Plenarprotokoll 14/131

Deutscher

Stenographischer Bericht

131. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Inhalt:

Ronald Pofalla CDU/CSU (zur GO) ...... 12591 A Ingrid Holzhüter SPD ...... 12603 B Alfred Hartenbach SPD (zur GO) ...... 12592 A CDU/CSU ...... 12604 D Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) ...... 12593 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 18: (zur GO) ...... 12593 D – Zweite und dritte Beratung des von den Dr. Heidi Knake-Werner PDS (zur GO) . . . . . 12594 C Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Rennesse, weiteren Abgeordneten Tagesordnungspunkt 17: und der Fraktion SPD sowie den Abge- ordneten (Köln), Marieluise a) Beschlussempfehlung und Bericht des Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten Ausschusses für Angelegenheiten der und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE neuen Länder zu dem Antrag der Abge- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines ordneten Dr. Michael Luther, Dr. Angela Gesetzes zur Beendigung der Diskrimi- Merkel, weiterer Abgeordneter und der nierung gleichgeschlechtlicher Gemein- Fraktion CDU/CSU: Investitionsför- schaften: Lebenspartnerschaften (Le- derung verstetigen – regionale Wirt- benspartnerschaftsgesetz) schaftsstrukturen stärken (Drucksachen 14/3751, 14/4545, 14/4550) 12606 D (Drucksachen 14/2242, 14/4330) . . . . 12595 B – Zweite und dritte Beratung des von den b) Beschlussempfehlung und Bericht des Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augs- Ausschusses für Angelegenheiten der neu- burg), Rainer Brüderle, weiteren Abgeord- en Länder zu dem Antrag der Abgeordne- neten und der Fraktion F.D.P. eingebrach- ten Dr.-Ing. Rainer Jork, Katherina Reiche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung CDU/CSU: Lehrstellenmangel Ost mit der Rechtsverhältnisse eingetragener Le- wirksamen Regelungen angehen benspartnerschaften (Eingetragene-Le- (Drucksachen 14/3185, 14/4177) . . . . 12595 C benspartnerschaften-Gesetz) (Drucksachen 14/1259, 14/4545, 14/4550) 12606 D Dr. Mathias Schubert SPD ...... 12595 C Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU ...... 12597 A – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten , Jörg van (Leipzig) BÜNDNIS 90/ Essen, weiteren Abgeordneten und der DIE GRÜNEN ...... 12598 D Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU ...... 12599 C eines Gesetzes zur Änderung des Bür- gerlichen Gesetzbuchs (Wohnrecht F.D.P...... 12600 D hinterbliebener Haushaltsangehöriger) Gerhard Jüttemann PDS ...... 12602 A (Drucksachen 14/326, 14/4545, 14/4550) 12606 D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

– Zweite und dritte Beratung des von den Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 12635 C Abgeordneten Christina Schenk, Sabine Maritta Böttcher PDS ...... 12637 A Jünger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs Christian Lange (Backnang) SPD ...... 12637 D eines Gesetzes zur Übernahme der ge- meinsamen Wohnung nach Todesfall Werner Lensing CDU/CSU ...... 12639 A der Mieterin/des Mieters oder der Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär Mitmieterin/des Mitmieters (Ände- BMBF ...... 12640 D rung des Bürgerlichen Gesetzbuchs) (Drucksachen 14/308, 14/4545, 14/4550) 12607 A Cornelia Pieper F.D.P...... 12641 B Margot von Renesse SPD ...... 12607 B Dr. F.D.P...... 12608 D Tagesordnungspunkt 20: Dr. CDU/CSU ...... 12609 C a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Jörg van Essen F.D.P...... 12611 B wurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Margot von Renesse SPD ...... 12611 D Steuersenkungsgesetzes (Steuersen- kungsergänzungsgesetz) CDU/CSU ...... 12612 B (Drucksachen 14/4217, 14/4293, 14/4547, Christina Schenk PDS ...... 12614 C 14/4562) ...... 12642 B CDU/CSU ...... 12615 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/ Finanzausschusses zu dem Antrag der DIE GRÜNEN ...... 12616 A Fraktion CDU/CSU: Mittelstand ent- lasten – Steuersenkungsgesetz nach- Aribert Wolf CDU/CSU ...... 12616 C bessern Dr. F.D.P...... 12617 C (Drucksachen 14/4285, 14/4547) . . . . 12642 C Christina Schenk PDS ...... 12619 B c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- Hanna Wolf (München) SPD ...... 12620 C NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- CDU/CSU ...... 12621 C ten Entwurfs eines Gesetzes zur Re- gelung der Bemessungsgrundlage für Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ Zuschlagsteuern DIE GRÜNEN ...... 12623 D (Drucksache 14/3762, 14/4546, 14/4563) 12642 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin Nicolette Kressl SPD ...... 12643 A BMJ ...... 12624 D CDU/CSU ...... 12644 D Dr. Guido Westerwelle F.D.P...... 12626 B Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12647 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 12627 B CDU/CSU ...... 12649 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin Dr. F.D.P...... 12650 C BMJ ...... 12627 C Dr. Barbara Höll PDS ...... 12652 B Alfred Hartenbach SPD ...... 12628 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin CDU/CSU (zur GO) ...... 12628 D BMF ...... 12653 C Sabine Jünger PDS (Erklärung nach § 31 GO) 12629 B Ulrich Heinrich F.D.P...... 12654 C Leo Dautzenberg CDU/CSU ...... 12656 B Tagesordnungspunkt 19: Detlev von Larcher SPD ...... 12658 C Erste Beratung des von den Abgeordneten , Werner Lensing, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion CDU/CSU Tagesordnungspunkt 22: eingebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- a) Beschlussempfehlung und Bericht des setzes zur Änderung des Aufstiegsfort- Ausschusses für Verkehr, Bau- und bildungsförderungsgesetzes (1. AFBG- Wohnungswesen zu dem Antrag der Ab- Änderungsgesetz) geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine (Drucksache 14/4250) ...... 12630 C Ostrowski, weiterer Abgeordneter und Ilse Aigner CDU/CSU ...... 12630 D der Fraktion PDS: Für eine sozial, fi- nanziell und ökologisch nachhaltige Dr. SPD ...... 12632 B Bundesverkehrswegeplanung Cornelia Pieper F.D.P...... 12634 A (Drucksachen 14/2262, 14/3904) . . . . 12661 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 III

b) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Heidi Lippmann PDS ...... 12671 A Wolf, Gerhard Jüttemann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion PDS: Rea- lisierung einer direkten Fernbahn- Tagesordnungspunkt 25: verbindung zwischen den Bahnhöfen Zweite und dritte Beratung des von der Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lich- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs tenberg beim Ausbau des Eisenbahn- eines Zweiten Gesetzes zur Änderung knotens Berlin (Drucksache 14/3783) ...... 12661 B der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) c) Beschlussempfehlung und Bericht des (Drucksachen 14/4061, 14/4450, 14/4549) 12672 A Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Tagesordnungspunkt 26: Christine Ostrowski, Dr. Zweite und dritte Beratung des von der Bun- und der Fraktion PDS: Überzählige desregierung eingebrachten Entwurfs eines Diesellokomotiven der DB AG nicht Gesetzes zur Einführung einer Dienstleis- verschrotten, sondern weiter- verwenden tungsstatistik und zur Änderung statisti- (Drucksachen 14/1930, 14/2788) . . . . 12661 C scher Rechtsvorschriften (Drucksachen 14/4049, 14/4459) ...... 12672 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Erste Beratung des von den Fraktionen der Christine Ostrowski, weiterer Abgeord- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- neter und der Fraktion PDS: Beibehal- NEN eingebrachten Entwurfs eines Sech- tung der Reisezug-Verbindungen zwischen Polen und Berlin zehnten Gesetzes zur Änderung des Bun- (Drucksachen 14/3191, 14/4121) . . . . 12661 C deswahlgesetzes (Drucksache 14/4497) ...... 12672 C Dr. Winfried Wolf PDS ...... 12661 D Harald Friese SPD ...... 12672 D Dr. F.D.P...... 12673 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Nächste Sitzung ...... 12674 D tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Anlage 1 Änderung des Abgeordnetengesetzes Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12675 A (Drucksachen 14/4241, 14/4560, 14/4564) 12663 A

Anlage 2 Tagesordnungspunkt 24: Copyright-Abgabe auf CD-Brenner, Drucker, Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ISDN-Anlagen, CD-ROMs nach einem erwei- eines Gesetzes zur Änderung des Solda- terten Urheberrechtsgesetz tengesetzes und anderer Vorschriften MdlAnfr 11 (SGÄndG) Martin Hohmann CDU/CSU (Drucksachen 14/4062, 14/4368, 14/4548) 12663 C Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ ...... 12676 A , Parl. Staatssekretär BMVg . . 12663 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... 12664 C Anlage 3 CDU/CSU ...... 12665 C Gesetzliche Regelungen zur Sterbebegleitung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12667 C und zur Sterbehilfe in Deutschland F.D.P...... 12668 C MdlAnfr 12 Johannes Kahrs SPD ...... 12669 B Detlef Parr F.D.P. Paul Breuer CDU/CSU ...... 12670 D Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ ...... 12676 B IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Anlage 4 Anlage 10 Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Export bzw. Import von Krankheitserregern Deutschland im Ausland durch Verbreitung MdlAnfr 20, 21 neonazistischer Propaganda; Maßnahmen zur Kersten Naumann PDS Strafverfolgung; Strafrechtliche Verfolgung der Auftritte von Rechtsextremisten im Internet Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12678 B MdlAnfr 13, 14 Dietmar Schlee CDU/CSU Anlage 11 Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ ...... 12676 C Auswirkungen des Zeitplans für die Verab- schiedung des Soldatengesetzes sowie der Sol- datenlaufbahnverordnung auf den Dienstantritt Anlage 5 von Bewerberinnen im Januar 2001; Vorlage des Entwurfs eines neuen Personalstärkegeset- Wehrmedizinische Forschungen bei der Bun- zes zur Einsparung von Personalkosten sowie deswehr; Anwendung der Forschungsergeb- zur Lösung des Beförderungs- und Verwen- nisse dungsstaus MdlAnfr 15 MdlAnfr 22, 23 Maritta Böttcher PDS Werner Siemann CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12677 A Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12679 A

Anlage 6 Anlage 12 Risikopotenzial von gegen Antibiotika resisten- Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) ten und als biologische Waffen einsetzbaren der Bundeswehr im Rahmen von SFOR und/ Krankheitserregern; Schutz der Bevölkerung oder KFOR MdlAnfr 16 MdlAnfr 24, 25 Günther Friedrich Nolting F.D.P. Dr. Ilja Seifert PDS Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12679 D Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12677 B

Anlage 13 Anlage 7 Bundesmittel im Rahmen der mittelfristigen B-Waffen-Schutz im Falle gegen Antibiotika Finanzplanung für die Sanierung des Schie- resistenter Krankheitserreger nennetzes der Deutschen Bahn MdlAnfr 17 MdlAnfr 26, 27 Carsten Hübner PDS CDU/CSU Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12677 D Antw PStSekr BMVBW . . . . . 12680 A

Anlage 8 Anlage 14 Bedrohung der Bevölkerung durch militäri- Finanzierung und Realisierung des sechsspuri- sche Nutzung von Bio- und Gentechnik zu gen Ausbaus der A 4 zwischen den Anschluss- feindseligen Zwecken stellen Jena-Göschwitz und Magdala (Leu- tratal) MdlAnfr 18 MdlAnfr 28, 29 Uwe Hiksch PDS Karsten Schönfeld SPD Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12678 A Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12680 C

Anlage 9 Anlage 15 Export biologischer Kampfstoffe oder Kompo- Auswahlkriterien für die mit Mitteln aus der nenten vor dem Hintergrund wehrmedizini- Versteigerung der UMTS-Lizenzen geförder- scher Genforschung zu B-Waffen ten Straßenbauprojekte MdlAnfr 19 MdlAnfr 30, 31 Eva Bulling-Schröter PDS Hans-Michael Goldmann F.D.P. Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 12678 A Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12681 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 V

Anlage 16 – des Antrags: Realisierung einer direkten Fernbahnverbindung zwischen den Bahn- Finanzierung der zweiten Baustufe der B 239/ höfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin- Ortsumgehung Herford sowie der A 30 und Lichtenberg beim Ausbau des Eisenbahn- A 33 in Ostwestfalen mit UMTS-Mitteln knotens Berlin MdlAnfr 32 – des Berichts: Überzählige Dieselloko- Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU motiven der DB AG nicht verschrotten, Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12681 B sondern weiterverwenden – des Berichts: Beibehaltung der Reise- zug-Verbindungen zwischen Polen und Anlage 17 Berlin Bereitstellung von Mitteln aus Zinsersparnis- (Tagesordnungspunkt 22 a bis d) ...... 12683 A sen aufgrund der UMTS-Erlöse für den Lückenanschluss der A 33; Wiederaufnahme Reinhard Weis (Stendal) SPD ...... 12683 B des Planfeststellungsverfahrens für die A 33 Wieland Sorge SPD ...... 12685 A auf Grundlage der Variante V 16 + Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ MdlAnfr 33, 34 DIE GRÜNEN ...... 12685 D CDU/CSU (Bayreuth) F.D.P...... 12686 C Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12681 D Anlage 22 Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten Ge- Verzögerungen bei der Überarbeitung des Bun- setzes zur Änderung des Abgeordnetengeset- desverkehrswegeplans; mögliche Auswirkun- zes (Tagesordnungspunkt 23) ...... 12687 A gen auf die Aufnahme von Bundesfernstraßen- vorhaben in Investitionsprogramme der Jahre Dr. Uwe Küster SPD ...... 12687 A 2003 und 2004 CDU/CSU ...... 12689 A MdlAnfr 35, 36 Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 12690 B Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU Jörg van Essen F.D.P...... 12691 A Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12682 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS ...... 12691 B

Anlage 19 Anlage 23 Finanzierung des Weiterbaus der A4 von Olpe- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Süd bis zur Krombacher Höhe sowie der Hüt- Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung tentalstraße (B 62) bis Kreuztal der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Tagesordnungspunkt 25) . . . . 12691 D MdlAnfr 37, 38 Paul Breuer CDU/CSU Alfred Hartenbach SPD ...... 12691 D Antw PStSekr Kurt Bodewig BMVBW . . . . . 12682 B Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU ...... 12692 C Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 12694 B Anlage 20 Rainer Funke F.D.P...... 12694 D Erklärung des Abgeordneten Friedrich Merz Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 12695 B (CDU/CSU) zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Bemessungsgrundlage für Zu- Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 12696 A schlagsteuern (Tagesordnungspunkt 20 c) . . . . 12682 D Anlage 24 Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung einer Dienstleistungsstatistik und zur Ände- – des Berichts: Für eine sozial, finanziell rung statistischer Rechtsvorschriften (Tages- und ökologisch nachhaltige Bundes- ordnungspunkt 26) ...... 12696 D verkehrswegeplanung Detlev von Larcher SPD ...... 12696 D VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD ...... 12697 C derung des Bundeswahlgesetzes (Zusatztages ordnungspunkt 5) ...... 12700 B Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU ...... 12699 A () Margareta Wolf () BÜNDNIS 90/ CDU/CSU ...... 12700 B DIE GRÜNEN ...... 12699 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 12701 C Gudrun Kopp F.D.P...... 12699 D Rolf Kutzmutz PDS ...... 12702 C

Anlage 25 Anlage 26 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Än- Amtliche Mitteilungen ...... 12703 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12591

(A) (C)

131. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe Lebenspartnerschaftsgesetz im Büro des Rechtsausschuss- Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. vorsitzenden ein. Mir wird gerade gesagt, dass eineDebatte zur Ge- Es gab 124 Änderungsanträge. Daran können Sie se- schäftsordnung beantragt worden ist. Ich erteile das Wort hen, wie gut Ihre Ursprungsanträge waren. dem Kollegen Pofalla, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Margot von Renesse [SPD]: Bei 90 davon hieß (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe es: „entfällt“!) Kolleginnen und Kollegen! Namens und im Auftrag der Fraktion der CDU/CSU beantrage ich die AbsetzungDie Änderungsanträge sind zudem fehlerhaft. Die nun- der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs einesGe- mehr vorliegende Beschlussempfehlung des Rechtsaus- setzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichge- schusses enthält an einer Stelle zwei sich widerspre- schlechtlicher Gemeinschaften der Koalitionsfraktio- chende Gesetzestexte. (B) nen und der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs Zur Verabschiedung in dieser Sitzungswoche bestand (D) eines Eingetragene-Lebenspartnerschaften-Gesetzes und besteht kein Anlass. Eine geordnete parlamentarische der F.D.P.-Bundestagsfraktion von der heutigen Tages- Beratung wäre nur möglich gewesen, wenn die zweite und ordnung des Deutschen Bundestages. dritte Lesung der Gesetzentwürfe in der nächsten Woche Es ist skandalös, wie die Koalitionsfraktionen von SPD stattgefunden hätte. Dazu waren die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen mit ungeschriebenen guten ohne Begründung nicht bereit. und richtigen Beratungsgepflogenheiten des Deutschen Deshalb haben die Mitglieder der CDU/CSU-Bundes- Bundestages umgehen, nur um ein Gesetz im Deutschen tagsfraktion der Beratung im Rechtsausschuss am Mitt- Bundestag durchzupeitschen. woch dieser Woche auch nicht beigewohnt. Gäbe es für (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt die Verabschiedung eine Frist, die man beachten müsste, [Salzgitter] [SPD]: Und so was am frühen oder einen Bundesratstermin, den man unbedingt einhal- Morgen!) ten müsste, so hätten wir dafür noch Verständnis gehabt. Infolge des Lebenspartnerschaftsgesetzes müssen (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ 122 andere Gesetze geändert werden. DIE GRÜNEN]: Sonst geht es immer zu lang- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wahnsinn!) sam und jetzt sind wir zu schnell?) Eine geordnete Beratung war am Mittwoch dieser Woche Aber grundlos ein solches chaotisches Beratungsverfahren im Rechtsausschuss nicht möglich, da nicht genügend zu wählen ist ein einmaliger Vorgang, der zudem die parla- Zeit zur Verfügung stand, um eine qualifizierte Vorberei- mentarischen Beratungsgepflogenheiten sträflich miss- tung zu ermöglichen. achtet. Am Dienstag dieser Woche ging um 14.00 Uhr der Än- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) derungsantrag zum Lebenspartnerschaftsgesetz im Büro Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zwingt die des Rechtsausschussvorsitzenden ein. Am Dienstag dieser SPD-Bundestagsfraktion, die Gesetzgebungsberatungen Woche ging um 15.10 Uhr der Änderungsantrag zum Le- noch in dieser Woche abzuschließen. Meine Damen und benspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz im Büro desHerren der SPD-Bundestagsfraktion, lassen Sie sich das Vorsitzenden des Rechtsausschusses ein. Um 15.20 Uhr des nicht gefallen! gleichen Tages ging ein weiterer Änderungsantrag zum Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz im Büro des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Rechtsausschussvorsitzenden ein und um 16.00 Uhr neten der F.D.P. – Lachen bei der SPD und dem schließlich ging die 55 Seiten umfassende Begründung zum BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12592 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Ronald Pofalla (A) Zwar ist mir sehr wohl bewusst, dass die SPD-Bun- dann hätten Sie sich mit dem Gesetzentwurf befassen(C) destagsfraktion den Grünen einen zeitnahen Beratungsab- können. Am Freitag ist der gesamte Gesetzentwurf über schluss des Lebenspartnerschaftsgesetzes vor den Land- das Internet bei Ihnen angekommen; das weiß ich defini- tagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz tiv. Sie hätten sich spätestens am Montag – ich will Ihnen versprochen hat. Die Umsetzung des Versprechens könnte ja das Wochenende gönnen – damit befassen können. Der aber auch in der nächsten Woche erfolgen. Im Gegenzug Kollege Geis hat selbst gesagt, er hat es am Samstag per haben die Grünen der SPD und der Bundesjustizministe- Express zu Hause gehabt. rin die Verabschiedung der äußerst umstrittenen Zivil- rechtsprozessreform versprochen. Aber in dieser Woche (Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Hälfte des muss die Beratung zum Lebenspartnerschaftsgesetz ange- Gesetzes!) sichts der beschriebenen chaotischen Vorbereitung nun – Das Gesetz war vollständig da. Die Begründung kam wirklich nicht abgeschlossen werden. nach. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn Sie sich einmal die Mühe gemacht hätten, in die- Setzen Sie diesen Punkt von der heutigen Tagesord- ses Gesetz hineinzuschauen und es auch nur oberflächlich nung ab und ermöglichen Sie eine erneute, geordnete Be- zu lesen, dann hätten Sie festgestellt, dass sich der jetzige ratung am kommenden Mittwoch im Rechtsausschuss! Gesetzentwurf vom dem, den wir im Sommer hier einge- Die Qualität des Gesetzes würde dadurch sicher erhöht; bracht haben, in fast überhaupt nichts unterscheidet. den parlamentarischen Beratungsgepflogenheiten würde (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie haben es entsprechen. Haben Sie wenigstens zu diesem parla- 124 Änderungsanträge eingebracht) mentarischen Minimalkonsens noch die Kraft! Anstatt giftige Bemerkungen in der „Bild“-Zeitung Herzlichen Dank. und anderen Medien zu machen, hätten Sie das besser ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lesen. Hätten Sie die Zeit, die Sie gebraucht haben, um dümmliche Interviews zu geben, verwandt, um das zu le- sen, dann wäre dies alles hier nicht nötig. Präsident Wolfgang Thierse: Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Alfred Hartenbach (SPD): Herr Präsident! Meine lie- Ein Fall für die Parlamentsärztin!) ben Kolleginnen und Kollegen! Herr Pofalla, wer um 9.02 Uhr morgens Wir haben die Sorgfalt walten lassen, die erforderlich ist, um auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: 9.07 Uhr!) (B) an den Vorbereitungen des Gesetzes zu beteiligen. (D) das Wort „skandalös“ in den Mund nimmt, der sollte sich (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Sie haben einen einmal umdrehen und schauen, was wirklich skandalös niedrigen Sorgfaltsmaßstab!) ist: erstens, dass Sie Ihre Leute bei Ihrem eigenen Ge- schäftsordnungsantrag nicht aus dem Bett bekommen, Wir haben, mein lieber Kollege Pofalla, ein Berichter- stattergespräch durchgeführt, an das ich mich noch erin- (Beifall bei der SPD und dem BÜND- nern kann: Da saß Kollege Geis und wandte den Blick NIS 90/DIE GRÜNEN) himmelwärts, als ob von dort Hilfe kommen könnte, an- und zweitens, dass unsere parlamentarischen Geschäfts- statt einmal in das Gesetz hineinzuschauen und vernünf- führer erst darauf hinweisen müssen, dass Sie einen Ge- tige Vorschläge zu machen. schäftsordnungsantrag gestellt haben; auch Ihre Ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜND- schäftsführung schläft hier friedlich vor sich hin. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Dann kommt als weiteres Zeichen geistiger Armut, NIS 90/DIE GRÜNEN) dass Sie aus einer Sitzung ausziehen. Sie haben nicht ein- Was Sie heute hier wieder produzieren, ist ein weiterer mal die Gelegenheit wahrgenommen, in eine Sachdebatte Beweis Ihrer Inhaltsleere, Ihrer Inhaltslosigkeit, Ihrereinzusteigen, uns zu sagen, wo man etwas anders machen Fantasielosigkeit, ja ich möchte sagen: Ihrer geistigen Ar- könnte. Stattdessen ziehen Sie einfach aus. Das ist natür- mut in der Sachdebatte. lich die einfachste Art und Weise, sich einer Beratung, sich der Verantwortung zu entziehen. (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Wenn Sie nicht die 20-Stunden-Woche pflegen würden, NIS 90/DIE GRÜNEN) was Sie offensichtlich tun, Warum verabschieden wir das Gesetz heute? – Wir ha- (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- ben gestern 10 000 Unterschriften der Schwulen- und NIS 90/DIE GRÜNEN) Lesbenverbände erhalten, 10 000 Unterschriften von sondern Ihre Aufgaben als Parlamentarier ernst nehmen Menschen, die darauf warten, dass sie endlich aus dem und nicht Ihren Nebenbeschäftigungen nachgehen wür- Schatten der Diskriminierung herausgeholt werden, die den, mit denen Sie das große Geld verdienen, nicht länger auf Ihre leeren Versprechungen warten wol- len. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unverschämt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist be- (Beifall bei der SPD und dem BÜND- leidigend, was Sie sagen! Sehr beleidigend!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12593

Alfred Hartenbach (A) Sie haben 16 Jahre lang gesellschaftspolitisch über- denn wir als F.D.P. haben ebenfalls einen Gesetzentwurf (C) haupt nichts getan, nicht einen Strich, und wir gehen jetzt eingebracht, der Verantwortungsgemeinschaften stärken eben schwierige Probleme an. Weil diese Menschen da- soll. rauf warten, dass diese schwierigen Probleme gelöst wer- (Zuruf von der SPD: Ihr hattet 16 Jahre lang den, werden wir sie heute lösen und werden wir den Men- Zeit dazu!) schen, die darauf warten, etwas an die Hand geben, damit sie künftig ganz normal mit uns in einer ganz normalen Wir gehen da einen anderen Weg als die Koalition; aber Gesellschaft leben können. wir sind uns im Ziel einig. Deshalb hätten wir uns ge- wünscht, dass die Beratungen im Rechtsausschuss in ei- (Dr. [CDU/CSU]: Da- ner Weise, die diesem gemeinsamen Ziel mit sie künftig mit uns leben können?) (Margot von Renesse [SPD]: Da hätten Sie Ich hoffe, Sie haben gestern bei der Demonstration am mal einen Ton sagen sollen!) Brandenburger Tor sowohl dem Bundespräsidenten als auch Paul Spiegel aufmerksam zugehört. – übrigens auch dem Ziel der PDS; ich gucke gerade die Kollegin Schenk an – gedient hätte, durchgeführt worden (Beifall bei der SPD und dem BÜND- wären. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Alfred Hartenbach [SPD]: Sie wollten doch Dann wissen Sie, dass wir als Parlamentarier in die Pflicht gar nicht debattieren!) genommen werden, etwas für Minderheiten zu tun. Mehr- heiten helfen Minderheiten – schreiben Sie sich das hin- Sie als Koalition wissen, dass Sie in vielen Fällen der ter die Ohren und schreiben Sie sich auch hinter die Oh- Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Von daher hätte ren, dass Sie als Partei, die das hohe C im Namen führt, ich mir ein Verfahren gewünscht, das andere einbezieht, aufgerufen sind, in christlicher Verantwortung hier etwas damit man gemeinsam vorankommt. zu tun! (Margot von Renesse [SPD]: Sie haben sich Wir werden heute jedenfalls darüber beraten. doch verweigert, Herr van Essen!) Vielen Dank. Aber genau das ist nicht getan worden. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Deswegen war die heutige Wortmeldung des Kollegen Hartenbach auch symptomatisch. Genauso ist man mitei- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten nander umgegangen. Deshalb werden wir nicht voran- der PDS) kommen. Meine Voraussage ist, dass zum Schluss ein Rumpfgesetz übrig bleibt, Herr Kollege Hartenbach, das (B) Präsident Wolfgang Thierse: Für die F.D.P.-Frak- niemandem dient. Genau das wollen wir als F.D.P. jedoch (D) tion erteile ich dem Kollegen van Essen das Wort. nicht. Wir wollen, dass Verantwortungsgemeinschaften in unserem Land gestärkt werden. (Klaus Haupt [F.D.P.]: Jetzt kommt endlich Sachlichkeit!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- Es hätte überhaupt nichts dagegen gesprochen, die Ver- men und Herren! Trotz des heftigen Beifalls der Koaliti- abschiedung um eine Woche zu verschieben, onsfraktionen für den Kollegen Hartenbach (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Be- denn der Bundesrat muss ja ohnehin erreicht werden. Die rechtigt!) abschließende Beratung in der nächsten Woche hätte glaube ich, wenn wir einmal etwas Abstand von der heu- keine Verschiebung hinsichtlich eines möglichen In- tigen Debatte haben werden, dann werden wir zu der Er- Kraft-Tretens bedeutet. kenntnis kommen, dass unser Umgang miteinander in die- Nicht weil wir in der Sache mit der CDU/CSU über- ser Geschäftsordnungsdebatte nicht für das Parlamenteinstimmen – wie gesagt, auch wir als F.D.P. wollen eine geworben hat. Stärkung von Verantwortungsgemeinschaften homosexu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) eller Menschen in diesem Land –, sondern weil wir in der Kritik am Verfahren übereinstimmen, stimmen wir dem Die Vorwürfe hinsichtlich der Arbeitszeit waren völlig Antrag zu. überflüssig. Vielen Dank. (Zuruf von der CDU/CSU: So ist das!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich denke, dass das Anliegen, das auch meiner Fraktion sehr wichtig ist, dadurch nicht gefördert worden ist. Präsident Wolfgang Thierse:Für die Fraktion Wir unterscheiden uns von der CDU/CSU-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich der Kollegin Steffi ganz erheblich; Lemke das Wort. (Alfred Hartenbach [SPD]: Trotzdem seid ihr ein Anhängsel der CDU! – Zuruf von der PDS: Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Werter Aber nur in Nuancen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich 12594 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Steffi Lemke (A) begrüße auch die inzwischen Eingetroffenen bei derParlament ständig mit solchen Dingen zu beschäftigen.(C) CDU/CSU-Fraktion, Mischen Sie sich da wieder ein! Sie hatten ja mal einen Fraktionsvorsitzenden, unter dem das sehr gut funktio- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) niert hat, unter dem auch inhaltliche Konzepte entwickelt worden sind. Kehren Sie zu dieser Arbeit zurück! Ansons- deren Reihen sich jetzt langsam füllen. ten werden wir es hier noch öfter auf Ihren Antrag hin mit Wir werden die Beratungen über das Lebenspartner- solchen Geschäftsordnungsdebatten zu tun haben. schaftsgesetz heute abschließen, weil die Beratungen im Wir werden dafür sorgen, dass das Parlament in all die- parlamentarischen Verfahren nach der Geschäftsordnung sen Punkten geschäftsordnungsmäßig entscheidet. Sie erfolgt sind. Sie können nicht darauf pochen, dass irgend- können daran teilhaben oder nicht daran teilhaben. Das welche Ihrer Minderheitenrechte verletzt worden sind, müssen Sie selber wissen. Aber legen Sie Konzepte vor! weil es eine ausführliche Diskussion und eine ausführli- Beteiligen Sie sich an den Sachdebatten! che Anhörung im Ausschuss gegeben hat. Sie haben es vorgezogen, diesen Beratungen im Ausschuss zumindest (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teilweise lieber nicht beizuwohnen. Wir haben dafür ge- und bei der SPD) sorgt, dass die Ausschussberatungen vernünftig ablaufen. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Präsident Wolfgang Thierse: Für die PDS-Fraktion F.D.P.) erteile ich das Wort der Kollegin Heidi Knake-Werner. Der Geschäftsordnungsausschuss hat sich bereits am Mittwoch mit den von Ihnen vorgetragenen Argumenten Dr. Heidi Knake-Werner(PDS): Herr Präsident! auseinander gesetzt. Er hat einstimmig gegen die CDU/ Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird CSU-Fraktion entschieden, dass die Geschäftsordnung den Antrag der CDU/CSU ablehnen. Auch uns hat vieles nicht verletzt ist, weshalb ich es schon relativ albern finde, im Zusammenhang mit der Beratung dieses Gesetzent- heute noch einmal eine Geschäftsordnungsdebatte zuwurfs nicht gefallen. Das haben wir im Fachausschuss führen, in der genau die gleichen Dinge noch einmal vor- auch deutlich gemacht. Aber wir sind der Auffassung, die getragen werden. Geschäftsordnung ist nicht verletzt worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs und bei der SPD) wurden fristgerecht aufgesetzt. Es gab keine entspre- Ich denke, dass Ihr Problem darin besteht, dass Sie mo- chende Einrede. Die Beratung ist im Rechtsausschuss mentan keine inhaltlichen Alternativen, keine inhaltlichen ordnungsgemäß abgeschlossen worden. Auch das hat der (B) Konzepte, weder bei diesem noch bei einem anderenGO-Ausschuss gestern festgestellt. (D) Thema, vorzuweisen haben und deshalb versuchen, (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er hat sich (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie denken mit Mehrheit für unzuständig erklärt!) schon wieder schiefe Gedanken!) Insofern ist das Verfahren hier zunächst einmal überhaupt den Bundestag permanent mit Geschäftsordnungsdebat- nicht zu bemängeln. ten, Sitzungsunterbrechungen und ähnlichen Dingen zu beschäftigen. Wir wollen hier eine vernünftige Sacharbeit Ich glaube, Sie haben eher inhaltliche Probleme mit in den Ausschüssen und im Plenum leisten diesem Gesetzentwurf, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten und bei der SPD – Widerspruch bei der der SPD) CDU/CSU) die beispielsweise aus der Aufsplittung resultieren, und nicht ständig solche Auseinandersetzungen führen. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Deshalb Ich habe Ihnen gesagt, wir haben das bereits im Ge- wollen wir es anständig beraten!) schäftsordnungsausschuss debattiert. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der war ja sicherlich auch aus den Änderungsanträgen, aber ganz si- nicht zuständig, Frau Kollegin!) cher auch daraus, dass Ihnen die Richtung nicht passt. Das alles aber ist unserer Auffassung nach kein Grund, hier Ich rufe Sie von daher auf, zur Sacharbeit zurückzu- eine Geschäftsordnungsdebatte vom Zaun zu brechen. kehren und sich mit den inhaltlichen Dingen des Gesetz- entwurfs auseinander zu setzen. Ich bin der Meinung, dass (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ein Grund Sie das Ganze nur inszenieren, weil Ihnen der Gesetzent- für eine vernünftige Beratung ist das!) wurf von seiner inhaltlichen Ausrichtung her einfach Wenn Sie, Herr Pofalla, hier erklären, das sei ein ein- nicht in den Kram passt. maliger Vorgang, der am Mittwoch im Rechtsausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stattgefunden hat, dann muss ich wirklich sagen: Ich ma- und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Das ist che mir echt Sorgen um Ihr Kurzzeitgedächtnis. doch Blödsinn!) (Beifall bei der PDS – Ronald Pofalla Ich denke, Sie sollten zu den Sachdebatten zurückkeh- [CDU/CSU]: Sie waren noch nie im Rechtsaus- ren, sich da wieder politisch einbringen und aufhören, das schuss!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12595

Dr. Heidi Knake-Werner (A) Das kann ich Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung sagen. Berichterstattung: (C) Abgeordnete Dr. Paul Krüger (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Seit zwei Dr. Mathias Schubert Jahren ist es fast die Regel im Rechtsaus- schuss!) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Was uns im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung teil- richts des Ausschusses für Angelegenheiten der weise zugemutet worden ist, ist wirklich unglaublich. neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Rainer Jork, Katherina (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das muss Reiche, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und man leider sagen!) der Fraktion der CDU/CSU Insofern ist es völlig daneben, von „einmalig“ zu reden. Lehrstellenmangel Ost mit wirksamen Rege- Sie hätten am Mittwoch wirklich die Chance gehabt, lungen angehen Ihre Probleme im Rechtsausschuss zu klären. Das haben – Drucksachen 14/3185, 14/4177 – Sie nicht getan. Sie haben sofort den GO-Ausschuss an- Berichterstattung: gerufen und sind dort ausgezogen. Abgeordnete Ingrid Holzhüter (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Aus dem Katherina Reiche GO-Ausschuss nicht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Hier bestätigt sich aber die alte Weisheit: Wer raus geht, Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich höre muss auch wieder reinkommen. Die Geschäftsordnung ist keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. in diesem Fall ein ungeeignetes Mittel. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Wenn nach Ihrer Auffassung hier ein Gesetz verab- Mathias Schubert, SPD-Fraktion, das Wort. schiedet wird, das der Zustimmung des Bundesrates be- darf und deshalb keinen Bestand vor dem Bundesverfas- (Unruhe) sungsgericht haben wird, dann ist auch dies nicht per– Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den Saal verlas- Geschäftsordnung zu klären. Das muss dann vielmehr auf sen will, den bitte ich, das möglichst schweigend zu tun, einer anderen Ebene geklärt werden. damit der Redner eine Chance hat, Gehör zu finden. Ich erkläre abschließend: Auch uns gefällt das Vorge- hen der Mehrheit nicht immer. Aber die Situation ist nun Dr. Mathias Schubert (SPD): Herr Präsident! Liebe einmal so. Auch die rechte Opposition muss sich daran Kolleginnen und Kollegen! Es gehört schon ein gerüttelt (B) gewöhnen, dass jetzt diese Regierung und die sie tragende Maß an Chuzpe – das klingt vielleicht freundlicher als(D) Mehrheit das Heft des Handelns in der Hand hat. Mit Ge- „Dreistigkeit“, liebe Kolleginnen und Kollegen von den schäftsordnungsanträgen zum falschen Zeitpunkt und den Unionsfraktionen – dazu, dem Parlament einen solchen falschen Gegenstand betreffend wird sich diese Situation Antrag zur Verstetigung von Investitionsförderung und ganz sicher nicht ändern lassen. Stärkung regionaler Wirtschaftsstrukturen zur Abstim- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten mung vorzulegen. Wie sehr das Sein das Bewusstsein be- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- stimmt, wusste schon Altvater Marx. Aber dass Ihr Wech- NEN) sel auf die Oppositionsbänke auch noch zu einem Anfall partieller Amnesie geführt hat, lässt sich leider auch an dem vorliegenden Antrag belegen. Präsident Wolfgang Thierse:Wir kommen damit zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der Sie haben schlicht unterschlagen, dass die Regierung CDU/CSU-Fraktion auf Vertagung des Tagesordnungs- Schröder mit dem Investitionszulagengesetz aus dem punktes 18. Wer dem Geschäftsordnungsantrag derJahre 1997 ein von Ihnen zu verantwortendes Werk über- CDU/CSU zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – nommen hat, das in wichtigen Teilen offensichtlich nicht Wer stimmt dagegen? – Das Letztere ist die Mehrheit. Da- EU-kompatibel und somit nicht notifizierungsfähig war. mit ist der Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Frak- Die alte, CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat also tion abgelehnt. allein zu verantworten, dass ein entsprechender Ände- rungsbedarf in Bezug auf dieses Gesetz überhaupt not- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen damit wendig wurde. zu Tagesordnungspunkt 17: Diese notwendigen Änderungen, die Teile der betrieb- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- lichen Förderungen betreffen, sind konsequenterweise im richts des Ausschusses für Angelegenheiten der Rahmen des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 umgesetzt neuen Länder (17. Ausschuss) zu dem Antrag der worden, um die Vorgaben der Kommission zu erfüllen. Abgeordneten Dr. Michael Luther, Dr. AngelaDie Fördermittel für so genannte Ersatzinvestitionen wur- Merkel, , weiterer Abgeordneter den gesenkt und die Fördersätze für Erstinvestitionen im und der Fraktion der CDU/CSU Gegenzug erhöht, um das Fördervolumen insgesamt nicht zu gefährden und auf einem entsprechenden Niveau zu Investitionsförderung verstetigen – regionale halten. Das dürfte übrigens schon deshalb gelingen, Wirtschaftsstrukturen stärken weil die Praxis zeigt, dass der Anteil an Erstinvestitionen – Drucksachen 14/2242, 14/4330 – deutlich höher liegt, als ursprünglich erwartet. Selbst Sie, 12596 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Mathias Schubert (A) Kollege Krüger, haben während der Ausschussberatungen zu machen. Die notwendigen Schwerpunkte im Solidar- (C) eingeräumt, nur über Schätzzahlen zu verfügen. Gleich- pakt II sind dabei Finanzausgleich, Abbau der Infrastruk- wohl schwingen Sie in Ihrer Antragsbegründung dieturdefizite, aktive Arbeitsmarktpolitik, Fortsetzung der große Keule und unterstellen wieder einmal der Bundes- Gemeinschaftsaufgabe und Investitionen in das viel be- regierung, 1 Milliarde DM auf Kosten des Aufbaus Ost schworene Humankapital. einsparen zu wollen. Den Begriff „Stärkung regionaler Wirtschaftsstruktu- (Cornelia Pieper [F.D.P.]: Tun Sie doch auch!) ren“ nehme ich jetzt noch einmal kurz auf. Wir wissen Dieser inzwischen bekannte, kollektive Aufschrei frei alle: Die ostdeutschen Länder bilden längst keine homo- nach der Parole „Rot-grüner Ausstieg aus dem Aufbau gene Landschaft mehr. Alle herkömmlichen Indikatoren Ost“ entbehrt jeder Seriosität. weisen ein teilweise erhebliches Regionalgefälle aus. Legt man Einkommen, Arbeitslosenquote, Infrastruktur- (Beifall bei der SPD) ausstattung, Forschungs- und Entwicklungsstandard und Warten Sie doch erst einmal ab, was das Ifo-Institut Mün- wirtschaftliche Dynamik zugrunde, haben stärker ent- chen als Ergebnis des in Auftrag gegebenen Gutachtens wickelte Regionen Ostdeutschlands zumindest Anschluss vorlegt. Dann haben wir eine konkrete Argumentations- an westdeutsche Schlusslichter gefunden und sind zum und – bitte schön – natürlich auch eine streitfähige Da- Teil sogar dabei, sie zu überholen. tenbasis. Was eine gezielte regionale Förderung und die wir- Leider gilt diese kritische Bemerkung auch für Ihre kungsvolle Unterstützung regionaler Kompetenzzentren locker formulierten Forderungen nach Kompensations- bewirken können, setzt durchaus sehr reale Hoffnungs- möglichkeiten für den schlicht unterstellten Mittelausfall. zeichen. Ich nenne Pars pro Toto Jena, Dresden und Ros- Sie wissen so gut wie ich, dass unmittelbare Förderungen tock als Beispiele dafür, wie ökonomische Kompetenz er- von Ersatzinvestitionen im Rahmen der von Ihnen ange- halten, selbsttragende Entwicklungen eingeleitet und führten Gemeinschaftsaufgabe gar nicht möglich sind. regelrechte Kompetenznetzwerke für Informationstech- GA-Förderung und Investitionszulage folgen anderen Re- nologie, Biotechnik, Nanotechnik oder Medizintechnik geln. Sie können also wirklich nicht erwarten, dass wir entstanden sind. Das heißt, unsere Strukturpolitik muss dem vorliegenden Unionsantrag unsere Zustimmung ge- sich auf regionale Potenziale konzentrieren und das Ge- ben. lingen von Projekten hängt von der Nutzung und Vernet- Es gibt lediglich einen Aspekt Ihres Antrags, der das zung dieser eigenen Potenziale sowie von Kooperationen gemeinsame Nachdenken lohnt – das habe ich bereits ab. Bei selbstkritischer Analyse unserer bisherigen Leit- während der Ausschussberatungen deutlich gemacht –, bilder und Konzepte für den Aufbau Ost kommen wir zu (B) nämlich den Solidarpakt II. Wir wollen und wir werden dem Schluss, dass auf diesem Gebiet die entscheidenden (D) ihn in der laufenden Legislaturperiode vereinbaren. Seine Akzente für Zukunftsinvestitionen gesetzt werden. Kernfrage heißt: Was brauchen wir in den etwa zehn Jah- In Ostdeutschland entwickeln sich also mit erheblicher ren ab 2005 für die Gestaltung des Projektes „Zukunft Dynamik Wirtschaftsregionen, die zunehmend einen ent- Ost“? Zunächst scheint die Antwort recht einfach zu sein, scheidenden Beitrag zur Stabilisierung unserer Zukunfts- weil niemand um die Erkenntnis umhinkommt: Auch ab fähigkeit leisten. Um diesen Trend zu unterstützen, setzt 2005 werden die ostdeutschen Länder auf erhebliche Fi- die Bundesregierung seit 1999 auf entsprechende Strate- nanzhilfen angewiesen sein. Das wissen auch manche Po- gien in ihrer Wirtschaftsförderungs- und Strukturpolitik. pulisten an westdeutschen Stammtischen oder in süddeut- Der Erfolg von Inno-Regio und Inno-Net zum Beispiel schen Staatskanzleien. macht Mut, dem einfachen „Weiter so!“ oder der sicher Schwieriger ist es schon, die konkrete Frage zu beant- gut gemeinten Forderung nach permanenter Verstetigung worten, wie knappe Mittel möglichst effizient einzusetzen neue Prioritäten entgegenzusetzen. sind. Selbst Fachleute blicken bei dem Wust von Pro- grammen, Subventionen, Ausgleichszahlungen oder Er- Das Schwergewicht der Förderung ist daher konse- gänzungszuweisungen kaum noch durch. Sündhaft teuer, quent auf Regionen zu verlagern, die sich nicht allein geo- hochkompliziert und in ihren Wirkungen bisweilen um- graphisch, sondern durch ihre wirtschaftliche Struktur, stritten, so lauten landauf, landab kritische Stimmen aus ihre Potenziale und wirtschaftlich-wissenschaftlichen der Wirtschaft, den wissenschaftlichen Instituten oder der Kooperationsbeziehungen definieren. Wenn wir auf diese Politik. Ich bin daher sicher, als einer der entscheidenden Weise das Zukunfts- und Modernisierungsprogramm Ost, Faktoren wird sich in den vor uns liegenden Diskussionen Teil II, initiieren und realisieren, kann sich das Projekt zum Solidarpakt II nicht allein die Frage herauskristalli- Zukunft Ost bei sich verändernden politischen, wirt- sieren, wie viel Geld für den Osten vorhanden sein wird schaftlichen und globalen Rahmenbedingungen durchaus – sie ist wichtig –, sondern auch die Frage, wofür es aus- zu einer Erfolgsgeschichte entwickeln. Die Koalitions- gegeben wird. fraktionen werden daher selbstverständlich die Bundesre- gierung bei der Umsetzung der entsprechenden, bereits (Beifall bei Abgeordneten der SPD) begonnenen Strategien nachhaltig unterstützen. Wir erwarten dabei keinen ostdeutschen Bonus, wohl Danke schön. aber durchaus einen ostdeutschen Fokus, um das Projekt „Zukunft Ost“ in klar umrissenen Zielen, Zeitabschnitten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und finanziellem Aufwand berechenbar und überprüfbar DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12597

(A) Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort Bundesländern durchschnittlich doppelt so hoch liegt wie (C) dem Kollegen Rainer Jork, CDU/CSU-Fraktion. in den alten Bundesländern. Konkret heißt das: 1999 lag die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen in den alten Bun- Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Herr Präsident! desländern bei 9 Prozent, in den neuen Bundesländern bei Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie viel-15,7 Prozent. Ein anderes Beispiel: In Bayern kamen auf leicht verwundern, aber ich will mit Lob und Dank be- 100 Bewerber 117 betriebliche Lehrstellen, in Sachsen 13. ginnen. Zum einen ist es nämlich sinnvoll und notwendig, (Zuruf von der SPD: So schlecht ist Sachsen?) die Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern für sich zu diskutieren. Angaben zu Trends, Tendenzen und In Sachsen ist das Gesamtangebot an Ausbildungsstellen gesamtdeutschen Durchschnitten verkleistern die tatsäch- stärker zurückgegangen als die Anzahl der Bewerber; das lich schlimme Situation und blockieren, wie bewiesen, Verhältnis liegt bei 1 : 1,86. Darin stecken betriebliche notwendige Schlussfolgerungen. und außerbetriebliche Stellen. Erfreulich ist übrigens, dass die Zuwachsraten in den neuen Berufen erheblich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sind. Bei IT-Berufen liegen sie bei mehr als 50 Prozent, Zum anderen ist es logisch und notwendig, über die bei Mechatronikern liegen sie bei fast 100 Prozent. Aber Lage auf dem Lehrstellenmarkt und die wirtschaftliche Prozente sind keine absoluten Zahlen; wir kennen den Situation gemeinsam zu beraten. Lehrstellen im dualen Unterschied. Ich darf darauf hinweisen, dass die Kohl-Re- System – vor allem in den kleinen mittelständischen Un- gierung genau diese Entwicklung schon auf den Weg ge- ternehmen – entstehen nur zusammen mit der Wirtschaft. bracht hat. Ebenso positiv ist die Entwicklung bei freien (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Berufen. Allerdings macht das nur etwa 10 Prozent aus. Wenn in den neuen Bundesländern etwa ein Drittel der Ju- Nach dem Beschluss der Bundesregierung werden in gendlichen außerbetrieblich, also außerhalb von Betrieben, den neuen Bundesländern die außerbetrieblichen Aus- ausgebildet wird, muss das ein Alarmzeichen für uns sein. bildungsplätze auf maximal 15 Prozent der durch das Bund-Länder-Programm bereitgestellten begrenzt. Das Die beiden Anträge passen also gut zusammen und ver- bedeutet, dass die früher teilweise abgebaute Bugwelle an dienen unsere Zuwendung. Bewerbern nun erneut im Anwachsen begriffen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die CDU/CSU-Abgeordneten aus den neuen Bundes- Lassen Sie mich zunächst die Aussagen eines sehr ernst ländern hatten – darüber habe ich hier bereits berichtet – zu nehmenden Begleiters der beruflichen Bildung ineine Anhörung in Dresden. Die Ergebnisse und die (B) Deutschland zitieren: Schlussfolgerungen habe ich hier vorgetragen. Ich habe (D) sie dem Staatsminister Schwanitz und der Ministerin Zwei Jahre Ausbildungsplatzpolitik der rot-grünen Bulmahn mitgeteilt. Ich darf an folgende Kernaussagen Bundesregierung – es ist eine dürftige Bilanz: Die erinnern: Erstens. Wir brauchen in den neuen Bundeslän- Ausbildungsgarantie ist … nicht eingelöst worden… dern besondere Methoden, weil besondere Bedingungen (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ich habe auch vorliegen. Zweitens. Das Problem ist nur lösbar, wenn un- nichts anderes erwartet! – Zuruf von der SPD: sere Reaktion über Ressortgrenzen hinausgeht. Drittens. Wer sagt das?) Neue und unübliche Wege sind erforderlich. – Wir haben – Ich werde Ihnen gleich sagen, wer das sagte. all das in den Schlussfolgerungen zusammengestellt. Aus Zeitgründen möchte ich das nicht weiter ausführen. Für den Osten gibt es bislang keine neuen Impulse, … Hauptziel muss es sein, die Fähigkeit und die Bereit- Weiter heißt es: schaft der kleineren und mittleren Betriebe, Lehrlinge In den neuen Bundesländern haben es die jungenauszubilden, zu erhöhen; denn dort werden die besten und Menschen unverändert schwerer als im Westen, einen die meisten betrieblichen Lehrstellen bereitgestellt. Qua- betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen …, bei lität, Praxisnähe und auch die Chancen, später einen Ar- den Ausbildungsplätzen von den Betrieben gab es ein beitsplatz zu finden, sind dort am höchsten. mageres Plus von einem Prozent. Fast alle zentralen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kennzahlen des Ausbildungsmarktes Ost sind nun- neten der F.D.P.) mehr seit Jahren eklatant schlechter als im Westen. Das Ziel ist nur durch unmittelbar wirkende steuerliche Der Mann hat Recht. Wir müssen darüber reden. Begünstigungen und Anreize erreichbar. Sodann bedarf es (Renate Jäger [SPD]: Wer ist das?) der Förderung der Verbundausbildung und der überbe- trieblichen Lehrunterweisungen, aber auch der Förderung – Das kommt noch. Ich will die Spannung noch ein biss- im Sinne einer Anschubfinanzierung. In dem Zusammen- chen aufrechterhalten, Sie werden sich wundern, Frau hang darf ich auf Österreich hinweisen – es ist bereits an- Jäger. gesprochen worden –, wo es eine direkteSteuerentlas- (Beifall bei der CDU/CSU) tung für ausbildende Betriebe gibt. Allgemein gilt, dass die Arbeitslosenquote und beson- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sehr gutes ders die Quote der jugendlichen Arbeitslosen in den neuen Modell in Österreich!) 12598 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr.-Ing. Rainer Jork (A) Ich bin mir bewusst, dass die Bundesregierung helfen die Bundesregierung mit Blick auf die Situation in den(C) will. Ich vermeide Begriffe, die die frühere Opposition neuen Bundesländern dringend auf: selbst verwendet hat – zum Beispiel: Katastrophe, Taten- Erstens. Passen Sie das Sofortprogramm der Spezifik losigkeit, Skandal –, Ost an. Nutzen Sie dazu das, was in unserem Antrag steht, (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das haben sie und die Erfahrungen, die wir in unserer Anhörung in Dres- alles vergessen!) den im Juni dieses Jahres gewonnen haben. obwohl die angekündigte Trendwende noch nicht erreicht (Beifall bei der CDU/CSU) ist und vieles versprochen, aber nicht gehalten wurde. Die Bundesregierung gab inzwischen Änderungen im JUMP- Zweitens. Sorgen Sie – damit wende ich mich direkt an Programm bekannt, die ich begrüße. Ich freue mich, dass Herrn Schwanitz – für die interministerielle Gesamtge- unsere Zuarbeit offenbar ernst genommen worden ist. staltung des Prozesses. Das ist nicht nur die Sache eines Ministeriums, es muss interministeriell gearbeitet wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den. Für Sie als Staatsminister im Bundeskanzleramt ist neten der F.D.P.) das Ihr Amt. Bitte tun Sie Ihre Pflicht in diesem Amt! Die Mobilitätshilfe muss so gestaltet werden – ich sage (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das, weil die Grünen daran heftige Kritik geübt haben –, dass die Rückkehr an den Heimatort gefordert und geför- Drittens. Fördern Sie kleine und mittelständische Un- dert wird. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass die ternehmen, direkt und steuerlich. Lehrlingswohnheime unterstützt werden. Viertens. Starten Sie einemittelstandsfreundliche Ich möchte auf Folgendes hinweisen, weil gerade ein Steuerpolitik. entsprechender Zwischenruf gemacht wurde: Die SPD (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schlägt in der Drucksache 14/3331 vor, über die – ich zi- tiere – „Standardisierung von Maßnahmen“ nachzuden- Fünftens. Beseitigen Sie die zusätzlichen Belastungen ken. Das geht genau am Ziel vorbei. Wir haben spezielle der KMU durch die so genannte Ökosteuer. Bedingungen. Es gibt nichts zu standardisieren. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der F.D.P.) – Wenn Sie Fragen haben, sollten Sie sie stellen. Es gibt durchaus Antworten auf solche Fragen. Regionalspezifische Maßnahmen müssen vorgenommen werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (D) Jetzt möchte ich auf Ihre Frage antworten: In derTun Sie das aber bitte nicht auf chemisch-kaltem Wege, „Frankfurter Rundschau“ erschien am 26. Oktober 2000 um mich möglicherweise zu verwirren oder aus der Fas- ein Beitrag des Leiters der Abteilung Berufsbildung – ich sung zu bringen. rede bewusst langsamer – beim Vorstand der IG Metall in (Dr. Mathias Schubert [SPD]: Sind Sie denn Frankfurt am Main, Dr. Klaus Heimann, mit dem Unter- noch zu verwirren oder sind Sie es schon?) titel: „Ein genauer Blick in die Lehrstellenbilanz 2000 zeigt schwerwiegende Lücken und Schwächen“. Aus die- Sechstens. Führen Sie Maßnahmen durch, die eine sem Artikel, in dem Dr. Klaus Heimann die ostdeutschen nachhaltige Wirkung sichern. Es geht um eine Strukturar- Bedingungen beschreibt, stammt das erste Zitat. Da Sie so beit. Es geht nicht um Flickschusterei und auch nicht um interessiert sind, möchte ich mehr von dem zitieren, was Schaufensterpolitik. Ich würde gerne in einem Jahr an die- er berichtet: ser Stelle am Ende meiner Rede mit Lob und Dank für das Gesamtverhalten im Sinne der jungen Leute in den neuen Das Ziel, jedem Jugendlichen einen Ausbildungs- Bundesländern schließen. platz anzubieten, wurde 1999 und auch in diesem Jahr deutlich verfehlt. Obwohl sich dieses Jahr erst- Danke schön. mals weniger Jugendliche bei den Arbeitsämtern als (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ausbildungsplatz Suchende registrieren ließen, ... schafften auch diesmal den Sprung in die Ausbildung nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen, ... Die an- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort deren wurden so wie in den Vorjahren auch schon in dem Kollegen Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen. mehr oder minder sinnvollen Ersatzmaßnahmen oder offensichtlich unsinnigen Warteschleifen geparkt. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war Er geht noch auf JUMP ein; aus Zeitgründen möchte ich ganz freundlich, Herr Kollege Jork, dass Sie am Anfang das aber nicht vertiefen. Ich empfehle Ihnen sehr, sich das die Leistung der Bundesregierung anerkannt haben. Im anzuschauen, was Herr Heimann von der IG Metall dort Laufe Ihrer Rede bekam ich dann aber den Eindruck, dass mit sehr viel Sachverstand und Basisnähe sagt. Er sagt un- Sie den Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit of- ter anderem übrigens auch, dass benachteiligte Jugendli- fensichtlich nicht gelesen oder nicht zur Kenntnis genom- che weiterhin schlecht dran sind, dass sich die Lage nicht men haben; denn das, was Sie fordern, wird vielfach be- verbessert hat. Ich stimme seiner Bilanz zu und fordere reits getan und schon im Moment erfüllt. Insofern Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12599

Werner Schulz (Leipzig) (A) beschäftigen wir uns mit zwei völlig überflüssigen und für Das ist doch das eigentliche Problem, das wir im Osten (C) meine Begriffe auch dürftigen Anträgen, die Sie hier ge- momentan bewältigen müssen. Es ist ein massives Pro- stellt haben. blem, das Sie uns hinterlassen haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und bei der SPD) Noch dazu haben Sie ein Investitionszulagengesetz kon- Diese Anträge stammen noch aus der „Lutherzeit“. struiert, das noch nicht einmal von der EU-Kommission notifiziert werden konnte, weil es nicht korrekt war. Also (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mussten wir das, was Sie uns kopflastig angeboten haben, NEN und bei der SPD) auf die Füße stellen. Das heißt zwar nicht, dass sie aus dem 16. Jahrhundert stammen, aber immerhin aus der Zeit, als der Kollege Präsident Wolfgang Thierse:Kollege Schulz, ge- Michael Luther noch für die Ostbelange in Ihrer Fraktion statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jork? gesprochen hat. Jetzt ist ja der „Demokratische Auf- bruch“ – mit Günter Nooke und – an die (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Spitze gedrungen. Werner Schulz NEN): Gern. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Dr.-Ing. Rainer Jork(CDU/CSU): Herr Kollege Sie sind neidisch! Sehr neidisch!) Schulz, weil Sie mich dazu ermutigt haben, möchte ich Es wäre wünschenswert, wenn man das auch in den An- auf die Bemerkungen, die offenbar direkt an mich gerich- trägen zu spüren bekäme. tet waren, eingehen. Meine erste Frage: Nachdem Sie in- zwischen zwei Jahre an der Regierung sind, meinen Sie (Günter Nooke [CDU/CSU]: Reden Sie doch nicht, dass Sie vielleicht ein bisschen mehr in die Zukunft mal zur Sache!) schauen sollten, als die Vergangenheit zu pflegen? – Ich rede gerade über die Anträge, Günter Nooke. Zweitens. Haben Sie eigentlich die Zahlen, die konkret (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie wären das Thema Lehrstellen betreffen, zur Kenntnis genom- bei uns auch besser aufgehoben!) men, die ich Ihnen genannt habe? Sind Sie der Meinung, sie sind falsch? Diese wären durchaus bearbeitungswürdig gewesen; denn Drittens. Meinen Sie, dass der von mir zitierte Fach- dort fehlt jegliche kritische Reflexion Ihrer eigenen Politik. mann der IG Metall eine falsche Einschätzung – sowohl (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Wir gestalten die hinsichtlich des Zahlenmaterials als auch dessen Inhalts – (D) Zukunft! – Weitere anhaltende Zurufe von der gegeben hat? Dann sagen Sie das bitte hier! CDU/CSU) – Normalerweise sollten Sie mir zuhören, weil ich Sie im Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Grunde genommen anspreche. Dann könnten Sie darauf NEN): Kollege Jork, was die Zukunft anbelangt: Wir hat- mit Zwischenfragen reagieren; ich bin gern bereit, darauf ten wirklich erst einmal mit den Altlasten zu tun und da- einzugehen. mit, diese wegzuräumen. Wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, Sie hätten am (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ende der Regierungszeit von erkannt, dass und bei der SPD) die Investitionszulage das eigentliche Förderinstrument Grinsen Sie ruhig! – Sie fordern, die Investitionsförde- für den Aufbau Ost ist, dann muss ich sagen: Das ist lei- rung zu verstetigen. Wir haben sie verstetigt, und zwar der eine sehr späte Erkenntnis. Inzwischen haben wir ka- erst einmal garantiert, und dann in qualitativ neuer Form pitale Fehlallokationen im Osten durch die progressions- fortgesetzt. Dazu gehört nun einmal dieHaushaltskon- bedingten Steuerabschreibungen gehabt. Wir haben jede solidierung, ohne die wir gar keine Mittel für die Investi- Menge Fehlinvestitionen gehabt. Darüber sollten Sie ein- tionsförderung hätten. mal reden. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) und bei der SPD – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Wer Dazu gehört das Steuerreformkonzept; ohne die Steuerre- hätte das Geld denn ohne die Steuerabschrei- form hätten wir diese Mittel nicht. bungen investiert?) Zum JUMP-Programm muss ich Ihnen sagen: Es ist Es gibt im Osten Investruinen sondergleichen: Büroge- ungehörig, wie Sie das diffamieren. JUMP ist ein Sprung bäude, Gewerbegebiete und Einkaufszentren auf der grü- nach vorn. Was Sie hier anbieten, ist die Rolle rückwärts. nen Wiese, Hotelbauten und dergleichen mehr. Sie haben dazu beigetragen, dass Überkapazitäten in der Bauindus- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- trie geschaffen wurden, die uns heute Probleme bereiten, SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) weil sie abgebaut werden müssen; denn wir brauchen sie Sicherlich, die Ausbildungsplatzsituation ist noch in diesem Umfang nicht. Wir haben einen schwierigen nicht zufrieden stellend. Es fehlt uns immer noch an Strukturwandel im Transformationsprozess. betrieblichen Ausbildungsplätzen. Das hat aber mit den 12600 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Werner Schulz (Leipzig) (A) wirtschaftlichen Strukturen zu tun, die wir im Osten vor- Gehen wir in medias res: Die Investitionsförderung hat (C) gefunden haben. Davon müssen wir ausgehen. Wir haben sich unter der jetzigen Bundesregierung eindeutig verbes- in diesem Bereich eine enorme Intensivierung vorgenom- sert. Vor allen Dingen haben wir die vielfältigen Förder- men. Sie können das allein daran sehen, wie sich die Ju- programme, die wir vorgefunden haben, zu ziemlich über- gendarbeitslosigkeit entwickelt hat, dass dieser Trend ge- sichtlichen Bausteinen zusammengefügt. Wir haben uns stoppt wurde: Die Jugendarbeitslosigkeit im Osten ist in auf Innovationsförderung, Starthilfen für junge Unterneh- den letzten Jahren unter Ihrer Regierung von 120 000 ar- men und Existenzgründer sowie auf Chancen- und Betei- beitslosen Jugendlichen im Jahre 1996 auf über 140 000 ligungskapital konzentriert. Das alles hat es zu Ihrer Zeit im Jahre 1998 gestiegen. nicht gegeben, wir haben es eingeführt bzw. ausgeweitet. (Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: In der Wirtschaftsförderung ist eindeutig eine qualita- Wenn die jungen Leute in den Westen abwan- tive Verbesserung eingetreten. Es ist absehbar, dass auch dern, ist das doch kein Wunder!) die Arbeitslosigkeit – wenn auch noch nicht in einem Dass wir die Trendwende geschafft haben und heute vom Maße, das uns befriedigen würde – klar zurückgeht. Im Abbau der Arbeitslosigkeit reden können, hat doch ein- Osten geht die Arbeitslosigkeit tendenziell zurück; junge deutig mit den Maßnahmen dieser Bundesregierung zu Leute finden verstärkt Arbeits- und Ausbildungsplätze. tun. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wie viele (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Arbeitsplätze haben Sie in den letzten zwei Jah- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) ren geschaffen?) Wir haben die Mobilitätshilfe eingeführt und die Kritik, Präsident Wolfgang Thierse:Herr Jork möchte die von Ihrer Seite kam, aufgenommen. Wir haben in die- noch eine Frage stellen, wenn Sie gestatten. sem Katalog viele Qualifizierungsmaßnahmen anzubie- ten, die junge Leute an Ausbildung und Arbeit heran- Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- führen. Im Grunde genommen muss man auch das NEN): Ich freue mich, dass ich Sie am frühen Morgen so gesamte Vorfeld betrachten. beleben kann. Ich finde, Ihre Kritik greift kräftig ins Leere. Ihre An- träge sind von vorgestern, beinhalten keinerlei Selbstkri- Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Kollege Schulz, tik und bringen uns nicht weiter. Auch wenn Sie Ihre vielleicht können Sie uns einmal sagen, warum Sie auf die Emotionen kaum dämpfen können und ständig Zwi- Frage nach den Zahlen der Lehrstellen und auf die Frage schenrufe machen und Zwischenfragen stellen: Die Er- (B) nach der Glaubwürdigkeit des Vertreters der IG Metall folge, die wir sehen, sind die Erfolge der jetzigen Bun-(D) nicht eingegangen sind. Aus meiner Sicht sollten wir doch desregierung. Sie hat dafür in den letzten zwei Jahren hart ein bisschen konkret werden. Sie werden sich erinnern: „Tendenzaussagen“ und „Prozente der Planerfüllung“gearbeitet. Sie können sagen, was Sie wollen: Sie haben hatten wir früher einmal. damit nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD) NEN): Ich weiß nicht, wo Sie bei der Planerfüllung stan- den. Ich kenne Sie ja ein bisschen: Das Schießen von Ei- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort gentoren überlasse ich Ihnen. der Kollegin Cornelia Pieper, F.D.P.-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr.-Ing. Rainer Jork [CDU/CSU]: (F.D.P.): Verehrter Herr Präsident! Ich war in der Produktion! Das ist anrüchig für Cornelia Pieper Sie! Deshalb nicht konkret werden?) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schulz hat die An- träge der CDU/CSU-Fraktion zur Investitionstätigkeit in Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir noch nicht in der den neuen Bundesländern und zur Jugendarbeitslosigkeit Situation sind, jedem Jugendlichen seinen Ausbildungs- als überflüssig bezeichnet. platz zur Verfügung stellen zu können. Das ist nach wie vor ein Problem. Aber: Wir haben die Diskrepanz eindeu- (Zuruf von der F.D.P.: Hört! Hört!) tig verringert. Wir haben eine bessere Bilanz – ich habe Ich halte es für skandalös, den Jahresbericht hier nicht vorliegen, aber ich könnte Ih- nen die Zahlen ganz konkret nennen; wir können beide in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten den Bericht schauen –: Im Osten herrscht momentan eine der CDU/CSU) bessere Situation, als das 1998 der Fall war, als wir die Regierung übernommen haben. Das ist eindeutig. wenn man es für überflüssig hält, über diese Themen, die die brennendsten Fragen für die neuen Bundesländer be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN inhalten, zu diskutieren. Ich finde, so kann man das nicht und bei der SPD – Hartmut Büttner [Schöne- im Raum stehen lassen. beck] [CDU/CSU]: Weil anfangs die jungen Leute abgehauen sind! – Klaus Brähmig Herr Schulz, nach den Einschätzungen des Deutschen [CDU/CSU]: Das ist doch nicht euer Verdienst! Instituts für Wirtschaftsforschung wird der Bedarf an Das wissen Sie genauso gut wie wir!) Lehrstellen von rund 665 000 in diesem Ausbildungsjahr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12601

