. Ein Hindernis bei der Kommunalsierung ist offenbar die Größe der Betriebe. 90 vH der Betriebe haben mehr als 50 Mitarbeiter, verglichen mit nur 7 vH in Westdeutschland. Die Treuhandanstalt hat bis Anfang November erst ein Sechstel der in ihrem Besitz befindlichen Nahverkehrsbetriebe den Kommunen übereignet. Ihren Angaben zufolge befindet sich derzeit bei einem Drittel der Betriebe die Kommunalisierung "in Vorbereitung", bei der Hälfte besteht ein "grundsätzlicher Konsens" mit den Kommunen. Ein zentrales Problem stellt die Finanzierung der durchweg defizitären Betriebe und die Übernahme der ökologischen Altlasten dar. Viele Kommunen warten darauf, daß die Länder sich an der Finanzierung des Personennahverkehrs beteiligen. Bevor diese Fragen nicht geklärt sind, werden die Betriebe notwendige Modernisierungsinvestitionen kaum durchführen. Darunter leidet die Attraktivität des Nahverkehrsangebotes. Trotz des allgemeinen Trends zum Individualverkehr steigt die Anzahl der privaten Omnibusunter- nehmen. Derzeit sind es rund 260, verglichen mit 180 vor einem Jahr. Die meisten der Neuunternehmer kommen aus Ostdeutschland. Die wirtschaftliche Situation ist in den einzelnen Verkehrsbereichen unterschiedlich: So ist die Geschäftstätigkeit im Reisebusverkehr weiterhin recht lebhaft: Während zunächst die meisten Omnibusunternehmen in erster Linie "Einkaufsfahrten" nach Westdeutschland durchführten, haben in letzter Zeit Auslandsreisen — insbesondere ins westeuropäische Ausland—stark an Bedeutung gewonnen. Im Linienverkehr, der in Westdeutschland das zweite Standbein privater Omnibusunternehmen bildet, konnten ostdeutsche Firmen noch nicht Fuß fassen. Viele Unternehmen fühlen sich von den Kommunen benachteiligt, die angeblich bei der Auftragsvergabe die Nahverkehrs- betriebe im Besitz der Treuhandanstalt bevorzugen. Die meisten Kommunen schrecken offenbar vor der Privatisierung öffentlicher Nahverkehrsbetriebe zurück. Bisher erfolgte nach Angaben der Treuhandan- stalt eine Privatisierung erst in fünf Fällen. In der Mietwagenbranche hat sich der Bestand an Taxis seit 1989 etwa vervierfacht. Das wurde möglich durch eine Regelung des Einigungsvertrages, die bis 1992 die Konzessionsvergabe nach dem Personen- beförderungsgesetz in Ostdeutschland außer Kraft setzt. Da das westdeutsche Tarifpreissystem übernom- men wurde, ist der Druck auf die Preise ausgeblieben. Die Nachfrage nach Taxifahrten blieb somit hinter der Ausweitung des Angebots zurück. Derzeit fährt ein Taxi in Ostdeutschland ungefähr 1 700 DM Umsatz pro Monat ein. In Westdeutschland sind es dagegen gut 5 000 DM. In einer Umfrage des Bundesverbandes der Personenverkehrsunternehmer gaben rund 80 vH der ostdeutschen Taxiunter- nehmer an, daß sie mit den Einnahmen aus dem Taxibetrieb allein das Auskommen ihrer Familien nicht bestreiten könnten.

3. Handwerk

Das ostdeutsche Handwerk ist kräftig im Aufwind: Inzwischen gibt es schätzungsweise 134 000 Betriebe gegenüber 85 000 Betrieben Ende 1989 (Tabelle 11). Fast 600 000 Arbeitsplätze sind zur Zeit besetzt. Es könnten noch mehr sein, wenn genügend Fachkräfte zur Verfügung stünden.1 Der Aufschwung im Handwerk hat mehrere Ursachen. Die wichtigste ist: Weite Teile des Handwerks, insbesondere das Bauhandwerk und nachgelagerte Handwerke wie Maler, Glaser, Dachdecker, Bau- klempner oder Heizungs-, Sanitär- und Elektroinstallateure werden derzeit konjunkturell begünstigt. Die Bauinvestitionen in den neuen Bundesländern wurden in diesem Jahr mit einer zweistelligen Rate l Die Zahlen basieren auf hochgerechneten Angaben von 12 der 14 Handwerkskammern in den neuen Bundeslän- dern. Nicht alle Kammern haben ihre Mitgliederkartei schon auf dem aktuellen Stand. Die Zahlen weisen also eine gewisse Fehlerbreite auf. 38

Tabelle 11 — Bestand, Eintragung und Löschung von Handwerksbetrieben in den neuen Bundesländern seit Ende 1989

Handwerksbetriebe Insgesamt darunter: Produktionsgenossenschaften Bestand (31.12.1989) 85 400 2 700 Entragungen (1.1.1990-30.9.1991) 64100 Löschungen (1.1.1990-30.9.1991) 15 500 Bestand (30.9.1991) 134 000 Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR; Schätzung des IfW nach Angaben von Handwerkskammern in den neuen Bundesländern. ausgeweitet, und für das kommende Jahr ist eine noch höhere Steigerungsrate zu erwarten. Weitere Ursachen sind Angebotsdefizite, die es in der früheren DDR bei vielen Handwerkszweigen gab. So waren im Reparaturhandwerk lange Wartezeiten die Regel, weil Personal und Materialien fehlten. Der Zuwachs bei den Betrieben und Beschäftigten läßt sich außerdem darauf zurückführen, daß viele landwirtschaft- liche Produktionsgenossenschaften und Industriebetriebe Bereiche mit Dienstleistungsfunktionen wie Bau- und Reparaturbrigaden ausgegliedert haben, und darauf, daß größere Dienstleistungsbetriebe, wie die volkseigenen Dienstleistungskombinate und -betriebe, aufgespalten wurden. Die Gründungswelle im Handwerk darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht wenige Unternehmen auch aufgeben. In der Planwirtschaft fanden viele Handwerke eine Existenz, die es in einer entwickelten Marktwirtschaft kaum noch gibt, wie Scherenschleifer, Keramiker, Täschner, Korbmacher, Schneider und Schirmmacher. Solche Handwerke stehen, soweit sie überhaupt noch existieren, nun vor dem Aus. Nach hochgerechneten Angaben der ostdeutschen Handwerkskammern haben seit Ende 1989 über 15 000 Betriebe die Löschung aus der Handwerksrolle beantragt, das ist eine etwa doppelt so große Anzahl wie sie vor der Wende üblich war (3000 bis 4000 pro Jahr). Derzeit kommt auf vier Eintragungen durchschnitt- lich eine Löschung (Tabelle 11). Einer Sonderauswertung der Handwerkskammer Halle zufolge sind unter den Betrieben, die aus der Handwerksrolle gestrichen wurden, auffallend viele, die erst vor kurzer Zeit eingetragen worden waren. 40 vH der Betriebe, die im Zeitraum von 1.1.1990 bis zum 30.6.1991 ihre Tätigkeit einstellten, waren erst nach 1989 gegründet worden (Tabelle 12). Offenbar scheitert eine nicht geringe Anzahl von Hand- werksbetrieben schon in der Gründungsphase. Als nicht lebensfähig haben sich die bezirksgeleiteten volkseigenen Dienstleistungskombinate und - betriebe erwiesen. Für ein Überleben sind diese Einheiten meistens zu groß und in ihrem Leistungsspek- trum auch zu heterogen. Sie haben sich weitgehend aufgelöst: Teilbetriebe wurden oder werden derzeit privatisiert, kommunalisiert oder auch liquidiert.1 Ungewiß ist noch, was aus den einstmals 2 700 handwerklichen Produktionsgenossenschaften wird. Tabelle 12 — Löschungen von Handwerksbetrieben im Bereich der Handwerkskammer Halle (Januar 1990 bis Juni 1991)

1.1.1990 bis 30.6.1991 darunter: 1.1.1991 bis 30.6.1991 Zahl vH Zahl vH Löschungen von Handwerks- betrieben insgesamt 1479 100,0 347 100,0 davon waren in die Hand- werksrolle eingetragen: vor 1950 83 5,6 42 12,1 1950 bis 1979 537 36,3 101 29,1 1980 bis 1989 300 20,3 43 12,4 1990 bis 1. Hj. 1991 559 40,0 161 46,2 Quelle: Handwerkskammer Halle.

Vgl. Spezialthema im Anhang: Zum Stand der Privatisierung der ehemaligen Dienstleistungskombinate und -betriebe der örtlichen Versorgungswirtschaft. 39

4. Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen

Kreditinstitute Die Kreditinstitute in der DDR waren Bestandteil des Staatsapparates, auch wenn sie teilweise in der privatrechtlichen Form einer Aktiengesellschaft geführt wurden. Das Bankensystem bestand aus sechs unterschiedlichen Kreditinstituten bzw. Kreditinstitutsgruppen. Dies waren die —Staatsbank, —Deutsche Außenhandelsbank AG (DABA), —Bank für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft (BLN), —Genossenschaftskassen für Handwerk und Gewerbe, —Sparkassen und —Postsparkassen. Die Staatsbank dominierte in diesem System, da allein sie kreditwirtschaftliche Aufgaben wahrnahm und die Aufsicht über die anderen Kreditinstitute ausübte. Sie war dabei nicht autonom, sondern an politische Vorgaben gebunden. Alle anderen Kreditinstitute wiederum unterlagen den Weisungen der Staatsbank. Jede Institutsgruppe arbeitete schwerpunktmäßig in den ihr zugewiesenen Geschäftsberei- chen: Während die Staatsbank Staat und Wirtschaft mit Krediten versorgte, betrieben die Sparkassen hauptsächlich das Einlagengeschäft; die Genossenschaftskassen waren vorwiegend für den genossen- schaftlichen Sektor zuständig. Das Ziel der Umstrukturierung bestand darin, dieses System dem Bankensystem in den westlichen Bundesländern anzugleichen—also die bestehenden Institute zu dezentralisieren, zu despezialisieren und zu privatisieren sowie weitere Institute in den Markt eintreten zu lassen. Dieser Umstrukturierungsprozeß begann Anfang 1990, schon vor der Errichtung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Er ist inzwischen weit fortgeschritten. Die Entflechtung der Staatsbank erfolgte in der Weise, daß die Deutsche Bundesbank ihre Zentralbank- funktionen, die neugegründete Deutsche Kreditbank AG (Ost) sowie einige weitere neugegründete staat- liche Banken ihre Geschäftsbankenfunktionen übernahmen.1 Drei dieser Nachfolgeinstitute wurden von westdeutschen Banken übernommen: Die Deutsche Kreditbank ging an die Deutsche Bank und die Dresdner Bank; die Deutsche Handelsbank an die BfG-Bank und das Berliner Stadtkontor an die Berliner Bank. Die übrigen Nachfolgeinstitute blieben als Spezialbanken in staatlicher Hand. Die Deutsche Außenhandelsbank wurde von der Westdeutschen Landesbank übernommen. Die Bank für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft wandelte sich um in die Genossenschaftsbank Berlin; sie wurde zwischenzeit- lich von der Deutschen Genossenschaftsbank Frankfurt/Main erworben. Die Genossenschaftskassen sowie die Sparkassen wurden den bundesdeutschen Mustersatzungen entsprechend umgestaltet und den jeweiligen westdeutschen Partnerorganisationen angegliedert. Die Umstrukturierung des ostdeutschen Bankensystems erfolgte durch Übernahmetransaktionen westdeutscher Institute, durch die Ausweitung ihrer Filialsysteme sowie durch die Übertragung der westdeutschen Organisationsstrukturen sowohl im Bereich der genossenschaftlichen wie im Bereich der öffentlich-rechtlichen Institute (Tabelle 13). So wurden die Grundzüge der westdeutschen Anbieterstruktur auf den ostdeutschen Markt übertragen: ein Universalbankensystem mit einigen Großbanken sowie einer Vielzahl mittlerer und kleinerer Institute des privaten, des öffentlich-rechtlichen sowie des genossenschaftlichen Bereichs. Ausländische Banken wurden erst in geringem Maße aktiv: Eine hat in Ost-Berlin eine Niederlassung eröffnet; fünf weitere sind mit Repräsentanzen in Ost-Berlin und weiteren größeren Städten vertreten. Das Spektrum der angebotenen Finanzdienstleistungen entspricht nun in seiner Vielfalt und in seinen Konditionen weitgehend dem in den westlichen Bundesländern. Allenfalls für längerfristige Einlagen bieten einige ostdeutsche Institute gegenwärtig günstigere Konditionen. Auf der Nachfrageseite hingegen sind deutliche Unterschiede zwischen den östlichen und westlichen Bundesländern zu erkennen. Im Einlagegeschäft ist bei den Kunden in den neuen Ländern der Wunsch l Grundlage für die Entflechtung der Staatsbank war das Staatsbank-Gesetz vom 1. April 1990. Die Nachfolge- institute der Staatsbank waren neben der Deutschen Kreditbank AG (Ost) das Berliner Stadtkontor (Ost), die Deutsche Handelsbank AG sowie eine Verkehrsbank, eine Postbank und eine Berliner Reise- und Touristenbank. 40

Tabelle 13 — Kreditinstitute in den neuen Bundesländern (Stand: September 1991)

Institute Mitarbeiter Zahl Kreditbanken 73 16 000a Sparkassen 191 27 000b Kredi tgenossenschaften 310 10 000b Übrige Banken' 19