Cornelia Pieper (A) bis zum Jahre 2006 um knapp 6 Prozent auf 704 000 Firmen im Osten ist auf Hilfe angewiesen, auch um Aus- (C) steigen. In diesem Jahr haben aber insgesamt bildungsplätze nur zu schaffen. Ich betone: Die beste Ausbil- 400 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz gefun- dungsplatzpolitik, die man machen kann, ist eine ordent- den. Aus dieser Diskrepanz wird deutlich, dass das Pro- liche Mittelstandspolitik. blem noch lange nicht gelöst ist. Die Ihnen bekannte Ge- werkschaftsjugend sagt konkret zum JUMP-Programm, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zu- dass von dem im letzten Jahr im Bündnis für Arbeit be- ruf von der CDU/CSU: Fehlanzeige bei Rot- schlossenen Ausbildungskonsens nur noch ein – ich zi- Grün!) tiere – „Ausbildungsnonsens“ übrig sei. Damit nicht genug: Wenn man sich den Haushalt für (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten 2001 anschaut, dann stellt man fest, dass Sie die Mittel für der CDU/CSU) die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ um 300 Millionen DM gekürzt ha- Wenn Sie uns schon nicht glauben wollen, vielleicht glau- ben. Die Mittel für wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnah- ben Sie ja wenigstens den jungen Leuten, die in Ihrer Par- men werden insgesamt um 12 Prozent gekürzt. Ich halte tei oder der Gewerkschaft sind. es für gefährlich, wenn gerade dort, wo die Infrastruk- Wir haben heute die Gelegenheit, die Erfolge der Bun- turmaßnahmen gefördert werden können, gekürzt wird. desregierung beim Aufbau Ost einer Qualitätsprüfung zu Damit nicht genug: Die Expertenkommission zum unterziehen. Die vorliegenden Anträge sind eine gute Ge- Wohnungsleerstand im Osten, die Minister Klimmt ein- legenheit, die Chefsache Aufbau Ost zu bewerten. Die rot- berufen hat, hat heute mitgeteilt – das sind die neuesten grüne Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf – er wird Nachrichten –: Die Eigenheimzulage im Osten soll hal- in erster Lesung beraten – eingebracht, der vorsieht, die biert werden. Als Ausgleich sollen die Zulagen für den vorgesehenen Mittel für Ersatzinvestitionen in kleinen Kauf von Wohnungen in der Platte oder im Altbau ver- und mittelständischen Betrieben um die Hälfte zu kürzen doppelt werden und somit die Wirkung der staatlichen und die Förderung bis zum Jahre 2001 ganz auslaufen zu Wohnraumlenkung verbessert werden. Das muss verhin- lassen. dert werden; das ist ein Skandal! Wir alle wissen, dass die Sie sind damit Ihren Versprechungen, die Förderung Vermögensbildung in den neuen Ländern noch nicht den für den Aufbau Ost bis zum Jahre 2004 nicht anzutasten, Stand in den alten Ländern erreicht hat. nicht treu geblieben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zu- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten ruf von der CDU/CSU: Das ist eine rot-grüne Murkspolitik!) (B) der CDU/CSU) (D) Das wundert uns nicht. Auch wenn Sie im Gegenzug eine Angesichts dieser Politik hören wir – zu Recht – die verstärkte Förderung von Erstinvestitionen vorschlagen, Alarmglocken läuten. Deswegen ist es wichtig, dass wir so geben Sie nach Ihrem Haushaltsentwurf statt der bisher über die Fragen der Investitionsförderung erneut debat- veranschlagten 3,5 Milliarden DM 1 Milliarde DM weni- tieren. Ich kann Sie namens meiner Fraktion nur auffor- ger. Sie betreiben somit nach meiner Meinung eine Kon- dern – mein Kollege Jork hat es schon gesagt –, für mit- solidierung des Bundeshaushaltes zulasten des Aufbaus telstandsfreundliche Gesetze zu sorgen, die insbesondere Ost. Das muss ich so deutlich sagen. dem Osten Deutschlands nutzen. Stellen Sie in der Steuer- gesetzgebung die Personalgesellschaften den Kapitalge- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten sellschaften endlich gleich. der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Dass Sie dies aufregt, verstehe ich, aber: Wahrheit bleibt Schaffen Sie die Ökosteuer ab. Ermöglichen Sie In- Wahrheit. vestitionen in den neuen Ländern, indem Sie die 1 Milli- arde DM in den Bereich Bildung, Forschung und Wissen- Die Bundesanstalt für Arbeit hat in ihrem jüngsten Be- schaft fließen lassen, richt auf die Problematik des ostdeutschen Arbeitsmark- tes und der Ausbildungsplatzsituation hingewiesen. Die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Arbeitslosenzahlen im Osten sind noch immer drama- der CDU/CSU) tisch hoch. Sie, meine Damen und Herren von damit der zukunftssichere Arbeitsplätze und Ausbildungs- Regierungskoalition, stellen trotzdem in Frage, ob man plätze in den Betrieben geschaffen werden können. Unternehmen nach erfolgter Subventionierung der Erstin- Darauf kommt es an. Ich finde es gut, dass es ein neues vestitionen überhaupt noch Ersatzinvestitionen finanzie- Programm zur Förderung innovativer regionaler Wachs- ren solle. Wenn man dies infrage stellt, dann kennt man tumskerne in den neuen Bundesländern geben soll. die Situation von kleinen und mittelständischen Unter- nehmen im Osten nicht gut. Sie wissen genau, dass die Ei- genkapitaldecke der dortigen Unternehmen noch immer Präsident Wolfgang Thierse:Liebe Kollegin zu dünn ist und dass man ganz gezielt InvestitionenPieper, bitte kommen Sie zum Ende. fördern muss und sie nicht streichen darf, wie Sie es vor- haben. Die Mehrheit der kleinen und mittelständischen Cornelia Pieper (F.D.P.): Sehr gern, Herr Präsident. 12602 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Sie haben Ihre Rede- legenden Verbesserung der Infrastruktur sowie an der Er- (C) zeit schon deutlich überschritten. haltung und des Schutzes der Umwelt orientieren. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist doch (Rainer Fornahl [SPD]: Machen wir doch al- so interessant, was sie uns erzählt!) les, Herr Jüttemann!) – Das darf ich leider nicht bewerten. Ich schaue nur auf Leider ist nicht zu sehen, dass die Regierung beabsich- die Uhr. tigt, sich in diese Richtung zu bewegen. (Rainer Fornahl [SPD]: Wir rennen schon!) Cornelia Pieper (F.D.P.): Deshalb schlage ich vor: Das erfordert nämlich für die nächsten Jahre ein Auf- Lassen Sie uns einen Teil der Milliarde, die nach Ihrer An- stocken der Mittel für den Aufbau Ost. Die Bundesregie- sicht zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes verwen- rung aber kürzt stattdessen: Sie kürzt indirekt, indem sie det werden soll, in das Programm zur Förderung innova- Steuermehreinnahmen durch die Änderung des Inves- tiver Wachstumskerne stecken. Damit würden wir mehr titionszulagengesetzes nicht mehr dem Aufbau Ost zur erreichen. Verfügung stellt. Sie kürzt direkt, indem zum Beispiel die Vielen Dank. Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe im kommenden Haushaltsjahr um 300 Millionen DM magerer ausfallen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) als noch in diesem Jahr. Für unerträglich halte ich es auch, wenn staatliche För- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort dermittel dazu missbraucht werden können, dass eta- dem Kollegen Gerhard Jüttemann, PDS-Fraktion. blierte Unternehmen aus dem Westen ihre Produktion in den Osten verlagern, um per saldo Arbeitsplätze abzu- bauen, sich der Zahlung von Tariflöhnen zu entziehen so- (PDS): Herr Präsident! Meine Gerhard Jüttemann wie die in langen Jahren und schweren Auseinanderset- Damen und Herren! „Der Arbeitsmarkt in den neuen Län- zungen errungene Mitbestimmung auszuhebeln. Die dern kommt nicht voran, eher ist eine anhaltende Ver-PDS-Fraktion wird demnächst einen Antrag einbringen, schlechterung festzustellen“, heißt es im jüngsten Mo- um solchen Missbrauch zu stoppen; natsbericht der Bundesanstalt für Arbeit. Bei anhaltender Konjunktur ist dieser Offenbarungseid zuverlässiges In- (Beifall bei der PDS) diz dafür, dass alle Versprechungen und alle Zeitpläne der denn diese Art und Weise von Wirtschaftsförderung trägt wechselnden Bundesregierungen im Hinblick auf dendazu bei, dass die Lebensverhältnisse im Osten nach und (B) Aufholprozess der neuen Bundesländer nicht eingehalten nach auf den Westen übertragen werden. Ursprünglich(D) worden sind. war die Angleichung der Lebensverhältnisse in die andere (Beifall bei der PDS) Richtung angekündigt worden – hauptsächlich von der ehemaligen Regierung. Im Herbstgutachten der sechs führenden Wirtschafts- Lassen Sie mich noch ein Wort zur Lehrstellensitua- forschungsinstitute wird dazu festgestellt: tion in Ostdeutschland sagen. Auch hinsichtlich dieser Der Aufholprozess kam somit nicht nur zum Still- Problematik sind die Verhältnisse alles andere als ange- stand, sondern gemessen am Pro-Kopf-Einkommen glichen. Einige Wochen nach Beginn des neuen Lehrjah- fiel der Osten sogar zurück. An diesem Befund hat res sind Tausende von Jugendlichen ohne Ausbildungs- sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts wenig geändert. platz. 40 Prozent der Jugendlichen im Osten müssen Der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in den neuen außerbetrieblich ausgebildet werden. Ländern verstärkt sich in diesem Jahr, er bleibt aber (Dr. Mathias Schubert [SPD]: Die CDU sagte niedriger als in Westdeutschland. So stockt der Auf- 30 Prozent! Was stimmt denn nun?) holprozess das vierte Jahr in Folge, und die Produk- tion je Einwohner verharrt bei 61 Prozent des Stan- Sie kennen die Qualität dieser Art von Ausbildung; Sie wissen, was die Jugendlichen damit anfangen können. des in Westdeutschland. Sehr viele junge Leute wandern deshalb in die alten Bun- Diese anhaltend hoffnungslose wirtschaftliche Situa- desländer ab. Das Problem wird uns aber erhalten bleiben; tion verlangt natürlich eine verstärkte Investitionsför- denn die Gründe dafür fallen in absehbarer Zeit nicht weg: derung. Sie alleine bringt aber überhaupt nichts, wenn sie Da ist zum einen der wirtschaftliche Rückstand im Osten – wie in der gängigen Praxis – zum größten Teil eine Sub- und zum anderen der allgemeine Trend, dass in besonde- ventionierung leistungsstarker Großunternehmen dar-rem Maße große Unternehmen die Lehrausbildung als stellt. Demgegenüber müsste das Hauptziel der Förderung überflüssigen Kostenfaktor ansehen. von Wirtschaft die Entwicklung strukturschwacher Re- Einziger Lichtblick dürfte die demographische Ent- gionen bis hin zu deren ökologisch-sozialen Wandel im wicklung sein. Laut Deutschem Institut für Wirtschafts- Interesse ihrer Bewohner sein. forschung wird der Bedarf an Ausbildungsplätzen im (Beifall bei der PDS) Osten nur noch zwei Jahre lang steigen. Danach soll er wegen rückläufiger Schulabgängerzahlen sinken. Das be- Eine solche Förderung müsste sich vor allem an der He- deutet aber noch lange nicht, dass dann genügend bung von Einkommen und Beschäftigung, an einer grund- Lehrstellen vorhanden sind; denn auch deren Zahl sinkt ja Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12603

Gerhard Jüttemann (A) ständig. Das Institut jedenfalls konstatiert in seinem Wo- Die Maßnahmen der Bundesregierung stellen keine(C) chenbericht vom 19. Oktober die Notwendigkeit, dasKonkurrenz zu den Aktivitäten der Länder dar. Sie kön- Lehrstellenangebot in kleineren und mittleren Betrieben nen vielmehr kombiniert werden. Gerade die neuen Län- auszuweiten, weil es nicht ausreichend ist. der werden damit in ihren Bemühungen unterstützt. Da- Ich möchte in diesem Zusammenhang das SPD-Wahl- mit wird man der besonderen Situation, die in den neuen programm zitieren. Ich habe es hier schon einmal zitiert; Ländern durchaus noch besteht, gerecht. ich tue das aber gerne noch einmal, weil Sie es ja offen- Statt den Vorwurf der Konkurrenz an den Haaren her- sichtlich völlig verdrängt haben. beizuziehen, sollten Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zur Kenntnis nehmen, dass die Ausbil- dungsförderung besonders für benachteiligte Jugendliche Präsident Wolfgang Thierse:Herr Kollege Jüttemann, das ist aber Ihre letzte Bemerkung. Sie liegen eine große Bedeutung gewonnen hat. Denn diese jungen schon deutlich über Ihrer Redezeit. Menschen bedürfen einer besonderen Betreuung und hät- ten ohne diese Betreuung im Hinblick auf ihre Zukunft und ihre Qualifikation wenig Chancen. Gerhard Jüttemann (PDS): Im SPD-Wahlprogramm heißt es also: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wirtschaft und öffentlicher Dienst müssen in eigener Untergraben Sie bitte den vorsichtigen Optimismus dieser Verantwortung für ein ausreichendes Lehrstellenan- Menschen nicht; denn ohne Optimismus kann man keine gebot sorgen. Anderenfalls wird auf gesetzlicher vernünftige Lebensführung garantieren. Grundlage ein fairer bundesweiter Leistungsaus- gleich zwischen ausbildenden und nicht ausbilden- Das Sofortprogramm der Bundesregierung leistet ei- den Betrieben notwendig. nen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsex- tremismus und reiht sich in die Initiativen ein, mit denen (Beifall bei der PDS) sich die Bundesregierung diesem Problem widmet. Die Jetzt ist es nur noch notwendig, dass Sie Ihr Wahlpro- Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nicht nur eine gramm umsetzen. politische und moralische Pflicht aufrechter Demokraten gegenüber den Menschen, die von Rechtsextremisten be- Herzlichen Dank. droht werden. Vielmehr ist sie auch Pflicht denjenigen (Beifall bei der PDS) gegenüber, die aus emotionaler und ideologischer Orien- tierungslosigkeit in die Gefahr geraten, Halt und Orien- (B) tierung bei diesen Gruppen zu suchen. Solche Menschen (D) Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile nun der gefährden nicht nur andere und die demokratische Grund- Kollegin Ingrid Holzhüter, SPD-Fraktion, das Wort. ordnung. Sie zerstören auch ihre eigenen Zukunftschan- cen. Ingrid Holzhüter (SPD): Herr Präsident! Meine lie- Wir täten ihnen und uns einen Bärendienst, wenn wir ben Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir am An- diese jungen Menschen mit dem Hinweis auf hohe Kos- fang meiner Rede, dass ich Herrn Jork frage, ob folgendes ten einfach sich selbst überlassen würden. Wir müssen Zitat Grundlage unseres Denkens sein soll – er hat ja ge- alle in diesem Zusammenhang möglichen Anstrengungen sagt, die Vergangenheit solle uns nicht mehr interessieren unternehmen; denn nur so können wir gerade den neuen und wir sollten nur noch in die Zukunft schauen –: „Auf- Ländern helfen, die sich – zugegebenermaßen noch im- erstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.“ mer – in einer relativ benachteiligten Lage befinden. Wir Lieber Herr Jüttemann – ich sehe Sie ja sonst nicht un- haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Ausbil- gern –, Jammern aber hat noch nie geholfen. Jeder Arzt dungskonferenzen auf dem Wege, eine verbesserte Si- sagt: Positives Denken fördert die Heilung. – Vielleicht tuation zu erreichen, einen wichtigen Beitrag leisten. sollten wir diesen Satz auch einmal auf unsere Politik (Beifall bei der SPD) übertragen und den Menschen in den neuen Ländern die- ses Gefühl vermitteln. Mit dem Hinweis auf Kosteneffizienz wollen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, den neuen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ländern den Boden unter den Füßen wegziehen. Da hät- Die Beratung in den Ausschüssen über den Antrag der ten wir uns die Bemühungen für die neuen Länder schon Opposition hat keine Gesichtspunkte zutage gefördert, immer sparen können. Sie waren noch nie billig. Klar ist die uns überzeugt hätten, dass die Argumente, die wiraber doch – von moralischen Gesichtspunkten einmal ab- schon in der ersten Lesung angeführt haben, um diegesehen –, dass uns der Aufbau der neuen Länder, wenn Sinnlosigkeit dieses Antrages zu belegen, nicht richtig wir dies nicht auf diese Weise getan hätten, viel teurer sind. Es gibt keine andere geeignete Vorgehensweise des gekommen wäre. Wir werden den von Ihnen begonnenen Parlaments, als diesen Antrag abzulehnen. Die Zahlen, die Aufbau Ost weiterführen, aber ohne die Fehler, die Sie da- Sie hier genannt haben, lassen nämlich völlig außer Acht, bei begangen haben. dass es neben dem BBiG und der Handwerkskammerord- Zu Ihrer Zeit sind die Themen der speziellen Ausbil- nung auch noch andere Informationen gibt, die in Ihre an- dungsförderung und des Rechtsextremismus in den neuen scheinend nicht eingeflossen sind. Ländern vernachlässigt oder sogar unter den Teppich 12604 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Ingrid Holzhüter (A) gekehrt worden. Um das zu vertuschen, versuchen Sie sichts dieser Zahlen ruhig schlafen. Die Regierung wird (C) nun mit teilweise wirklich peinlichen Scheinargumenten es schon richten. die erfolgreichen Maßnahmen der Bundesregierung Wir reden hier von Erfolgen, wie sie gerade in den zu diskreditieren. Es ist zum Beispiel absurd, angesichts neuen Ländern dringend gebraucht werden. Es sollte nicht dessen eine Überprüfung der Maßnahmen auf ihresein, dass Sie ausgerechnet an dieser Stelle versuchen, der Wirksamkeit zu fordern, da diese Überprüfung ständig Bundesregierung an den Karren zu fahren. Das ist Kritik vorgenommen und das Sofortprogrammsogar wissen- um der Kritik willen und das ist destruktiv. schaftlich begleitet wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, welches neue des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zahlenmaterial diese wissenschaftliche Begleitung zu- sammengestellt hat, nachdem wir die erste Aussprache zu Die Bundesregierung hat völlig zu Recht im Juni die- diesem Thema hatten. So haben im September dieses Jah- ses Jahres beschlossen, dass das Sofortprogramm über das res 10 998 Jugendliche begonnen, an Maßnahmen des So- Jahr 2000 hinaus verlängert wird. Wir sollten sie darin ge- fortprogramms teilzunehmen. Das ist die höchste Zu-rade im Namen der Menschen in den neuen Ländern un- gangszahl in diesem Jahr. Seit Jahresbeginn ergeben sich terstützen. damit 79 465 Zugänge. Für 25 000 davon – genauer ge- Einen Schlüsselsatz hat für mich der Arbeitsamtsdirek- sagt: für 24 965 – ist damit eine Eingliederung in den ers- tor von Neustrelitz gesagt – und damit will ich schließen –: ten Arbeitsmarkt möglich. Die angestrebte Schwerpunkt- setzung in Richtung Eingliederung in den erstenWir sind nicht froh, dass es Arbeitsmarktprogramme Arbeitsmarkt mit Lohnkostenzuschüssen wurde also er- wie ABM und Co geben muss, aber, meine Damen reicht. Sie sehen, meine Damen und Herren von der Op- und Herren, was würden wir ohne diese Programme position, ein beständiges Lernen aus den Programmen in den neuen Ländern tun? Hier würde der Teufel auf und eine entsprechende kontinuierliche Anpassung müs- den Straßen tanzen! sen gar nicht von Ihnen gefordert werden. Sie sind bei uns Wer wollte das abstreiten? in den besten Händen. Vielen Dank. Mit Projekten zur Ausschöpfung und Erhöhung des be- trieblichen Lehrstellenangebots konnten bislang über (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 20 000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wonnen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- (B) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (D) Dies scheint aber die Kollegin Pieper nicht zu interessie- ren, da sie mir ihr „besseres Teil“ zuwendet. Katherina Reiche (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ohne Zweifel Seit Jahresbeginn wurden gegen nur 2 671 Jugendliche wichtig, dass wir im Deutschen Bundestag regelmäßig wegen unbegründeter Ablehnung oder unbegründeten über die Konzepte für die Förderung der Wirtschaft in den Abbruchs von Maßnahmen Sperrzeiten verhängt. Die ge- neuen Ländern debattieren. Es ist ohne Zweifel auch ringe Zahl der Ablehnungen zeigt, dass die Jugendlichen wichtig, dass sich Wirtschaftswissenschaftler, Unterneh- diese Ausbildungsangebote durchaus positiv bewerten mer und Politiker Gedanken über die Effektivität der lau- und annehmen. fenden Maßnahmen machen. Die neuen Länder werden besonders gefördert. Es gibt jedoch einen stummen Debattenbeitrag und 146 Millionen DM nicht benötigter Ausgabemittel für eine sehr greifbare Form der Evaluierung: Ich spreche von Strukturanpassungsmaßnahmen wurden zugunsten des der hohen Abwanderungsrate gerade junger Menschen Sofortprogramms umgeschichtet. Davon kommen aus den neuen Ländern. Hierbei handelt es sich um eine 113 Millionen DM den neuen Ländern zugute. Damit ent- Abstimmung mit den Füßen über die verfehlte Politik der fallen 42,6 Prozent der Mittel auf die neuen Länder. Bundesregierung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bereits jetzt wird so der Empfehlung des Bündnisses neten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD) für Arbeit entsprochen, den Anteil der neuen Länder am Der Aderlass ist immens. 1998 verließen knapp Sofortprogramm zu erhöhen. Im Jahre 2001 werden es 200 000 Menschen die neuen Länder. 1999 waren es noch nämlich 50 Prozent sein. Ende September 2000 nahmen einmal 13 000 Menschen mehr als 1998. Nach einer Pro- in den neuen Ländern schon 35 687 Jugendliche am So- gnose werden in den nächsten zehn Jahren 1 Million Men- fortprogramm teil. Dies sind 48,9 Prozent aller Teilneh- schen die neuen Länder verlassen. Es ist nicht irgendwer, mer. Das Sofortprogramm hat dazu geführt, dass die Ju- der die neuen Länder verlässt, es sind die Jungen, die Leis- gendarbeitslosigkeit in Ost- und in Westdeutschland im tungsträger der Gesellschaft, die die Zukunft bestimmen. Jahresdurchschnitt 1999 gegenüber dem Jahresdurch- schnitt 1998 zurückgegangen ist. Der Schwerpunkt des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wi- Programms ist auf die Integration der Jugendlichen in den derspruch bei der SPD – Dr. Mathias Schubert ersten Arbeitsmarkt verlagert worden. Meine Damen [SPD]: Am meisten ist es die Jugend in Sach- und Herren von der Opposition, Sie können also ange- sen! Das muss eine schlechte Regierung sein!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12605

Katherina Reiche (A) Wir alle, die wir uns mit Migration beschäftigen, wis- als in einem Betrieb, hieß es. Ich glaube, dass dies Ihre(C) sen, dass man seine Heimat und sein soziales UmfeldEinstellung zum ersten Arbeitsmarkt ganz deutlich zeigt. nicht ohne Grund verlässt. Dahinter steckt gerade bei jun- Überbetriebliche Ausbildung darf dagegen munter und gen Menschen häufig Perspektivlosigkeit. teuer weiter am Bedarf vorbei ausbilden. So kommen zum Beispiel in den neuen Ländern weiterhin viele junge Mau- Die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen gibt jeden rer auf den Arbeitsmarkt, die in der gebeutelten Baubran- Monat Anlass zu Besorgnis. Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern ist mittlerweile zweieinhalb Mal so hoch che im Osten momentan wirklich nicht gebraucht werden. wie in den alten Ländern. Das wollte ich zur Realität der Wir sollten uns einig sein, dass der Erfolg von Maß- Chefsache Aufbau Ost von Bundeskanzler Schröder sa- nahmen wie JUMP letztlich daran gemessen werden gen. muss, wie viele Menschen auf dem ersten Markt eine Vonseiten der Bundesregierung wird auf diese Ent- Chance erhalten. Wenn jedoch Bundesprogramme – sie wicklung mit einem selbstgerechten Achselzucken rea- bringen für ein Jahr mehr Geld – den Landesprogrammen giert, nach dem Motto: Wir tun doch alles, was wir kön- dergestalt Konkurrenz machen, dass die Hälfte der Be- nen. Das mag ja so sein, es ist aber bei weitem nichtrufsschulklassen in Brandenburg fluchtartig die Schulen ausreichend und zeugt von Ihrem Selbstverständnis von verlässt, verantwortungsvoller Politik. Wir brauchen handfeste Ta- (Dr. Mathias Schubert [SPD]: Wo denn in ten statt lockerer Sprüche. Brandenburg?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- um ein Jahr lang mehr Geld zu haben, danach aber ohne neten der F.D.P. – Widerspruch bei der SPD) Ausbildung und ohne Arbeitsplatz dasteht, finde ich die Nehmen wir zum Beispiel dasSofortprogramm Maßnahmen völlig verfehlt. JUMP. Grundsätzlich begrüßen wir jede Maßnahme, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dazu dient, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Ländern abzubauen. Die Maßnahmen müssen aber nach- Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind weniger haltig, effizient und bedarfsorientiert sein. Die Bundesre- die JUMP-Milliarden maßgeblich als eine Wirtschaftspo- gierung preist JUMP vollmundig und offensichtlich vor- litik, die die Unternehmenslandschaft in Ostdeutsch- eilig als vollen Erfolg. Aber selbst das Institut land für stabilisiert und für den Wettbewerb fit macht. Es gibt Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Unternehmenslandschaften in Ostdeutschland, die her- Arbeit sagt zur Bewertung von JUMP – ich zitiere –, „dass vorragend funktionieren. Ich nenne den Bereich um Dres- eine kausale Interpretation der Befunde zum derzeitigen den und den Speckgürtel um Berlin. An dieser Entwick- Zeitpunkt noch nicht vorgenommen werden kann“. lung jedoch hatte die jetzige Bundesregierung wirklich (B) keinen Anteil. Die Aufgabe der Bundesregierung besteht (D) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb mitdarin, die strukturschwachen Regionen zu fördern. Dabei ihrem Antrag eine Zwischenbilanz von JUMP gezogen. versagt die Bundesregierung. Mein Kollege Rainer Jork hat bereits auf die offensichtli- chen Mängel dieses Programms aufmerksam gemacht. Ich möchte vier Beispiele nennen, für mehr reicht lei- JUMP bietet nur einem Bruchteil der Teilnehmer eine Per- der die Zeit nicht. Erstens. Im Ausschuss für Angelegen- spektive. In Brandenburg sind beispielsweise gerade ein- heiten der neuen Länder haben wir sehr intensiv über die mal 2,5 Prozent der Jugendlichen aus einer JUMP-Maß- Investitionsförderung und das Investitionszulagengesetz nahme in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen worden. diskutiert. Über Sinn und Zweck der unterschiedlichen Weniger als 10 Prozent konnten eine reguläre Ausbildung Behandlung von Erst- und Ersatzinvestitionen kann man beginnen. Auf der anderen Seite sind in Brandenburgstreiten. Ich möchte aber die Bundesregierung und die 20 Prozent der Jugendlichen vorzeitig aus der jeweiligen Koalitionsfraktionen, insbesondere Herrn Schulz, darauf Maßnahme ausgestiegen. Circa 30 Prozent wurden in einer hinweisen, dass wir mit der EU über die Sache gestritten ABM geparkt und ein weiteres Drittel holte über dashaben. Wir wollten nämlich, dass Erst- und Ersatzinvesti- JUMP-Programm seinen Hauptschulabschluss nach. tionen nicht voneinander getrennt werden. Es hätte zur politischen Fairness gehört, wenn Sie gesagt hätten, dass (Dr. Mathias Schubert [SPD]: Die Menschen Ihr Investitionszulagengesetz noch nicht notifiziert ist. werden „geparkt“!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist offensichtlich, dass dieses Programm ineffizient und ineffektiv ist. Es ist umso ärgerlicher, dass die Bun- Unter dem Strich kommt durch die unterschiedliche Be- desregierung die Kosten für JUMP – immerhin 2 Milliar- handlung eine Steuerersparnis von knapp 1 Milliarde DM den DM – auf die Sozialversicherung abgewälzt hat. Es heraus; Frau Pieper hat darauf bereits hingewiesen. Diese gibt keinen Gestaltungsspielraum für Beitragssenkungen, könnten Sie getrost in die Gemeinschaftsaufgabe Aufbau obwohl diese wirklich zur Belebung des Arbeitsmarktes Ost stecken. Sie bezeichnen die Gemeinschaftsaufgabe als beitragen würden. „Herzstück“ Ihrer Wirtschaftspolitik in den neuen Ländern. Doch das so genannte Herzstück kürzen Sie um 300 Milli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) onen DM. Mit traumwandlerischer Sicherheit kürzen Sie Die Kollegen von der SPD haben im Mai ein Loblied bei all den Posten – bei der Infrastruktur und den Mitteln auf die überbetriebliche Ausbildunggesungen, die ei- für Forschung und Entwicklung –, die wirklich dazu nen großen Prozentsatz von JUMP ausmacht. Dort würde beitragen würden, die Wirtschaft in den neuen Ländern zu man sich viel besser um die jungen Menschen kümmern stärken. 12606 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Katherina Reiche (A) Zweitens: Ökosteuer. Die Ökosteuer ist Gift für die Wir fordern Sie auf, Minister Riester darin zu bestär- (C) Wirtschaft, gerade in den neuen Ländern. ken, dieses Gesetz nicht umzusetzen. Ich hoffe, wir wol- len alle nicht, dass zwischen Rügen und dem Erzgebirge (Beifall des Abg. Dr.-Ing. Rainer Jork irgendwann das Altersheim der Bundesrepublik Deutsch- [CDU/CSU]) land entsteht. Ich bitte Sie, daran mitzuarbeiten, dass das Die Industrie im Osten wird überproportional belastet. nicht passiert. Nach wie vor sind im Osten gegenüber dem Westen 6 bis (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 10 Prozent höhere Energiekosten zu verzeichnen. Auch der Stromverbrauch liegt, bezogen auf den Umsatz in Ost- deutschland, höher als im Westen. Das liegt einerseits an Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- der relativ geringen Größe der Betriebe, andererseits am sprache. derzeit noch geringeren Wirkungsgrad vieler eingesetzter Wir kommen zu den Abstimmungen. Maschinen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegen- (Dr. Mathias Schubert [SPD]: Ich denke, die hat heiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der die alte Bundesregierung gefördert wie ver- CDU/CSU mit dem Titel „Investitionsförderung versteti- rückt!) gen – regionale Wirtschaftsstrukturen stärken“. Der Aus- Die Ökosteuer gehört abgeschafft. schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2242 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – (Dr. Mathias Schubert [SPD]: Was denn nun? Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss- Es stimmt doch hinten und vorne nicht, was Sie empfehlung mit den Stimmen von SPD und Bünd- sagen!) nis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS gegen – Herr Schubert, bitte beruhigen Sie sich doch wieder! die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Drittens: Abschreibungstabellen. Es muss endlich Beschlussempfehlung des Ausschusses für Angelegen- Schluss sein mit dem willkürlichen Geschachere um Ab- heiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der schreibungszeiten, die nicht den betrieblichen Notwen- CDU/CSU mit dem Titel „Lehrstellenmangel Ost mit digkeiten entsprechen. Es kann nicht angehen, dass Be- wirksamen Regelungen angehen“. Der Ausschuss emp- triebe in ihrer Investitionstätigkeit durch unsinnigefiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3185 abzulehnen. Verwaltungsregelungen gehindert werden. Zudem müs- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- sen die Regelungen über Abschreibungszeiten für die Be- probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist triebe verlässlich sein, weil ihre Investitionsplanungen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie soeben ange- nommen. (B) über Jahre gehen. Gerade für kapitalschwache Unterneh- (D) men in Ostdeutschland ist langfristige Planungssicherheit wichtig. Der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: sah zum Teil eine Verdoppelung bei den Abschreibungs- – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- zeiten vor, etwa bei Personalcomputern. Das ist völlig un- neten Alfred Hartenbach, Margot von Rennesse, sinnig. Hanna Wolf (München), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Volker Beck (Köln), (Bremen), Viertens: Betriebsverfassungsgesetz. (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Been- Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Reiche, Sie digung der Diskriminierung gleichgeschlecht- müssen bitte zum Ende kommen. licher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG) Katherina Reiche (CDU/CSU): Ja, ich komme zum – Drucksache 14/3751 – Ende. (Erste Beratung 115. Sitzung) Als Payback für die Wahlkampfhilfe der Gewerkschaf- – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- ten bastelt Minister Riester an einer weit reichenden Aus- neten Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer dehnung der Mitbestimmung der Betriebsräte auf mittlere Brüderle, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und kleinere Inhaberbetriebe. Ganz besonders Inhaberbe- und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Ent- triebe sind darauf angewiesen, ein gutes Verhältnis zu wurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsver- ihren Mitarbeitern zu pflegen. Sie sind auf die Kompetenz hältnisse eingetragener Lebenspartnerschaften ihres Inhabers und den Teamgeist der Belegschaft ange- (Eingetragene-Lebenspartnerschaften-Gesetz – wiesen. ELPSchG) – Drucksache 14/1259 – Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Reiche, ich (Erste Beratung 67. Sitzung) hatte es ernst gemeint. – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- neten Rainer Funke, Jörg van Essen, Hildebrecht Katherina Reiche (CDU/CSU): Ja, ich komme zum Braun (Augsburg), weiteren Abgeordneten und Schluss. der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12607

Präsident Wolfgang Thierse (A) nes Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Ich habe dazu Folgendes zu sagen, und ich möchte,(C) Gesetzbuchs (Wohnrecht hinterbliebener Haus- dass das unbedingt auch von Ihnen, Herr Geis, so gewür- haltsangehöriger) digt wird, wie es das meines Erachtens verdient. – Drucksache 14/326 – (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich habe so etwas (Erste Beratung 27. Sitzung) im Rechtsausschuss noch nicht erlebt!) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Wir kennen uns beide lange genug, um zu wissen, dass neten Christina Schenk, Sabine Jünger, Christine wir beide die streitige Auseinandersetzung lieben. Ich Ostrowski, weiteren Abgeordneten und der Frak- hätte Sie auch mit Ihnen gern geführt. Dazu ist es nicht ge- tion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Geset- kommen, und meines Erachtens lag das weder an der Ko- zes zur Übernahme der gemeinsamen Woh- alition noch an Herrn Beck noch an mir. nung nach Todesfall der Mieterin/des Mieters oder der Mitmieterin/des Mitmieters (Änderung (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, ja!) des Bürgerlichen Gesetzbuchs) Zunächst zur CDU/CSU. Wir hatten am Dienstag ver- – Drucksache 14/308 – gangener Woche ein Berichterstattergespräch, (Erste Beratung 27. Sitzung) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Zehn Minuten!) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- in dem nach stattgefundener Anhörung Sie das Wort nur schusses einmal ergriffen haben, nämlich um zu fragen, warum wir (6. Ausschuss) die Stiefkindadoption nicht zulassen – eine wirklich ver- – Drucksachen 14/4545, 14/4550 – blüffende Anregung von Ihnen, Berichterstattung: (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dass Sie die Ironie Abgeordnete Margot von Renesse nicht verstanden haben, Frau von Renesse!) Alfred Hartenbach Norbert Geis auf die Herr Beck dann mit der Äußerung reagiert hat, ei- Volker Beck (Köln) nem Änderungsantrag von Ihnen würden wir mit Inte- Jörg van Essen resse entgegensehen. Dem konnte ich mich nur anschlie- Christina Schenk ßen. Der Rechtsausschuss hat in seine Beschlussempfeh- Im Übrigen gab es keinen einzigen sachlichen Ein- lung die von der Fraktion der F.D.P. und von der Fraktion wand, der PDS eingebrachten Gesetzentwürfe zur Änderung des (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, ja!) (B) Bürgerlichen Gesetzbuch betreffend das Wohnrecht hin- (D) terbliebener Haushaltsangehöriger einbezogen, über die und ich weiß auch, warum: Ihnen geht das ganze Anlie- heute ebenfalls abschließend beraten werden soll. – Ich gen gegen den Strich. sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos- Nur, bei der Anhörung haben Ihre Sachverständigen sen. bis auf zwei gegen das Anliegen verfassungsrechtliche Zum Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes liegt Bedenken im Grundsatz nicht geltend gemacht. ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Lesen Sie mal Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Schily!) Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre Zwei haben Bedenken geltend gemacht. Einer hat vorge- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. tragen, dass es ein Verstoß gegen die Eheschließungsfrei- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kolleginheit, die nach Art. 6 des Grundgesetzes gewährt werden Margot von Renesse, SPD-Fraktion. muss, sei, wenn jemand, der in einer gleichgeschlechtli- chen Lebenspartnerschaft sei, nicht heiraten dürfe. Das war ein etwas merkwürdiges Argument. Ich kann Ihnen Margot von Renesse (SPD): Herr Präsident! Meine sagen, dass wir mit diesem Problem aufgrund der gege- sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde in der Zeit, benen Gesetzeslage ohne Schwierigkeiten fertig werden. die mir zur Verfügung steht, zunächst etwas über das Ver- fahren sagen, dann etwas über die vorliegenden Entwürfe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und zum Schluss über das Klima, in dem das Ganze ver- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) handelt wird, insbesondere auch über die Aktivitäten, die Er hat dieses Argument nicht mehr wiederholt – das wis- wir aus Agenturmeldungen auch heute kennen gelernt ha- sen Sie auch, denn Sie waren dabei –, weil es von vorn- ben. herein von der gesamten Zuhörerschaft mit ausgespro- Zunächst einmal zum Verfahren. Wir haben heute chener Verblüffung zur Kenntnis genommen wurde. Morgen eine Geschäftsordnungsdebatte gehabt. Herr Ein zweites, sehr viel ernsteres Argument war das von Pofalla hat in ihr gesprochen und Vorwürfe erhoben, die Professor Diederichsen, der die Befürchtung zum Aus- mir persönlich gegen die Ehre gehen. druck gebracht hat, dass von der Existenz eines solchen (Beifall bei der SPD – Norbert GeisInstituts, wie wir es vorhaben, eine „Verführung“ zur Ho- [CDU/CSU]: Mir aber auch! Ihr Verhalten ist mosexualität ausgehen könne. Daraufhin ist ihm entgeg- ehrlos!) net worden, dass es wohl kaum mit der Verfassung 12608 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Margot von Renesse (A) vereinbar ist, von vornherein die homosexuelle Neigung Das Interessante war: Wir hatten dieses Gesprächs-(C) eines Menschen als eine Neigung anzusehen, die es von angebot noch im Berichterstattergespräch gemacht. Herr Verfassungs wegen zurückzudrängen gelte und die mög- Westerwelle, das weiß ich nun positiv. Ich pflege nicht zu licherweise eben durch Schlechterstellung zu bekämpfen lügen. sei. Die Verfassung ist insoweit neutral. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Diese Erfahrung im Berichterstattergespräch hat mich DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Van dazu gebracht, davon auszugehen, dass Sie ein Gespräch Essen hat das noch im Rechtsausschuss ge- blockieren wollten, das ich gern auch gerade mit Ihnen geführt macht! – Norbert Geis [CDU/CSU]: Da war ich noch mit drin!) hätte. Aber auch Herr Röttgen von der CDU hat geschwiegen. Kein Wort kam von ihm im Berichterstattergespräch, und un- Herr Beck und ich haben das Gesprächsangebot im Be- ser Angebot, ein weiteres Berichterstattergespräch zu führen, richterstattergespräch am Dienstag der vergangenen Wo- das wir gleich in der ersten Sitzung gemacht haben, ist von Ih- che gemacht. Noch am Montag saß ich mit Herrn van nen mit keinem Signal, dass Sie überhaupt eines wollten, be- Essen zusammen. Kein Wort, auch nicht das geringste antwortet worden. Sterbenswörtchen von ihm mit der Bitte um weitere Ge- spräche. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Da hat ja das Ge- setz noch gar nicht vorgelegen! – Sie müssen Ich hätte zur Tages- und zur Nachtzeit zur Verfügung die Fakten richtig erklären!) gestanden. Für dieses Gesetz, mit dem ich mich seit Jah- ren beschäftige, hätte ich alles möglich gemacht und je- Ich habe gestern eine interessante Erfahrung gemacht, den Termin, den ich woanders habe, zurückgestellt. Jeder, Herr Geis. Ich war bei einer Tagung der Bundesnotar- der mich kennt, wusste, dass ich das ernst meine. kammer. Dort kam ich zu einem Vortrag eines Mitarbei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ters der Bundesnotarkammer über justament dieses Ge- DIE GRÜNEN) setz. Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses hatte er sich zwei Stunden vorher aus dem Internet herun- Denn ich wiederhole: Ich pflege die streitige Ausei- tergeladen, und er war angesichts des Umfangs der Ände- nandersetzung mit wahrer Leidenschaft, und gerade zu rungen, von denen 90 Prozent darin bestanden, dass da diesem Punkt. Das zum Verfahren. schlicht und einfach stand: „entfällt“, in der Lage, dazu ei- nen sachlich zutreffenden Vortrag zu halten. Präsident Wolfgang Thierse:Kollegin von Renesse, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Westerwelle? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (B) Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich bin nicht ein sol- (D) ches Genie!) Margot von Renesse (SPD): Aber gerne. Es ist eigentümlich, dass die CDU/CSU-Fraktion mit ihren Mitarbeitern nicht in der Lage ist, zwischen Freitag Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Frau Kollegin, da vergangener Woche und der Sitzung am Mittwoch imSie mich selber angesprochen haben: Sind Sie mit mir – – Rechtsausschuss sich dazu ein ebenso sachlich fundiertes (Zuruf von der SPD: Wie war der Name?) Urteil zu bilden, wie das ein Mitarbeiter der Notarkammer binnen zwei Stunden offensichtlich kann. – Wie bitte? (Alfred Hartenbach [SPD]: Wie war der Name? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der kam undeutlich durch! – Dr. DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: Er [CDU/CSU]: Das ist vielleicht arrogant!) hat bestimmte juristische Fähigkeiten! Die habe ich nicht!) – Was soll das? Verzeihen Sie. Zum Thema F.D.P., die sich ja diesem Geschäftsord- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So überheb- nungsantrag angeschlossen hatte. Hierzu muss ich sagen, lich und arrogant ist die rot-grüne Koalition! In- dass ich in der Tat bis zur Selbsterniedrigung Ihnen hin- kompetent, überheblich und arrogant!) terhergelaufen bin, Herr Westerwelle. Sie erinnern sich; Frau Kollegin, da Sie mich angesprochen haben, Wir haben dann, nachdem Sie einen Termin absagenmöchte ich bei dieser Sache noch einmal nachfragen. mussten, ein Gespräch geführt, in dem Sie mich im Vor- Zunächst einmal: Stimmen wir darüber ein, dass, als wir feld dieser Erörterung – da war der F.D.P.-Antrag schon in uns im Sommer unterhalten haben, um zu sondieren, ob den Bundestag eingebracht – darauf verwiesen hatten, mit wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen, beabsichtigt einem Ihrer Mitarbeiter zu sprechen, was ich selbstver- gewesen ist, vor allen Dingen auf Mitarbeiterebene ständlich getan habe. – bezüglich des Justizministeriums und unserer Mitarbei- ter – zunächst einmal die einzelnen Fragmente und ein- Nur, es kam von Herrn van Essen, der als Berichter- zelnen Spezifika abzuchecken? statter tätig war, nach der Anhörung nicht ein einziges Si- gnal, das auf Gesprächsbereitschaft schließen ließ. Das Zweite ist: Stimmen wir darin überein, dass unser Vertreter im Rechtsausschuss, nämlich Herr van (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So kenne ich Essen, den Koalitionsfraktionen nicht nur einmal, ihn gar nicht! – Zuruf von der F.D.P.: Stimmt sondern mehrfach angeboten hat, in Richtung einer ge- nicht!) meinsamen Initiative zu gehen? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12609

(A) Margot von Renesse (SPD): Wir stimmen insoweit Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin von Renesse, (C) überein, dass wir uns im Sommer getroffen haben, und der Kollege Scholz möchte auch noch eine Zwischenfrage zwar aufgrund meiner Initiative. stellen. Wir stimmen nicht darin überein, dass Sie mir gesagt hätten, das Justizministerium sei einzuschalten, sondern Margot von Renesse (SPD): Bitte. Sie haben mir gesagt, ich sollte mich an einen bestimm- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Der Ausschuss- ten Fraktionsmitarbeiter wenden. vorsitzende!) Wir stimmen schließlich nicht darin überein – weil ich das mit Nichtwissen bestreiten muss –, dass sich Herr van Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Frau von Renesse, ich Essen an irgendjemanden in unserer Arbeitsgruppe ge- bin, wie Sie wissen, als Ausschussvorsitzender nach dem wandt haben sollte. Denn an mich als Berichterstatterin wegen der unerträglichen Verhandlungsgrundlagen berech- hat er sich nicht gewandt, obgleich wir uns noch am Mon- tigten Auszug der Union im Saal geblieben. Deshalb frage tag dieser Woche getroffen haben. ich Sie, deutlich anknüpfend an das, was Herr Westerwelle eben gefragt hat. Sie waren dabei und Sie müssten sich sehr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ genau daran erinnern, dass Herr van Essen ausdrücklich ge- DIE GRÜNEN – Klaus Haupt [F.D.P.]: Wenn sagt hat, man müsste und sollte über beide Dinge reden. Sie man es nicht weiß, sollte man keine Behaup- müssten sich erinnern – sonst widersprechen Sie bitte –, tungen aufstellen!) dass Herr van Essen mit Nachdruck darauf hingewiesen hat, dass er sich mehrfach darum bemüht hat. Er hat es auch – Ich habe mit Nichtwissen bestritten. Das ist in solchen in der Sitzung am Mittwoch getan. Und nicht von Herrn Fällen unter Juristen normal. van Essen, Frau von Renesse, kam die Geschichte, in einem Zug durchzustimmen. Präsident Wolfgang Thierse:Eine Nachfrage des Die rot-grüne Koalition hat in dieser Frage deutlich ge- Kollegen Westerwelle? macht, dass sie in dieser Geschichte entscheiden wolle. Auf meine Frage als Vorsitzender: „Soll nach Artikeln ab- Margot von Renesse (SPD): Gerne. Natürlich, Herr gestimmt werden oder soll das ganz in toto abgestimmt van Essen. Immer. werden?“ – da die Abstimmungslage und die mangelnde Verhandlungsbereitschaft eindeutig waren – ist es natür- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Nein, lich zu diesem Verfahren gekommen. Das ist die Wahr- Westerwelle!) heit. (B) – Herr Westerwelle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D)

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Mit Nichtwissen be- Margot von Renesse (SPD): Lieber Herr Scholz, ich streitet man nur etwas unter ganz bestimmten Umständen hätte von Ihnen gern, wie die Geschäftsordnung das vor- im Prozess. Deshalb möchte ich noch einmal ausdrücklich sieht, eine Frage gehört statt einer Feststellung, nachfragen. Sind Sie bereit nachzulesen, dass Herr van (Dr. Rupert Scholz [CDU/CSU]: Entschuldi- Essen der Koalition im Rechtsausschuss nicht nur einmal, gung!) sondern mehrfach Gespräche angeboten hat, und ist nicht der Rechtsausschuss auch der richtige Ort, um Gespräche aber es bleibt Ihnen überlassen, die Geschäftsordnung anzubieten? besser auszulegen, als ich sie bisher kannte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Margot von Renesse (SPD): Wie Recht Sie haben! DIE GRÜNEN – Dr. Rupert Scholz Umso verblüffender war es, als wir vorgestern nach Aus- [CDU/CSU]: Das liegt beim Präsidenten!) zug der CDU/CSU den verbliebenen Abgeordneten der – Ich bin von unglaublicher Toleranz, was das angeht, so- Oppositionsfraktionen in der Sache zu diskutieren ange- dass ich dem Präsidenten nicht vorgreifen möchte, und boten haben, dass von Herrn van Essen der Antrag kam, sage, es wird wohl so stimmen, wenn der Vorsitzende des ohne weitere Debatte über das Gesetz als Ganzes abzu- Rechtsausschusses die Geschäftsordnung so auslegt. Ich stimmen. habe Ihnen da nichts zu erwidern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nur, eines ist klar: Von uns kam ausdrücklich der An- DIE GRÜNEN – Zuruf von der F.D.P.: Das trag – Herr Beck hat ihn gestellt –, artikelweise abzustim- stimmt doch überhaupt nicht!) men. – Das war so. Jeder, der dabei war, ist mein Zeuge. (Joachim Stünker [SPD]: Richtig!) (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Dann erklärte Herr van Essen, es solle insgesamt das Nein! – Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt nicht! ganze Gesetz abgestimmt werden. Das ist Verdrehung von Tatsachen!) (Joachim Stünker [SPD]: So war es!) Nun weiter. Kommen wir zu den Inhalten. Der Entwurf Herr van Essen hat in der Tat gesagt, es wäre bes- der F.D.P. schafft ebenso – – ser gewesen, wir hätten ausführlicher Zeit, darüber zu 12610 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Margot von Renesse (A) diskutieren. Das ist richtig. Aber das war zu einem Zeit- Präsident Wolfgang Thierse:Liebe Kolleginnen (C) punkt im Rahmen der Ablehnung der Debatte gestern. Sie und Kollegen! wollten die Debatte verschieben auf ich weiß nicht wel- (Fortgesetzte Zurufe der Bundesministerin chen Termin. Das war Ihre Vorstellung. Dr. Herta Däubler-Gmelin – Zuruf von der (Norbert Geis [CDU/CSU]: Eine Woche!) F.D.P.: Die hört immer noch nicht auf! Was ist denn da los?) Sie wollten an Ort und Stelle nicht diskutieren, obgleich wir es Ihnen angeboten hatten. Wir hatten es – ich wie- Herr Geis, Sie geben mir Gelegenheit, an dieser Stelle derhole es, Herr Scholz – im Berichterstattergespräch an- zwei Dinge zu sagen. Erstens will ich daran erinnern, dass geboten. Okay, wir waren offensichtlich auf verschiede- von der Regierungsbank keine Zwischenrufe gemacht nen Veranstaltungen. werden sollen. (Zuruf von der F.D.P.: Das kann man so (Beifall bei der F.D.P.) sagen!) Zweitens möchte ich Sie, Kollege Geis, bitten, in der Ich pflege dieses im Plenum zu sagen und nicht in Inter- Art Ihrer Zwischenrufe, bezogen auf eine Person, und in views draußen. der Qualifizierung von Verhalten etwas zurückhaltender (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zu sein. DIE GRÜNEN) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Können Sie mir Zur Sache: Auch die F.D.P. schafft ein familienrechtli- den Anlass nennen, Herr Präsident?) ches Institut, daran beißt keine Maus einen Faden ab. Nur – Sie haben vorhin das Verhalten einer Kollegin „ehrlos“ verschleiert sie dies etwas geschickter, als wir es tun, die genannt. mit offener Stirn das sagen, was wir tun, und das tun, was wir sagen. (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!) Im Ergebnis ist der Entwurf der F.D.P. auch in der Sa- Ich weise dies ausdrücklich zurück; das ist kein parla- che lückenhaft. Herr Braun, wie können Sie einem Ge- mentarischer Ausdruck. setzentwurf angesichts der Tatsache zustimmen, dass Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hier viele Tränen über die unglücklichen Fälle derbina- DIE GRÜNEN – Norbert Geis [CDU/CSU]: tionalen Partnerschaften vergossen haben, bei denen es Ich werde das klarstellen! Das ist nicht wahr!) aufenthaltsrechtliche Probleme gibt, wenn Ihr Gesetzent- wurf nicht ein einziges davon löst? – Wir beide haben es vorhin gehört. Ich wollte nachher da- rauf eingehen. Aber da Sie sich jetzt so erregen, tue ich es (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ jetzt. (D) DIE GRÜNEN – Hildebrecht Braun (Augs- burg) [F.D.P.]: Völlig falsch!) Ich bitte sehr darum, sich auch bei diesem Thema in der Art und Weise, in der wir uns auseinander setzen, zu mäßi- Das Aufenthaltsrecht ist Voraussetzung dafür, dass eine gen. Das gilt für beide Seiten, auch und gerade für die Re- Lebenspartnerschaft eingegangen wird. gierungsbank – das sage ich ausdrücklich –, von der übli- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sie haben ihn cherweise keine Zwischenrufe zu erfolgen haben. ja gar nicht gelesen, nicht einmal gelesen!) – Ich glaube, dass ich darauf nicht zu antworten brauche. Margot von Renesse(SPD): Jetzt zum Klima, in dem diese Debatte leider stattfinden muss: Zunächst gehe (Zuruf von der SPD: Nein, um Himmels wil- ich auf die Stimmungen und Meinungen hier im Parla- len nicht!) ment ein, soweit ich sie erkunden konnte. Es gibt hier eine Ich pflege zu lesen, worüber ich spreche. Mehrheit – sie besteht nicht nur aus der Koalition – dafür, dass die Beziehung zwischen zwei Männern bzw. zwei (Zurufe der Bundesministerin Dr. Herta Frauen endlich die Anerkennung und die rechtliche Stabi- Däubler-Gmelin) lisierung erfährt, die sie schon seit langem verdient. Im Übrigen hat unser Gesetzentwurf den Vorteil, dass (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ er in sich logisch ist, was der F.D.P.-Entwurf nicht ist. Er DIE GRÜNEN) besteht aus lauter Heuchelei, wenngleich mit dem Segen der evangelischen Kirche, in dem Sie sich plötzlich son- Es ist eine Frage der Menschenrechte und des Grundge- nen. setzes. Ich sage das in Richtung auf den Dom zu Köln: Mag sein, dass der Katechismus der katholischen (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Es geht nicht Kirche homosexuelle Beziehungen aus ontologischen an, dass ich von der Regierungsbank angemacht Gründen oder aus theologischen Gründen als prinzipiell werde, wenn ich Zwischenrufe mache! – La- ablehnungswürdig und – wie sagte der Kardinal? – „un- chen bei der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: sittlich“ ablehnt. Die Verfassung tut das nicht. Unglaublich! – Kerstin Müller [Köln] [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Ich weiß nicht, Herr Präsident, ob ich darauf reagieren muss. Könnten Sie vielleicht dafür sorgen, dass ichSie ist barmherziger als der Christ, der sich auf den Rabbi während meiner Redezeit in Ruhe sprechen darf? von Nazareth beruft und Menschen, die niemandem etwas Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12611

Margot von Renesse (A) zu Leide tun, und deren Eltern und Freunde erbarmungs- Ihre Rede heute Morgen hat deutlich gemacht, warum (C) los verurteilt. das so ist. Es ist unter anderem deshalb so, weil die Be- hauptung, die Sie aufgestellt haben, ich hätte den Antrag (Dr. Klaus Grehn [PDS]: Sehr richtig!) gestellt, nicht mehr zu debattieren, völlig falsch ist. Sie Gerade die Eltern von Homosexuellen brauchen – das ist wissen: Wir sind zu der Feststellung gekommen, dass es in der Anhörung mit großem Nachdruck gesagt worden – offensichtlich bei Ihnen keine Bereitschaft gab, auf ir- genauso wie Eheleute, heterosexuelle Paare und Paare, gendwelche Vorstellungen der Opposition einzugehen. die ohne Trauschein zusammenleben, endlich ein gesetz- (Joachim Stünker [SPD]: Stimmt doch gar liches Leitbild. nicht!) (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie „Leit- – Kollegin Schenk von der PDS nickt gerade. Das macht bild“ gesagt?) deutlich, dass das nicht nur die Auffassung meiner Frak- Seien Sie froh, dass dies in einer Zeit geschieht, in der sich tion, sondern offensichtlich auch die der anderen Oppositi- eine Mehrheit im Bundestag an Werten orientiert und sich onsfraktionen ist, die ebenfalls etwas bewirken wollen. von ihnen leiten lässt. Deshalb war es völlig klar, dass es überhaupt keinen Was in zehn Jahren sein wird, wenn irgendwann ein Sinn mehr machte, über jeden einzelnen Paragraphen ab- solches Gesetz kommen muss, und welche Möglichkeiten zustimmen; denn das hätte die Bereitschaft vorausgesetzt, dann auftreten, alldieweil der große Angriff sowohl auf sich darüber zu unterhalten. Diese war nicht vorhanden. die Ehe als auch die Lebenspartnerschaften als bezopfte In diesem Fall war es klar, die Linien abzustecken, näm- und bemooste Institute aus dem 19. Jahrhundert geführt lich über die Gesetzentwürfe, die zur Abstimmung stan- wird, wissen Sie nicht. Darüber, dass es in der Gesell- den, tatsächlich sofort abzustimmen. Das haben wir getan. schaft noch Blockaden gegen den Verfall dessen gibt, was Es war völlig klar, wie diese Abstimmung ausfallen wir als höchsten Wert zwischen den Menschen ansehen, würde: Sie hatten für Ihren Antrag die Mehrheit; wir, die nämlich Verantwortung, können Sie sich freuen. F.D.P.-Fraktion, haben für einen eigenständigen Weg gekämpft, nämlich nur das zu regeln, was vom Staat zu re- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ geln ist, und im Übrigen den Beteiligten ihre Freiheit zu DIE GRÜNEN) lassen, was eine typisch liberale Lösung ist. Auch die PDS Wenn Menschen, die als Hirten und als Vorsitzende von hat ihre Meinung zu den Gesetzentwürfen vorgetragen. Kirchen eigentlich die Botschaft des Rabbi von Nazareth Von daher ist überhaupt nichts zu beanstanden. Im zu verkünden hätten, meinen, sie müssten verurteilen, ob- Übrigen ist auch nichts bei der ausländerrechtlichen gleich in der Bergpredigt steht – das ist ein wichtiges Wort Regelung zu beanstanden. (B) für alle, die überhaupt irgendwo Autorität haben – „Rich- (D) tet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“, (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Genau so ist es!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Insbesondere der Kollege Braun, den Sie angesprochen PDS) haben, hat sich dafür eingesetzt, dass wir in unserem Ge- setzentwurf hierzu eine vernünftige Regelung finden. so sage ich Ihnen, der Sie mich angegriffen haben, Herr Eine solche haben wir gefunden. Geis: Es ist mir eine Ehre, aufseiten derer zu stehen, die darauf warten, dass ihnen endlich Gerechtigkeit wider- Alle, die sich ein bisschen in Geschichte auskennen, fährt. wissen, dass es gerade die F.D.P. war, die auch schon in der alten Koalition dafür gesorgt hat, dass eine Regelung (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem gefunden wurde, die binationalen Paaren in vielen Fäl- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der len geholfen hat. Dahinter gehen wir nicht zurück, PDS) sondern – ganz im Gegenteil – wir wollen eine Absiche- rung auch der binationalen Paare. Diese ist in unserem Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- Gesetzentwurf vorgesehen. gen van Essen zu einer Kurzintervention das Wort. Sie sehen, wir, die F.D.P., bemühen uns weiter um eine sachliche Debatte. Ihre Ausführungen, liebe Frau Kolle- gin von Renesse, haben dazu leider nicht beigetragen. Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich bin in der Rede der Kollegin von (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Renesse mehrfach namentlich erwähnt worden. Ich denke, dass der Redebeitrag der Kollegin von Renesse leider ge- nau das Klima gezeigt hat, in dem wir verhandeln mussten. Margot von Renesse(SPD): Herr Kollege van Wir hatten uns erhofft – ich stimme Ihnen in diesem Punkt Essen, wir hätten darüber gestern im Rechtsausschuss de- nachdrücklich zu, Frau Kollegin von Renesse –, dass das, battieren können. Wir hatten uns auf eine lange Debatte eingerichtet. Ich hätte es wirklich für gut befunden, wenn was in diesem Haus eigentlich vorhanden ist, nämlich die wir das getan hätten. Sie haben sich dem von vornherein Möglichkeit, mit einer Mehrheit über Fraktionsgrenzen verweigert. hinweg – SPD, Grüne, F.D.P. und PDS – zu einer Regelung zu kommen, die breit trägt, von der Koalition durch die Art (V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje des Verfahrens konterkariert worden ist. Vollmer) 12612 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Margot von Renesse (A) Ihr Ziel war es, die Abstimmung zu verhindern. Das Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie hatten nämlich die (C) war der einzige Grund, der Sie überhaupt noch dazu ver- allergrößten Probleme, diesem Gesetz in Ihren eigenen anlasste, von einer Möglichkeit, miteinander zu sprechen, Reihen zu einer Akzeptanz zu verhelfen. zu reden. Sie wollten keine Abstimmung und stattdessen (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE in der nächsten, der übernächsten Woche oder irgendwann GRÜNEN]: Sie wollen doch das Gesetz gar reden, aber nicht mit uns an Ort und Stelle darüber spre- nicht! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ chen. Das war Ihnen vorgestern im Rechtsausschuss aus DIE GRÜNEN]: Die Union hat erklärt, sie will irgendwelchen Gründen nicht wichtig. Ihnen kam es nur nichts machen!) darauf an, die Abstimmung zu verhindern, die wir in der Tat wollten. Wir hätten mit Ihnen bis tief in die Nacht ge- Schauen Sie sich doch nur einmal an, was IhrVerfas- redet, wenn Sie es gewollt hätten; selbstverständlich. sungsminister Ihrem Fraktionsvorsitzenden geschrieben hat. Das war ja heute zu lesen. Das spricht Bände. Sie kön- Vorher – ich habe es erklärt: Diese Erfahrung habe ich nen doch nicht behaupten, bei Ihnen hätte es darüber über- mit Ihnen gemacht – habe ich alles, was ich konnte, ver- haupt keine Diskussionen gegeben. Natürlich hat es bei sucht, um mit Ihnen, der F.D.P., ins Gespräch zu kommen. Ihnen weit reichende und tief greifende Diskussionen ge- Das war nicht möglich. Es bestand bei Ihnen offensicht- geben. lich kein Wunsch, zu einem Kompromiss zu kommen. (Monika Ganseforth [SPD]: Das ist auch Ich weiß gar nicht, ob Sie wirklich der Meinung sind, gut so!) dass ein familienrechtliches Institutkommen sollte. Vorgestern waren Sie darüber im Zweifel, obwohl inEs hat ständig zwischen Ihnen und den Grünen Verhand- Ihrem Entwurf eindeutig eines vorgesehen ist, allerdings lungen gegeben. Sie kamen doch gar nicht zusammen. ohne die entsprechenden Pflichten, die zu einem famili- Damit dieses Hin und Her in Ihren eigenen Reihen end- enrechtlichen Institut gehören. Solche ausländerrechtli- lich ein Ende hat, haben Sie im Ausschuss am Mittwoch chen Regelungen würden auch keinen Bestand haben. Sie dieses Gesetz mit der Brechstange durchgepeitscht und peitschen es heute durch den Bundestag. Das halte ich für können nicht von der Bevölkerung oder vom Staat erwar- unparlamentarisch, das halte ich für würdelos und für ehr- ten, dass er eine ausländerrechtliche Regelung zulasten los. Ich lasse mir das nicht nehmen: Das ist ein ehrloses Dritter trifft. Wenn keine Unterhaltsverpflichtung einVerhalten. Bleiberecht bzw. ein Eintrittsrecht in die Bundesrepublik Deutschland trägt, benachteiligen Sie heterosexuelle (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Paare, die nicht verheiratet sind. Diese müssen sich näm- neten der F.D.P.) lich mit Haut und Haaren verpflichten und eine EheDas hat dieses Parlament nicht verdient und das haben die schließen, die auch dann noch Folgen hat, wenn man sich (B) Wähler nicht verdient, die Sie hier hergeschickt haben. So (D) nicht mehr liebt. kann man mit einem so wichtigen Gesetz nicht umgehen. Das alles machen Sie nicht. Sie trauen offensichtlich Sie sind mit dieser Sache völlig unparlamentarisch um- der Verantwortungsbereitschaft von homosexuellen Paa- gegangen. Ihr Verhalten war unkollegial und – ich wie- ren nicht. Sie wollen vor allem nicht offen sagen, was Sie derhole es – ehrlos. vorhaben. Im Grunde genommen wollen Sie ein bisschen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schwanger sein, aber nicht mehr. Wir wehren uns dage- Horst Kubatschka [SPD]: Aufhören! Ehrab- gen, dass man auf diesem Gebiet heuchelt. schneider!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Sie müssen sich das schon anhören; ich bin ein frei ge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wählter Abgeordneter. – Ihr Verhalten war ehrlos. So ver- hält man sich unter frei gewählten Parlamentariern nicht. Vizepräsidentin Dr. :Das Wort hat (Beifall bei der CDU/CSU) jetzt der Abgeordnete Norbert Geis. Was haben wir denn beantragt? – Wir haben lediglich beantragt, dass die Abschlussberatung nicht heute statt- Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine findet; vielmehr sollte sie um eine Woche verschoben sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin seit 1987 im werden. Es ging nur um eine einzige Woche und um sonst Rechtsausschuss. Ich habe ein solches Durcheinander und nichts. eine solch konträre und geladene Stimmung noch nicht er- (Zuruf von der SPD: 16 Jahre haben Sie Zeit lebt. Dabei haben wir schon viel schwierigere Themen zu bekommen!) bewältigen gehabt. Was wollten wir in dieser Woche? (Widerspruch bei der SPD) (Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es bestand aufseiten der SPD überhaupt keineVer- Zur Sache!) handlungsbereitschaft. Das ist Fakt. Das haben wir fest- gestellt und das hat die F.D.P. genauso festgestellt. Wir wollten klären, ob die Aufteilung in einen zustim- mungspflichtigen und einen nicht zustimmungspflichti- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen Teil wirklich gelungen ist. Deswegen haben wir ein neten der F.D.P. – Kerstin Müller [Köln] Expertengespräch beantragt. Wir waren und sind der Mei- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können nung, dass unser Minderheitenrecht insoweit nicht ver- Sie doch gar nicht wissen, wenn Sie ausziehen!) wirkt war, weil es um einen neuen Sachverhalt ging. Die- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12613

Norbert Geis (A) ser Gedanke ist gar nicht weit hergeholt. Wir haben nicht 14 Paare von dieser Möglichkeit – sie besteht dort seit län- (C) den Versuch unternommen zu blockieren. gerem – Gebrauch machen. Es handelt sich doch um eine ernsthafte Frage, ob die- (Sabine Jünger [PDS]: Wovor haben Sie denn ser Torso am Ende nicht doch zustimmungspflichtig ist, Angst, wenn es so wenig sind?) und zwar aus zwei Gründen: Sie verwenden statt des Be- Man kann also nicht von einer großen gesellschaftlichen griffs „Standesbeamter“ den Begriff „Behörde“. Mit „Behörden“ sind immer nur Landesbehörden gemeint. Es Notwendigkeit reden, um einen solch tief greifenden gibt eine Auffassung, die besagt: Wenn Landesbehörden Wandel herbeizuführen. in einem Bundesgesetz genannt werden, sind die Länder Ich würde selbst das noch akzeptieren, wenn Ihre Be- gefragt. Deswegen ist ein solches Gesetz kein reines Bun- hauptung richtig wäre, dass wir es mit einer Diskriminie- desgesetz, sondern ein zustimmungspflichtiges Gesetz. rung zu tun hätten. Es wird immer gesellschaftliche Dis- (Margot von Renesse [SPD]: Aber das geht den kriminierung geben. Diese Art des Zusammenlebens wird Bundestag nichts an! Das ist doch keine Bun- von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. destagsfrage!) (Hanna Wolf [München] [SPD]: Was? Die Wir müssen doch wissen, was für ein Gesetz wir erlassen Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert diese Be- wollen. Darüber kann man sich ja noch unterhalten. ziehungen!) Meiner Meinung nach haben Sie einen zweiten gravie- Das werden auch Sie nicht verhindern können. Auch renden Fehler gemacht: Sie haben – lesen Sie es nach! – das beste Gesetz kann das nicht leisten. Wer diese Vor- bei der Regelung des Namensrechtes durch eine Verwei- stellung hat, der ist auf dem falschen Pfad. sung den Standesbeamten wieder ins Gesetz geholt. Da- Eine rechtliche Diskriminierung – darum geht es doch – durch haben Sie dieses Gesetz nach meiner Auffassung besteht ernsthaft nicht. Man kann sich Gedanken darüber zustimmungspflichtig gemacht. Wie Sie richtig gesagt ha- machen, ob man da oder dort Verbesserungen vornimmt. ben, werden sich der Bundesrat und am Schluss das Bun- Das ist möglich. desverfassungsgericht darüber zu unterhalten haben. (Hanna Wolf [München] [SPD]: Das haben Sie (Margot von Renesse [SPD]: Und nicht der bisher auch nicht gemacht!) Bundestag!) Aber eine wirkliche rechtliche Diskriminierung besteht Dieser Punkt wäre wirklich der Überlegung wert ge- nicht. Das schreiben Sie übrigens selbst in der Begrün- wesen. Man hätte ein paar Experten holen können und wir dung Ihres Gesetzentwurfs. Dort steht nämlich, dass sol- hätten diese Frage geklärt. che Partnerschaften den verfassungsrechtlichen Schutz (B) (Margot von Renesse [SPD]: Der Bundestag von Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht haben. Das (D) hat darüber nichts zu entscheiden gehabt!) steht wörtlich in der Begründung Ihrer Gesetzgebungs- vorlage. Daher können Sie doch nicht behaupten, unsere Das wollten Sie nicht. Sie haben an diesem Mittwoch Rechtsordnung würde solche Partnerschaften diskrimi- in einer für mich rücksichtslosen Weise Macht demons- nieren. Es fehlt nach meiner Auffassung ein hinreichen- triert. Das gehört sich nicht, wenn es um ein Gesetz geht, der Grund für ein solches, in das Bewusstsein unserer Be- das so weit reichende Folgen hat. völkerung tief hinein greifendes Gesetz. Dieser Grund (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fehlt aus gesellschaftlichen Gründen, weil die Zahlen dafür nicht gegeben sind, und er fehlt, weil keine rechtli- Dieses Verhalten weise ich zurück. Das gilt im Übrigen che Diskriminierung vorhanden ist. Man kann sich – ich nicht nur für mich; es war auch Auffassung der F.D.P. und habe es gesagt – Gedanken darüber machen, ob man in der PDS. Wir alle waren der Auffassung, dass Ihr Verhal- Einzelfällen Regelungen treffen kann, aber um Himmels ten im Ausschuss unkorrekt ist und es so nicht geht. willen nicht für den Besuch im Krankenhaus und auch nicht – wie das oft, manchmal melodramatisch, genannt Dieses Gesetz bringt einen tief greifenden Wandel in worden ist – für den Besuch im Gefängnis; dafür gibt es das Rechtsbewusstsein unserer Bevölkerung. Damit Regelungen. müssen wir rechnen. Aber es stellt sich doch die Frage, ob anhand dieses Gesetzes ein solch tief greifender Wandel Es gibt eine ernsthafte Diskussion über eine gesetzli- notwendig ist, weil sich beispielsweise die gesellschaftli- che Änderung im Zeugnisverweigerungsrecht und in der chen Verhältnisse geändert haben. Man muss sich einmal Mietrechtsnachfolge. Nur, wenn man das regeln will, die Zahlen vor Augen führen. Es ist doch nicht so, dass es dann darf man es natürlich nicht nur für gleichge- eine große Zahl von Homosexuellen gibt. Es ist inzwi- schlechtliche Paare regeln, sondern dann muss derBe- schen unbestritten, dass zwischen 2 und 2,8 Prozent der griff der Nähe eine Rolle spielen. Deswegen kann eine männlichen und 1,7 Prozent der weiblichen Bevölkerung solche Regelung, wenn man sie treffen will, nicht nur für homosexuell sind. gleichgeschlechtliche Paare gelten. Man muss eine gene- relle Regelung für Personen treffen, die in besonderer (Christina Schenk [PDS]: Viel mehr! – Sabine Nähe zueinander leben. Jünger [PDS]: In Bayern sind es vielleicht we- niger! – Zuruf von der SPD: Wieviel Prozent in (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU?) Das ist die einzige Möglichkeit. Alles andere, meine sehr Ich erinnere an die Aussagen von Professor Kötz in der verehrten Damen und Herren, würde zugleich ein Pro- Anhörung. Er hat gesagt, dass in Schweden jährlichblem bezüglich Art. 3 des Grundgesetzes aufwerfen. 12614 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Norbert Geis (A) Das sagt auch Schily in seinem Brief an Herrn Struck. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Herr Kollege (C) Ich meine, darüber muss man einmal reden. Schily – so Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin eine Meldung in der „Welt“ von heute, in der der Brief zi- Christina Schenk? tiert wird –, der Minister, der für die Wahrung der Verfas- sung dieses Landes zuständig ist, schreibt – offenbar auch (CDU/CSU): Ich will diesen Satz noch nach einer Vorlage seiner Verfassungsabteilung; davon Norbert Geis zu Ende bringen, dann ja. Einen Augenblick, bitte. gehe ich aus – einen Brief an den Vorsitzenden der SPD- Fraktion und nennt drei wichtige Punkte – auf die ich Es gibt also – um es noch einmal auszuführen – viele gleich noch eingehen werde – , weshalb er dieses Gesetz andere Verantwortungsgemeinschaften, die gleich behan- für verfassungsrechtlich in höchstem Maße bedenklich delt werden müssen – wenn man das regeln will – wie eine hält. Er sieht dieses Gesetz in Konflikt mit Art. 3, Art. 6 gleichgeschlechtliche Gemeinschaft. Sonst entsteht Dis- und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes. Das legt er in ei- kriminierung gegenüber diesen Verantwortungsgemein- nem Brief an Herrn Struck dar. schaften, und es besteht die Möglichkeit der Verletzung von Art. 3 des Grundgesetzes genau so, wie es der Ver- Aber was passiert mit dem Brief, der nicht ins Konzept fassungsminister Schily auch sieht und in seinem Brief an passt? – Der Brief wird einfach zurückgezogen, weil Herr Herrn Struck dargelegt hat. Struck – vielleicht auch die Frau Ministerin; ich weiß nicht, wer – Bitte. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt reden Sie schon über Briefe, die es Christina Schenk (PDS): Herr Kollege Geis, Sie kri- gar nicht gibt!) tisieren – aus meiner Sicht völlig zu Recht – die nun ein- tretende Ungleichbehandlung von homosexuellen Paaren angerufen und gesagt hat: Das passt uns nicht in den einerseits und heterosexuellen Paaren andererseits, die Kram; diese Diskussion über verfassungsrechtliche Be- unter vergleichbaren Bedingungen zusammenleben. Sie denken ist für uns jetzt kontraproduktiv, deswegen müs- bemerken auch, dass sich da eine Gerechtigkeitslücke sen Sie diesen Brief zurückziehen. Und der Brief wurde auftut, wenn es sich generell um Verantwortungsgemein- zurückgezogen, was ich sehr bedaure. schaften – egal welcher sexuellen Orientierung und Pro- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Aber was er venienz – handelt. Die Frage an Sie: Wären Sie bereit, ei- schreibt, das bleibt!) nen entsprechenden Gesetzentwurf mitzutragen, der alle Formen von Verantwortungsgemeinschaften rechtlich Wenn man sich schon zu einer solchen Entscheidung auf- gleichstellt? rafft und einen Brief schreibt, ihn dann aber zurückzieht und den Brief damit zu einem Non-paper macht, passt das (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle (B) nicht zur Arbeit eines Verfassungsministers. Das darf [F.D.P.] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) nicht sein, er hätte dabei bleiben müssen. NEN: Gute Idee!) Aber immerhin – das sei festgestellt – : Er hat ganz klar auf die wunden Punkte dieses Gesetzes hingewiesen. Ich Norbert Geis (CDU/CSU): Ich habe eingangs darge- sage es noch einmal: Ein solches Gesetz vor allen Dingen legt, dass ich kein Regelungsbedürfnis sehe. Dieses muss mit Blick auf andereVerantwortungsgemeinschaften man mir erst einmal nachweisen. Liebe Frau Schenk, – die es ja auch gibt – als die gleichgeschlechtlichenich bin der Auffassung, dass unsere Rechtsordnung aus- Gemeinschaften ist nicht in Ordnung. Diese anderen Ge- reichende Grundlage bietet, um all diesen Gemeinschaf- meinschaften werden in einem solchen Gesetz nicht mit ten gerecht zu werden. Nur, wenn man – da stimme ich geregelt; sie bekommen nicht die gleiche gesetzlichemit Ihnen überein – diese Sache besonders regeln will, Grundlage. Darin sieht Schily – wie ich und viele andere dann kann man sich nicht nur auf eine kleine Gruppe spe- auch – einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. zialisieren, sondern muss alle mit in den Blick nehmen. (Christine Schenk [PDS]: Richtig!) (Zustimmung bei der F.D.P. – Margot von Renesse [SPD]: Es ist nicht eine Gruppe, es ist Man muss Gleiches gleich behandeln. Wenn man es schon ein Paar! Es gibt einen Unterschied zwischen behandeln will – ich bin nicht der Meinung, dass es not- Gruppe und Paar!) wendig ist –, dann muss man das Gleiche auch für viele andere Verantwortungsgemeinschaften vorsehen, in de- Das Hauptargument ist die Verletzung des Art. 6 des nen viel mehr Menschen leben als innerhalb von gleich- Grundgesetzes, was auch Schily in seinem Brief an geschlechtlichen Partnerschaften; denn 94 Prozent der Struck ausführt. Das ist das Hauptargument. Warum? Wir gleichgeschlechtlichen Partnerschaften – auch das sei er- haben in der Verfassung geregelt: Ehe und Familie erhal- wähnt – bestehen nach der Meldung einer Zeitschriftten einen besonderen Schutz, haben eine exklusive Stel- dieser Bewegung nur ein halbes Jahr. Dann gehen dielung in unserer Verfassung und damit eine besondere Stel- Partner wieder auseinander. Wer die Unterlagen der En- lung in unserer gesamten Rechtsordnung. Das kommt in quete-Kommission „Aids“ liest, die im Deutschen Bun- vielen Einzelregelungen auch so zum Ausdruck. destag 1987 bis 1990 existierte, weiß, dass die Zahl der Warum ist das so? Es mag viele Gründe geben, die vor Partnerwechsel bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaf- allen Dingen auch in unserer Kultur liegen. Es war aber ten sehr hoch ist. vor allem ein Grund, der aus der Nachkriegserfahrung der (Zuruf von der SPD: Was Sie alles wissen! Väter und Mütter unserer Verfassung resultierte: Als näm- Das ist ja unglaublich!) lich 1945 unser Land vollständig am Boden und in Trüm- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12615

Norbert Geis (A) mern lag, als der Staat nicht mehr funktionierte, als die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- (C) Einzelnen sich selbst überlassen waren, gab es ein Wun- nen und Kollegen, wir müssen uns schon anhören, was die der: Die Familien haben zusammengehalten. Sie haben Redner sagen. dieses Land mit einer Vitalität ohnegleichen wieder auf- gebaut. Der schnelle Wiederaufbau, das Wirtschaftswun- der wäre ohne die Vitalität der Familien nicht möglich ge- Martin Hohmann (CDU/CSU): Können Sie bestäti- wesen. gen, dass die rot-grüne Gesetzesinitiative daher im Grundsatz mit der jüdischen, der christlichen und auch der (Beifall und Bravo-Rufe bei der CDU/CSU) muslimischen Religion im Widerspruch steht? Deswegen hat der Verfassungsgeber den Schutz der Fa- (Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der milie in einer solchen Weise in Art. 6 des Grundgesetzes SPD: Da haben sich zwei gefunden!) herausgestellt. Das wollen wir beibehalten.

Wenn aber nun ein anderes Institut gleichgewichtig da- Norbert Geis (CDU/CSU): Das kann ich nur bestäti- nebensteht – wie es in diesem Gesetzentwurf unzweifel- gen. Genau so ist es: Der Entwurf steht nicht nur zu unse- haft der Fall ist –, dann besteht die Gefahr, dass eben diese rer Verfassung, sondern auch zu den Prinzipien der drei Einzigartigkeit verloren geht und dieser einzigartigegroßen Religionen im Widerspruch. Schutz nicht mehr vorhanden ist. (Anhaltende Zurufe von der SPD) (Zuruf von der SPD: Es wird doch niemandem etwas weggenommen!) Ich möchte eines noch hinzufügen: Ich bin nicht der Auffassung – ich habe das schon in meiner ersten Rede Ich kann die ganze Thematik nicht noch einmal wieder- gesagt –, dass der Gesetzentwurf der F.D.P. gegen die Ver- holen. Nehmen Sie es mir so ab, das ist meine Auffassung. fassung verstößt. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Wenn ein anderes Institut gleichberechtigt danebenge- Ich will um der Wahrheit willen sagen: Es gab bei uns eine stellt wird, ist diese Einzigartigkeit verloren. Das wollen wir nicht und das werden wir als CDU/CSU-Fraktion nie Diskussion, ob man nicht mithilfe eines solchen Gesetz- zulassen. entwurfes die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzent- wurfes verhindern könnte. Aber diese Möglichkeit be- (Beifall bei der CDU/CSU) stand nicht; es musste dieser Gesetzentwurf sein. Im Übrigen sind wir da nicht allein. Ich wiederhole es (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- noch einmal und zitiere aus dem Brief von Minister NEN]: Das sieht Herr Hohmann wohl ganz Schily. Er schreibt an Herrn Struck: anders!) (B) (D) Das Gesetzesvorhaben ... stellt die gleichgeschlecht- Noch ein Wort zu Art. 14 des Grundgesetzes,der liche Lebenspartnerschaft weithin der Ehe gleich. ebenfalls berührt ist: Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes Das halte ich so mit Artikel 6 Abs. 1 GG nicht für schützt Eigentum und Erbrecht. Das Erbrecht ist – man vereinbar. Dieser stellt die Ehe ausdrücklich unter kann das in den Kommentaren zum Grundgesetz nachle- den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. An- sen – ganz klar auf die Familie bezogen, und zwar auf dere Lebensgemeinschaften dürfen daher ... nicht im Ehe und Familie mit Blick auf Kinder. Man wollte si- Ergebnis den gleichen Schutz wie eheliche Lebens- cherstellen, dass das Eigentum der Eltern auf die Kinder gemeinschaften erhalten. übergehen kann. Das scheint mir bei dem vorliegenden Wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie es nach. Es stehtGesetzentwurf nicht beachtet worden zu sein. Dieser heute in der Zeitung. Ich gehe davon aus, dass es seine Punkt ist von Bundesinnenminister Schily auch erwähnt Richtigkeit hat. worden. Insgesamt meine ich: Der Gesetzentwurf ist nicht nur Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie genehmigen nach unserer Auffassung, sondern auch nach der Auffas- eine Zwischenfrage? sung des für die Verfassung zuständigen Bundesministers Schily verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Deshalb Norbert Geis (CDU/CSU): Ja. muss man für den Fall der Verabschiedung natürlich ernst- haft den Gang nach Karlsruhe prüfen. Ich halte diesen Ge- Martin Hohmann (CDU/CSU): Herr Kollege Geis, setzentwurf für einen Verstoß gegen unsere Kultur und für Sie haben eben die Gefährdung der Familien durch den den schlimmsten Angriff auf Familie und Gesellschaft. Gesetzesantrag der rot-grünen Regierungskoalition he- Ich halte dieses geplante Gesetz für verfassungswidrig, rausgestellt. Teilen Sie mit mir ein anderes Bedenken, das und deshalb muss es abgelehnt werden. aus religiöser Anschauung kommt: Können Sie bestäti- (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei gen, dass in den Offenbarungsschriften aller drei großen der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN monotheistischen Religionen ein klares Unwerturteil über und der PDS – Zurufe von der SPD: So sieht also Homosexualität als solche ausgesprochen wird? die Leitkultur aus! – Da wird wieder gezündelt, (Unruhe bei der SPD und der PDS – Zurufe von es ist doch unglaublich! – Volker Beck [Köln] der SPD: Das ist ja unerhört! – Sie sollten sich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Homosexua- schämen! – Das ist ja kaum zu ertragen!) lität widerspricht der CDU-Leitkultur!) 12616 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Sie nimmt doch niemandem etwas weg. Deshalb stellt sie (C) jetzt die Fraktionsvorsitzende vom Bündnis 90/Die Grü- die Ehe auch nicht infrage. nen, Kerstin Müller. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, gen! Gestern sind mehr als 200 000 Menschen für Tole- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolf? ranz und gegen Diskriminierung von Minderheiten auf die Straße gegangen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN): Ja, bitte schön. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS) Aribert Wolf (CDU/CSU): Frau Kollegin Müller, Sie Heute, Herr Geis und meine Damen und Herren von der haben von Gerechtigkeit in der Krankenversicherung ge- CDU/CSU, haben Sie die Gelegenheit, einer Minderheit, sprochen. Finden Sie es gerecht, wenn Sie zum Bundes- die von diesem Staat viele Jahre missachtet wurde, end- kanzler marschieren und die finanzielle Schlechterstellung lich zu ihrem Recht zu verhelfen und ihre Diskriminie- von homosexuellen Paaren in der Krankenversicherung be- rung abzubauen. klagen, woraufhin die beitragsfreie Mitversicherung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Partnern, die eine eingetragene Lebensgemeinschaft einge- und bei der SPD) gangen sind, ins Gesetz geschrieben wird, und wenn zu- gleich der Parteirat der Grünen beschließt, dass die Mög- Man muss sich das einmal vorstellen: In den ersten lichkeit der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepaare Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik Deutsch- zumindest eingeschränkt, wenn nicht sogar abgeschafft land war Homosexualitätnoch strafbar und bis vor werden soll? Ist das in Ihren Augen gerecht, wenn also 15 Jahren galt die gleichgeschlechtliche Lebenspartner- schwule oder lesbische Partner beitragsfrei mitversichert schaft vor deutschen Gerichten noch als sittenwidrig.werden, während die beitragsfreie Mitversicherung für Auch heute noch werden die Partnergleichge- in Ehepartner Ihrer Meinung nach abgeschafft werden soll? schlechtlichen Lebensgemeinschaften vom Gesetz wie (Zustimmung bei der CDU/CSU) Fremde behandelt, selbst wenn sie seit Jahrzehnten zu- sammenleben, selbst wenn sie alles miteinander teilen und selbst wenn einer für den anderen sorgt. Sie haben im Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) Krankenhaus noch kein Auskunftsrecht über die Situation NEN): Natürlich ist unser Gesetz gerecht. Die Reformen, (D) des Partners, der ausländische Partner bekommt noch kein die wir im Gesundheitswesen brauchen, sind das eine. Aufenthaltsrecht, und sie haben auch keine Rechte, wenn (Lachen bei der CDU/CSU) der Partner stirbt. – Entschuldigung, Sie haben doch die Reformen, die wir Ich möchte, dass Sie sich einmal in diese Situation hi- im Gesundheitswesen durchführen wollten, verhindert. neinversetzen. Tut man das, muss man feststellen, dass die Aber das ist heute nicht das Thema. Wir sind jetzt bei der gegenwärtige Situation eine massive Diskriminierung, eingetragenen Partnerschaft. eine Missachtung der Persönlichkeitsrechte – wie es auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat – und ins- Wir wollen, dass für homosexuelle Lebenspartner- gesamt ein unhaltbarer Missstand ist. Damit machen wir schaften das gleiche Recht wie für heterosexuelle Lebens- heute ein für alle Mal Schluss: Die langen Jahre der Dis- partnerschaften gilt. Das wird auch nicht viel mehr kos- kriminierung sind zu Ende, Lesben und Schwule bekom- ten. Es ist eine Frage der Demokratie unseres Landes, ob men heute ihr Recht. Deshalb sollten wir hier eine wür- wir dafür sorgen, dass homosexuelle und heterosexuelle dige Debatte führen. Partnerschaften in allen Rechtsbereichen gleichgestellt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Mit der amtlichen Eintragung übernehmen Lebens- partner umfassende Pflichten. Sie sind einander gesetz- Es geht auch nicht um eine Privilegierung homosexu- lich zum Unterhalt verpflichtet. Sie entlasten damit eller Beziehungen, wie es heute wieder von Teilen der ka- öffentliche Kassen, etwa bei der Sozialhilfe, der Arbeits- tholischen Kirche zu hören war. Gott sei Dank ist das losenhilfe und beim Wohngeld. Sie erhalten im Gegen- nicht mehr die Mehrheitsmeinung; es gibt dort auch an- zug natürlich auch Rechte, beim Steuerrecht, im Erbrecht dere Meinungen. Im Gegenteil: Es geht um den Abbau und bei der Krankenversicherung. Das ist ein Gebot der von Diskriminierungen. Es geht darum, dass Menschen, Gerechtigkeit, meine Damen und Herren von der die füreinander einstehen wollen, durch die Möglichkeit, CDU/CSU. Sie behaupten immer – das haben Sie auch eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, unterstützt heute wieder getan –, die eingetragene Partnerschaftwerden. würde Ehe und Familie schädigen und die gesellschaftli- Außerdem – noch ein weiteres Argument, warum ich che Werteordnung zerrütten. Aber, bitte schön, was nimmt die These absurd finde, dass die Werteordnung durch die die eingetragene Partnerschaft der Ehe eigentlich weg? eingetragene Lebenspartnerschaft infrage gestellt wird –: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12617

Kerstin Müller (Köln) (A) Schauen Sie sich doch einmal unsere Nachbarstaaten an. dern auch vor dem Gesetz. Ich hoffe, dass unser Gesetz (C) Dänemark, Norwegen, Schweden, Island und die Nieder- hier eine breite Zustimmung finden wird. lande haben bereits seit Jahren die eingetragene Partner- Danke schön. schaft eingeführt. Auch in Frankreich werden homosexu- elle Lebenspartnerschaften rechtlich anerkannt. In keinem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieser Länder haben Ehe und Familie irgendeinen Schaden und bei der SPD) genommen. In keinem dieser Länder wurden die öffentli- chen Kassen belastet. Vor allem – das ist ja Ihre größte Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer : Das Wort hat der Sorge –: Nirgendwo ist das christliche Abendland unterge- Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Dr. Wolfgang Gerhardt. gangen. Deshalb habe ich überhaupt kein Verständnis für dieses Argument. Dr. Wolfgang Gerhardt(F.D.P.): Frau Präsidentin! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine Damen und Herren! Es hat lange gedauert – das wis- und bei der SPD) sen wir alle –, bis unsere aufgeklärte Gesellschaft die Kraft Stattdessen hat die eingetragene Partnerschaft in die- gehabt hat, mit Menschen klarzukommen, die eine andere sen Ländern den Gedanken der sozialen Verantwortung Veranlagung haben. Alle Debatten zeigen – ich erinnere an und die Toleranz gegenüber Minderheiten gestärkt. Genau die Debatten im Rechtsausschuss und an die Schärfe der das brauchen wir auch in der Bundesrepublik, und zwar Debatte vorhin –, dass wir anscheinend immer noch nicht gerade jetzt. Gerade jetzt – angesichts der schrecklichen in ausreichendem Maße die notwendige Kraft haben. Die Gewalttaten gegen Minderheiten in den letzten Wochen entscheidende Herausforderung ist, dass die Gesellschaft und Monaten in unserem Land – müssen wir signalisieren, die Kraft aufbringt, Rahmenbedingungen dafür zu schaf- dass wir die Diskriminierung von Minderheiten nichtfen, dass jeder Mensch gemäß unserer freiheitlichen Ver- mehr hinnehmen. fassung seinen individuellen Lebensentwurf verwirkli- chen kann, und dass wir gegenüber den Menschen mit einer Wir meinen, Verantwortung zählt! Wir wollen soziale anderen Veranlagung Respekt entwickeln. Es geht darum, Bindungen da, wo sie vorhanden sind, stärken. Deshalb ein Instrumentarium zu entwickeln, damit auch diese ande- macht die Koalition Politik für die Familie, mit einer Steu- ren Lebensentwürfe verwirklicht werden können und einen erreform, durch die Familien mit Kindern entlastet wer- Verantwortungsrahmen vorfinden, den sie brauchen. den, mit Erhöhung des Kinder- und des Erziehungsgeldes und mit der Reform des Erziehungsurlaubes. Wir kennen noch alle die Diskussionen, die in Deutsch- land nötig waren, bis das Sexualstrafrecht geschlechts- Familie – darüber besteht vielleicht der Dissens – er- neutral formuliert war. Wir kennen die Diskussionen um scheint heute in vielerlei Gestalt. Auch in schwulen und die Aufhebung des § 175 des Strafgesetzbuches. Selbst (B) lesbischen Lebensgemeinschaften wird füreinander ein- bei der Verabschiedung des Gesetzes, mit dem Urteile aus (D) gestanden und werden Werte gelebt, die für diese Gesell- der NS-Zeit aufgehoben wurden, soweit sie homosexuelle schaft wichtig sind. Wir tragen mit der eingetragenenMenschen betrafen, haben wir zu lange Zeit gebraucht. Lebenspartnerschaft dieser Realität Rechnung. Wir stär- Dann wurden noch offene Fragen bezüglich Wohngesetz- ken den Familiengedanken und schwächen ihn nicht. buch und Mietrechtsnachfolge geregelt. Der Abbau von Liebe Kollegen von der F.D.P., deshalb halten wir auch Diskriminierung in der Bundeswehr wurde erst behandelt, nichts von Ihrer Miniregelung. Dort wird meines Erach- nachdem ein entsprechender Antrag vorgelegt wurde. tens Verantwortung klein geschrieben. Ihr Vorschlag ist Dies zeigt, welche Schwierigkeiten noch bewältigt wer- zwar gut gemeint, aber er ist meines Erachtens keinesfalls den mussten. gut gemacht. Er ist nur eine Schmalspurlösung. Es ist das Heute geht es aber um etwas anderes. falsche Signal, wenn man sagt, Homosexuelle seien nicht fähig, sich genauso eng zu binden wie Mann und Frau. Ein (Zuruf von der SPD: Ja, das meine ich auch!) solches Signal baut keine Diskriminierung ab. Im Gegen- Ich muss der SPD und den Grünen folgenden Punkt ent- teil: Es schreibt die Diskriminierung fort. Das wollen wir gegenhalten: Ich bin der Überzeugung, dass ich für einige gerade nicht. Ihrer Kollegen spreche, die so denken wie die Freie De- Die heutige Entscheidung des Bundestages ist ein his- mokratische Partei. Es geht nämlich um die Frage einer torisches Datum für Schwule und Lesben in Deutschland, fairen und angemessenenWürdigung von gleichge- nicht nur für sie allein – Frau von Renesse hat schon da- schlechtlichen Partnerschaften. Ich sage Ihnen gleich rauf hingewiesen –, sondern auch für ihre Eltern, Ge-zu Beginn: Eine Kopie der Ehe, die die kulturell dichteste schwister und Freunde. Es ist ein historisches Datum für Verantwortungsgemeinschaft ist und deshalb zu Recht alle, die mehr Gerechtigkeit in diesem Land wollen. unter dem besonderen Schutz des Staates steht, kann nicht die Lösung sein. Ich möchte zum Schluss jemanden zitieren, der mit Si- cherheit in Ihr Bild von der deutschen Leitkultur passt, (Zuruf von der SPD: Das machen wir doch nämlich Johann Wolfgang von Goethe. Er hat gesagt: To- nicht!) leranz darf nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie Darin liegt der Unterschied zwischen unseren Ge- muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt letztlich be- setzentwürfen. leidigen. – Darum geht es heute. Toleranz ist im 21. Jahr- hundert zu wenig. Wir schaffen mit der eingetragenen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Partnerschaft die Anerkennung schwuler und lesbischer Die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften sind Ver- Lebensgemeinschaften nicht nur in der Gesellschaft, son- antwortungsgemeinschaften mit eigener Souveränität und 12618 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Würde, die wir respektieren müssen. Sie sollten dafür sor- setzentwurf dem Lebensgefühl dieser Menschen ent-(C) gen, dass in Ihren Verbänden diese Gemeinschaften nicht spricht. Sie alle kennen die Studie der Universität Bam- als eine Kopie der Ehe, sondern als eine eigene Form des berg, die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gege- Zusammenlebens angesehen werden. In diesem Sinne ben worden ist. Zwei Drittel der in diesem Umfeld muss jetzt entschieden werden. Befragten gaben an, sie befürworteten eine gesetzliche Form, bei der das Paar die Bereiche selbst wählt, für die es (Margot von Renesse [SPD]: Sie rennen offene eine rechtliche Absicherung wünscht. Ein Minimum sol- Türen ein!) cher Bereiche ist in unserem Gesetzentwurf vorgesehen, Unser Gesetzentwurf sieht dies in überzeugender Form und zwar die Lebensbereiche, in denen es unumgänglich vor, der Gesetzentwurf von Rot-Grün aber nicht. ist, für solche Partnerschaften gesetzgeberisch tätig zu (Beifall bei der F.D.P.) werden. Sie haben weniger Vertrauen in diese Partner- schaften als wir. Wir möchten diesen durch gemeinsame Sie bieten diesen Lebensgemeinschaften – aus welchen Entscheidung selbst überlassen, für welche Bereiche sie Beweggründen auch immer – im Grunde eine Kopie der eine weitere Absicherung wünschen, was sie dann beim Ehe inklusive Formen, die einer standesamtlichen Zere- Notar und bei der Verwaltung hinterlegen können. monie ähneln, an. Sie sind gezwungen, in der Gesetzge- bung 112 Folgerungen, die sich bis hin zu den Schornstein- (Beifall bei der F.D.P.) fegern, Diätassistenten und Kleingärtnern erstrecken, Worauf ich hinaus will, ist, dass Sie eine gesellschaft- anzuschließen. Das ist nicht die gesellschaftliche Frage, liche Frage in einer Art und Weise angehen, die dieAk- deren qualitative Beantwortung hier ansteht. zeptanz eher verkleinert, den Betroffenen am Ende weni- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten ger hilft, die verfassungsrechtliche Stellung von Ehe und der CDU/CSU) Familie nicht ausreichend beachtet und damit in Bezug auf eine solche Regelung eher Gegnerschaft als Zustim- Deshalb bin ich der Überzeugung, dass es besser gewe- mung provoziert. Wenn für einen gesellschaftlichen Be- sen wäre, Sie hätten bei Ihrer Gesetzgebung innegehalten reich, bei dem eine solche Tabuschwelle überwunden und noch einmal geprüft, ob es für diesen Personenkreis werden muss, eine Lösung gefunden werden soll, dann aus politischen, gesellschaftlichen und parteiübergreifen- kann diese den Betroffenen nur dann nutzen, wenn ihnen den Überlegungen nicht sinnvoller gewesen wäre, über die nicht nur ein geschriebenes Gesetz an die Hand gegeben Grenzen der Koalition hinauszugehen und mit der Bun- wird, sondern wenn über dieses Gesetz und über die ei- destagsfraktion der F.D.P. über gesetzgeberische Regelun- gene Partei hinaus eine breite gesellschaftliche Akzeptanz gen zu sprechen, die notwendig sind, damit eingetragene erreicht wird. Denn im täglichen Leben werden solche Partnerschaften nicht nur toleriert und geduldet, sondern Partnerschaften nicht nur auf das geschriebene Gesetz auch wirklich akzeptiert werden und damit ihnen ein fester vertrauen können. Sie müssen sich vielmehr darauf ver- (B) Rahmen gegeben wird. lassen können, dass das gesellschaftliche Klima und die (D) Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ihr Gesetzentwurf vor gesellschaftliche Atmosphäre für Respekt gegenüber ihrer Gericht noch scheitern wird. Verantwortungsgemeinschaft sorgen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Da sind Sie schmalspurig und kleinkariert geworden. der CDU/CSU) Sie haben nicht mehr die Courage, innezuhalten und einen Weg zu gehen, der eine breitere politische und gesell- Falls das geschehen würde, hätten Sie niemandem ein ge- schaftliche Grundlage schaffen würde. Das ist Ihr poli- sellschaftliches Instrumentarium an die Hand gegeben. tisch-strategischer Fehler an diesem Vormittag. Sie hätten das Gegenteil von dem erreicht, was gut ist. Ich (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten bin kein Jurist. Daher beziehe ich mich darauf, dass Ver- der CDU/CSU) fassungsminister Schily in diesem Zusammenhang nach dem Motto „Wer schreibt, der bleibt“ an Herrn Struck Sie beeinträchtigen den verfassungsrechtlichen Sta- wahrscheinlich zu Recht einen Brief geschrieben hat. tus von Ehe und Familie. Das wissen mehr unter Ihnen als nur der Bundesinnenminister. Damit erwecken Sie den (Klaus Haupt [F.D.P.]: Das wird seinen Grund Eindruck, als ob die neue Regelung auf Kosten der dich- haben!) ten Verantwortungsgemeinschaft „Ehe“ ginge, was meine Diesen Brief können Sie für zurückgezogen erklären. Sie Fraktion nicht akzeptieren würde. Wir sind der Überzeu- können auch sagen: Den hat es nicht gegeben und durch gung, dass es in diesem Land neben der kulturell dichten Willensakt des Verfassungsministers gelten die dort for- Verantwortungsgemeinschaft „Ehe“ ohne Frage neue For- mulierten Bedenken nicht mehr. men der Partnerschaft gibt. Aber wir sind der Auffassung, dass sie ihre eigene Würde haben, dass sie sich nicht an Aber die dort angeführten Argumente sind bestechend der Ehe messen lassen müssen, dass sie ihre eigene per- stichhaltig. Sie sollten sich die Frage stellen, ob Sie den sönliche Verantwortung herausbilden, dass das Menschen Betroffenen, wenn Sie Ihr Vorhaben heute so wie geplant sind, die wir respektieren, tolerieren, dulden sowie neben durchziehen, nicht Steine statt Brot geben und ob ihnen und unter uns akzeptieren und denen wir helfen müssen. das vorgesehene Gesetz in wenigen Jahren überhaupt Aber wir sollten uns nicht gemeinschaftlich dazu verstei- noch hilft. gen, ihnen ein Rechtsinstitut anzubieten, das verfassungs- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten rechtlich gefährdet ist, der CDU/CSU) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vorhin wurde kritisiert, dass unser Gesetzentwurf nicht NEN]: Aber Ihres ist von vorn bis hinten ver- ausreicht. Ich bin der Überzeugung, dass gerade unser Ge- fassungswidrig!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12619

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) das ihnen in Zukunft, wenn es vor Gericht zum Konflikt ben und Schwulen die gleichen Rechte und Pflichten wie (C) kommt, wenig nutzt. Wir sollten ihnen vielmehr einEheleuten bringt und die Diskriminierung beseitigt. Ei- Rechtsinstitut an die Hand geben, das der Würde und der nem solchen Rechtsinstitut hätten wir unsere Zustim- Souveränität dieser anderen Lebensbeziehungen gerecht mung aus Gerechtigkeitsgründen nicht versagen können. wird. Das ist das Ziel unseres Gesetzentwurfes. Sie ko- Die Forderung nach gleichen Rechten für Menschen, un- pieren ein anderes Rechtsinstitut. Damit geraten Sie in abhängig von ihrer sexuellen Orientierung, schließt die Gefahr, dass Sie den Menschen nicht helfen. nach der vollständigen Öffnung der Ehe für homosexu- elle Paare mit ein. Es gibt keinen einzigen Grund, Lesben Wir streiten hier nicht darüber, ob die Fraktion derund Schwulen die Rechte vorzuenthalten, die heterosexu- Freien Demokratischen Partei weniger oder mehr Tole- elle Menschen haben. ranz gegenüber Ungewohntem als die Fraktionen der So- zialdemokratischen Partei und der Grünen aufbringt. Wir (Beifall bei der PDS) streiten vielmehr darüber, ob wir einen angemessenen Herausgekommen ist jedoch ein Gesetz, das Homosexu- Weg beschreiten. Deshalb verwahre ich mich dagegen, elle zu Paaren zweiter Klasse stempelt. Lesbischen und dass Sie in Ihren Diskussionsbeiträgen den Eindruck er- schwulen Paaren werden gegenüber Ehenleuten lediglich wecken, als hätten Sie allein das Deutungsmonopol für reduzierte Rechte zugestanden. Es fehlen wichtige Kind- Toleranz, Gerechtigkeit und ein gesetzliches Angebot für schaftsrechte wie das Recht zur Adoption und zur gemein- solche Menschen. samen Sorge. Der Zugang zur Insemination bleibt Lesben (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) verwehrt. Die Hinterbliebenenrente ist genauso ausgeklam- mert wie etliche Regelungen im Beamtenrecht. Damit der Wir befinden uns als Fraktion der F.D.P. hier nicht in ei- Abstand zur Ehe groß genug bleibt, gibt es statt des Ehegat- ner Lehrstunde, in der Sie uns das zu erzählen hätten. Wir tensplittings eine eigens für lesbische und schwule Paare nehmen für uns in Anspruch, einen besseren, klügeren, kreierte steuerliche Absetzbarkeit von Unterhaltsleistungen. gesellschaftlich akzeptableren und moderneren Gesetz- entwurf präsentiert zu haben. Dem werden wir zustim- Die Diskriminierung versteckt sich auch noch in einer men. Ihren werden wir ablehnen. Reihe von Detailregelungen. Ich möchte hier nur eine herausgreifen: Ich halte es schon für erklärungsbedürftig, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten warum beim nachpartnerschaftlichen Unterhalt der der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ Ex-Lebenspartner dem Ex-Ehegatten nachgestellt wird, DIE GRÜNEN) ihm gegenüber also nachrangig behandelt wird. SPD und Bündnis 90/Die Grünen erklären den Abstand zur Ehe mit der Wesensverschiedenheit von homosexuel- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat die Ab- len gegenüber heterosexuellen Partnerschaften. Diese (B) geordnete Christina Schenk das Wort. Wesensverschiedenheit bestünde angeblich darin, dass(D) homosexuelle Paare biologisch keine gemeinsamen Kin- Christina Schenk (PDS): Frau Präsidentin! Meine der haben können. Ich frage Sie, meine Damen und Her- Damen und Herren! Die Mehrheit der Fraktion der PDS ren: Was tut das zur Sache? wird dem Gesetzentwurf von Rot-Grün zur eingetragenen Damit wird negiert, dass es bereits heute mehr als Lebenspartnerschaft nicht zustimmen. Eine Reihe von 1 Million homosexuelle Eltern gibt. Es wird negiert, dass Abgeordneten wird ihn ablehnen, darunter meine Kolle- sich immer mehr Lesben ihren gemeinsamen Kinder- gin Sabine Jünger und ich, die wir die beiden einzigen of- wunsch auf verschiedene Weise erfüllen, und es wird ig- fen lesbisch lebenden Abgeordneten des Deutschen Bun- noriert, dass immer mehr Ehen gewollt kinderlos bleiben. destages sind. Es wird auch die Tatsache ignoriert, dass immer mehr Der Grund für die mehrheitliche Enthaltung meiner Kinder außerhalb von Ehen geboren werden und biolo- Fraktion besteht darin, dass zum einen immerhin die Tat- gische und soziale Elternschaft auch bei Heterosexuellen sache der rechtlichen Diskriminierung von Lesben und immer öfter auseinander fällt. Schwulen endlich in die öffentliche Debatte gekommen (Beifall bei der PDS) ist und dass zum anderen durch diese Debatte und even- tuell auch durch diesen Gesetzentwurf eine Bewegung in Als Ergebnis präsentieren SPD und Grüne ein Sonder- der Sache zu erwarten ist. gesetz für Homosexuelle, das ihre Diskriminierung eher festschreibt als beseitigt, und dies umso mehr, wenn nach Man kann der PDS – das wissen Sie alle hier imder zu erwartenden Ablehnung der zustimmungspflichti- Hause – nicht Konservativismus oder gar Homophobie gen Teile im Bundesrat ein Torso mit einem extremen unterstellen. Meine Fraktion ist dafür bekannt, dass sie Missverhältnis zwischen Rechten und Pflichten übrig seit Jahren eine aktive Politik zur Beseitigung jeglicher bleiben wird. Vor einem solchen Rechtsinstitut kann ich Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexu- Lesben und Schwule nur warnen. ellen Orientierung betreibt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der PDS) NEN]: Dann machen Sie lieber gar nichts! Al- les soll so bleiben, wie es ist!) Wir können dem Gesetzentwurf jedoch nicht zustim- men, weil ein schlechtes Verfahren zu einem nicht zu ak- Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist auch kein zeptierenden Ergebnis geführt hat. Die Grünen haben der erster Schritt in die richtige Richtung, wie SPD und Grüne lesbisch-schwulen Klientel ein Rechtsinstitut verspro- behaupten, sondern einer in die Sackgasse. Denn die üb- chen – Frau Müller hat das heute wiederholt –, das Les- liche Auslegung von Art. 6 GG und die Interpretation der 12620 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Christina Schenk (A) Ehe als exklusiver Ort für Heterosexuelle verhindert auch halt einen Hilfsfonds ein, um diejenigen zu unterstützen, (C) künftig eine vollständige Gleichstellung der eingetra-die mit ihren privaten Ressourcen die Aufgaben der Poli- genen Partnerschaft mit der Ehe. tik erledigen müssen! (Margot von Renesse [SPD]: Abschaffung der (Beifall bei der PDS) Ehe!) Im Übrigen wird unter Lesben und Schwulen schon Wenn man also weiß, dass die Öffnung der Ehe für Ho- lange eine ganz andere Frage diskutiert, nämlich: Wann mosexuelle aktuell in der Bundesrepublik nicht möglich kommt eigentlich die grundlegende Reform des Famili- ist, dann stellt sich schon die Frage nach dem politisch enrechts? Denn die Vielfalt der Lebensformen, die nicht sinnvollen Weg. nur von Homosexuellen, sondern auch von einer zuneh- (Margot von Renesse [SPD]: Aufhören mit menden Zahl von Heterosexuellen gelebt wird, wird von dem Familienrecht!) Rot-Grün bisher völlig ignoriert. All diejenigen, die ver- antwortlich zusammenleben, sich jedoch nicht in das Kor- Ich werfe Ihnen, meine Damen und Herren von der Re- sett der Ehe oder der eingetragenen Lebenspartnerschaft gierungskoalition, vor, jede Diskussion über ein sinnvol- pressen lassen wollen oder können, bleiben weiterhin les Handeln in der Politik regelrecht unterbunden zu ha- rechtlos. Die rechtliche Gleichstellung aller Lebensweisen, ben. Ich meine vor allem Ihren Umgang mit egal, den ob hetero- oder homosexuell, ist lange überfällig. außerparlamentarischen Lesben- und Schwuleninitiati- ven. Es gab seitens des Bundesjustizministeriums meh- Danke. rere Gespräche mit homosexuellen Interessenverbänden. (Beifall bei der PDS) Es sind jedoch nur die Verbände und Gruppen zu den Ge- sprächen zugelassen worden, von denen kein Widerstand gegen Ihr Vorhaben zu befürchten war. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat jetzt die Kollegin Hanna Wolf. Dabei sind Lesben und Schwule selbst die Hauptkriti- ker und Hauptkritikerinnen der eingetragenen Lebens- partnerschaft; das wissen Sie genau. Lesben und Schwule Hanna Wolf (München) (SPD): Frau Präsidentin! wollen eine rechtliche Gleichstellung und keine rechtliche Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin wie Sonderstellung, das belegen repräsentative Studien. Ein Kerstin Müller der Meinung, dass wir heute hier eine Sachgespräch – das ist heute schon mehrfach angeklun- historische Entscheidung treffen. Ich möchte mich in mei- gen – mit der Opposition in diesem Haus über bessere nem Beitrag mit dem Vorwurf der CDU/CSU auseinander Alternativen zu führen ist Ihnen gar nicht erst in den Sinn setzen, den sie gerne ins Feld führt, unser Gesetzentwurf gekommen. zur eingetragenen Lebenspartnerschaft gefährde den (B) grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie. Diesen (D) Das Vorgehen von SPD und Grünen war und ist nicht Vorwurf halte ich für vorgeschoben. Sie wollen nämlich alternativlos. Unser Nachbarland Frankreich hat uns ge- die Inhalte nicht und reden sich auf die Verfassung heraus. rade vorgemacht, wie man für homosexuelle Paare die Möglichkeit der rechtlichen Gestaltung ihrer Beziehung (Beifall bei der SPD) schafft, ohne sie in der Form zu diskriminieren, wie es Wenn die Zeitung mit den großen Buchstaben „Homo- hier mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft getan Ehe“ schreibt, dann ist das eine schlagzeilenartige Ver- wird. Der dortige Zivilpakt steht jeder Zweiergemein- kürzung. Erlauben Sie mir einen ironischen, saloppen schaft, egal ob homo- oder heterosexuell, offen. Einwand: Genauso wie der Leberkäs kein Käse ist, ist die (Margot von Renesse [SPD]: Nach Abschaf- so genannte Homo-Ehe keine Ehe im Sinne des Grundge- fung von Art. 6 GG!) setzes, sondern eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Auch hierzulande hätte ein solches Rechtsinstitut ne- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei ben der Ehe die schwerwiegendsten Probleme sowohl für Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE homo- als auch für heterosexuelle Paare gleichermaßen GRÜNEN) lösen können. Es wäre immerhin nicht dem Vorwurf aus- gesetzt gewesen, Homosexuelle zu diskriminieren. Zu- In der Titelzeile unseres Gesetzentwurfes steht, worum dem – das wäre der unvergleichliche Vorteil gewesen – es uns geht: um die Beendigung der Diskriminierung wäre ein solches Rechtsinstitut, das rechtliche Mindest- gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften. Nach jahrhun- standards regelt, schrittweise erweiterbar auf alle nurdertelanger Diskriminierung ist dies ein längst überfälli- denkbaren Verantwortungsgemeinschaften gewesen. Bis ger Akt der Wiedergutmachung an lesbischen und schwu- dahin ist nicht zuletzt durch das Vorgehen von SPD und len Menschen. Grünen der Weg in Deutschland länger als je zuvor. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Lesben und Schwule werden infolgedessen auch wei- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) terhin vor die Gerichte ziehen müssen, um so ihre Gleich- Sie haben ein Recht auf Selbstverwirklichung innerhalb stellung einzuklagen. Ein solch rechtliches Flickwerk wie des Schutzes und des Regelwerks der Gemeinschaft wie das hier vorgelegte wird die Justiz geradezu herausfor- alle anderen. dern. Es bleibt de facto der Rechtsprechung überlassen, den gesellschaftlichen Fortschritt zu befördern. Meine Um nicht unsererseits für eine neue Diskriminierung zu Damen und Herren von der Regierungskoalition, seien sorgen, mussten wir uns an jenem Institut der Ehe orien- Sie doch so konsequent und stellen Sie im Bundeshaus- tieren, das gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12621

Hanna Wolf (München) (A) verwehrt ist. Ich gebe zu, dass die Ehe, wie sie heute noch Die CDU/CSU kann nicht einerseits behaupten, die(C) verfasst ist, nicht das modernsteModell für eine Part- Zahl der von diesem Gesetz Betroffenen sei so gering, nerschaft darstellt. Sie birgt nach wie vor die Gefahr von dass sich ein Gesetz gar nicht lohne – Herr Geis, Sie ha- Abhängigkeiten und Rollenfixierung in sich; doch es war ben das heute Morgen noch einmal ausführlich so darge- nicht unsere Aufgabe, die Ehegesetzgebung auf dem Um- stellt –, und andererseits die Kosten für den Staat ins weg der eingetragenen Lebenspartnerschaften zu moder- Astronomische rechnen. Meine Damen und Herren, kom- nisieren. Das ist auch der Grund, warum sich gerade Femi- men Sie sich da nicht selbst etwas kleinkariert vor? Von nistinnen einen anderen Entwurf hätten vorstellen können. der Logik einmal ganz zu schweigen! Aus dem gleichen Grund, warum nicht alle heterosexuel- Herr Kollege Singhammer hatte sich plötzlich so be- len Paare die Ehe für sich wählen, werden auch nicht alle sorgt gezeigt, wohin die Sozialabgaben des Ruhr-Kum- homosexuellen Paare diese eingetragene Lebenspartner- pels in Zukunft gehen werden. Ich kann Ihnen versichern: schaft in Anspruch nehmen. Der Oma ihr klein Häuschen bleibt unangetastet, aber die Hätten wir dagegen für homosexuelle Paare eine Art Oma wird sich vielleicht eines Tages eher freuen können, „Ehe light“ vorgesehen, wären wir in erhebliche verfas- dass sich ihr schwuler Enkel gerade verliebt hat. sungsrechtliche Schwierigkeiten geraten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) DIE GRÜNEN) Denn wir hätten nicht begründen können, warum wir diese rechtliche Form heterosexuellen Paaren vorenthal- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat ten. Der PACS, wie er in Frankreich existiert, wäre bei uns jetzt die Abgeordnete Ilse Falk. verfassungsrechtlich nicht möglich; er würde tatsächlich die „Ehe pur“, wie wir sie nun einmal haben, infrage stel- len. Ilse Falk (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- ginnen und Kollegen! Als wir diesen Gesetzentwurf zum Unsere Gesetzentwürfe stützen die Familie: ersten Mal diskutiert haben, habe ich mich in erster Linie Erstens. Eltern werden darin gestärkt, die Homosexua- an meine Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU lität eines Kindes nicht als Unglück zu begreifen, sondern gewandt und um eine faire, sachgerechte Auseinanderset- ihr Kind so anzunehmen, wie es ist. zung mit einem nicht leichten Thema geworben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Margot von Renesse [SPD]: Sie hat nicht DIE GRÜNEN) stattgefunden!) Es wird ihnen leichter fallen, es gegen Diskriminierung Heute könnte ich mich in ähnlicher Weise an die Kollegin- (B) durch andere zu verteidigen. nen und Kollegen der Koalitionsfraktionen wenden. Die(D) Art und Weise, wie hier ein Thema durch die abschließen- Zweitens. Einem Elternteil kann dasSorgerecht für den Beratungen gejagt wird, entspricht mitnichten meinen das leibliche Kind nicht wegen Homosexualität abge-Vorstellungen von einem fairen Umgang und ist schon gar sprochen werden und die soziale Elternschaft des schwu- nicht dazu angetan, vielleicht doch noch Gemeinsamkeiten len Partners oder der lesbischen Partnerin wird durch das zu finden. „kleine Sorgerecht“ anerkannt. Somit können Kinder in einer Partnerschaft ohne Heimlichkeiten aufwachsen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die gemeinsame Adoption von Kindern haben wir Schade, der Sache haben Sie damit keinen Gefallen getan. nicht vorgesehen, auch wenn sie gerade in lesbischenAber um die Sache haben wir in den zurückliegenden Wo- Partnerschaften ein Thema ist. Wir glauben, dass die Ge- chen nun wirklich in den eigenen Reihen gerungen und es sellschaft hier noch nicht so weit ist, dies auch als dem wurde uns manchmal nicht eben leicht gemacht. Kindeswohl entsprechend anzusehen. So gilt es heute, nicht nur ein Resümee zu ziehen, son- So weit zum Thema der eingetragenen Lebenspartner- dern vielleicht auch einen Blick in die Zukunft zu wagen. schaften und dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Für mich war es eine wichtige und gute Erfahrung, zu er- Familie. leben, wie groß die Bereitschaft war, das Thema offen an- zugehen, und bei vielen auch zu erleben, mit welcher Er- Nun zum Zusammenhang zwischen unseren beiden leichterung sie die Dialogbereitschaft angenommen Gesetzentwürfen. Sie bilden nach wie vor eine Einheit. haben. Natürlich hat es in der Debatte auch scharfe Töne Wir wollen damit ein weiteres Wahlversprechen erfüllen, gegeben, aber eben auch versöhnliche und nachdenkliche, diesmal für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. und beides wird es sicher auch in Zukunft geben. Da uns die CDU/CSU daran hindern will – wir haben heute Morgen sehr eindrucksvoll erlebt, wie sehr sie das Als Ergebnis ist festzustellen, dass es zwar bei der Ab- will –, müssen wir den zustimmungspflichtigen Teil ab- lehnung einer Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Part- trennen. Es ginge jedoch nicht an, dass der Staat Bürge- nerschaften mit der Ehe bleibt, weil sie, wie auch ich rinnen und Bürgern einen rechtlichen Rahmen anbietet selbst immer wieder betont habe, in der Sache weder lo- und finanzielle Pflichten damit verbindet, ohne ihnen auf gisch noch angemessen ist. Genauso bleibt es aber richtig, der anderen Seite finanzielle Rechte zu geben. Dies wäre dass es berechtigte Forderungen gibt, denen der Gesetz- zutiefst ungerecht und deshalb auch verfassungswidrig. geber Rechnung tragen sollte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn hier die CDU/CSU-Fraktion in ihrem Ent- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schließungsantrag Prüf- und Berichtsaufträge an die 12622 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Ilse Falk (A) Bundesregierung richtet, so mag man einwenden, dass Aber lenken nicht gerade diejenigen, die nach verbindli- (C) doch alles längst klar sei. Aber es geht eben nicht darum, chen Lebensformen suchen bzw. sie einfordern, unseren zu klären, was man alles machen könnte, sondern was Blick mit besonderem Nachdruck auf Werte, die in unse- man wie machen sollte, um den Anliegen homosexueller rer Gesellschaft viel zu oft vernachlässigt werden, aber Menschen gerecht zu werden, ohne zugleich zu einerunverzichtbar sind? Gibt es nicht ganz andere Kräfte, die Verwechselbarkeit mit der Ehe zu kommen. die Stabilität unserer Gesellschaft wirklich gefährden? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Müssen wir uns nicht selbstkritisch fragen, ob wir nicht der F.D.P.) die Auseinandersetzung mit denen suchen müssen, deren oberste Devise es ist, Spaß zu haben, Unverbindlichkeit Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war schon inte- zu leben ressant zu erleben, mit welch unterschiedlichen Erkennt- nissen und Voraussetzungen Gesprächspartner dieses Ta- (Margot von Renesse [SPD]: Richtig! Genau buthema angehen; ein Tabuthema ist es für viele nach wie da kommt die Gefahr her!) vor. Eine Grundvoraussetzung gibt es allerdings, wenn es und nichts und niemandem außer sich selbst verpflichtet darum geht, notwendiges Handeln anzuerkennen. Eszu sein, muss einen Konsens in der Beurteilung der Ursachen von Homosexualität geben. Man muss bereit sein zu akzep- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der tieren, dass Homosexualität keine Verirrung oder fehlge- SPD und der F.D.P.) schlagene Erziehung oder gar mangelnde Selbstdisziplin die Kinder allenfalls noch bekommen wollen, wenn wir ist, sondern dass es sich, wie viele wissenschaftliche Ar- Ihnen garantieren, dass Sie sie bei Nichtgefallen – sprich: beiten inzwischen belegen, um eine biologische Veranla- bei möglichen Defekten – zurückgeben können? gung handelt. Wer diesen Schritt nicht mitgehen kann, weil bis heute noch nicht das dafür verantwortliche Gen Soziale Sicherheitssysteme haben dazu geführt, dass gefunden worden ist, der wird natürlich auch weitereviele Menschen die ihnen vom Staat und unserer pluralis- Schritte nicht nachvollziehen können. Grundlage gemein- tischen Gesellschaft belassene Freiheit der privaten Le- samen Handelns muss also zunächst die Entscheidung da- bensgestaltung in vielen unterschiedlichen Lebensfor- rüber sein, welchen Argumenten man glaubt. men ausdrücken. Aber warum fürchten wir uns eigentlich ausgerechnet bei der zahlenmäßig relativ kleinen Gruppe Ich gebe gerne zu, dass ich unter dieser Voraussetzung der Homosexuellen, dass sie unsere Gesellschaft in Ge- wohl nicht mehr objektiv bin, sondern dass ich Partei er- fahr bringen? greife. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass ei- gentlich alle, die sich auf die unmittelbare und persönli- (Zuruf von der SPD: Da müssen Sie Herrn (B) che Auseinandersetzung mit Schwulen und Lesben Geis fragen!) (D) eingelassen haben, bereit waren, Partei zu ergreifen und Eine gute Ehe zwischen Mann und Frau ist nach mei- sich mit auf den Weg zu begeben, angemessene Antwor- ner Auffassung immer noch die allerbeste Lebensform für ten auf drängende Fragen zu suchen. Vielleicht ist es nach das Aufwachsen von Kindern diesen Begegnungen auch gelungen, Homosexuelle nicht nur auf ihre Sexualität zu reduzieren, sondern zu erken- (Margot von Renesse [SPD]: Und die beste nen, dass es sich um komplexe Persönlichkeitsstrukturen Werbung für die Ehe!) handelt, auf deren Anerkennung schließlich jeder und jede von uns als Mann oder Frau Anspruch erhebt. und deshalb ist es gut und richtig, dass die Ehe unter dem besonderen Schutz unseres Grundgesetzes steht – mit al- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) len rechtlichen Konsequenzen. Aber erwachsen daraus Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht habe ich nicht auch Pflichten für uns als Gesellschaft und gebietet inzwischen selber schon zu viele Gespräche geführt, um es nicht gerade unser Verständnis von Solidarität, dass wir noch die von manchen als notwendig empfundene Dis- dann auch den Eltern zur Seite stehen, deren Kinder an- tanz bei diesem Thema einzuhalten. Als Politikerin müsse ders, in diesem Fall schwul oder lesbisch, sind? ich – so wird mir vorgehalten – Angriffe auf die Stabilität (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft abwehren. F.D.P.) Aber ist es nicht gerade ein Beitrag zur Stabilisierung, wenn ich dafür werbe, Vorurteile abzulegen und Men- Gerade von Eltern habe ich bewegende Briefe bekom- schen, die anders sind, als es unseren Normvorstellungen men, in denen sie schildern, in welche Konflikte oder per- entspricht, nicht aus der Gesellschaft auszugrenzen? Müs- sönliche Krisen sie gestürzt sind, nachdem sich ihre Kin- sen wir als Politiker nicht sogar Partei ergreifen? der geoutet hatten. Sie müssen nicht nur persönlich verkraften, dass sie zum Beispiel auf Enkelkinder ver- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der zichten müssen, sondern – was viel schlimmer ist – damit F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- leben, dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass sie SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) offensichtlich nicht in der Lage waren, ihre Kinder vor Homosexuelle werden in der Regel keinen generativen dem Schwul- oder Lesbisch-Sein zu bewahren. Beitrag zur Gesellschaft leisten. Das liegt in der Natur der Umgekehrt gibt es die Kinder, die sich als ungeliebt Sache. oder lebensunwert empfinden, eben weil sie schwul oder (Margot von Renesse [SPD]: Das tun auch lesbisch sind. Gerade bei Jugendlichen – das muss uns viele Eheleute nicht!) sehr zu denken geben –, die bei sich eine von der Norm Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12623

Ilse Falk (A) abweichende sexuelle Orientierung erkennen, ist dieserte Rechte, die das Einstehen füreinander erleichtern,(C) Selbstmordrate besonders hoch. sind notwendig. Hinzu kommt ein wesentlicher Punkt: Zuerkennung von Rechten bedeutet auch eine selbstver- (Hanna Wolf [München] [SPD]: Sie müssten ständlichere Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Das ist ge- deswegen zustimmen!) rade in einer Zeit verstärkter Übergriffe von Rechtsradi- Eltern wollen doch stolz auf ihre Kinder sein, weil sie kalen auf Minderheiten von ganz besonderer Bedeutung. liebenswert sind, und sie wollen sie zu lebenstüchtigen Menschen erziehen und nicht leiden müssen, weil sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie „fehlerhaft“ sind. Kinder wollen nicht, dass ihre Eltern bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich ihretwegen schämen müssen. Ist es da nicht unsere NEN und der F.D.P.) selbstverständliche Pflicht und Schuldigkeit, ihnen Mut Als gestern Tausende von Menschen auf die Straße ge- und Kraft zu geben? gangen sind, um zu zeigen, dass sie für Menschlichkeit Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zurRolle und Toleranz eintreten, habe ich an meinem Schreibtisch der Kirchen sei an dieser Stelle erlaubt. In vielen guten gesessen und mit mir gekämpft, wie viel ich denen zumu- Gesprächen mit Vertretern beider Kirchen bin ich mit mei- ten darf, die eine andere Meinung als ich vertreten. Ich ner Position auf großes Verständnis gestoßen. Allerdings hoffe sehr, dass ich niemanden in seinen sehr persönlichen musste ich auch hinnehmen, dass es Christen gibt, die uns Gefühlen verletzt habe. Aber ich bin in der Politik ange- als Partei bei einer derartigen Argumentation das „C“ im treten, weil ich die freie Meinungsäußerung und die Aus- Parteinamen absprechen wollen und die mir vorwerfen, einandersetzung um den richtigen Weg für eines der wich- Gott für eine „großzügige“ Herangehensweise an die Ho- tigsten Güter in unserer Demokratie halte. mosexualität und entsprechende Partnerschaften in An- Heute wird ein Gesetz von der Mehrheit dieses Hauses spruch zu nehmen. Das hat mich sehr betroffen gemacht, verabschiedet werden, das wir als CDU/CSU in dieser zumal gerne angeführte Bibelzitate mich nun wirklich Fassung nicht gewollt haben, aber als Minderheit nicht nicht überzeugen konnten. verhindern werden können. Der zustimmungsfreie Teil ist Ich lasse mir im Übrigen – das habe ich auch schon in damit endgültig beschlossen, ein weiterer wichtiger Teil der ersten Lesung gesagt – nicht meinen Glauben nehmen, hat noch die Hürde des Bundesrates vor sich. Die, die für dass Gott uns gerade so, wie wir in unserer Unverwech- dieses Gesetz gekämpft haben, werden heute eine große selbarkeit und Einzigartigkeit sind, gewollt hat. Erleichterung empfinden, andere werden sich in hohem Maße provoziert fühlen. Versuchen wir doch alle, An- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie derssein und Andersdenken in gegenseitigem Respekt zu bei der SPD, dem BÜNDNISS 90/DIE GRÜ- ertragen. (B) NEN und der F.D.P.) (D) (Beifall im ganzen Hause) Von Menschen, die zum Beispiel mit missgebildeten Bei- nen auf die Welt kommen, verlangen wir doch auch nicht, dass sie bitte schön gehen üben sollen, weil Gott den Men- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Vielen Dank, schen als aufrechtes Wesen geschaffen hat. Man muss Frau Kollegin. – Das Wort hat jetzt der Abgeordnete doch unterscheiden zwischen Veranlagungen, die eine Volker Beck. Gefahr für die Menschen oder die Gesellschaft darstellen, und solchen, die allein ein Anderssein ausdrücken. An- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): derssein zu akzeptieren und vielleicht sogar als Bereiche- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich rung zu erfahren, gefährdet das wirklich unsere Gesell- möchte mich für die nachdenklichen Worte von Frau Falk schaft? bedanken, weil ich glaube, dass wir auch nach diesem Tag (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie zu einem Dialog in der Sache kommen und darum ringen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen, dass es Mehrheiten in beiden Häusern für eine NEN, der F.D.P. und bei Abgeordneten der rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften, PDS) wie wir sie vorgeschlagen haben, geben wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe dabei und Ich habe heute eine gute Botschaft mitgebracht: Rot- viele in meiner Partei mit mir, dass die Rechtsetzung in Grün wird dafür sorgen, dass es mehr freudige Ereignisse den folgenden immer wieder genannten Punkten wichtig in Deutschland gibt: mehr Polterabende, mehr Brautent- ist: Zeugnisverweigerungsrecht, Regelung der Mietnach- führungen und mehr Familienfeiern. folge bei Tod des Partners, Auskunfts- und Besuchsrechte (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE bei Ärzten und in Krankenhäusern, eine Modifizierung GRÜNEN) des Bestattungsrechts sowie Besuchsmöglichkeiten in Strafvollzugsanstalten. Wünschenswert wäre die Rege- Auch Sie, Herr Geis oder Herr Merz, werden im Sommer lung des Erbrechts sowie von Fragen binationaler Part- Ihre Heimatzeitung aufschlagen und unter „Bekanntma- nerschaften und die Eintragung der Partnerschaft als si- chungen“ lesen: Ihre Eintragung geben bekannt: Peter chere Basis zur Beanspruchung dieser Rechte. Müller und Klaus Meier oder Petra Grund und Annette Düwel. Sie sehen, dass wir innerhalb der Union mit großen Spannungen leben. Dennoch betone ich noch einmal: Ich (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Den Peter rede hier nicht der Gleichstellung das Wort; aber verbes- Müller lassen Sie hier mal schön raus!) 12624 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Volker Beck (A) Sie werden sehen, dass das zum Alltag gehören wird, auch Auch wenn Lebenspartner jahrzehntelang füreinander (C) in Ihrem Familien-, Bekannten- und Freundeskreis. Wir sorgen, wenn zum Beispiel ein an Aids erkrankter Partner holen – das wollte ich mit diesem Hinweis zeigen – die von dem anderen gepflegt worden ist, behandelt das Recht homosexuellen Partnerschaften in die Mitte der Gesell- diese Lebenspartner wie Fremde: beim Erbrecht, bei der schaft. Sie bleiben nicht mehr eine Randgruppe, sondern Totensorge, bei der Erbschaftsteuer und anderen Rechts- werden Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten gebieten. Auch damit wollen wir heute Schluss machen. und Pflichten. Wir erkennen ihre Lebensverhältnisse an Ich glaube, die Menschen draußen im Lande haben es ver- und das ist ein entscheidender Schritt für unsere Demo- standen: Durch unser Gesetz wird niemandem etwas ge- kratie. nommen, aber es beendet wirklich fürchterliche Dramen, (Beifall der Abg. Hanna Wolf [München] die sich in diesem Zusammenhang abspielen. [SPD]) Ich fordere hier auch die Mitglieder des Bundesrates Der Gesetzentwurf von Rot-Grün gründet sich verfas- auf: Wenn Sie darüber nicht nach parteipolitischen, son- sungsrechtlich, wie es der Kollege Gerhardt verlangtdern nach fachlichen Kriterien entscheiden wollen, dann hat, auf den eigenen Wert der gleichgeschlechtlichen Part- werden Sie auch beim zustimmungspflichtigen Teil nicht nerschaft. Wir schaffen für homosexuelle Paare diedarum herumkommen, sich hier zu bewegen. Es macht Möglichkeit, sich im rechtlichen Sinne umfassend zu ei- keinen Sinn, eine andere Behörde als das Standesamt mit ner Gemeinschaft der Verantwortung und des Fürei- Personenstandsfragen zu beauftragen. Das sagt auch die nandereinstehens zu bekennen. Dies soll auch rechtlich F.D.P., in deren Gesetzentwurf es allerdings heißt, dass gewürdigt werden, was unter anderem in den familien- der Standesbeamte den Homosexuellen nicht die Hand rechtlichen Unterhaltsverpflichtungen, die wir einführen, geben soll. Aber auch in Ihrer Vorlage steht, dass der nota- zum Ausdruck kommt. Dies ist eine Ausgestaltung von rielle Vertrag hinterher beim Standesamt abgegeben wer- Art. 2 des Grundgesetzes hinsichtlich des Persönlich- den muss. Das ist Augenwischerei und Kosmetik. Dies keitsrechts von homosexuellen Menschen, das entgegen zeigt, dass unsere Regelung sachgerecht ist. den Ausführungen von Herrn Hohmann in unserer Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fassung den gleichen Schutz genießt wie das Persönlich- sowie bei Abgeordneten der SPD) keitsrecht anderer Menschen. Die finanziellen Regelungen, die wir bei den Pflich- Wir übertragen dieser Partnerschaft Rechte und Pflich- ten und Rechten treffen, leiten sich alle von der Unter- ten, die in der Unterhaltsverpflichtung oder im Schutz der haltsverpflichtung ab. Auch deswegen muss sich der Bun- Privatsphäre dieser Partnerschaften ihre Begründung ha- desrat, wenn er von der Sache her entscheidet, bewegen. ben. Deshalb ist dieses Gesetz kein Angriff auf Ehe und Familie. Es ist ein eigenständig begründetes Gesetz. Auch Die Union sagt uns, wir machten zu viel, wir näherten (B) greifen wir kein Rechtsprinzip von Ehe und Familie an. uns der Ehe zu sehr. Die PDS sagt das glatte Gegenteil,(D) Im Gegenteil, beim Leitbild stärken wir sogar die Werte, nämlich wir seien von der Ehe zu weit entfernt und schaff- die mit der Ehe gemeinhin verbunden werden: Verant- ten angeblich Diskriminierungen. Beide gemeinsam kön- wortung und Füreinandereinstehen. Wir beeinträchtigen nen nicht Recht haben. Das zeigt einfach: Dieser Gesetz- durch dieses Gesetz auch nicht die Freiheit der Ehe-entwurf ist ausgewogen. Er ist ein Kompromiss zwischen schließung. Sie glauben doch wohl nicht, dass sich ir-dem Verfassungsrecht und den Notwendigkeiten, für die gendjemand von der Eheschließung abhalten lässt, weil Schwulen und Lesben eine angemessene Regelung zu fin- sich homosexuelle Paare beim Standesamt eintragen las- den. Deshalb verdient er die Zustimmung des Hauses. sen können. Wir respektieren in allen Bereichen das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechtsinstitut der Ehe, die durch unser Gesetz keinerlei sowie bei Abgeordneten der SPD) Benachteiligungen erfährt. Das unterscheidet unseren Ge- setzentwurf vom Gesetzentwurf der Liberalen, die diesen Zum Schluss: Das ist heute ein Tag für das Ge- Punkt nicht berücksichtigen. schichtsbuch. Es wird im Umgang des Staates mit seinen homosexuellen Bürgern ein neues Kapitel aufgeschlagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ab heute sind Schwule und Lesben nicht mehr Bürger sowie bei Abgeordneten der SPD) zweiter Klasse. Vor zehn Jahren war ich in dieser Debatte Es geht nicht nur um Verfassungsgerechtigkeit, es geht mit einigen Freunden fast allein auf weiter Flur. Von auch um das wirkliche Leben. Ich will Ihnen einige Ge- Bischöfen wurde ich für verrückt erklärt. Heute wird es schichten erzählen, die das Leben schreibt: Carmen aus Wirklichkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem Argentinien und Claudia aus Potsdam leben zusammen. Tag möchte ich Ihnen ein kleines Geheimnis verraten: Ein Sie studieren beide an der Universität in München. Nach bisschen bin ich heute schon glücklich. drei oder vier Jahren des gemeinsamen Studiums, der ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinsamen Liebe und des gemeinsamen Lebens macht und bei der SPD) Carmen ihre Abschlussprüfung und muss das Land ver- lassen. Es gibt auf dieser Welt keinen Ort, wo diese Part- nerschaft und diese Liebe nach dem gegenwärtigen Aus- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat länderrecht legal fortgesetzt werden darf. Dies ist ein jetzt die Frau Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin. Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dieser Menschen. Mit dieser Diskriminierung machen wir heute Schluss. Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Justiz: Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- und bei der SPD) gen! Wir diskutieren heute nicht zum ersten Mal die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12625

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) Frage, wie wir die Diskriminierung von Menschen mit Lassen Sie mich noch einmal festhalten, worum es(C) gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung abbauen geht: Es geht erstens um den Abbau von Diskriminie- können. Wir haben vor mehreren Jahren damit begonnen. rung – dieses Gesetz ist ein wichtiger Schritt dahin –, Es war sehr gut, dass Sie, Frau Falk, darauf hingewiesen zweitens um die Anerkennung anderer Lebensformen un- haben, dass es neben all dem schrecklichen Streit, den wir ter Einbeziehung der Sexualität und drittens um die För- gerade erlebt haben und der wohl auch das Verfahren stark derung dauerhafter personaler Beziehungen. Dieser letzte und, wie ich finde, unnötig überlagert hat, auch Annähe- Aspekt ist für uns außerordentlich wichtig. rungen in der Sache gibt. Ich darf einmal von mir persönlich sprechen. Ich bin Es ist außerordentlich wichtig, festzuhalten, dass heute jetzt seit mehr als 31 Jahren verheiratet, und das bin ich viel mehr Menschen als zu Beginn der Diskussion wissen, gern. Für mich ist diese dauerhafte persönliche Bindung dass gleichgeschlechtliche Sexualität eine biologische eine Lebensform, die ich nicht missen möchte. Wir wis- Gegebenheit ist und eben kein kriminelles Verhalten, eben sen aber: Es gibt Menschen mit einer andersartigen sexu- nicht eine Geschmacksverirrung oder etwas Unsittliches ellen Orientierung, die diese Bindung zwar möchten, aber darstellt. Es wäre gut, wenn die Diskussion um diesen nicht heiraten können. Was ist an diesem Wunsch konkreten Gesetzentwurf noch mehr dazu beitragenschlecht. Daran ist überhaupt nichts schlecht! Diese Bin- könnte, dass darüber in der Bevölkerung absolute Klarheit dung erfüllt ein Grundbedürfnis der Menschen. Ich halte herrscht. Wenn die Menschen dieses verstanden haben, es für eine besondere Notwendigkeit, sogar für eine fällt es ihnen nämlich viel leichter, Menschen mit einer Pflicht der staatlichen Gemeinschaft, dauerhafte persönli- andersartig orientierten Sexualität zu respektieren und, che Beziehungen mit Rechten und Pflichten, in denen der wie es unser Grundgesetz ja vorschreibt, eine für den anderen einsteht, zu fördern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ihre Würde zu achten und nicht etwa infrage zu stellen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Anspruch auf Würdemuss jedem zukommen, Diese Möglichkeit wollen wir und wir schaffen sie mit ei- gleich welche sexuelle Orientierung er oder sie hat. nem eigenständigen familienrechtlichen Institut. Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen; Alle Einwände, die von der einen oder anderen Seite hierbei wende ich mich besonders an den Kollegenvorgebracht wurden oder werden, das sei mit unserer Ver- Gerhardt. Selbstverständlich kann niemand sagen – so fassung nicht in Einklang zu bringen, laufen ins Leere. umstritten eine konkrete Maßnahme auch immer seinWir wissen sehr wohl, dass die Ehe das eine – die Rege- mag –, nur die anderen haben Unrecht und er hat in jedem lungen haben wir entsprechend ausgestaltet – und dass einzelnen Punkt Recht. Das gilt aber für jede der betrof- dieses familienrechtliche Institut das andere ist. Ich (B) fenen Seiten, lieber Herr Gerhardt. glaube und hoffe, dass es in diesem Haus und in der Öf- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fentlichkeit überhaupt keinen Zweifel daran gibt, dass man ungeachtet der sexuellen Orientierung der Eltern von Wir haben in der heutigen Diskussion erlebt, dass noch zu Familie – das heißt, Erwachsene mit eigenen oder mit an- viel durcheinander geht. Selbstverständlich kann man ein- genommenen Kindern – spricht, der der besondere Schutz zelne Fragen unterschiedlich entscheiden. unserer Verfassung zukommt. Wir haben von Anfang an den Weg eines eigenenfa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ milienrechtlichen Instituts gewählt, also einer familien- DIE GRÜNEN) rechtlichen Einrichtung eigener Art. Damit haben wir von Anfang an klargestellt, dass diese Partnerschaft, die unter Ich möchte sehr deutlich sagen: Es ist falsch, anzuneh- Einbeziehung der sexuellen Orientierung gelebt werden men, es sei unlogisch oder mit demGleichheitsgrund- soll und die in ihrer Andersartigkeit anerkannt werden satz nicht in Einklang zu bringen, wenn man ein beson- soll, weder das Gleiche wie die Ehe ist noch in diese Rich- deres familienrechtliches Institut für Menschen schaffe, tung geht oder ihr in die Quere kommt und erst recht keine die nicht heiraten können, ohne zugleich auch eine andere Kopie ist. Sie, Frau Schenk, haben das im Übrigen, wenn Gruppe einzubeziehen, nämlich die Gruppe derjenigen, ich auch nicht jeder Ihrer Ausführungen folgen kann, sehr die – aus Gründen, die wir hier nicht nachzuvollziehen ha- nachdrücklich dargestellt. ben – heiraten können, aber nicht wollen. Ich komme auf das zurück, was Sie gesagt haben. Sie (Norbert Geis [CDU/CSU]: Oder auch nicht nannten das eigenständige familienrechtliche Institut mit können!) eigener Souveränität und Würde – genau das schaffen wir. – Nein, diese Menschen sind im Gesetzentwurf mit Ab- Ein Institut beinhaltet Rechte und Pflichten. Viele kriti- sicht nicht angesprochen. sieren in diesem Punkt den Gesetzentwurf der F.D.P. Es geht eben nicht darum, dass sich eine bestimmte Gruppe (Norbert Geis [CDU/CSU]: Nein, es gibt auch Rechte à la carte wählen kann, sondern es geht um dauer- welche, die auch nicht können!) hafte Bindung, um Rechte und Pflichten. Es geht um ein Sehr geehrter Herr Geis, stellen Sie sich einmal die Institut eigener Art. Wir sind der Meinung, dass eine ent- Konsequenzen vor. Wir haben es mit einer klar bestimm- sprechende Umsetzung in dem vorliegenden Gesetzent- baren Gruppe zu tun, die durch ihre besondere sexuelle wurf der Koalition gelungen ist. Orientierung definiert ist. Wenn wir die Gruppe derjeni- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen in eine solche Regelung einbezögen, die zwar hetero- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sexuell sind, aber nicht heiraten möchten, dann käme es 12626 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) zu einem Ergebnis, das einem „Trauschein zweiterlich sehr wichtig ist. Ich habe in den früheren Lesungen (C) Klasse“ ungeheuer ähnlich wäre. Ich kann mir nicht vor- dieser Debatte mehrfach zu diesem Thema gesprochen. stellen, dass das irgendjemand will, der so argumentiert. Es ist allgemein bekannt, dass – bei allem Respekt vor der Ich will das aus zwei Gründen nicht: sonstigen Arbeit des Herrn Kollegen Geis – wir in diesem Fall gegenteilige Auffassungen vertreten. Ich bin unver- Erstens: Es würde die Ehe in hohem Maße beschädi- ändert der Auffassung – es ist mir wichtig, das zu sagen –: gen, was ich für ganz falsch halte. Ich kann keinen Werteverlust darin erkennen, wenn Men- Zweitens – es handelt sich um einen ganz pragmati- schen gleichen Geschlechts füreinander Verantwortung in schen Grund –: Wir wissen gar nicht, warum die Men- der Gesellschaft übernehmen. Das ist ein Wertegewinn. schen, die es zwar könnten, aber nicht wollen, nicht hei- (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei raten. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie könnten dann GRÜNEN und der PDS) doch gegen Art. 3 verstoßen!) Deswegen will ich hier ausdrücklich erklären – Sie Wir wissen also gar nicht, ob ein Instrument, wie es die werden verstehen, dass ich das tue – , dass ich das Anlie- Franzosen haben, irgendjemandem in irgendeiner Weise gen, eine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Le- helfen würde. bensgemeinschaften in unserer Realität, in unserer Ge- sellschaft, in unserem Recht zu beseitigen, teile. Aber, Weil ich glaube, dass man, soweit möglich, mit einFrau Minister, Sie haben mit keinem Ton beispielsweise bisschen mehr Gemeinsamkeit, deren Mangel man in fa- auf die großen Komplikationen hingewiesen, die jetzt milienrechtlichen Fragen leider beobachten muss, vorge- durch die Aufspaltung des Gesetzentwurfes entstehen hen sollte, will ich Folgendes festhalten: Es kann beiwerden. Wir werden erleben, dass der zustimmungs- Menschen, die ohne Trauschein lange zusammenleben, pflichtige Teil dieses Gesetzes im Bundesrat keine Mehr- obwohl sie heiraten könnten, Regelungsnotwendigkeiten heit bekommt; denn wenn der eigene Verfassungsminister geben. In solchen Fällen kann es zum Beispiel bei der sagt, das Gesetz sei nicht verfassungsgemäß, dann wird Trennung oder im Erbfall Ungerechtigkeiten geben. Die der Bundesrat natürlich nicht zustimmen. Man wird dann damit verbundenen Fragen sollten wir aufgreifen, und auch kaum eine Argumentation hören können. zwar gemeinsam, wenn es geht. Diese Menschen in den- selben Topf wie eine ganz andere Gruppe zu werfen, bei Das bedeutet: Der zustimmungsfreie Teil, der heute be- der es darum geht, Diskriminierungen abzubauen, andere schlossen wird, wird Gesetz. Darin steht zum Beispiel, Lebensformen anzuerkennen und dauerhafte persönliche dass nach einer Trennung eine gegenseitige Unterhalts- Bindungen zu fördern, wäre ganz falsch. verpflichtung besteht. Der zustimmungspflichtige Teil wird nicht Gesetz. Darin steht zum Beispiel, dass Auf- (B) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Warum hat Herr wendungen zum Unterhalt wie bei jeder heterosexuellen (D) Schily dann seinen Brief geschrieben?) Beziehung steuerlich abzugsfähig sind und geltend ge- Was die Zustimmungsbedürftigkeit der vorliegenden macht werden können. Wenn diese Aufspaltung von Ihnen Gesetzentwürfe angeht, besteht, soweit sie in der Vorlage durchgezogen wird, dann werden Sie neue Pflichten für nicht genannt wird, überhaupt kein Zweifel. Derjenige gleichgeschlechtliche Partnerschaften begründen. Sie Teil, der als nicht zustimmungsbedürftig vorgelegt wurde, werden aber nicht gleichzeitig neue Rechte schaffen. Das, ist es auch nicht. was Sie hier auf den Weg gebracht haben, bedeutet eine klare Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Part- Lassen Sie mich am Schluss dieser jahrelangen De- nerschaften. batte zusammenfassen: Es geht in der Tat darum, Diskri- minierungen abzubauen. Es wäre schön, wenn Schritte (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten wie unsere nicht solche Verwerfungen auslösen würden, der PDS) wie wir sie heute hier erlebt haben. Es geht darum, Res- Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass hinsichtlich der pekt vor der Würde von anderen und auch vor anderen Frage, ob das Standesamt für gleichgeschlechtliche Part- Formen des Zusammenlebens nicht nur zu behaupten, nerschaften zuständig sein soll, gar nichts beschlossen sondern auch praktisch zu dokumentieren. Es geht darum, werden wird; denn das ist ein zustimmungspflichtiger Teil. auch mit den Mitteln des Staates persönliche, auf Dauer Sie haben keinen Ton dazu gesagt, dass es Rechte im Be- angelegte Beziehungen, die Rechte und Pflichten ein-reich der Steuern nicht geben wird, Unterhaltsverpflich- schließen sollen, zu stärken. Das tun wir. tungen dagegen schon. Sie haben keinen Ton dazu gesagt, wie Sie im Bundesrat eine Mehrheit organisieren wollen, Danke schön. (Zuruf von der SPD: Baden-Württemberg!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) wenn der eigene Verfassungsminister öffentlich – und nicht nur heute in der Zeitung, sondern seit Wochen – er- klärt, dieser Gesetzentwurf sei verfassungswidrig. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Zu einer Kurz- intervention erhält Kollege Westerwelle das Wort. (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das ist ein Re- debeitrag, Frau Präsidentin!) Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Frau Präsidentin! Deswegen bitte ich um Verständnis dafür, dass ich – so Frau Minister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! sehr ich das Anliegen teile, das übrigens insbesondere Ich will vorab eine Bemerkung machen, die mir persön- von Ihnen, Frau Falk, in einer bemerkenswerten Rede Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12627