Banken insgesamt 593 aJahresmitte 1991. — bApril 1991. Quelle: Deutsche Bundesbank; Angaben verschiedener Verbände. nach längerfristigen und höher verzinslichen Anlageformen stärker ausgeprägt als im Westen. Das Kreditgeschäft ist schwieriger und risikoreicher: Viele Unternehmen haben noch keine DM-Eröffnungsbi- lanz vorgelegt. Es fällt ihnen auch schwer, Substanzwerte zu ermitteln und Kreditsicherheiten zu stellen, da vielerorts die Eigentumsfragen noch ungeklärt sind. Bei Konsumentenkrediten erhöht die oftmals unsichere Einkommens- und Beschäftigungssituation das Kreditrisiko. All dies hat zur Folge, daß Einzelfallentscheidungen bei der Kreditvergabe in Ostdeutschland eine weitaus größere Rolle spielen als im Westen. Marktposition und Bilanzstruktur der einzelnen Institutsgruppen lassen sowohl im Aktiv- wie im Passivgeschäft noch das alte Muster der Spezialisierung erkennen (Schaubild 10). Die Kreditbanken dominieren im Kreditgeschäft; ihre Bilanzen sind "aktivlastig". Im Einlagegeschäft dagegen beherrschen die Sparkassen das Feld; ihre Bilanzen sind "passivlastig". Die Verlagerung der Geschäftsschwerpunkte hin zu einer größeren Ausgewogenheit ist noch nicht weit fortgeschritten. Im Zahlungsverkehr ist die Umstellung der Ostinstitute auf das westdeutsche System weitgehend abgeschlossen. Bei den Volksbanken war sie bereits im Mai 1991 beendet, aber auch die Sparkassen haben gegenwärtig bis auf einige wenige Institute das westliche System eingeführt. Damit funktioniert der Zahlungsverkehr nun nahezu reibungslos. Dennoch sind nicht alle Probleme gelöst. Einige davon resultieren aus der schwierigen Über- gangsphase. Bei der Umstellung des Zahlungsverkehrs übernahm die Landeszentralbank Berlin die Aufgabe der Schalt- und Vermittlungsstelle zwischen den beiden Zahlungssystemen. Hier kam es zu Engpässen: Angesichts einer Vielzahl von Übermittlungsfehlern und zurückgegebenen Zahlungen, die nur manuell bearbeitet werden können, hat sich ein Problemstau von derzeit etwa 100 000 Fällen gebildet. Der Wert dieser noch nicht ausgeführten Zahlungen wird mit 700 Mill. DM angegeben. Nicht nur im Abrechnungsverkehr zwischen den Kreditinstituten, auch in anderen Bereichen des Zahlungsverkehrs ist die Einführung moderner Techniken im Gange. So wurden bislang etwa 500 Geldausgabeautomaten installiert, davon etwa 230 von den privaten Banken, 180 im Sparkassensektor und 90 im genossenschaftlichen Bereich. Die Dichte des Automatennetzes liegt damit jedoch noch weit unter der in Westdeutschland. Nach der Einführung des Euroschecksystems und seiner zunehmenden Verbreitung gewinnt nun die Kreditkarte an Bedeutung. Vier große Kreditkartenemittenten sind zwischenzeitlich in den neuen Bundesländern aktiv geworden und berichten von einer positiven Ge- schäftsentwicklung. Emittenten, die auf dem ostdeutschen Markt noch nicht vertreten sind, weisen dagegen auf folgende Hemmnisse hin: die besonderen Schwierigkeiten bei der Bonitätsprüfung und die noch geringe Zahl von Akzeptanzstellen.

Versicherungsunternehmen Die Staatliche Versicherung der DDR hatte das Monopol für das Versicherungsgeschäft im Inland und bot Einheitsversicherungen zu Einheitstarifen an. Dies hat sich, seit westdeutsche Versicherungsge- sellschaften in Ostdeutschland tätig sind, grundlegend geändert: Eine Vielzahl von Versicherern bietet 41

Schaubild 10—Kredite an und Einlagen von Unternehmen und Privatpersonen (Marktanteile in Ost- deutschland Ende September 1991)

ftedibaflkeri 24% Spartassen 9% KrecHgBnaesen

Kmdgenossen- sctaAen5% Übrige Balten 2% Übrige Banken 1%

KiK&banken 84% Sparkassen 60%

Kreditbestand insgesamt: 198,9 Mrd. DM Enlagenbestand insgesamt: 145,2 Mrd. DM

Quelle: Deutsche Bundesbank.

nun differenzierte Leistungen zu differenzierten Tarifen. An der Nachfolgegesellschaft der Staatlichen Versicherung der DDR, der Deutschen Versicherungs AG (DVAG), erwarb im Juni vergangenen Jahres die Allianz Versicherungs AG eine Mehrheit von 51 vH; 49 vH gingen an die Treuhandanstalt; der Bund übernahm die Risiken aus den Altverträgen. Das Lebensversicherungsgeschäft der Staatlichen Versiche- rung wurde in Deutsche Lebensversicherungs AG (DLVAG) eingebracht. Sie ist heute eine 100-prozen- tige Tochtergesellschaft der Allianz Versicherungs AG. Die ehemals staatliche Deutsche Auslands- und Rückversicherungs AG (DARAG), an der sich die Colonia Versicherungs AG beteiligte, war zuständig für die Versicherung der Risiken im Außenhandel und für die internationale Rückversicherung. Sie firmiert weiterhin unter ihrem alten Namen. Die private Versicherungwirtschaft hatte insgesamt einen guten Start. Das Beitragsaufkommen dieses Jahres wird vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft auf 10 Mrd. DM veranschlagt. Dabei stellen Lebensversicherung und Kraftfahrzeugversicherung die wichtigsten Geschäftssparten dar. Über 300 private Versicherungsgesellschaften arbeiten inzwischen in den neuen Bundesländern und beschäftigen dort bereits rund 24 000 hauptberufliche sowie etwa 50 000 nebenberufliche Mitarbeiter. Außerdem gibt es etwa 2 500 selbständige Versicherungsmakler. Den Versicherungsnehmern wurden für die bis Ende 1991 abgeschlossenen Verträge erweiterte Kündigungs- und Rücktrittsrechte eingeräumt, um sie gegen Übervorteilung zu schützen. Obwohl es zu Vertragsabschlüssen kam, die in der Öffentlichkeit Zweifel an der Seriosität der Branche weckten, blieb die Zahl der Beschwerden beim Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen gering. Die öffentlich-rechtlichen Versicherer sprechen — anders als die privaten — von einem Fehlstart. Sie konnten sich nicht, wie zunächst beabsichtigt, auf eine gemeinsame Strategie der Markterschließung einigen. Im kommenden Jahr wollen jedoch auch sie, nun jeweils auf der Basis landeseigener Gesell- schaften, im "Ostgeschäft" aktiver werden: Sie sind gegenwärtig dabei, entsprechende Vertriebsnetze sowie die Organisation des Außendienstes aufzubauen. 42

5. Sonstige Dienstleistungen

Gastgewerbe Für das Gastgewerbe, bestehend aus Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, hat sich der wirtschaftliche Horizont inzwischen etwas aufgehellt. Der Umsatz entwickelte sich in diesem Jahr besser als im vergangenen Jahr — freilich bei sehr großen regionalen Unterschieden. So war die Saison in den bekannten Feriengebieten an der Ostsee oft überdurchschnittlich gut, während in den weniger bekannten Gegenden, aber teilweise auch in den ostdeutschen Mittelgebirgen, die Gäste weitgehend ausblieben. Alles in allem ist die Situation im Beherbergungsgewerbe günstiger als im Gaststättenbereich. Ein Grund dafür ist die zunehmende Festigung der organisatorischen Strukturen auf kommunaler wie auf unternehmerischer Ebene. So haben mittlerweile alle Bundesländer und ein großer Teil der Kommunen Maßnahmen zur Förderung und Koordination des Fremdenverkehrs ergriffen. Es wurden Entwicklungs- konzepte und Förderprogramme für das örtliche Tourismusgewerbe erarbeitet oder sie befinden sich in Vorbereitung. Auch die Unternehmen selbst sind aktiv geworden: Es gelingt ihnen zunehmend, in das Angebot erfahrener Reiseveranstalter aufgenommen zu werden. Vor allem belebt sich die Investi- tionstätigkeit. Mittlerweile sind fast 10 000 Anträge auf zinsgünstige Kredite aus dem ERP-Tourismus- programm gestellt worden, davon 85 vH von Existenzgründern. Auch Großinvestoren werden aktiv: So bereitet die EuromillManagement GmbH den Aufbau von 60 bis 80 Drei-Sterne-Hotels vor. Aufgrund gesicherter Vorkaufsrechte an ehemaligen Ferienobjekten des FDGB bestehen gute Voraussetzungen, um schon nach einem Jahr etwa 4 000 Betten anbieten zu können. Die Privatisierung der Interhotel-Gruppe ist Ende November 1991 endlich zum Abschluß gekommen. Als Folge des rasant steigenden Geschäftsreiseverkehrs verzeichnen vor allem die städtischen Hotels eine hohe Auslastung. Besonders in den Großstädten reichen die zur Verfügung stehenden Kapazitäten häufig nicht aus. Der Bau neuer Hotels jedoch kommt wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse und aufgrund von Verzögerungen im Planungsbereich nicht recht voran. Weniger günstig ist die wirtschaftliche Lage im Gastgewerbe. Zum einen lastet auf vielen Betrieben noch das "planwirtschaftliche Erbe": ein schlechter baulicher Zustand der Gebäude, veraltetes Inventar, ungünstige Standorte, eine wenig gastfreundliche Atmosphäre. Zum anderen fehlt vielerorts die zahlungs- kräftige Kundschaft — nicht zuletzt als Folge von verbreiteter Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Schließ- lich gibt es auch unternehmerische Defizite, wie unzureichende fachliche und betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Zudem hält mangelndes Einfühlungsvermögen bei der Preisgestaltung, vor allem die Unfä- higkeit zur Preisdifferenzierung — nach Jahreszeit, Wochentag oder Personengruppe — manche poten- tiellen Gäste ab. Die Privatisierung der Gaststätten des ehemals volkseigenen Handels ist zwar formal abgeschlossen, gleichwohl ist ihr wirtschaftliches Schicksal vielfach noch ungewiß. Rascher Besitzerwechsel ist die Regel. Die zuvor angesprochenen Tourismusobjekte sind allerdings noch nicht vollzählig privatisiert. So konnte erst für 120 der knapp 900 ehemaligen gewerkschaftlichen Feriendienst-Objekte ein Pachtvertrag abgeschlossen werden; sie wurden zum größten Teil den Kommunen übergeben. Jedoch wird lediglich ein Teil von ihnen bewirtschaftet, da die Gemeinden nicht genügend Mittel haben, um den Betrieb weiterzuführen und da auch eine Veräußerung oder Verpachtung oftmals an ungeklärten Eigentumsan- prüchen scheitert. In der Folge stehen — dringend benötigte — Kapazitäten leer, und rund 13 500 Feriendienst-Mitarbeiter sind von Entlassung bedroht. Wie in fast allen Branchen kam es auch im Gastgewerbe zu einem kräftigen Personalabbau. Er war zu einem guten Teil betriebswirtschaftlich bedingt — die Unternehmen in der DDR waren personell erheblich überbesetzt. Während in den alten Bundesländern im Durchschnitt 3 Beschäftigte auf eine Gaststätte und 0,8 Arbeitskräfte auf ein Hotelbett entfielen, waren es in der DDR 7,6 bzw. 2 Arbeitskräfte. Inzwischen sieht es aber so aus, als ob die Beschäftigung als Folge der Ausweitung der Kapazitäten wieder zu steigen beginnt (Tabelle 14). Schon in wenigen Jahren dürfte die frühere Beschäftigtenzahl nicht nur wieder erreicht, sondern sogar deutlich überschritten werden. 43