Dr. Guido Westerwelle (A) geäußert worden ist – diesem Gesetzentwurf, den Sie vor- Wir lösen Probleme bei der Krankenversicherung,(C) legen, nicht zustimmen werde. beim Ausländerrecht, beim Erbrecht, beim Mietrecht, beim Familienrecht und bei einer Fülle von Rechtsgebie- (Beifall bei der F.D.P.) ten. Lediglich diese monetären Aspekte und die Frage, ob Sie haben eine große Chance verpasst, hier im Hause ei- die zuständige Behörde das Standesamt ist oder die Län- nen Konsens über die Parteien hinweg herzustellen. der selber Regelungen treffen müssen, sind zustim- mungspflichtig. Aufgrund der Sachargumente wird der Bundesrat mit uns gemeinsam sicher eine vernünftige Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Herr Kollege Westerwelle, nur drei Minuten sind bei einer Kurzinter- Entscheidung aushandeln. vention gestattet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Letzter Satz, Frau Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Ministerin, Präsidentin. Sie dürfen antworten. Es wäre möglich gewesen, in diesem Hause einen Konsens, und zwar über alle Parteien hinweg, zu organi- Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der sieren. Das haben Sie nicht gewollt, weil einige von Ihnen Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich einen Erfolg in der Koalition wollten. Ich bedauere das, möchte auf das eingehen, was Herr Westerwelle sagte. Ich weil es zulasten der Sache geht. habe darauf hingewiesen, dass wir seit langem über diese (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Frage diskutieren. Dieses ist nicht der erste Gesetzentwurf der PDS) zu diesem Thema in diesem Haus, wie Sie wissen. Seit langen Jahren – übrigens auch zur Zeit Ihrer Regierungs- tätigkeit – haben wir immer wieder gehört, allgemein Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es gibt noch den wolle man das, aber konkret ist nie was daraus geworden. Wunsch nach einer Kurzintervention, und zwar des Kol- legen Volker Beck. Sie wissen, dass Sie jetzt nicht einen Diese Situation beenden wir. internen Dialog mit Herrn Westerwelle anfangen dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Volker Beck (Köln) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir möchten Diskriminierung abbauen. Wir möchten, NEN]: Ich kenne die Geschäftsordnung!) dass Respekt vor anderen Lebensformen Wirklichkeit Das sage ich nur vorbeugend vorweg. wird. Wir möchten persönliche Beziehungen fördern. (B) Frau Däubler-Gmelin, Sie können dann auf beide Kurz- Nun sagen Sie, Sie hätten die Hoffnung, dass man Ver- (D) interventionen zusammen antworten und bekommen dazu einbarungen über Zustimmungsbedürftiges und nicht Zu- auch entsprechend Zeit. stimmungsbedürftiges über die Grenzen der Parteien im Deutschen Bundestag und im Deutschen Bundesrat hi- naus gemeinsam treffen könne. Ich würde gern Ihrer Mei- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nung sein. Aber wenn ich nicht ohnehin schon skeptisch Ich bin sehr dankbar, dass die Justizministerin noch ein- wäre, weil ich den jahrelangen Vorlauf kenne, dann wäre mal so eindeutig und klar festgestellt hat, worin die ver- ich es im Zuge der Behandlung dieses Gesetzentwurfes in fassungsrechtliche Begründung des Entwurfs eines Ge- diesem Hause geworden, und zwar deshalb, weil nach setzes zur eingetragenen Partnerschaft besteht und dass in meiner Erfahrung alles dafür spricht, dass derartig heftige der Aufspaltung dieses Gesetzesentwurfes durchaus eine Auseinandersetzungen über Verfahren meistens inhaltli- Logik liegt. Es irren andere, die hier gesprochen haben, che Auseinandersetzungen verdecken. insofern, als alle monetären Aspekte bezüglich der Unter- haltspflicht im zustimmungspflichtigen Teil zu finden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sind; sie beziehen sich dann aber auf Rechte und Pflich- DIE GRÜNEN) ten gleichermaßen. Mir hat sehr gefallen, was einige Kollegen aus ver- Die Regelungen zur Sozialhilfe und zum Wohngeld, schiedenen Fraktionen heute gesagt haben, weil ich daran die den Paaren die Pflichten einer eingetragenen Partner- Anerkennung und Annäherung in der Sache ablesen kann. schaft abverlangen – man muss nämlich für seinen Part- Wie lange es dauern wird, zu einem Konsens zu kommen, ner aufkommen, bevor man vom Staat eine Leistung er- kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, es ist Aufgabe der warten kann –, sind zustimmungspflichtig. Das erspart Mehrheit dieses Hauses, nicht nur abzuwarten und für den Ländern und Kommunen Kosten. Die einkommen- Konsens zu werben – das tun wir auch –, sondern Schritt steuer- und erbschaftsteuerlichen Regelungen, die Rechte für Schritt weiterzukommen. Deshalb werbe ich dafür, beinhalten, sind ebenfalls zustimmungspflichtig. Wenn dass wir uns alle daran beteiligen. Wenn auch Sie das tun, der zustimmungspflichtige Teil nicht Gesetz würde – was sind wir insgesamt noch stärker. wir nicht glauben, weil wir denken, dass die Länder fach- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lich und politisch korrekt mit uns diskutieren werden –, DIE GRÜNEN) dann wäre der übrige Teil, das zustimmungsfreie Gesetz, durchaus noch in sich ausgewogen. Er ist allemal sub- stanzvoller als der Gesetzentwurf, den die F.D.P.-Fraktion Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat dem Bundestag vorgelegt hat. jetzt Kollege Hartenbach. 12628 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Alfred Hartenbach (SPD): Frau Präsidentin! Meine helfen Menschen, aus der Zone der Diskriminierung he- (C) sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Wo- rauszukommen und – Herr Gerhardt hat das eben ange- chenende habe ich mit einer Vereinigung, die sich „Ho- sprochen – gleichberechtigt neben anderen zu stehen. Wir mosexuelle und Kirche“ nennt, eine sehr eingehende Dis- tragen dazu bei, dass Menschen, die füreinander lebens- kussion zu diesem Thema geführt. Ich habe dabei von lang Verantwortung übernehmen wollen, dies auch kön- einem Repräsentanten der „Lesben und Schwulen in der nen und dies auch geachtet wird. Wir tragen dazu bei, dass Union“, der die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dort ver- der eine Partner für den anderen sorgen darf, nein, muss. trat, inoffiziell den Satz gehört: Wir haben uns mit diesem Wir tragen auch dazu bei, dass ein Partner – wir empfin- Thema bisher noch nicht befasst; deswegen ist es bei uns den das als gesellschaftlich selbstverständlich – im in der Union schwierig, dieses Thema sachlich und ruhig Krankenhaus oder in sonstigen Notfällen Auskunft über zu diskutieren. Heute Morgen hat mir ein von mir sehr ge- die Situation des anderen Partners bekommt. Wir tragen schätztes Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktiondazu bei, dass Kinder, die ein Partner aus einer früheren Ähnliches gesagt und darauf hingewiesen, in welchenBeziehung mitbringt, auch zu dem anderen Partner eine Schwierigkeiten und Nöten manche in der Union sind. Beziehung aufbauen können, indem wir es gestatten, dass Frau Falk, dies habe ich auch Ihrem Redebeitrag entnom- dieses „kleine Sorgerecht“ ausgeübt wird. men. Ich respektiere Ihren Redebeitrag und Ihre Meinung in hohem Maße. Wenn Sie das Protokoll der Debatte vom Wir helfen damit in deutlicher Weise, endlich normale 7. Juli nachlesen, werden Sie sehen, dass ich das auch da- Lebensverhältnisse für Menschen, die genauso wertvolle mals schon gesagt habe. und gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft sind wie alle anderen Menschen auch, zu schaffen. Deswegen habe ich es sehr bedauert, dass Sie, Frau Falk, von Ihrer Fraktion nicht stärker in diese Debatte ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gebunden wurden, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Widerspruch bei der CDU/CSU – Zurufe von Die geplanten Änderungen sind auch nicht – viele meiner der CDU/CSU: Was ist denn das? – Was soll Vorredner haben das bereits gesagt – verfassungswidrig, das?) im Gegenteil: Wir erfüllen hier ein Gebot aus Art. 3 unse- rer Verfassung. um auf diese Weise unter Umständen zu anderen Lösun- gen beizutragen. Leider waren Sie auch nicht bei dem Ge- Lassen Sie mich, Herr Hohmann – da sich die Zeit dem spräch der Berichterstatter dabei. Ende zuneigt –, mit zwei Bibelzitaten enden: (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Wem hel- Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie andere. fen Sie jetzt?) (B) Das ist nicht meine Haltung. Meine Haltung ist: (D) Ich möchte diese Feststellung treffen, da ich mir vorstel- Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, len kann, dass die Diskussion in mancher Beziehung an- ders gelaufen wäre, wenn nicht von vornherein durch die das habt ihr mir getan. Medien ein deutliches „Wir werden dem so überhaupt Vielen Dank. nicht zustimmen“ verbreitet worden wäre, wenn nicht von vornherein das, was wir mit großem Ernst, großer Gewis- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ senhaftigkeit und unter Einschaltung aller gesellschaftli- DIE GRÜNEN) chen Kräfte unseres Landes gewollt haben, als Teufels- werk, als unsittlich und mit der Gesellschaftsordnung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Wir sind jetzt nicht vereinbar abgetan worden wäre. am Ende der vereinbarten Debatte. Der Vorsitzende der Ich möchte hier in einer Weise reden, dass mich die Fraktion der CDU/CSU, Friedrich Merz, wünscht, einen Menschen draußen, die im Land dieses Gesetz begreifen Geschäftsordnungsantrag einzubringen. sollen, am besten verstehen. Ich frage: Wem nehmen wir mit diesem Gesetz etwas weg? Nehmen wir den Ehemann Friedrich Merz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Der der Ehefrau oder die Ehefrau dem Ehemann weg? – Nein! Bundesminister des Innern hat an der heutigen Debatte Nehmen wir der Ehe die nach Art. 6 des Grundgesetzes nicht teilgenommen. Ich kenne den Grund nicht. Sie wis- geschützte und durch die überwiegende Mehrheit der Ge- sen, dass jede Fraktion die Möglichkeit hat, nach § 42 un- sellschaft zuerkannte herausragende Position in der Ge- serer Geschäftsordnung jederzeit die Herbeirufung eines sellschaft? – Nein! Mitglieds der Bundesregierung zu beantragen. Ich möchte (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das angesichts der fortgeschrittenen Zeit ausdrücklich nicht tun. Nehmen wir den Kirchen das Recht, die vor dem Stan- desamt geschlossene Ehe weiterhin als Sakrament zu be- (Unruhe bei der SPD – Zurufe von der SPD: trachten und durch einen Akt in der Kirche noch beson- Ah!) ders hervorzuheben? – Nein! Was aber tun wir? Wir folgen unserem verfassungs- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- mäßigen Auftrag aus Art. 1 des Grundgesetzes: „Dienen und Kollegen, ich bitte Sie, ruhig zu sein; denn ich Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu muss mitbekommen, welcher Geschäftsordnungsantrag schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wir gestellt wird. Geben Sie mir also eine Chance! Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12629

(A) Friedrich Merz (CDU/CSU): Da heute Morgen aus ei- stammt. Wie das funktioniert, kann ich Ihnen gerne unter (C) nem Brief des Bundesinnenministers, den dieser an den vier Augen erklären, falls Sie sich das nicht vorstellen Vorsitzenden der SPD-Fraktion geschrieben haben soll, können. zitiert worden ist, möchte ich beantragen, dass wir Gele- (Heiterkeit und Beifall bei der PDS sowie des genheit bekommen, von der anwesenden Parlamentari- Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]) schen Staatssekretärin beim Bundesminister des Innern über zwei Sachverhalte informiert zu werden, bevor wir Mein Sohn lebt mit meiner Lebensgefährtin und mir in die Abstimmung eintreten. sehr wohl in einer Verantwortungsgemeinschaft. Ich kann einem Gesetz nicht zustimmen, das Lesben und Schwulen Ich möchte Sie bitten, Frau Kollegin, dem Deutschen bescheinigt, keine Eltern sein zu können, bzw. ihnen ver- Bundestag darüber Auskunft zu geben, ob Ihr Minister bietet, Eltern zu werden. tatsächlich einen solchen Brief geschrieben hat und – wenn ja – ob darin die Bedenken hinsichtlich derVer- Nicht einmal eine Stiefelternadoption ist in Zukunft fassungsmäßigkeit des heute auf der Tagesordnungmöglich. stehenden und zu beschließenden Gesetzes seitens des Verfassungsministers der Bundesrepublik Deutschland (Margot von Renesse [SPD]: Mutter eines Kin- aufrechterhalten werden oder nicht. Ich meine, der Deut- des ist diejenige, die das Kind geboren hat!) sche Bundestag hat einen Anspruch darauf, dies zu erfah- – Ich bin eine Komutter. Hören Sie bitte genau zu, Frau ren, bevor wir in die Schlussabstimmung eintreten. von Renesse! Eine Komutter ist diejenige, die das Kind (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht geboren hat. – Was ist eigentlich für Sie das Pro- blem, wenn sich zwei Menschen freiwillig und verant- wortlich um ein Kind kümmern wollen? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das ist ein Ge- schäftsordnungsantrag in Form eines Verfahrensantrags. Ein gemeinsames Sorgerecht oder ein gemeinsames Gibt es weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsord- Adoptionsrecht wird es ebenfalls nicht geben. Einem sol- nungsantrag? Wird eine Aussprache gewünscht? – Das ist chen Gesetz kann ich meine Zustimmung nicht geben. nicht der Fall. Dann lasse ich über diesen Verfahrensan- Drittens. Zu dem Punkt Unterhalt und Steuern hat der trag abstimmen. Wer unterstützt den eingebrachten Ver- Kollege Westerwelle schon alles gesagt. Ich kann seine fahrensantrag? – Ausführungen nur unterstreichen. ( [SPD]: Das sind zu wenige!) Viertens. Auch wenn sich die Lebenssituation von bi- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – nationalen Paaren bessert und der Staat erstmals Bezie- hungen zwischen Schwulen und Lesben anerkennt, so (B) (Alfred Hartenbach [SPD]: Das war das Er- kann ich doch einem Gesetz mit solch gravierenden(D) bärmlichste, was Sie je geboten haben, Herr Lücken nicht zustimmen. Merz! Wie ein Oberschüler benehmen Sie sich!) (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Der Geschäftsordnungsantrag in Form eines Verfahrens- antrags ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen zu gen die Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung abgelehnt worden. über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnis- ses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Lebens- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das partnerschaftsgesetzes auf Drucksache 14/3751. Der schlechte Gewissen von Rot-Grün!) Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4545 unter Es folgt jetzt eine Erklärung zur Abstimmung der Ab- Buchstabe a, die nicht der Zustimmung des Bundesrates geordneten Sabine Jünger. Bitte. bedürfenden Teile des Gesetzentwurfs als Lebenspartner- schaftsgesetz in der Fassung der Anlage 1 und die zu- stimmungsbedürftigen Teile als Lebenspartnerschaftsge- Sabine Jünger (PDS): Frau Präsidentin! Meine Da- setzergänzungsgesetz in der Fassung der Anlage 2 der men und Herren! Ich werde den Entwurf eines Gesetzes Beschlussempfehlung anzunehmen. zur Lebenspartnerschaft ablehnen. Ich habe dafür fol- gende Gründe: Wir stimmen zunächst ab über das Lebenspartner- schaftsgesetz in der Ausschussfassung auf Drucksache Erstens. Mit dem Gesetzentwurf werden Diskriminie- 14/4545, Anlage 1. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetz- rungen fortgeschrieben. Frau Däubler-Gmelin hat selbst entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um nur von einem Abbau der Diskriminierungen gesprochen. das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ich bin ihr dafür sehr dankbar. Lesbische und schwule Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- Paare werden qua Gesetz schlechter als heterosexuelle men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Paare gestellt. CDU/CSU und F.D.P. und einigen Stimmen aus der PDS Zweitens. Die Situation von lesbischen und schwulen bei mehrheitlicher Enthaltung der PDS und bei einer Ent- Eltern und Koeltern bessert sich nicht. Frau Falk, ich bin haltung aus der F.D.P. angenommen. selbst eines der zahlreichen Beispiele für den – wie Sie es Dritte Beratung nannten – regenerativen Beitrag von Lesben und Schwu- len. Ich bin Komutter eines Sohnes, der übrigens, Herr und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Hartenbach, nicht aus einer vorherigen BeziehungGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer 12630 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- (C) ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in Stimmenverhältnis angenommen worden. zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen und der CDU/CSU gegen die Stimmen der PDS bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Enthaltung der F.D.P. abgelehnt worden. Damit entfällt DIE GRÜNEN) die weitere Beratung und wir sind am Ende der Abstim- Wir stimmen nun ab über den zweiten vom Rechtsaus- mungen. schuss zur Annahme empfohlenen Gesetzentwurf, das Le- benspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz auf Drucksa- Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf: che 14/4545, Anlage 2. Ich bitte diejenigen, die diesem Erste Beratung des von den Abgeordneten Ilse Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol- Aigner, Werner Lensing, Dr. Gerhard Friedrich len, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun- (Erlangen), weiteren Abgeordneten und der Frak- gen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Ersten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegs- Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. und gegen drei Stim- fortbildungsförderungsgesetzes (1. AFBG-Än- men aus der PDS bei sonstiger Enthaltung der PDS und derungsgesetz) einer Enthaltung aus der F.D.P. angenommen. – Drucksache 14/4250 – Dritte Beratung Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Technikfolgenabschätzung (f) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer Ausschuss für Wirtschaft und Technologie stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ist damit in dritter Lesung angenommen worden. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Kein Wi- 14/4551. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – derspruch? – Dann ist so beschlossen. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs- antrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen Da es hier größere Personenbewegungen gibt, warte von CDU/CSU abgelehnt worden. ich ein bisschen mit der Eröffnung der Debatte. Bitte ver- lassen Sie den Plenarsaal, wenn Sie etwas zu besprechen Abstimmung über den Entwurf eines Eingetragene- oder zu feiern haben. (B) Lebenspartnerschaften-Gesetzes der Fraktion der F.D.P. (D) auf Drucksache 14/1259. Der Rechtsausschuss empfiehlt (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Affiges auf Drucksache 14/4545 unter Buchstabe b, den Gesetz- Gehabe bei den Grünen!) entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeord- entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge- nete Ilse Aigner. genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der Kollegin Falk abgelehnt Ilse Aigner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsiden- worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute steht die erste Lesung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur die weitere Beratung. Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der– besser bekannt unter Meister-BAföG – auf der Tages- Fraktion der F.D.P. zur Änderung des Bürgerlichen Ge- ordnung. Diesen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzbuches – das betrifft das Wohnrecht hinterbliebener erarbeitet und eingebracht, nachdem die Bundesregierung Haushaltsangehöriger – auf Drucksache 14/326. Dertrotz mehrfacher Ankündigungen bis heute untätig ge- Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/4545 unter blieben ist. Im Sinne desWirtschafts- und Bildungs- Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die- standortes Deutschland halten wir dies für ein schwer- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um wiegendes Versäumnis. das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim- neten der F.D.P.) men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS abgelehnt Zur Erinnerung die Historie: Am 1. Januar 1996 trat worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung das erste Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, das die weitere Beratung. AFBG, in Kraft. Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Ge- Fraktion der PDS zur Übernahme der gemeinsamen Woh- schichte fängt aber vor 1996 an!) nung nach Todesfall des Mieters oder des Mitmieters auf Im Herbst 1998 wurde der Haushaltsplanentwurf 1999 Drucksache 14/308. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf – damals noch unter Finanzminister Lafontaine – vorge- Drucksache 14/4545 unter Buchstabe d, den Gesetzent- legt. Es stellte sich heraus, dass die für das Meister- wurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- BAföG vorgesehenen Haushaltsansätze von 167 Milli- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12631

Ilse Aigner (A) onen auf 80 Millionen DM gekürzt wurden. Die – wie ich Es ist als Gegenstück zum BAföG im akademischen Be- (C) fast sagen muss – lapidare Begründung der rot-grünen reich anzusehen. Auch die Aufstiegswilligen in der berufli- Bundesregierung und seitens der SPD und der Grünen chen Bildung sollen die Möglichkeit erhalten, sich beruf- war, dass die in den Haushalt eingestellten Mittel nicht ab- lich weiterzuentwickeln, ohne aus finanziellen Gründen gerufen worden seien. Damals wäre es eine logische Kon- daran gehindert zu sein. sequenz gewesen, zu überprüfen, ob die Richtlinien viel- Dem von der früheren Bundesregierung geschaffenen leicht verbesserungsbedürftig wären. Aber nein, die AFBG kommt eine große Bedeutung zu. Es fördert den Mittelansätze wurden gekürzt. Mittelstand und spielt gerade in diesem Bereich eine ent- Deshalb brachte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion scheidende Rolle. Denn der Mittelstand ist und bleibt Ar- am 16. März 1999 einen Antrag zum Ausbau der Förde- beitgeber und Ausbildungsplatzgeber Nummer eins. Eine rung der beruflichen Aufstiegsfortbildung auf den Weg, Vielzahl selbstständiger beruflicher Existenzen ist die Vo- der von der Regierungsseite natürlich abgelehnt wurde. raussetzung für den Erhalt und den Ausbau der Wettbe- Am 11. Juni 1999 veröffentlichte die Bundesregierung ei- werbsfähigkeit der Wirtschaft. Das AFBG fördert die Her- nen Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme stellung der Gleichwertigkeit von akademischer und des AFBG, in dem festgestellt wurde, dass deutlicher Re- beruflicher Bildung als zentrales bildungspolitisches Ziel. formbedarf besteht. Die Reaktion darauf war, dass imLast but not least: Im Gegensatz zu der früheren AFBG- Herbst 1999 der Ansatz im Haushaltsentwurf für das Jahr Förderung ist es ein Leistungsgesetz und kein Kannge- 2000 wiederum, von 80 Millionen DM auf 78 Millio- setz. nen DM, gesenkt wurde. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist der Am 26. November 1999 legte der Bundesrat eine Stel- wahre Fortschritt!) lungnahme zum Bericht der Bundesregierung vor, die deutliche Verbesserungsvorschläge beinhaltete. Wie- Der Reformbedarf hat sich nach den Erfahrungen mit derum war die Reaktion darauf in Bezug auf den Haus- dem AFBG in den ersten Jahren auch aufgrund von ver- haltsentwurf für das Jahr 2001 – eingebracht im Septem- änderten Rahmenbedingungen ergeben. Es ist nach wie ber 2000 –, dass die Mittel erneut, von 78 Millionen DM vor ein Rückgang der Zahl von Betriebsnachfolgerinnen auf 70 Millionen DM, gekürzt wurden. Deshalb haben wir und -nachfolgern zu erwarten. Das ist ein schwerwiegen- von der CDU/CSU-Fraktion diesen Gesetzentwurf zur des Problem, mit dem wir in Zukunft zu kämpfen haben Novellierung des AFBG am 10. Oktober 2000 beschlos- dürften. sen und neu eingebracht. Ferner gibt es – explizit im Mittelstand – einen stetig Offensichtlich hat die Regierung aufgrund des durch steigenden Bedarf an qualifizierten Fachkräften. Auf (B) diesen Gesetzentwurf entstandenen Drucks am 29. Okto- dem Ausbildungsstellenmarkt ist die Lage – insbesondere (D) ber 2000 eine Reform angekündigt. Ich habe dies nur aus in den neuen Ländern – noch immer angespannt. Schließ- der Presse erfahren und halte dies für ein etwas merkwür- lich wollen wir natürlich auch einen Umbau in der Wirt- diges Verfahren. schaft zu einer Kultur von mehr Selbstständigkeit in Deutschland. Die Reform der AFBG ist ein wichtiges Zei- (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das kann man chen in diese Richtung. wohl sagen! Typisch!) Als weiterer Punkt hat sich herausgestellt, dass die För- Es gibt angeblich einen Referentenentwurf, dessen ge- derung für diejenigen, die gefördert werden sollen, noch naue Eckzahlen ich noch nicht kenne. Ich weiß nur, wie in nicht attraktiv genug ist. Der Zuschussanteil bei der För- der Zeitung zu lesen war, dass es zu einer Aufstockung um derung erscheint vielen als zu gering, die Darlehensrück- 10 Millionen DM kommen soll. Dies ist während der zahlungspflicht damit als zu hoch und der Existenzgrün- Haushaltsberatungen im Wirtschaftsausschuss wohl auch dungsansatz als zu niedrig. Das wollen wir mit dem so beschlossen worden. Aber ich erinnere daran: Durch vorliegenden Gesetzentwurf ändern. die Aufstockung um 10 Millionen DM wird – nach einer Kürzung um über die Hälfte beim Haushaltsentwurf für Zur Steigerung der Attraktivität der Förderung haben das Jahr 1999 – gerade das Niveau von 80 Millionen DM wir Folgendes vorgeschlagen: eine maßgebliche Er- erreicht. höhung des Förderbetrags, die Schaffung eines Zuschuss- anteils beim Unterhalts- und beim Maßnahmebeitrag (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das muss man sich einmal anhören! Unglaublich! – Gegenruf (Werner Lensing [CDU/CSU]: Was dringend von der SPD: Meine Güte!) nötig ist!) Aus unserer Sicht ist dies wahrlich kein Sieg, überhaupt und eine Stärkung der Existenzgründerkomponente, das nicht im Sinne der Fortbildungswilligen und in keinerheißt, höhere Erlassbeträge und längere Fristen, insbe- Weise angemessen. sondere bei der Karenzzeit. Die Ziele des AFBG in kurzen Stichworten: Angestrebt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wird die Sicherung des Zukunftsstandortes Deutsch- neten der F.D.P.) land. Das AFBG soll zur Herstellung der Gleichwertig- Ferner soll eine noch immer bestehende Ungleichbe- keit von beruflicher und akademischer Bildung führen. handlung im Vergleich zur BAföG-Förderung korrigiert (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das war ein werden. Es gibt gerade in der beruflichen Ausbildung in Meilenstein!) diesem Bereich zusätzliche Kostenfaktoren, die bei der 12632 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Ilse Aigner (A) akademischen Ausbildung nicht bestehen, nämlich Lehr- Eine Opposition träumt von Idealvorstellungen,(C) gangs- und Prüfungsgebühren. Diese wollen wir zumin- weckt in verantwortungsloser Weise völlig unrealis- dest zu einem Teil als Zuschuss und zu einem Teil als tische Erwartungen und erhebt zugleich die höchsten Darlehen mitfinanzieren. finanziellen Forderungen an den Bund. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das ist eine (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das muss aber Frage der Gerechtigkeit!) begründet werden, Herr Kollege!) Wir wollen den Zuschussanteil beim Unterhaltsbeitrag Da hatte der ehrlich geschätzte Kollege Lensing von der – angeglichen an die entsprechende BAföG-Förderung – CDU doch wirklich Recht, als er vor fünf Jahren in der erhöhen. 50 Prozent sollen als Zuschuss und 50 Prozent Debatte zum Meister-BAföG diese Feststellung traf und als Darlehen gezahlt werden. sinnigerweise anmerkte, dass für eine Opposition be- kanntlich nichts einfacher sei als diese Politik der Verant- Ferner hat sich ein Nachbesserungsbedarf im Hinblick wortungslosigkeit. Ihr Gesetzesvorschlag bewegt sich auf ein zweites Fortbildungszielergeben. Es gibt be- heute auf dieser Linie. stimmte Ausbildungsgänge, die nicht die Möglichkeit zur Selbstständigkeit und damit zur Schaffung von mehr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ausbildungsplätzen eröffnen. In diesen soll die Förde- DIE GRÜNEN) rung der Erreichung eines zweiten Fortbildungsziels er- Zugleich ist für eine Opposition, die vorher 16 Jahre möglicht werden. lang Regierung war, nichts schwerer, als ihrer eigenen Ge- Ein weiterer Punkt ist die Familienförderung. Insbe- schichte auszuweichen und nicht mit ihren Fehlern kon- sondere im Hinblick auf Frauen hat sich herausgestellt, frontiert zu werden. Deshalb kann und will ich Ihnen nicht dass eine Förderung von Teilnehmern in Teilzeitmaßnah- ersparen, Sie noch einmal an Folgendes zu erinnern: 1993 men für diejenigen Frauen, die Kinder erziehen, einehaben Sie die sehr effektive und zweckmäßige Förderung durchaus sinnvolle Angelegenheit sein könnte. Frauen er- nach dem AFG ersatzlos gestrichen. Drei Jahre lang hat hielten so die Gelegenheit, anstatt einen Halbtagsjob zu sich gar nichts getan, erst 1995 haben Sie das so genannte ergreifen, sich halbtags fortzubilden, um damit den Wie- Meister-BAföG durchgesetzt. Jahr für Jahr haben Sie zu- dereinstieg in den Beruf zu finden. Deshalb haben wir die gesehen, wie die hohen Erwartungen, die durch das Ge- Ausdehnung der Zahlung eines Unterhaltsbeitrags auf er- setz geweckt worden waren, nicht Wirklichkeit wurden. ziehende Maßnahmeteilnehmer in Teilzeitform und über- 90 000 angehende Meister sollten gefördert werden. Am dies die Erhöhung der Beiträge für den Gatten oder die Ende waren es weniger als die Hälfte. Das Meister- Gattin bzw. den Partner oder die Partnerin und die Kinder BAföG sollte eine runde Sache werden. Jetzt ist es mit einer Fülle von Feststellungen evaluiert worden, die lau- sowie eine Erhöhung des Kinderbetreuungszuschusses in teten, dass es bürokratisch, wirklichkeitsfremd und unzu- (B) den Reformansatz aufgenommen. (D) reichend ist. Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt bezieht sich auf die Sie haben in Ihren Haushaltsplänen immer hohe fiktive Frage der Verwaltungsvereinfachung. Wir haben die Ein- Zahlen eingesetzt, die die Leute aber nicht erreicht haben. stufigkeit des Antragsverfahrens und die Streichung der Wir haben es auch nur als Ausdruck Ihres schlechten Ge- Vermögensanrechnung vorgeschlagen. Es hat sich he-wissens werten können, dass Sie schon im März 1999, ge- rausgestellt, dass diejenigen, die man mit der Vermö-rade fünf Monate nach dem Regierungswechsel, mit gensanrechnung treffen will, nämlich die Kinder reicher einem Vorschlag vorgeprescht sind, mit dem Sie 400 Mil- Eltern, gar nicht belastet werden, weil nicht das Vermögen lionen DM für Verbesserungen einbringen wollten. Auch der Eltern, sondern das Vermögen des Betreffenden ein- jetzt noch, im November 2000, präsentieren Sie Pläne, die bezogen wird und dadurch der Kapitalstock, den der Be- eine Steigerung des Finanzvolumensum mindestens treffende später zur Existenzgründung gut brauchen200 Prozent vorsehen. Obwohl Ihr Gesetz gerade dazu könnte, stark angegriffen wird. führte, dass 60 Millionen DM abfließen, möchten Sie der Wir haben mit der Einbringung des Gesetzentwurfs im neuen Regierung mal eben ein Finanzierungsvolumen Sinne der beruflichen Weiterbildung ein Zeichen gesetzt von über 120 Millionen DM zusätzlich abverlangen. und nicht nur vage Ankündigungen gemacht. Ich fordere Das halten wir für einen unseriösen Weg, den wir nicht Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regie- mitgehen wollen. rungskoalition, auf, im Ausschuss und natürlich auch im Plenum unserem Gesetzentwurf zuzustimmen und nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den eventuell irgendwann in Gesetzentwurfsform gegos- DIE GRÜNEN) senen, angeblich bestehenden Referentenentwurf abzu- Wir wollen uns an vier Eckpunkten orientieren: warten. Erstens. Wir wollen eine Reform des Gesetzes vorle- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen, die wir auch wirklich finanzieren können. Zweitens. Wir werden ein Gesetz machen, bei dem die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat eingeplanten Mittel auch wirklich bei den Menschen an- jetzt der Kollege Ernst Dieter Rossmann. kommen. Drittens. Wir wollen mit unserer Reform dafür sorgen, Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsiden- dass die Förderung der beruflichen Fortbildung auf mehr tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Berufsfelder ausgedehnt wird und sich nicht nur auf die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12633

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) klassische Meisterausbildung bezieht. Sie soll moderni- aber man muss doch fragen dürfen, ob es wirklich unzu- (C) siert und entbürokratisiert werden. mutbar ist, dass dann, wenn ein hohes Vermögen beim jeweiligen Meister und Existenzgründer, aus welchen Schließlich ist uns viertens klar, dass wir mit unserer Gründen auch immer, vorhanden ist, dieses berücksichtigt Gesetzesinitiative eine neue Richtung einschlagen müs- werden soll, wenn es um Fortbildung und Existenzsiche- sen, um dann Schritt für Schritt weitere Verbesserungen rung geht. Ist die Anrechnung nicht eine zwingende Kon- hierauf aufbauen zu können. sequenz aus wohlverstandener Subsidiarität? Die Einbringung eines solchen Gesetzentwurfs erwar- Vielleicht wird der Unterschied an einer anderen Stelle ten wir von der Regierung in der Form, dass die Reform noch klarer. Wir wundern uns, dass Sie die staatlich aner- im Jahr 2001, wie versprochen, wirksam wird. kannten Fortbildungen im Gesundheits- und Pflegebe- Wir freuen uns in der Tat und es ist gut, dass wir bei der reich und an staatlichen anerkannten Ergänzungsschulen Verabschiedung eines solchen Gesetzes in etlichen Punk- nicht mit einbeziehen wollen. Wir können das nicht ver- ten große Übereinstimmung in diesem Haus erleben wer- stehen und es nur bedauern, dass die CDU/CSU diese Er- den. Dafür spricht immerhin, dass die jetzige Opposition weiterung des Fortbildungsanspruches in ihrem Gesetz- frühere Fehler korrigieren möchte, entwurf nicht vorschlägt. Denn es ist doch ein Erfordernis der Zukunft, dass Aufstiegsqualifizierungen in Gesund- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heits- und Pflegeberufen, in Wirtschaftsberufen und auch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in anderen Bereichen, zum Beispiel dem Kommunika- zum Beispiel in Bezug auf das Antragsverfahren nach dem tionsbereich, mit einbezogen werden. Wir wären ignorant, AFBG, das wir durch die Reduzierung der Zahl der An- wenn wir dies aus der Förderung ausklammern würden. träge und ein erleichtertes Darlehensverfahren vereinfa- Neben viel Übereinstimmung und solchen grundsätzli- chen wollen. Ein Fehler war auch, dass sich die Förderung chen Differenzen wird es sicherlich so sein, dass wir in der bisher nur auf die erste Fortbildung bezog. Wir wollen sie Wirklichkeit kleinere Schritte gehen müssen, als die Op- auf eine sinnvolle Zweitfortbildung ausweiten. Auch den position jetzt leichthin machen möchte. Ich nenne hier als Fehler, dass Familien, Frauen und Alleinerziehende inBeispiel, dass das alte Gesetz von CDU/CSU und F.D.P. Ihrem Gesetz ungenügend berücksichtigt worden sind, bisher keinerlei Zuschüsse zum Maßnahmebeitrag, wollen wir beheben, indem wir die Kinderzuschläge und sprich: den Lehrgangskosten, den Prüfungskosten und an- die Kinderbetreuungszuschüsse für Alleinerziehende er- deren Aufwendungen, vorsah, die CDU/CSU dafür jetzt höhen wollen. Schließlich wollen wir, nachdem der Aus- aber 50 Prozent dieser Aufwendungen erstatten möchte. länderanteil in der Aufstiegsfortbildung in Ihrem Gesetz Das macht ja Ihrer Einschätzung nach auch nur die Klei- nicht zum Tragen kommen konnte, nigkeit von 60 Millionen DM aus. Für die Betroffenen (B) (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar wird gelten, dass wir schon viel erreicht haben, wenn wir (D) nicht! Das ist auch bei uns drin!) den Einstieg in eine 20-prozentigeBezuschussung des Maßnahmebeitrages realisieren können, und zwar nicht dafür sorgen, dass in Deutschland lebende ausländische nur für die bislang privilegierte Vollzeitfortbildung, son- Fachkräfte und Handwerker bereits nach drei Jahren Be- dern auch für die Teilzeitfortbildung, was ein echter rufstätigkeit gefördert werden können. Durchbruch für alle wird. (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Sie haben unser Ge- Ein zweites Beispiel. Während die CDU/CSU/F.D.P.- setz offensichtlich nicht gelesen!) Regierung noch einen Darlehenserlass für die Existenz- – Sie sagen, wir hätten es nicht gelesen. Aber hören Sie gründung in Höhe von 50 Prozent des Maßnahmedar- doch bitte zu! Wir werden das jetzt gemeinsam korrigie- lehens als ausreichend ansah, wollen Sie diesen jetzt glatt ren. Sie wollen es korrigieren, wir wollen es korrigieren; verdoppeln. Auch hier können wir nur sagen: Wenn wir aber wir müssen doch Ihr Gesetz und nicht unser Gesetz ihn auf 75 Prozent anheben können, haben wir für die be- korrigieren. Das ist die kleine Differenz. Wir freuen uns, treffenden Menschen viel erreicht. dass Sie alle dabei mitmachen wollen. Ein drittes Beispiel. Während es bisher keinerlei Darle- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hen oder Zuschüsse zum teilweise aufwendigen Meister- DIE GRÜNEN) stück gibt – was Sie auch schon hätten ändern können –, werden wir erstmals eine substanzielle Hilfe in das Gesetz Auf der anderen Seite gibt es deutliche Unterschiede, einbringen. Das wird eine echte Unterstützung für die Be- auch in der Ausrichtung des Reformbedarfs. Wir können troffenen sein. uns dabei des Eindrucks nicht erwehren, dass die Opposi- tion unter Verstoß gegen eigene Grundsätze zu falschen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vorschlägen kommt und radikal über das Ziel hinaus- DIE GRÜNEN) schießt. Die Opposition sieht uns deshalb in großer Gelassen- (Zuruf von der CDU/CSU: „Eigene Grund- heit; denn wir wissen: Am Ende sind wir, SPD und Bünd- sätze“? Das ist ein hartes Wort!) nis 90/Die Grünen, es, die wirkliche Verbesserungen auf den Weg bringen. Wo nach dem alten Gesetz noch eine Vermögensheran- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ziehung oberhalb der BAföG-Freibeträge für erforderlich DIE GRÜNEN) gehalten wurde, will die CDU/CSU diese Vermögensan- rechnung jetzt vollkommen streichen. Die Freigrenzen Am Ende sind wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, es, müssen sicherlich aus guten Gründen angehoben werden; die dafür sorgen, dass wir in Deutschland berufliche 12634 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) Fortbildung wieder voranbringen können, dass die quali- desausbildungsförderungsgesetz und solange dieses(C) fizierten Arbeitnehmer in vielen Berufsfeldern zusätzlich nicht neu strukturiert ist, wie es die F.D.P.-Bundestags- motiviert werden und dass es auch neue Chancen für Exis- fraktion gefordert hat, bzw. bevor es nicht weiter repariert tenzgründungen gibt. ist, wie es die SPD nun letztendlich vorhat, ist es verfrüht, Wir sind wirklich gelassen; wir freuen uns auf das Ge- dieses Thema zu diskutieren. setz, das eingebracht werden wird, und darauf, dass wir Doch wenn das so ist, dann kann ich der Bundesminis- dann mit großer Mehrheit in diesem Parlament etwas ver- terin einen Vorwurf nicht ersparen: Sie haben wider bes- abschieden können, was ein Baustein mehr ist nach dem seres Wissen die Leute landauf, landab an der Nase he- Muster: Versprochen, Reform gemacht und am Ende Wort rumgeführt. gehalten. (Beifall bei der F.D.P.) Danke schön. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Pressekon- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ferenz und die Presseinformation vom 29. Oktober 1999 DIE GRÜNEN) unter der Überschrift „Bundesregierung nimmt Reform des Meister-BAföG in Angriff“, worin Staatssekretär Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat Catenhusen, der heute auch anwesend ist, bessere Chan- jetzt Kollegin Cornelia Pieper. cen für Existenzgründungen und Fortbildung versprach. In der Debatte erklärte er uns, wie die rot-grüne Koalition mit einem erneuerten Aufstiegsfortbildungsförderungsge- (F.D.P.): Verehrte Frau Präsidentin! Cornelia Pieper setz die Gleichwertigkeit von beruflicher und Allgemein- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollten wir bildung stärken will und dabei die berufliche Aufstiegs- uns über den vorliegenden Gesetzentwurf der Unions- fraktionen, über den jetzt hier im Haus beraten wird,förderung einen Schritt voranbringen möchte. freuen. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, wir haben eine So schön, so gut. Herr Catenhusen äußerte sich damals Diskussion im Ausschuss vor uns und das ist doch etwas so zu den Initiativen der Union: Ihrer Anstrengungen, mit- ganz Wesentliches; denn von Ihnen liegt ja im Moment hilfe dieses Gesetzentwurfs eine Diskussion loszutreten, noch nichts vor, trotz vieler Ankündigungen. bedarf es nicht. (Werner Lensing [CDU/CSU]: Seit Monaten Zwischen den Zeilen ließ er damals schon die Katze aus nichts, gar nichts! – Lachen bei der SPD – dem Sack. Er sagte: Nach gründlicher Erörterung des Er- Detlev von Larcher [SPD]: Das ist ja furchtbar! fahrungsberichts über die Umsetzung und Inanspruch- Das ist ja entsetzlich! Das ist ja geradezu haar- nahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes im sträubend!) Kabinett werden wir dem Parlament Veränderungen des (B) (D) Herr Kollege Rossmann, ich will einmal Ihre Worte Aufstiegsfortbildungsrechts im sachlichen und zeitlichen dazu zitieren, was das Meister-BAföG kostet. Wir alle hier Zusammenhang mit der Reform des BAföG und in ge- im Haus wollen, dass die allgemeine und die berufliche nauerer Kenntnis des Finanzbedarfs vorschlagen. Bildung gleichgestellt werden. Wir wollen Gleichrangig- (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Ja, wo ist es denn?) keit. Der Bund bezahlt – im Haushaltsentwurf ist es so ent- halten – 1,57 Milliarden DM BAföG an Studierende, und Ich bin kritisiert worden, weil ich damals schon sagte: im Haushaltsentwurf 2001 sind jetzt 70 Millionen DM für Veränderungen beim BAföG, zu dem dem Parlament im das Meister-BAföG vorgesehen. Übrigen bis heute kein Gesetzentwurf vorliegt, werden auf die lange Bank geschoben. Die Mehrkosten bei Annahme des Gesetzentwurfs der Unionsfraktionen würden für den Bund rund 115 bis (Werner Lensing [CDU/CSU]: Ganz typisch 120 Millionen DM betragen. Ich glaube, bei Verwendung wieder! – Ilse Aigner [CDU/CSU]: Unerhört!) der Zinsersparnisse, die aus der Schuldentilgung mithilfe Obwohl Frau Bulmahn Anfang des Jahres 1999 schon der UMTS-Erlöse resultieren und die ja immerhin 5 Mil- wusste, dass die von ihr vorgeschlagene große Strukturre- liarden DM betragen, hätte man auch diese Finanzierung form des BAföG in einer weiteren Reparaturnovelle en- leicht auf den Weg bringen und durchsetzen können. den wird, verkündeten Sie weiterhin vollmundig, Sie wol- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – len mehr Meister-BAföG verteilen. Meine Damen und Werner Lensing [CDU/CSU]: Müssen!) Herren, vor diesem Hintergrund scheint der Gesetzent- wurf der Unionsfraktion tatsächlich eine Erleichterung zu Seit unserer Debatte am 25. März 1999 ließen Sie, werden. meine Damen und Herren von der Koalition, und auch diese Bundesregierung keine Chance ungenutzt, um eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) – Zu- umfassende Reform des Meister-BAföG anzukündigen. ruf von der CDU/CSU: Eine objektive Darstel- Die Öffentlichkeit glaubte, es ist alles auf gutem Weg. lung!) (Zuruf von der SPD: Ist es auch!) Es bedarf wahrscheinlich einmal mehr eines Versuchs der Opposition, die Diskussion über das am 1. März 1996 In Wahrheit ist aber nichts geschehen. auch auf Antrag der F.D.P. vom Deutschen Bundestag (Werner Lensing [CDU/CSU]: Frau Pieper hat beschlossene Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz den Recht!) Erfordernissen der Zeit anzupassen. Nun gut, man kann sagen, das Meister-BAföG in sei- Nun, die Unterrichtung durch die Bundesregierung ner heutigen Form hat einen gewissen Bezug zumBun- im Bericht über die Umsetzung und Inanspruchnahme Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12635

Cornelia Pieper (A) des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes vom 11. Ju- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr (C) ni 1996 kennen wir. Wir haben ausführlich darüber disku- Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Kolle- tiert. Die Knackpunkte – Sie erinnern sich – waren die gen und Kolleginnen von der CDU/CSU, ich wäre mit Forderung nach einer Verwaltungsvereinfachung des An- dem Klatschen nicht gar so voreilig. Meine Vorrednerin tragsverfahrens, die Prüfungs- und Lehrgangsgebühren hat nämlich nur davon gesprochen, dass sie der Überwei- den Meisterschülern im Rahmen des Darlehens zu erlas- sung zustimmt. Sie hat nicht so richtig davon gesprochen, sen, die Karenzzeit bis zur Existenzgründung zu verlän- dass sie Ihrem Gesetzentwurf zustimmt. gern, die Existenzgründung auch während der Meister- ausbildung zu berücksichtigen, die Bedingung zur (Werner Lensing [CDU/CSU]: Aber sie war Einstellung von mindestens zwei Mitarbeitern auf zwei letztlich begeistert! – Cornelia Pieper [F.D.P.]: Jahre zu verlängern und vieles andere mehr. Sie haben nicht richtig hingehört!) (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Das sind zweierlei Dinge. So wie wir die F.D.P. kennen, Seiters) kommt vielleicht noch ein Änderungsantrag. Ich an Ihrer Stelle wäre also nicht voreilig. Union und F.D.P. haben mit dem AFBG damals Neu- land betreten, indem wir Grundforderungen aufstellten, Heute reden wir über das Gesetz zur Förderung der be- die Gleichwertigkeit zwischen der beruflichen und all- ruflichen Aufstiegsfortbildung, das so genannte Meister- gemeinen Bildung zu fördern und den Einzelnen bei der BAföG, über das wir in dieser Wahlperiode schon debat- beruflichen Aufstiegsfortbildung seinen Neigungen, Be- tiert haben. Sie haben dieses Gesetz wieder hervorgeholt. gabungen und Fähigkeiten entsprechend zu unterstützen. Das hat einen Grund. Wir haben damals gesagt, wir möch- Vor dem Hintergrund sich abzeichnender Betriebsüber- ten das Ganze noch einmal wissenschaftlich überprüfen. nahmen in mittelständischen Bereichen in den nächsten Das Ergebnis liegt jetzt vor. Jahren haben wir bewusst die Existenzgründungskompo- nente berücksichtigt. Aber gut, wir haben dieses Gesetz Sie haben bestimmte Punkte des Gesetzes aufgegrif- auch an das Bundesausbildungsförderungsgesetz gekop- fen – inhaltlich ändert sich letztlich nicht viel –, deren pelt. Sie kennen unseren Vorschlag. Das ist in der Umset- Richtigkeit wir schon damals bejaht haben und denen wir zung mit Ihnen in der Tat sehr kompliziert. auch heute in dieser Form zustimmen. Herr Catenhusen sagte uns damals, die Bundesregie- In der Tat hat das Gesetz zur Förderung der beruflichen rung möchte mit der Novellierung des AFBG ebenfalls Aufstiegsfortbildung, das Sie hier in der vergangenen Wahl- die Gleichwertigkeit herstellen, die Familienkomponente periode verabschiedet haben, nicht die Quote an Existenz- prüfen, mehr Chancen auf eine Aufstiegsfortbildunggründungen in Deutschland erbracht, die Sie sich erhofft ha- schaffen und damit insgesamt eine bessere Förderung er- ben. Ihr Gesetz war lange nicht so erfolgreich, wie Sie es (B) reichen. Auch den Verfahrens- und Verwaltungsaufwand sich gewünscht hatten. Es gab Mängel in der Ausführung. (D) wollte die SPD reduzieren. Bisher ist nichts passiert. Es war zu bürokratisch. Allein das Antragsformular ist Genau das setzt der Gesetzentwurf der Union heute 25 Seiten lang. Das ganze Verfahren ist sehr langwierig. um. Daher glaube ich, dass wir alle unter den gegenwär- Wir haben in Deutschland in der Tat gewisse Probleme. tig obwaltenden Umständen diesem Antrag auf Überwei- Wir haben, verglichen mit dem europäischen Ausland, sung zustimmen, ihn fleißig diskutieren und ihn natürlich eine geringere Quote an Selbstständigen und Existenz- auch verabschieden werden. gründern. Ein Aufstieg in Deutschland zum Meister kos- (Lachen bei der SPD – Stephan Hilsberg [SPD]: tet Geld. Viele können es sich nicht leisten, vor allem Per- Wie lange sind Sie eigentlich im Parlament?) sonen, die eine Familie haben. Für sie handelt es sich bei – Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie wahrscheinlich dem ganzen Aufwand um ein bedeutendes finanzielles am liebsten auch der Überweisung nicht zustimmen. Aber Volumen. Sie verzichten oft zugunsten ihrer Familie auf Sie kommen ja leider nicht darum herum. den Aufstieg, auf den Meistertitel. (Widerspruch bei der SPD) Wir haben in Deutschland in diesem Zusammenhang noch ein drängendes Problem, über das wir reden müssen. Das schreibt ja zum Glück unsere Geschäftsordnung in Das ist die Tatsache, dass der Generationenwechsel in den diesem Hohen Haus vor. Betrieben, der uns jetzt bevorsteht, sehr schleppend vor Also, meine Damen und Herren von der Regierungs- sich geht. koalition, leisten Sie Ihren Beitrag und diskutieren Sie eifrig mit! Dann verabschieden wir einen ordentlichen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das sollten Sie Gesetzentwurf. Ich denke, damit ist auch denjenigen ge- bei der Steuerreform berücksichtigen! Das wäre holfen, die in der beruflichen Bildung weiterkommen besser!) wollen. – Das liegt nicht an der Steuerreform, Herr Kollege. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Werner Lensing [CDU/CSU]: Nahezu staats- männisch!) Das liegt vor allem daran – die Steuerreform würde das Ganze eher noch unterstützen –, dass der Erwerb des Titels „Meister“ Voraussetzung dafür ist, Betriebe zu Vizepräsident Dr. h. c. : Ich gebe das übernehmen. Wort der Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen. (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) 12636 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Ekin Deligöz (A) Allein aufgrund dieser Vorschrift finden sehr viele kleine ja Frauen –, die auch solche Titel anstreben und deswegen (C) und mittlere Betriebe keine Nachfolger. Es fehlt häufig an einer Meisterfortbildung teilnehmen wollen? schlichtweg an diesen Formalqualifikationen. Ich sage betont: Formalqualifikation – es ist nicht die Qualifika- (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das wollen wir tion an sich, sondern die Erbringung dieses Titels. Oft ist in der gemeinsamen Beratung nacharbeiten!) aber auch das notwendige Kapital für die Ablösung nicht Die Alleinerziehenden lassen Sie bei Ihrer Definition von vorhanden, sodass aufgrund dessen eine Übernahme nicht Familie leider hinten runterfallen. Auch das wollen wir stattfindet. Die Bundesanstalt für Arbeit ist gerade da- nicht. bei, das Problem intensiv anzugehen und darüber zu be- raten, was wir diesbezüglich unternehmen können. Bei Ich komme nun zu den Kosten der Prüfungsstücke. der Lösung der Probleme, die ich hier vorgetragen habe, Sie können in der Tat teuer werden; das wollen wir ist das Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegs- berücksichtigen. fortbildung nicht alles, sondern nur ein Segment des Zurzeit liegt der Zuschussanteil beim Meister-BAföG Ganzen und soll auch als solches behandelt werden. bei 27 Prozent, während es beim studentischen BAföG Aber Sie bringen ein wichtiges Anliegen vor, das wir 50 Prozent sind. Wir sollten hier über eine Änderung re- auch teilen. Allerdings müssen wir eines hier schon fest- den. Das gilt auch für eine völlige Zinsfreiheit über den stellen: Das, was Sie heute hier präsentierten, ist gut ge- jetzigen Zweijahresrahmen hinaus. Das alles sind vor- meint; gut gemacht ist es aber nicht. stellbare Fördermöglichkeiten. Die wissenschaftlichen Auswertungen darüber liegen uns vor. Wir wollen an die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sem Baustein des Meister-BAföG, wie ich es zu Beginn und bei der SPD) erörtert habe, weiter arbeiten. Das darf aber nicht das Ein- Die auf der Grundlage Ihres alten Gesetzes eingestell- zige bleiben. ten Mittel wurden nur zu einem Bruchteil abgerufen. Wir müssen uns einmal grundlegend darüber unterhal- Heute drehen Sie das Ganze um und werfen uns vor, dass ten, was der Meisterbrief in Anbetracht der Tatsache be- nur so wenig abgerufen wurde, weil wir die Mittel gekürzt deutet, dass wir die Europäische Union weiter öffnen und hätten. Richtig ist aber nun einmal, dass wenig abgerufen voranbringen wollen: Was hat das hinsichtlich der euro- wurde, weil das Gesetz zu bürokratisch ist. Es war – so päischen Harmonisierung für Auswirkungen? Was sind wurde es auch vom Mittelstand dargestellt – ein Flop. zum Beispiel die Zugangsvoraussetzungen für den Meis- (Werner Lensing [CDU/CSU]: Ein Flop? Das terbrief? Darüber müssen wir debattieren. Das alles sind stimmt nicht! Das wurde nie gesagt! Das ent- noch ungeklärte Fragen. spricht nicht der Wahrheit!) (B) Das ganze Gesetz ist reformbedürftig. Das haben wir (D) – Es hat zumindest nicht die Wirkung gehabt, die Sie sich hier alle bestätigt. Was in diesem Bereich auf keinen Fall vor allem im Wahlkampf versprochen haben. Sie sind ja herauskommen darf, ist Flickschusterei. Nichts anderes mit diesem Gesetz auch in den Wahlkampf gegangen. schlagen Sie hier vor. Wir brauchen eine grundlegende Reform. Ein Punkt in Ihrem Gesetzentwurf ist aber sehr wich- tig: Sie plädieren dafür, dass bei einer erfolgreichen Exis- Eines möchte ich noch zum Schluss zu Ihnen, Frau tenzgründung 50 Prozent des Darlehens erlassen wer- Pieper, sagen. Sie haben gesagt – das ist mein letzter Satz, den. Auch wir reden über Bonussysteme, auch wir reden Herr Präsident –, dass wir die Mittel „verteilen“. Wir ver- über Startvorteile vor allem für erfolgreiche Existenz-teilen die Mittel nicht, sondern wir verwenden die Mittel, gründer. Wir gehen aber viel weiter als Sie und sagen: um zu gestalten. Gestalten ist etwas grundlegend anderes Wenn es tatsächlich erfolgreich sein soll, dann muss es ei- als Verteilen. nen 100-prozentigen Darlehenserlass geben. Wir wollen Was die UMTS-Lizenzen angeht, so glaube ich Ihnen auch den Förderungszeitraum generell strecken. Nicht gerne, dass Sie das Geld auch hierfür genutzt hätten. wollen wir aber, dass derFörderungszeitraum bis zur Prüfung gestreckt wird. Denn man kann das Prüfungsda- (Cornelia Pieper [F.D.P.]: Die Zinserspar- tum ja von der Ausbildung abkoppeln. Wir wollen des nisse!) Weiteren nicht, dass der Antrag nur einmal eingereicht – Ja, die Zinsersparnisse. werden kann, weil dann eine Grundlage für Mitnahme- effekte geschaffen wird. Es heißt ja nicht, dass sich zwi- Wenn man sich die Anträge Ihrer Fraktion anschaut, schenzeitlich an der finanziellen Lage der Antragsteller dann stellt man fest, dass Sie die 5 Milliarden DM nicht nichts ändern könnte. Natürlich wollen wir nur zwi- einmal oder zweimal, sondern vielfach ausgeben. schendurch Überprüfungsmöglichkeiten haben, wie es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- auch beim BAföG der Fall ist. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Dann haben Sie wieder Familienförderung die Deswegen haben Sie sich in den 16 Jahren Ihrer Regie- hineingebracht. Dabei vergessen Sie aber die Familie an rungszeit darüber gewundert, wie es zu irgendwelchen sich: Was ist beispielsweise, wenn eine Ausbildung in Haushaltslöchern kam. Wie sollen bei Ihrer Art des He- Teilzeitmaßnahmen möglich wäre? Warum heißt es bei rangehens keine Haushaltslöcher entstehen? der Familienförderung, dass grundsätzlich nur Vollzeit- maßnahmen gefördert werden können? Was ist mit den al- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lein erziehenden Frauen und Männern – meistens sind es und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12637

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die terhaltsbeiträge müssen sich wieder dem Niveau nähern, (C) Fraktion der PDS spricht die Kollegin Maritta Böttcher. das dem Arbeitslosengeld entsprechen würde. Und das dafür aufzunehmende Darlehen darf maximal die Hälfte des erforderlichen Betrages ausmachen und muss als zins- (PDS): Herr Präsident! Sehr geehrte Maritta Böttcher loses staatliches Darlehen gewährt werden. Kolleginnen und Kollegen! Trotz knapp bemessener Re- dezeit drängt es mich gerade bei dem heutigen Gegen- Im Übrigen enthält der Gesetzentwurf der CDU/CSU- stand der Debatte und seiner Geschichte – einiges istFraktion eine ganze Reihe von Vorschlägen, die ich für schon gesagt worden –, Folgendes voranzustellen: Mit richtig halte. Das betrifft vor allem die erweiterten Mög- dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentiert lichkeiten die für Ausländerinnen und Ausländer sowie CDU/CSU-Fraktion heute Positionen, die sie bei Ein-Frauen, an den Fördermaßnahmen teilzunehmen, sowie führung des AFBG unter ihrer Ägide strikt abgelehnt hat. die Verbesserung der Bedingungen für Teilzeitformen bei (Werner Lensing [CDU/CSU]: Das haben wir der Fortbildung. nicht abgelehnt! Das stimmt gar nicht!) Da unsere heutige Debatte zur beruflichen Aufstiegs- Die heutigen Regierungsparteien verhalten sich bei der fortbildung im Grunde parallel zur Debatte über die Rah- Umsetzung ihrer damaligen Kritik als Opposition mehr menbedingungen des Hochschulstudiums verläuft, liegt als zögerlich. In Wechselspielen zwischen Regierungs- mir auch daran, Folgendes klarzustellen: Die Bemühun- partei und Opposition solcher Art sehe ich ein nichtgen um die Durchsetzung und den Ausbau der Fortbil- gerade seltenes Ritual, das meiner Meinung nach der Effi- dungsförderung standen von Anfang an unter dem Motto zienz und der Akzeptanz unserer Tätigkeit in der Bevöl- „Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bil- kerung keineswegs zuträglich ist. dung“. Mit der Anbindung der beruflichen Fortbil- dungsförderung an das studentische BAföG sollte die- Nun aber zur Sache: Meines Erachtens muss die drin- sem Motto Rechnung getragen werden. gend notwendige Reform des AFBG viel stärker in den Kontext des lebenslangen Lernens und damit in die Ent- Diese Anpassung an die Förderung im Hochschulbe- wicklung der Weiterbildung als eines gleichwertigen Be- reich ist jedoch äußerst einseitig erfolgt: Übernommen standteils des gesamten Bildungssystems eingeordnetwurde im Wesentlichen die bedenkliche Seite, nämlich werden. die Festsetzung des Unterhaltsbedarfs, die in keiner Weise die im Vergleich zu den meisten Studierenden gänzlich (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben anderen Lebensumstände der Teilnehmer an Fortbil- Sie Recht!) dungsmaßnahmen berücksichtigt. Dort, wo eine Anglei- Die PDS unterstützt, nicht zuletzt auch aus arbeitsmarkt- chung im Sinne der Fortbildungswilligen läge, hat man das nicht aufgegriffen. Denn konsequente Gleichstellung (B) politischen Gründen, durchaus die Intention des AFBG (D) hinsichtlich besserer Rahmenbedingungen für Existenz- der Förderung von beruflicher Fortbildung mit der des gründer. Aber für noch entscheidender halte ich den Aus- Hochschulstudiums hieße doch: gebührenfreie Teilnahme bau der Ansätze im Gesetz, die es Arbeitnehmerinnen und an den Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und eine Arbeitnehmern, unabhängig von einer späteren Existenz- Unterhaltsregelung, die zur Hälfte aus Zuschuss und zur gründung und ohne erst arbeitslos zu werden, ermögli- anderen Hälfte aus einem zinslosen staatlichen Darlehen chen, ihre berufliche Qualifikation deutlich zu erhöhen, besteht. Von einer solchen Regelung sind jedoch sowohl sich so besser auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten und da- das geltende Gesetz als auch der vorliegende Reformvor- mit insgesamt an Lebensqualität zu gewinnen. schlag der CDU/CSU weit entfernt. Offenbar soll die Gleichwertigkeit in der Förderung von akademischer und (Beifall bei der PDS) beruflicher Bildung sich auf dem niedrigeren Niveau öf- Ein Ausbau des Gesetzes in diese Richtung muss mei- fentlicher Verantwortung bewegen, wie sie im Bereich der ner Meinung nach auf zwei Grundsätzen basieren: beruflichen Fortbildung gegeben ist. Erstens. Alle noch verbliebenenEinschränkungen, Die PDS wird sich für den entgegengesetzten Weg ein- mit denen bestimmte Gruppen vom Förderanspruch aus- setzen: Sicherung und Verbesserung der sozialen Rah- geschlossen werden – sei es etwa durch einen nicht ak- menbedingungen des Hochschulstudiums und Heranfüh- zeptierten Berufsabschluss, sei es durch das Erfordernis rung der beruflichen Fortbildung an die dort geltenden einer öffentlich-rechtlich geregelten Prüfung –, sollten bzw. auszubauenden Standards. aufgehoben werden. (Beifall bei der PDS) Zweitens. Die tatsächliche Wahrnehmung der Förder- möglichkeiten darf nicht daran scheitern, dass die Förde- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Der Kollege rungswilligen sie einesteils für die Sicherung ihrer Le- Christian Lange spricht nunmehr für die SPD-Fraktion. bensverhältnisse als nicht ausreichend und anderenteils als ein nicht verantwortbares Risiko für sich und ihre Fa- milie ansehen. Christian Lange (Backnang) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für das Jahr (Beifall bei der PDS) 2001 haben wir 70 Millionen DM für das Meister-BAföG Über die konkreten Veränderungen, die zur Durchset- bereitgestellt. Weitere 10 Millionen DM haben wir im zung dieser Grundsätze am Gesetz notwendig sind, wird Rahmen der Novellierung des AFBG vorgesehen. Mit noch gründlicher nachzudenken sein. Zwei Forderungen diesen 80 Millionen DM haben wir die Voraussetzungen halte ich allerdings im Moment für unabdingbar: Die Un- für die Neuordnung des Meister-BAföG geschaffen, das 12638 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Christian Lange (Backnang) (A) damit auch dem novellierten Studenten-BAföG gleichge- – Nein, angeführt vom Bundesland Niedersachsen. Ich er- (C) stellt wird. Unser Ziel ist es, beide Novellen gleichzeitig innere mich ganz genau. Ich hatte nämlich damals die in Kraft treten zu lassen. Das ist ein wichtiger Punkt. Das Ehre, das Land Baden-Württemberg in der Sache zu ver- ist praktisch geübte soziale Gerechtigkeit, die an diesem treten. An der Spitze stand Ministerpräsident Schröder. Beispiel zwischen gewerblichem Nachwuchs auf der ei- nen Seite und akademischem auf der anderen Seite deut- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich wird. Das ist ein Grund zur Freude. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Obwohl die geringe Inanspruchnahme auch den Abge- ordneten der CDU/CSU bekannt war, haben Sie während Meine Damen und Herren, wir werden das Aufstiegs- Ihrer Regierungszeit keine gezielten Maßnahmen zur Ver- fortbildungsförderungsgesetz mit diesen zusätzlichenbesserung des AFBG vorgenommen. Vergleicht man den Mitteln zügig novellieren können. Das ist auch dringend Jahresbeginn mit dem Oktober des Jahres 2000, stellt man nötig, da sich die hohen Erwartungen – wir haben es jetzt fest, dass es einen Abfluss von ungefähr 66,5 Prozent gab. mehrfach von allen Seiten des Hauses gehört – bisher in Einen derart geringen Abfluss gab es bereits in den ver- keinster Weise erfüllt haben: Weder bei der Geförderten- gangenen Jahren. Sie hätten also durchaus tätig werden zahl – statt avisierten 90 000 Anträgen pro Jahr waren es können. nur knapp 43 000 – noch bei den Existenzgründungen ging es aufwärts. Das heißt, die Erwartungen sind nicht An dieser Stelle knüpft Ihr Gesetzentwurf an – aller- erfüllt worden. Die geringe Akzeptanz des Meister-dings, wie gesagt, nach dem Motto „Wünsch dir was!“. BAföG wird durch gravierende Konstruktionsfehler her- Ihr Gesetzentwurf sieht zum Beispiel einen Unterhalts- vorgerufen, die die damalige Regierung Kohl in ihrem beitrag auch für Teilnehmer in Teilzeitform sowie einen Gesetzentwurf begangen hat. Mit diesem Teil der Wahr- generellen Zuschuss von 50 Prozent vor. Der Maßnahme- heit, meine Damen und Herren von der Opposition, setzen beitrag, der bisher als Darlehen vergeben wurde, soll nach Sie sich äußerst ungerne auseinander. Ihren Vorstellungen ebenfalls zu 50 Prozent als Zuschuss (Werner Lensing [CDU/CSU]: Unser Antrag geleistet werden. Allein diese Maßnahme würde nach un- ist der Gegenbeweis!) seren Schätzungen zwischen 80 und 140 Millionen DM Mehrbedarf erfordern. Stattdessen wird jetzt nach dem Motto „Wünsch dir was!“ ein neuer Gesetzentwurf zur Änderung des AFBG einge- Herr Kollege Lensing, was haben Sie zu solchen For- bracht. derungen vor drei oder vier Jahren gesagt? Der Kollege Dr. Rossmann hat Sie bereits zitiert. Ich will sein Zitat (B) Schon in der Vergangenheit – hier handelt es sich ja wiederholen: (D) zum Teil um eine historische Debatte – haben Sie sich nicht mit Ruhm bekleckert, wenn man die Akzeptanz des Bekanntlich ist für eine Opposition nichts einfacher Meister-BAföG zum Maßstab nimmt. Das AFBG trat in als dies: Sie träumt von Idealvorstellungen, weckt in der Tat, Frau Kollegin Schriftführerin Aigner, am 1. Ja- verantwortungsloser Weise völlig unrealistische Er- nuar 1996 in Kraft, nachdem die CDU/CSU und die F.D.P. wartungen, erhebt zugleich die höchsten finanziellen Anfang der 90er-Jahre – Forderungen an den Bund. So weit, so wahr. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Keine Dis- In Ihrer damaligen Rede haben Sie noch etwas anderes kussionen mit dem Präsidium. gesagt – erinnern Sie sich? –: (Heiterkeit) Gleichzeitig beweist die Opposition ihre finanzwirt- schaftliche und finanzpolitische Inkompetenz. Christian Lange (Backnang) (SPD): – bei fliegendem Dem ist nichts hinzuzufügen. Wechsel sei es mir gestattet – das Meister-BAföG sogar aus dem AFG gestrichen hatten. Daran lässt sich die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tatsächliche Wertschätzung, die Sie für den Nachwuchs DIE GRÜNEN) im Handwerk hegen, am besten messen. Durch die zusätzlich zur Verfügung gestellten 10 Mil- Ich wiederhole: Gut drei Jahre hat die Regierung Kohl lionen DM können wir diese wichtige Reform nun in die Meisteranwärter im Regen stehen lassen. Auch das ist Gang setzen. Wir werden damit die Akzeptanz des Meis- eine Wahrheit. ter-BAföG gezielt und pragmatisch verbessern. Neben Verfahrensvereinfachungen sowie einer verbesserten För- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der derung für Familien, Frauen, Alleinerziehende und aus- PDS) ländische Fachkräfte ist insbesondere die Verbesserung der Existenzgründungskomponente bzw. der Mittelstand- Erst auf Druck auch des Bundesrates, insbesondere der komponente wichtig. Dafür werden wir uns einsetzen. Länder Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg, Zur Verbesserung der Mittelstandskomponente stre- kam die Sache dann ins Rollen. ben wir eine Verlängerung der Fristen zur Unternehmens- (Werner Lensing [CDU/CSU]: CDU-regiert, gründung und zur Einstellung von zwei Beschäftigten die meisten!) beim Darlehenserlass an, damit Existenzgründer mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12639