Tabelle 14 — Entwicklung des ostdeutschen Gastgewerbes 1989 bis 1991

Einheit 1989 1990 1991 Gastronomie Objekte Zahl 26300 30000 32000 Plätze Mill. 3,2 3,3 3,5 Arbeitskräfte 1000 200 150 160 Umsatz Mrd. DM 11,3 9,0 10,0 Hotellerie Objekte Zahl 736 1150 1600 Betten 1000 42 85 120 Quelle: Forschungsstelle für den Handel, Berlin. Pressewesen Bald nach Öffnung der Grenzen überschwemmte eine Vielzahl westdeutscher Zeitungen und Illustrierten den ostdeutschen Markt. Vielen DDR-Blättern bescherte die neue Konkurrenz einen abrupten Nachfra- geeinbruch. Die relativ frühe Privatisierung der ostdeutschen Verlage hat jedoch Erfolg gezeigt. Die meisten ostdeutschen Presseerzeugnisse haben sich soweit gewandelt, daß viele ostdeutsche Leser inzwischen wieder zu ihren "alten" Zeitungen zurückkehren. Am stärksten betroffen vom Nachfrageeinbruch war die überregionale Presse. Die Auflage des "Neuen Deutschland" sank binnen Jahresfrist von 1,4 Mill. auf knapp 100 000 Exemplare, die der "Jungen Welt", das frühere Organ der FDJ, sank von 1,6 Mill. auf 140 000. Die Gewerkschaftszeitung "Tribüne" mit einer Auflage von ehedem 400 000 stellte ihr Erscheinen mittlerweile ein. Relativ gering waren die Auflagenrückgänge dagegen bei den kleineren Zeitungen, vor allem in ländlichen Regionen. Ehemalige SED-Bezirkszeitungen wie die "Freie Presse Chemnitz", die "Märkische Oderzeitung" oder die "Ostthü- ringer Nachrichten", die sich unter der Führung westdeutscher Eigentümer oder Kooperationspartner rasch den Standards westlicher Berichterstattung annäherten, ihre lokale Prägung aber gleichwohl beibehielten, konnten sich relativ schnell wieder erholen. Auch ehemalige DDR-Illustrierte, wie die Verbraucherzeitschrift "Guter Rat", oder die Modezeitschriften "Praktische Mode" und "Sibylle", die inzwischen im Besitz westdeutscher Verlage sind, haben nach anfänglichem Auflagenschwund wieder verlorenes Terrain gutgemacht. Das ist einerseits wohl auf ihren Bekanntheitsgrad beim ostdeutschen Publikum zurückzuführen, andererseits aber auch auf eine Redaktionspolitik, die auf die Lesegewohn- heiten der ostdeutschen Leser Rücksicht nimmt. Gleichzeitig konnte durch die Wahl von Themen, die sich an den Problemen ostdeutscher Bürger orientieren, ein eigenes Profil gewonnen werden. Allerdings stehen viele Verlage mit diesem Redaktionskonzept inzwischen in Konkurrenz zu westdeutschen und internationalen Verlagen, die mit speziell für den ostdeutschen Markt geschaffenen Blättern ein ähnliches Konzept verfolgen. Neben diesen Veränderungen der Redaktionspolitik ist der Aufbau eines leistungsfähigen Vertriebs- systems ein Schwerpunkt im Anpassungsprozeß der ostdeutschen Zeitungsverlagswesen. Während bei westdeutschen Verlagen der Vertriebsbereich gut ausgebaut ist und ein wichtiges Instrument der Marketingpolitik darstellt, führte dieser Bereich in der früheren DDR ein Kümmerdasein. Das ist darauf zurückzuführen, daß die Deutsche Post damals das Vertriebsmonopol für Presseerzeugnisse besaß. Sie lieferte nicht nur die Zeitungen und Zeitschriften aus, sie nahm auch Bestellungen entgegen, verwaltete die Abonnements, kassierte die Abonnementgebühren und betrieb in eigener Regie die Zeitungskioske. Der Vertrieb endete für die ostdeutschen Verlage mit der Übergabe ihrer Druckerzeugnisse an die Deutsche Post. Das hatte zum Beispiel zur Folge, daß in einem großen Ost-Berliner Verlag, der sieben Zeitschriften und zwei Zeitungen herausbrachte, nur elf Mitarbeiter im Vertriebsbereich arbeiteten, während in der Verwaltung über 300 Mitarbeiter beschäftigt waren. Mittlerweile wurde von diesem Verlag für jede Zeitung eine eigenständige Vertriebs- und Anzeigenabteilung aufgebaut. Der Aufbau eigener Vertriebsabteilungen muß spätestens bis Ende dieses Jahres erfolgt sein. Dann nämlich wird der Zeitungs- vertrieb der ehemaligen Deutschen Post, der derzeit noch vom Postdienst aufrechterhalten wird, einge- stellt. 44

Tabelle 15 — Struktur des Mobilien-Leasing nach Objektgruppena (Januar bis September 1991)

Alle Bundesländer darunter: Neue Bundesländer Objektgruppen Anteile in vH Januar-Juni Juli-September Januar-Juni Juli-September Straßenfahrzeuge 56 55 61 53 Büromaschinen 18 24 17 18 Produkti onsanl agen 8 11 12 21 Sonstige Fahrzeuge und Ausrüstungen 18 10 10 8 Nachrichtlich: Anschaffungswert in Mill. DM 13 610 6987 1252 968 aNeugeschäft zu Anschaffungswerten. Quelle: Bundesverband Deutscher Leasing Gesellschaften e.V. Zur Zeit herrscht auf dem ostdeutschen Markt für Presseerzeugnisse ein scharfer Verdrängungswett- bewerb. Welche Zeitungen und Zeitschriften sich langfristig durchsetzen werden, wird letzten Endes die Finanzkraft der dahinterstehenden Verlage entscheiden. Bisher machen die meisten Verlage auf dem ostdeutschen Pressemarkt kräftige Verluste. Sie spekulieren allesamt darauf, sich durch Verdrängung der Konkurrenz zu etablieren. Die Umwälzung in die Presselandschaft hat bei den Verlagen zu einem kräftigen Abbau des Personals geführt. In den DDR-Verlagen (einschließlich der Buchverlage) waren über 20 000 Personen beschäftigt. Inzwischen dürfte die Anzahl der Arbeitsplätze auf 10 000 bis 12 000 gesunken sein.

Leasinggesellschaften Das Leasinggeschäft gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die ersten westdeutschen Leasinggesellschaften wurden schon im Sommer 1990 in den neuen Bundesländern aktiv. Gegenwärtig sind nahezu alle größeren und mittleren Gesellschaften vor Ort vertreten. Dennoch gilt der Markt als noch nicht vollständig erschlossen. Derzeit beschäftigen die Leasinggesellschaften in den neuen Bundesländern etwa 400 Mitarbeiter, von denen ein erheblicher Teil auch dort angeworben und ausgebildet wurde. In den ersten drei Quartalen 1991 erreichte das Volumen leasingfinanzierter Investitionen etwa 2,4 Mrd. DM, resultierend aus etwa 49 000 Vertragsabschlüssen. Der wertmäßig größte Teil entfällt dabei auf das Kraftfahrzeug-Leasing, allerdings verliert diese Sparte an Gewicht (Tabelle 15). Das Leasing von Produktionsanlagen zeigt dagegen eine deutlich zunehmende Tendenz. Das Immobilien-Leasing spielt im Unterschied zu Westdeutschland bisher noch keine große Rolle. Hier gab es in den neuen Ländern in den ersten drei Quartalen diesen Jahres nur 18 Vertragsabschlüsse mit einem Volumen von knapp 500 Mill. DM. Das schwache Angebot hat seine Ursachen nicht nur in ungeklärten Eigentumsfragen, sondern mehr noch in der ökologischen Belastung gewerblicher Grundstücke. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Bonitätsprüfung der Leasingnehmer dar. Zahlreiche Unternehmen haben noch keine DM-Eröffnungsbilanz vorgelegt. Ohnehin bestehen Zweifel am Aussagewert dieser Bilanzen — vor allem, weil Grundstücke und Gebäude oft stark überbewertet sind. Zudem besitzen viele Unternehmen noch kein tragfähiges Zukunftskonzept. Etwa die Hälfte des gesamten Leasingvolumens entfällt auf Objekte, die investitionszulagenbegünstigt sind. In diesen Fällen wird die Investitionszulage in der Regel vom Leasinggeber an den Leasingnehmer weitergegeben.

Gesundheitswesen

- Krankenhauswesen Vor der Wende bildeten die verschiedenen Sparten des Krankenhauswesens — die Versorgung durch Akutkrankenhäuser, Rehabilitationskliniken und Pflegeeinrichtungen — sowohl räumlich, personell als 45 auch finanziell eine Einheit. Bei der Neustrukturierung geht es darum, die bestehenden Einrichtungen jeweils einer dieser Sparten zuzuordnen und entsprechend umzuorganisieren. Wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Regelung der Trägerschaft — die jedoch erst dann erfolgen kann, wenn die Gesund- heitsministerien der Länder Krankenhauspläne erstellt haben, in denen der Aufgabenbereich der einzel- nen Häuser festgelegt wird.1 Die Umstrukturierung erweist sich aufgrund der komplexen Finanzierungs- und Zuständigkeitsfragen als schwierig, zumal auch in dieser Phase die Versorgungssicherheit der Patienten gewährleistet bleiben und den Belangen des Personals Rechnung getragen werden soll. Für eine Übergangszeit sind Zwischenlösungen notwendig; mehrere Kostenträger müssen sich an einer Einrich- tung beteiligen. Gegenwärtig wird der größte Teil der gut 400 Krankenhäuser von den Landkreisen und den Städten getragen. Die Länder treten nur als Träger der Fachkrankenhäuser sowie der psychiatrischen Ein- richtungen auf. Daneben gibt es Einrichtungen in der Hand freigemeinnütziger — meist konfessioneller — Träger sowie einige Häuser in privater Trägerschaft. Die Finanzierung der Krankenhausinvestitionen obliegt den Ländern und erfolgt in diesem Jahr, da Krankenhauspläne erst für 1992 erstellt werden, auf der Grundlage sogenannter Förderlisten. In diese Listen wurden gut 400 Krankenhäuser mit insgesamt etwa 130 000 Betten aufgenommen. Die Fördermittel fließen zum einen über die Pauschalförderung, zum anderen über die Einzelförderung. Für die Pauschalförderung stehen 1991 insgesamt knapp 2 Mrd. DM zur Verfügung (einschließlich der Mittel für Ost-Berlin). Dabei ist die Höhe der Pauschalförderung in den einzelnen Ländern unterschied- lich: sie reicht von 500 DM je Bett bis zu 8 000 DM je Bett. Für Maßnahmen der Einzelförderung stehen in diesem Jahr etwa 435 Mill. DM bereit. Sie dienen zur Durchführung kleinerer Investitionsprojekte sowie zur Fortführung bereits begonnener Investitionen. Da diese Landesmittel angesichts eines Investitionsbedarfs von bis zu 35 Mrd. DM nicht ausreichen, stellt der Bund weitere Mittel zur Verfügung: —Im Rahmen des Gemeinschaftswerkes "Aufschwung Ost" erhalten die Kommunen in den neuen Ländern insgesamt etwa 5 Mrd. DM. Da aus diesen Mitteln jedoch vielfältige kommunale Aufgaben finanziert werden müssen, können sie vielerorts nur zu einem geringen Teil für Krankenhausinve- stitionen eingesetzt werden. —Im Rahmen des 15 Mrd. DM umfassenden kommunalen Kreditprogramms stehen etwa 1,4 Mrd. DM für die Sanierung von Krankenhäusern, Altenheimen und Behinderteneinrichtungen zur Verfü- gung. —Private Investitionen werden durch Sonderabschreibungen und Investitionszulagen gefördert. —Ambulante Versorgung Der Einigungsvertrag sieht vor, daß die ambulante medizinische Versorgung, die zuvor fast ausschließ- lich durch staatliche und betriebliche Polikliniken und Ambulatorien geleistet wurde, auch in den neuen Bundesländern von niedergelassenen Ärzten wahrgenommen werden soll. Für die Umstrukturierung legt der Einigungsvertrag eine Frist von fünf Jahren fest. Bis Ende 1995 also bleiben die staatlichen Einrichtungen zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und können ihre Leistungen über die Kran- kenkassen abrechnen. Die Umstrukturierung vollzieht sich jedoch wesentlich schneller. Schon heute wird die ambulante medizinische Versorgung überwiegend durch die etwa 12 400 freipraktizierenden Ärzte und 6 900 Zähnarzte geleistet. Der weitaus größte Teil der bisher vollzogenen Niederlassungen fand zum Jahreswechsel 1990/91 und in den darauffolgenden Monaten statt. In der Folgezeit wurde es immer schwieriger, sich niederzulassen, da es an geeigneten Räumlichkeiten fehlte. Eine zweite Niederlassungswelle ist zu erwarten, wenn Ärzte aus den medizinischen Einrichtungen des Hochschulwesens entlassen werden; diese stehen vor ihrer Abwicklung. Das betriebliche Gesundheitswesen der DDR wurde inzwischen weitgehend aufgelöst. Die dort beschäftigten Mediziner wurden zum Teil arbeitslos, zum Teil arbeiteten sie als Werksarzt oder ließen l Bisher haben nur Brandenburg und Berlin entsprechende Pläne für 1992 verabschiedet. Die medizinischen Sonderdienste mit ihren Einrichtungen für Angehörige der Regierung und der Volksarmee wurden bereits Ende 1990 aufgelöst. 46

sich nieder. Die früheren "Gemeindeschwesternstationen" wurden entweder geschlossen oder von den Kommunen bzw. den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege übernommen. In den knapp 600 noch bestehenden staatlichen Einrichtungen — Polikliniken, Ambulanzen, Ambula- torien und Staatsarztpraxen — sind zur Zeit etwa 3 300 Ärzte und Zahnärzte angestellt. Abrechnungs- technisch werden diese Einrichtungen von den kassenärztlichen Vereinigungen wie jeweils eine Arztpra- xis behandelt. Die Entlohnung der angestellten Ärzte regeln sie unter sich. Der wichtigste Grund für den raschen Zusammenbruch des alten Systems ist, daß die Ärzte in den staatlichen Einrichtungen keine Perspektive mehr gesehen haben. Sie haben sich schnell selbständig gemacht. Dabei kam ihnen entgegen, daß sie Räume in den Ambulatorien und Polikliniken anmieten und auf ihren Patientenstamm zurückgreifen konnten. Außerdem hatten die staatlichen Einrichtungen Finan- zierungsprobleme. Sie boten auch Leistungen an, die sie heute nicht über die Krankenkassen abrechnen können. Solche Leistungen müssen entweder anderweitig finanziert werden — vom jeweiligen Träger, in der Regel also von den Kommunen —, oder sie können nicht mehr erbracht werden. Die Kommunen haben die Trägerschaft wohl in Unkenntnis dieser Sachlage übernommen und sehen sich nun mit der Finanzierung von Leistungen, die von den Krankenkassen nicht vergütet werden, überfordert. So finden sich Polikliniken und Ambulatorien unversehens dem Druck ausgesetzt, innerhalb kürzester Zeit entweder das Spektrum ihrer bisherigen Leistungen einzuschränken oder aber sich aufzulösen. Der größte Teil der staatlichen Ambulatorien und Polikliniken wurde inzwischen aufgelöst oder umgewandelt. Die Räumlichkeiten werden meistens von den früher dort angestellten Ärzten weiterge- nutzt. Hierbei haben sich verschiedene Formen der gemeinschaftlichen Nutzung herausgebildet. Sei es, daß, nach dem Muster westdeutscher Ärztehäuser, sogenannte Praxiszentren eingerichtet wurden, bei denen der Hauseigentümer die Räumlichkeiten an mehrere Ärzte vermietet, sei es, daß Praxisgemein- schaften oder Gemeinschaftspraxen gegründet wurden. Während bei Praxisgemeinschaften jeder Arzt selbständig arbeitet und abrechnet, zeichnen sich Gemeinschaftspraxen dadurch aus, daß sie eine Gesamt- abrechnung erstellen, die Einnahmen also zunächst in "einen Topf fließen und erst dann aufgeteilt werden. Beiden Formen ist gemeinsam, daß bei ihnen die Geräte gemeinschaftlich und damit in der Regel wirtschaftlicher genutzt werden können als in Einzelpraxen. Die Umstrukturierung der ambulanten Versorgung vollzieht sich in den einzelnen Ländern unterschied- lich. Während in Thüringen und in Sachsen die Polikliniken schon heute praktisch keine Rolle mehr spielen, werden sie in Berlin und Brandenburg im Rahmen neuer Konzepte weiterentwickelt. In Bran- denburg sollen sie zu etwa 30 sogenannten Gesundheitszentren umgestaltet werden; in Berlin will das Land gemeinsam mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege die "Berliner Gesellschaft für gesund- heitlich-soziale Zentren mbH" gründen, unter deren Dach die poliklinischen Einrichtungen weiterhin medizinische wie soziale Leistungen anbieten werden und in denen neben angestellten auch frei nieder- gelassene Ärzte tätig sein können. Die etwa 2 000 staatlichen Apotheken sind nahezu vollständig privatisiert. In den nicht privatisierten Apotheken können Apotheker, bis sie in den Ruhestand treten, im Angestelltenverhältnis weiterarbeiten. Dann erst sollen auch diese Apotheken privatisiert werden.

Freie Berufe Der Stand der Freien Berufe muß in Ostdeutschland nahezu vollständig aufgebaut werden. Zum Zeitpunkt der Wende gab es nur etwa 6 700 freiberuflich Tätige, inzwischen sind es schätzungsweise 35 000 bis 40 000 (Tabelle 16). Der Prozeß der Existenzgründungen verläuft in den einzelnen Berufsgruppen recht unterschiedlich. Bei den Freien Heilberufen ist eine beachtliche Dynamik zu beobachten. Bei den Steuer-, rechts- und wirtschaftsberatenden sowie den technisch-naturwissenschaftlichen Freien Berufen dagegen vollzieht sich dieser Prozeß recht schleppend. Die unterschiedliche Gründungsdynamik beruht im wesentlichen darauf, daß die in der Vergangenheit erworbenen Qualifikationen jeweils in unterschiedlichem Maße entwertet wurden. Insbesondere in den technischen, rechts- und wirtschaftsberatenden Freien Berufen bestehen noch erhebliche Defizite. Eine Ausnahme bildet nur die Berufsgruppe der Notare. Diese Defizite werden bislang von Freiberuflern, die ihre Praxis in Westdeutschland haben, nur unzureichend ausgeglichen. So 47

Tabelle 16 — Zahl der Selbständigen in Freien Berufen in den neuen Bundesländern'11990 und 1991

1.10.1990 31.12.1990 30.6.1991 1.10.1991 Rechtsanwälte 1600 2 000 2200 2900 Nur-Notare 250 370 450 450 Patentanwälte 160 180 230 Wirtschaftsprüfer/Vereidigte Buchprüfer 70 120 150 Steuerberater/Steuerbevoll- mächtigte 350 2500 2600 2 800 Tierärzte 1520 Architekten 350 600 1250 1550 Beratende Ingenieure 2000 3 000 3 000 Ärzte 650 6000 10 530 12 370 Zahnärzte 900 4000 6000 6940 Unternehmensberater 450 Apotheker 50 600 1600 1920 Freie Kulturberufe 2500 aOhne Ost-Berlin. Quelle: Institut für Freie Berufe. gibt es in Ostdeutschland zur Zeit nur etwa 2 900 Rechtsanwälte, 2 800 vorläufig bestellte Steuerberater, knapp 1 600 Architekten und 3 000 Beratende Ingenieure. Viele von ihnen müssen sich zunächst umfassend neu qualifizieren. Zumeist fehlen ihnen Kenntnisse der bundesdeutschen Vorschriften und Richtlinien, eine fachliche Spezialisierung und praktische Erfahrung. Einige Rechtsanwälte sind politisch belastet. Sie müssen damit rechnen, daß ihnen die Zulassung entzogen wird. Viele Angehörige der Freien Berufe finden allerdings in der Selbständigkeit noch keine ausreichende Existenzgrundlage. Dies gilt insbesondere für Architekten, soweit sich ihre Berufserfahrung auf die Anwendung der Plattenbauweise beschränkt. Bauherren vergeben nicht selten ihre Aufträge an west- deutsche Architekten; den ostdeutschen bleibt häufig lediglich die Funktion des örtlichen Bauleiters. Mancherorts sehen sich Architekten und Vermessungsingenieure auch durch die öffentliche Verwaltung behindert, die auch die Planungs- und Vermessungstätigkeiten, die von Freiberuflern ausgeführt werden können, im eigenen Aufgabenbereich halten will. Ein Hemmnis ersten Ranges für niederlassungswillige Freiberufler ist die Knappheit an geeigneten Räumlichkeiten für Büro, Praxis oder Kanzlei. Sie fehlen oft gänzlich oder sie sind, vor allem in den Ballungsräumen, nur zu kaum tragbaren Mieten verfügbar.

6. Öffentliche Verwaltung

Der Aufbau einer funktionierenden Verwaltung ist eine notwendige Voraussetzung für die wirtschaftliche Erneuerung Ostdeutschlands: Viele privatwirtschaftliche Entscheidungen bedürfen der behördlichen Genehmigung, eine ganze Reihe wirtschaftlicher Aktivitäten sind dem Staat vorbehalten. Schon bald nach der Wiedervereinigung zeigte sich, daß die ostdeutsche Verwaltung ein gewichtiger Engpaßfaktor war. Mittlerweile ist es gelungen, viele der administrativen "Flaschenhälse" zu beseitigen. Es finden sich aber auch noch eine Reihe von Problembereichen, in denen der Verwaltungsvollzug den Erfordernissen des wirtschaftlichen Neuanfangs nicht gerecht wird. Am Anfang bestand die Hauptaufgabe darin, die Verwaltungsstrukturen der DDR an das westdeutsche System anzupassen. Dabei gewann die Qualifizierung und Umschulung der Beschäftigten immer mehr an Bedeutung. Wichtig waren die Patenschaften von westdeutschen Ländern und Kommunen: Vor allem entsandten sie Verwaltungsfachleute. Bestand zu Beginn großer Mangel an westdeutschen Beamten, die bereit waren, nach Ostdeutschland zu gehen, so hat sich die Situation mit der Gewährung attraktiver finanzieller Anreize grundlegend gewandelt. Ende September 1991 standen beispielsweise an der vom 48

Bundesinnenministerium und den kommunalen Spitzenverbänden eingerichteten Personalbörse 2000 Bewerbungen von westdeutschen Verwaltungsfachleuten lediglich 300 Anfragen aus dem Osten gegen- über. Angesichts der noch immer großen Verwaltungsprobleme verwundert die geringe Nachfrage, zumal der Bund einen Fonds eingerichtet hat, aus dem die Gemeinden für die Einstellung westdeutscher Verwaltungsexperten Zuschüsse erhalten. Dieser Fonds war Ende September nur zu einem Fünftel ausgeschöpft. Gründe hierfür sind: —Die Kommunen mußten aufgrund des Einigungsvertrages alle Beschäftigten in kommunalen Ein- richtungen übernehmen. Sie konnten nicht — wie Bund und Länder—Einrichtungen "abwickeln". Der Personalüberhang beansprucht Mittel, die ansonsten für die Einstellung westdeutscher Verwaltungsexperten verwandt werden könnten. Zwar sind nach dem Einigungsvertrag ordnungs- gemäße Kündigungen möglich, wenn Mitarbeiter mangels Qualifikation oder Bedarf nicht einsetz- bar sind. Viele Kommunen schrecken aber vor solchen Kündigungen zurück, u.a. weil sie eine Welle langwieriger Arbeitsgerichtsprozesse fürchten. —Viele Verwaltungseinrichtungen, die derzeit auf kommunaler Ebene entstehen, werden im Gefolge der anstehenden Gebietsreform wieder aufgelöst. Viele kleinere Kommunen möchten sich deshalb nicht zusätzlich an Personal binden. —Es scheint aber auch so zu sein, daß man angesichts der Arbeitsmarktlage lieber auf die Weiterqua- lifikation ostdeutscher Mitarbeiter setzt, als auf die Einstellung westdeutscher Experten. Der Bund und die westdeutschen Länder sollten dies bei ihrer Aufbauhilfe berücksichtigen und stärker als bisher die Qualifizierung ostdeutscher Verwaltungsmitarbeiter unterstützen. Es ist derzeit nicht einfach einzuschätzen, wie weit der Verwaltungsaufbau insgesamt vorangekommen ist. Die Informationen fügen sich noch nicht zu einem geschlossenen Bild. Berichten über Fortschritte in einigen Bereichen stehen immer wieder solche über gravierende Engpässe in anderen Bereichen gegen- über. Nach wie vor scheint die Lage der Grundbuchämter kritisch zu sein. Angesichts der wirtschaftlichen Hemmnisse, die auf offene Eigentumsfragen zurückzuführen sind, muß es schon verwundern, daß ein ostdeutsches Bundesland, das erst Mitte dieses Jahres mit der systematischen Aufarbeitung noch ausste- hender Grundbucheintragungen begonnen hat, sich rühmen darf, damit die Vorreiterrolle unter den ostdeutschen Bundesländern übernommen zu haben. Engpässe gibt es auch im Bereich der Bauämter. Das ist um so problematischer als dadurch Investitionen erschwert werden. Hinzu kommt, daß die Länder vielfach noch nicht Raumordnungspläne verabschiedet haben und die Kommunen auch deshalb noch keine Flächennutzungspläne aufstellen konnten.

VII. Finanzen der Länder und Gemeinden

Die Finanzen der ostdeutschen Länder und Gemeinden haben sich bisher offenbar günstiger entwickelt als allgemein erwartet worden war. Im Finanzbericht 1992 wurden die Haushaltsfehlbeträge der neuen Bundesländer (ohne Ost-Berlin) auf fast 20 Mrd. DM und die ihrer Kommunen auf 3 1/2 Mrd. DM geschätzt. Etwa zum gleichen Zeitpunkt hatte das DIW eine Modellrechnung vorgelegt, nach der sich Haushaltslücken von 8 bzw. 5 Mrd. DM ergaben. Bisher haben jedoch beide Haushaltsebenen Überschüs- se erzielt: Bei den Ländern waren es bis Ende Oktober 1991 rund 1 Mrd. DM, bei den Gemeinden im ersten Halbjahr 1991 sogar 5,9 Mrd. DM. Allerdings ist bei der Bewertung dieser Daten Vorsicht geboten. Vor allem die Ergebnisse der Gemeinden sind dadurch verzerrt, daß beispielsweise die Ausgaben für

l In Ostdeutschland ist der Anteil der Zwerggemeinden größer als er vor der Gebietsreform in Westdeutschland war: 48 vH der ostdeutschen Gemeinden haben weniger als 500 Einwohner; nur 5,2 vH haben mehr als 5 000 Einwohner. Legt man also 5 000 Einwohner als Untergrenze für eine selbständige Gemeinde zugrunde, so wären rund 95 vH aller Gemeinden von der Gebietsreform betroffen. 49

Tabelle 17 — Einnahmen der Länder und Gemeinden in Ost- und Westdeutschland je Einwohner 1991 und 1992

1991 1992 1991 1992 Art der Einnahmen Ostdeutschland Westdeutschland in DM Steuereinnahmen 1450 1850 4 650 5 000 Länder 1250 1550 3 350 3 600 Gemeinden 200 300 1300 1400 Fonds Deutsche Einheit 2200 2000 Länder 1400 1300 Gemeinden 750 700 Sofortprogramm Bund Gemeinden 300 Quelle: Schätzung des DIW.