Christian Lange (Backnang) (A) Zeit für die Gründung haben. Vor Ablegung der Prüfung früh, nämlich kurz nachdem Sie die Regierung – aus(C) erfolgte Existenzgründungen wollen wir besonders berück- Gründen, die für mich nicht ganz durchschaubar sind – sichtigen. Des Weiteren streben wir – ich möchte an die- übernommen haben, ser Stelle nur einige wenige Beispiele nennen – eine (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und Erhöhung des Vermögensfreibetrags sowie die Einbezie- der F.D.P.) hung der Kosten des Meisterstücks an. Wir wollen damit Mut machen, sich im Handwerk selbstständig zu machen. Änderungen vorgenommen, die nicht auf der Erkenntnis von Fehlern, sondern auf der Erkenntnis von Erfahrun- Die notwendigen Novellierungen werden wir zügig gen beruhen. Deswegen sage ich Ihnen: Die Opposition umsetzen. Durch die Verbesserung der Förderbedingun- gen für das Meister-BAföG wird gerade für Existenz-von damals, der mein Zitat galt, und die Opposition von gründer ein wichtiges Zeichen gesetzt. Das brauchen wir heute unterscheiden sich eindeutig in den Ansprüchen, angesichts von 300 000 Betrieben, die zur Übernahme an- die wir an uns selbst stellen, im Hinblick auf Qualität und stehen – davon allein 200 000 im Handwerk –, dringend. Niveau. Deshalb werden wir das AFBG novellieren: realistisch, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der pragmatisch und praxisorientiert. SPD und der F.D.P.) Vielen Dank. Das eigentliche Ärgernis möchte und muss ich leider (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch ansprechen. Wir hatten damals die Idee gehabt. Wir DIE GRÜNEN) haben gemerkt: Nicht alles war von vornherein richtig. Wir haben gelernt, Erfahrungen zu berücksichtigen, und haben sehr früh detaillierte Verbesserungen eingebracht. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Das Wort Man hätte erwarten können, dass die Bundesregierung die hat nunmehr der Kollege Werner Lensing für die CDU/ wohl gemeinten und vernünftigen Empfehlungen, die sie CSU-Fraktion. selbst in ihrem Bericht über die Umsetzung und Inan- (Brigitte Wimmer [Karlsruhe] [SPD]: Die alte spruchnahme des Aufstiegsfortbildungsförderungsgeset- Rede kann er aber nicht mehr halten!) zes eingebracht hat, jetzt auch umsetzen würde. Die trau- rige Wirklichkeit besteht darin, dass in diesem Bereich seit 17 Monaten nichts – wirklich gar nichts – getan Werner Lensing (CDU/CSU): Ich sollte an sich die wurde. Seit immerhin 17 Monaten warten wir auf Initiati- alte Rede halten, weil die vorgetragenen Zitate für ihre ven der Regierung, seit 17 Monaten! Ich muss das leider Qualität sprechen; schließlich werden sie nach Jahren von sagen. Es tut mir für Sie Leid, zumindest ein bisschen: der anderen Seite aufgegriffen. kein Vorschlag, keine Initiative, keine Novelle! Von einer (B) (Beifall bei der CDU/CSU) Neuregelung also auf der ganzen Linie keine Spur. (D) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Kollegen! Bei all den hier vorgetragenen Bewer- Heute legt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wie- tungen – ich meine nicht zuletzt diejenigen, die seitens der derum eine ganz konkrete Neuregelung vor, die erneut SPD und der Grünen geäußert wurden – wird eines völlig alle relevanten Vorschläge aus dem Bericht der Bundes- übersehen: die sensationelle Leistung, die darin bestand, regierung – der Bundesregierung! – aufgreift. Ich finde, dass wir unter der Kohl-Regierung erstmals in der Ge- es zeugt von geistiger und moralischer Reife der Opposi- schichte der Bundesrepublik Deutschland eine Auf-tion, stiegsfortbildungsförderungsgesetzgebung in Gang ge- setzt haben. (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Richtig!) dass sie den Bundesratsbeschlussvom vergangenen Herbst berücksichtigt und darüber hinaus die Anregun- Die SPD hat sich damit unglaublich schwer getan. Vorhin gen von verschiedenen regionalen Handwerkskammern, ist Niedersachsen angesprochen worden. Ich glaube noch der BDA und des DIHT aufgreift. genau in Erinnerung zu haben, dass der damalige Minis- terpräsident Schröder kein Förderer dieser Idee war. Über die Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass viele Er- wartungen schon erfüllt wurden. Es ist verständlich, dass Außerdem ist es nach meinem Verständnis sehr wich- das Handwerk hier und da überrascht war, weil man noch tig, Herr Dr. Rossmann, auf Folgendes hinzuweisen: Es ist gar nicht wusste, in welchem Ausmaß die damalige Re- nicht in Ordnung, von Fehlern zu sprechen. Das, was wir gierung die Bestrebungen zum Meister-BAföG und zur neu geschaffen haben, war sensationell. Anerkennung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und (Unruhe bei der SPD) beruflicher Bildung nach vorne treiben würde. Ich muss aber noch einmal deutlich sagen: All das, was Herr – Unruhe ist überhaupt kein Zeichen von Souveränität. – Dr. Rossmann eben in – wenn ich das einmal so sagen Sie haben diesen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, darf – vorauseilendem Gehorsam hier angeführt hat, war ohne in diesem Bereich über einen Erfahrungshorizont zu inhaltlich mit unseren Vorschlägen konform: Ich will verfügen. Beispielsweise hatten Sie keinerlei Rückmel- nicht sagen, Sie hätten von dem abgekupfert, was wir dung seitens der Handwerkerschaft. Daher ist es selbst- schon im Mai eingebracht haben, verständlich, dass es neue Anregungen gibt. Wir haben prompt gehandelt. Wie Sie wissen, haben wir schon ganz (Lachen bei der SPD) 12640 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Werner Lensing (A) aber unsere Vorschläge haben bei Ihnen in der Tat Nach- enfeindlich. Schließlich: Der Verzicht auf die Streichung (C) denklichkeit erregt. Deswegen freue ich mich, dass Sie sie der Vermögensanrechnung im Bewilligungsverfahren wahrscheinlich auch in Ihrer Gesetzgebung berücksichti- verhindert eine dringend erforderliche und von uns schon gen wollen. immer gewünschte Verfahrensvereinfachung. Warum das alles bisher gescheitert ist, ist an sich trau- Man merkt dem Referentenentwurf also sogleich die rig: Das liegt nämlich an den Verteilungs- und Gra-politischen Vorgaben, die lediglich den Kostenfaktor im benkämpfen innerhalb des Ministeriums, das im Moment Blick haben, deutlich an. Es ist allgemein bekannt, dass von Herrn Staatsekretär Catenhusen repräsentiert wird. einzig und allein finanzielle Erwägungen für die Verzöge- Schließlich blieb – nachdem man im Vorfeld gesagt hatte, rungstaktik verantwortlich sind. dass man das alles erhöhen bzw. geradezu verdoppeln wolle – der finanzielle Nachschlag für den Bildungs- und Ich fasse zusammen: Forschungsbereich aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen Erstens. Eine Novellierung der Aufstiegsfortbildung in der erhofften Höhe bisher aus. im Sinne unseres Antrages und eine damit verbundene Ich muss allerdings mit der mir schon immer eigenen Bereitstellung zusätzlicher Mittel wären der entschei- objektiven Betrachtungsweise auch sagen, dass meine dende und wichtige Schritt auf dem Weg zur bereits lange Kritik in gleichem Maße dem Bundesminister für Wirt- geforderten und dringend benötigten Existenzgründer- schaft gilt. Abgesehen davon, dass aufgrund der zu Recht tätigkeit. immer wieder betonten Gleichwertigkeit von allgemeiner Zweitens. Nehmen Sie die Äußerung Ihres Kollegen und beruflicher Bildung und der dadurch naturgemäß ge- Christian Lange – es tut mir Leid, dass ich sie erwähnen gebenen Parallelität des Meister-BAföG zum Studenten- muss – ernst, der noch am 29. Oktober in einem dpa-Ge- BAföG die finanzielle Zuständigkeit für die Aufstiegs- spräch angekündigt hatte, die SPD wolle dasMeister- fortbildungsförderung ausschließlich im Bereich desBAföG gleichzeitig mit dem Studenten-BAföG refor- Bildungsministeriums liegen sollte – was leider nicht der mieren. Ich bitte Sie – auch aufgrund Ihrer eigenen Fall ist –, fehlt es Minister Müller auch am notwendigen Ausführungen und Appelle – um Zusammenarbeit. Ver- politischen Willen zur unabdingbaren Novellierung des weigern Sie sich nicht unserem Antrag. Wenn Sie das tun, AFBG. Ich könnte das an mehreren Beispielen kundtun, werden Sie sich später zu Recht fragen lassen müssen, muss jedoch an dieser Stelle nur sagen: Die logischewarum Sie weitere kostbare Zeit verschwendet haben, eine Folge dieses Streits zwischen den beiden Ministerien ist dringende Reform zügig und angemessen umzusetzen. das Scheitern der Absprachen zwischen beiden Ministern, um gemeinsam die Eckwerte zu einer Reform desIch bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue Meister-BAföG festzulegen. mich, nun Frau Aigner im Präsidium ablösen zu dürfen. (B) (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Da hat er (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) Recht!) neten der F.D.P.) In der Summe ergibt sich: Beide verantwortlichen Minister lassen die der Novellierung des Meister-BAföG Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kollege angemessene Bedeutung vermissen. Eine Neuregelung Lensing, ich habe Ihre Redezeit etwas verlängert. Ich schien somit lange – ich habe es ja schon sagen müssen: dachte, die Koalitionsfraktionen seien damit einverstanden. 17 Monate lang – nicht in Sicht. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Doch siehe da – man könnte auch sagen: potztausend –, NEN]: Sind wir auch! – Wilhelm Schmidt am vorletzten Wochenende geschah etwas völlig Überra- [Salzgitter] [SPD]: Es war ja atmosphärisch ein schendes: Laut Deutscher Presse-Agentur existiert im Bil- Genuss! Inhaltlich na ja!) dungsministerium doch tatsächlich nach eineinhalb Jahren ein Referentenentwurf zur Neuregelung der Aufstiegsfort- Ich gebe jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär im bildungsförderung. Darin hat die Bundesregierung in fast Bundesministerium für Bildung und Forschung, Wolf- wortwörtlicher Übereinstimmung mit dem, was wir seiner- Michael Catenhusen, das Wort. zeit vorgetragen haben, Eckpunkte zusammengetragen. (Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekre- Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei tär: Schön, dass Sie ihn kennen!) der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat, – Das ist unsere Informationsmöglichkeit, die wir sehen. – denke ich, zwei Dinge gezeigt. Allerdings bleibt dieser Erkenntnisgewinn auf halbem Wege stehen; denn es finden sich tatsächlich einige Erstens. Es gibt ein hohes Maß an Übereinstimmung abenteuerlich anmutende Änderungsvorschläge in diesem zwischen der Bundesregierung und den Koalitionsfrak- Entwurf. Jetzt seien Sie nicht erschüttert, tionen Herr sowie zwischen den Wirtschafts- und den Bil- Catenhusen, aber ich muss sie einfach benennen und auch dungspolitikern in dieser Koalition darüber, was aus bewerten. Die Festlegung der neuen Höchstgrenzen der bildungs- und aus wirtschaftspolitischer Sicht der Re- Maßnahmebeiträge auf 17 Prozent ist absolut beliebig. formbedarf beim Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz Das Limit bei der Vergabe von Darlehen für die Kosten ei- ist. Ich bedanke mich für die Bekundung dieser Überein- nes Meisterstücks bis zu 3 000 DM erscheint gänzlich stimmung. Denn damit ist klar, dass die Bundesregierung willkürlich. Die Nichtgewährung eines Unterhaltsbeitra- das, was sie im letzten Jahr in der Debatte schon an- ges bei Teilzeitmaßnahmen ist in jeder Beziehung famili- gekündigt hat, einlösen wird. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12641

Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (A) Zweitens. 2001 ist das Jahr, in dem die Reform des Meine Damen und Herren, es gibt sechs Bausteine die- (C) BAföG von diesem Haus beschlossen werden wird, und ser BAföG-Reform, über die sich die Regierung mit den das Jahr, in dem die Reform des Meister-BAföG, desKoalitionsfraktionen einig ist: AFBG, von diesem Parlament beschlossen werden wird. Erstens. Der Kreis der förderfähigen Fortbildungen ist Das waren meine Ankündigungen und das werden wir zu eng und muss erweitert werden. Dies gilt vor allem für einlösen. Wir lassen uns in unseren Vorhaben und Pla- den Bereich der Gesundheits- und Pflegeberufe, für staat- nungen auch nicht von den Fingerübungen der Opposition lich anerkannte Ergänzungsschulen sowie andere Berei- beirren. Denn, lieber Kollege Lensing, bei allen Versu- che. Wir brauchen hier eine Öffnung des Gesetzes. chen, jetzt wieder neue Mythologien über die Wunderta- ten der Regierung Kohl aufzubauen – dahinter steckt nur Zweitens. Wir müssen die Förderung für Fortbildungs- eines: Sie versuchen, schrittweise nachzubessern und der teilnehmer mit Familie sowie für Frauen und Alleinerzie- Öffentlichkeit, die in den letzten 16 Jahren über die Ent- hende verbessern. wicklung in diesem Bereich abgrundtief enttäuscht war, Drittens. Die Existenzgründungskomponente des Ge- Ihre Lernfähigkeit zu demonstrieren. setzes – der Darlehenserlass – muss realistischer und at- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten traktiver ausgestaltet werden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Viertens. Wir müssen eine günstigere und umfassen- Zur Kollegin Pieper nur einen Satz: Frau Kollegindere Förderung der Fortbildungsmaßnahmen im Gesetz Pieper, ich habe in finanzpolitischen Fragen noch nichts verankern. Unsolideres gehört als den Vorschlag der F.D.P., Leis- Fünftens. Die Begrenzung der Förderung auf eine erste tungsgesetze über UMTS-Erlöse finanzieren zu wollen. Fortbildung muss im Hinblick auf eine Öffnung auch für Gehen Sie ein bisschen in sich und fragen Sie sich, ob ein sinnvolle und weiterführende Zweitfortbildungen über- Finanzpolitiker Ihrer Fraktion, wenn er neben Ihnen säße, prüft werden. Ihnen dies durchgehen lassen würde. Ich denke, dieses Wolkenschieben und diese Showeffekte sollten Sie für die Sechstens. Der viel zu geringe Anteil von Ausländern Zukunft Herrn Möllemann überlassen. Ansonsten müsste an der Gesamtzahl der Geförderten muss durch erleich- ich annehmen, dass Frau Pieper sozusagen in einen Show- terte Fördervoraussetzungen gesteigert werden. wettbewerb mit Herrn Möllemann eingetreten ist. Ich denke, dass vor dem Hintergrund der im Kabinett am 27. September 2000 verabschiedeten BAföG-Reform – entgegen ihren eigenen Aussagen kennt Frau Pieper den Herr Staats- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Gesetzentwurf – unter dem Gesichtspunkt der Gleichwer- sekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin tigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung auch über Pieper? (B) weitere Änderungen, wie etwa eine Modifizierung der (D) (Detlev von Larcher [SPD]: Nur wenn sie bis Darlehensbedingungen, eine stärkere Berücksichtigung zum Schluss der Sitzung hier bleibt! – Heiter- der Zeiten der Kindererziehung, eine Einbeziehung von in keit!) Deutschland lebenden ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger sowie eine verbesserte Förderung von Fortbildungen im Ausland nachgedacht werden muss. Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Bitte Sie wissen, dass durch die Entscheidung des Wirt- schön. schaftsausschusses, für das Jahr 2001 eine erste Rate in Höhe von 9 Millionen DM politisch zu befürworten, haushaltsmäßig eine Basis dafür geschaffen ist, um im Cornelia Pieper (F.D.P.): Ich sehe, Sie haben Freude laufenden Haushaltsjahr 2001 einen Einstieg in die No- daran, dass ich eine Frage stelle. Ich mache es aber kurz. vellierung zu finden. Es ist uns allen klar, dass wir für die Können Sie sich entsinnen, dass die Frau Ministerin zu nächsten drei Jahre über andere finanzielle Größenord- Beginn der Legislaturperiode gesagt hat, sie wolle die Zu- nungen reden müssen. Darüber wird die Regierung mit kunftsinvestitionen verdoppeln, und sie sich dabei auf die den Koalitionsfraktionen in den nächsten Wochen reden. Ausbildungsförderung und demnach auch auf Der das Gesetzgeber wird bei seinen Entscheidungen selbst- Meister-BAföG bezogen hat? Von einer Verdoppelung der verständlich die finanziellen Spielräume im Auge haben Ansätze im Haushalt Ihres Hauses kann man aber nichts müssen. feststellen. Deshalb möchte ich Sie fragen: Warum ver- Zu diesem Punkt möchte ich ein paar Bemerkungen folgen Sie dieses Ziel bei der Ausbildungsförderung nicht zum Gesetzentwurf der CDU/CSU machen: intensiver? Erstens. Ihr Gesetzentwurf ist nicht seriös berechnet. Unsere Schätzungen belaufen sich auf Mehrkosten von Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei 150 bis 190 Millionen DM. Ich sage Ihnen ganz deutlich: der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ange- Wer versucht, die Fehler der Vergangenheit dadurch zu sichts einer Etatsteigerung in Höhe von 1,2 Milliar-kompensieren, dass er jetzt finanziell überzogene Forde- den DM im nächsten Jahr für unser Haus nehme ich diese rungen stellt, diskreditiert seine Glaubwürdigkeit auch bei Diskussion mit Ihnen gelassen auf. Die Zahlen sprechen denjenigen, die die Lernfortschritte der Opposition durch- für unsere Erfolge. aus konstatieren und zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) 12642 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Parl. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (A) Zweitens. Ich glaube, dass Sie mit einer Reihe von Vor- (Erste Beratung 124. Sitzung) (C) schlägen nicht dem Ziel dienen, eine Verwaltungsver- aa) Beschlussempfehlung und Bericht des einfachung zu realisieren, da nach Ihren Vorstellungen in Finanzausschusses (7. Ausschuss) allen Fällen von Teilzeit eine Prüfung der Einkom- mensverhältnisse des Teilnehmers einer Maßnahme so- – Drucksache 14/4547 – wie seines Ehegatten erforderlich würde. Ob das ein Bei- Berichterstattung: trag zur Verwaltungsvereinfachung ist, wissen wir nicht. Abgeordnete Nicolette Kressl Wir müssen daran festhalten, dass mit dem AFBG ein Hans Michelbach erfolgreicher Abschluss der Fortbildung bezweckt wird. Gerhard Schüßler Die Vergünstigungen des Darlehenserlasses können des- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- halb nur bei bestandener Abschlussprüfung und nicht wie schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung in Ihrem Entwurf vorgesehen – vielleicht ist das unbeab- sichtigt geschehen – allein bei einer Existenzgründung – Drucksache 14/4562 – gewährt werden. Beide Kriterien müssen erfüllt werden. Berichterstattung: Orientieren Sie sich doch bitte an einem zukunftsweisen- Abgeordnete Hans Jochen Henke den Bild des Arbeitsmarktes und geben Sie Ihre aus- Hans Georg Wagner schließliche Orientierung an potenziellen Existenzgrün- Oswald Metzger dern aus dem Handwerksbereich auf; denn das AFBG Dr. Günter Rexrodt zielt auch auf Aufstiegsfortbildung von Technikern und Dr. Uwe-Jens Rössel Betriebswirten ab. Ich möchte zwei Abschlussbemerkungen machen. Die b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- erste richte ich vor allem an die Adresse der Kollegin von richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der PDS. Wir sollten nie vergessen: Das AFBG ist ein Leis- dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU tungsgesetz, das sich an bildungspolitischen Zielen und Mittelstand entlasten – Steuersenkungsgesetz auch an der Förderung von Existenzgründern orientiert. Es nachbessern ist primär kein Gesetz, mit dem die Unterhaltsleistungen – Drucksachen 14/4285, 14/4547 – für Familien verbessert werden sollen. Wir müssen bei un- seren Reformmaßnahmen die Balance wahren. Diese Re- Berichterstattung: gierung tut schon auf anderen Feldern viel für Familien mit Abgeordnete Nicolette Kressl Kindern. Das muss hier berücksichtigt werden. Hans Michelbach Gerhard Schüßler Zweitens. Kollege Lensing, Sie sollten sich genau (B) überlegen, wie Sie uns kritisieren wollen. Auf der einen c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen (D) Seite behaupten Sie, die Regierung folge Ihren Vorschlä- SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- gen. Auf der anderen Seite streichen Sie heraus, dass Sie brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung sich auf unsere Positionen, die auf dem Erfahrungsbericht der Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern der Bundesregierung und den von mir im letzten Jahr vor- – Drucksache 14/3762 – getragenen Eckpunkten basieren, zubewegen. Ich bin zu- versichtlich, dass Sie uns dann, wenn die Bundesregie- (Erste Beratung 118. Sitzung) rung ihren Gesetzentwurf im kommenden Frühjahr aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- einbringt und hier zur Diskussion stellt, neidlos zugeste- nanzausschusses (7. Ausschuss) hen müssen, dass unser Gesetzentwurf ein rundum gelun- gener Reformentwurf ist. – Drucksache 14/4546 – Danke schön. Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Grasedieck (Beifall bei der SPD) Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Abgeordnete Dr. Barbara Höll Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- die Aussprache. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- – Drucksache 14/4563 – entwurfes auf Drucksache 14/4250 an die in der Tages- Berichterstattung: ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Abgeordnete Hans Jochen Henke Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die Abgeordnete Hans Georg Wagner Überweisung so beschlossen. Abgeordnete Oswald Metzger Abgeordnete Dr. Günter Rexrodt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf: Abgeordnete Dr. Uwe-Jens Rössel 20 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 75 Minuten verständigt. – Ich höre keinen Widerspruch. Ergänzung des SteuersenkungsgesetzesSteuer- Dann ist so beschlossen. senkungsergänzungsgesetz – StSenkErgG) Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin – Drucksachen 14/4217, 14/4293 – Nicolette Kressl das Wort für die SPD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12643

(A) Nicolette Kressl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- dass wider besseres Wissen eine Legende aufgebaut wer- (C) ginnen und Kollegen! Durch zusätzliche Steuersenkungen den soll. in Höhe von 6,8 Milliarden DM werden wir heute die im (Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salz- Juli beschlossenen Vereinbarungen, die im Zusammen- gitter] [SPD]: Bei Herrn Michelbach ist es ab- spiel von Bund und Ländern ermöglicht haben, dass die soluter Vorsatz!) Steuerreform Gesetz wird, in konkrete Gesetzesform um- setzen. Damit steigt die Höhe der gesamten Steuerentlas- Wir entlasten nicht nur im Bereich der mittelständi- tungen allein durch dasSteuersenkungsgesetz und die schen Unternehmen, sondern in allen Bereichen werden heutige Ergänzung auf 62,5 Milliarden DM an. die Entlastungen im nächsten Jahr deutlich zu spüren sein. Diese Aussage stellen wir nicht einfach nur in den Raum, Der Spitzensatz der Einkommensteuer sinkt aufsondern sie ist auch überprüft worden. So hat die Wirt- 42 Prozent. Unternehmer werden – das ist nur einmal im schaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Arthur Leben möglich – lediglich mit dem halben durch-Andersen aus genauen Beispielrechnungen folgenden schnittlichen Steuersatz belastet, wenn sie ab dem Alter Schluss gezogen – ich zitiere –: von 55 Jahren oder bei Berufsunfähigkeit ihre Betriebe Alle Unternehmen werden unabhängig von ihrer veräußern. Rechtsform durch das Steuersenkungsgesetz und Nicht nur diese zusätzlichen Entlastungen, sondern das seiner Ergänzung deutlich entlastet. gesamte Paket der Steuersenkungen ist von zwei wichti- Wenn Sie schon unseren Zahlen und denen des Finanzmi- gen Leitlinien geprägt, die wir einhalten wollen: nisteriums nicht glauben, dann sollten Sie aber wenigs- Zum einen verbinden wir seriöse Haushaltspolitik und tens diese Rechnungen nachvollziehen. Steuerentlastungen miteinander. Diese beiden Ziele (Detlev von Larcher [SPD]: Das können die gleichzeitig zu erreichen ist keine leichte Aufgabe. Das nicht!) zeigt sich schon daran, dass der CDU/CSU-F.D.P.-Regie- rung genau dies nie gelungen ist. Für eine Steuerreform ist auch die Tatsache entschei- dend, dass Steuerentlastungen nur dann auf einer soliden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Basis stehen, wenn sie nicht durch unsolide Planungen auf DIE GRÜNEN) wacklige Füße gestellt werden. Wenn sie nämlich über Darauf, dass wir das trotzdem geschafft haben, können neue Schulden finanziert werden, dann würde das sehr wir zu Recht stolz sein. schnell zu neuen Belastungen – beispielsweise über Ge- bühren und Abgaben oder aufgrund der belasteten Län- Zum anderen entlasten wir die verschiedenen Gruppen derhaushalte – führen. (B) von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gleichmäßig. Mit dieser Steuerreform, jetzt sozusagen abgerundet(D) Wir halten das nicht nur für sozial gerecht, sondern auch durch das heutige Gesetz, für wirtschaftlich sinnvoll. Durch die starke Entlastung der Arbeitnehmer, der Familien und der kleinen Perso- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Abrundung?) nenunternehmen, die besonders durch die starke Senkung erreichen wir alle Steuerzahler; denn sie baut auf drei tra- des Eingangssteuersatzes und die Erhöhung des Grund- genden Säulen auf. Erste Säule: Mit der Senkung der Kör- freibetrags erreicht wird, sorgen wir dafür, dass zukünf- perschaftsteuer auf 25 Prozent entlasten wirKapital- tig aufgrund der höheren Nettoeinkommen mehr ausge- gesellschaften. Zweite Säule: Mit der pauschalierten geben werden kann und die Binnennachfrage gestärktAnrechnung der Gewerbesteuer entlasten wir diePerso- wird. nenunternehmen, die gewerbesteuerpflichtig sind. Dritte In diesem Zusammenhang lässt sich durch diese De- Säule: Für die Personenunternehmen, die keine Gewerbe- batte vielleicht der Irrtum aufklären, dem die CDU/CSU steuer zahlen, weil ihr Gewinn zu niedrig ist, und für die Arbeitnehmer führen wir die Entlastung bei der Einkom- immer wieder unterliegt. Es wird nämlich behauptet, Ar- mensteuer ein. Mit diesen drei Säulen ist es uns gelungen, beitnehmer und mittelständische Unternehmer würden auf die verschiedenen Bedürfnisse der Steuerzahler einzu- benachteiligt. gehen und so Entlastungen für alle zu erreichen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aber!) DIE GRÜNEN) Herr Michelbach mit seinen Äußerungen im Finanzaus- Ich kann ja nachvollziehen, meine Damen und Herren schuss und Herr Lensing mit seinen Äußerungen zurvon der Opposition, dass es Ihnen nicht leicht fällt, diese BAföG-Förderung scheinen sich dem Kreis der Märchen- Leistung anzuerkennen; denn im Gegensatz zu Ihnen ist erzähler angeschlossen zu haben. es uns gelungen, diese Steuerentlastungen nicht nur ohne (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Erhöhung der Nettoneuverschuldung, sondern auch ohne DIE GRÜNEN) Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwert- steuer, wie sie in Ihrem Konzept vorgesehen war, zu er- Zunächst wird die Ausbildungsförderung von der alten reichen. Regierung gestrichen. Dann sprechen Sie von einer neuen Regelung, wenn Sie sie wieder einführen wollen. Ähnli- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ches erleben wir auch beim Thema Steuerreform. Es NEN]: Genau daran muss man immer wieder könnte aber sein, dass diese Behauptungen, die wir immer erinnern! Das stimmt! – Gegenruf des Abg. wieder hören, nicht auf einem Irrtum beruhen, sondern Peter Rauen [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!) 12644 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Nicolette Kressl (A) Indem wir die Steuerbelastung der Bürger verringern, die Frage der Alterssicherung beispielsweise von Han- (C) verbessern wir deren eigene Gestaltungsmöglichkeiten. delsvertretern oder auch auf die Frage der Abfindung von Gleichzeitig geben wir mit dem konsolidierten Haushalt Arbeitnehmern, so es dabei um die Alterssicherung geht, denjenigen Gestaltungsspielräume, die in der nächsten eingehen und Antworten finden werden. Generation politisch verantwortlich sind. Es gibt also (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist eine Spielräume für den Einzelnen, aber auch für die Politik, Ungleichbehandlung!) die die Gesellschaft gestalten will. Dieses Thema wird im Rahmen der Alterssicherung Wenn Sie so weiter gewirtschaftet hätten, hätten Sie berücksichtigt. den Bürgern aufgrund der jährlichen Zinslasten in zwei- stelliger Milliardenhöhe den Gestaltungsspielraum ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ nommen. Man muss in diesem Zusammenhang schon die CSU – die F.D.P. wird unserem Gesetzentwurf ja zustim- Frage stellen dürfen, ob die jährliche Zinsbelastung nicht men; das freut mich –, es wäre ein gutes Signal gewesen, bald in den dreistelligen Milliardenbereich gerückt wäre, wenn auch Sie zugestimmt hätten. Denn wir haben uns ja wenn die alte Regierung so weiter gemacht hätte. bei dem Gesetz, mit dem es den Kirchen ermöglicht wird, Steuerausfälle, die aufgrund der Gewerbesteueranrech- (Peter Rauen [CDU/CSU]: Oh! – Detlev von nung und des Halbeinkünfteverfahrens entstehen, zu ver- Larcher [SPD]: Schuldenmacherpartei!) meiden, auf eine gemeinsame Lösung verständigen kön- Auch während der Beratungen zu diesem Gesetzent- nen. Ihre Zustimmung auch zum Steuerergänzungsgesetz wurf haben wir nicht erkennen können, dass Sie diesewäre gut gewesen. doppelte Aufgabenstellung überhaupt verstanden haben. Obwohl also ein gemeinsames Vorgehen nicht möglich Wie leicht war es doch für Sie, einen Antrag nach dem an- war, sind wir unabhängig von der Ablehnung der deren zu stellen, ohne sich um die Finanzierbarkeit zu CDU/CSU sicher, dass von diesem Steuerreformpaket die kümmern! Schon während der Beratungen zum Steuer- notwendigen Impulse für die konjunkturelle Entwicklung senkungsgesetz schien Ihr Lieblingssport gewesen zuausgehen werden. In jedem Fall gehen wir mit der heuti- sein, Steuerschlupflöcher wieder zu öffnen. gen Entscheidung einen weiteren Schritt im Rahmen un- (Detlev von Larcher [SPD]: Sehr wahr! – Leo serer solide finanzierten Reformpolitik. Auch dieser Dautzenberg [CDU/CSU]: Unsinn!) Schritt wird der Weiterentwicklung in Deutschland gut tun. Auch in diesem Gesetzgebungsverfahren ging es Ihnen offensichtlich nicht darum, die Aspekteseriöser Haus- Vielen Dank. haltspolitik zu berücksichtigen. Selbst die von Ihnen be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fragten Sachverständigen bzw. Verbandsvertreter haben DIE GRÜNEN) (B) in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf oft vorsichtig (D) argumentiert. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe für (Peter Rauen [CDU/CSU]: Bei welcher An- die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Hans Michelbach hörung waren Sie?) das Wort. Ich habe einmal das Protokoll dieser Anhörung nachgele- sen, Herr Rauen. Ich zitiere einen der von Ihnen befragten Hans Michelbach (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Sachverständigen: Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Steuerpolitik hat eine Teilung der Wirtschaft (Peter Rauen [CDU/CSU]: War der vom vollzogen. DGB?) (Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) Es stellt sich die Frage, ob die Absenkung des Tarifs nicht ein bisschen spät ist. Es ist eine Gerechtigkeitslücke entstanden. Es ist doch klar, dass Verbandsvertreter Forderungen (Detlev von Larcher [SPD]: Ach du liebe Zeit!) über das hinausgehend stellen müssen, was auf dem Tisch liegt. Diese Forderungen wurden sehr vorsichtig formu- Die Rechtsform der Unternehmen wird für eine steuerpo- liert. Sie können nur deren Interessen wiederholen. Ich litische Ideologie missbraucht. halte es aber für entscheidend notwendig, dass wir, die wir (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt Politik machen, die Aufgabe wahrnehmen, die verschie- [Salzgitter] [SPD]: Unsinn! – Christine Scheel denen Interessen abzuwägen und eine Balance zu finden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Käse!) Das haben Sie offensichtlich völlig vergessen. Es wird zwischen Unternehmen und Unternehmer unter- (Beifall bei der SPD) schieden. Das ist ein falsches System. Diese Art des Handelns halten wir für wichtig. Diese Hal- (Beifall bei der CDU/CSU) tung habe ich bei Ihnen während der Gesetzesberatungen nicht erkennen können. Das ist ein Anschlag auf die Gleichmäßigkeit der Be- steuerung. Wir sind sicher, dass wir uns bei dieser Steuerreform im Hinblick auf die Balance richtig bewegen, was nicht (Lachen bei der SPD – Peter Rauen [CDU/CSU]: bedeutet, dass es nicht Themen gibt, die wir noch auf- Genauso ist es! Das werdet ihr noch bitter greifen werden. Wir haben deutlich gemacht, dass wir auf spüren!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12645

Hans Michelbach (A) Eigentlich ist es Aufgabe der Steuerpolitik, Steuerzah- Herren, was aber ist, wenn ein Unternehmer in den ver- (C) lern kein Unrecht zuzufügen. Bei Ihrer Steuerreform müs- dienten Ruhestand gehen möchte, sein unternehmerisches sen Sie etwas verwechselt haben. Fakt ist doch, dass im Engagement aber auf verschiedene Unternehmen verteilt Unternehmensteuersenkungsgesetz die Kapitalgesell-hat? Dann wird auf nur ein Veräußerungsgeschäft der schaften im Vergleich zu den Personengesellschaftenhalbe durchschnittliche Steuersatz angewandt werden. massiv begünstigt werden. Auch das haben Sie nicht gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von (Detlev von Larcher [SPD]: Diese arme Sau! – Larcher [SPD]: Das ist unwahr! – Jörg-Otto Peter Rauen [CDU/CSU]: „Diese arme Sau“, Spiller [SPD]: Er hat es immer noch nicht be- das muss festgehalten werden! Das verrät ihn!) griffen!) Das Fazit ist: Die Generationenbrücke funktioniert nicht. Der heute vorliegende Entwurf eines Steuersenkungs- ergänzungsgesetzes soll diese Ungleichbehandlung aus- Herr von Larcher, in Bezug auf Ihren Zuruf „Diese gleichen. Warum bringen Sie überhaupt einen solchen arme Sau!“ möchte ich Ihnen nur sagen, dass es sich um Gesetzentwurf ein? Sie wollen damit versuchen, die Un- Leute handelt, die Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, gleichbehandlung, die Sie erkannt haben, wenigstensinvestiert und volkswirtschaftlich eine Leistung erbracht zum Teil zu korrigieren. haben. Diese Menschen können Sie so nicht bezeichnen. (Detlev von Larcher [SPD]: Märchen!) (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie wissen doch ganz genau, Diesem Ziel wird dieses Ergänzungs- und Korrekturge- wie das gemeint war!) setz jedoch überhaupt nicht gerecht. Ebenso verhält es sich, wenn ein Einzelunternehmer (Beifall bei der CDU/CSU) zwar nur ein Unternehmen besitzt, dieses jedoch an meh- Die Chancengleichheit des Mittelstandes wird nicht rere Erwerber veräußern möchte. In diesem Fall ist es be- erreicht. Im Gegenteil: Es werden weitere Komplizierun- sonders schlimm. Er möchte seinen Betrieb veräußern, da- gen in das Steuerrecht getragen und weitere Wettbe-mit dieser weitergeführt wird und damit die Arbeitsplätze werbsverzerrungen erzielt. erhalten werden. Wenn er aber einen Erwerber findet, der dies nur mit anderen zusammen leisten kann, dann unter- (Detlev von Larcher [SPD]: Ach, herrje!) liegt er mit lediglich einer Veräußerung an einen Erwerber Die Anwendung des halben durchschnittlichen Steuersat- dem halben durchschnittlichen Steuersatz. Das heißt, auch zes bei Betriebsveräußerungen und -aufgaben ist an hier funktioniert das Ganze nicht. Die anderen Veräuße- viel zu viele Voraussetzungen und Einschränkungen ge- rungsgeschäfte unterliegen der Fünftelungsregelung. Das knüpft. heißt, es kommt bei dem Verkauf eines mittelständischen (B) Unternehmens zu einer Teilung. Das ist Irrsinn! Solch eine (D) (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! – Zuruf Besteuerung bzw. Steuerpolitik ist Willkür. Hier ist weder von der SPD: Genau richtig!) System noch sonst etwas vorhanden. Die Mindestbesteuerung mit dem Eingangssteuersatz (Beifall bei der CDU/CSU) trifft – das ist besonders schlimm – gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die Besteuerung darf nicht von der Zahl der Erwerber (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher abhängen. Auch darf sie nicht davon abhängig sein, in wie [SPD]: Ach was! – Zuruf von der CDU/CSU: vielen Betrieben der Unternehmer sein unternehmeri- Genau das ist der Punkt!) sches Engagement verfolgt. Mit solchen Regelungen wer- den ja nur missbräuchliche steuerliche Gestaltungen an- Durch diese Vorgabe wird nämlich bei einem Verheirate- geregt, die Sie dann wahrscheinlich wieder durch neue ten in einer Personengesellschaft ein Veräußerungsge- – wahrscheinlich sogar unverhältnismäßige – Gesetze winn bis 444 000 DM gar nicht unter die Begünstigung eindämmen müssen. Durch solche aberwitzigen Gesetze des halben durchschnittlichen Steuersatzes fallen. Die Be- wird unser Steuersystem immer komplizierter und büro- troffenen meinen, dass sie jetzt den halben durchschnittli- kratischer. Das heißt, es wird – sowohl für die Finanzver- chen Steuersatz zu zahlen haben. Dann heißt es: Nein, das waltung als auch für die Steuerpflichtigen – kosteninten- ist falsch. Es besteht eine Mindestbesteuerung. siver. Das Fazit ist: Der Steuerdschungel in Deutschland (Zuruf von der CDU/CSU: Mindeststeuer! Ja, wird durch Ihre Steuerpolitik immer undurchsichtiger. richtig! 60,8 Prozent) (Zurufe von der SPD: Quatsch! Die Verwüster Das heißt, sie haben diesen halben durchschnittlichen des Steuerrechts seid doch ihr!) Steuersatz nicht. Sie haben Ihr Versprechen nicht gehalten. Auch die Umstrukturierungen bei den mittelständi- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) schen Unternehmen, zum Beispiel wenn Personengesell- schaften Anteile an Kapitalgesellschaften veräußern, wer- Es handelt sich um eine extrem mittelstandsfeindliche den durch das Steuersenkungsergänzungsgesetz nicht Vorschrift, verbessert. Während die Kapitalgesellschaften ihre An- (Detlev von Larcher [SPD]: Du liebe Zeit!) teilsveräußerungsgewinne ab 2002 grundsätzlich völlig steuerfrei vereinnahmen dürfen, müssen die mittelständi- die man nicht unterstützen kann. schen Unternehmen diese Gewinne nach demHalbein- Dieser halbe durchschnittliche Steuersatz soll auch nur künfteverfahren versteuern. Das Fazit ist: Chancenun- einmal im Leben Anwendung finden. Meine Damen und gleichheit und Wettbewerbsverzerrungen zulasten der 12646 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Hans Michelbach (A) Mittelstandsbetriebe werden in der deutschen Wirtschaft Ich möchte die rot-grüne Bundesregierung in diesem (C) immer größer. Zusammenhang nochmals daran erinnern: Die Personen- gesellschaften müssen die Gegenfinanzierung ab dem (Beifall bei der CDU/CSU) Jahr 2001 voll mittragen, während die Kapitalgesell- Die rot-grüne Bundesregierung hat bis heute keinen schaften ab 2001 mit dem Körperschaftsteuersatz von objektiven Grund für diese Bevorteilung der Kapitalge- 25 v. H. einen Vorteil haben. Auch hier entstehen Wettbe- sellschaften angeführt. Steuerexperten haben immer wie- werbsverzerrung und Ungleichbehandlungen. Ich glaube der bestätigt, dass eine Anteilsveräußerung keine Vollaus- auch, dass diese in den Betrieben Arbeitsplätze kosten schüttung darstellt und sich die Steuerfreiheit somit nicht werden. aus dem System selbst erklärt. Die von der rot-grünen (V o r s i t z: Präsident Wolfgang Thierse) Bundesregierung immer wieder genannte Begründung, die thesaurierten Gewinne bei den Kapitalgesellschaften Wir fordern die rot-grüne Bundesregierung auf, diese würden geradezu zu Investitionen und Arbeitsplätzen im Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die mittelständi- Inland führen, schen Unternehmen schon früher zu entlasten. Eine stär- kere Steuerentlastung nicht nur der mittelständischen (Jörg Tauss [SPD]: Es hatte also doch einen Unternehmer, sondern aller Steuerzahler ist dringend ge- Grund! Ich dachte, es gäbe keinen Grund!) boten. sind wohl eher ideologischer Natur, als dass sie auf ver- Es ist die Wahrheit: In Ihrer Regierungszeit ist die lässlichen und nachvollziehbaren Daten beruhen. So hat Steuerquote von 22 Prozent auf jetzt 22,6 Prozent gestie- der Bundesfinanzhof in seinen vielen Entscheidungengen. ausgeführt, dass jegliche Annahmen über zukünftige In- vestitionen immer nur spekulativ sind. Das ist ein Vorge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schmack darauf, wie die Gerichte Ihre völlig unsinnige Wer die neueste Steuerschätzung ansieht – sie stammt These auch in der Zukunft beurteilen werden. von heute –, muss dies ganz deutlich machen. Auch namhafte Verfassungsrechtler wie zum Beispiel (Detlev von Larcher [SPD]: Es geht endlich Professor Kirchhof haben die Bevorzugung der Kapitalge- aufwärts!) sellschaften bei den Anteilsveräußerungsgewinnen im- mer wieder als stark verfassungsfragwürdig angesehen. Wir haben in den Jahren 2000 und 2001 14,8 Milliar- den DM mehr eingenommen, (Jörg Tauss [SPD]: Ein guter Zeuge, der Herr Kirchhof!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wegen des Wirtschaftsaufschwungs!) (B) Die CDU/CSU-Fraktion fordert die rot-grüne Bundes- (D) regierung deshalb auf, eine Gleichstellung der mittelstän- als die Steuerschätzung im Mai dieses Jahres vorausge- dischen Unternehmen mit den Kapitalgesellschaften zu sagt hat. Das ist eine Überraschung, über die vielleicht erreichen und im eigenen Interesse einer Verfassungs- Herr Eichel glücklich und zufrieden sein kann, es ist aber klage vorzubeugen. Dies entspricht auch den Anträgen eine Leistung der Steuerzahler. Damit nehmen Sie im der CDU/CSU, die wir zu diesem Gesetz eingebracht ha- Jahre 2000 über 40 Milliarden DM mehr ein als im Vor- ben. Die mittelständische Wirtschaft wird die Dis-jahr. Dazu sagen Sie, Sie könnten dem Steuerzahler keine kriminierung und Ungleichbehandlung nicht klaglos hin- weitere Steuerentlastung geben. Ich sage Ihnen: Das nehmen und sicher Verfassungsbeschwerden einreichen. glaubt Ihnen niemand mehr in diesem Land. Weitere Benachteiligungen der mittelständischen Un- (Beifall bei der CDU/CSU) ternehmen bei den Umstrukturierungen bestehen in fol- Sie haben den Weg in den Steuer- und Abgabenstaat genden Punkten: eingeschlagen. Erstens. Keine vollständige Anwendung desMit- (Lachen bei der SPD) unternehmererlasses. Das ist die Wirklichkeit in Deutschland. Zweitens. Die Senkung der Grenze fürwesentliche Beteiligungen im Rahmen des § 17 des Einkommensteu- (Detlev von Larcher [SPD]: Steuererhöher und ergesetzes auf 1 Prozent macht es insbesondere den klei- Schuldenmacher seid ihr doch!) nen Kapitalgesellschaften und den Start-ups schwer, neue Zu den Steuermehrbelastungen muss ich Ihnen sagen: Kapitalgeber zu finden. Wenn Sie die Steuerquote auf 22,6 Prozent erhöhen, dann Das Steuersenkungsergänzungsgesetz schafft nicht nur ist Ihre Steuerreform die langsamste und zögerlichste aller im Rahmen der Umstrukturierungen keine Gleichheit mit Zeiten. Für den Steuerzahler ist sie nichts anderes als eine den Kapitalgesellschaften, sondern auch hinsichtlich des Mogelpackung. Das muss man ganz deutlich ausspre- Steuersatzes sind die Personengesellschaften und Einzel- chen. unternehmen weiterhin wesentlich benachteiligt. Die (Beifall bei der CDU/CSU) Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommen- Die Einkommensbelastungsquote im Jahre 2005 steuer auf 42 Prozent im Jahre 2005 kommt für viele – also nach der Tarifsenkung bei der Einkommensteuer – Steuerzahler viel zu spät. wird immer noch 55 Prozent betragen. Damit würde die (Beifall bei der CDU/CSU) Belastung der Steuerpflichtigen mit Steuern und Abgaben Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12647

Hans Michelbach (A) gegenüber dem Jahr 1999, in dem sie 56,8 Prozent betrug, Ich darf Sie herzlich bitten, zur Steuervereinfachung, (C) kaum sinken. Angesichts dieser Zahlen wirken die Aussa- Steuergerechtigkeit und Steuerentlastung einen neuen An- gen der rot-grünen Bundesregierung zur umfassendsten lauf zu nehmen, der ein korrektes, gerechtes Steuersystem Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik in Deutschland zum Ziel hat. Was wir jetzt haben, ist eine (Beifall bei der SPD) Steuerbelastung für die Steuerzahler geradezu wie blanker Hohn. (Lachen bei der SPD) Ihr Zynismus gegenüber dem Steuerzahler wirkt wie und nicht eine Steuerentlastung, also nicht der Weg, den eine Selbstbeschädigung. Der Steuerzahler in Deutsch- wir in Deutschland brauchen. land bleibt durch Ihre Steuerpolitik die Melkkuh der Na- Vielen Dank. tion. (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von (Lachen bei der SPD) Larcher [SPD]: Das ist ja nur peinlich, Herr Ich habe gestern die Leitplanken von Herrn Bundes- Michelbach! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] finanzminister Eichel zur Kenntnis genommen. Daran [SPD]: Wie immer!) kann man erkennen, dass er bis zum Jahre 2009 keinerlei weitere Steuerentlastungen einräumen will, obwohl das Ich erteile das Wort Bruttoinlandsprodukt bis zu diesem Zeitpunkt um 40 Pro- Präsident Wolfgang Thierse: zent gestiegen ist. Das ist der Weg in den Steuer- und Ab- der Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. gabenstaat, nichts anderes. Das gibt eine Staatsquote von 50 Prozent, und das ist der falsche Weg. Sie müssen end- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lich umkehren und den Weg in die richtige Richtung ge- Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Manchmal hen. könnte man den Eindruck haben, Herr Michelbach, als ob Die rot-grüne Unternehmensteuerreform ist angesichts Sie sich in einer Selbstbeschwörungstruppe befänden. dieser Steuermehrbelastung (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Detlev von Larcher [SPD]: „Mehrbelastung“! DIE GRÜNEN und bei der SPD) Unglaublich!) Man muss leider auch den Eindruck haben, dass die Dis- nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist kussion, die in den letzten Monaten in der Fachwelt statt- die Situation. gefunden hat, an der CDU/CSU gnadenlos vorbeigegan- Sie sollten zumindest den Mut haben, sofort auf eine gen ist. (B) (D) Verschlechterung der AfA-Tabellen zu verzichten und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Firmen endlich Planungssicherheit für Investitionen und bei der SPD – Hans Michelbach zu geben. Das wäre bei den Steuermehreinnahmen, die [CDU/CSU]: Nein! Eben nicht!) Sie nach der heutigen Steuerschätzung haben, ein Signal für die investierende Wirtschaft und die investierenden Frau Kressl hat es angesprochen: Wir haben ein Gut- Bürger, dass hier nicht nur abkassiert, sondern auch Frei- achten der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsge- raum für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze ge- sellschaft Arthur Andersen. Ich sage noch einmal – denn staltet wird. Ich darf Sie herzlich bitten: Gehen Sie nicht anscheinend muss man es öfter sagen, bis es bei Ihnen an- den Weg, den Sie hier eingeschlagen haben! gekommen ist – : (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ja, er [Salzgitter] [SPD]: Zu spät!) hat eine gewisse Blockade!) Damit der Mittelstand überhaupt die Chance der Waf- Wir haben dieses Gutachten von Arthur Andersen, in dem fengleichheit erhält, hat die CDU/CSU-Fraktion Anträge unmissverständlich festgestellt wird, dass es bei der lau- in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Ich darf Sie fenden Besteuerung von Personengesellschaften keine bitten, diesen Anträgen zur Entlastung der Steuerzahler Nachteile gegenüber der Besteuerung von Kapitalgesell- vor dem Jahr 2005, nämlich im Jahr 2003, zuzustimmen. schaften gibt. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Zu spät! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das hätten Sie vor zwei Jahren machen sollen!) und bei der SPD – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] Es müssen Änderungen beim halben durchschnittlichen [SPD]: Herr Michelbach, hören Sie einmal zu!) Steuersatz zugunsten des Steuerpflichtigen erfolgen. Zur Zweitens. Wenn die CDU/CSU meint, wir würden Schaffung der Chancengleichheit des Mittelstandes mit nicht für Steuervereinfachung sorgen, dann muss man den Kapitalgesellschaften wäre es der richtige Weg, eine an dieser Stelle einmal ganz klar sagen, dass der Punkt steuerfreie Rücklage zu 100 Prozent für die Anteilsver- Körperschaftsbesteuerung in der Zukunft eine – ich sage äußerungsgewinne der Personengesellschaften und Ein- es einmal positiv – hervorragendeVereinfachung des zelunternehmen einzuführen. Steuersystems bedeutet. Sie brauchen dann ganze Be- (Jörg-Otto Spiller [SPD]: Aber Ihre Leute wol- wertungsbände nicht mehr. Die USA sagen: Ihr habt ein len das nicht unterstützen! Sie sind gar nicht klasse System auf den Weg gebracht. Die OECD sagt: Ihr da!) habt eine super Leistung vollbracht. Ich glaube, dass die 12648 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Christine Scheel (A) Wahrnehmung von außen realistischer ist als die inner- Es ist sozial ausgewogen, Frau Dr. Höll, es ist finanz- (C) halb der CDU/CSU. politisch vernünftig, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Barbara Höll [PDS]: Nein!) und bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die es ist fiskalpolitisch auch sinnvoll. Wähler sitzen in Deutschland, nicht in der OECD! – Gegenruf des Abg. Detlev von (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Larcher [SPD]: Die werden uns wieder wählen! SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Leo Ihr werdet euch wundern!) Dautzenberg [CDU/CSU]: 2005!) Punkt drei zu Ihren Ausführungen. Die CDU/CSU Auch wenn Sie es nicht glauben wollen: Wir haben macht Vorschläge. Danach wollen Sie auf der einen Seite eine Entlastung, weil wir jetzt durch die Bundesratsent- die Steuersätze noch weiter absenken – was man Ihnen scheidung, durch die Senkung des oberen Grenzsteuersat- zugestehen sollte. Das würden auch wir gerne, wenn wir zes von 43 auf 42 Prozent, ja nicht nur den oberen Grenz- es finanzpolitisch für verkraftbar hielten, was wir aber steuersatz noch einmal um 1 Prozentpunkt gesenkt haben, nicht tun. Auf der anderen Seite – das ist das Abstruse an sondern wir haben den gesamten Tarif in der Breite ge- dieser Diskussion – sind Sie aber nicht bereit, eine Ver- senkt, sodass ab 25 000 DM zu versteuerndem Einkom- breiterung der Bemessungsgrundlagezuzulassen. Im men die Entlastung greift, die in einer Größenordnung Gegenteil, Sie wollen niedrige Steuersätze und gleichzei- von über 5 Milliarden DM an die Steuerzahler und Steuer- tig alle Steuervergünstigungen wieder einführen. zahlerinnen zurückgegeben wird. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist doch Wir, das heißt Bund, Länder und Gemeinden, verzich- nicht wahr! Das stimmt doch nicht! – Leo ten – das muss man bitte auch immer wieder beachten – Dautzenberg [CDU/CSU]: Wo haben wir denn durch die Steuerreform 2000 auf insgesamt 62,5 Milliar- das beantragt?) den DM. Das ist eine vollkommen falsche Politik, die zu Ergebnis- Natürlich ist es so, dass uns die konjunkturelle Ent- sen führt, die wir finanzpolitisch und haushaltspolitisch so wicklung dabei hilft, den Ausfall überhaupt zu verkraften. niemals verantworten können. Die Steuerreform selbst wird durch die gewisse Eigendy- namik, die in ihr steckt, auch dazu beitragen. Ich bin sehr Es ist leider so – das muss man einfach sagen; ich be- froh, wenn ich lesen kann, dass uns der IWF mit einer daure es –: Sie haben auf der einen Seite in den letzten Wachstumsprognose von 3,1 Prozent für das Jahr 2001 Jahren nichts zustande gebracht, und jetzt nörgeln Sie gerade jetzt erst bestätigt hat, dass wir mit unserer Steuer- herum, ohne einen Hauch von Seriosität, und halten uns und Finanzpolitik erfolgreich Wachstumsimpulse setzen. (B) noch vor, wir sollten auf die Entwicklung bei den AfA-Ta- (D) bellen verzichten. Ja, wer hat denn das damals, 1997/98, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- versaubeutelt? Das war doch die alte Regierung, die ge- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) nau diese Kriterien festgelegt hat, die wir heute aus juris- Das ist genau der Punkt, weswegen man eine solche Poli- tischen Gründen erst einmal umsetzen müssen. tik macht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Bundesfinanzminister hat gestern in der Hum- und bei der SPD) boldt-Universität ganz klar gemacht, dass Rot-Grün den Und dann nehmen Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass Konsolidierungskurs weiter verfolgen wird. die Summe, die wir veranschlagt haben, maximal für das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entstehungsjahr mit der Summe identisch ist, die übrigens und bei der SPD) auch im Gesetzentwurf der CDU/CSU zu finden ist. Hier bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit statt einer so Wir werden 2004 auf gesamtstaatlicher Ebene keine scheinheiligen Diskussion, wie Sie sie wieder angezettelt neuen Schulden mehr aufnehmen. Wir werden 2006 auch haben. für den Bund keine Neuverschuldung mehr haben. Das ist ein Riesenerfolg dieser Regierung. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir setzen mit dem Gesetzentwurf etwas um, wovon wir sagen können: Wir haben unseren Willen zur Entlas- Danach – es geht ja noch weiter – geht es erst an den tung aller Steuerzahler und Steuerzahlerinnen bewiesen, Abbau des Schuldenberges. Wir haben immer noch die 1,5 Billionen DM Schulden, die letztendlich wir zu ver- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ihr repariert antworten haben. Das ist Ihre Hinterlassenschaft. etwas; ihr setzt nichts um!) (Zuruf von der CDU/CSU: Die deutsche und wir haben dies auch gegen sehr, sehr viele Wider- Einheit!) stände durchgesetzt. Darüber sind wir sehr froh, denn dies hat letztendlich auch dazu geführt, dass wir durch diesen Wir müssen jetzt einiges ausbaden, was diese alte Regie- Reformschritt eine Entlastung für die breite Masse der rung an falscher Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik ge- Steuerzahler und Steuerzahlerinnen bekommen. macht hat. (Dr. Barbara Höll [PDS]: Sozial ungerecht ma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen Sie das!) und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12649

Christine Scheel (A) Das ist doch der Punkt; da müssen auch die Fakten auf den gungen abzubauen. Beides haben wir erfolgreich umge- (C) Tisch. setzt, sodass wir bei der Steuergesetzgebung, ausgehend von der Übernahme der Regierungsverantwortung bis (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da muss zum Ende der Finanzplanung – wir haben die Umsetzung man ja einmal fragen, wo das Geld geblieben der einzelnen Stufen der Steuerreform vorgelegt –, insge- ist!) samt 93,5 Milliarden DM jährlich an Steuerentlastung an Die Schuldenquote soll 2012 nur noch 38 Prozent be- die Bürger und Bürgerinnen zurückgeben. tragen; jetzt liegt sie bei 60 Prozent. Ich denke, auch das (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Leo ist der Anerkennung wert. – Sie nicken ein bisschen von- Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist Ende 2005!) seiten der F.D.P.; ich glaube, an diesem Punkt sind wir uns einig. Davon profitieren die privaten Haushalte mit 65,5 Milli- arden DM, die mittelständischen Unternehmen mit rund (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- 30 Milliarden DM SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Er soll mal heftig nicken! – Ulrich (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: „Jährlich“ stimmt doch gar nicht!) Heinrich [F.D.P.]: Gemach, gemach!) und die Großindustrie – das muss ich in diesem Zusam- Erst dieser strikte Konsolidierungskurs hat doch über- menhang auch erwähnen – wird aufgrund der Verände- haupt erst die Grundlage für die Senkung der Steuern und rungen bei den Abschreibungsbedingungen minimal be- Abgaben geschaffen. Wir werden ihn beibehalten, um auf lastet. lange Sicht eine solide Finanzpolitik für die Bürger und Bürgerinnen zu machen. Das heißt, dass die Steuer- und Ich finde, das ist eine sehr ausgewogene und wunder- Abgabenbelastung der Bürger und Bürgerinnen und die bar faire und gute Politik, die eine Entlastung von unten Ausgaben des Staates im Gleichschritt zurückgeführtnach oben durchgibt, sodass man sagen kann: Das ist ein- werden, sodass die Abgabenquote bis 2012 auf 38 Pro- fach klasse gelungen. zent sinken – das hat der Finanzminister gesagt – und die Staatsquote von derzeit rund 47 Prozent auf 40 Prozent Präsident Wolfgang Thierse:Kollegin Scheel, verringert werden kann. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Das ist das Ziel, und es wäre klasse, wenn Sie zugeste- Dautzenberg? – hen würden, dass das auch in Ihrem Sinne ist und dass das (Zuruf von der SPD: Wir geben alle unsere Re- einfach ein Riesenerfolg dieser Regierung ist. den zu Protokoll, er verlängert die ganze De- batte! – Jörg Tauss [SPD]: Er muss es dem (B) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (D) Michelbach erklären!) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Bitte schön. Ich will an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen zum CDU/CSU-Antrag machen. Ich kann nur sagen, dass die Tatsache, dass der halbe durchschnittlicheLeo Dautzenberg (CDU/CSU): Habe ich das richtig Steuersatz – auch mit den Einschränkungen, die wirverstanden, Frau Kollegin Scheel, dass Sie ausgeführt ha- vorgenommen haben – wieder eingeführt wird – wasben, der Steuerzahler wird jährlich um 93 Milliarden DM wir heute beschließen wollen –, die im Unternehmen be- entlastet? Oder haben Sie sich da vertan, weil es der End- triebene Altersvorsorge um rund 2 Milliarden DM punkt 2005 ist, an dem diese Entlastung ansteht? zusätzlich zu dem, was wir ursprünglich vorgesehen ha- ben, entlastet. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ab 2001!) Ich habe gesagt: Wenn die letzte Stufe umgesetzt ist, hat sich das Jahr für Jahr aufgebaut Der Bundesrat selbst – daran darf ich Sie erinnern – hat beantragt, die Begünstigung von Veräußerungsgewinnen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das haben Sie nur einmal im Leben zu gewähren. Das heißt, es kommt nicht gesagt!) den Unternehmern und Unternehmerinnen zugute, die und greift ab 2005 in dieser Größenordnung, in diesem ihren Betrieb verkaufen und sich zur Ruhe setzen wollen. Volumen, das über die Folgejahre logischerweise entspre- Die Verknüpfung des halben Steuersatzes mit der Al- chend weitergeführt wird. tersvorsorge hat noch einen weiteren ganz entscheidenden (Zuruf von der SPD: Das ist auch schön! Das ist Vorteil. Das frühere Steuersparmodell – halber Steuer- auch etwas Gutes! – Leo Dautzenberg satz – wird so nicht wieder aufgemacht. Bei seiner Ab- [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht gesagt! Ich schaffung hatten wir 6,5 Milliarden DM, die wir jetzt werde das im Protokoll nachlesen!) praktisch als Steuermehreinnahmen verbuchen können, in die Senkung der Steuersätze gesteckt. Davon haben alle Im Zusammenhang mit der Altersvorsorge haben wir Steuerzahler profitiert und nicht nur diejenigen, die die eine Diskussion. Wir meinen, was für Unternehmer gilt, Steuersparmodelle genutzt haben. sollte aus Gerechtigkeitsgründen auch Arbeitnehmern und Handelsvertretern nicht vorenthalten bleiben. Wir sind angetreten, die Steuersätze nachhaltig zu sen- ken. Wir sind angetreten, gleichzeitig Steuervergünsti- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aha!) 12650 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Christine Scheel (A) Auch ältere Arbeitnehmer oder Handelsvertreter über- vorwerfen – von unserem schlüssigen und nachhaltigen (C) brücken mit ihren Abfindungen bzw. ihren Ausgleichs- finanzpolitischen Kurs abbringen. Sobald Sie sehen, dass ansprüchen die Zeit bis zur Rente. Auch sie erhaltenirgendwo Mehreinnahmen zu verbuchen sind, kommt so- diese Zahlungen dafür, dass sie ihre wichtigste Erwerbs- fort ein Strauß von Vorstellungen, wie man sie wieder aus- quelle aufgeben. geben könnte. Das ist genau die falsche Politik, die Sie jahrelang betrieben haben. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Warum haben Sie unserem Antrag nicht zugestimmt?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auch sie gehörten längere Zeit einem Unternehmen an. und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU) Daher meinen wir, dass wir im Zusammenhang mit der Jetzt wird diese Politik im Zusammenhang mit der Steu- Reform der Altersvorsorge auch die Abfindungen der Ar- erschätzung wieder aufgelegt. Sie wollen die Steuermehr- beitnehmer entlasten sollten. Darüber sind wir uns einig. einnahmen verschleudern, anstatt sie in den Haushalt ein- Wir werden das in den nächsten Wochen zu diskutieren zuspeisen, damit beispielsweise die Haushaltsansätze für haben und dazu einen vernünftigen Vorschlag im Zusam- Privatisierungen reduziert werden können und damit die menhang mit der Altersvorsorge vorlegen. Das gilt, wie Nettoneuverschuldung im Jahre 2001 – das haben wir vor – gesagt, genauso für die Handelsvertreter. Bei den Han- bei konstantem Ausgabevolumen auf unter 45 Milliar- delsvertretern steht es auch in der Beschlussempfehlung den DM festgesetzt werden kann. zu dem Gesetzentwurf. Da ist es zugesagt; Sie können es Im Gegensatz zu unserer ausgewogenen Politik der nachlesen. Das ist sicherlich auch der richtige Weg. Steuersenkungen und des Abbaus der Staatsverschuldung ( [CDU/CSU]: Jetzt wäre es betreiben Sie nach wie vor einen gnadenlosen Populis- zu entscheiden!) mus. Sie würden den Schuldenberg für zukünftige Gene- rationen wieder vergrößern. Deswegen bin ich froh, dass Wir haben auch einen Erfolg vorzuweisen, was die ge- wir und nicht Sie regieren. sellschaftlichen Leistungen der Kirchen anbetrifft. Ich bin froh – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, dass von al- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len anderen Fraktionen dieses Hauses die Überlegung und bei der SPD) mitgetragen worden ist, den Kirchen wegen der System- umstellungen in der Unternehmensteuerreform keine Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- Ausfälle zuzumuten, gen Hermann-Otto Solms, F.D.P.-Fraktion, das Wort. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer hat das denn verursacht?) (B) Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Präsident! (D) und dass wir gemeinsam die Bemessungsgrundlagen für Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Kirchensteuer so geregelt haben, dass die finanzielle noch einmal daran erinnern, dass wir hier ja gar nicht über Basis der Kirchen für ihre gesellschaftlichen Aufgaben die Steuerreform zu debattieren haben, sondern über ein auch in Zukunft nicht geschmälert wird. Gesetz, das das Ergebnis eines Kompromissbeschlusses des Bundesrates ist. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr mutet nur den Landwirten zuviel zu!) (Detlev von Larcher [SPD]: Das gehört zu- sammen!) Lassen Sie mich noch kurz etwas zur Steuerschätzung sagen, weil Herr Michelbach es angesprochen hat.– Die Steuerreform als solche ist ja verabschiedet. – Man kann doch ganz klar feststellen: Die erfreulichen Worum ging es bei diesem Beschluss? Es ging darum, die Ergebnisse der Steuerschätzung bestätigen unseren Re- Blockade aufzulösen, die zwischen Regierung und Oppo- formkurs. sition und den jeweiligen Parteien im Hinblick auf die zukünftige Steuergesetzgebung entstanden war. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der F.D.P.) Man kann auch ganz klar feststellen, dass die Konsoli- dierungsmaßnahmen die wirtschaftlichen Rahmenbedin- Wie Sie wissen, gab es viele Gründe für die Kritik an gungen stärken und damit zu höheren Einnahmen der öf- dem Steuerreformkonzept der Koalition. Aber ein ganz fentlichen Haushalte führen. Das ist auch gut so. Manwesentlicher Grund lag darin, dass es mit der Reform eine kann ferner feststellen, dass wir bereits im nächsten Jahr deutliche Diskriminierung mittelständischer Unterneh- eine Entlastung in Höhe von 45 Milliarden DM und bis men und Einzelkaufleute gegenüber großen Kapitalge- einschließlich 2006 – das beinhalten die Unterlagen zur sellschaften gegeben hat. Steuerschätzung auch – von insgesamt 250 Milliar- (Detlev von Larcher [SPD]: Herr Solms, das den DM haben werden. Damit legen wir den Grundstein stimmt nicht!) für Wachstum und Beschäftigung. Die Steuersenkung, die die Regierung beabsichtigt (Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Nur merken hatte, wurde auch von uns begrüßt. Aber die Diskriminie- die Leute nichts davon!) rung wollten wir – jedenfalls in diesem Maße – nicht zu- Die konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen dür- lassen. Deswegen haben wir, beteiligt über das Bundes- fen uns aber nicht – das muss ich Ihnen und vor allen Din- land Rheinland-Pfalz, uns bemüht, diese Diskriminierung gen wieder einmal dem bayerischen Ministerpräsidenten abzubauen. Das ist nun in einem spürbaren Maße gelun- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12651