Investitionsprojekte entsprechend ihrem Planungs- bzw. Baufortschritt getätigt werden und bis zur Jahresmitte erst wenige Vorhaben in Angriff genommen waren. Die reichliche Liquidität, die den Gemeinden in den ersten Monaten dieses Jahres aus dem Fonds "Deutsche Einheit" und dem Sofortpro- gramm des Bundes zur Unterstützung kommunaler Investitionen zugeflossen sind, wird am Jahresende aufgezehrt sein. Nach Angaben der ostdeutschen Kommunen sind die Mittel aus dem Sofortprogramm des Bundes vollständig verplant und werden noch in diesem Jahr ausgabewirksam. Die ostdeutschen Gemeinden haben zudem die zinsbegünstigten Kredite für Investitionen rege in Anspruch genommen. Im zweiten Halbjahr 1991 sind also sehr viel höhere Investitionsausgaben der Gemeinden zu erwarten. Gleichwohl dürften die kommunalen Investitionen mit schätzungsweise 450 DM je Einwohner noch längst nicht das westdeutsche Niveau — knapp 700 DM — erreichen; gemessen am Bedarf ist dies ein viel zu niedriger Betrag. Höhere Ausgaben als im ersten Halbjahr sind auch an anderer Stelle programmiert, vor allem durch die Tarifanhebungen im öffentlichen Dienst. Aber auch soziale Leistungen wie Wohngeld und Sozialhilfe werden vermehrt in Anspruch genommen. Alles in allem dürften Länder und Gemeinden ihre Haushalte 1991 mit einem relativ geringen Defizit — in der Größenordnung von 3 bis 5 Mrd. DM — abschließen. Dieses Ergebnis darf aber nicht zu dem Schluß verleiten, daß die Finanzlage der ostdeutschen Länder und Gemeinden 1992 rosig sein wird. Der Kern des Problems liegt darin, daß die Mittel aus dem Fonds "Deutsche Einheit" schon im nächsten Jahr spärlicher fließen und die Soforthilfen des Bundes für kommunale Investitionsvorhaben entfallen, die Steuermehreinnahmen diese Mindereinnahmen aber kaum ausgleichen (Tabelle 17): An westdeutschen Verhältnissen gemessen wird das Steueraufkommen auch 1992 noch sehr niedrig sein. Daher ist es zu begrüßen, daß der Bund seinen Anteil am Fonds "Deutsche Einheit" aufstocken will. Der Finanzbedarf der ostdeutschen Länder und Gemeinden wird nämlich größer werden. Sehr viel stärker als bisher wird der Ausbau der Infrastruktur zu Buche schlagen. Auch müssen die Gemeinden erhebliche finanzielle "Altlasten" tragen, vor allem wegen der Subventionierung des kommunalen Wohnungs- bestandes, der Bezuschussung der kommunalen Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen sowie auch der Finanzierung von Kultur-, Sozial- und Sporteinrichtungen. Die geringe "originäre" Finanzkraft der Kommunen stellt auch ein Hindernis für eine stärkere Ver- schuldung dar, denn die vom kommunalen Haushaltsrecht vorgegebenen Verschuldungsgrenzen richten sich nach der "dauernden Leistungsfähigkeit" der Kommunen, also den künftigen Einnahmen der Gemeinden: Je höher die Einnahmen aus Steuern oder Zuweisungen der Länder, um so höher ist im Prinzip ihr Kreditspielraum. Also sind die Länder mehr gefordert als bisher. Sie müssen den Gemeinden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs ausreichend Mittel zur Verfügung stellen, damit diese ihre 50

Aufgaben erfüllen können. Wie in Westdeutschland sind die Gemeinden Hauptinvestor der öffentlichen Hand, allerdings ist der Investitionsbedarf in Ostdeutschland sehr viel höher. In Anbetracht der relativ günstigen Haushaltslage in diesem Jahr und dem geringen Schuldenstand—die neuen Bundesländer sind noch nicht mit Altschulden1 belastet — kann den ostdeutschen Ländern durchaus eine deutlich höhere Nettokreditaufnahme zugemutet werden: Ein gutes örtliches Infrastrukturangebot ist die Basis für die wirtschaftliche Erneuerung und damit auch für höhere Steuereinnahmen in der Zukunft. Dessen ungeach- tet sollten auch die alten Bundesländer — gleichsam im Vorgriff auf ihre Leistungen im Länderfinanz- ausgleich von 1995 an — vermehrt an den Kosten des Einigungsprozesses beteiligt werden. Deshalb sollten auch sie ihren Beitrag zum Fonds "Deutsche Einheit" aufstocken.

VIII. Wirtschaftsförderung

Die gewerbliche Wirtschaft wird auf vielfältige und kaum noch überschaubare Weise unterstützt. Auch wenn kein konsistentes Konzept existiert, so lassen sich dennoch zwei grundsätzliche Ansatzpunkte der Wirtschaftspolitik erkennen: Auf der einen Seite sollen in der Regel Arbeitsplätze in Treuhand-Unterneh- men solange gestützt werden, bis dort wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstanden sind. Auf der anderen Seite sollen die Rahmenbedingungen für Investitionen und für den Aufbau moderner und wettbewerbs- fähiger Arbeitsplätze verbessert werden. Gemessen am finanziellen Aufwand liegt der Schwerpunkt der Hilfen bei den Treuhand- Unterneh- men. Sie stellt als direkte Hilfen ihren Unternehmen 1990/91 mindestens 8 Mrd. DM zur Verfügung.2 Die Mittel sollen für die Sanierung der Unternehmen eingesetzt werden; der überwiegende Teil dient aber der Finanzierung von Sozialplänen. Hinzu kommt die Entschuldung von Unternehmen, die als sanierungs- würdig eingestuft wurden. Sie sind bisher im Umfang von 16 Mrd. DM entschuldet worden, und ihr Eigenkapital wurde um 7 Mrd. DM aufgestockt. Alles in allem werden den Treuhand-Unternehmen in diesem Jahr mindestens 31 Mrd. DM an Unterstützung zufließen. Das Bürgschaftsvolumen bewegt sich in einer ähnlichen Größenordnung, ohne die Hermes-Bürgschaften mit Sonderkonditionen für die Exporte in die Sowjetunion. Bisher mußte die Treuhandanstalt für verbürgte Liquiditätskredite in Höhe von 8 Mrd. DM einstehen. Das Finanzvolumen für die Förderung der Investitionstätigkeit ist viel geringer. Die Steuerminderein- nahmen aufgrund der Investitionszulage für Ausrüstungen in Höhe von 12 vH dürften sich 1991 auf 3 Mrd. DM belaufen. Sonderabschreibungen werden höchstens mit einer halben Mrd. DM zu Buche schlagen. Für Investitionszuschüsse nach der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA) stehen für die gewerbliche Wirtschaft etwa 4 Mrd. DM bereit. Welche Bedeutung die Unternehmen den verschiedenen Finanzhilfen beimessen und ob nicht andere Formen der Unterstützung besser geeignet sind, ist weitgehend unbekannt. Das DIW hat im Rahmen seiner Befragung vom Sommer diesen Jahres die ostdeutschen Industrieunternehmen gebeten, Maßnah-

Nach 1993 soll der Kreditabwicklungsfonds, in dem die Altschulden der DDR zusammengefaßt sind, aufgelöst und die Schulden auf die Treuhandanstalt übertragen werden. Sofern die Verkaufserlöse der Treuhandanstalt zur Schuldentilgung nicht ausreichen, wird die Restschuld j e zur Hälfte auf Bund und die neuen Bundesländer verteilt. Treuhand-Informationen, Ausgabe 7/1991. Presseberichten zufolge stehen für Sanierungszwecke aber deutlich mehr, ca. 12 Mrd. DM zur Verfügung. Handelsblatt, "Sieben von zehn Betrieben sind sanierungsfähig"; 07.11.1991. Das "Hermes-Sonderprogramm UdSSR" verbessert die Exportchancen der ostdeutschen Wirtschaft ganz erheb- lich, vor allem, weil die sonst übliche Begrenzung des Handelsvolumens ("Plafond") aufgehoben wurde und die übliche Anzahlungspflicht des Kunden von 15 vH des Warenwertes entfällt. Die tilgungsfreie Zeit beträgt 3 statt einem halben Jahr, die Laufzeit ist von 8 auf 10 Jahre verlängert worden. Nicht aufgehoben wurde allerdings die Mindestbeteilungspflicht der Banken von 5 vH des Warenwertes. Frankfurter Allgemeine Zeitung, "Treuhand rechnet mit Defizit von 30 Mrd. DM", 26.10.1991. 51 men zu nennen, die ihrer Einschätzung nach geeignet sind, den Anpassungsprozeß in ihren Betrieben zu unterstützen. Nur ein Zehntel der Unternehmen hat angegeben, daß sie Unterstützung von außen nicht für erforderlich halten. Bei privatisierten Unternehmen ist der Anteil doppelt so hoch. Kleine Unternehmen glauben eher als große, ohne Hilfen auszukommen. Unter den genannten Maßnahmen rangieren die verschiedenen Arten der Förderung von Investitionen an erster Stelle. Dies gilt für alle Branchen sowie für große und für kleine Unternehmen. Die Aussage überrascht nicht, da die Unternehmen den Ersatz alter Produktionsanlagen als eines der zentralen Proble- me ansehen. Viele Unternehmen benötigen Beratungsleistungen, vor allem Know-how darüber, wie neue Märkte erschlossen werden können. Eine Reihe von Unternehmen verlangt sogar, daß die Treuhandanstalt oder der Staat sie bei der Suche nach Aufträgen aktiv unterstützt. Man hätte erwarten können, daß eine große Zahl von Unternehmen auf eine schnelle Entscheidung und finanzielle Absicherung des gerade erst eingereichten Unternehmenskonzeptes Wert legen würde. Dies ist aber offensichtlich nicht der Fall. Zu vermuten ist, daß die ausreichende Versorgung mit Betriebsmittelkrediten von den Unternehmen Druck mindert. Im Einklang damit steht der Befund, daß nur eine Minderheit der Unternehmen auf die Zufuhr von privatem Kapital und Know-how setzt. Die meisten Befragten glauben offenbar, mit Hilfe von Sanierungskonzepten und Unterstützung der Treuhandanstalt über die Runden zu kommen. Die Befragung bestärkt die Vermutung, daß die Art und Weise, wie die Treuhandanstalt ihre Unter- nehmen unterstützt, den Strukturwandel eher behindert als vorantreibt. Viele Geschäftsleitungen der Unternehmen verhalten sich — ausgestattet mit einem ausreichenden Liquiditätspolster — weitgehend passiv: Man erwartet, daß die Treuhandanstalt die aktive Rolle für das Unternehmen spielt. Je länger dieser Zustand andauert, desto mehr öffentliche Gelder verpuffen ohne Wirkung für Investitionen und Arbeitsplätze und desto geringer werden zugleich die Überlebens- und Privatisierungschancen dieser Unternehmen. Die Treuhandanstalt will auch im nächsten Jahr reichlich Liquidität bereitstellen. Sie hält neuerlich einen Bürgschaftsrahmen von 30 Mrd. DM für notwendig. Zugleich wächst die Treuhandanstalt mehr und mehr in die Rolle eines Sanierers ihrer Unternehmen hinein, während die Privatisierung immer schwieriger wird. 70 vH ihrer Unternehmen hat sie aufgrund von testierten Eröffnungsbilanzen und aufgrund der vorgelegten Unternehmenskonzepte als sanierungs- fähig eingestuft. Zu Buche schlagen wird die Ausstattung mit Eigenkapital. Hinzu kommen die staatlichen Hilfen für Investitionen. Mit den unterschiedlichen Maßnahmen zur direkten Förderung der Investitionen schafft die Bundes- regierung attraktive Bedingungen für Unternehmen in den neuen Bundesländern. Die wichtigsten Maß- nahmen sind die Investitionszulage und der Investitionszuschuß im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA). Investitionszuschüsse müssen zwar versteuert und in einem aufwendigen Verfahren beantragt werden. Die Zulage dagegen ist steuerfrei und einfach zu erhalten. Zuschüsse bieten aber deutlich attraktivere Konditionen, sie werden nicht nur für neue, sondern auch für gebrauchte und geleaste Wirtschaftsgüter gewährt, und zwar sowohl für bewegliche als auch für unbewegliche. Ein Rechtsanspruch auf Zuschüsse besteht nicht. Treuhand-Unternehmen sind privaten Unternehmen zwar gleichgestellt. Manche Bundes- länder lehnen jedoch die Zuschuß-Förderung von Treuhand-Unternehmen ab. Nimmt man die Sonderabschreibungen von 50 vH der Investition hinzu, so ergibt sich im Vergleich mit westdeutschen Fördergebieten ein ganz erheblicher Fördervorsprung. Mit Zulage, Zuschuß und Sonderabschreibung kann etwa die Hälfte einer Investition in Ostdeutschland finanziert werden, in westdeutschen Fördergebieten dagegen mit höchstens 18 vH, also etwa einem Drittel dessen. Auch im Hinblick auf die Ertragseffekte sind die Unterschiede erheblich. Allein Zulage und Zuschuß ersetzen gut l Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Institut für Weltwirtschaft: Gesamtwirtschaftliche und unternehme- rische Anpassungsprozesse in Ostdeutschland. Dritter Bericht, in: Wochenbericht des DIW, Nr. 39/40 1991 und in: Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 176. Die Sonderabschreibung kann zusätzlich zu der Normalabschreibung im Jahr der Investition und in den folgenden vier Jahren geltend gemacht werden. Die Bedingungen entsprechen denen der Zulage. Die Maßnahme ist bis Ende 1994 befristet. 52

Tabelle 18 — Bewilligte und förderfähige Investitionsvorhaben der gewerblichen Wirtschaft im Rahmen der GAsowie abgeflossene GA-Mittel (Stand: 31.10.1991)