Dr. Hermann Otto Solms (A) gen; denn durch den Kompromiss sind zusätzliche Steuer- mitteln –, wenn es dann genau so umgesetzt worden wäre, (C) entlastungen in Höhe von 7 Milliarden DM freigegeben wie es alle, die an dem Kompromiss beteiligt waren, nur worden. verstehen konnten. Das ist leider nicht geschehen. Die selbstständigen Handelsvertreter sind von dieser Rege- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So lung ausgenommen worden; sie waren bei der vorherigen ist es!) Regelung einbezogen. Der Betrag ist von 15 Millionen Die Schlechterstellungen gerade bei den Veräußerungs- auf 10 Millionen DM reduziert worden. Zudem ist eine gewinnen bei kleineren Personengesellschaften sindMindestbesteuerung beim Eingangsteuersatz eingeführt durch die Wiedereinführung des halben durchschnittli- worden. Das ist im Bundesrat nie zur Sprache gekommen. chen Steuersatzes deutlich reduziert worden. Solche Tricksereien sind nicht in Ordnung; denn dann kann man sich nicht mehr aufeinander verlassen. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Aber nur reduziert, nicht beseitigt!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich bei Hans- Artur Bauckhage, dem stellvertretenden Ministerpräsi- Das sage ich auch für die Zukunft. Es kann immer wie- denten, und bei Rainer Brüderle, die auf unserer Seite die der zu einer solchen Situation kommen. Wenn man sich Verhandlungen geführt haben, genauso wie bei Kurtauf Absprachen nicht verlassen kann, dann muss man im Beck, dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Ich Bundesrat bereits die Gesetzgebungstexte verabschieden. bedanke mich auch deshalb so sehr bei ihnen, weil sie sich Das würde die Verfahren enorm erschweren. Ich bitte da- nicht wie die drei Länder mit großen Koalitionen, die an rum, dass solche Tricksereien in Zukunft nicht wieder dem Kompromiss ebenfalls mitgewirkt haben, nämlich vorkommen. Das Gleiche gilt für die nur teilweise Wie- Berlin, Brandenburg und Bremen, nur um eine Verbesse- dereinführung des Mitunternehmererlasses, der im rung ihrer Haushaltsposition bemüht haben. Vielmehr hat Bundesrat schon bei der vorherigen Sitzung beschlossen dieses Bundesland dafür gesorgt, dass die Verbesserungen worden war. Er ist aber nicht komplett umgesetzt worden. ganz eindeutig den mittelständischen und kleinen Unter- Das sind nicht die gewichtigen Punkte, aber es geht um nehmen in der ganzen Bundesrepublik dienen. die Fairness im Verfahren und um die Verlässlichkeit sol- cher Verabredungen. (Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salz- gitter] [SPD]: Die Bremer Hafenpolitik dient (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: So ist es! Ausge- auch dem Mittelstand! – Zuruf von der SPD: sprochen ärgerlich!) Für sie wäre die Fünftelung besser gewesen! Sie Deswegen sage ich noch einmal: Dieser Kompromiss argumentieren für 4 Prozent der mittelständi- ist ein Schritt nach vorne. Die Steuerreform führt zu drin- schen Unternehmen! Ich argumentiere für (B) gend notwendigen Entlastungen. Die Diskriminierung(D) 96 Prozent!) des Mittelstandes ist reduziert, aber sie bleibt in einem – Lassen Sie diese Spitzfindigkeiten. Damit kommen Sie ganz wesentlichen Punkt für einige Jahre erhalten: Die nicht weiter. Körperschaftsteuer wird ab dem 1. Januar 2001 auf 25 Prozent gesenkt, aber die entsprechenden Steuersen- (Lachen bei der SPD) kungen bei der Einkommensteuer auf 42 Prozent werden Es geht um die mittelständischen Unternehmen insge- erst ab dem Jahre 2005 komplett vollzogen. Das ist für samt. Es geht gerade um die kleinen Unternehmer, die aus viele Unternehmen eine lange Zeit, in der sie, wenn sie dem Berufsleben ausscheiden, ihr Unternehmen ver-mit Kapitalgesellschaften im Wettbewerb stehen, eindeu- äußern oder aufgeben und damit einen Erlös erzielen, der tig benachteiligt sind. dann auch der Altersversorgung dient. Die Berücksichti- Nun haben wir die neue Steuerschätzung gehört. Ich gung dieser Tatsache ist ein ganz wesentlicher Anspruch, freue mich: Die Sanierung der Haushalte – das ist gut – dem zum Durchbruch verholfen worden ist. kommt voran. Aber wir sollten dann die Gelegenheit nut- (Beifall bei der F.D.P.) zen – das kann ich Ihnen, die Sie die Mehrheit haben, nur empfehlen –, die zeitliche Spreizung – es steht jetzt mehr Weil wir an diesem Kompromiss beteiligt waren – die Finanzmasse zur Verfügung – zu verkürzen, damit diese F.D.P.-Fraktion hat ihm unverzüglich zugestimmt –, wer- Diskriminierung nicht so lange bestehen bleibt, die man- den wir auch hier diesem Gesetzentwurf zustimmen. Das ches kleine Unternehmen in Schwierigkeiten bringen ist nur konsequent. Wir werden uns beim Antrag der Uni- kann. Es wäre gut, wenn Sie das täten. Da Sie aller Vo- onsfraktion enthalten. Wir sind bei den Punkten inhaltlich raussicht nach vor den Wahlen 2002 noch einiges tun der gleichen Meinung wie die Union, aber die Positionen werden, um die Stimmung im Lande zu verbessern, gehen deutlich über diesen Kompromiss hinaus. Es wäre einfach unfair, nun diesen Kompromiss wieder aufzuwei- (Detlev von Larcher [SPD]: Herr Solms weiß, chen. wie das geht! – Gegenruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr nicht, ihr lernt es jetzt!) Ich will einen zweiten Punkt nennen. Die Entschlie- ßung des Bundesrates hat eine ganz einfache Formulie- kann ich Ihnen nur empfehlen, diese Maßnahme in dieses rung: Sie fordert die Wiedereinführung des halben Steuer- Paket einzubauen. Das kann Ihnen nutzen; das kann auch satzes bei den Veräußerungsgewinnen. Ich hätte es für fair den Mittelständlern nutzen. Dieser Maßnahme würden und souverän gehalten, Frau Staatssekretärin – ich möchte wir nicht widersprechen. Das kann ich Ihnen heute schon Sie bitten, dass Sie dies dem Herrn Bundesminister über- zusagen. 12652 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Hermann Otto Solms (A) Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung Mein Sohn würde sagen: Es tropfte mächtig von der(C) zu der Grundsatzrede, die der Bundesfinanzminister ges- Decke. tern an der Humboldt-Universität gehalten hat, machen. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Er hat sich dafür ausgesprochen, die Steuer- und Abga- NEN]: Gute Sachen kann man gut darstel- benlast zu senken, die Staatstätigkeit zu begrenzen, len!) Freiräume für private und unternehmerische Initiativen zu schaffen, das Steuerrecht zu vereinfachen, Subventio- In der „Frankfurter Rundschau“ fand ich in einem nen abzubauen und Privatisierungspotenziale auszu- Kommentar zur Grundsatzrede des Finanzministers sehr schöpfen. treffend das Problem aufgezeigt, welches Sie eben mit Ihren Reden zu verschleiern suchten: (Detlev von Larcher [SPD]: Das gefällt Ihnen doch gut!) Zweifellos wird die Steuerreform, die unter Eichels Federführung zustande kam, auch die nicht so klot- Das alles sind Positionen, denen wir gerne zustimmen. zig Verdienenden entlasten. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Richtig. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Doch eine gerechtere Verteilung ist damit nicht GRÜNEN) verbunden, weil Steuerzahler mit hohen Einkommen Es klingt so, als wäre es aus dem Grundsatzprogramm der überdurchschnittlich profitieren. F.D.P., den Wiesbadener Beschlüssen, abgeschrieben. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Widerspruch bei der SPD) NEN]: Weil es eine Steuerprogression gibt! Das ist doch logisch!) Die Botschaft hör’ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube; denn wenige Tage zuvor hat der Bundesfinanz- Auch wenn Sie die Steuern für alle senken, haben Sie das minister erklärt, bis zum Jahre 2006 kämen weitere Steu- Verteilungsproblem noch nicht angepackt, sondern viel- ersenkungen nicht infrage. Das ist einerseits schon ver- mehr noch verschärft. messen, weil er gar nicht weiß, ob er 2006 noch im Amt Wer sich nun einbildet, mit dem Steuersenkungsergän- ist. Im Jahre 2002 hat ja der Wähler das Wort. Anderer- zungsgesetz würde dem Einhalt geboten, der sieht sich seits widerspricht das auch seinen grundsätzlichen Über- leider bitter enttäuscht, denn das wichtigste Anliegen des zeugungen. Gesetzes ist ja die weitere Absenkung des Spitzensteu- ersatzes von 43 auf 42 Prozent. Die weiteren Maßnahmen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Hat der werden den Bund und die Länder noch einmal 7 Milliar- Grundsätze?) (B) den DM kosten. Davon entfallen 3 Milliarden DM auf die (D) Ich frage mich: Meint er es nun wirklich so? Dann muss Länder, das heißt, sie werden hier zusätzlich wieder be- er natürlich den Weg einer weiteren steuerlichen Entlas- lastet. tung gehen, aber auch die Sozialpolitiker dabei unterstüt- Dass mit Ihrer Steuersenkungspolitik die Länder an die zen, Rentenreform, Gesundheitsreform, Reform derGrenze ihrer Belastbarkeit kommen, wird sich in einer ak- Pflegeversicherung und andere Dinge so voran zu brin- tuellen Diskussion in der nächsten Woche zeigen, in der gen, dass die Beiträge gesenkt werden können und damit es darum geht, wie sich die Länder daran beteiligen wer- der Staatsanteil, so wie er es ja vorsieht, sinkt. Ich erkenne den, die andere Seite Ihrer Finanzpolitik wieder sozial ab- noch nicht, dass Rot-Grün die hierfür notwendigen Maß- zufedern, und zwar durch die Kompensation Ihrer Steuer- nahmen ergriffen hätte. Da bleiben Sie einiges schuldig. erhöhungspolitik in Form der Ökosteuer über die Deswegen kann ich Sie alle nur auffordern: Lesen Sie sich Heizkostenpauschale und durch die Ausweitung und Er- noch einmal diese Grundsatzrede durch und entwickeln höhung der Entfernungspauschale. Sie entsprechende Programme, aus denen hervorgeht, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat ja dass diese Ziele wirklich verfolgt werden. noch nicht einmal die CDU ins Feld geführt!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Das sollen ja die Länder wieder tragen. Mit Ihrer Politik, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) einem Mix aus sozial ungerechter Steuersenkung und ei- ner teilweisen Steuererhöhung, beschränken Sie natürlich den finanziellen Spielraum, den Bund, Länder und Kom- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile jetzt das munen für wirklich wichtige Reformen benötigen. Wort der Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion. Ich möchte hier in der allgemeinen Diskussion insbe- sondere auf die Rente hinweisen. Das Argument, dass die Dr. Barbara Höll (PDS): Sehr geehrter Herr Präsident! Finanzbasis der Rentenkassen nicht mehr ausreicht und es Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und notwendig ist, das Rentenniveau abzusenken, ist ja für Sie dritte Lesung des Steuersenkungsergänzungsgesetzesoffenbar eine unumstößliche Wahrheit. Andererseits ver- wurde von Frau Kressl und Frau Scheel weidlich ausge- zichten Sie als Regierungskoalition auf weitere Steuer- nutzt, um die eigene Steuerpolitik zu loben. einnahmen. Dann den Bürgerinnen und Bürgern die private Vorsorge, mit der Sie die Absenkung des Lei- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die ist stungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung auf- doch auch wirklich gut! – Detlev von Larcher fangen wollen, mit 20 Milliarden DM in Form von steu- [SPD]: Richtig so!) erlicher Förderung großzügig schmackhaft zu machen, ist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12653

Dr. Barbara Höll (A) Dummenfang und wird auch bei der Bevölkerung nicht An dieser Stelle sollten Sie nicht warten, sondern eben- (C) klappen. Es wird ganz interessant sein, zu sehen, wie Sie falls zum 1. Januar 2001 aktiv werden. im nächsten Jahr die Nettolohnanpassung der Renten vor- nehmen werden. Wir sind gespannt, ob die steuerliche Fa- (Beifall bei der PDS) milienentlastung dann auch bei Rentnerinnen und Rent- Nehmen Sie Ihre Steuerpolitik und dieses Gesetzvor- nern ankommt. haben doch noch einmal im Hinblick auf eine sozial ge- Die Ungerechtigkeit Ihres Steuersenkungsgesetzesrechte Verteilung, die in der heutigen Zeit eine absolute setzt sich leider auch im Ergänzungsgesetz fort. DiesNotwendigkeit ist, unter die Lupe. betrifft nicht nur die weitere Absenkung des Spitzensteu- Ich danke Ihnen. ersatzes um einen Prozentpunkt, sondern auch die nach- trägliche Anerkennung dessen, dass man auch für Perso- (Beifall bei der PDS) nenunternehmen – genau wie für Kapitalgesellschaften – etwas tun muss. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Parla- Dass Sie mit der Absenkung des Körperschaftssteuer- mentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das satzes auf 25 Prozent als Definitivbesteuerung insgesamt Wort. eine Systemumstellung vornehmen, kostet die Steuerzahle- rinnen und Steuerzahler bis zum Jahre 2004 60 Milliar- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim den DM. Unser Vorschlag lautete: Die Definitivbesteuerung Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da- ist zwar möglich, aber wenn sie eingeführt wird, sollte sie men und Herren! Leider ist Herr Michelbach nicht mehr mit einem progressiven Körperschaftssteuersatz verbunden da, aber im Hinblick darauf, dass der Kollege werden, damit zumindest in diesem Fall eine Besteuerung Dautzenberg nach mir sprechen wird, möchte ich zuvor nach der Leistungsfähigkeit erfolgt. Das wäre gerecht. folgende Bemerkung machen: Diejenigen, die noch im- Um diese Regelung, die kleine und mittelständische Be- mer – trotz all unserer Maßnahmen, inklusive des triebe, die Personenunternehmen tendenziell schlechter Steuersenkungsergänzungsgesetzes – in diesem Hohen stellt, im Nachhinein zu rechtfertigen, haben Sie demHause, in der Öffentlichkeit oder wo auch immer behaup- Druck nachgegeben und sagen jetzt mit Hinweis auf das ten, die Steuerreform 2000 benachteilige denMittel- Argument der Altersvorsorge, dass Sie bei der Steuerfrei- stand, müssen sich irgendwie entschieden haben, nicht heit von Gewinnen aus Veräußerungen von Kapitalgesell- schlauer werden zu wollen, als sie von Geburt aus sind. schaften nachbessern wollen, indem Sie für Personenunter- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nehmen den halben Durchschnittssteuersatz in Bezug auf DIE GRÜNEN) (B) Gewinne aus Betriebsveräußerungen und Betriebsauf- (D) gaben einführen wollen. Das ist für diese Menschen eigentlich schade; denn man kann auf sie weder politisch noch pädagogisch einwirken. Selbst diese Regelung, die letztendlich eine nachträg- liche Rechtfertigung für die Steuerfreiheit bei Kapitalge- (Detlev von Larcher [SPD]: Richtig!) sellschaften ist, ist sozial ungerecht; denn der halbe Durchschnittssteuersatz wird dann die Bezieher vonGleichwohl will ich diesen Versuch auch heute nicht auf- besonders hohen Gewinnen aus solchen Veräußerungen geben, politisch und, falls nötig, auch pädagogisch einzu- überproportional entlasten. Deshalb halten wir diesenwirken. Ansatz für das falsche Instrument. Es wäre notwendig (Detlev von Larcher [SPD]: Sie sind nun ein- gewesen, weiter darüber nachzudenken, ob die bisherige mal Pädagogin!) Form der Freibeträge und der Fünftelungsregelung weiter auszubauen ist. Die Zahlen sind eben objektiv so, und das kann man Ih- nen auch ganz leicht vorrechnen. Eine alternative Lösung für eine tatsächliche Alters- vorsorge auch von Unternehmerinnen und Unternehmern Durch die Steuerpolitik der Koalition von SPD und wäre natürlich gegeben, wenn wir von neuem über eine Grünen hat sich die Wahrnehmung Deutschlands in der Rentenversicherungspflicht für alle diskutierten. Das ist internationalen Öffentlichkeit sehr zum Positiven gewen- ein Feld, das wir auf alle Fälle noch beackern müssen. det. „Der kranke Mann in Europa“ – so wurde Deutsch- land aufgrund des früheren Reformstillstands genannt – (Beifall bei der PDS) hat sich vom Krankenbett erhoben. Deutschland ist auf Zum Abschluss möchte ich folgenden Gedanken bei- dem Weg der Genesung – Gott sei Dank. Wir tragen dafür steuern: Zwar ist die Zielstellung der Gleichbesteuerung die Verantwortung. von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen Ihr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ausdrückliches Anliegen; allerdings haben Sie damit die DIE GRÜNEN) große Gerechtigkeitslücke immer noch nicht geschlossen, die im Vergleich zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Wir haben dem Patienten die Medizin verabreicht, die er nehmern besteht, die steuerlich wesentlich höher belastet dringend brauchte: eine solide finanzierte, auf nachhaltige werden, wenn sie Abfindungen erhalten, insbesondere in Entlastung aller Steuerzahler gerichtete Steuerreform. höherem Lebensalter. Für diese Menschen sind solche Die CDU/CSU-geführte Bundesregierung hat seiner- Abfindungen auch eine Altersvorsorge. zeit den Reformstau lediglich noch verwaltet. Dagegen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) wird schon nach der ersten Halbzeit dieser Legislaturpe- 12654 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) riode deutlich: Rot-grün ist die ReformschmiedeKollege Merz verstanden, dass das nötig war. In den(C) Deutschlands. 90er-Jahren hat Deutschland den internationalen Steuer- wettbewerb einfach nicht zur Kenntnis genommen. Das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutsche Steuersystem geriet im internationalen Vergleich DIE GRÜNEN) – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Mit immer weiter in Rückstand. Die Steuerreform 2000 hat „Reformstau“ wäre ich lieber ruhig, nach dem, dies grundlegend verändert. Ab 2001 sinkt in Deutschland was ihr in der letzten Legislaturperiode geboten die Steuerbelastung in einem großen, erheblichen Schritt. habt!) Ich darf wegen Ihres Einwurfs, Herr Kollege Mit unseren Reformen geht es in Deutschland endlich Heinrich – Sie haben gerade die Ungleichzeitigkeit be- voran. Unsere Steuerreform 2000 erfährt weltweit von mängelt –, noch einmal sagen: Wir haben mit der Senkung Praxis, Politik und Wissenschaft Lob und Anerkennung. der Einkommensteuer schon im vergangen Jahr begonnen (Detlev von Larcher [SPD]: So ist es!) und führen sie in diesem Jahr fort; im nächsten Jahr kommt schon der dritte Schritt. Mit der Körper- Die Kolleginnen Kressl und Scheel haben schon auf Arthur schaftsteuer fangen wir erst im nächsten Jahr an. Andersen hingewiesen. Ich kann auch auf den Deutsch- land-Bericht des IWF oder auf den Monatsbericht der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deutschen Bundesbank, also auf unabhängige Expertenur- DIE GRÜNEN) teile hinweisen, die uns hohe Anerkennung zollen. Diese Absenkung der Steuerlast erreichen wir in erster (Beifall bei der SPD) Linie durch deutlich reduzierte Steuersätze. Heute soll dieses Reformwerk mit dem Steuersen- kungsergänzungsgesetz einen Schlussstein mit einer wei- Präsident Wolfgang Thierse:Frau Kollegin teren mittelstandspolitischen Prägung erhalten. Deutsch- Hendricks, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- land hat sein schlechtes internationales Image, reform- gen Heinrich? unfähig zu sein, übrigens überraschend schnell verloren. Im internationalen Standortwettbewerb ist das viel- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim leicht wichtiger, als den niedrigsten Steuersatz weltweit Bundesminister der Finanzen: Ja. Bitte, Herr Kollege aufbieten zu können, aber auch da sind wir fast Spitze, Heinrich. wenn nicht sogar ganz; ich werde darauf noch zurück- kommen. Ulrich Heinrich (F.D.P.): Sie haben mich provoziert, (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Darum ist Frau Staatssekretärin. Ich habe eine ganz besondere Bran- (B) der Euro wohl so stark geworden!) che im Auge, und zwar dieLandwirtschaft. Bei der (D) In den vergangenen Jahren haben eine ganze Reihe Landwirtschaft haben Sie die Verbreiterung der Bemes- von europäischen Ländern Steuerreformen durchgeführt. sungsgrundlage bereits vorgenommen; sie wirkt bereits Nicht zuletzt dadurch stieg der Handlungsdruck auf ab dem nächsten Jahr. Die Entlastungswirkung setzt aber Deutschland weiter an. Grundausrichtung der Reformen erst in vier bis fünf Jahren ein. in Europa war und ist die Absenkung der Steuersätze bei (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Prinzipi- NEN]: Landwirte haben keinen Spitzensteuer- ell sind wir uns da ja einig. Frau Kollegin Scheel hat satz!) aber zu Recht darauf hingewiesen: Sie wollen immer nur die eine Seite sehen. Sie wollen die Absenkung der Steu- Wir haben hier also den Verzögerungseffekt, dass in den ersätze; alle Maßnahmen aber, die wir – auch schon im nächsten Jahren etwa 100 Millionen DM jährlich zusätz- vergangenen Jahr – zur Verbreiterung der Bemes- liche Belastung entsteht – keine Entlastung. Der Aus- sungsgrundlage ergriffen haben, wollen Sie rückgän- gleich bzw. die Entlastung tritt erst im Jahre 2006 ein. Wie gig machen. Sie müssen sich dazu auch einmal beken- bringen Sie das mit dem in Einklang, was Sie gerade ge- nen. sagt haben? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Heinrich, die Man kann nicht sozusagen das Ei essen und das Huhn zu- ganz große Zahl der landwirtschaftlichen Unternehmen in gleich braten. Man muss sich schon entscheiden, wie man der Bundesrepublik Deutschland ist eben als Personenge- vorgehen will. sellschaft bzw. als Einzelunternehmen organisiert. Diese (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es geht um die feh- profitieren schon seit dem vergangenen Jahr von der Ab- lende Gleichzeitigkeit!) senkung des Eingangssteuersatzes und in diesem Jahr von einer weiteren Absenkung des Eingangssteuersatzes und Wir haben uns der europäischen Linie angeschlossen. von der Erhöhung des Grundfreibetrages. Sie profitieren Gleichzeitig haben wir das deutsche Steuersystem inter- auch in diesem Jahr schon von einer Absenkung des Spit- nationalen Anforderungen angepasst. Das international zensteuersatzes. Alle Steuerzahler, die einkommensteuer- unübliche Vollanrechnungsverfahren wird 2002 durch das pflichtig sind – zu denen gehört die überwiegende Zahl mit anderen Steuersystemen kompatible Halbeinkünfte- der Landwirte –, profitieren also schon seit dem vergan- verfahren ersetzt. Ich glaube, inzwischen hat sogar Herr genen Jahr. Sollten landwirtschaftliche Unternehmen sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12655

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) als GmbHs organisiert haben, so werden sie erstmals im den Wünschen des Mittelstandes, mit dem Betrieb eine(C) nächsten Jahr profitieren. Altersvorsorge aufbauen zu können, und der Notwendig- keit, Steuerschlupflöcher zu schließen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Un- Ich darf kurz auf das eingehen, was Kollege Michelbach, ter dem Strich bleiben 100 Millionen DM Be- der leider nicht mehr da ist, dazu gesagt hat. lastung! – Gegenruf des Abg. Detlev von (Zuruf von der CDU/CSU: Er konnte nicht Larcher [SPD]: Das ist bestreitbar!) mehr hier sein, weil er Termine hat!) Mit dem Steuersenkungsänderungsgesetz wollen wir – Verständlich, das kann jedem von uns passieren. die Entschließung des Bundesrates vom 14. Juli 2000 um- setzen; Herr Kollege Solms hat darauf hingewiesen. Dazu (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer so gehört die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der polemisch ist, sollte schon dableiben!) Einkommensteuer in 2005 auf 42 Prozent. Aber vielleicht können Sie es ihm ausrichten, damit er es Es gibt übrigens – ich bitte die Kolleginnen und Kolle- in Zukunft nicht wieder falsch behauptet. gen von der Union, besonders aufmerksam zu sein – nur Zum einen ist es so, dass 80 Prozent aller Veräuße- noch zwei Länder, die dann niedrigere Höchststeuersätze rungserlöse in der Bundesrepublik Deutschland bei weni- als Deutschland haben werden, nämlich das Vereinigte ger als 100 000 DM liegen. Die sind in Zukunft vollstän- Königreich und Portugal. Auch die Vereinigten Staaten, dig steuerfrei. Bisher waren bis 60 000 DM etwa Japan oder andere Industriestaaten, die außerhalb Europas 70 Prozent aller Veräußerungserlöse steuerfrei. Bei mit uns in Konkurrenz stehen mögen, haben nicht nied- 100 000 DM steuerlichem Freibetrag sind etwa 80 Pro- rigere, sondern höhere Steuersätze. Die beiden genannten zent aller Veräußerungserlöse vollständig steuerfrei. Staaten – also Großbritannien und Portugal – haben einen oberen Grenzsteuersatz von jeweils 40 Prozent. Er greift (Detlev von Larcher [SPD]: Hört! Hört!) aber wesentlich früher: in Portugal bei einem Einkommen Danach setzt dann der halbe durchschnittliche Steuersatz von 60 000 DM und in Großbritannien bei einem Ein- ein, den wir allerdings tatsächlich – wem soll man das ver- kommen von 66 000 DM. Bei dieser Größenordnung von übeln? – so angelegt haben, dass der Mindeststeuersatz 60 000 DM beträgt der obere Grenzsteuersatz bei uns in bei der Einkommensteuer gezahlt werden muss. Es ist der Bundesrepublik Deutschland 32,2 Prozent, nicht also keine neue Mindeststeuer eingeführt worden; viel- 40 Prozent. Bei einem Einkommen von 66 000 DM be- mehr sollen auch bei Veräußerungsgewinnen mindestens trägt er 33,6 Prozent, nicht 40 Prozent. Bei uns greift 15 Prozent Steuern gezahlt werden, der obere Grenzsteuersatz von 42 Prozent erst bei (B) 102 000 DM. Insgesamt gesehen haben wir damit auch (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist (D) die niedrigste Spitzenbelastung in ganz Europa. Nehmen doch wohl ganz normal!) Sie das bitte zur Kenntnis! so wie jeder Arbeitnehmer mit jeder ersten Mark, die er (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ über den Grundfreibetrag hinaus verdient, 15 Prozent DIE GRÜNEN) Steuern zahlen muss. Was soll daran falsch sein? Aufgrund eines außerordentlich hohensteuerfreien (Beifall bei der SPD) Existenzminimums von am Ende 15 000 DM – im Übri- Zu dem Beispiel, das Kollege Michelbach gewählt hat: gen dem höchsten in ganz Europa – belassen wir den Bür- Ein verheirateter Unternehmer mit 440 000 DM Veräuße- gerinnen und Bürgern den im europäischen Vergleich rungsgewinn würde nicht vollständig vom halben durch- größten Anteil ihres Verdienstes zunächst unversteuert. schnittlichen Steuersatz profitieren, weil er 15 Prozent Hinzu kommt der sehr niedrige Eingangssteuersatz von Einkommensteuer zahlen muss. Richtig! Wenn Sie jetzt 15 Prozent. Wir haben damit europaweit nicht nur die davon ausgehen, dass ein Veräußerungsgewinn immer nur günstigsten Bedingungen im unteren Einkommensbe- etwa die Hälfte des Veräußerungserlöses ausmacht – das reich, wir sind auch im oberen Bereich das Land mit der andere stand ja sozusagen schon in den Büchern –, dann niedrigsten Steuerbelastung. Das müssen Sie einfach ein- können Sie davon ausgehen, dass ein verheirateter Unter- mal zur Kenntnis nehmen. nehmer mit 440 000 DM Veräußerungsgewinn im Schnitt (Detlev von Larcher [SPD]: Das wollen die einen Erlös von rund 1 Million DM erzielt. Darauf muss doch nicht!) er dann rund 63 000 DM Steuern zahlen. Ist das unzu- mutbar? Er bekommt 1 Million DM und muss rund Die zweite Erwartung, die der Bundesrat an sein zu- 63 000 DM bezahlen, weil wir ihm 15 Prozent von stimmendes Votum zur Steuerreform 2000 geknüpft hatte, 440 000 DM abknöpfen. Ist das unzulässig? Nehmen Sie war eine zusätzliche Mittelstandskomponente: dieEin- doch die Zahlen einfach zur Kenntnis und hören Sie auf, führung des halben Steuersatzes bei Betriebsveräuße- gegen den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutsch- rungen und Betriebsaufgaben für aus dem Berufsleben land Stimmung zu machen. ausscheidende Unternehmer ab 2001. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Um daraus nicht erneut lukrative Steuersparmodelle DIE GRÜNEN) entstehen zu lassen – Frau Kollegin Scheel hat darauf hin- gewiesen –, kann diese Regelung einmal pro Unterneh- Wir sind uns der Bedeutung des Mittelstandes für un- mer, und zwar ab dem 55. Lebensjahr, in Anspruch ge- ser Land bewusst. Wir haben genau in der Weise gearbei- nommen werden. Das ist ein guter Kompromiss zwischen tet, wie der Mittelstandals Motor unserer Wirtschaft 12656 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) sowie als Motor für Beschäftigung und Ausbildung es Reparaturgesetz zur Unternehmensteuerreform und zur(C) verdient. Der Mittelstand hat es aber nicht verdient, von Einkommensteuerreform bezeichnet werden. Ihnen noch länger mit falschen Behauptungen übers Ohr Was jetzt repariert wird, war bereits im Mai bei der Ver- gehauen zu werden. abschiedung im Bundestag bekannt. Wir von der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CDU/CSU-Fraktion hatten damals den besseren und DIE GRÜNEN) sachgerechteren Alternativvorschlag unterbreitet: Wir stärken mit der Steuerreform dieBinnennach- (Jörg Tauss [SPD]: Doch der hat sich nicht frage; alle Steuerzahler werden in der Zukunft mehr Geld durchgesetzt!) in der Tasche haben. Frau Kollegin Höll, die Steuerzahler Gleichbehandlung aller Einkunftsarten mit deutlich mit niedrigeren Einkommen werden relativ am stärksten niedrigeren Steuersätzen, und zwar sowohl in der Ein- entlastet, natürlich nicht in absoluten Zahlen. Das ist die gangsbesteuerung mit 15 Prozent als auch in der Höchstbe- Wirkung eines progressiven Steuertarifs. Aber der Anteil steuerung mit 35 Prozent, und dies eben viel früher – näm- ihres Einkommens, der zukünftig von Steuern freigestellt lich bereits für das Jahr 2003 – als im Vorschlag von SPD wird, ist bedeutend höher als der entsprechende Anteil des und Grünen, der dies erst zum 1. Januar 2005 vorsieht. Einkommens Höherverdienender. Nur darum kann es ge- hen. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber leider nicht finanzierbar!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frau Kollegin Scheel, wenn ich höre, dass Ihre Vor- schläge damals damit begründet wurden, das Finanzvolu- Das müsste auch Frau Kollegin Höll von der PDS erken- men reiche nicht aus, diese Schritte zu vollziehen, muss nen; ich nehme auch an, dass sie es eigentlich weiß, sie hat ich feststellen, dass durch das Herauskaufen mancher es hier nur nicht gesagt. Vorstellungen im Bundesrat tatsächlich das Volumen von 65 Milliarden DM erreicht wurde, das auch Grundlage un- Wir haben also ein Steuergesetz beschlossen, von dem serer Pläne zur Entlastung war. alle profitieren. Es wird für alle Bevölkerungskreise eine Entlastung geben und es ist die höchste Steuerentlastung Wir haben jetzt eine weitere Ungleichbehandlung zu- in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.lasten der Arbeitnehmer und der mittelständischen Die Steuerschätzung weist für das nächste Jahr einenUnternehmen. Frau Staatssekretärin, Sie können noch Steuerzuwachs von 5,3 Milliarden DM auf und Finanz- hundertmal behaupten, dass das nicht so ist, minister Eichel hat dazu gesagt: Trotz umfassender (Detlev von Larcher [SPD]: Schauen Sie sich Steuerentlastung ist die Finanzierung der wichtigen doch die Zahlen an, Herr Dautzenberg!) (B) Staatsausgaben nicht gefährdet. Daran sollten wir alle in- (D) teressiert sein. Zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von aber ich muss klar feststellen: Wir haben diese Unter- 5,3 Milliarden DM im nächsten Jahr für Bund, Länder und schiede, wir haben diese Spreizung und haben durch die Gemeinden können aber keinen nennenswerten Spiel- Zeitverzögerungen bei der In-Kraft-Setzung mancher Ent- raum für weitere Steuersenkungen eröffnen. Das müsste lastungsmaßnahmen im Einkommensteuerbereich eine wei- jedem Kundigen klar sein. tere Mitfinanzierung der mittelständischen Wirtschaft und vor allen Dingen auch der Arbeitnehmer für die Maßnah- Herzlichen Dank. men, die Sie im Körperschaftsteuerbereich mit Ihrer De- finitivbesteuerung im Umfang von 25 Prozent vollziehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Herr Kollege von Larcher, Sie wären der Anführer ei- ner Revolution gewesen, wenn unter Helmut Kohl und beschlossen worden wäre, dass Kapitalge- Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort sellschaften ihre Beteiligungen im Grunde steuerfrei ver- dem Kollegen Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Frak- äußern können, während der Handwerksmeister, der sei- tion. nen Betrieb aufgibt, bei der Einkommensteuer weiterhin (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nun wird mit seinem individuellen Steuersatz bis hin zum sich zeigen, ob Herr Dautzenberg ein Kundiger Höchststeuersatz veranlagt wird. ist oder nicht!) Frau Kollegin Scheel, Ihre Äußerungen waren typisch für Sie. Ich nehme an, dass Sie im Finanzausschuss Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Herr Schmidt, Sie Stimmrecht haben. können ja zuhören. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Detlev von Larcher [SPD]: Wir hören immer NEN]: Ja!) zu! Das merken Sie an unserer Reaktion!) Das, was Sie eben angekündigt haben, hätten Sie bereits Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der am Mittwoch, im Zusammenhang mit den von uns vorge- Vorlage des Steuersenkungsergänzungsgesetzes löst die tragenen Vorstellungen, beschließen können. Sie hätten rot-grüne Bundesregierung nur teilweise ihre Zusagen aus auch heute noch die Möglichkeit, das zu verabschieden, was Sie angekündigt haben. dem unechten Vermittlungsergebnis im Bundesrat vom 14. Juli dieses Jahres ein. Das nunmehr verabschiedete Wenn etwas – das ist typisch für Sie – im Ausschuss be- Gesetz kann deshalb zu Recht als ein unzureichendesraten und im Plenum verabschiedet worden ist, führen Sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12657

Leo Dautzenberg (A) hinterher all diejenigen Ergänzungen des Steuerrechts Ich möchte jetzt – inhaltlich und formal – auf dasBera- (C) auf, die nach Ihrer Meinung auf jeden Fall noch vorge- tungsverfahren zum so genannten Reparaturgesetz ein- nommen werden müssten und für die Sie schon immer gehen. eingetreten seien. Nehmen Sie Ihr Herz doch in beide Ich weiß nicht, was die Vertreter der Regierungsfrak- Hände und stimmen Sie einfach zu, wenn die Ent- tionen in der im Finanzausschuss durchgeführten An- scheidung ansteht, und versuchen Sie nicht immer wieder, nachher darauf hinzuweisen, was noch alles hätte besser hörung wahrgenommen haben. gemacht werden können. (Jörg Tauss [SPD]: Die Wirklichkeit!) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nach meiner Wahrnehmung haben alle Sachverständigen NEN]: Man darf halt nicht nur die Backen auf- und Anzuhörenden, bis auf einen, nämlich den Vertreter blasen! Man muss auch gewährleisten, dass es des DGB, Herrn Wehner, alles, was Sie vorgeschlagen ha- im Bundesrat umgesetzt wird!) ben, in Bausch und Bogen zurückgewiesen und für ver- fehlt erklärt. Mit Ihren Regelungen zur Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern haben Sie im Grunde Ihr eigenes Un- (Detlev von Larcher [SPD]: Das stimmt doch vermögen, eine vernünftige Steuerreform durchzuführen, gar nicht!) eingeräumt, weil Sie mit der Verbreiterung der kirchen- Wenn ich mir das Verhalten gerade der SPD-Kollegen steuerlichen Bemessungsgrundlage versuchen, genau das und der Grünen-Kollegen im Fachausschuss vor Augen rückgängig zu machen, was Sie im Rahmen eines steuer- führe, dann muss ich feststellen: Ich habe selten erlebt, systematisch falschen Ansatzes selber verursacht haben. dass sich ein Ausschuss frei gewählter Palamentarier zum Dazu werden wir eine Erklärung zur Abstimmung über Abnickgremium entwickelt hat, wie es der Finanzaus- den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurf schuss getan hat. abgeben. (Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben keine Wesentliche Regelungen des Steuersenkungsgesetzes Ahnung!) sind – das gesteht dieser Entwurf ein – steuersystematisch verfehlt und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der All die Korrekturen, die Sie jetzt vornehmen, hatten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unvereinbar. Diewir schon sowohl in der Anhörung als auch im Rahmen Korrektur der Fehler, die bei der Festlegung der kirchen- des Gesetzgebungsverfahrens im Mai eingebracht. Sie ha- steuerlichen Bemessungsgrundlage gemacht wordenben im Grunde permanent gegen besseres Wissen be- sind, ist nur unter Inkaufnahme zusätzlicher Belastungen schlossen und müssen jetzt wieder reparieren. Das ist der für die durch das Steuersenkungsgesetz bereits jetzt be- Tatbestand, um den es heute geht. (B) nachteiligten Personengruppen möglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) – (D) Die Rückgängigmachung der Gewerbesteueran- Detlev von Larcher [SPD]: Ist doch al- rechnung verschärft die ohnehin zu große Spreizung zwi- bern!) schen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen Wir konnten uns darauf verständigen – dafür haben und hat bis zum Jahre 2004 eine Erhöhung der kirchen- wir gesorgt; das ist vielleicht das einzig positive Ergeb- steuerlichen Grenzbelastung gewerblicher Einkünfte zur nis der Beratungen –, dass der Aktien- und Aktienderi- Folge. vatehandel, den Sie zuerst im Zuschlagsteuergesetz re- Die Rückgängigmachung des Halbeinkünftever- geln wollten – aus steuersystematischer Perspektive fahrens stellt eine besondere Härte für die schon durch wäre es wesentlich besser gewesen, wenn das im Steu- den körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel be-ersenkungsergänzungsgesetz geregelt worden wäre –, nachteiligten Kleinaktionäre dar. um keine anderen steuerrechtlichen Änderungen vor- nehmen zu müssen – Sie haben es ja im Vermittlungs- Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Gesetzentwurf des- ausschuss Mitte dieses Jahres verschlimmbessert –, jetzt halb nur unter Zurückstellung schwerwiegender steuerpo- im Investitionszulagengesetz geregelt wird. Damit wird litischer Bedenken zustimmen. Ausschlaggebend für un- dem Wunsch der Kreditinstitute entsprochen, weiterhin sere Zustimmung ist allerdings der Wunsch, dieFinanz- Verluste aus Aktiengeschäften verrechnen zu können, basis der Kirchen zu sichern und ihnen die Erfüllung ih- und damit wird der Finanzplatz Deutschland in diesem res gesellschaftspolitisch unverzichtbaren Auftrages auch Bereich gesichert. in Zukunft zu ermöglichen. Den großen Wirtschaftsverbänden müssen wir deutlich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und machen: Es kann nicht angehen, dass sie auf der einen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Seite der Definitivbesteuerung von 25 Prozent im Rah- Die Kirchen dürfen nicht zu den Leidtragenden einer be- men der Körperschaftsteuer zustimmen, reits im Ansatz verfehlten Steuerpolitik werden. (Jörg Tauss [SPD]: Das tut weh!) Das war die Erklärung zu unserem Abstimmungsver- – nein, das tut nicht weh –, dass sie aber auf der anderen halten, die ich Ihnen, Herr Präsident, überreichen darf. Seite sagen, die Opposition sei dafür zuständig, die Nach- teile auszugleichen, die mit diesem System verbunden So viel zur Regelung der Bemessensgrundlage für Zu- sind. Die Verbände müssen akzeptieren, dass wir manche schlagsteuern. Positionen, die die großen Wirtschaftsverbände in der An- (Jörg Tauss [SPD]: Schön herumgeeiert!) hörung vertreten haben, nicht übernehmen können, die 12658 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Leo Dautzenberg (A) sich auf die andere Seite der Medaille, des Systemwech- Da die rot-grüne Regierung unseren Vorstellungen von (C) sels, beziehen. Steuerpolitik nicht gefolgt ist, wird es zwangsläufig wei- (V o r s i t z: Vizepräsidentin ) tere Reparaturen geben müssen. Wir werden weiterhin für eine moderne und zukunftsfähige Steuerreform eintreten Dass die Steuerreform eine permanente Aufgabe sein wird, sieht man daran, dass im „Handelsblatt“ vom 8. No- (Detlev von Larcher [SPD]: So wie in den 16 vember zu lesen war, dass Teile der Steuerreform gegen Jahren zuvor!) das Grundgesetz verstoßen, dass das Halbeinkünfte-mit deutlicher Nettoentlastung für alle, Gleichbehandlung verfahren das verfassungsrechtliche Gebot der Besteue- aller Einkunftsarten, rechtsformgerechter Besteuerung und rung nach der Leistungsfähigkeit verletze. Warten wir ein- Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Die mal die Entscheidungen des Verfassungsgerichts in Bezug Diskussion zur Steuerreform wird auch zukünftig auf der auf diese spannenden Fragen ab! politischen Agenda stehen. Die jetzigen Korrekturen sind halbherzig und unzurei- (Beifall bei der CDU/CSU) chend. Wir haben die zukunftsweisenden Alternativen vorgelegt und werden sie immer wieder neu vorlegen. Dazu zählen die raschere und deutlichere steuerliche Ent- Vizepräsidentin Anke Fuchs:Ich erteile nun das lastung aller Einkommensteuerzahler und die Wiederein- Wort dem Kollegen Detlev von Larcher, SPD-Fraktion. führung des halben durchschnittlichen Steuersatzes entsprechend den Regierungsplänen, jedoch unter Einbe- Detlev von Larcher (SPD): Frau Präsidentin! Ver- ziehung der Arbeitnehmerabfindungen und der Aus-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein schöner gleichszahlungen für die selbstständigen Handelsvertre- Tag für die Sozialdemokraten, für die rot-grüne Koalition ter. Dies darf nicht erst zum 1. Januar 2001 erfolgen,und für die Bundesregierung: sondern dies müsste – um den Vertrauensschutz zu wah- ren – rückwirkend ab dem 1. Januar 1999 gelten; (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Und für Deutschland! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) CSU]: Ein peinlicher!) denn zu diesem Zeitpunkt haben Sie mit Ihrem so ge-Wir setzen heute den Schlusspunkt unter die größte Steu- nannten Steuerentlastungsgesetz diese Schwierigkeiten erreform in der Geschichte der Bundesrepublik, indem verursacht. wir die Entschließung des Bundesrates, die er am 14. Juli Dass wir weitere Erleichterungen für Umstrukturie- dieses Jahres aus Anlass der Zustimmung zu unserem rungen von Personenunternehmen mithilfe einer besseren Steuergesetz gefasst hat, in ein Gesetz umwandeln. Die- (B) Realteilung und des Mitunternehmererlasses brauchen, ser 14. Juli war ein Freudentag für die Republik, für die (D) möchte ich hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Familien, für Klein- und Großunternehmer sowie für den Mittel- Was wir weiterhin brauchen, ist die Wiederheraufset- stand. zung der so genannten Beteiligungsgrenze nach § 17 des Einkommensteuergesetzes. Sie wurde ja durch Ihr Steuer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) entlastungsgesetz auf 1 Prozent gesenkt. Wie wollen Sie Alle haben sich gefreut – bis auf die CDU/CSU. Ich der New Economy verpflichtet sein, wie wollen Sie errei- kann mich noch sehr gut an die blassen Gesichter der Mit- chen, dass sich junge Leute und die so genannten Busi- glieder der CDU/CSU an jenem Freitagnachmittag erin- ness Angels an diesen Unternehmen beteiligen, wenn Sie nern, als wir anlässlich einer Delegationsreise unterwegs gleichzeitig für den privaten Bereich die Beteiligungs- waren. grenze auf 1 Prozent herabsetzen? Das ist ein kontrapro- duktiver Ansatz zu der von uns allen gewollten besseren (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Mit wem Grundlage für Existenzgründungen. sprechen Sie denn? Doch nicht mit dem Mittel- Eine Bemerkung zur kalten Progression. Frau Scheel, stand!) Sie hatten behauptet, es gebe eine jährliche Entlastung Sie waren über die erste peinliche Blamage ihres Frakti- von 95 Milliarden DM. Diese Entlastung wirkt aber erst onsvorsitzenden Merz und ihrer Parteivorsitzenden, Frau ab 2005. Es liegen Berechnungen vor – der Kollege Rauen Merkel, betrübt. hat in einer anderen Debatte zur Steuerreform schon da- rauf hingewiesen –, die belegen, dass es im Jahr 2005 für Es ist mir allerdings bis heute unverständlich, wieso die Einkommensteuerzahler trotz der Senkung der Steu- Herr Merz, Frau Merkel und mit ihnen die ganze ersätze in den entsprechenden Schritten im Vergleich zur CDU/CSU-Fraktion nach der während der 16 Jahre ihrer heutigen Belastung zu einer Mehrbelastung von 0,5 Pro- Regierung mit den Bundesländern gemachten Erfahrung zent kommt. Das ist die Wirkung der kalten Progression. glaubten, die Länder würden nicht aufgrund ihrer eigenen Es muss also in Form eines so genannten Tarifs auf Rol- Interessen entscheiden. War alles vergessen? Litten Sie, len oder einer jährlichen Anpassung sowohl der unteren meine Damen und Herren der CDU/CSU, unter kollekti- als auch der oberen Proportionalzone eine Dynamisierung ver Verdrängung? Wissen Sie nicht, dass die Ministerprä- erfolgen, damit die Bürger bei der Einkommensteuersidenten in einem Eid geschworen haben, das Wohl ihres tatsächlich entlastet werden. Wenn das geschieht, kann Landes im Auge zu haben, und dass sie auf das Wohl der man sich im Rahmen von SteuerreformdiskussionenCDU/CSU nicht eidlich verpflichtet sind? In den Tagen tatsächlich auf eine Tarifreform konzentrieren. danach kam es in Ihrer Partei zu einer sehr merkwürdigen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12659

Detlev von Larcher (A) Debatte über die so genannten Abtrünnigen. Dies war ein Ich glaube, diese paar Sätze sprechen für sich. Geben (C) Sturm im Wasserglas, wie sich schnell herausstellte. Teil- Sie endlich Ihre kleinkarierte und nur noch parteipolitisch weise haben Sie sich wie Kinder benommen. begründete Kritik an unserer Steuerreform auf! Herr Dautzenberg, Sie haben offensichtlich auch ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. gessen, welchen Einfluss Sie als Parlamentarier und Mit- Rossmanith [CDU/CSU]: SPD und Großban- glied der entsprechenden Arbeitsgruppe während Ihrer ken, bravo!) Regierungszeit hatten. Ich sehe Sie noch im Ausschuss Freuen Sie sich mit uns über diese gelungene Reform! sitzen. Da wussten Sie nicht, was Sie dürfen, bevor Ihnen Freuen Sie sich mit uns, dass wir endlich wieder ein kräf- das Ihre Regierung nicht gesagt hatte. Jetzt sagen Sie, wir tiges und stabiles Wirtschaftswachstum erreicht haben! in der Fraktion hätten keinen Einfluss. Wir haben auf die- sen Gesetzgebungsprozess viel mehr Einfluss gehabt, als (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie jemals während Ihrer Regierungszeit hatten. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Freuen Sie sich mit uns, dass endlich wieder neue Arbeits- DIE GRÜNEN) plätze geschaffen werden und die Arbeitslosigkeit konti- nuierlich zurückgeht! Insgesamt ist der Standort Deutschland heute attrak- tiver als vor zwei Jahren beim Heute setzen wir, wie gesagt, mit der abschließenden Beratung des Entwurfes eines Steuersenkungsergän- – rot-grünen – zungsgesetzes den Schlusspunkt unter die größte Steuer- Regierungsantritt. Die Investitionsbedingungen ha- reform in der Geschichte der Bundesrepublik. ben sich deutlich verbessert. Das hat nicht nur zu (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das wird mehr Investitionen durch einheimische Unterneh- nicht der Schlusspunkt sein!) men geführt, sondern vor allen Dingen auch dazu, dass sich ausländische Unternehmen verstärkt inBereits im nächsten Jahr werden die Bürgerinnen und Bür- Deutschland ansiedeln. ger sowie die Unternehmen um rund 45 Milliarden DM entlastet und mit der letzten Stufe der Tarifsenkungen im Wer hat dies gesagt? Der Präsident des DIHT, Hans 2005 wird das Entlastungsvolumen auf circa 80 Mil- Stihl, in der „Welt“ vom 24. Oktober 2000. liarden DM steigen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo er Recht hat, hat Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier um ein er Recht!) Gesetz, das ein andere ergänzt. Deswegen möchte ich kurz die wichtigsten Punkte des Steuersenkungsgesetzes, Auf die Frage nach dem Grund für diese Entwicklung (B) um die es letztlich geht, nennen: (D) fügte Herr Stihl hinzu: (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Eine Die Steuerreform ist dafür verantwortlich, dass sich Lachnummer!) die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft deutlich gebessert haben. Die Körperschaftsteuer wird drastisch gesenkt und die Privilegierung ausgeschütteter Gewinne wird been- So weit dieses Zitat. det. Damit erhält Deutschland endlich ein modernes Un- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ternehmensteuerrecht, das den Anforderungen der euro- DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: päischen Integration und der Globalisierung gerecht Fragen Sie einmal den selbstständigen Hand- wird. werksmeister, nicht die Verbandsfunktionäre!) Für Personengesellschaften und Einzelunternehmer, – Warten Sie doch einmal ab! die nicht in den Genuss der Körperschaftsteuersenkung kommen, sinkt nicht nur der allgemeine Einkommensteu- Unbestritten ist es der Regierung Schröder in den ver- ertarif deutlich, sondern bei ihnen wird zusätzlich die Be- gangenen zwei Jahren gelungen, verkrustete Struktu- lastung durch die Gewerbesteuer pauschal mit der Ein- ren aufzubrechen und mit der Verabschiedung der kommensteuer verrechnet. Damit werden auch für diese Steuerreform eine zentrale Weichenstellung für die kleinen und mittelständischen Unternehmen hervorra- Zukunftsfähigkeit Deutschlands vorzunehmen. Diese gende steuerliche Rahmenbedingungen geschaffen. Reform bringt mit der Verwirklichung der Unterneh- mensbesteuerung und deutlichen Entlastungen für Schließlich kommen alle Einkommensteuerzahler in den Bürger durch die Senkung der Einkommensteuer den Genuss weiterer Tarifsenkungen, mit denen wir den positive Wirkungen für Wachstum und Beschäfti-Weg des Steuerentlastungsgesetzes konsequent weiterge- gung. Damit ist ein erster großer Reformschritt zur hen. Ganz besonders wichtig ist für mich, dass das steu- Modernisierung des Wirtschaftsstandortes Deutsch- erfreie Existenzminimum schrittweise auf 15 000 DM an- land erfolgt. gehoben wird und der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent sinkt; er wird somit gegenüber dem Jahr 1998 fast hal- So der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deut- biert. Der Spitzensteuersatz sollte schon ohne das Steuer- scher Banken, Manfred Weber. senkungsergänzungsgesetz auf 43 Prozent sinken. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ihr umgebt Eine solche Senkung der Steuersätze haben Sie, meine euch mit sauberen Gesellen!) Damen und Herren von CDU/CSU und F.D.P., zwar 12660 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Detlev von Larcher (A) immer angekündigt, aber nie in einem ernst gemeinten Dabei will ich auf zweierlei hinweisen: Erstens. Die(C) Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. mit dem Steuerentlastungsgesetz geschaffeneFünfte- (Beifall bei der SPD) lungsregelung wird für viele Unternehmer auch zukünf- tig weitaus attraktiver sein als die Besteuerung mit dem Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie ha- halben Steuersatz. ben viel geredet, wir handeln. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Mit der Beschränkung auf eineeinmalige Ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer, der Inanspruchnahme des Halbsteuersatzes und der Al- verheiratet ist und zwei Kinder hat, wird im kommenden tersgrenze stellen wir sicher, dass diese Regelung auch Jahr 2 930 DM weniger tatsächlich nur ihrem Zweck entsprechend eingesetzt (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist der wird. Das Scheunentor für professionelle Steuersparer, beste Witz des Tages!) das der alte § 34 ESAG war, bleibt geschlossen. Das kön- nen Sie Herrn Solms, der leider weg musste, erzählen; er und im Jahr 2005 sogar 4 056 DM weniger an Steuern hatte nämlich danach gefragt. zahlen als im Jahre 1998, Ihrem letzten Regierungsjahr. Da freuen sich die Eltern von Peggy und die Mutter von (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Fragen Sie Alex. doch einmal den Wirtschafts- und den Finanz- minister, warum er nicht da ist! – Gegenruf von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der SPD: Herr Michelbach ist auch nicht da!) Peggy und Alex werden sich ebenso freuen, wenn sie ihr – Ich habe doch gesagt, er musste weg. Studium beendet haben und zur großen Gemeinde der ehr- lichen Steuerzahler gehören. Mit ihnen freuen sich Milli- Nunmehr kann der Mittelstand nicht nur zufrieden onen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. sein, nunmehr kann der Mittelstand jubeln. Und dies tut er auch – anders, als Sie uns glauben machen wollen. In den (Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith letzten Wochen habe ich in meinem Wahlkreis einige mit- [CDU/CSU]) telständische Unternehmen besucht und auch intensive – Schreien Sie doch nicht immer dazwischen. Ich werde Gespräche mit Vertretern des Handwerks geführt. Ihnen gleich noch etwas sagen. Dann werden Sie hoffent- (Jörg Tauss [SPD]: Gute Wahlkreisarbeit! – Zuruf lich stumm. von der F.D.P.: Die haben Sie reingelassen?) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ärgert Sie alle schwanken zwischen Zufriedenheit und Begeiste- (B) Sie! – Zuruf von der F.D.P.: Das macht uns alle (D) sowieso schon sprachlos!) rung darüber, dass wir den Reformstau endlich auflösen. Sie alle haben sich sehr zufrieden über unsere Steuerre- So, wie es dem Bundesrat vorgelegt wurde, war das form geäußert. Steuersenkungsgesetz für alle Steuerzahler, auch und ge- rade für kleine und mittelständische Unternehmer, ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) großer Gewinn. Der Geschäftsführer meiner Kreishandwerkerschaft (Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!) hat mir erklärt, er kenne keinen Unternehmer in unserem Landkreis, der mit unserem Reformpaket nicht einver- Daran ändert auch nichts, dass das Handwerk und andere standen sei. mittelständische Unternehmen mit ihren Verbänden noch nicht genug hatten. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Guter Mann!) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist natür- lich eine Unverschämtheit, dem Handwerk so Der jahrelange Stillstand in der Regierungszeit der Vor- etwas vorzuwerfen!) gängerregierung sei endlich überwunden. – Sie können gerne nachfragen. Herr Michelbach hat ja immer noch nicht genug. Er ist ja wirklich der Lobbyist in eigener Sache. – Es ist ja nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ungewöhnlich und auch völlig legitim, dass gesellschaft- DIE GRÜNEN) liche Gruppen versuchen, noch mehr für sich herauszu- Für die Menschen in unserem Land hat diese Koalition holen. in nur zwei Jahren mehr geschafft als Sie, meine Damen Mit dem Steuersenkungsergänzungsgesetz, das wirund Herren von der Opposition, in 16 Regierungsjahren. heute beschließen werden, kommen wir diesen Wünschen Darum sage ich noch einmal: Heute ist ein guter Tag für weit entgegen. Der Spitzensteuersatz sinkt im Jahr 2005 die rot-grüne Koalition und – was viel wichtiger ist – ein auf 42 Prozent und damit wie der Eingangssteuersatz um guter Tag für unser Land und seine Menschen. insgesamt 11 Prozentpunkte gegenüber 1998. Mit der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Neuregelung der Besteuerung von außerordentlichen Ein- DIE GRÜNEN) künften stellen wir sicher, dass diejenigen Unternehmer, die für ihre Altersversorgung auf den Verkauf ihres Be- triebes gesetzt haben, steuerlich nicht über Gebühr belas- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- tet werden. sprache. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12661

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Wir stimmen über den von der Bundesregierung ein- Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Frak- (C) gebrachten Gesetzentwurf zur Ergänzung des Steuersen- tion der PDS kungsgesetzes, Drucksachen 14/4217, 14/4293 und Realisierung einer direkten Fernbahnverbin- 14/4547, Nr. 1, ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- dung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahn- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um hof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Eisenbahnknotens Berlin sich? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS in zweiter Beratung angenommen. – Drucksache 14/3783 – Wir kommen zur Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) dritten Beratung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stim- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- men von CDU/CSU und PDS angenommen. richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Finanz- nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- ausschusses zum Antrag der CDU/CSU mit dem Titel geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, „Mittelstand entlasten – Steuersenkungsgesetz nachbes- Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS sern“, Drucksache 14/4547. Der Ausschuss empfiehlt un- Überzählige Diesellokomotiven der DB AG ter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf nicht verschrotten, sondern weiterverwenden Drucksache 14/4285 abzulehnen. Wer stimmt für diese – Drucksachen 14/1930, 14/2788 – Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim- Berichterstattung: men von CDU/CSU und PDS bei Stimmenthaltung der Abgeordneter Klaus Hasenfratz F.D.P. angenommen. d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ge- nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- setzentwurf zur Regelung der Bemessungsgrundlage für geordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Zuschlagsteuern, Drucksachen 14/3762 und 14/4546. Ich Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss- Fraktion der PDS (B) fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer (D) stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Beibehaltung der Reisezug-Verbindungen zwi- ist in zweiter Beratung angenommen. schen Polen und Berlin Es gibt einige Erklärungen zur Abstimmung, die uns – Drucksachen 14/3191, 14/4121 – schriftlich vorliegen. Berichterstattung: Wir kommen zur Abgeordneter Wieland Sorge dritten Beratung Zu diesem Tagesordnungspunkt sind alle Reden bis auf die Rede des Kollegen von der PDS zu Protokoll ge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem geben.1) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Winfried Wolf. einstimmig angenommen. Dr. Winfried Wolf (PDS): Sehr geehrte Frau Präsi- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 22 a bis d auf: dentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dies ist ein schlechter Tag für die Bahn, für die rot-grüne Re- a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gierung wie auch für Herrn Klimmt und Herrn Mehdorn. richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- Wir haben die aktuellen Schreckensmeldungen über die nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Bahn gehört: Bis letzte Woche hieß es, die Bahn würde in Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christineden nächsten Jahren Gewinne machen. Seit dieser Woche Ostrowski, Carsten Hübner, weiterer Abgeordne- wissen wir, dass die Bahn in die Verlustzone fährt. Bis zur ter und der Fraktion der PDS letzten Woche hieß es, dass die Bahn für Schienen- Für eine sozial, finanziell und ökologisch nach- strecken zusätzliche Mittel aus UMTS-Erlösen erhalten haltige Bundesverkehrswegeplanung sollte. Jetzt wissen wir, dass eine Finanzierungslücke von – Drucksachen 14/2262, 14/3904 – 17 Milliarden DM existieren soll. Und jetzt sagen alle, sie Berichterstattung: seien überrascht, dass Herr Mehdorn externen Sachver- Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth) stand des Beratungsunternehmens McKinsey in sein Un- ternehmen holten musste. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Gerhard Jüttemann, Rolf1) Anlage 21 12662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Winfried Wolf (A) In dieser Situation macht ein Blick insAktiengesetz konzentrieren und damit das Hauptgeschäft der Bahn ab- (C) Sinn; dies gilt vor allen Dingen für die Parteien, die auf zuschreiben. diesem Gebiet versierter sind, nämlich für CDU/CSU und (Beifall bei der PDS) F.D.P. Dort legen die §§ 93 und 116 fest, dass die Mitglie- der von Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Unser zentraler Antrag, der hier zur Debatte steht, for- dazu verpflichtet seien, „bei ihrer Geschäftsführung die dert das Gegenteil. Wir setzen nicht auf Konzentration, Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Ge-sondern wollen die Bahn als Flächenbahn erhalten und schäftsleiters anzuwenden“. weiter ausbauen. Wir sagen, dass keine Politik betrieben werden darf, bei der jeweils am 31. Dezember des Jahres Ich behaupte, es ist nicht sorgfältig und nicht gewis- festgestellt wird, dass die Straßenlänge in unserem Land senhaft, wenn hier Milliardenbeträge über Jahre hinweg um 1 000 Kilometer erhöht wurde, während die Schie- nicht in der Bilanz auftauchen. Ich glaube nicht, dass man sich mit dem Hinweis entschuldigen kann, dass man das nenlänge um 500 Kilometer reduziert wurde; außerdem erst jetzt erfahren hätte. sollen noch ein halbes Dutzend Flugbahnen hinzukom- men. Dazu sagt der Sachverstand der Verkehrsinitiativen, (Beifall bei der PDS) dass, wer Straßen sät, Straßenverkehr ernten, und wer Ich behaupte, dass die Bilanzen der DeutschenFlugbahnen baut, Flugverkehr ernten wird. Bahn AG seit der Gründung des Unternehmens auf töner- Ich meine, dass die Strafe von 27 000 DM, zu der Herr nen Füßen stehen. Im Jahr 1993 belief sich das Anlage- Klimmt voraussichtlich wegen Beihilfe zur Untreue ver- vermögen von Reichsbahn und Bundesbahn noch aufurteilt werden wird, Peanuts sind vor dem Hintergrund 106 Milliarden DM. Im folgenden Jahr wurde das Anla- der Bimbes-Affäre. Ich meine aber auch, dass die gevermögen der Deutschen Bahn AG schlagartig nurMilliardensummen Verluste bei der Bahn, für die dieser noch auf 27,2 Milliarden DM taxiert. Der Vater der Bahn- Verkehrsminister mit verantwortlich zeichnet, eine ein- reform, Professor Aberle, hat darauf hingewiesen, dass zige Bankrotterklärung für die Deutsche Bahn AG und die damit zunächst einmal Luft für einige Jahre Gewinnaus- Verkehrspolitik des Bundes sind. weise geschaffen werde, dass dann aber die neuen Anla- gen mit neuen Abschreibungen kommen würden und man (Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt ist, glaube ich, entsprechend in die Verlustzone fahren würde. die Zeit abgelaufen!) Mir liegt noch der Bericht des Bundesrechnungshofes Nicht dem Aufsichtsratsvorsitzenden des FC Saarbrücken aus dem Jahr 1997, datiert auf den 21. Januar, vor. Darin Klimmt ist die rote Karte zu zeigen, sondern dem Verant- heißt es, dass wortlichen für diese verantwortungslose Verkehrspolitik und Vertreter des Bundes als Eigentümer der Deutschen die von dem Unternehmen (B) Bahn AG. (D) – Deutsche Bahn AG – Danke schön. dargestellten Erfolge im Wesentlichen ... auf erhöh- (Beifall bei der PDS) ten Leistungen des Bundes oder auf Ausweisverän- derungen der DB AG beruhen. Das Betriebsergebnis zeigt eine deutliche Verschlechterung gegenüber Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- dem letzten Jahr vor der Bahnreform. sprache. Was war die Folge? Man hat dem Bundesrechnungshof Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- verboten, die Bahnbilanzen in Zukunft weiter zu taxieren. ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag Er durfte nicht mehr eingeschaltet werden. Man hat all der Fraktion der PDS „Für eine sozial, finanziell und öko- diese Ergebnisse nicht zur Kenntnis genommen. logisch nachhaltige Bundesverkehrswegeplanung“, Druck- sache 14/3904. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Wenn jetzt Mehdorn und Klimmt mit „neuen“ Vor- Drucksache 14/2262 abzulehnen. Wer stimmt für diese schlägen kommen, sage ich: Das sind die alten Vor-Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- schläge; das heißt, hier wird neuer Wein in alte Schläuche hält sich? – Bei Gegenstimmen der PDS ist die Beschluss- gegossen. Wenn jetzt wieder gesagt wird, der Verkehrempfehlung angenommen. solle stärker „konzentriert“ werden und die Belegschaft müsse weiter reduziert werden, während man die eigenen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Gehälter verdreifacht, stelle ich fest: Das ist genau der Drucksache 14/3783 an die in der Tagesordnung aufge- falsche Weg, der Weg, der in die jetzige Misere geführt führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- hat. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich weise darauf hin, dass es, wenn die mittlere Trans- portweite im Güterverkehr der Bahn bei 200 Kilometern Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussem- liegt, absurd ist, primär auf Züge über 400 Kilometer Ent- pfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh- fernung über ganz Deutschland hinweg zu setzen. Ichnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem weise darauf hin, dass es, wenn 90 Prozent des Personen- Titel „Überzählige Diesellokomotiven der DB AG nicht verkehrsaufkommen im Nahverkehr registriert wird und verschrotten, sondern weiterverwenden“, Drucksache bezogen auf die insgesamt zugelegten Kilometer immer 14/2788. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- noch 50 Prozent auf den Bereich unter 50 Kilometern ent- sache 14/1930 abzulehnen. Wer ist für diese Beschluss- fallen, völlig falsch ist, sich auf Korridore und Knoten zu empfehlung? – Wer ist dagegen? – Die Beschlussemp- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12663

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) fehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ange- Wir kommen zur (C) nommen. dritten Beratung Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem der Fraktion der PDS zur Beibehaltung der Reisezug-Ver- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer bindungen zwischen Polen und Berlin, Drucksachestimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf 14/4121. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- ist bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen sache 14/3191 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-angenommen. schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gegen die Stimmen der PDS-Fraktion ist die Beschluss- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 24 auf: empfehlung angenommen worden. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 23 auf. gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen und anderer Vorschriften (SGÄndG) der SPD und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Drucksachen 14/4062, 14/4368 – eingebrachten Entwurfs eines (Erste Beratung 124. Sitzung) Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes Beschlussempfehlung und Bericht des – Drucksache 14/4241 – Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) (Erste Beratung 124. Sitzung) – Drucksache 14/4548 – a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Berichterstattung: ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Abgeordnete Verena Wohlleben ordnung (1. Ausschuss) Thomas Kossendey Irmgard Karwatzki – Drucksache 14/4560 – Berichterstattung: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Abgeordnete Dr. Uwe Küster Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind Eckart von Klaeden Sie einverstanden. (B) Steffi Lemke Ich eröffne die Aussprache. Zuerst gebe ich dem Parla- (D) Jörg van Essen mentarischen Staatssekretär Walter Kolbow das Wort. Dr. Heidi Knake-Werner

b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- gemäß § 96 der Geschäftsordnung nister der Verteidigung (von der SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich – Drucksache 14/4564 – bedanke mich für den freundlichen Empfang am Freitag Berichterstattung: Nachmittag, ich weiß ihn zu würdigen. Abgeordnete Jürgen Koppelin Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf zur Ände- Dr. rung des Soldatengesetzes und anderer Vorschriften ist in- Hans Georg Wagner tegraler Bestandteil der im Sommer dieses Jahres von der Antje Hermenau Bundesregierung erfolgreich eingeleiteten Erneuerung der Bundeswehr. Lassen Sie mich einige Neuerungen, die Hierzu sind die Reden zu Protokoll gegeben worden.1) mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verbunden sind, Wir kommen daher zur Abstimmung über den von den hervorheben. Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeord- Die erste wegweisende Neuerung ist die Öffnung aller netengesetzes auf Drucksache 14/4241. Der Ausschuss Bereiche der Streitkräfte für Frauen. Die Bundesregie- für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung emp- rung verfolgt mit dem vorgelegten Gesetzentwurf das fiehlt auf Drucksache 14/4560, den Gesetzentwurf unver- Ziel, bis zum 1. Januar 2001 die gesetzlichen Regelungen ändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- zu schaffen, die eine völlige Gleichbehandlung der entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Frauen im täglichen Dienst sowie eine Einstellung und stimmt dagegen? – Enthaltungen? Gegen die Stimmen der Verwendung der Frauen allein nach den Kriterien der Eig- PDS-Fraktion der F.D.P.-Fraktion und von Teilen dernung, Befähigung und Leistung sicherstellen. CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung eines Teils derWesentliches Anliegen des Gesetzentwurfes ist es, alle CDU/CSU ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung an- Vorschriften aufzuheben, die bisher die Verwendung von genommen. Frauen in den Streitkräften beschränkt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1) Anlage 22 und bei der F.D.P.) 12664 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Parl. Staatssekretär Walter Kolbow (A) Es soll künftig keinen Bereich der Streitkräfte mehr ge- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kolbow, gestat- (C) ben, der freiwillig Dienst leistenden Soldatinnen ver-ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith? – schlossen bleibt. Bitte sehr, Herr Kollege. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der SPD: Er soll das Ganze hier und bei der F.D.P.) nicht verlängern!) Ich bedanke mich beim Parlament für die konstruktive und doch in den meisten Punkten übereinstimmende De- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Staatssekre- batte zu diesem wichtigen Thema der Öffnung unserer tär, sind Sie tatsächlich der Meinung, Bundeswehr für Frauen. (Zuruf von der SPD: Ja!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass in einer Armee mit rund 320 000 Soldaten und DIE GRÜNEN) 140 000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Ich möchte einen zweiten Baustein erwähnen, undeinziger Fall, der hier bisher zutage getreten ist, sofort zwar die klare Regelung für Soldatinnen und Soldaten, die eine Gesetzesänderung erforderlich macht? ein kommunales Mandat ausüben. Darüber ist im Vorfeld (Beifall bei der PDS – Peter Zumkley [SPD]: intensiv diskutiert worden und dafür besteht auch Ver- Es gibt auch eine Grauzone!) ständnis. Aber die Bundesregierung hat sich bei dieser Neuerung davon leiten lassen, dass auch die Einsatzbe- Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- reitschaft der Streitkräfte Verfassungsrang besitzt. Darauf nister der Verteidigung: Herr Kollege Rossmanith, diese mussten wir besonders hinweisen, nachdem wir den Wan- Frage hat ja in der Debatte nicht nur in den Ausschüssen, del von der Verteidigungsarmee in der bipolaren Welt zur sondern auch in der Öffentlichkeit eine Rolle gespielt. Einsatzarmee zu vollziehen hatten. Es ändert sich auch in Bezug auf die Gesellschaft manches, wenn nicht sogar (Zuruf von der SPD: Eine große Rolle!) vieles. Wir haben uns selbstverständlich auch mit diesem Ar- Die Neuerung trägt damit den gewandelten Aufgaben gument auseinander gesetzt und sind zu der Schlussfolge- der Bundeswehr Rechnung. Diese Neuregelung wirdrung gekommen, dass wir, eben weil – das konstatiere allein im Bereich der Streitkräfte Anwendung finden und ich – 1995 nur ein Fall aufgetaucht ist und zu dem Be- nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zum Tragenschluss eines Verwaltungsgerichtes geführt hat, diesen kommen. Die in den Gesetzentwurf aufgenommene For- Fall zum Anlass nehmen sollten, um für die Zukunft eine mulierung stellt dies auch unmissverständlich klar. Sie Regelung zu treffen. Bei 8 000 Soldatinnen und Soldaten (B) schafft die rechtliche Voraussetzung, um eben in wenigen im Einsatz können wir nie ausschließen, dass sich so et- (D) was wiederholt. Ausnahmefällen und lediglich, wenn ein geeigneter Er- satz nicht zur Verfügung steht, Mandatsträgerinnen und (Peter Zumkley [SPD]: So ist das! Was sich da Mandatsträger im Soldatenstatus auch dann einsetzen in der Truppe abspielt!) zu können, wenn sie sich auf eine kommunale Mandats- Sie lassen hier Folgendes anklingen. Ich als ehemaliger tätigkeit berufen. Darüber hinaus entscheidet dies allein Kommunalpolitiker kann das Argument von Kommunal- das Bundesministerium der Verteidigung. politikern und Verbänden gut verstehen, wonach das kom- (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das munale Ehrenamt dadurch beschnitten werden solle. haben wir beantragt! – Peter Zumkley [SPD]: (Zuruf von der SPD: Ist nicht der Fall!) Eine verbesserte Lage, die wir jetzt haben!) Das ist eben nicht der Fall. Es soll eher gestärkt denn ge- Das Demokratieprinzip und das passive Wahlrecht der schwächt werden Soldatinnen und Soldaten (Beifall bei der SPD) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben wir bean- tragt! Gut, dass Sie das mitmachen!) durch diese Regelung, weil Rechtsklarheit hergestellt ist. werden hierdurch keinesfalls beeinträchtigt. (Verena Wohlleben [SPD]: Genau das ist es! Es ist die Rechtsklarheit! – Peter Zumkley [SPD]: (Johannes Kahrs [SPD]: Gestärkt!) Gute Logik!) Durch den absoluten Ausnahmecharakter wird es für Gestatten Sie mir eine Anmerkung eines ehemaligen die derzeit rund 1130 kommunalen Mandatsträger, die Stadtrates aus einer kleineren Großstadt: Es ist eben nicht sich im Status eines Soldaten befinden, keine durchgrei- unbedingt so, dass in größeren Städten, gerade in Bal- fende Änderung der bisher geltenden Praxis geben. Die lungszentren, ein Ehrenamt ein reines Ehrenamt ist. Bundesregierung hat auch weiterhin größtes Interesse da- ran, dass Soldatinnen und Soldaten durch Ausübung eines (Zuruf von der SPD: So ist es! Jawohl!) kommunalen Mandates das politische Geschehen unmit- Denn in großen Städten gehen die Anforderungen, die ein telbar mitgestalten und so die Integration der Bundeswehr Mandat mit sich bringt, schon in Richtung Hauptamtlich- in das gesellschaftliche Gefüge unter Beweis stellen. keit. Dies wird im Übrigen auch durch Aufwandsentschä- digungen und Sitzungsgelder belegt. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12665

Parl. Staatssekretär Walter Kolbow (A) Ich meine, dass Regelungen in Bezug auf die Proble- ausbildungsbedingten Besonderheiten Rechnung trägt,(C) matik der Urlaubsversorgung für kommunale Mandats- verlangen können. Schließlich sind neue Vorschriften vor- träger keinen Eingriff – ich darf das noch einmal unter- gesehen, mit denen Berufssoldaten grundsätzlich zur Er- streichen, weil uns wichtig ist, das deutlich zu machen – stattung ausbildungsbedingter Kosten verpflichtet wer- in die kommunale Selbstverwaltung sind, wie es ver-den. Von dieser Verpflichtung werden lediglich die schiedentlich dargestellt worden ist. Hierzu – auch das Berufssoldaten ausgenommen, die aus gesundheitlichen muss herausgestellt werden – kann sich die Bundesregie- Gründen entlassen werden müssen. rung auch auf die Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung berufen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf ei- nes Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes und an- (Zuruf von der SPD: So ist es!) derer Vorschriften ist, wie ausgeführt, sachgerecht und Der Bundesrat verteidigt zweifellos die kommunalen In- notwendig. Er unterstützt die auf den Weg gebrachte Re- teressen mit aller Entschiedenheit. Als bayerischer Bun- form der Bundeswehr. Die beabsichtigten Neuerungen destagsabgeordneter weiß ich das doch auch von der in belegen die Anpassung an wichtige gesellschaftliche Ent- diesem Fall zustimmenden Staatsregierung, Herr Kollege wicklungen ebenso wie das Bestreben nach mehr Flexibi- Rossmanith, die lität und Effizienz. Die Bundesregierung stellt damit ihre Bemühungen um fest in der Gesellschaft verankerte so- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, in wie zukunftsfähige Streitkräfte unter Beweis. Ich bitte da- dem Fall nicht!) her um Ihre Zustimmung zu dem Gesetzentwurf. in der Entschiedenheit der Verteidigung auch diese vorge- Danke schön. sehene Regelung mitträgt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dirk Niebel Herr Kollege Rossmanith, im Ausschuss ist ja auch da- [F.D.P.]) rüber gesprochen worden, wie dieVersagung einer Tätigkeit nach Beendigung eines Dienstverhältnisses im Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat der Kollege Zusammenhang mit § 20 a Soldatengesetz zu sehen ist. Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Wir haben darauf hingewiesen, dass diese Regelung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für Soldaten auf Zeit (Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt höre ich ein paar bereits gelockert wird und dass es auch bisher schon zustimmende Worte, etwas Kooperatives!) äußerst wenige Fälle gegeben hat, in denen ein Verbot überhaupt ausgesprochen worden ist. Abgesehen davon Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine (B) hat das Bundesverwaltungsgericht selbst die bisherige Damen und Herren! Mit der heutigen Beratung des Sol- (D) stringentere Fassung des § 20 a Soldatengesetz als ver- datengesetzes setzen wir einen vorläufigen Schlusspunkt fassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet. Gleichwohl in der jahrelangen Diskussion um Frauen und Bundes- – das haben wir in den Ausschussberatungen zu diesem wehr. Problembereich ebenfalls deutlich gemacht – werden wir uns einem Dialog über die Auswirkungen dieser Vor- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schrift insbesondere auf Soldaten auf Zeit nicht ver- NEN]: Die Arbeit fängt erst an!) schließen. Hierauf haben wir uns – ich wiederhole es, da- Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben der Änderung von mit wir das auch wieder aufnehmen können – in derArt. 12 a des Grundgesetzes zugestimmt und damit deut- Sitzung des Verteidigungsausschusses am 8. Novem-lich gemacht, dass auch wir die Öffnung der Bundeswehr ber 2000 verständigt. Diese Problematik ist allerdings für für Frauen auf freiwilliger Basis sowie unter der Voraus- die Soldaten nur im Kontext des gesamten öffentlichen setzung von Leistung, Eignung und Befähigung wollen. Dienstes zu betrachten. Frauen werden in der Bundeswehr in Zukunft gleich- Als letztes bedeutsames Element des Gesetzentwurfes berechtigt mit den Männern Dienst tun können. Ab dem erwähne ich die Neuregelungen, die zur Flexibilisierung neuen Jahr heißt das, dass den Frauen in der Bundeswehr des Dienst- und Statusrechts der Soldatinnen und Sol- die gleichen Aufstiegschancen wie den Männern eröffnet daten beitragen sollen. Hierbei ist die Bundesregierung werden müssen. Um in einem altbekannten Bild zu blei- von der Überlegung ausgegangen, dass angesichts der ben: Ab dem neuen Jahr werden auch die Frauen bei der notwendig werdenden Verschlankung der StreitkräfteBundeswehr den Marschallstab im Tornister haben. auch das Regelwerk zur Personalführung unserer Solda- tinnen und Soldaten effizienter gestaltet werden muss. (Peter Zumkley [SPD]: Gut so!) So sollen die Vorschriften über die Zurruhesetzung der Ich will darauf verweisen, dass wir ehrlicherweise den Berufssoldaten dahin gehend geändert werden, dass auch Frauen und allen anderen sagen müssen, dass es in Zu- diese wie schon jetzt die Beamten nicht mehr lediglich zu kunft nicht nur Chancen, sondern auch Risiken geben zwei bestimmten Terminen im Jahr, sondern monatlich in wird. Wir haben darauf zu verweisen, dass auch in den den Ruhestand versetzt werden können. Auch sollen Be- Streitkräften unserer Partnerländer – in Armeen von De- rufssoldaten, deren militärische Ausbildung mit einem mokratien – Risiken für Frauen bestehen. Ich will nicht Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, künf- verhehlen, dass bei uns in der Fraktion einige Kollegen tig ihre Entlassung in bestimmten Fällen erst nach Ableis- insbesondere hinsichtlich einer möglichen Verwicklung tung einer erhöhten Mindestdienstzeit, die studien- oder von Frauen in Kampfeinsätze Bedenken haben. 12666 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Paul Breuer (A) Wenn man sich hierzu die großen Diskussionen, bei- wünscht sind, dann ist dies hinsichtlich der Einbindung in (C) spielsweise in unserem Partnerland Amerika anschaut, die Gesellschaft ein schlechtes Signal. dann wird man feststellen, dass es noch andere gesell- (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley schaftspolitische Risiken gibt, die auf die Frauen zukom- [SPD]: Das Signal ist doch in der jetzigen Rege- men. Ich will deutlich sagen: Wir müssen das alles im lung drin! Jetzt ist es so! – Weiterer Zuruf von Auge behalten. Wir sollten vermeiden, die Fehler, die an- der SPD: Das ist doch Quatsch!) dere gemacht haben, in der Bundeswehr im Hinblick auf den freiwilligen Einsatz von Frauen zu wiederholen. Noch absurder ist, dass Sie Ihren Gesetzentwurf dahin gehend geändert haben, die gleiche Regelung für Beamte Ein weiterer Bereich, der in diesem Entwurf zur Ände- nicht vornehmen zu wollen. Es war zunächst im Gesetz- rung des Soldatengesetzes angesprochen worden ist, ist entwurf vorgesehen, dass dies auch für Beamte gelten der Umgang mit Soldaten, die kommunale Mandatsträ- soll. Die Beamten sind ausgenommen. Wollen Sie jetzt ger sind. Das ist eine sehr sensible Frage. Jedem von uns auch noch zu zweierlei Gesetzesgrundlagen für den öf- muss klar sein – Herr Kollege Kolbow, ich meine, bei Ih- fentlichen Dienst kommen? Beamte als kommunale nen ist das nicht deutlich geworden –, dass ein wesentli- Mandatsträger erster Klasse und Soldaten als kommunale ches Element des Staatsbürgers in Uniform – das ist das Mandatsträger zweiter Klasse? Das ist absurd, meine Da- Leitbild, das wir von unseren Soldaten in der Bundeswehr men und Herren. haben – nicht nur das aktive, sondern auch das uneinge- schränkte passive Wahlrecht ist. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Umgekehrt!) (Beifall bei der CDU/CSU – Verena Wohlleben [SPD]: Absoluter Schwachsinn!) Das kommende Jahr 2001 soll ja das Jahr des Ehren- amtes sein. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie ein- Ich will nicht – das würde zu weit führen – die deut- mal fragen, wie sie mit einem solchen Signal junge Sol- sche Geschichte bemühen, die zu betrachten gerade in daten, die ja Menschen wie alle anderen sind und voller diesem Haus sehr wichtig wäre. Soldaten haben das und gleichberechtigter Bestandteil dieser Gesellschaft aktive wie das passive Wahlrecht. Es kommt nicht von un- sein sollen, für derartige Ehrenämter gewinnen wollen. gefähr, dass auch sozialdemokratische Kolleginnen und Ich finde, dass hier ein großer Fehler gemacht wird. Kollegen im Innenausschuss darauf verwiesen haben, mit dieser Änderung bestehe die große Gefahr, das passive Eine letzte Feststellung zu diesem Punkt: Die Neure- Wahlrecht könne für Soldaten in Bezug auf kommunale gelung, dass nicht die Dienstvorgesetzten über die Aus- Parlamente eingeschränkt werden. übung eines kommunalen Mandates,wenn Konflikte (Peter Zumkley [SPD]: Sie haben die Vorlage beispielsweise aufgrund eines Einsatzes im Ausland auf- (B) nicht richtig gelesen!) treten oder die Urlaubsgewährung gefährdet ist, entschei- (D) den, sondern der Bundesverteidigungsminister, Dies wäre eine Attacke auf das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. (Johannes Kahrs [SPD]: Ist doch hervor- ragend!) (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von Larcher [SPD]: Das ist absoluter Unsinn! Das ändert doch grundsätzlich überhaupt nichts daran, dass wissen Sie!) über ein kommunales Mandat, das von den Bürgern ver- liehen wurde, von niemand anderem als vom Mandatsin- – Wenn Sie sagen, das sei Unsinn, haber verfügt werden darf. Es darf keinen Fremden geben, (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist es auch!) der dieses Mandat in welcher Weise auch immer ein- schränkt. dann will ich darauf verweisen, dass der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Ihr ehemaliger SPD-Kollege Ein weiterer Komplex, der im Soldatengesetz geregelt Dr. Willfried Penner, von einer verfassungsrechtlichen wird, ist der Übergang ausgeschiedener Soldaten in zivile Bedenklichkeit gesprochen hat. Berufe, die in irgendeinem Zusammenhang mit der vor- herigen Dienstausübung als Soldat stehen. Es ist (Peter Zumkley [SPD]: Aber in einem anderen grundsätzlich wichtig, sich mit dieser Frage im Hinblick Zusammenhang!) auf die Gefahr des Missbrauchs von Wissen und der Kor- Ich sage Ihnen noch etwas dazu: Wir sollten einenruption zu beschäftigen. Ich nehme die Anregung auf, die zweiten Gesichtspunkt betrachten, nämlich den, dass die der Kollege Kolbow hier gemacht hat – das war ja auch Bundeswehr eine Einsatzarmee ist. Die Frage der gesell- Bestandteil der Beratungen im Verteidigungsausschuss –, schaftlichen Einbindung unter dem Gesichtspunkt, dass hier, obwohl wir nicht bei der alten Regelung bleiben kön- die Bundeswehr jetzt eine Einsatzarmee ist, ist noch wich- nen, heute noch keinen Beschluss zu fassen. Andererseits tiger als früher. Wenn Soldaten über lange Zeit hinweg weist das aber auch darauf hin, dass der hier zu beratende – vielleicht über Monate – in der Ferne Dienst tun müs- Gesetzentwurf nicht außerordentlich gut vorbereitet wor- sen, dann ist das Problem der gesellschaftlichen Einbin- den ist. dung zu Hause – die Ausübung eines kommunalen Man- Im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform, die ja, dats gehört dazu – umso sensibler zu behandeln. Wenn Sie wie Sie ständig sagen, die größte Reform in der Ge- unseren deutschen Soldaten, die heute auf dem Balkan schichte der Bundeswehr sein soll, Dienst tun, das Signal geben, dass sie als Träger eines kommunalen Mandats nicht mehr so wie früher er- (Johannes Kahrs [SPD]: Ist!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12667

Paul Breuer (A) – das werden wir noch sehen, Herr Kollege Kahrs; ich be- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau (C) zweifele das, ich befürchte eher, es wird eine Reformruine Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sein – Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf zur Änderung des Soldatengesetzes, die wir heute zu verabschieden ha- (Johannes Kahrs [SPD]: Das haben wir ja die ben, ganz ausdrücklich. Diese Änderung schafft die letzten 16 Jahre gesehen! Das war peinlich!) gesetzlichen Voraussetzungen für Frauen – Staatssekretär wird von Ihrem Minister Scharping immer darauf hinge- Kolbow hat das ausgeführt –, nach Eignung, Leistung und wiesen, dass eine stärkere Zusammenarbeit von Bundes- Befähigung zu allen Diensten in der Bundeswehr herange- wehr und Wirtschaft erfolgen solle. zogen zu werden oder sich freiwillig dafür zu entscheiden. (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist gut so!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das haben Sie ja be- kanntlich schon immer gewollt!) Zu einer stärkeren Zusammenarbeit von Bundeswehr Diese Entscheidung wurde uns zwar vomEuropä- und Wirtschaft gehört natürlich auch, dass Soldaten und ischen Gerichtshof nahe gelegt; trotzdem wurde von mi- Menschen in der Wirtschaft stärker zusammenarbeiten. litärischen Planern anfangs versucht, die eine oder andere Wenn man eine solche Konzeption propagiert, dannAusgrenzung von Frauen zu manifestieren. Wir haben das müsste man beim Vorlegen von Gesetzentwürfen – das im parlamentarischen Verfahren kritisiert. Das Ergebnis merke ich kritisch an – doch vorher wissen, was man ei- ist genau das, was wir brauchen, um eine Diskriminierung gentlich will. Wenn man nicht dazu in der Lage ist, in den von vornherein auszuschließen. Frauen, die sich freiwil- im Gesetzesvorschlag vorgesehenen Vorschriften darauf lig für die Streitkräfte entscheiden, haben dort alle Rechte. Rücksicht zu nehmen, dann zeugt das nicht von konzep- Das ist gut. Wir wollten es. Mit der Grundgesetzänderung tioneller Planung, sondern im Gegensatz von ziemlichem vor zwei Wochen haben wir es bestätigt. Chaos. In Zukunft haben Frauen, die sich für den Dienst in der Ich kritisiere nicht, dass Sie jetzt einsehen, dass etwas Bundeswehr entscheiden, die Verantwortung für einen getan werden muss – da stimmen wir mit Ihnen überein – Einsatz in Krisen- oder sogar Kriegsgebieten zu tragen. und dass man Soldaten helfen muss, im Anschluss an ihre Die Diskussion darüber muss weitergeführt werden. Wir soldatische Verwendung Möglichkeiten und Perspektiven stehen am Anfang und noch nicht am Ende, wie Sie eben im zivilen Bereich zu finden. sagten, Herr Kollege Breuer. Wer sich dafür entscheidet, Soldat zu werden, wird das auch verantworten. Wenn er (Johannes Kahrs [SPD]: Sie hatten 16 Jahre entschieden hat, dann wird er von seiner Entscheidung Zeit, Herr Breuer! – Gegenruf des Abg. Kurt J. nicht einfach zurücktreten. Rossmanith [CDU/CSU]: Jetzt sind Sie dran!) (B) Ich möchte unterstreichen, was die positiven Aspekte (D) Meine Kritik lautet, dass Sie im Hinblick auf die Gesamt- dieser Entwicklung sind – ich weiß, dass gerade aus Ihrer konzeption offenbar außerordentlich überhastet gehandelt Fraktion einige darüber eher die Nase rümpfen –: Der haben. Das lässt sich im Soldatengesetz auch an anderen zukünftige Generalinspekteur kann eine Frau sein. Dingen belegen. (Peter Zumkley [SPD]: Ja, so ist es!) Sie haben im Zusammenhang mit dem Soldatengesetz dem Bundesrat falsche Gesetzentwürfe zugeleitet. Es sind Ich fürchte, das wird etwas länger dauern und nicht der dadurch auch bei den Beratungen im Deutschen Bundes- nächste, sondern erst der übernächste Generalinspekteur tag Verzögerungen eingetreten. In der Frage des freiwilli- wird weiblich sein. Mit meiner Bemerkung will ich klar- gen Einsatzes von Frauen in der Bundeswehr ist es sogar machen, dass es Frauen gibt, die sich entschieden haben, ihr Recht in Anspruch zu nehmen und ihre Laufbahn in- dazu gekommen, dass Bewerberinnen ihre Bewerbung nerhalb der Streitkräfte durchzusetzen. deshalb zurückgezogen haben, weil es für sie sechs Wo- chen vor geplantem Dienstantritt noch keine gesetzlichen (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir haben Grundlagen und keine Rechtssicherheit gab. ja schon eine Staatssekretärin!) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Für meine Fraktion will ich klar sagen: Wir sehen in der NEN]: Wir haben in zwei Jahren geschafft, was Öffnung der Bundeswehr für die Frauen nicht die Gleich- sie in 16 Jahren nicht geschafft haben!) stellung der Frauen in der Gesellschaft per se. Es gibt nach wie vor Diskriminierung, gerade im Erwerbsleben, insbe- Zusammenfassend möchte ich sagen: Das Chaos bei sondere wenn es um höher dotierte Beschäftigungen geht. der Vorbereitung von Gesetzentwürfen und die daraus fol- Dort werden die Frauen weiter kämpfen. Dieses Gesetz ist gende Hast auch in der parlamentarischen Beratung sind ein Schritt hin zur Normalität, der von vielen jungen vermeidbar und müssen in Zukunft dringend vermieden Frauen längst erwartet worden ist. werden. Wir Grünen haben das Prinzip derFreiwilligkeit Ich bedanke mich. – trotz früherer Bedenken – in den Vordergrund gestellt. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Prinzip der Freiwilligkeit, das für die Frauen jetzt gilt, wird aus unserer Sicht über kurz oder lang – wir hoffen: kurz – genauso für Männer gelten müssen; denn keiner Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun erteile ich das kann überzeugend erklären, warum Frauen ihren Dienst Wort der Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen. an dem Auftrag, den wir als Parlament erteilen, freiwillig 12668 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Angelika Beer (A) leisten können, während Männer dazu nach wie vor ge- Dirk Niebel (F.D.P.): Das sehen die Kollegen in mei- (C) zwungen werden. nem Hauptausschuss ein bisschen anders. – Frau Präsi- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Änderung des Soldatengesetzes bildet den Abschluss und Ich möchte noch etwas zu § 25 des Soldatengesetzes ist die endgültige Umsetzung dessen, was die F.D.P. seit sagen. Herr Kollege Breuer, ich glaube, dass hier etwas vielen Jahrzehnten gefordert hat. unsauber argumentiert wird. (Johannes Kahrs [SPD]: Und wir machen es!) (Verena Wohlleben [SPD]: Das macht der im- – Auch Sie haben sich damals gesträubt, Herr Kollege. – mer! – Detlev von Larcher [SPD]: Das machen Es geht darum, dass Frauen freien Zugang zu allen Lauf- die alle!) bahnen in der Bundeswehr bekommen. Ich finde es doch sehr befremdlich und geradezu heuchlerisch, Faktisch ist es doch so, dass nach Weisungslage in der Praxis der Disziplinarvorgesetzte das Recht hat, die kom- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- munalpolitische Betätigung zu verweigern, weil er ei- NEN]: Sagen Sie mal was zur Zukunft!) nen Anspruch für die Einsätze definieren kann. wenn ausgerechnet die Kollegin Beer hier so tut, als habe Mit der Änderung des Soldatengesetzes sorgen wirsie das schon immer gewollt. Nach dem Magdeburger dafür, dass nicht mehr nur noch der Disziplinarvorge-Wahlprogramm sind Sie immer noch für die Abschaffung setzte nach Gutdünken entscheidet. Wenn ein Disziplinar- der Bundeswehr. vorgesetzter meint, er brauche einen bestimmten Mann (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- oder eine bestimmte Frau im Rahmen der Streitkräfteein- NEN]: Freiwilligkeit!) satzplanung, dann muss das Bundesministerium der Ungeachtet dieses Umstandes ist es dennoch gut, dass wir Verteidigung entscheiden. Die Hürde dafür, dass kommu- mit der Umsetzung im Soldatengesetz dielaufbahn- nalpolitische Betätigung versagt wird, legen wir weiter rechtlichen Beschränkungen aufheben, sodass das nach oben. Das heißt, wir stärken das kommunalpoliti- letzte geschlechtsspezifische Berufsverbot in der Bundes- sche Engagement der Soldaten und Soldatinnen. Genau republik tatsächlich fällt. Die sprachlichen Anpassungen das brauchen wir für die Stärkung der Idee des Staatsbür- sollten wir allerdings aufgrund der Erfahrungen mit ande- gers in Uniform. ren, ähnlich revolutionären Ereignissen zumindest redak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionell begleiten. Ich kann mir vorstellen, dass noch das eine oder andere Problem in der Umsetzung auf uns zu- und bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Des- kommt. wegen hat die F.D.P. das ja auch beantragt und (B) (D) Sie haben zugestimmt!) Die Frage, inwieweit das passive Wahlrecht von Sol- datinnen und Soldaten beschränkt werden kann, ist eine – Nein, Sie sind nicht richtig informiert. Die gängige Pra- ganz zentrale Frage in der Bundesrepublik Deutschland. xis ist, dass die kommunalpolitische Betätigung versagt Die Bundeswehr als Parlamentsarmee lebt unter anderem wird, ohne dass wir davon wirklich etwas mitbekommen von der Verankerung in der Gesellschaft. Der Soldat als haben. Staatsbürger in Uniform ist Ausdruck des demokratischen (Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich stimme Ihnen zu, Selbstverständnisses der Streitkräfte. Aus diesem Grunde Frau Beer! Sie missverstehen mich! Ich lobe Sie wäre der vorgelegte Gesetzentwurf für uns eigentlich nicht zustimmungsfähig gewesen, hätte nicht der Vertei- sogar!) digungsausschuss den von uns eingebrachten Änderungs- Ich gehe davon aus, Herr Staatssekretär Kolbow, dass antrag übernommen. nach der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch die einschlägigen Weisungen geändert werden. Ent- NEN]: Wie bitte? Ihre Fraktion hat unserem An- sprechende Erlasse müssen der heutigen Debatte und der trag zugestimmt!) heutigen Änderung des Soldatengesetzes folgen. Ich glaube, dass sowohl die Soldaten, die sich kommunal- Die Verantwortung für den politischen Abwägungspro- politisch engagieren, als auch diejenigen, die daran noch zess, ob der Einsatz Vorrang vor der Ausübung des kein Interesse gefunden haben, durch diese Diskussion Mandates haben muss, soll vom Einheitsführer auf den Bundesminister der Verteidigung verlagert werden. Der verstärkt motiviert werden, kommunalpolitische Verant- Kollege Günther Nolting hat den Antrag gestellt, § 25 wortung wahrzunehmen. Abs. 3 Soldatengesetz entsprechend zu verändern. Das Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. macht auch Sinn, denn der Einheitsführer kann bei der Entscheidung über die Frage, ob der Einsatz gefährdet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden könnte, wenn eine bestimmte Person nicht dabei und bei der SPD) wäre, selbstverständlich nicht völlig objektiv handeln. Er muss ja immer das Gefühl im Hinterkopf haben, dass der Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat der Kollege geschlossene Einsatz der Einheit womöglich gefährdet Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort. werden könnte. Die Verlagerung auf den obersten Dienstherren wird bei insgesamt 1 125 Betroffenen auch (Johannes Kahrs [SPD]: Lasst ihn! Der ist nicht zu einer Überlastung des Bundesverteidigungsminis- ganz nett!) teriums führen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12669

(A) Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat- zungen geschaffen werden, Frauen zum 1. Januar 2001 (C) ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Beer? Zugang zu allen Teilstreitkräften der Bundeswehr zu er- möglichen. Heute nun sind die gesetzlichen Vorausset- zungen in der Folgegesetzgebung abschließend in zweiter (F.D.P.): Nein, bei Frau Kollegin Beer ma- Dirk Niebel und dritter Lesung zu beraten und es ist darüber zu ent- che ich das nicht. scheiden. Im Zusammenhang damit werden auch offene ( [BÜNDNIS 90/DIE Sachverhalte bereinigt, die eben dieser notwendigen Ein- GRÜNEN]: Sie Charmeur, Sie!) satzfähigkeit der Bundeswehr entgegenstünden. Dies wird dazu führen, dass ein politischer Abwä- Lassen Sie mich aufgrund meiner knappen Redezeit gungsprozess stattfinden kann. Das ist fundamental (Dirk Niebel [F.D.P.]: Die ist viel länger als wichtig. Man muss – das kann der Einheitsführer im meine Redzeit!) Zweifelsfall nicht – schon unterscheiden, um welche Mandatsträger es sich handelt; denn es ist ein Unter-nur zwei Punkte des gelungenen Gesetzentwurfes unserer schied, ob ein Stadtrat einer derzeit vielleicht noch etwas Bundesregierung herausstellen: Erstens. Frauen wird der größeren Fraktion in den Auslandseinsatz gehen muss ungehinderte Zugang in alle Bereiche der Streitkräfte ge- oder ob der Stadtrat einer derzeit kleineren Fraktion, die währt. Die dafür vorgesehenen Änderungen im Soldaten- vielleicht nur ein Mandat hat, in den Auslandseinsatz ge- gesetz sind gelungen und entsprechen den Notwendigkei- hen muss. Letzteres hätte nämlich zur Folge, dass die Par- ten voll und ganz. tei, wenn sie im kommunalen Bereich weiterhin politisch (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ in Erscheinung treten wollte, auf dieses Mandat hätte ver- DIE GRÜNEN) zichten müssen. Ich traue dem Bundesministerium der Verteidigung ohne weiteres zu, diesen Abwägungsprozess Frauen müssen die gleichen Einstellungsvoraussetzungen durchzuführen. Deswegen war die Änderung, die wirwie Männer erfüllen. Einzig Eignung, Leistung und Be- durchgesetzt haben, wichtig. fähigung entscheiden über das Einsatzspektrum der Bewerberinnen; und nichts anderes. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die haben wir durchgesetzt und Sie ha- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben zugestimmt! Seien Sie doch einigermaßen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) realistisch! Die Fraktionen von SPD und Grü- Bislang haben sich 1 200 Frauen für den freiwilligen nen haben den Gesetzentwurf geändert!) Dienst in der Bundeswehr gemeldet. Das ist ein guter An- Es ist ein guter Tag für die Frauen in diesem Land. Es ist satz und bestätigt unseren Reformkurs. Um die Zahl zu er- (B) ein Tag der Verantwortung für die Soldatinnen und Sol- höhen, müssen wir weiter aktiv Werbung betreiben und(D) daten, die sich in unserem Gemeinwesen engagieren. Wir die Attraktivität der Bundeswehr für Frauen – auch außer- werden diesem Gesetzentwurf zustimmen. halb des Sanitätsdienstes – deutlicher in den Vordergrund stellen. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Weil die SPD und die Grünen den Ge- Wir alle wissen auch, dass mit diesem Gesetz nicht alle setzentwurf verbessert haben!) Probleme gelöst sind. Es wird natürlich eine Zeit dauern, wir werden Probleme haben und gemeinsam daran arbei- Vielen Dank. ten, aber am Ende wird sich alles regeln. Wichtig ist, dass (Beifall bei der F.D.P.) wir hier einen Anfang gemacht haben; es ist ein klarer, ge- nauer und überfälliger Ansatz. Das möchte ich auch dem Kollegen von der F.D.P. sagen. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat der Kollege Johannes Kahrs, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Verena Wohlleben [SPD]: Stelle das bitte klar, dass das unser Antrag war und nicht der der Zweitens. Eine weitere, ganz wichtige Klarstellung be- F.D.P.!) trifft § 25 Soldatengesetz. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, die Änderung des § 25 Abs. 3 Soldatengesetz stellt für den betreffenden Soldaten bzw. (SPD): Frau Präsidentin! Meine Johannes Kahrs die betreffende Soldatin keine Gefährdung hinsichtlich Damen und Herren! Die Bundesregierung hat mit ihrem der Ausübung ihrer kommunalen Mandate dar. Beschluss vom 14. Juni die grundlegende Neuausrichtung der Bundeswehr eingeleitet. Mit der erforderlichen Zwei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) drittelmehrheit haben wir daraufhin in der vergangenen Das wollen wir auch gar nicht. Vielmehr begrüßen wir die Plenarwoche Art. 12 a Grundgesetz geändert. Es wurde Übernahme kommunaler Mandate durch Soldaten und auch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Soldatinnen. Als Kommunalpolitiker kann ich das nur un- Opposition, insbesondere Herr Breuer, Ihren Wünschen terstützen. nach einer rechtlichen Klarstellung entsprochen. Eine Wehrpflicht für Frauen ist mit der gefundenen Formulie- (Beifall bei der SPD) rung ausdrücklich ausgeschlossen. Die Änderung des Soldatengesetzes und anderer Vor- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat- schriften ist notwendig, damit die rechtlichen Vorausset- ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith? 12670 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Johannes Kahrs (SPD): In Anbetracht der kurzen lage. Die Ausübung des kommunalen Mandates wird ge- (C) Redezeit verzichte ich darauf. Danke. stärkt. (Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜND- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN]: – Kurt J. Rossmanith des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Das ist kein schöner Zug!) In der Vergangenheit konnte der zuständige Disziplinar- Die Übernahme kommunaler Mandate durch Soldatin- vorgesetzte selber aufgrund der damals geltenden Erlass- nen und Soldaten ist Ausdruck der gewollten Einbindung lage des Bundesministers – Ihrer Erlasslage – den Urlaub der Streitkräfte in den Staat und die Gesellschaft. Verfas- versagen. sungsrechtliche Bedenken bestehen keineswegs; das hat auch der Rechtsausschuss unzweideutig klargestellt. Je- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Der ent- der, der die Stellungnahme gelesen und sie verstanden hat, sprechende Passus bei den Beamten wird ge- kann dies nachvollziehen. strichen!) Unser Entwurf führt daher mitnichten zu einer Aushöh- Jetzt kann er nur noch genehmigen oder ist gezwungen, lung des Demokratieprinzips oder des passiven Wahl-die Entscheidung dem Bundesverteidigungsminister vor- rechts; denn Urlaub zur Ausübung eines kommunalenzulegen. Mandates kann nach unserem Entwurf nur versagt werden, Meine Damen und Herren, als Sie an der Regierung wa- wenn nach einer eingehenden Abwägung den Interessen ren, haben Sie es ganz anders gehalten. Herr Dr. Wichert des Dienstherrn gegenüber denjenigen der kommunalen hat doch an Herrn Bohl geschrieben, dass – im Auftrag Selbstverwaltung ausnahmsweise der Vorrang einzuräu- des Herrn Bundeskanzlers aus der Kabinettssitzung vom men ist. 18. Dezember 1995 – nach Möglichkeiten gesucht werden (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Bis dahin ist soll, zu verhindern, dass sich Berufs- und Zeitsoldaten un- die Sitzung längst beendet!) ter Berufung auf ein kommunalpolitisches Mandat einem Auslandseinsatz der Bundeswehr entziehen. Was Sie hier Die hohe Bedeutung des Mandates der kommunalenveranstalten, ist doch heuchlerisch. Selbstverwaltung wird somit besonders herausgestellt. Durch die Formulierung „nur“, Herr Breuer, wird die Ab- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe wägung verschärft und präzisiert. von der CDU) Der Änderungsantrag der Regierungskoalition – – Wir haben dafür gesorgt, zu einer vernünftigen Regelung zu kommen, die das kommunalpolitische Mandat stärkt. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damit verfolgen wir ein anderes Ziel als das, welches die (B) NEN]: Nur in Ausnahmefällen!) Damen und Herren von der CDU/CSU, als sie mit an der (D) – Ich sagte: der Regierungskoalition, Frau Kollegin Beer; Regierung waren, beabsichtigt haben. Mit unserer Rege- dazu zählt nicht die F.D.P. lung wird das kommunalpolitische Mandat gestärkt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Vielen Dank. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Niebel [F.D.P.]: Schauen Sie einmal auf das DIE GRÜNEN) Eingangsdatum, Herr Kollege!) – Dass die F.D.P. vieles nachahmt, ist in Ordnung; sie ist Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege Breuer, ja im Gegensatz zur CDU lernfähig. Sie wollten eine Zwischenfrage stellen, jetzt haben Sie das Wort zu einer Kurzintervention. Der Änderungsantrag der Regierungskoalition kodifi- ziert eindeutig, dass die Höherbewertung des dienstlichen Interesses nur die Ultima Ratio sein kann. Nur wenn der Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Bundesminister der Verteidigung, unser , Kolleginnen und Kollegen! Machen Sie sich keine Sor- gen, dass ich zu lange Ausführungen mache, aber ich (Heiterkeit der Abg. Angelika Beer [BÜND- möchte die letzten Ausführungen von Herrn Kahrs zum NIS 90/DIE GRÜNEN] – Dirk Niebel [F.D.P.]: Anlass nehmen, auf eine Verantwortung hinzuweisen, die Das ist vielleicht euer Rudolf Scharping, meiner Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von den Fraktionen ist es nicht!) von SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, in besonderer keinen geeigneten Ersatz stellen kann, wird der Urlaub Weise haben, nämlich nicht der Regierung bei jeder Frage versagt werden können. Hierdurch kann auch denjenigen willenlos hinterher zu laufen. Notwendig ist, dass Sie Ihre entgegengetreten werden, die befürchten, dass der ein- Verantwortung wahrnehmen und aktiv gestalten. zelne Disziplinarvorgesetzte vor Ort diese Interessenab- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wägung vornimmt. Der Bundesminister der Verteidigung NEN]: Das ist unglaublich!) gewährleistet hier im Einzelfall die qualifizierte Ent- scheidung. Nehmen Sie sie doch wahr! Meine Damen und Herren von der Opposition, um es Herr Kollege Kahrs, ich bin fest davon überzeugt – ich für Sie nochmals ganz deutlich zu machen: Unser Entwurf will in diesem Punkt auch meine Kollegen, auch die Kom- bedeutet eine klare Verbesserung der bisherigen Rechts- munalpolitiker, mit in Anspruch nehmen –, dass es in der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12671

Paul Breuer (A) CDU/CSU-Fraktion, wenn sie an Ihrer Stelle gewesen danken des „Staatsbürgers in Uniform“ und seine Integra- (C) wäre, keine Mehrheit für einen solchen Entwurf der Re- tion in die Gesellschaft besser verkörpert als kaum eine gierung gegeben hätte, weil wir eine Partei sind, die kom- andere, gerade von einer rot-grünen Regierung in Frie- munale Selbstverwaltung sehr hoch hält. denszeiten derart beschränkt werden soll. Das dienstliche Interesse der Bundeswehr – wenn auch nur ausnahms- Ich halte es außerdem für problematisch, dass Sie hier weise – höher zu bewerten als die freie Mandatsausübung aus internen Vorgängen der alten Regierung zitieren. Dies ist ein massiver Eingriff in ein Grundrecht, der weder in hat in keiner Zeitung gestanden; aber das ist eine andere Art. 17 a des Grundgesetzes noch in Art. 20 des Grund- Frage. Wenn es so gewesen sein sollte, wie Sie es schil- gesetzes vorgesehen ist. Ganz im Gegenteil: Er wider- dern, bin ich davon überzeugt: Bei einer Regierungsmehr- spricht dem Grundsatz, wonach die Exekutive die Legis- heit von CDU/CSU im Deutschen Bundestag wäre dies in lative nicht einschränken darf. Wahrnehmung der Verantwortung des Parlamentes nicht beschlossen worden. Nicht nur die Enquete-Kommission zum bürgerschaft- lichen Engagement sieht dies ähnlich, auch der Rechts- ausschuss hat uns aufgefordert, das Verhältnis zwischen Vizepräsidentin Anke Fuchs:Liebe Kolleginnen der Einsatzbereitschaft von Soldaten und der Beurlau- und Kollegen, ich neige dazu, es dabei bewenden zu las- bung zur Ausübung eines kommunalen Mandates unter sen und die Debatte über diesen Punkt hier abzuschließen, dem Aspekt einer – ich betone das – präziseren Güterab- da wir uns bemühen, den parlamentarischen Ablauf zu be- wägung zu überprüfen. schleunigen. Es ist unfair, wenn wir einige ermuntern, ihre Rede zu Protokoll zu geben, und die Debatte dann (Peter Zumkley [SPD]: Deswegen der Ände- ungebührlich ausdehnen. rungsantrag!) (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist wahr!) Auch der Bundeswehrverband und der Städte- und Ge- meindetag, Herr Zumkley, lehnen die Gesetzesänderung Deswegen lasse ich das hier so stehen und erteile der Kol- ab, da sie nicht nur eine Beschränkung bei der Mandats- legin Heidi Lippmann das Wort. ausübung, sondern auch bei der Wählbarkeit von Solda- ten befürchten. Heidi Lippmann (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- (Zurufe von der SPD) leginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird ebenso wie die CDU/CSU-Fraktion den vorliegenden Entwurf Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungs- zur Änderung des Soldatengesetzes ablehnen. koalitionen, die Einzigen, die daran glauben, dass es sich bei dieser Ausnahmeregelung nicht um eine Beschrän- (B) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kung handelt, sind Sie, einschließlich der Regierungsver- (D) NEN]: Das ist die neue Koalition!) treter. Kein Soldat nimmt an, die Änderung würde eine Stärkung des kommunalen Mandats bewirken. Ganz im Ginge es ausschließlich um die Anpassung einiger Para- Gegenteil. graphen angesichts der Gleichstellung von Frauen in der Bundeswehr, würden wir uns – ebenso wie bei der Grund- Hinzu kommt, Kollege Kahrs, dass künftig auch Länder gesetzänderung – mehrheitlich enthalten, da es sich hier- und Gemeinden dem Beispiel des Verteidigungsministeri- bei weder um einen Sieg der Gleichberechtigung noch um ums folgen können und nach Art. 137 Grundgesetz die den Wegfall des letzten Berufsverbots handelt. Wählbarkeit ihrer Beamten und Angestellten des öffentli- chen Dienstes beschränken können. Dies gilt es ebenso zu (Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie haben vorhin schon verhindern wie eine weitere Militarisierung der Gesellschaft einmal mit der Union abgestimmt!) durch die Schaffung von Sondergesetzen für Soldaten, die Ob sich Frauen künftig an Kampfeinsätzen oder an Bom- den Gedanken des Staatsbürgers in Uniform verletzen. bardierungen von Zielen, wie zum Beispiel in Jugosla- Danke schön. wien, beteiligen wollen, kann jede Einzelne freiwillig für sich entscheiden; im Unterschied zu ihren männlichen (Beifall bei der PDS) Kollegen, die sich entscheiden müssen. Das Festhalten an den Zwangsdiensten für Männer bei gleichzeitiger Frei- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich schließe die Aus- willigkeit für Frauen hat weder mit Gleichberechtigung sprache. noch mit Gleichstellung zu tun, Wir stimmen über den von der Bundesregierung ein- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sol- NEN]: Das ist aber ein Schritt dahin!) datengesetzes und anderer Vorschriften ab, Drucksa- sondern dient lediglich – das wissen wir ja – der Verbrei- chen 14/4062, 14/4368 und 14/4548. Ich bitte diejenigen, terung der Rekrutierungsbasis. Schaffen Sie die Wehr- die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- pflicht ab, dann werden Sie wenigstens in Ihrer formalen men wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Der Argumentation glaubwürdiger. Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS in zweiter Beratung angenommen. Ausschlaggebend für unsere Ablehnung ist insbeson- dere die geplante Änderung des § 25 Soldatengesetz, die Dritte Beratung eben für so viel Aufruhr gesorgt hat. Es mutet schonund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- äußerst eigenartig an, dass eine Regelung, die den Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegen- 12672 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (C) Stimmen von PDS und CDU/CSU-Fraktion angenommen. desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik und zur Ände- Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: rung statistischer Rechtsvorschriften, Drucksache 14/4049. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ gierung eingebrachten Entwurfs einesZweiten CSU auf Drucksache 14/4552 vor, über den wir zuerst ab- Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsord- stimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer nung und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) stimmt dagegen? – Der Antrag ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. – Drucksachen 14/4061, 14/4450 – (Erste Beratung 122. Sitzung) Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung die Annahme des Gesetzentwurfs Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- in der Ausschussfassung, Drucksache 14/4459. Wer schusses (6. Ausschuss) stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung? – Drucksache 14/4549 – – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Berichterstattung: gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenom- Abgeordnete Alfred Hartenbach men. Dr. Susanne Tiemann Dritte Beratung Helmut Wilhelm (Amberg) Rainer Funke und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Dr. Evelyn Kenzler Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- genprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro- die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. in dritter Bera- tokoll gegeben.1) Deshalb schließe ich die Aussprache. tung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 2 seiner desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschließung. Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Ge- Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer setze, Drucksachen 14/4061, 14/4450 und 14/4549. Ich stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-fehlung ist angenommen. schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge- Ich rufe Zusatzpunkt 5 auf: setzentwurf ist gegen die Stimmen von PDS, F.D.P. und (B) CDU/CSU in zweiter Beratung angenommen. Erste Beratung des von den Fraktionen SPD und (D) Dritte Beratung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem des Bundeswahlgesetzes Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in – Drucksache 14/4497 – dritter Beratung angenommen. Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Ich eröffne die Aussprache. Die Kollegen Harald Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Friese und Dr. Max Stadler wollen reden. Die übrigen gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Redner geben ihre Reden zu Protokoll.3) Dann gebe ich Einführung einer Dienstleistungsstatistik und jetzt dem Kollegen Friese das Wort. zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften – Drucksache 14/4049 – Harald Friese (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr ge- (Erste Beratung 121. Sitzung) ehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst den Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- Kolleginnen und Kollegen, die an diesem späten Freitag- schusses (7. Ausschuss) nachmittag noch anwesend sind. Das ist ein gutes Zeichen. – Drucksache 14/4459 – (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das freut uns auch! – Dirk Niebel Berichterstattung: [F.D.P.]: Das ist ja wohl klar, wenn Sie mir mei- Abgeordnete Detlev von Larcher nen Wahlkreis zerschlagen wollen!) Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Lassen Sie mich zu dieser Debatte eine Bemerkung Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion machen. der Wir waren der Auffassung, dass im Rahmen der CDU/CSU vor. ersten Lesung keine Debatte erforderlich sei. Die Ich eröffne die Aussprache. Die Reden sind alle zu Pro- CDU/CSU hat aber auf einer Debatte bestanden. Dann hat tokoll gegeben.2) Deswegen schließe ich die Aussprache. sie erklärt, dass sie ihre Reden zu Protokoll gibt. Das ist wirklich eine Pervertierung des Parlamentarismus. Parla-

1) Anlage 23 2) Anlage 24 3) Anlage 25 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12673

Harald Friese (A) mentarismus bedingt nämlich Debatten und nicht dengesetzlich zulässigen Abweichung von 25 Prozent gehabt (C) Austausch von Reden, die zu Protokoll gegeben werden. hätten. Man muss also die Konsequenzen in Form der Än- derung des Bundeswahlgesetzes ziehen. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ändert nichts am Inhalt dieses schlechten Gesetzes!) Wir wollen keine umfassende Reform. Wir beschrän- ken uns in diesem Gesetzentwurf auf das, was wir tun Aber damit muss man leben; wir können dies. müssen, wobei wir die Wahlkreiskontinuität und die Ein- Lassen Sie mich kurz auf das Jahr 1998 zurückkom- haltung der Grenzen kommunaler Gebietskörperschaften men. Der Deutsche Bundestag hat am 13. Februar 1998 besonders berücksichtigt haben. Dieses war unsere Richt- eine komplette Wahlkreisreform beschlossen, die erfor- schnur. derlich wurde, weil der Bundestag in der nächsten (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das mit der Kontinuität Legislaturperiode verkleinert wird. Niemand rechnete vor stimmt wohl nicht!) zweieinhalb Jahren damit, dass wir heute wieder über eine Wahlkreisreform reden. Wir tun dies nicht aus Freude an Im Falle von Mannheim muss ich Ihnen sagen, Herr der Sache, sondern weil wir handeln müssen. Die Bevöl- Kollege Niebel: Wenn wir den Zuschnitt der Wahlkreise kerungsverteilung in Deutschland hat sich nämlich soin Baden-Württemberg so gelassen hätten, dann hätte der entwickelt, dass die gesetzliche Notwendigkeit besteht, alte Wahlkreis Mannheim eine Unterdeckung von die Wahlkreise neu zuzuschneiden. 30,8 Prozent gehabt. Das ist vom Gesetz her schlicht und einfach nicht zulässig. Erster Punkt. Wir haben eineBevölkerungswande- rung von den neuen in die alten Bundesländer, die dazu Ich möchte noch einen weiteren Punkt anführen. Die führt, dass die neuen Bundesländer weitere zwei Wahl- SPD-Fraktion hat am 13. Februar 1998 angekündigt, dass kreise verlieren. Die Zahl der Wahlkreise geht für dassie die teilweise willkürlichen Wahlkreisentscheidungen, Bundesland Sachsen von 21 bei der Bundestagswahl 1998 die damals von der Mehrheit in diesem Hause getroffen auf 17 zurück, für das Bundesland Sachsen-Anhalt ergibt wurden, rückgängig machen wird, wenn sie in der nächs- sich ein Rückgang von 13 auf 10 Wahlkreise. Zwei der ten Legislaturperiode die Möglichkeit dazu hat. Die Mög- Wahlkreise, die jetzt zusätzlich verloren gehen, wachsen lichkeit dazu haben wir nun. Deshalb wird mit diesem Ge- Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg zu. setzentwurf die Rücknahme der von uns als willkürlich zugeschnitten angesehenen Wahlkreise vorgenommen. (Dirk Niebel [F.D.P.]: So weit, so gut! Jetzt Ich nenne beispielsweise die Zuschnitte der Wahlkreise geht es um Details!) München-Mitte, Mannheim, Köln, Essen-Mülheim und Das heißt, es bestand die Notwendigkeit, die Wahlkreise Coesfeld-Steinfurt. Diese Regelung werden wir rückgän- in diesen vier Bundesländern neu zuzuschneiden. gig machen und auf Grundlage der Anträge, die wir 1998 gestellt haben, ändern. (B) Wir ziehen die Konsequenzen aus der Bevölkerungs- (D) wanderung deshalb, weil wir ein hohes verfassungsrecht- Meine Damen und Herren, wir bieten der Opposition liches Risiko im Rahmen eines Wahlprüfungsverfahrens offene und faire Gespräche an. Wir wollen an der alten eingehen würden, wenn wir dies nicht machen würden. und guten Tradition dieses Hauses anknüpfen, Fragen des Denn das Bundeswahlgesetz ist im Jahr 1998 derart ver- Wahlrechts und des Wahlkreiszuschnittes einvernehmlich schärft worden, dass die Zahl der Wahlkreise nach Mög- zu regeln. Es wäre ein gutes Zeichen für den Deutschen lichkeit dem Bevölkerungsanteil der Bundesländer ent- Bundestag, wenn die einstimmige Zustimmung Ausdruck sprechen muss und nicht soll, wie es früher war. Esdieses Miteinander im Gesetzgebungsverfahren würde. handelt sich also um eine Muss-Vorschrift. Die Folge da- Vielen Dank. raus ist, dass die Zahl der Überhangmandate, die vom Bundesverfassungsgericht nur geduldet werden, damit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE zwangsläufig zurückgehen muss. GRÜNEN sowie bei Abgeodneten der PDS) Die Folgen für die Arbeit der Abgeordneten aus den neuen Bundesländern sind allerdings schwerwiegend. Es Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun bitte ich um Auf- wird sehr große Wahlkreise geben. Diesen Punkt werden merksamkeit für den Kollegen Dr. Max Stadler, F.D.P.- wir in der zweiten und dritten Beratung noch vertiefen Fraktion. müssen. Die Wanderungsbewegung macht eines deutlich: (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wo ist Wenn sie anhält, dann werden die neuen Bundesländer denn der Redner der CDU/CSU?) noch sehr große strukturelle Probleme bekommen. Es ver- lassen nämlich gerade die dynamischen und die jungen Menschen die neuen Bundesländer, während die alten und Dr. Max Stadler (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine die sozial schwachen Menschen bleiben. Durch dieselieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen Wahlkreisreform wird also ein gravierendes Problem für und Herren! Auf den eigentlichen Grund, warum ich den Aufbau Ost entstehen. Ich glaube, wir sind uns des mich am Ende dieser Plenarsitzung noch zu Wort melde, Problems in dieser Deutlichkeit noch gar nicht bewusst. werde ich am Schluss meiner kurzen Ausführungen zu sprechen kommen. Zunächst einmal bleibt festzustellen, Zweiter Punkt. Es gibt eine Wanderungsbewegungdass wir vor vier Wochen schon einmal über das Wahl- zwischen den Großstädten und Verdichtungsräumen und recht gesprochen haben und dass bei dieser Gelegenheit dem Umland, also dem so genannten Speckgürtel. Auch von unserer Seite leider kritisiert werden musste, dass an dieser Stelle mussten wir Korrekturen vornehmen, weil die Regierungsfraktionen das, was die Bevölkerung im wir ansonsten in den Wahlkreisen eine Überschreitung der Zusammenhang mit dem Wahlrecht eigentlich interessiert, 12674 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

Dr. Max Stadler (A) überhaupt nicht aufgreifen, nämlich die Frage, wie ange- Nun aber zu dem Grund, warum ich mich zu später(C) sichts des Vertrauensverlustes in Bezug auf die Parteien Nachmittagsstunde überhaupt noch zu Wort gemeldet mehr direkte Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger habe. verwirklicht werden könnte, zum Beispiel durch Volks- initiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auch auf (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eigent- Bundesebene und durch die Einführung halboffener Listen. lich ist Ihre Redezeit schon vorbei!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten – Herr Kollege Schmidt, warten Sie ab. Ich will doch ge- der PDS) rade etwas Freundliches über die SPD sagen. Seien Sie nicht so voreilig! – Es hat vonseiten der CDU/CSU im Diese Kritik bleibt aufrechterhalten. Aber ich fügeLaufe des Verfahrens erhebliche Kritik an der Vorberei- hinzu: Es ist berechtigt, dass Sie in dem heute vorliegen- tung dieses Gesetzgebungsvorhabens gegeben. Für die den Gesetzentwurf nur ein Thema aufgreifen, nämlich die F.D.P. möchte ich ausdrücklich feststellen, dass wir kei- Neugliederung der Wahlkreise. Denn dieses Thema ist so nen Anlass haben, uns über das Verfahren, das Kollege schwierig, dass es in einem eigenen Entwurf abgehandelt Friese im Vorfeld der Beratungen durchgeführt hat, zu be- und nicht mit anderen Themen belastet werden sollte. Zu- klagen. dem werden wir nächste Woche auf Antrag der PDS so- wieso schon wieder über die strukturellen Fragen des (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) Wahlrechts sprechen. Wir sind vom Kollegen Friese zu jedem Zeitpunkt über Was die Neugliederung der Wahlkreise anbelangt, so die geplanten Änderungen ausreichend informiert wor- weiß jeder, dass es hier auch um Machtfragen geht. Da den. Es hat sich Gelegenheit ergeben, bei ihm im Vorfeld wird danach geschielt, was für die einzelnen Parteienkritische Anmerkungen anzubringen. Zum Beispiel sollten günstig ist. Das betrifft natürlich insbesondere die großen ausgerechnet aus meinem Wahlkreis Passau vier Gemein- Parteien. Dennoch stelle ich für unsere Fraktion fest, dass den völlig systemwidrig in den Wahlkreis Deggendorf wir im Großen und Ganzen mit den gemachten Vorschlä- umgegliedert werden. Meinen überzeugenden Gegen- gen einverstanden sein können. argumenten ist Kollege Friese gefolgt. Aber es gibt auch ernst zu nehmende Kritik. Der Kol- Man sieht, er ist zur Zusammenarbeit fähig. Ich hoffe, lege Dirk Niebel hat mich zum Beispiel darauf aufmerk- dass sich das in den Ausschussberatungen fortsetzt, damit sam gemacht – das scheint mir überzeugend –, wir auch bei anderen strittigen Punkten, von denen ich (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der ver- hier zwei zur Diskussion gestellt habe, also Krefeld und folgt wieder seine eigenen Interessen! – Gegen- Heidelberg, in der Sache zu einer vernünftigen Lösung ruf des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]: Nein, die der kommen. (B) Bürger in meinem Wahlkreis!) (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei (D) dass es in Bezug auf den Wahlkreis Heidelberg nicht hin- Abgeordneten der PDS) genommen werden kann, dass 11 von 13 Gemeinden aus dem bisherigen Wahlkreis herausgelöst werden sollen. Vizepräsidentin Anke Fuchs:Damit schließe ich Das beträfe die Hälfte der Bevölkerung dieses Wahlkrei- die Aussprache. ses. Hier erscheint uns der Vorschlag der Landesregierung Baden-Württemberg überzeugender, nämlich einen neuen Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes Wahlkreis im Bereich Enz-Kreis und Rastatt einzuführen. auf Drucksache 14/4497 an den in der Tagesordnung auf- geführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (Beifall bei der F.D.P.) verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ähnliches gilt für Krefeld. Dort ist die noch von der al- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- ten Regierungsmehrheit vorgenommene Neueinteilung nung. von der Bevölkerung nicht akzeptiert worden. Es läuft eine Verfassungsbeschwerde. Ich finde, jetzt ist Gelegen- Ich danke denjenigen, die hier geblieben sind, und be- heit, dieses Problem aufzugreifen. Denn es kann nicht rufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf sein, dass eine Großstadt wie Krefeld keine eigene Ver- Mittwoch, den 15. November 2000, 13 Uhr, ein. tretung im Bundestag hat. Wir sind für einen Wahlkreis Ich wünsche Ihnen allen ein schönes, terminarmes Wo- Krefeld; das sollten wir korrigieren. chenende. (Beifall bei der F.D.P. – Wilhelm Schmidt [Salz- Die Sitzung ist geschlossen. gitter] [SPD]: Sie können ja mal tragfähige Vor- schläge im Ausschuss unterbreiten!) (Schluss: 16.25 Uhr) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12675

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Balt, Monika PDS 10.11.2000 Roth (Speyer), Birgit SPD 10.11.2000 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 10.11.2000 Rühe, Volker CDU/CSU 10.11.2000 Bernhardt, Otto CDU/CSU 10.11.2000 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 10.11.2000 Büttner (Ingolstadt), SPD 10.11.2000 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 10.11.2000 Hans Schmidt (Fürth), CDU/CSU 10.11.2000 Ehlert, Heidemarie PDS 10.11.2000 Christian Elser, Marga SPD 10.11.2000 Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P. 10.11.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 10.11.2000 Edzard Joseph DIE GRÜNEN Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 10.11.2000 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 10.11.2000 Hans Peter Frick, Gisela F.D.P. 10.11.2000 von Schmude, Michael CDU/CSU 10.11.2000 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 10.11.2000 Schröder, Gerhard SPD 10.11.2000 Gloser, Günter SPD 10.11.2000 Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 10.11.2000 Gröhe, Hermann CDU/CSU 10.11.2000 Schuhmann (Delitzsch), SPD 10.11.2000 Richard Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 10.11.2000 Schultz (Everswinkel), SPD 10.11.2000 Hempelmann, Rolf SPD 10.11.2000 Reinhard (B) Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 10.11.2000 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 10.11.2000 (D) DIE GRÜNEN Christian Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 10.11.2000 Dr. Seifert, Ilja PDS 10.11.2000 DIE GRÜNEN Dr. Skarpelis-Sperk, SPD 10.11.2000 Hirche, Walter F.D.P. 10.11.2000 Sigrid Homburger, Birgit F.D.P. 10.11.2000 Spanier, Wolfgang SPD 10.11.2000 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 10.11.2000 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 10.11.2000 Kossendey, Thomas CDU/CSU 10.11.2000 Dr. Freiherr von CDU/CSU 10.11.2000 Kramme, Anette SPD 10.11.2000 Stetten, Wolfgang Kühn-Mengel, Helga SPD 10.11.2000 Dr. Struck, Peter SPD 10.11.2000 Lamers, Karl CDU/CSU 10.11.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 10.11.2000 Lehder, Christine SPD 10.11.2000 Thönnes, Franz SPD 10.11.2000 Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 10.11.2000 Türk, Jürgen F.D.P. 10.11.2000 Klaus W. Uldall, Gunnar CDU/CSU 10.11.2000 Lötzer, Ursula PDS 10.11.2000 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 10.11.2000 Marquardt, Angela PDS 10.11.2000 Wieczorek-Zeul, SPD 10.11.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 10.11.2000 Heidemarie Mosdorf, Siegmar SPD 10.11.2000 Wiesehügel, Klaus SPD 10.11.2000 Müller (Berlin), PDS 10.11.2000 Wülfing, Elke CDU/CSU 10.11.2000 Manfred Zierer, Benno CDU/CSU 10.11.2000* Ostrowski, Christine PDS 10.11.2000 Dr. Zöpel, Christoph SPD 10.11.2000 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 10.11.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Röttgen, Norbert CDU/CSU 10.11.2000 lung des Europarates 12676 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Anlage 2 zu können. Hier sind neben juristisch-ethischen Fragen(C) insbesondere auch eine Reihe forensisch-praktischer Pro- Antwort bleme zu prüfen und zu erörtern. Eine breite Beteiligung der betroffenen Fachkreise an den notwendigen Diskus- des Parl. Staatssekretärs Prof. Dr. Eckhart Pick auf die Frage 11 des AbgeordnetenMartin Hohmann (CDU/ sionen ist wünschenswert. Die Bundesregierung dankt CSU) (Drucksache 14/4468, Frage 11) (129. Sitzung am dem 63. Deutschen Juristentag deshalb sehr für seine 8. November 2000): zahlreichen Vorschläge zur Reform des Rechts der Ster- bebegleitung und Sterbehilfe. Sie werden im Rahmen der Bleibt die Bundesregierung bei den Plänen zur Copyright-Ab- gabe auf CD-Brenner, Drucker, ISDN-Anlagen, CD-ROMs nach weiteren Überlegungen der Bundesregierung berücksich- einem erweiterten Urheberrechtsgesetz oder hat die Bundesregie- tigt werden. rung in dieser Angelegenheit neue Ein- oder Absichten gewonnen? Ihre Frage scheint mir davon auszugehen, dass eine Vergütungspflicht für diese Geräte erst durch ein Reform- Anlage 4 gesetz der Bundesregierung begründet werden soll. Das ist aber nicht richtig. Bereits nach dem geltenden Urhe- Antwort berrechtsgesetz ist für CD-Brenner, Scanner, Festplatten des Parl. Staatssekretärs Prof. Dr. Eckhart Pick auf die und ähnliche Geräte bzw. Komponenten eine Gerätever- Fragen des Abgeordneten Dietmar Schlee (CDU/CSU) gütung zu zahlen, wenn und soweit diese Geräte zur Ver- (Drucksache 14/4468, Fragen 13 und 14) (129. Sitzung vielfältigung bestimmt sind. Die Vergütungen geben den am 8. November 2000): Inhabern von Urheber- und Leistungsschutzrechten einen Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewusst, dass das finanziellen Ausgleich dafür, dass Vervielfältigungen für Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland durch die private und bestimmte weitere Zwecke auch ohne ihre Verbreitung neonazistischer Propaganda, Verwendung von Kenn- zeichen verfassungswidriger Organisationen oder volksverhet- Genehmigung zulässig sind. zender Parolen durch deutsche Extremisten geschädigt wird, und wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um insoweit be- Dies ist bereits in dem Zweiten urheberrechtlichen Ver- stehende Strafbarkeitslücken zu schließen und damit eine Straf- gütungsbericht, den die Bundesregierung gemäß dem verfolgung in Deutschland herbeizuführen? Auftrag des Deutschen Bundestages im Juli dieses Jahres Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich die Internet-Auf- vorgelegt hat, im Einzelnen dargestellt. Darin hat die Bun- tritte von Rechtsextremisten seit 1996 verzehnfacht haben, und desregierung vorgeschlagen, das allseits als bewährt emp- wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung, um die überwie- gend über ausländische Provider eingestellten rechtsextremisti- fundene Vergütungssystem beizubehalten und – auch schen Web-Seiten aus dem Internet zu entfernen und die Strafver- durch klarstellende Einbeziehung der digitalen Verviel- folgung zu gewährleisten? fältigungsverfahren – eine angemessene Vergütung für (B) Künstler, Autoren und andere kreativ Tätige weiter zu si- Zu Frage 13: (D) chern. Konkrete Zahlenvorgaben hat die Bundesregierung dazu noch zu keinem Zeitpunkt gemacht. Sollte die wei- Das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Aus- tere technische Entwicklung zu Abrechnungsverfahren land wird durch die Verbreitung rechtsextremistischer führen, die geeignet sind, die tatsächliche Nutzung zu er- Propaganda durch Deutsche im Ausland geschädigt. Es fassen, sodass der einzelne Nutzer den berechtigten Ur- gibt allerdings keinen Straftatbestand der Gefährdung heber oder Künstler für Kopien unmittelbar bezahlt, wird oder Schädigung des deutschen Ansehens im Ausland. über mögliche Konsequenzen für das bestehende System Die Vorschriften der §§ 86, 86 a, 130 StGB dienen primär nachzudenken sein. Dies ist aber noch nicht aktuell. dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundord- nung der Bundesrepublik Deutschland, dem Schutz des Gedankens der Völkerverständigung und dem Schutz des Anlage 3 friedlichen Zusammenlebens in der Bundesrepublik Deutschland. Antwort Ist die Straftat eines Deutschen im Ausland nach §§ 86, des Parl. Staatssekretärs Prof. Dr. Eckhart Pick auf die 86 a, 130 StGB dort mit Strafe bedroht, kann der Täter Frage des Abgeordneten Detlef Parr (F.D.P.) (Drucksa- auch im Inland bestraft werden. Eine Bestrafung des Tä- che 14/4468, Frage 12) (129. Sitzung am 8. November ters im Inland erfolgt dann, wenn die Straftat Auswirkun- 2000): gen im Inland hat und deshalb eine Inlandstat vorliegt. Wie beurteilt die Bundesregierung die intensiven Diskussio- Auch ist die Bestrafung im Inland denkbar, wenn der Tä- nen des kürzlich erst beendeten Deutschen Juristentages über die ter nicht ausgeliefert werden darf. Wird zum Beispiel von zurzeit gültigen gesetzlichen Regelungen zur Sterbebegleitung einem Deutschen bei einer Fernsehübertragung eines und Sterbehilfe in Deutschland? Fußballspiels aus Polen nach Deutschland „Heil Hitler“ Die Bundesregierung hat die Diskussionen geschrieen des oder nationalsozialistische Propaganda in das 63. Deutschen Juristentages zum Thema „Empfehlen sich Internet im Ausland eingestellt, ist eine Strafverfolgung in zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patienten- Deutschland möglich. autonomie am Ende des Lebens?“ mit großem Interesse Eine zu schließende Strafbarkeitslücke besteht nach verfolgt. Ansicht der Bundesregierung bei dieser Sachlage nicht. Die Problematik der Sterbebegleitung und Sterbehilfe Die Bundesregierung unterstützt die deutschen Strafver- bedarf aus Sicht der Bundesregierung einer gründlichen folgungsbehörden, die Staatsanwaltschaften und Gerichte Aufbereitung, um die Frage nach der Notwendigkeitder Länder. Dies geschieht zum Beispiel durch die Stel- gesetzgeberischer Maßnahmen zuverlässig beantworten lung von Rechtshilfeersuchen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12677

(A) Zu Frage 14: Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach den Pa- (C) riser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vom 23. Oktober Der Bundesregierung ist bekannt, dass die Internet- 1954 und nach dem B-Waffenübereinkommen vom Seiten von Rechtsextremisten besonders stark angestie- 10. April 1972 (ratifiziert am 7. April 1983) international gen sind. Dabei handelt es sich bei der überwiegenden An- dazu verpflichtet, sich in keiner Weise aktiv mit biologi- zahl der Seiten um solche aus dem US-amerikanischen schen Waffen zu befassen. Darüber hinaus gibt es natio- Raum. In den USAist die Verbreitung von rechtsextremis- nal im Kriegswaffenkontrollgesetz ein entsprechendes tischen Seiten im Internet, soweit es sich um Meinungs- Verbot. äußerungen handelt, nicht strafbar. Die Bundesregierung bemüht sich durch Gespräche mit Verantwortlichen in den Forschung und Entwicklung zur Herstellung von bio- USA, diese von der Strafwürdigkeit eines solchen Verhal- logischen Waffen wurden und werden durch das Bundes- tens zu überzeugen. Einerseits wird hierdurch erfolgreich ministerium der Verteidigung nicht vergeben, gefördert für die Unterstützung deutscher Strafverfahren geworben, oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt. Doch der Ein- andererseits werden US-amerikanische Provider mit Er- satz biologischer Kampfstoffe ist leider durch fremde folg um die Löschung rechtsextremistischer Seiten gebe- staatliche wie nicht staatliche Akteure denkbar. Und es ist ten. vorstellbar, dass biologische Kampfstoffe auch Resisten- zen gegen Antibiotika aufweisen können. Grundsätzli- ches Ziel unserer Sicherheits- und Militärpolitik ist es, das Anlage 5 Risiko eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen soweit wie möglich auszuschließen. Wegen der mögli- Antwort chen Verfügbarkeit biologischer Massenvernichtungsmit- tel in einer Reihe von Staaten und eines damit verbunde- der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage nen Risikos unterhält die Bundesrepublik Deutschland der Abgeordneten Maritta Böttcher (PDS) (Drucksache ein Programm zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten 14/4468, Frage 15) (129. Sitzung am 8. November 2000): zum Schutz vor biologischen Waffen, das auch die Risi- Trifft es zu, dass wehrmedizinische Forschungen in Entwick- ken antibiotikaresistenter B-Waffen in Betracht zieht. lungsprojekten der zivilen Forschung der Bundeswehr durchge- Diese Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen führt werden („Welt am Sonntag“ vom 22. Oktober 2000), und wenn ja, worin besteht dann die spezielle Problematik der An- kommen sowohl der Zivilbevölkerung als auch Soldaten wendung dieser Erreger und Toxine in Verbindung mit Waffen? der Bundeswehr zugute. Das deutsche Schutzprogramm wird regelmäßig den sich entwickelnden Risiken ange- Das Bundesministerium der Verteidigung unterhält ein passt und mit unseren Bündnispartnern abgestimmt. Programm zur Weiterentwicklung unserer Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen. Zu diesem Zweck (B) (D) werden am Institut für Mikrobiologie der Sanitätsakade- Anlage 7 mie der Bundeswehr in München und am Wehrwis- senschaftlichen Institut für Schutztechnologien und Antwort ABC-Schutz in Munster Forschungs- und Entwicklungs- projekte durchgeführt. Darüber hinaus vergibt die Bun- der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage deswehr im zivilen Bereich Forschungs- und Entwick- des Abgeordneten Carsten Hübner (PDS) (Drucksache lungsvorhaben, die in der Bundeswehr nicht durchgeführt 14/4468, Frage 17) (129. Sitzung am 8. November 2000): werden können oder die im zivilen Bereich kostengünsti- Von welchen Bedrohungsszenarien geht die Bundesregie- rung – vor dem Hintergrund von Pressemeldungen vom 23. Okto- ger bearbeitet werden. Im Rahmen des Forschungs- und ber 2000 und in der „Welt am Sonntag“ vom 22. Oktober 2000 Entwicklungsprogramms gegen Massenvernichtungsmit- über wehrmedizinische Forschung zu B-Waffen unter Verwen- tel werden auch Schutzmaßnahmen, unter anderem Impf- dung gentechnischer Methoden im B-Waffen-Schutz im Falle an- tibiotikaresistenter Krankheitserreger – aus? stoffe gegen potenzielle biologische Kampfstoffe weiter- entwickelt. Bei diesen handelt es sich um Erreger und Ein Einsatz biologischer Kampfstoffe ist sowohl durch Toxine, die in der Bundesrepublik selten oder gar nicht staatliche wie nicht staatliche Akteure denkbar. Es ist vor- vorkommen, aber wegen ihrer Eigenschaften einen Miss- stellbar, dass biologische Kampfstoffe auch Resistenzen brauch als Kampfstoff geeignet sind. gegen Antibiotika aufweisen können und damit Infektionen durch diese Erreger einer Therapie gar nicht oder nur er- schwert zugänglich sind. Anlage 6 Grundsätzliches Ziel deutscher Sicherheits- und Mi- litärpolitik ist es, das Risiko eines Einsatzes von Massen- Antwort vernichtungswaffen soweit wie möglich auszuschließen. der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage Wegen der möglichen Verfügbarkeit biologischer Mas- des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert(PDS) (Drucksache senvernichtungsmittel in einer Reihe von Staaten und des 14/4468, Frage 16) (129. Sitzung am 8. November 2000): damit verbundenen Risikos unterhält die Bundesrepublik Deutschland ein Programm zur Weiterentwicklung der Wie schätzt die Bundesregierung im Rahmen der Bundes- wehrforschungen zu B-Waffen das Risikopotenzial von Krank- Fähigkeiten zum Schutz vor biologischen Waffen. Bei heitserregern ein, die gegen Antibiotika resistent gemacht werden dem im Artikel der „Welt am Sonntag“ erwähnten anti- und als biologische Waffen eingesetzt werden können, und welche biotikaresistenten Erreger handelt es sich um einen Impf- Erfordernisse ergeben sich aus ihrer Sicht, um entsprechende Ri- siken – auch im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung – stamm, der als biologischer Kampfstoff ungeeignet und zu minimieren? zudem gegen die üblichen Antibiotika empfindlich ist. 12678 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Anlage 8 Zu Frage 20: (C)

Antwort Da Ihre beiden Fragen im Kontext mit denen Ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen gestellt wurden, der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage möchte ich im Namen der Bundesregierung antworten, des Abgeordneten Uwe Hiksch (PDS) (Drucksache obwohl das Bundesgesundheitsministerium und das 14/4468, Frage 18) (129. Sitzung am 8. November 2000): Landwirtschaftsministerium die Gesetzeskompetenz be- Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die mögliche sitzen. militärische Nutzung des Potenzials von moderner Bio- und Gen- Human-Krankheitserreger: Gemäß § 19 Bundes-Seu- technik zu feindseligen Zwecken eine Herausforderung bzw. po- tenzielle Bedrohung der eigenen Bevölkerung wie auch anderer chengesetz (BSeuchG) und ab 1. Januar 2001 gemäß § 44 Völker darstellt? des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bedarf derjenige, der Krankheitserreger in den Geltungsbereich dieses Geset- Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. Grund- zes verbringen oder sie ausführen will, der Erlaubnis der sätzliches Ziel deutscher Sicherheits- und Militärpolitik zuständigen Behörde. Die Erteilung der Erlaubnis ist an ist es daher, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen bestimmte persönliche Voraussetzungen (insbesondere soweit wie möglich auszuschließen. Wegen der mögli- bestimmtes Studium und praktische Erfahrungen im Um- chen Verfügbarkeit biologischer Massenvernichtungsmit- gang mit Krankheitserregern) geknüpft. Darüber hinaus tel in einer Reihe von Staaten und eines damit verbunde- unterliegen die Personen bei ihren Tätigkeiten der Auf- nen Risikos auch für unser Land und unsere Bevölkerung sicht der zuständigen Behörde (§ 25 Bundes-Seuchenge- unterhält die Bundesrepublik Deutschland ein Programm setz, ab 1. Januar 2001 § 51 Infektionsschutzgesetz). Die zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten zum Schutz vor Ausführung der genannten Vorschriften, einschließlich biologischen Waffen. der Bestimmung der zuständigen Behörden, erfolgt durch die Länder in eigener Zuständigkeit und Verantwortung.