Investitionsvolumen Investitionsvorhaben GA-Mittel insgesamt je Vorhaben Zahl Mill. DM Bewilligte Vorhaben 3 391 35 800,5 10,6 6 964,7 Förderfähige Vorhaben 11425 65 037,8 5,7 12 65-2,6a Abgeflossene GA-Mittel • 1156,1 aGeschätzt. Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft; DIW. ein Drittel der Eigenmittel. Dies ist fast doppelt so viel wie in westdeutschen Fördergebieten. Hinzu kommt der abdiskontierte Barwert der Sonderabschreibungen. Das Fördergefälle ist noch größer bei Unterneh- men, die laufend investieren, und denen durch Sonderabschreibungen ein dauerhafter Zuschuß gewährt wird. Auch das wichtigste der angebotenen Kreditprogramme — das ERP-Kreditprogramm — weist im Vergleich mit Westdeutschland deutlich günstigere Konditionen auf. Die ERP- Darlehen stehen in der Regel nur für mittelständische Unternehmen mit bis zu 50 Mill. DM Jahresumsatz zur Verfügung. Damit sollen Existenzgründungen, Modernisierungs- und Erweiterungsinvestitionen, Umweltschutz- investitionen sowie Vorhaben im Bereich des Tourismus finanziert werden. Finanziert wird bis zu 50 vH der Investition, höchstens 1 Mill. DM. Bei ERP-Programmen für westdeutsche Unternehmen ist der Höchstbetrag in der Regel auf 300 000 DM begrenzt. Der Zinssatz beträgt derzeit 7,5 vH, das ist 1 vH-Punkt weniger als bei ERP-Krediten in Westdeutschland. Wegen der derzeitig hohen Kapitalmarkt- zinsen und im Hinblick auf das geringe Eigenkapital des Mittelstandes in Ostdeutschland hat dies eine besondere Bedeutung. Die Darlehen laufen maximal über 15 (bei Anlagen) bzw. 20 Jahre (bei Bauten) und damit fünf Jahre länger als in Westdeutschland. Bis zu fünf Jahre können tilgungsfrei sein, in den alten Bundesländern nur bis zu zwei Jahren. Im Rahmen der "Gemeinschaftsaufgabe" sind seit ihrer Einführung im vergangenen Jahr bis Ende Oktober 1991 knapp 3 400 Vorhaben bewilligt worden. Dafür wurden knapp 7 Mrd. DM bereitgestellt (Tabelle 18). Die Unternehmen beabsichtigen Investitionen von knapp 36 Mrd. DM, dies sind knapp 11 Mill. DM je Vorhaben. Der Zuschuß des Staates beträgt damit immerhin ein Fünftel. Fast drei Viertel der Investitionen sollen bereits 1991 und 1992 realisiert werden. 135 000 Arbeitsplätze sollen zusätzlich geschaffen, 113 000 gesichert werden. Für jeden Arbeitsplatz werden demzufolge 144 000 DM investiert. Dies entspricht in etwa der Investitionsintensität bei geförderten Unternehmen in westdeutschen GA-Ge- bieten. Gemessen daran, daß in den ostdeutschen Betrieben erst ein Kapitalstock aufgebaut werden muß, ist dies eine zu geringe Summe. Der Antragsstau, der noch bis in den Frühsommer dieses Jahres zu beobachten war, ist inzwischen weitgehend abgebaut. Im 1. Quartal 1991 kamen auf einen bewilligten Antrag noch 14 unbearbeitete Anträge, im 2. Quartal bereits nur 6, und derzeit beträgt die Relation noch 3:1. Die Bewilligung von Anträgen bedeutet freilich noch nicht, daß auch tatsächlich investiert wird. Erkennen läßt sich dies erst am Abfluß der GA-Mittel. Die Zuschüsse werden erst dann ausgezahlt, wenn die Anschaffung von Maschinen oder die Errichtung von Gebäuden nachgewiesen worden ist. Nach wie vor verläuft der Abfluß der Mittel schleppend, wenn auch das Tempo deutlich zugenommen hat. Ende Oktober waren 17 vH der bewilligten Mittel ausgezahlt, Ende September waren es 12 vH, Mitte des Jahres erst 4 vH. Offen ist, ob hierfür Engpässe im Bereich der kommunalen Verwaltung verantwortlich sind. Anhaltspunkte hierfür sind die Tatsache, daß Baugenehmigungen nicht schnell genug ausgesprochen werden und auch Flächen- nutzungspläne in vielen Gemeinden noch nicht existieren. Längerfristig gesehen kann aber mit kräftigen Investitionen gerechnet werden. In Bearbeitung insge- samt befinden sich noch gut 11 000 Anträge mit einem Investitionsvolumen von 65 Mrd. DM. Dies bedeutet allerdings auch eine kräftige Ausweitung des Finanzrahmens. Wenn es bei den bisherigen 53

Tabelle 19 — Beantragte, zugesagte und ausgezahlte ERP-Kredite nach Quartalen 1990 und 1991

Anträge Zusagen Auszahlungen Zahl Mill. DM Zahl Mill. DM II. Quartal 1990a 30 618 21301 2 274 181 III. Quartal 1990 16 894 20 811 2482 919 IV. Quartal 1990 13 069 12117 1044 1085 I. Quartal 1991 22 531 23 950 15 594 1546 1045 II. Quartal 1991 21428 2719 24 699 2 253 1600 III. Quartal 1991 21500 3 778 22163 2 850 2270 Oktober 1991 5 505 1041 8 232 976 750 1990 insgesamt 61481 8 381 542 229 5 800 2185 1991 insgesamt 70 964 9 933 70 688 7 625 5 665

1990/1991 insgesamt 132 445 18 314 124 917 13 425 7 850 "Einschließlich März 1990. Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft.

Konditionen bleibt, sind weitere 13 Mrd.DM GA-Mittel allein für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft notwendig, fast doppelt so viel wie bisher. Das ERP-Programm ist für 1991 weitgehend ausgeschöpft, es sind bereits 71 000 Kreditanträge mit einem Volumen von 10 Mrd. DM eingereicht worden (Tabelle 19). Im letzten Jahr waren es 62 000 Anträge mit einem Kreditvolumen von 8 Mrd. DM. Zugesagt sind inzwischen 13 Mrd. DM, ausgezahlt sind 8 Mrd. DM. Bei einer angenommenen Finanzierungsquote von gut 50 vH werden mit den beantragten Krediten Investitionen von gut 30 Mrd. DM in der mittelständischen Wirtschaft mitfinanziert. Spürbare Beschäftigungseffekte werden sich allerdings mit einem deutlichen Zeitverzug einstellen. Die Bearbeitung der Anträge hat sich inzwischen eingespielt. Die Mittel fließen hier rascher ab, da ein Großteil der Darlehen zur Modernisierung bereits bestehender Betriebe eingesetzt wird (Tabelle 20). Beantwortet werden muß von der Politik auch die Frage, wie Investitionen von Treuhand-Unternehmen bei GA-Zuschüssen behandelt werden. Bisher verfahren die Bundesländer unterschiedlich. Aus Länder- sicht und unter fiskalischen Gesichtspunkten ist die Ablehnung von Zuschüssen für Treuhand-Unterneh- men verständlich. Tabelle 20 — Beantragte und zugesagte ERP-Kredite nach Förderprogrammen (März 1990 bis Oktober 1991, Struktur in vH)

Anträge Zusagen Förderprogramm Zahl Kreditvolumen Zahl Kreditvolumen Existenzgründung 63,8 46,9 62,8 49,7 Modernisierung 27,0 39,5 27,2 37,9 Umwelt 0,8 5,2 0,7 3,5 Tourismus 8,4 8,4 9,3 8,9 Förderprogramme insgesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Bundesministerum für Wirtschaft.

IX. Anpassungsprozesse in Ostdeutschland: Eine Zwischenbilanz

Die Vereinigung ist erst dann vollendet, wenn das Wohlstandsgefälle weitgehend beseitigt ist. Bis dahin wird noch viel Zeit vergehen. Deshalb wird die Unterstützung aus den alten Bundesländern—sei es durch Transferzahlungen, sei es durch Wissenstransfer—noch über einen größeren Zeitraum fortgesetzt werden müssen. 54

Der Anpassungsprozeß, in dem alte, nicht wettbewerbsfähige Strukturen zerstört und neue aufgebaut werden, gestaltet sich schwierig. Die Zerstörung erfolgt rasch, der Neuaufbau verläuft schleppend, die dazugehörigen Lernprozesse benötigen Zeit. Aus Sicht der Menschen in Ostdeutschland ist es ver- ständlich, daß sie sich gegen den Verlust ihrer alten Arbeitsplätze zur Wehr setzen. Zu bedenken ist aber, daß die Erhaltung nicht wettbewerbsfähiger Produktionen Mittel bindet, die zum Aufbau der Wirtschaft dringender benötigt werden. Dies ist aber nicht nur ein ostdeutsches Problem. Zwar wurde in Westdeutsch- land mit dem Abbau von Subventionen begonnen; vor dem Hintergrund dessen, was den Bewohnern in Ostdeutschland gegenwärtig an Anpassungslasten aufgebürdet wird, sind die bisherigen Maßnahmen aber sehr halbherzig. Hinzu kommt, daß nach dem Motto "gleiches Recht für Alle" für die in Westdeutschland subventionierten Bereiche auch für Ostdeutschland zumindest dieselben Subventionsbedingungen ver- langt werden. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich in Ostdeutschland die Bereiche, die für lokale oder regionale Märkte produzieren, rasch entwickeln werden. Dazu gehören das Baugewerbe, das Handwerk, der Handel, der Verkehr und die Nachrichtenübermittlung, die Banken und Versicherungen sowie die anderen Dienstleistungen. Diese Bereiche erhalten gegenwärtig kräftige Impulse durch öffentliche und private Kapitaltransfers. Dort geht die Umstrukturierung zügiger voran, zumal sich Unternehmen aus Westdeutschland stark engagieren. Besonders groß sind die Anpassungsprobleme in Landwirtschaft, Bergbau und Industrie. Die ostdeut- sche Industrie hat ihre alten Märkte weitgehend verloren. Sie muß sich zur Sicherung von Produktion und Beschäftigung dem Verdrängungswettbewerb der westlichen Unternehmen stellen. Diesem ist sie aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt wegen unzureichender Produktqualität, veralteter Anlagen und der zu geringen Kapitalausstattung mit wenigen Ausnahmen nicht gewachsen. Es überrascht deshalb nicht, daß sich der überwiegende Teil der Industrieunternehmen in Ostdeutschland gegenwärtig für nicht wettbewerbsfähig hält. Es ist daher dringend notwendig, daß vermehrt privates Kapital nach Ostdeutschland fließt. Für die Investoren gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten eines Engagements: Sie können Produktionsstätten auf der "grünen Wiese" errichten oder ein Unternehmen aus Treuhandbesitz erwerben. Wenn sich Investoren für die Errichtung neuer Produktionsstätten entscheiden, liegt das daran, daß sie sich scheuen, in alte Strukturen zu investieren, zumal ihnen häufig Beschäftigungsgarantien abverlangt werden. Die Anreize, in bestehende Unternehmen zu investieren, müssen vergrößert werden. Dazu muß die Treuhandanstalt ihre jetzige Praxis zugunsten einer Konzeption aufgeben, die die Entscheidung über den Erhalt und die Sanierung von Unternehmen mehr als bisher dem Markt überläßt. Zudem muß Klarheit über die staatlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Treuhandanstalt erwartet häufig zu viel von den potentiellen Investoren — etwa, daß der bisherige Standort und das Unternehmensprofil erhalten bleiben, eine Mindestbeschäftigung gesichert oder ein hohes Investitionsvolumen realisiert werden sollen, und sie fordert, daran gemessen, einen zu hohen Preis. Solche Auflagen verschlechtern die Aussichten für eine Sanierung und damit auch für eine Privatisierung. Soweit die Treuhandanstalt darauf besteht — und dazu zwingt sie der politische Druck — muß sie Konzessionen beim Preis machen. Ein potentieller Käufer wird dann verlangen, daß die künftigen Kosten, die ihm beispielsweise durch den Zwang zur Weiterbeschäftigung von überzähligem Personal entstehen, abdiskontiert werden. In diesem Fall muß der Preisnachlaß mindestens so hoch wie die Konventionalstrafe sein, die er bei Nichterfüllung der Auflagen zu zahlen hätte. Die Treuhandanstalt könnte deshalb — auch unter Inkaufnahme hoher negativer Preise — die Kluft zwischen den Auflagen, die sie macht, und den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen, die ein Investor zu beachten hat, überbrücken. Dies mag zwar kurzfristig teuer erscheinen, aber langfristig kann es die billigere Lösung sein. Die Treuhandanstalt könnte die Privatisierung auch dadurch forcieren, daß sie den Unternehmen für eine befristete Zeit Subventionen gewährt. Beispielsweise könnten alle Treuhandunternehmen soweit mit Investitionsmitteln ausgestattet werden, daß die Hälfte der Investitionen finanziert wäre. Investieren können die Unternehmen aber erst dann, wenn sie einen Investor, Kapitalgeber oder Kooperationspartner finden, der für die Finanzierung der noch verbleibenden Investitionssumme sorgt. Um den Unternehmen den Start zu erleichtern und um den Anreiz zur Beteiligung bzw. zum Erwerb zu erhöhen, könnten die Treuhandanstalt-Unternehmen zudem eine über vier Jahre degressiv gestaffelte Lohnkostensubvention 55

erhalten. Der bisher eingeräumte Kreditrahmen entfiele. Kann ein Unternehmen auch unter diesen Bedingungen nicht am Markt überleben, muß es ausscheiden. Die bisherige Praxis der Einzelfallentscheidung der Treuhandanstalt hat entscheidende Nachteile. Derzeit werden die Unternehmenskonzepte meistens von Experten aufgestellt und von der Treuhand- anstalt unter Hinzuziehung von Experten geprüft und verabschiedet. Da nach den meisten Sanierungs- konzepten die Gewinnzone erst nach etwa zwei Jahren erreicht wird, die Investitionen aber vorher erfolgen müssen, besteht ein hohes Risiko. Dieses trägt allein die Treuhandanstalt. Die Treuhandanstalt wird außerdem die Befolgung der Sanierungskonzepte über immer perfekteres Controlling begleiten müssen. Es ist leicht einzusehen, daß auf diesem Wege des einzelbetrieblichen Controllings die Treuhandanstalt eine Entwicklung nimmt, die gerade nicht beabsichtigt ist: Sie wird, statt sich aufzulösen, zu einer Industriebehörde. Anders bei den zur Diskussion gestellten Konzeptionen: Diese verlangen — bei allerdings sehr günstigen Bedingungen —, daß auch Dritte an die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens glauben und bereit sind, Risiken zu übernehmen. Expertenurteile und Controlling der Treuhandanstalt werden durch Marktentscheidung ersetzt. Der Einwand, daß diese Konzeptionen schwer zu verwirklichen seien, da es keine potentiellen Investoren gäbe, bringt nur zum Ausdruck, daß viele Sanierungskonzepte der Treuhand- anstalt auf tönernen Füßen stehen. Die Unterschiede zwischen beiden Konzeptionen bestehen darin, daß die zweite die finanziellen Anreize, die die Treuhandanstalt zur Erreichung ihrer Ziele setzt, gleichsam "instrumentalisiert". Darin mag man einen Vorteil sehen, nämlich den der höheren Transparenz. Es kann aber auch ein Nachteil sein: Es besteht die Gefahr, daß die ursprünglich befristeten Subventionen verlängert werden und nicht auf den Kreis der Treuhandunternehmen eingegrenzt werden können. Beide Institute, das DIW und das IfW, sehen die Notwendigkeit einer Änderung der bisherigen Politik der Treuhandanstalt. Sie präferieren jedoch jeweils eine andere: Das Modell des DIW knüpft die Hilfen an Investitionen und überbrückt die Zwischenzeit mit degressiv gestaffelten Lohnsubventionen. Das IfW sieht dagegen in der einmaligen Abgeltung des Subventionsbedarfs im Kaufpreis die bessere Lösung. Über kurz oder lang sind Entscheidungen darüber zu treffen, welche Unternehmen die Politik aus übergeordneten Gründen erhalten will. Diese sollten aus der Treuhandanstalt herausgelöst und unter dem Dach von Staatsholdings geführt werden. Nur für diese Unternehmen sollte eine Bestandsgarantie gegeben werden. Es wäre dann Sache der staatlichen Eigentümer, was sie aus den Unternehmen machen — ob sie diese langfristig sanieren oder als Kostgänger des Steuerzahlers führen. Es versteht sich von selbst, daß dies eine sehr teure Lösung ist, die nur in Ausnahmefällen in Frage kommt.

X. Spezialthemen

1. Zum Stand der Privatisierung der ehemaligen Dienstleistungskombinate und -betriebe der Örtlichen Versorgungswirtschaft

In der DDR spielten die sogenannten volkseigenen Dienstleistungskombinate und -betriebe für die Versorgung der Bevölkerung mit hauswirtschaftlichen und persönlichen Dienstleistungen eine zentrale Rolle. Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung, Berlin, hat untersucht, was inzwischen aus diesen Einrichtungen geworden ist.

Ausgangssituation Ende 1989 Die volkseigenen Dienstleistungskombinate und -betriebe sind im Zuge der Kombinatsbildung in der Industrie, im Bauwesen und im Handwerk in den siebziger und achtziger Jahren entstanden; sie wurden den Räten der Bezirke unterstellt. Ihre Vorläufer waren in der Regel kreisgeleitete Betriebe, die enge Kooperationsbeziehungen zu anderen Handwerksbetrieben unterhielten und die selbst über ein breites l Es hat diese Konzeption bereits an anderer Stelle zur Diskussion gestellt (vgl. DIW-Wochenbericht Nr. 41/91). 56

Annahmestellennetz verfügten. Die Leistungspalette war recht heterogen; sie reichte etwa von Schneider- arbeiten über Schirmreparaturen bis zu Friseur- und Kosmetikleistungen. Die den Kombinaten zugeord- neten Betriebe waren ökonomisch und rechtlich selbständig. Die volkseigenen Dienstleistungskombinate und -betriebe trugen zur Produktion hauswirtschaftlicher und persönlicher Dienstleistungen sowie zu den Reparaturen knapp ein Drittel bei. 1989 erbrachten sie Betriebsleistungen in Höhe von 1,5 Mrd. Mark, darunter waren 1,2 Mrd. Mark für Dienstleistungen und Reparaturen. Reichlich zwei Drittel der Dienst- leistungen wurden durch private und genossenschaftliche Handwerksbetriebe erbracht; in einigen Fällen, so bei Schuhreparaturen, Friseurleistungen oder der Instandsetzung und Einzelanfertigung von Möbeln und Polsterwaren, wurde die Versorgung sogar fast ausschließlich vom Handwerk übernommen. Neben den zehn volkseigenen Dienstleistungskombinaten bestanden noch in Berlin, Dresden, Chem- nitz, Neubrandenburg und fünf Textilreinigungskombinate, die sämtliche volkseigenen Wäschereien und Chemischen Reinigungen in den jeweiligen Bezirken vereinten, sowie das Kombinat Stadtwirtschaft Berlin (Müll- und Fäkalienabfuhr, Straßenreinigung, Winterdienst, Grünpflege, Friedhofswesen). Das größte Kombinat war mit über 6000 Beschäftigten in rund 300 Arbeitstätten das Ostberliner Dienstleistungskombinat. Der Beitrag der Dienstleistungskombinate zu den Leistungen des volkseigenen Dienstleistungsbereichs betrug 75 vH; bezogen auf alle hauswirtschaftlichen und persönlichen Dienstleistungen und Reparaturen in der DDR betrug der Anteil 16 vH.

Stand der Privatisierung Nach den vorliegenden Informationen ist die Privatisierung und Kommunalisierung der ehemals volks- eigenen Dienstleistungskombinate und -betriebe weit fortgeschritten: —Die Kombinate wurden in der Regel entflochten und die einzelnen Betriebe zunächst den Kreisen als kreisgeleitete volkseigene Betriebe zugeordnet. Nach dem Treuhandgesetz unterlagen diese Betriebe anfangs nicht der Verpflichtung, sich in andere Rechtsformen umzuwandeln. Erst mit dem Einigungsvertrag wurden sie als Finanzvermögen des Bundes der Treuhandanstalt zur Privatisierung übertragen. Ehe diese Regelung voll wirksam wurde, hatten die Kreise teilweise bereits nach eigenständigen Lösungen zur Privatisierung bzw. Kommunalisierung gesucht. —Solche Unternehmen, die marktwirtschaftlichen Ansprüchen gerecht wurden, wie etwa Gebäude- reinigungsunternehmen, Videotheken, kleine bis mittlere Wäscherei- und Chemische Reinigungs- betriebe, konnten in der Folge verkauft werden. Der Verkauf erfolgte vorrangig an westdeutsche, in einigen Fällen auch an ausländische Interessenten. Neben dem Verkauf wurde und wird auch eine Privatisierung durch Management-Buy-Out (MBO) angestrebt. —Unternehmen ohne Privatisierungschancen wurden liquidiert oder befinden sich in der Liquidation. Insgesamt zeigt sich, daß die ehemaligen Dienstleistungskombinate als Ganzes nicht überlebensfähig waren. Obwohl rasch verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit einzelner Bereiche ergriffen wurden (etwa eine drastische Reduzierung des Personals, Umprofilierung des Leistungsange- bots, Modernisierung der Werkstätten), konnten die Auswirkungen der anders strukturierten und teilweise auch spürbar verringerten Nachfrage nicht wettgemacht werden. Von den Leitungen der befragten Unternehmen wurde allerdings auch beklagt, daß der von der Treuhandanstalt vorgegebene zeitliche und finanzielle Rahmen nicht ausreichend gewesen sei, um eine Sanierung mit Erfolg durchzuführen. Am Beispiel zweier ehemaliger Kombinate aus dem Bezirk Gera wird ersichtlich, wie unterschiedlich das Schicksal einzelner Teilbetriebe verlaufen ist. Auf dem Territorium dieses Bezirkes existierten bis Jahresbeginn 1990 der VEB Kombinat Hauswirtschaftliche Dienstleistungen Gera und der VEB Kombi- nat Textilreinigung Jena. Nachdem beide Kombinate aufgelöst und entsprechend ihren Sitzen den Kreisen zugeordnet worden waren, wurden von den Kreisräten teilweise die Privatisierung und Kommunalisierung eingeleitet. Später hat die Treuhandanstalt diese Arbeit fortgeführt. Nach Angaben der zuständigen Treuhandniederlassung wurde inzwischen folgender Stand erreicht: Auch an einem weiteren Beispiel, dem ehemaligen Kombinat für Hauswirtschaftliche Dienstleistungen Suhl, zeigt sich die unterschiedliche Entwicklung der einzelnen Teilbereiche. Dieses Kombinat wurde l Übersicht nicht vollständig. 57

Stand von Privatisierung und Kommunalisierung der Kombinate Hauswirtschaftliche Dienstleistungen Gera und Textilvereinigung Gera

Firma Status Chemische Reinigung Eisenberg GmbH reprivatisiert Wäscherei Eisenberg GmbH verkauft Dienstleistungs- und Handels GmbH Gera verkauft Geraer Textilreinigungs GmbH verkauft Piepenbrook Gebäudereinigungs GmbH Gera verkauft Saalfelder Wäscherei GmbH Saalfeld verkauft Textil-Pflege GmbH Saalfeld verkauft Electric und Innenausbau GmbH Schleiz kommunalisiert Wirtschafts- und Dienstleistungs GmbH Pößneck in Liquidation Hanse-Ring GmbH Jena Treuhandunternehmen Jenatex - moderne Textilpflege GmbH Jena Treuhandunternehmen Tip-Top-Wäscherei Rudolfstadt GmbH Treuhandunternehmen Wasch- und Reinigungsgesellschaft mbH "Universal" Zeulenroda Treuhandunternehmen

ebenfalls aufgespalten und seine Einzelbetriebe wurden in kommunale Trägerschaft überführt. Gegen- wärtig ist die Rückübertragung an die Treuhandanstalt, Niederlassung Suhl, im Gange. Konkrete Angaben über den Stand der Privatisierung konnten allerdings nur bei drei Unternehmen ermittelt werden, bei der —Sonneberger Dienstleistungs GmbH, —Dienstleistungs GmbH Suhl, —Wäscherei Vacha. Die Sonneberger Dienstleistungs GmbH ist noch in Treuhandbesitz, aber es besteht starkes Interesse an einem MBO. Es werden beachtliche Umsätze erzielt, und zwar hauptsächlich in den Bereichen Installation, Innendekoration, Wäscherei und Reinigung sowie in den Versandhausagenturen. Die Dienstleistungs GmbH Suhl, die teilweise gleichfalls noch der Treuhandanstalt gehört, arbeitet dagegen mit Verlust und ist nicht sanierungsfähig. Nach einer Empfehlung der Abteilung Beteiligungs- betreuung ist das Unternehmen zu liquidieren. Die Immobilien sollen durch die Treuhandliegenschafts- gesellschaft verwertet werden. Einige Bereiche wurden auch privatisiert, so das Geschäft mit Uhren und Schmuck sowie die Videothek Suhl-Nord. Die noch bestehenden Bereiche (Fotostudio, Quelle-Verkaufs- agentur, Schuh- und Schlüsselreparaturen, Textilpflege/Wäscherei) sind nicht in der Lage, kostendeckend zu arbeiten, und werden in Kürze stillgelegt. Die Wäscherei Vacha GmbH konnte inzwischen eine Stabilisierung ihres Umsatzes erreichen. Es besteht Interesse von Seiten der Geschäftsführerin, die Firma von der Treuhandanstalt zu erwerben.

2. Die Bedeutung von Einkaufs- und Verbundgruppen für mittelständische Unternehmen und Organisationen im Einzelhandel

Aufgrund der besonderen Bedeutung von Einkaufs- und Verbundgruppen für die Entwicklung mittelstän- discher Handelsstrukturen in den neuen Bundesländern hat die Forschungsstelle für den Handel (FfH), Berlin, versucht, sich ein genaues Bild vom Umfang des Engagements dieser Organisationen in den neuen Bundesländern zu machen. Zu diesem Zweck wurden alle 127 westdeutschen Einkaufs- und Verbund- gruppen, die in der Bundesvereinigung Deutscher Einkaufs- und Verbundgruppen des Handels e.V. (BEV) organisiert sind, schriftlich über ihre Aktivitäten der ihnen angeschlossenenen Unternehmen in den neuen Bundesländern befragt.

Leistungsspektrum Der überwiegende Teil der westdeutschen Organisationen stellt den (Voll-) Mitgliedern aus den neuen Bundesländern uneingeschränkt die gleiche Leistungspalette wie den Mitgliedern in den alten Ländern zur Verfügung. Darüber hinaus werden aufgrund der noch vorhandenen Defizite in allen Bereichen auch 58

grundlegende Hilfen gegeben, die in den alten Ländern entweder gar nicht oder nicht mehr in diesem Umfang notwendig sind. Die Leistungen der Einkaufs- und Verbundgruppen umfassen unter anderem die folgenden Angebote: /" —Aufnahme in die Zentralregulierung (Warenbezug, Finanzierung, Abwicklung); —Schulungen/Weiterbildungen/Seminare zur Vermittlung allgemeiner betriebswirtschaftlicher sowie fachspezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten; —Verkaufsschulungen/-training; —Unternehmensberatung; —Organisation von Erfa-Gruppen; —Marketing-Unterstützung (Organisation und Schaltung von Werbemaßnahmen, Verkaufsförde- rungshilfen, Empfehlungen zur Gestaltung der Preispolitik); —Bereitstellung von Materialien und Unterlagen aller Art; —Informationsversorgung, insbesondere Vermittlung branchenspezifischer Daten; —Planung und Durchführung spezieller Verkaufsaktionen; —Unterstützung bei der Verkaufsraumgestaltung sowie bei Um- und Ausbauten sowohl in Form von Beratung als auch materiell und finanziell; —Finanzierungsvermittlung bei Investitionsvorhaben.

Mitgliederzahl Bei der Auswahl ihrer Aktivitäten auf die neuen Bundesländer mußten viele Einkaufs- und Verbundgrup- pen die Erfahrung machen, daß potentielle Partner nur mühsam von den Vorteilen eines Anschlusses überzeugt werden konnten. Die nach 40 Jahren Planwirtschaft wiedergewonnene Selbständigkeit schien aus Sicht vieler ostdeutscher Unternehmer durch einen solchen Anschluß gefährdet. So wurde es in einer ersten Phase vorgezogen, eigenständig zu agieren.

Mitgliederzahl der Einkaufs- und Verbundgruppen in den neuen Bundesländern

Unternehmen Sortiment Mitgliederzahl hagebau Baustoffe 10 ruefach Rundfunk und Fernsehen, Elektroartikel 319 holzring Holzwerkstoffe - intersport Sportbedarf 120 musterring Möbel 34 Ermuri Tabakwaren 100 Decor-Union Heimtextilien 1 coba Baustoffe 7 GEV Spirituosen, Wein 90 Sütex Textil 200 MDA Optikerbedarf - Fotoco Fotobedarf 29 Garant Möbel Möbel 55 EK Kauf- und Warenhäuser 233 MZE Möbel 25 Rexor Schuhe 10 telering Unterhaltungselektronik 300 Bettenring Bettwaren 3 optic actuell Optikerbedarf 70 idee + spiel Spielwaren 120 Euro-Leder Lederwaren, Schuhbedarf 1 Zoo-Fachring Zooartikel 19 Ardek Kinderausstattung 40 Nürnberger Bund Haushaltswaren, Eisenwaren 360 INPHO Fotobedarf 32 Interfunk Rundfunk und Fernsehen, Hausgeräte 221 59

In einer zweiten Phase verringerte sich bei den Einzelhändlern die starke Ablehnung gegenüber der Aufnahme in eine Verbundgruppe. In der Folge kam es zu zahlreichen Neuaufnahmen. In der gegenwär- tigen dritten Phase dominiert deutliche Zurückhaltung bei den Verbundgruppen gegenüber Neuaufnah- men; potentielle Mitglieder werden genauer als bisher auf ihre Eignung hin überprüft (Mindestan- forderungen hinsichtlich Umsatz, Verkaufsfläche, Ortsgröße u.a.), und Hospitantenfristen werden verlän- gert. Als Gründe hierfür gelten: —Es hat Pleiten bei Neumitgliedern gegeben, die zum Teil mit erheblichen finanziellen Verlusten für die Kooperationsgruppe verbunden waren. —Es ist absehbar, daß ein Teil der potentiellen Mitglieder nicht überleben wird; dies liegt zum einen an mangelhaften marktwirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Betreiber, zum anderen an den oben bereits genannten Problemen wie ungeklärten Eigentums- verhältnissen, schlechten Standorten oder zu kleinen Verkaufsflächen. Insgesamt ist der Organisationsgrad mittelständischer Händler in den neuen Bundesländern nach wie vor recht gering. In einer Umfrage der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels vom Mai/Juni 1991 erklärten knapp zwei Drittel der befragten kleinen und mittleren Unternehmern, daß sie keiner Organisation angeschlossen seien. Die Mitgliederzahlen bei den von der FfH Berlin befragten Einkaufs- und Verbundgruppen sind sehr unterschiedlich. Die Skala reicht von Gruppen mit Null (trotz intensiven Bemühens wurden keine Partner gefunden), über Gruppen mit ganz wenigen Mitgliedern hin zu solchen mit bis zu mehr als 300 Mitgliedern (vgl. Übersicht). Neben dem Status einer Vollmitgliedschaft gibt es auch den eines Kooperationspartners oder Hospitanten, der erst nach Ablauf einer gewissen Frist zur Vollmitgliedschaft führt. Auch viele Mitglieder aus den alten Bundesländern sind jetzt mit Filialen in Ostdeutschland vertreten. Aufgrund der nicht einheitlichen Begriffsdefinitionen ist keine Unterscheidung möglich zwischen Voll- und Teilmitgliedschaft sowie zwischen dem Status eines Mitglieds als Koopera- tionspartner oder als Hospitant.

Umsatzentwicklung Die Umsatzentwicklung der Mitgliedsunternehmen der befragten Verbundgruppen verlief sehr unter- schiedlich. Dies liegt zum einen an den Sortimenten, mit denen gehandelt wird, zum anderen an den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten der einzelnen Betreiber. Insgesamt scheint sich die Umsatz- entwicklung der angeschlossenen mittelständischen Händler nicht stark von der Entwicklung der Einzelhandelsumsätze in den neuen Bundesländern insgesamt zu unterscheiden. Mit Beginn des Jahres 1991 ist eine deutliche Stagnation eingetreten, teilweise wurde sogar ein erheblicher Rückgang verzeich- net. Die künftigen Aussichten werden von den Verbundgruppen gleichfalls differenziert gesehen: Ein Teil der Mitglieder rechnet aufgrund der schlechten Bedingungen (Standort, Verkaufsfläche, Eigentumslage, zunehmende Konkurrenz) mit weiteren Umsatzrückgängen; ihre Existenz ist gefährdet. Ein anderer Teil, der nicht mit solchen widrigen Umständen entweder belastet ist oder der für eine Beseitigung der wesentlichen Hindernisse sorgen konnte, erwartet eine positive Entwicklung, insbesondere für den Fall einer raschen Besserung der gesamtwirtschaftlichen Situation.

Investition Bei den kleinen und mittleren Händlern in den neuen Bundesländern ist die Bereitschaft, zügig zu investieren sehr groß. Der Verwirklichung ihrer Absicht, sich damit in eine Wettbewerbsposition zu bringen, in der das Überleben möglich ist, stehen jedoch häufig mannigfache Hindernisse entgegen. Mittelständische Händler sind in der Regel nicht in der Lage—wie etwa westdeutsche Großunternehmen —, größere Anfangsverluste zu verkraften. Mit dem zunehmenden Engagement westdeutscher Handels- unternehmen, die in den neuen Bundesländern großflächige Läden in moderner Aufmachung eröffnen, verschlechtert sich die ohnehin oft schwache Wettbewerbsposition der ostdeutschen Händler. Die Einkaufs- und Verbundgruppen versuchen, ihre ostdeutschen Mitglieder bei der Überwindung der zahlreichen Hindernisse so gut es geht zu unterstützen. Es werden vorhandene Kontakte und Beziehungen genutzt, um Hilfestellung von dritter Seite für die Neumitglieder zu geben; aber auch eigene finanzielle Engagements, zum Teil in beträchtlicher Höhe, sind keine Ausnahme. Aufgrund erster Insolvenzen halten 60 sich die Verbundgruppen nun jedoch mit eigenen finanziellen Engagements zurück. Die neuen An- schlußhäuser werden genauer auf ihre langfristigen Überlebenschancen hin überprüft. Neben den Investitionen in Umbau, Ausbau und Ladeneinrichtungen der Anschlußhäuser investieren die Verbundgruppen zum Teil selbst in die Errichtung von Lagerkapazität. Zwar erfolgt die Warenanlie- ferung der ostdeutschen Partner derzeit noch überwiegend aus westdeutschen Lägern; langfristig erscheint allerdings aus Sicht vieler Verbundgruppen die Errichtung eigener Kapazitäten als die kostengünstigere Alternative. Neben den Investitionen in die Läden der neuen Mitglieder und in den Aufbau von Lagerkapazität wird auch von den westdeutschen Mitgliedern bereits umfangreich in den Aufbau eigener Filialen in den neuen Bundesländern investiert.

Probleme Die Befragung der Einkaufs- und Verbundgruppen hat ergeben, daß deren Mitglieder in den neuen Bundesländern mit einer Fülle von Problemen konfrontiert sind. Die stärksten Hindernisse sind im folgenden stichwortartig zusammengefaßt: —Zu hoher Personalbestand, —zu kleine Geschäfts- und Verkaufsflächen (in vielen Geschäften gibt es jedoch zu viel Lagerfläche), —ungeklärte Eigentumsverhältnisse, —keine Verlängerung alter Mietverträge, —zu kurze und/oder zu teure Mietverträge, —schlechter Gebäude- und Ausrüstungszustand, —schlechte Standorte, —keine Expansionsmöglichkeiten, —finanzielle Probleme, —Mangel an qualifizierten Mitarbeitern, —Beschaffungsschwierigkeiten, schlechte Bezugskonditionen, —hohe Altwarenbestände, —langwierige bürokratische Verwaltungsvorgänge, —Konkurrenz durch westdeutsche Großunternehmen und Filialisten, —schlechte gesamtwirtschaftliche Situation. Die Zusammenstellung zeigt deutlich, daß sich mittelständische Handelsunternehmen in den neuen Bundesländern nur schwer gegenüber Großunternehmen behaupten können, die über sehr viel mehr Know-how und über eine ausgereifte Logistik verfügen.

3. Zur Entwicklung des Franchising

Neben dem Anschluß an eine Einkaufs- oder Verbundgruppe gibt es für mittelständische Händler in den neuen Bundesländern, die eine Anlehnung an übergeordnete Organisationen suchen, noch weitere Alternativen. Eine solche Möglichkeit besteht in der Zusammenarbeit mit einem Franchisegeber im Rahmen eines Franchisevertrags. In der Bundesrepublik gewann das Franchising erst sehr spät, in den 80er Jahren, an Bedeutung; seitdem hat es einen merklichen Aufschwung genommen. Auch für die Wirtschaft in Ostdeutschland bietet das Franchising eine geeignete Möglichkeit, den Aufbau von mittelständischen Strukturen zu fördern. Es kann dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen zu verbessern, indem es eine konkurrenzfähige Alternative zu filialisierenden Großunternehmen bietet und somit einer Konzentration entgegenwirkt. Der Franchisegeber übernimmt zentral ein Bündel von Leistungen für alle angeschlossenen Franchise- nehmer, die sich dieses Know-hows bedienen können. Typische Leistungen von Franchisegebern sind unter anderem: —Betriebswirtschaftliche Beratung (Standortbewertung, Rentabilitätsberechnung, Sortiments- festlegung), —Überlassung der Nutzung des Markennamens, des Warenzeichens sowie anderer Schutzrechte, 61

Franchisenehmer Franchisegeber Stand: November 1990 Plan Getifix 152 400 Photo Porst 103 180 Foto Quelle 70 110 Stop und Shop 69 120 Portas 64 k.A. Apollo Optik 45 45 Family Frost 40 60 Reiseland 31 120 Quick Schuh 30 70 Ihr Platz 30 k.A. Kago 19 19 Biffar 13 k.A. Mc Donalds 7 16 Cosy Wash 5 50 Computerland 3 10 Obi 3 50 Interlearning 1 5 clao clao 1 20 Awell 0 22 Tackenberg 0 100

—Übertragung des systemspezifischen Know-hows durch Aus-und Fortbildung, —Werbung, Verkaufsförderung, —Betriebsplanung und -einrichtung, —zentraler Einkauf, Bezugsquellennachweis, —Erfahrungs- und Ideenaustausch, — Gewährung eines Gebietsschutzes, —Erfolgskontrolle und Betriebsvergleiche. Diese Aufzählung macht deutlich, wie ähnlich die Leistungsangebote von Franchisegebern einerseits sowie Einkaufs- und Verbundgruppen andererseits sind. Beide bieten kleinen und mittleren Unternehmen in den neuen Bundesländern vielfältige Hilfen, ohne die der Wettbewerb mit den großen Handelsunter- nehmen oft nicht zu bestehen ist. Aufgrund intensiver Anstrengung vieler bedeutender Franchisegeber, rasch in dem neuen Markt Fuß zu fassen, hat das Franchise-Konzept in den neuen Bundesländern bereits weite Verbreitung gefunden. Nach einer Untersuchung der FfH, Berlin sind dort bereits etwa 50 Mitglieder des Deutschen Franchise- Verbandes e.V. (DFV) aktiv. Eine Liste der "Top-Twenty" gibt die folgende Übersicht: Neben seriösen Angeboten von Franchisegebern, mittelständischer Unternehmern bei der Existenz- gründung Hilfestellungen zu geben, gibt es gerade in den neuen Bundesländern auch eine Reihe unseriöser Firmen, die die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit vieler Bürger ausnutzen. Mit dem Versprechen schneller und sicherer Gewinne verleiten sie diese, Vorabinvestitionen und -Zahlungen zu tätigen, denen keine gleichwertigen Gegenleistungen folgen. Das positive Image des Franchising und seine mittelstands- fördernden Wirkungen werden dadurch beeinträchtigt. Hier ist verstärkte Aufklärungsarbeit notwendig.