Anlage 9 Die Bundeswehr hält im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramms gegen biologische Kampfstoffe Antwort „Stammsammlungen“ von über 500 relevanten Bakte- rien-, Viren- und Pilzstämmen, die für die Bearbeitung der der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage Schutzaufgaben genutzt werden. Die Stämme sind über der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter (PDS) (Druck- Jahre aus nationalen Stammkultursammlungen, wie zum sache 14/4468, Frage 19) (129. Sitzung am 8. Novem-Beispiel der „Deutschen Stammsammlung von Mikro- ber 2000): organismen“ oder der Amerikanischen Stammkultur- sammlung „American Type Culture Collection“ und aus (B) Werden vor dem Hintergrund aktueller Pressemeldungen vom (D) 23. Oktober 2000 und in der „Welt am Sonntag“ vom 22. Okto- verschiedenen in- und ausländischen Forschungsinstitu- ber 2000 über wehrmedizinische Forschung zu B-Waffen unter ten, vorzugsweise Universitäten, bezogen worden. Ge- Verwendung gentechnischer Methoden aus Deutschland biologi- genwärtig werden von der Bundeswehr keine vermeh- sche Kampfstoffe oder Komponenten für Kampfstoffe in andere Staaten geliefert? rungsfähigen Erregerstämme für Human-, Tier- oder Pflanzenkrankheiten in andere Staaten geliefert oder mit Nein. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nach diesen ausgetauscht. Zur Standardisierung von Schnell- den Pariser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vomnachweismethoden im Rahmen der Schutzforschung ge- 23. Oktober 1954 und nach dem B-Waffenübereinkom- gen potenzielle B-Agenzien innerhalb der NATO wurden men vom 10. April 1972 (ratifiziert am 7. April 1983) in- jedoch inaktivierte Proben von Teststämmen, die für die ternational dazu verpflichtet, sich in keiner Weise aktiv Bedrohung als relevant angesehen werden, für Ringver- mit biologischen Waffen zu befassen. Darüber hinaussuche nach Deutschland geliefert. gibt es national im Kriegswaffenkontrollgesetz ein ent- Schadorganismen von Pflanzen, und dies schließt sprechendes Verbot. Forschung und Entwicklung zur Her- Pflanzenkrankheiten ein, werden in begrenztem Umfang stellung von B-Waffen wurden und werden durch daszwischen wissenschaftlichen Institutionen (Pflanzen- Bundesministerium der Verteidigung nicht vergeben, ge- schutzeinrichtungen, Pflanzenzüchtungsinstituten) nach fördert oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt. Deutschland eingeführt. Soweit diese Schadorganismen in Deutschland nicht vorkommen bzw. eine besondere Gefahr für Pflanzen in Deutschland darstellen können, Anlage 10 unterliegen sie der EU-Richtlinie 95/44 für „Versuchs- und Züchtungszwecke“. Derartige Einfuhren werden von Antwort den Pflanzenschutzdiensten der Länder genehmigt und der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen zentral von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und der Abgeordneten Kersten Naumann (PDS) (Drucksa- Forstwirtschaft erfasst. In Kurzfassung werden die Infor- che 14/4468, Fragen 20 und 21) (129. Sitzung am 8. No- mationen über die Einzelgenehmigungen mit den zustän- vember 2000): digen Behörden anderer Mitgliedstaaten ausgetauscht und der Europäischen Kommission übermittelt. Ein Genehmi- Werden aus Deutschland Erreger für Human-, Tier- oder Pflanzenkrankheiten in andere Staaten geliefert und mit anderen gungsverfahren für nicht als Quarantäne-Schadorganis- Staaten ausgetauscht, und wenn ja, welche? men identifizierte Pflanzenkrankheiten und -schädlinge In bzw. aus welchen Staaten werden benannte Erreger expor- besteht derzeit in Deutschland nicht, wird aber dennoch tiert bzw. importiert? von einigen Pflanzenschutzdiensten praktiziert. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12679

(A) Tierseuchenerreger werden nach Deutschland zu fol- einfachen Soldaten(laufbahn)rechts aus. Absicht ist es,(C) genden Zwecken eingeführt: Diagnostik von Tierseuchen auf dieser Grundlage den Versand der Aufforderungen in deutschen Laboratorien; Herstellung von Sera, Impf- zum Dienstantritt nach der zweiten und dritten Lesung stoffen oder diagnostischen Mitteln sowie für vorberei- und dem entsprechenden Beschluss der einfachgesetzli- tende Untersuchungen; Impfstoffe und Antigenpräpara- chen Änderungen im Bundestag am 10. November 2000 tionen, die Tierseuchenerreger enthalten; Verbringen von zu veranlassen. Tierseuchenerregern aus Erstausbrüchen von Tierseuchen Damit stünde den Bewerberinnen, die in einem Arbeits- an EU-Referenzlaboratorien. Die Einfuhr von Tierseu- verhältnis stehen, noch Zeit und Gelegenheit zur Verfügung, chenerregern bedarf der Genehmigung der für das Veteri- unter Berücksichtigung der gesetzlichen Kündigungsfristen närwesen zuständigen obersten Landesbehörden. bis Mitte November rechtsverbindlich handeln zu können. Erkenntnisse, wie viele Frauen, die bislang alle eine vorläu- Zu Frage 21: fige Einplanung erhalten haben, aufgrund der bisherigen Was die Beantwortung Ihrer zweiten Frage betrifft, Rechtssituation von einem Dienstantritt im Januar 2001 verweise ich Sie auf meine erste Antwort, die ich mit dem möglicherweise Abstand nehmen wollen oder bereits Ab- Hinweis auf die Ein-/Ausfuhr von humanpathogenenstand genommen haben, liegen nicht vor. Krankheitserregern im Bezug auf den Verteidigungsbe- reich ergänzen möchte: Proben von inaktivierten Test- Zu Frage 23: stämmen für den Test von Schnellnachweismethoden im Der Altersaufbau im militärischen Bereich ist nicht ho- Rahmen der B-Schutzforschung bei der Bundeswehrmogen und belastet seit Jahren strukturgerechte Einstel- wurden aus Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, lungen. Dies führte zur Überalterung auf einsatzwichtigen Großbritannien, Österreich, Schweden und den USA be- Dienstposten und ist eine der Ursachen für den vorhande- zogen. nen Beförderungsstau. An Lösungsmodellen wird gear- beitet, die möglichst früh dem Bundeskabinett und dem deutschen Bundestag vorgelegt werden sollen. Der Refe- Anlage 11 rentenentwurf eines Personalanpassungsgesetzes wird ge- genwärtig erarbeitet. Die Arbeiten werden so zeitgerecht Anwort vorangetrieben, dass der Gesetzentwurf möglichst noch der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen im Frühjahr 2001 in den parlamentarischen Bereich ein- des Abgeordneten Werner Siemann (CDU/CSU) gebracht werden kann. (Drucksache 14/4468, Fragen 22 und 23) (129. Sitzung am 8. November 2000): (B) Anlage 12 (D) Wie beurteilt die Bundesregierung den Zeitplan für die Verab- schiedung des Soldatengesetzes sowie der Soldatenlaufbahnver- ordnung im Hinblick auf die Kündigungsfristen der Bewerberin- Antwort nen in ihren bisherigen Arbeitsverhältnissen bezüglich der Öffnung aller Laufbahnen und Laufbahngruppen für Frauen in der der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen Bundeswehr, und wie viele mit einer Einstellungszusage verse- des Abgeordneten Günter Friedrich Nolting (F.D.P.) hene Bewerberinnen werden den Dienst aufgrund der bisher nicht beschlossenen rechtlichen Grundlage am 2. Januar 2001 nicht an- (Drucksache 14/4468, Fragen 24 und 25) (129. Sitzung am treten? 8. November 2000): Ist es zutreffend, dass die Vorbereitungen für ein neues Perso- Wie umfangreich waren die Einsätze des Kommandos Spezi- nalstärkegesetz zur Einsparung von Personalkosten sowie zur Lö- alkräfte (KSK) der Bundeswehr im Rahmen von SFOR (Stabili- sung des Beförderungs- und Verwendungsstaus weitgehend abge- sation Force) und/oder KFOR (Kosovo Force), und wann wurden schlossen sind, und wann wird der entsprechende Entwurf dem sie durchgeführt? Parlament vorgelegt? Was war die rechtliche Grundlage der etwaigen Einsätze, und warum unterblieb eine vorherige oder nachgeschaltete Unterrich- Zu Frage 22: tung der Ausschüsse und des Parlaments? Seit Beginn des Ill. Quartals 2000 werden weibliche Zu Frage 24: Bewerber in den Zentren für Nachwuchsgewinnung ei- nem angepassten Eignungsfeststellungsverfahren für ei- Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr nen uneingeschränkten Einsatz in den Streitkräften unter- führte in den Jahren 1998 bis 2000 insgesamt vier zogen. Bis Anfang November haben sich rund 1 500 jun- Einsätze zur Ergreifung mutmaßlicher Kriegsverbrecher, ge Frauen für einen freiwilligen Dienst in den Laufbahnen davon drei Einsätze im Rahmen von SFOR und ein der Unteroffiziere und Mannschaften beworben. Nach Einsatz im Rahmen von KFOR durch. Die Einsätze er- erfolgreicher Eignungsfeststellung haben bislang etwa folgten am 15. Juni 1998 (SFOR), 2. August 1999 200 Frauen – vorbehaltlich der zu schaffenden gesetzli- (SFOR), 20. August 1999 (KFOR) sowie am 12. Okto- chen Regelungen – einen vorläufigen Einplanungsbe-ber 2000 (SFOR). scheid zum Diensteintrittstermin 2. Januar 2001 erhalten. Zu Frage 25: Vor dem Hintergrund der am 27. Oktober 2000 im Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung be- Die rechtliche Grundlage für den jeweiligen Einsatz schlossenen Änderung des Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 Grund- sind die geltenden Resolutionen des VN-Sicherheitsrats gesetz (GG) geht BMVg vom rechtzeitigen In-Kraft-Tre- und die Beschlüsse der Bundesregierung sowie des Deut- ten der Verfassungsänderung und der Änderung desschen Bundestages. Bei den Einsätzen des Kommandos 12680 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Spezialkräfte werden die Ausschüsse und der Bundestag den 10 bis 15 Jahren jährlich rund 2 bis 2,5 Milliarden DM (C) insgesamt vorher nicht unterrichtet, allerdings die Frakti- zur Beseitigung von Unterhaltungs- und Instandset- onsvorsitzenden bzw. von ihnen namentlich benanntezungsrückständen im Bestandsnetz zur Refinanzierung Parlamentarier. der Netzsubstanz sowie für einzelne Neu- und Ausbau- maßnahmen erforderlich sind. Die bisher verfügbaren und Nach einem Einsatz unterrichtet der Bundesverteidi- die zusätzlichen Bundesmittel im Rahmen des ZIP wer- gungsminister den Vorsitzenden des Verteidigungsaus- den zielgerichtet und mit nachhaltiger Wirkung für den schusses, die Obleute der Fraktionen im Verteidigungs- ausschuss und die Fraktionsvorsitzenden. Ebenso erfolgt Verkehrsträger Schiene eingesetzt (zusammen 8,7 Milli- eine Information der Öffentlichkeit. Eine weitergehende arden DM). Damit kehrt die Bundesregierung zu der bei Information erfolgt nicht, um besonderen Verfahren der der Bahnreform 1994 vorgesehenen Finanzierungslinie Geheimhaltung zum Schutz der an den Einsätzen betei- für Schieneninvestitionen zurück. ligten Soldaten und ihrer Familien Rechnung zu tragen. Insbesondere wird die Nennung der an der Vorbereitung Zu Frage 27: und Durchführung beteiligten Truppenteile und Soldaten Auf der Grundlage der Strategie Netz 21 besteht im vermieden, um eventuellen Repressalien, zum Beispiel Bestandsnetz nach der Einschätzung der DB AG jährlich durch Geheimdienste anderer Staaten, auch gegenüber ein Investitionsbedarf von 4,5 bis 5 Milliarden DM. deren Familien vorzubeugen. Einzelheiten zur Vor-Durch die im Gange befindliche umfassende Bestands- bereitung und Durchführung werden nicht bekannt ge- aufnahme soll der Investitionsbedarf für Bestandsnetzin- geben, um Gegenmaßnahmen anderer Staaten oder Orga- vestitionen (und Bedarfsplaninvestitionen) konkretisiert nisationen sowie der noch gesuchten weiteren mutmaßli- werden. Nach den Veranschlagungen im Finanzplan des chen Kriegsverbrecher zu erschweren. Pressemeldungen Bundes und dem angestrebten Einsatz der zusätzlichen werden deshalb auch nicht kommentiert. Dies gilt imInvestitionsmittel des Zukunftsinvestitionsprogramms Übrigen weltweit für alle „Special Forces”. stehen die für eine Modernisierung des bestehenden Net- zes erforderlichen Bundesmittel im Volumen von jährlich 4,5 bis 5 Milliarden DM für Investitionsmaßnahmen im Anlage 13 Bestandsnetz bereit. Antwort des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Anlage 14 Abgeordneten Eduard Lintner (CDU/CSU) (Drucksa- che 14/4468, Fragen 26 und 27) (129. Sitzung am 8. No- Antwort (B) vember 2000): des Parl. Staatsekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des (D) Haben der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG (DB Abgeordneten Karsten Schönfeld (SPD) (Drucksache AG), Hartmut Mehdorn, oder andere Personen aus dem Leitungs- bereich der DB AG gegenüber dem Bundesminister für Verkehr, 14/4468, Fragen 28 und 29) (129. Sitzung am 8. Novem- Bau- und Wohnungswesen (BMVBW), Reinhard Klimmt, oder ber 2000): anderen Repräsentanten des BMVBW den Betrag, den die Bahn nach ihrer Einschätzung zur Sanierung ihres Streckennetzes in den Von welchen Baukosten und Realisierungszeiträumen für die nächsten Jahren benötigt, konkret beziffert, und wenn ja, als wie verschiedenen Ausbauvarianten des durchgängigen 6-streifigen hoch wurde der Betrag dabei bezeichnet? Ausbaus der Bundesautobahn A 4 zwischen den Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Magdala („Leutratal“) geht die Bundesregie- Welchen Betrag beabsichtigt die Bundesregierung der DB AG rung aus, und welche konkreten Summen sind bereits in die Inves- für die Sanierung des Schienennetzes, insbesondere auch die Be- titionsplanung des Bundes eingestellt? seitigung der Langsamfahrstellen im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung jeweils jährlich zur Verfügung zu stellen, und wel- Ist die Bereitstellung von Finanzmitteln an eine bestimmte chen Betrag glaubt die Bundesregierung in diesem Zeitraum als Ausbauvariante des durchgängigen 6-streifigen Ausbaus der Bun- 100-prozentiger Eigentümer der DB AG aufwenden zu müssen? desautobahn A 4 zwischen den Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Magdala („Leutratal“) gekoppelt, und gibt es zwischen der Bundesregierung und der Thüringer Landesregierung Absprachen Zu Frage 26: über Trassenführung bzw. zu favorisierende Ausbauvarianten? Die DB AG (DB Netz AG/DB Station & Service AG) steht in einer strategischen Neuausrichtung. Die Strategie Zu Frage 28: Netz 21 sieht vor, dass vorrangig das bestehende Netz, das Die Baukosten für den Gesamtabschnitt der A 4 zwi- sich in einem schlechten Zustand befindet, modernisiert schen den Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Magdala werden soll und wirtschaftliche Neu- und Ausbauvorha- werden je nach Ausführungsvariante zwischen 222 Milli- ben zur Netzergänzung realisiert werden. Auf dieseronen DM (Ausbauvariante) und 360 Millionen DM (Tun- Grundlage sieht das Investitionsprogramm für den Aus- nelbauvariante) geschätzt. Für den oben genannten Bereich bau der Bundesschienenwege, Bundesfernstraßen und ist im Investitionsprogramm für den Ausbau der Bundes- Bundeswasserstraßen in den Jahren 1999 bis 2002 bereits schienenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasser- vor, dass mehr als 50 Prozent der vorgesehenen Bundes- straßen in den Jahren 1999 bis 2002 eine erste Finanzie- mittel des vorgenannten Programms für Investitionen in rungsrate in Höhe von rund 22,0 Millionen DM mit das bestehende Netz bereitgestellt werden, um den Inves- Baubeginn in 2002 enthalten. titions- und Modernisierungsstau im Bestandsnetz abzu- bauen. Bundesminister Reinhard Klimmt und der Vor- Zu Frage 29: standsvorsitzender der DB AG, Hartmut Mehdorn, haben am 21. September diesen Jahres gemeinsam erklärt, dass Die Bereitstellung von Finanzmitteln im oben genann- aus Sicht des BMVBW und der DB AG in den kommen- ten Streckenabschnitt ist an keine bestimmte Ausbauvari- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12681

(A) ante gekoppelt. Aufgrund der ökologisch sensiblen Situa- Ende 2004 sowie die – wie Minister für Wirtschaft und Mit-(C) telstand, Energie und Verkehr, Ernst Schwanhold, zu Recht tion im Leutratal (FFH-Gebiet) wurde mit dem Freistaat schreibt – „überaus wichtigen Lückenschlüsse“ der A30 und A33 Thüringen abgestimmt, dass im derzeit laufenden in Ostwestfalen zu finanzieren? Raumordnungsverfahren eine Neubauvariante mit einem rund 2,8 km langen Tunnel als Vorzugslösung und der be- Im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der standsnahe Ausbau als Wahlvariante der landespla-Bundesregierung, das für den Straßenbau in den nächsten nerischen Beurteilung unterzogen wird. drei Jahren zusätzlich 2,7 Milliarden DM vorsieht und da- mit im nächsten Jahr mit 10,8 Milliarden DM für den Straßenbau einen neuen Höchstwert ergibt, ist neben über Anlage 15 120 anderen Ortsumgehungen auch die bedarfsgerechte Finanzierung der Ortsumgehung Herford im Zuge der B 239 vorgesehen. Die jährliche Dotierung dieser Maß- Antwort nahme und die notwendigen Entscheidungen hinsichtlich des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen der Vergabe weiterer Bauleistungen bleiben den Bund- des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann (F.D.P.) Land-Finanzierungsprogrammbesprechungen auf Verwal- (Drucksache 14/4468, Fragen 30 und 31) (129. Sitzung tungsebene vorbehalten. Dabei stehen selbstverständlich am 8. November 2000): alle Entscheidungen unter dem Vorbehalt der Verabschie- In welchem Verfahren wurden die Straßenbauprojekte für das dung der jährlichen Bundesfernstraßenhaushalte durch neue 2,7 Milliarden DM-Programm aus den Zinsersparnissen den Deutschen Bundestag. durch die Veräußerung der UMTS-Lizenzen (UMTS = Universal Mobile Telecommunications System) ausgewählt, von denen in Bei der Konkretisierung der Einzelprojekte des Zu- diversen Zeitungen zu lesen war, und warum wurden der Aus- schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen des Deutschen kunftsinvestitionsprogramms (ZIP) ist für den Straßenbau Bundestages und die Länderministerien nicht mit diesem Straßen- ein Schwerpunkt Ortsumgehungen gesetzt worden. Darü- bauprogramm befasst? ber hinaus war entscheidend, dass für die einzelnen Pro- Nach welchen Kriterien wurden die Straßenbauprojekte aus- jekte Baurecht vorliegt oder kurzfristig erreichbar ist. Vor gewählt? diesem Hintergrund konnten die Lückenschlüsse der A 30, Ortsumgehung Bad Oeynhausen und der A 33 zwi- Zu Frage 30: schen Bielefeld und Borgholzhausen nicht berücksichtigt Die Bundesfernstraßenprojekte im Rahmen deswerden. Zukunftsinvestitionsprogramms 2001 bis 2003 wurden in der Umsetzung des vom Deutschen Bundestag verab- schiedeten Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen von Anlage 17 der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen be- (B) schlossen. Dabei erfolgte die Projektauswahl anhand der Antwort (D) Baureife bzw. des Planungsstandes, unter Abwägung ei- des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des ner regionalen Ausgewogenheit und im Einklang mit den Abgeordneten Hubert Deittert (CDU/CSU) (Drucksa- zu finanzierenden Kosten. che 14/4468, Fragen 33 und 34) (129. Sitzung am 8. No- vember 2000): Zu Frage 31: Kann die Bundesregierung die zahlreichen Pressemeldungen Über den Programminhalt wurden der Vorsitzende des bestätigen, wonach für den Lückenschluss der Bundesautobahn A 33 Mittel in Höhe von 200 Millionen DM aus Zinsersparnissen Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zeit- bereitgestellt werden, die dem Bundeshaushalt aufgrund der gleich mit den zuständigen Ministern und Senatoren der UMTS-Erlöse zukommen und an die Länder weitergeleitet wer- Länder informiert. Im Übrigen bleiben die jährliche Do- den? tierung der Maßnahmen und die notwendigen Entschei- Ist die Bundesregierung bereit, ihren Einfluss auf das Land Nordrhein-Westfalen dahin gehend auszuüben, dass das derzeit dungen der Baubeginne den Bund-Länder-Finanzierungs- ausgesetzte Planfeststellungsverfahren für die A33 auf Grundlage programmbesprechungen vorbehalten. der Variante V 16+ wieder aufgenommen wird?

Zu Frage 33: Anlage 16 Bei der Konkretisierung der Einzelprojekte des Zu- Antwort kunftsinvestitionsprogramms (ZIP) ist für den Straßenbau ein Schwerpunkt Ortsumgehungen gesetzt worden. Darü- des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Frage des ber hinaus war entscheidend, dass für die einzelnen Pro- Abgeordneten Dr. Reinhard Göhner(CDU/CSU) jekte Baurecht vorliegt oder kurzfristig erreichbar ist. (Drucksache 14/4468, Frage 32) (129. Sitzung am 8. No- Vor diesem Hintergrund konnte der Lückenschluss der vember 2000): A 33 zwischen Bielefeld und Borgholzhausen nicht Wird die Bundesregierung der öffentlichen, in einem Brief an berücksichtigt werden. den Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Reinhard Klimmt, gerichteten Forderung des Ministers für Wirt- schaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nord- Zu Frage 34: rhein-Westfalen (NRW), Ernst Schwanhold, entsprechen, zusätz- liche 1,7 Milliarden DM für Bahn- und Straßenprojekte in NRW Die Bundesregierung unterstützt die aufgrund einer aus den Zinsersparnissen nach den UMTS-Erlösen (UMTS = Uni- Fauna-Flora-Habitat-Verträglichkeitsstudie (FFH) modi- versal Mobile Telecommunications System) zur Verfügung stel- len, um unter anderem die zweite Baustufe der B 239/Ortsumge- fizierte Variante V 16+ für den Lückenschluss der A 33 hung Herford und die Fertigstellung dieser Ortsumgehung bis zwischen Borgholzhausen und der A 2. Sie wird sich 12682 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) uneingeschränkt darum bemühen, dass die planerischen 14/4468, Fragen 37 und 38) (129. Sitzung am 8. Novem- (C) Arbeiten abgeschlossen und das Planfeststellungsverfah- ber 2000): ren zügig weitergeführt wird. Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass sie in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. Oktober 2000 (14.30 Uhr) auf meine Frage 24 (Plenarprotokoll 14/126 S. 12086 D) nach der Finanzierung des A 4-Weiterbaus von Olpe- Anlage 18 Süd bis zur Krombacher Höhe sowie der Hüttentalstraße (B 62) bis Kreuztal ausführte, dass „zurzeit noch keine konkreten Zusa- Antwort gen zur Finanzierung von einzelnen Straßenbauprojekten gemacht werden“ könnten, während einem Bundestagsabgeordneten der Koalitionsfraktionen aber bereits eine Stunde später eine schrift- des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des liche Zusage zu diesem Projekt mitgeteilt wurde? Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Kann man in Zukunft davon ausgehen, dass der Bundesminis- (Drucksache 14/4468, Fragen 35 und 36) (129. Sitzung ter für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sicherstellt, dass seine am 8. November 2000): beiden Parlamentarischen Staatssekretäre zur gleichen Zeit nicht Trifft es zu, dass bei der Überarbeitung des Bundesverkehrs- inhaltlich unterschiedliche Aussagen gegenüber Abgeordneten wegeplans gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan der Bundes- der Oppositions- und der Koalitionsfraktionen machen? regierung mit einer Verzögerung von über zwei Jahren zu rechnen ist und damit in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundes- tages die Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes nicht Zu Frage 37: mehr abgeschlossen wird? Der Parlamentarische Staatssekretär Siegfried Scheffler Bedeutet die Verzögerung bei der Überarbeitung des Bundes- hat am 25. Oktober 2000 um 14.30 Uhr in der Fragestunde verkehrswegeplanes, dass Bundesfernstraßenvorhaben, die nicht im derzeit laufenden Investitionsprogramm 1999 bis 2002 und des Deutschen Bundestages völlig korrekt geantwortet, ebenfalls nicht im neuen aus den UMTS-Erlösen finanzierten dass, ich zitiere „zurzeit noch keine konkreten Zusagen Ortsumgehungsprogramm enthalten sind, keine Chance haben, in den Jahren 2003 oder 2004 in ein Investitionsprogramm aufge- zur Finanzierung von Straßenbauvorhaben gemacht wer- nommen und realisiert zu werden? den können“. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine ent- gültige Entscheidung über die einzelnen Maßnahmen ge- Zu Frage 35: troffen. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Über die einzelnen Projekte im Rahmen des ZIP- Bundesverkehrswegeplan 1992 zügig zu überarbeiten.Ortsumfahrungsprogramms ist im Bundesministerium für Viele der einzelnen Arbeitsschritte bauen aufeinander auf Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am Nachmittag des- und können nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander selben Tages entschieden worden. Unmittelbar nach der abgearbeitet werden. Die DB AG arbeitet derzeit an einem Entscheidung habe ich dem Abgeordneten , der umfassenden Konzept zur Sanierung des Unternehmens mich diesbezüglich mündlich angefragt hat, per E-mail be- einschließlich des an vielen Stellen maroden Schienennet- stätigt, dass die Maßnahme A 4 AS Wenden-Krombach (B) zes. Die Unsicherheit über den Zeitbedarf für diese Über- Ortsumgebung Wenden mit 85 Millionen DM aus dem Zu- (D) legungen erschwert eine zuverlässige Festlegung über den kunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung neu be- Abschluss des Bundesverkehrswegeplanes. Es kann des- gonnen werden kann. halb nicht ausgeschlossen werden, dass es im Ergebnis zu Verzögerungen gegenüber dem ursprünglich geplanten Zu Frage 38: Zeitbedarf kommen kann. Dies würde jedoch keine Aus- wirkungen auf die unabdingbar notwendige Kontinuität Der in der Frage unterstellte Sachverhalt ist unzutref- des Planungs- und Investitionsgeschehens haben. fend, wie aus meiner Antwort auf die vorhergehende Frage ersichtlich ist. Im Bundesministerium für Verkehr, Zu Frage 36: Bau- und Wohnungswesen ist es gängige Praxis, dass alle Mitglieder der Hausleitung mit einer Stimme sprechen Mit dem Investitionsprogramm für die Bundesschie- und ihre Arbeit eng koordinieren. Dies wird auch in Zu- nenwege, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen kunft so bleiben. in den Jahren 1999 bis 2002 und dem Zukunftsinvesti- tionsprogramm 2000 bis 2003 wird die Zeit bis zur Vor- lage eines überarbeiteten Bundesverkehrswegeplans bzw. Anlage 20 neuer Bedarfspläne überbrückt. Zusätzlich wird es ab 2003 das Anti-Stau-Programm geben, mit dem auch Eng- Erklärung pässe an Autobahnen beseitigt werden sollen. Darüber hi- naus können entsprechend bewertete und vordringlich des Abgeordneten Friedrich Merz (CDU/CSU) eingestufte Projekte des überarbeiteten Bundesverkehrs- zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der wegeplans in den Jahren 2003 ff. im Rahmen eines fort- Bemessungsgrundlage für Zuschlagsteuern (Ta- geschriebenen und durch den Deutschen Bundestag ver- gesordnungspunkt 20 c) abschiedeten Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen Für die CDU/CSU-Fraktion erkläre ich: realisiert werden. Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Ent- wurf enthält das Eingeständnis, dass wesentliche Rege- Anlage 19 lungen des Steuersenkungsgesetzes steuersystematisch verfehlt und mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Antwort wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unvereinbar sind. des Parl. Staatssekretärs Kurt Bodewig auf die Fragen des Die Korrektur dieser Fehler im Rahmen der Kirchen- Abgeordneten Paul Breuer (CDU/CSU) (Drucksache steuer ist nur unter Inkaufnahme zusätzlicher Belastungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12683

(A) für durch das Steuersenkungsgesetz bereits benachteiligte lich eingetretenen Entwicklung ab, was auch damit belegt (C) Personengruppen möglich. Die Rückgängigmachung der ist, dass die Bundesländer eine ganze Reihe neuer Pro- Gewerbesteueranrechnung verschärft die ohnedies zujekte angemeldet haben. Und wir sind überzeugt, dass die große Spreizung zwischen Kapitalgesellschaften und Per- Zielrichtung von Verkehrspolitik heute eine andere sein sonenunternehmen und hat bis zum Jahr 2004 eine Er-muss. An der Diskussion um die DB AG macht sich das höhung der kirchensteuerlichen Grenzbelastung gewerbli- aktuell fest. cher Einkünfte zur Folge. Die Rückgängigmachung des Halbeinkünfteverfahrens stellt eine besondere Härte für die Genau aus diesen Gründen wird der Bundesverkehrs- schon durch den körperschaftsteuerrechtlichen System- wegeplan ja auch von der Bundesregierung überarbeitet. wechsel benachteiligten Kleinaktionäre dar. Bis zu seiner Fertigstellung besteht Planungssicherheit durch das Investitionsprogramm 1999 bis 2002. Da wir Die CDU/CSU-Fraktion kann dem Gesetzentwurf des- annehmen müssen, dass in dieser Legislaturperiode der halb nur unter Zurückstellung schwerwiegender steuerpo- gesetzgeberische Abschluss nicht mehr zu erreichen ist, litischer Bedenken zustimmen. Ausschlaggebend hier ist wird das Investitionsprogramm wohl auch noch einmal allein der Wunsch, die Finanzbasis der Kirchen zu sichern angepasst werden müssen. Da dies auf der Basis des der- und ihnen die Erfüllung ihres gesellschaftspolitisch un- zeitigen Bundesverkehrswegeplanes passieren muss, verzichtbaren Auftrags auch in Zukunft zu ermöglichen. kann sich zumindest die CDU/CSU-Opposition mit Kri- Die Kirchen dürfen nicht zu Leidtragenden einer bereits tik zurückhalten, denn diesen Bundesverkehrswegeplan im Ansatz verfehlten Steuerpolitik werden. haben wir ja von ihr geerbt. Einigkeit besteht sicher auch darüber, dass mehr Güter- Anlage 21 und Schwerlastverkehr auf die Schiene gebracht werden müssen. Hierfür muss es zu einer Verbesserung der Rah- Zu Protokoll gegebene Reden menbedingungen für den Schienengüterverkehr kommen. Ich denke, die Einführung der streckenbezogenen zur Beratung LKW-Straßenbenutzungsgebühr ist ein gutes Steuerungs- – des Berichts: Für eine sozial, finanziell und instrument dafür. ökologisch nachhaltige Bundesverkehrswege- In allen anderen Forderungen gehen unsere Einschät- planung zungen aber nicht mit dem PDS-Antrag konform. Zumin- – des Antrags: Realisierung einer direkten dest in den ostdeutschen Ländern besteht weiterhin ein Fernbahnverbindung zwischen den Bahnhö- sehr großes Infrastrukturdefizit. Aber wir kennen auch die fen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lichten- objektiven Engpässe in den alten Bundesländern. Natür- (B) berg beim Ausbau des Eisenbahnknotens Ber- lich heißt das nicht, wie die PDS suggeriert, dass auf(D) lin Teufel komm raus Landschaften durch Bundesstraßen zerschnitten und Naturflächen durch Asphaltdecken ver- – des Berichts: Überzählige Diesellokomotiven siegelt werden sollen. Das verantwortungsvoll zu ent- der DB AG nicht verschrotten, sondern wei- scheiden wird das veränderte Instrumentarium für die Be- terverwenden wertung der Verkehrsprojekte helfen, das ebenfalls mit – des Berichts: Beibehaltung der Reisezug-Ver- dem Verkehrsbericht 2000 vorgestellt wurde. bindungen zwischen Polen und Berlin Aber man muss auch der Realität ins Auge blicken, (Tagesordnungspunkt 22 a bis d) eine Fähigkeit, die die PDS noch besser verinnerlichen sollte. Wer unsere Debatte im Deutschen Bundestag über den Raumordnungsbericht ernst nimmt, in dem die Er- (Stendal) (SPD): Der Antrag der PDS Reinhard Weis reichbarkeitsanalysen für die ostdeutschen Bundesländer zum Bundesverkehrswegeplan, den wir im Zusammen- noch eine gravierende Schlechterstellung im Vergleich zu hang mit den anderen PDS-Anträgen heute beraten, hätte dem übrigen Bundesgebiet ausweisen, darf nicht bekla- zu keinem anderen Zeitpunkt besser behandelt werden gen, dass Unternehmen im Osten weniger investieren, als können, um verständlich zu machen, warum wir ihn ab- für eine selbsttragende Entwicklung erforderlich wäre, lehnen müssen. Am Mittwoch hat das Bundesverkehrsmi- und gleichzeitig Investitionen in die Straße verteufeln. nisterium den Verkehrsbericht 2000 vorgelegt. Dieser Be- Der Bedarf an Ortsumgehungen ist weiterhin sehr hoch. richt definiert die Grundlagen und Planungsziele des Und gerade bei den Ortsumgehungen wird deutlich, dass neuen Bundesverkehrswegeplanes. Straßenbau dann vor allem zur Lärmentlastung der Bür- Einige der von der PDS-Fraktion gemachten Analysen gerinnen und Bürger führt. Hier hat die Bundesregierung zum Bundesverkehrswegeplan von 1992 sind durchaus zielgerichtet das Zukunftsinvestitionsprogramm aufge- richtig und sind sicher auch Konsens unter Verkehrspoli- legt, das den Bau vieler Ortsumgehungsstraßen mit zu- tikerinnen und Verkehrspolitikern. sätzlichen 2,7 Millarden DM bis 2003 ermöglicht. Die SPD-Bundestagsfraktion teilt zum Beispiel die Die SPD-Bundestagsfraktion und die Bundesregierung Auffassung, dass der alte Bundesverkehrswegeplan ge- sind sich einig, dass Verkehr nicht einfach unterdrückt messen an der mittelfristigen Finanzplanung des ehema- werden kann, sondern sinnvoll und ökologisch verträglich ligen Finanzministers Waigel hoffnungslos unterfinan- gesteuert werden muss. Also: Wir werden bei der Überar- ziert war. Die zugrunde liegenden Prognosen über diebeitung des Bundesverkehrswegeplanes zusätzliche Be- Verkehrsentwicklung weichen erheblich von der tatsäch- wertungskriterien für die Verkehrsprojekte einführen. Wir 12684 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) werden dafür Sorge tragen, dass Mobilität für alle ge-hierfür vorerst dreimal 2 Milliarden DM aus dem Zinserlös (C) währleistet wird. Unser Ziel wird trotzdem die Verringe- der UMTS-Gelder zur Verfügung, und zwar nicht mehr als rung der Inanspruchnahme von Natur, Landschaft und Kredit an die Bahn, sondern als Baukostenzuschuss. Da nicht erneuerbaren Ressourcen sein. Dazu kommen wei- allerdings mit diesem Geld keine Strukturen von gestern tere Anstrengungen zur Reduktion von Lärm, Schadstof- zementiert werden sollen, werden nur Gelder zur Verfü- fen und Klimagasen, hier vor allem die dringend notwen- gung gestellt, für die die Bahn konkrete Verwendungs- dige Senkung der C02 -Emission. nachweise im Netz führen kann. Das fordert unsere Frak- Ein Aspekt der zukünftigen Verkehrspolitik wird von tion. der PDS-Fraktion besonders unrealistisch betrachtet: Wir Zum Abschluss will ich noch ein paar Sätze zum An- müssen davon ausgehen, dass sich bis 2015 der Flugver- trag „Überzählige Dieselloks der DB AG nicht verschrot- kehr mehr als verdoppeln wird. Viele dieser Flugbewe- ten“ sagen. gungen werden sich auch im geeinten Europa direkter na- tionaler Steuerung entziehen, denn es sind internationale Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Werkedebatte und interkontinentale Flugbewegungen. und unter Beachtung des Umstandes, dass eines der Werke, nämlich das in Stendal, gerade mit der Aufarbei- Dass das Flugaufkommen im Inland und vor allemtung dieser Diesellokomotiven sein Privatisierungskon- zwischen Inlandsflughäfen vermindert werden soll, bleibt zept verbindet, werden wir, wie im Ausschuss, bei der Ab- dabei unbenommen. Aber: Wollen wir zum Beispiel den lehnung des Antrages bleiben. Ich kann Ihnen aus meiner deutschen Gesellschaften verbieten, in Konkurrenz zum Kenntnis der Verhandlungen zwischen der Geschäfts- schnellen Eisenbahnverkehr innerdeutsche Verbindungen führung und der Bahn AG sagen, dass zum Zeitpunkt der zu bedienen? Wer verbietet es ausländischen Konkurren- Einreichung Ihres Antrages die Verschrottung schon ge- ten, wenn diese Leistungen von den Bürgern nachgefragt stoppt war. Es ging vor gut zwei Jahren um die Frage, ob werden? Nur wer einer Vorstellung vom dirigistischen es eine Privatisierung des Werkes Stendal geben könne Staat anhängt, kann dies fordern. Und nebenbei: Können oder ob eine Beteiligungslösung mit einem interessierten Sie sich erinnern, welche Resonanz vor gut zwei Jahren Unternehmen zustande kommt. Damals entschied sich die die Idee von der Kontingentierung von Flugreisen in der Bahn AG, das Geschäft selber zu machen, und im Werk Öffentlichkeit hatte? Stendal arbeitet man zielstrebig daran, Kontakte und Ver- Auch hier werden die Bundesregierung und die Koali- träge zu neuen Schienenverkehrsanbietern zu knüpfen. tionsfraktionen den Weg über die Veränderung von Rah- Warum dies ein steiniger Weg war, ist nicht Gegenstand menbedingungen dem dirigistischen Eingriff bevorzugen. unserer heutigen Debatte. Dies geschieht zum Beispiel auch durch die Novellierung Fakt ist, die Verschrottung wurde gestoppt und die (B) (D) des Fluglärmgesetzes. Vermarktung der von der DB AG ausgemusterten Loks ist Lärm ist ein gefährliches Umweltgift. Wer permanent Kern des wieder aktuellen Privatisierungskonzeptes des hoher Lärmbeschallung ausgesetzt ist, wird krank. Werkes Stendal. Wenn die Bahn AG die Privatisierung des Werkes als den einzigen Ausweg zum Erhalt des Standor- Also muss das Fluglärmgesetz den modernen Anforde- tes sieht, dann erwarten wir jetzt auch, dass in den Ver- rungen angepasst werden und vor allem den neuen tech- handlungen mit Investoren dies auch konstruktiv ermög- nischen Möglichkeiten. Denn moderne Verkehrsflug-licht wird. zeuge haben eine deutlich geringere Lärmemission. Der Gesetzgeber wird durch eine Verbesserung des Lärm- Im Gegensatz zu dem „Staatliche-Plankommission- schutzes für Anwohner von Flughäfen auf die Fluggesell- Forderungskatalog“ des PDS-Antrages, mit dem die PDS schaften einwirken, leisere und sparsamere Flugzeuge zu in das Unternehmen Bahn AG hinein regieren will, ist der betreiben. eben beschriebene Weg zur Privatisierung mit der Ei- gentümerrolle des Bundes und der unternehmerischen Das Ziel der PDS, Flugverkehr insgesamt möglichst zu Entscheidung kompatibel. vermeiden, ist schlicht unrealistisch. Gelegentlich wird aber von Bahn-AG-Vertretern, die Als letzten Punkt zum Antrag zum Bundesverkehrswe- ihr Monopol sichern wollen, behauptet, dass mit dem Re- geplan möchte ich die geforderten Investitionen in das vitalisierungsprogramm für die ausgemusterten Lokomo- Netz und auch die Ingenieurbauwerke der DB AG auf- tiven das Investitionsprogramm der Bahn AG für neue greifen. Ihre Analyse ist durchaus richtig. Es wurde über Lokomotiven bei der freien Wirtschaft verhindert wird. Jahrzehnte viel zu wenig in die Strecken und die Brücken Dies ist eine Zwecklüge, denn die revitalisierten Loks sol- der Bahn investiert. Dieser fundamentale Fehler des ehe- len nicht bei der Bahn AG, sondern bei nicht bundeseige- maligen Verkehrsministers Wissmann und des Bahnma- nen Eisenbahnen zum Einsatz kommen. Auf der An- nagements ist nur durch gewaltige Nachinvestitionen zu hörung zur Eisenbahnpolitik ist uns von den Experten beheben. Wir fordern jetzt von der Bahn AG, was Herr gerade erst deutlich gemacht worden, dass wir, wenn wir Wissmann eigentlich schon 1994 einfordern musste: die den Schienenverkehr insgesamt fördern wollen, nicht nur schonungslose Offenlegung der tatsächlichen Situation auf die Bahn AG gucken dürfen, sondern für die Unter- der DB AG. nehmen Rahmenbedingungen schaffen müssen, die Ge- Uns ist klar, dass für die Unterstützung des Schienen- schäftsfelder übernehmen können, die von der Bahn AG verkehres das Investitionsdefizit in das Bestandsnetz auf- abgeben werden. Das ist ein Weg zu mehr Wettbewerb auf gearbeitet werden muss. Die Bundesregierung stellt allein der Schiene. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12685

(A) Wieland Sorge (SPD): Wir führen heute eine Debatte Seite sind bereits 80 Prozent der Gesamtstrecke Warschau (C) zu zwei Anträgen der PDS. Der eine Antrag – DS 14/3191 – und Reppen – Rzepin – für eine Streckengeschwindigkeit befasst sich mit den Reisezugverbindungen zwischenvon 160 km/h realisiert. Für die Nebenstrecken in die ein- Polen und Berlin, und der Antrag der DS 14/3793 hatzelnen Regionen, insbesondere in dem nördlichen Teil, ist die Realisierung einer Fernbahnverbindung zwischen den der polnische Staat allein verantwortlich. Dies richtet sich Bahnhöfen Berlin-Ostbahnhof und Berlin-Lichtenbergnach der Nachfrage und den finanziellen Mitteln des Staa- zum Inhalt. Der von mir zuerst genannte Antrag wurde be- tes. reits im Ausschuss für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen Übrigens unterstützt Deutschland alle Entwicklungen behandelt und abgestimmt. Außer der PDS haben alle übri- der Korridore, die auf der 2. und 3. Paneuropäischen Ver- gen Parteien den Antrag abgelehnt. kehrskonferenz definiert wurden. Dazu gehören die Am 30. Juni 1993 hat der Deutsche Bundestag dasSchienenverbindungen Berlin–Warschau–Minsk–Moskau Bundesschienenwegeausbaugesetz – BSchWAG – be- sowie Berlin/Dresden–Breslau–Kattowitz–Krakau–Lem- schlossen. Die Orientierung für die festgelegten Projekte berg–Kiew. richten sich in erster Linie nach dem Bedarf im eigenen Zum Inhalt des Antrages der PDS, eine direkte Verbin- Land – aber auch gleichzeitig danach, wie die Fernbahn- dung zwischen den Bahnhöfen Berlin-Ostbahnhof und bedingungen in den angrenzenden Ländern ihre Fortset- Berlin-Lichtenberg herzustellen, kann gesagt werden, es zung finden. Bei der Festlegung der Zugverbindungen gibt vom Land Berlin dazu ein untersuchendes Vorhaben. von Deutschland nach Polen–Dresden–Görlitz–Polen, Man muss abwarten, ob diese Verbindung über die so ge- Breslau und weiter, Berlin–Frankfurt/Oder–Polen, War- nannte Wriezener Bahn berücksichtigt und gegebenenfalls schau und weiter – und weiter nach Osten mussten die er- eine Finanzierung erfährt. Nach den bisherigen Erkennt- forderlichen Vereinbarungen zwischen Deutschland und nissen ist eine direkte Fernbahnverbindung zwischen die- Polen getroffen werden. Um eine solche Vereinbarung zur sen Bahnhöfen nicht wahrscheinlich, weil die Kosten viel Realisierung dieser Ausbaustrecke abschließen zu kön- zu hoch sind und vom Bund in absehbarer Zeit keine Mit- nen, wurde 1993 eine gemeinsame Arbeitsgruppe gebil- tel dazu zur Verfügung stehen. Außerdem spielt er für den det. Das Ziel dieser Arbeitsgruppe bestand darin, die vor- langfristigen Personenfernverkehr keine Rolle mehr. Nun handenen Verbindungen hinsichtlich ihres Bedarfs und muss man abwarten, was das Land Berlin als Konzepte für Zustandes zu überprüfen, um eine Grundlage zu haben, die weitere Planung als wichtig ansieht und wie dazu die welche Strecken wegen des steigenden Bedarfs durch die Finanzierung erfolgt. EU-Osterweiterung und den Tourismus unbedingt benötigt werden und welche Strecken wegen ihrer Un- Nach unserer Ansicht entsprechen – wie soeben darge- wirtschaftlichkeit eingestellt werden müssen. Im Septem- legt – beide Anträge nicht den tatsächlichen Realitäten. ber 1995 wurde dem BMVBW der Schlussbericht der von Aus diesem Grunde lehnen wir beide Anträge ab. (B) der deutschen Seite beauftragten Gutachter vorgelegt. Am (D) 12./13. September 1996 fand auf Einladung des polni- (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE schen Verkehrsministeriums die 4. Sitzung der gemeinsa- Albert Schmidt GRÜNEN): Die PDS stellt – insoweit sicher zu Recht und men Arbeitsgruppe Deutschland/Polen statt. Wichtigster mitgetragen von den anderen Fraktionen – fest, dass ein Punkt der Verhandlungen war die Vereinbarung über das neuer Bundesverkehrswegeplan überfällig ist. Der gel- weitere Vorgehen. Polens Ergebnisse einer Machbarkeits- tende Bundesverkehrswegeplan ist sowohl ökonomisch studie lagen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht vor. Am als auch ökologisch an die Wand gefahren. Als Konse- 14./15. Juni 1999 fand deshalb die 5. gemeinsame Sitzung quenz hat die rot-grüne Bundesregierung binnen weniger der Arbeitsgruppe statt. Danach wurde eine aktualisierte Monate ein Investitionsprogramm für den Zeitraum bis Verkehrsstudie kurzfristig in Auftrag gegeben, deren Er- 2002 vorgelegt, das finanziell darstellbar ist und Pla- gebnisse Ende Oktober 2000 vorgelegt wurden. Diese nungssicherheit für alle Beteiligten gewährleistet. Damit Studie befindet sich derzeit in der Überprüfungsphase und hat sich die Regierung als voll handlungsfähig und kom- wird im Frühjahr 2001 öffentlich gemacht. Neben den er- petent erwiesen. wähnten Hauptstrecken ist für den grenzüberschreitenden Güterverkehr – Entmischung der Verkehre – die wichtige Illusorisch ist aber die Vorstellung der PDS, ein neuer Strecke Hoyerswerda–Herka–Wegliniec in die Tätigkeit Bundesverkehrswegeplan könne binnen kürzester Zeit er- der gemeinsamen Arbeitsgruppe einbezogen. Der ent- stellt werden und dabei zudem eine völlig andere Ver- sprechende Abschluss einer Vereinbarung zwischen bei- kehrspolitik verwirklichen, wie es der PDS vorschwebt. den Ländern wird erst im Jahre 2001 möglich sein. Der Die Bundesregierung ist durchaus für eine neue Ver- Entwurf zu dieser Vereinbarung soll noch in diesem Jahr kehrspolitik mit einer Integration aller Verkehrsträger. vorliegen. Trotz dieser noch ausstehenden gemeinsamen Minister Klimmt hat gerade in dieser Woche die Vorstel- Vereinbarung wird von deutscher Seite bereits gehandelt. lungen der Regierung mit dem „Verkehrsbericht 2000“ Im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 sind für denkonkretisiert. Der Verkehrsbericht macht allerdings auch Ausbau der Strecke auf eine Streckengeschwindigkeit deutlich, dass eine neue Bundesverkehrswegeplanung von 160 km/h Finanzmittel in Höhe von 210 Millio-einen erheblichen Aufwand bei der Neukonzeption, bei nen DM vorgesehen. Zur beschleunigten Fertigstellung der Erstellung der Szenarios und bei der Erarbeitung werden davon 110 Millionen DM EFRE-Mittel verwen- neuer Bewertungsinstrumente erfordert. Das kann man det. Am 7. November 1997 wurde mit dem Ausbau der nicht übers Knie brechen, hier muss man gründlich und Strecke zwischen Fürstenwald und Frankfurt-Rosen-mit langem Atem an die Problematik herangehen. Die garten begonnen, davon sind circa 14 km – Berken-Forderung der PDS, möglichst rasch einen neuen Bun- brück–Pillgramm – bereits unter Verkehr. Auf polnischer desverkehrswegeplan aufzustellen, ist also zwar durchaus 12686 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) nachvollziehbar und das Drängen der Opposition ist ver- über dessen Realisierungsmöglichkeit wir uns sehr ernst- (C) ständlich – allein, wir müssen und wir werden die nächste haft mit der Deutschen Bahn unterhalten müssen. Das Er- Bundesverkehrswegeplanung solide erstellen. Insofern gebnis dieser Gespräche wird in die Ausschussberatungen müssen wir heute den PDS-Antrag ablehnen. einfließen. Erheblichen Beratungsbedarf sehen wir hingegen beim Die beiden verbleibenden Anträge der PDS haben wir zweiten Antrag der PDS, zwischen den Bahnhöfen Berlin- bereits im zuständigen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Ostbahnhof und Berlin-Lichtenberg beim Ausbau des Ei- Wohnungswesen diskutiert und dabei festgestellt, dass sie senbahnknotens Berlin eine direkte Fernbahnverbindung durch aktuelle Vorgänge weitgehend überholt sind. Ent- herzustellen. Diese Zielsetzung entspricht inhaltlich den sprechend hat der Ausschuss mit großer Mehrheit die Ab- Vorstellungen unserer Fraktion im Berliner Abgeordneten- lehnung der beiden Anträge empfohlen, an der wir heute haus, die zwei ähnliche Anträge bereits am 8. Septem-hier festhalten. ber 1998 und am 11. Januar 2000 in die Debatte hier vor Ort eingebracht hat. Einen entsprechenden Beschluss hat das Berliner Abgeordnetenhaus sogar einstimmig am 28. Ja- Horst Friedrich (Bayreuth) (F.D.P.): Zunächst nuar 1999 gefasst. Wichtig für eine durchgehende Fern- Grundsätzliches vorweg: Die Anträge der PDS zur Bahn bahnverbindung ist ein zukunftsfähiger, künftigen Kapa- signalisieren aus liberaler Sicht ein falsches Verständnis – zitätsansprüchen genügender Ausbau des Ostkreuzes. sie führen im Zweifel zurück zur Staatsbahn und konterka- rieren aus unserer Sicht deswegen die Festlegungen der Wir kennen allerdings die Probleme, welche die Deut- Bahnreform 1994. Weder ist es politisch gewollt, der Bahn sche Bahn gegenwärtig im Netzbereich hat: Sie leidet die Aufrechterhaltung bestimmter Fernverkehrsverbin- unter den Folgen früherer Fehlentwicklungen, angefan- dungen zwingend vorzuschreiben, noch kann sie nach un- gen bei der falschen Schwerpunktsetzung von Investi- serer Rechtsauffassung gezwungen werden, Geräte und tionen zugunsten schöngerechneter Vorzeigeprojekte:Fahrzeuge ihres Bestandes zu verkaufen und nicht zu ver- Köln–Rhein/Main, der Knoten Berlin und Nürnberg–In- schrotten. Ob und inwieweit das jeweilige Handeln der golstadt–München führen im Bauvollzug zu Mehrbelas- Bahn insgesamt betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, steht auf tungen von bis zu 6 Milliarden DM. Zudem hat das Duo einem anderen Papier. Insofern ist der Verweis auf die der- infernale Waigel/Wissmann die Netzinvestitionen von zeit laufende Diskussion um die Bahn hilfreich! jährlich rund 9 Milliarden DM zu Beginn der Bahnreform auf 5,8 Milliarden DM im Jahr 1998 heruntergekürzt. Ich Offensichtlich macht in der Bahn jeder, was er will, und muss hier anmerken, dass dieser nachprüfbare Sachver- keiner, was er soll. Nur deshalb ist zu erklären, dass immer halt von den Ministerpräsidenten Stoiber und Teufel, aber wieder neue Schreckensmeldungen über die Ticker der Ta- auch vom bayerischen Verkehrsminister Wiesheu bisgespresse laufen und die Bahn von einem Entscheidungs- (B) heute offenbar nicht begriffen worden ist – oder, wasdesaster in andere gezwungen wird. Kostenüberschrei-(D) schlimmer wiegt, sie versuchen immer noch, die Bürger tungen bei Neubauprojekten, Verspätungen, schlechter in unserem Land bewusst zu täuschen, indem sie behaup- Service und ungenügendes Wagenmaterial sowie zuneh- ten, Rot-Grün habe diese Kürzungen zu verantworten. mend schlechter werdende Infrastruktur sind nur einige Richtig ist: Wir haben sofort nach Regierungsübernahme signifikante Kennzeichen dieses Zustandes. In diesem Zu- das tatsächliche Investitionsniveau für die Bahn 1999 um sammenhang den Weg zurück zur Staatsbahn einzuschla- 1,3 Milliarden DM erhöht und satteln in den Jahren 2001 gen, ist die falsche Richtung. bis 2003 aus den UMTS-Milliarden weitere 2 Milliar- Die F.D.P. hat die Fortsetzung der Bahnreform gefor- den DM drauf. Schon heute ist klar, dass diese Investiti- dert und mit ihrem Antrag auf Trennung von Netz und Be- onsmittel, die damit wieder das Niveau von über 9 Milli- trieb die entsprechenden parlamentarischen Grundlagen arden DM erreichen, über das Jahr 2003 hinaus verstetigt gelegt. Mittlerweile ist offensichtlich zwischen fast allen werden müssen. Fachleuten und Beteiligten ein breiter Konsens zur Tren- Als Folge der falschen Investitionspolitik unternung des Fahrweges vom Betrieb zu erzielen – außer bei Waigel/Wissmann haben wir heute massive Probleme im der Bundesregierung und der Bahn. Ich bin allerdings si- Bestandsnetz, das inzwischen rund 2 500 Langsamfahr- cher, dass in diesem Zusammenhang das letzte Wort noch stellen aufweist: Es ist klar, dass vor allem hier sofortnicht gesprochen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt verlangen mehr investiert werden muss. Die Vorstellungen derwir Liberale zunächst einen vorbehaltlosen Kassensturz Traumtänzer Stoiber, Vogel und Teufel, man könne dem- und eine ungefärbte Bilanz der Deutschen Bahn AG so- nächst an den Neubau beispielsweise der Strecken Stutt- wie zur Begleitung einen Unterausschuss des Verkehrs- gart–Ulm–München und Nürnberg–Erfurt gehen, sind ausschusses, der sich im Detail mit dieser Problematik be- vor diesem Hintergrund völlig unrealistisch. fassen kann. Was wir brauchen, ist vorrangig die Sanierung des Auch die Vorlage der PDS zur Neuauflage des Bun- Schienennetzes, des Weiteren aber auch entsprechenddesverkehrswegeplanes geht aus unserer Sicht an den dem DB-Konzept „Netz 21“ die Modernisierung des vor- tatsächlichen Problemen vorbei. Sicher ist es richtig, sich handenen Schienennetzes, das in Teilen auf dem techni- nach einer bestimmten Zeit über die Neugestaltung des schen Stand von 1930 verharrt. Im Rahmen dieser Über- Bundesverkehrswegeplanes zu unterhalten. Im § 2 des legungen müssen wir in der Tat prüfen, inwieweit dieBundesfernstraßenausbaugesetzes ist festgelegt, dass der Strecke zwischen Berlin-Ostbahnhof und Lichtenberg als Ausbau in Stufen erfolgt, der im Bedarfsplan festgelegt zweigleisige Fernbahn ausgebaut werden kann. Hierwird und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden schlägt der Antrag der PDS ein sinnvolles Projekt vor, Mittel auf die jeweilige Haushaltssituation eingeht. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12687

(A) Aus Sicht der Liberalen werden auch mit dem jetzt im ten auf dem heutigen Stand sichert. Er ist subjektiv ange- (C) Verkehrsbericht 2000 genannten Umstellungskriterien messen, da er das für diese Regelung notwendige Augen- des Bundesverkehrswegeplanes die eigentlich entschei- maß beweist. Und er ist sozial ausgewogen, weil er die denden Fragen nicht ausreichend beantwortet. Zum einen Einkommenssituation des Mannes auf der Straße berück- ist vollkommen unklar, wie sich in der Zukunft eine ver- sichtigt. lässliche Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur darstel- len lässt und zum anderen bezweifeln wir, dass der neue Aber unsere Lösung ist natürlich nicht die einzig Mög- Verkehrswegeplan rechtzeitig auf die Infrastrukturmaß- liche. Ich gebe das unumwunden zu. Es gibt andere Vor- nahmen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung schläge. Einige – wie der der F.D.P. – bieten eine interes- eingeht. Die Liberalen fordern in diesem Zusammenhang sante Perspektive. Andere aber, wie der Vorstoß des ein Sonderprogramm von 3 Milliarden DM für die nächs- Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Herrn Kollegen ten drei Jahre, um den von der EU-Kommission prognos- Merz, von Anfang Oktober helfen uns in der gegenwärti- tizierten Verkehrszuwachs von 60 Prozent mit einer kom- gen Situation nicht weiter. Ich möchte den heutigen Tag binierten Lösung aller Verkehrsträger bewältigen zunicht dazu nutzen, vergangene Schlachten zu schlagen. können. Aber ich möchte auf sachlicher Ebene noch einmal zu die- sem Vorstoß Stellung nehmen. Ich glaube, es tut uns allen Wir werden deshalb die vorliegenden Anträge der PDS gut, wenn wir nach den entstandenen Aufgeregtheiten nun ablehnen. unsere Standpunkte klären. Herr Kollege Merz hat Anfang Oktober behauptet, un- Anlage 22 ser Entwurf widerspreche dem Gesetz. Das Parlament sei an die Zielgröße R 6/B 6 – das Gehalt eines Richters an Zu Protokoll gegebene Reden einem obersten Bundesgericht bzw. eines kommunalen Wahlbeamten – gebunden. Der Herr Bundestagspräsident zur Beratung des Entwurfs eines Zweiundzwan- hat dies in seinem Vorschlag vom 21. April 1999 konkre- zigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordne- tisiert. Hiernach hätten die Diäten bis zum Januar 2003 tengesetzes (Tagesordnungspunkt 23) pro Monat auf 14 275 DM steigen müssen. Nach unserem Entwurf hat am 1. Januar 2003 die Entschädigung eine Dr. Uwe Küster (SPD): Der vorliegende Gesetzent- Höhe von 13 707 DM. Es geht also um eine Differenz von wurf hat das Ziel, das Einkommen der Abgeordneten des 568 DM brutto. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich Deutschen Bundestags – also unsere Diäten – für die brutto, damit jedem klar ist, dass es sich hier um Einkom- nächsten Jahre preissteigerungsbereinigt zu sichern. Eine men vor Steuern handelt. darüber hinausgehende materielle Erhöhung der Diäten (B) Der Vorstoß des Kollegen Merz hat Ihnen, liebe Kolle- (D) findet nicht statt. Es wird sie für diese Legislaturperiode gen der CDU/CSU, nicht nur das Unverständnis der Öf- nach unserem Willen auch nicht geben. fentlichkeit eingebracht. Er hat auch mich irritiert. Sie ha- Ich schicke eins voraus: Der Entwurf ist das Ergebnis ben das für die Öffentlichkeit sensible Thema der Diäten eines Kompromisses, einer Abwägung, einer Gratwande- unsensibel behandelt. Sie haben damit einen Flurschaden rung. Einerseits berücksichtigen wir unsere Verpflich- angerichtet. Sie haben uns als Abgeordnete wegen 568 DM tung, für eine angemessene Höhe der Diäten zu sorgen. brutto in der Öffentlichkeit in ein schiefes Licht gerückt. Andererseits haben wir die gesamtgesellschaftliche Ent- Das war unnötig, das war unsensibel, und das war für das wicklung im Auge behalten. Lassen Sie mich unseren Ent- Anliegen destruktiv. Wir haben Ihnen das damals öffentlich wurf nun in aller Kürze skizzieren. gesagt. Dem füge ich heute nichts mehr hinzu. Wir wollen die Entschädigung für die letzten sechs Mo- Wir haben Ihnen immer – und das mache ich auch nate dieses Jahres um 0,6 Prozent anheben. Für das erste jetzt – die Hand zum offenen Gespräch gereicht. Wir Halbjahr 2000 bleibt es bei einer Nullrunde. Für die Jahre möchten Sie und die anderen Fraktionen einladen, mit uns 2001 bis 2003 sollen die Diäten um jeweils 1,9 Prozent an- zusammen in einen konstruktiven Dialog zu treten. Ziel gehoben werden. Diese Erhöhung entspricht ungefähr der muss es sein, die Frage der Diätenhöhe in der öffentlichen zu erwartenden Preissteigerungsrate. Sie führt somit nicht Diskussion zu versachlichen. Wir als Parlamentarier müs- zu einer materiellen Erhöhung der Entschädigung. Das sen gemeinsam versuchen, die Meinungsführerschaft in Verfahren nach § 30 Abgeordnetengesetz wird für diese unserer ureigenen Frage zurückzuerlangen. Diese darf Wahlperiode ausgesetzt. Das ist bei diesem Verfahrennicht auf Dauer bei demokratisch nicht legitimierten und nicht vermeidbar. Gesetzestechnisch ist das unproblema- aus eigensüchtigen Motiven auf Sensationshascherei aus- tisch. Sie wissen das alle. gerichteten Verbänden liegen – und auch nicht bei einem bestimmten Teil der Presse. Wir als Parlamentarier müs- Die Belange unserer ehemaligen Kolleginnen und Kol- sen über uns selbst bestimmen. Wer soll es sonst? Wer legen werden durch die Erhöhung des fiktiven Bemes- kann es sonst? Wer sonst hat das Recht hierzu? sungsbetrages in § 35 a Abgeordnetengesetz um Dreivier- tel des Erhöhungsbetrages angemessen berücksichtigt. Wir müssen gemeinsam zur einer angemessenen und Ich halte dies für eine sachgerechte Regelung. Ich binvon der Öffentlichkeit weitestgehend akzeptierten Lö- überzeugt, hier besteht ein breiter Konsens unter allen sung kommen. Dabei muss die Diätenhöhe in einem ver- nünftigen gesamtgesellschaftlichen Verhältnis stehen. Fraktionen für eine faire Behandlung dieser Gruppe. Und mit der SPD wird es niemals zu überhöhten Fanta- Zusammenfassend stelle ich daher fest: Unser Gesetz- sieeinkommen kommen. Der Weg zu diesem Ziel muss entwurf ist objektiv notwendig, weil er die Höhe der Diä- sachlich, rational und zukunftsorientiert sein. 12688 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Wie könnte der Weg dorthin aussehen? Wie können wir Angemessenheit scheiterte jedoch am Votum des Bundes- (C) ein angemessenes Ergebnis erreichen? Wie können wir rates. Trotzdem bin ich persönlich nach wie vor der Mei- das Vertrauen der Bürger in unser ernsthaftes und ehrli- nung, dass wir damals einen richtigen Weg beschritten ha- ches Bemühen, eine angemessene Lösung zu erzielen, ge- ben. winnen? Hierauf gibt es mehrere Antworten. Für manche, die der Diskussion ferner stehen, ist der Diskussionsstand Der Bundesrat hatte sich damals einer auch von be- unübersichtlich. Ich verstehe das. Daher nenne ich hier stimmten Medien geschürten Hysterie gebeugt. Das mag einmal die zurzeit aus meiner Sicht in der Diskussion be- die Haltung des Bundesrates erklären. Vielleicht hatten findlichen Lösungsmodelle in meiner Diktion: Die sind die politisch Handelnden keine andere Wahl, als sich die- das Kopplungsmodell, das Kommissionsmodell und das sem Druck zu beugen. Allerdings ist mir kein einziges Ar- Indexierungsmodell. Ihnen allen ist gemeinsam, dass der gument gegen diese Grundgesetzänderung, das mich da- Gesetzgeber nur noch eine begrenzte Entscheidungsmög- mals vielleicht überzeugt hätte, erinnerlich. Wir schaffen lichkeit hat. Dem Gesetzgeber sollen konkrete Vorgaben in unserer täglichen Gesetzgebungsarbeit ständig neue für sein Handeln an die Hand gegeben werden. unbestimmte Rechtsbegriffe. Ebenso viele füllen wir durch Gesetz oder auf dem Verordnungswege aus. Ich Von der F.D.P. wird ein Kommissionsmodell vorge- kann nicht erkennen, dass das falsch sein sollte. schlagen. Wir hatten hierüber erst in der letzten Sitzungs- woche gesprochen, sodass ich mich kurz fassen kann. Sie Aber, wie gesagt: Ich möchte heute keine alten Schlach- möchten eine Kommission einsetzen, die konkrete Vor- ten nachzeichnen. Ich halte es allerdings für unverzicht- schläge zur Diätenhöhe erarbeitet und festlegt. Der Bun- bar, sich den historischen Kontext vor Augen zu halten. despräsident soll diese unabhängige Kommission beru- Lassen Sie uns diesen früheren Vorschlag erneut beden- fen. Der Gesetzgeber selbst soll – wenn ich Sie richtig ken. verstanden habe – keinen Einfluss mehr auf die Diäten- Vieles wäre für die Zukunft denkbar. So könnte ich mir höhe haben. vorstellen, dass wir noch in dieser Wahlperiode zu einem Wir werden uns in den zuständigen Ausschüssen noch fraktionsübergreifenden Lösungsansatz kommen. Auch intensiv mit diesen Vorschlägen auseinander setzen. Dem eine Kombination von Elementen der genannten Modelle will ich hier nicht vorgreifen. Nur so viel sei gesagt: Ich wäre denkbar. Ich selbst könnte mir einen „vierten Weg“ halte es für nicht angemessen, wenn wir uns in einer An- vorstellen. So könnte in Zukunft eine Kommission beim gelegenheit, die uns alle persönlich betrifft, als Gesetzge- Bundestagspräsidenten und nicht mehr der Bundestags- ber einer demokratisch nicht ausreichend legitimierten präsident selbst die nötigen Anpassungsvorschläge ent- Sachverständigenkommission ausliefern. Wir alle kennen wickeln. Auch könnte der Maßstab für die Diätenhöhe die Problematik aus den Anhörungen. Alle Sachverstän- – den ich, wie gesagt, bei dem Gehalt eines Richters an ei- (B) digen haben aus ihrer Sicht Recht. Aber für die praktische nem obersten Bundesgericht sehe – verbindlicher als bis- (D) politische Arbeit sind viele Ausführungen dennoch nicht her festgelegt werden. Letztlich sollte es möglich sein, hilfreich. Auch die von Ihrer Fraktion, Herr Kollege van ohne ein aufwendiges formelles Verfahren auch innerhalb Essen, vorgeschlagene Kommission wird nicht das leisten der Wahlperiode wenigstens die Preissteigerungsrate auf- können, was Sie sich davon versprechen. Die Politik muss zufangen. Denn nach meiner Überzeugung sollte das Ge- bei dieser Frage Einflussmöglichkeiten behalten. Ich bin setzgebungsverfahren mit all seinem Aufwand und mit der festen Überzeugung, dass Sachverständige nicht dazu seiner besonderen Stellung nur dann angestrengt werden, berufen sind, Politik anstelle von Politikern zu gestalten. wenn dies sachlich geboten ist. Ich glaube nicht, dass es Hier wären sie überfordert. Das können Sachverständige ein rechtsstaatliches Gebot gibt, jede Kleinigkeit unbe- nicht. Das müssen wir schon selber tun. Das ist unsere dingt durch Gesetz regeln zu müssen. Hier müssen wir un- Aufgabe. sere Phantasie einsetzen. Einen anderen Weg ist der Thüringer gegan- Ich bitte Sie, die genannten drei Elemente einer Neu- gen. Dort wurde ein Grundbetrag festgelegt, dessen Stei- ordnung zu überdenken. In der anstehenden Diskussion gerung an einen Index gebunden ist. Dies hat zur Folge, um den bereits angesprochenen Gesetzentwurf der F.D.P. dass das Thüringer Parlament als einfacher Gesetzgeber werden wir nochmals Überzeugungsarbeit leisten. Wir bei der Änderung der Diätenhöhe keine Kompetenz mehr werden versuchen, überfraktionell einen Modus vivendi hat. Die Diäten werden in einem für die Öffentlichkeit für die zukünftigen Diätenanpassungen zu finden. Viel- kaum wahrnehmbaren Verfahren angepasst. Wir hingegen leicht haben wir diesmal die Gelegenheit, aus den Fehlern wollen die wichtige Frage der Diätenhöhe transparent hal- der Vergangenheit zu lernen. Ich würde mir einen Neuan- ten. fang wünschen. Es bleibt als Essenz der Diskussion der letzten Jahre Für die Zwischenzeit haben wir mit unserem Gesetz- aber noch eine andere, dritte Lösung. Das Kopplungsmo- entwurf sichergestellt, dass die Preissteigerungen der dell. Wir hatten zusammen mit der Fraktion nächsten der Jahre ausgeglichen werden. Das System der Ab- CDU/CSU im Jahr 1995 vorgeschlagen – die meisten von geordnetenentschädigung wird hierdurch nicht verändert. Ihnen werden sich sicher noch daran erinnern –, den Be- Dies gibt uns die Freiheit, langfristige Alternativen mit griff der „Angemessenheit“ in Artikel 48 Abs. 3 Grund- der nötigen Gründlichkeit zu prüfen. gesetz zu konkretisieren. Maßstab sollte das Gehalt eines Richters an einem obersten Bundesgericht sein. Letztlich Lassen Sie mich zum Schluss noch dies sagen: Unser ist diese Bezugsgröße in das geltende Recht durch die Entwurf ist ausgewogen. Er passt in die politisch-soziale Neufassung des § 11 Abs. 1 Abgeordnetengesetz aufge- Landschaft. Die Erhöhung beweist Augenmaß. Wir zei- nommen worden. Eine Konkretisierung des Begriffes der gen damit soziale Sensibilität. Ich werbe daher um Ihre Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12689

(A) Zustimmung. Geben Sie uns die gleiche Zustimmung, wie In derselben Debatte sagte der heutige Erste Parlamen- (C) wir sie in der Öffentlichkeit erfahren. Und treten Sie mit tarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, uns im neuen Jahr in einen konstruktiven Dialog über die Wilhelm Schmidt: Abgeordnetenentschädigung. Lassen Sie uns die Chance „Um kurz noch auf die Diäten einzugehen: Die Punkte, nutzen. die ich eben genannt habe, werden von der sehr vorder- gründigen Diätendebatte einer ganzen Reihe von Medien Eckart von Klaeden (CDU/CSU): In Art. 48 Abs. 3 und auch Vertretern in diesem Hause unzulässig über- des Grundgesetzes heißt es: „Die Abgeordneten haben deckt. Ich kann es nicht ertragen, wenn wir dann so tun, Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit si- als wenn wir hier alle in Sack und Asche gehen müssten, chernde Entschädigung.“ Was aber ist angemessen? Diese und dennoch unsere Arbeit in diesem Maße verrichten, Frage hat den Bundestag regelmäßig seit seinem Bestehen wie das die Öffentlichkeit allerdings mit Recht von uns beschäftigt, in besonderem Maße in der letzten Legisla- verlangt ... Über die Hälfte des Jahres sind wir hier im Par- turperiode, als die Parlamentsreform verabschiedetlament ... durch Sitzungswochen festgenagelt. Wir haben wurde, die unter anderem die Verkleinerung des Parla- darüber hinaus viele andere Aufgaben auch in den Nicht- ments, Reduzierungen bei der Altersversorgung und die sitzungswochen. Wenn wir dann am Freitagabend in un- innere Reform unter anderem mit der Einführung dersere Wahlkreise – man muss ab und zu fast sagen: gegen Kernzeit, öffentlichen Ausschusssitzungen und erweiter- jede ökologische Vernunft – zurückrasen, dann ist es doch ten Ausschusssitzungen vorsah. so, dass wir dort gleich das gesamte Wochenende mit Wahlkreisarbeit beschäftigt sind, und dies, wie ich finde, In der Debatte vom 21. September 1995 führte der Kol- mit Recht. Dies kann der Bürger, dies kann der Wähler lege Dieter Wiefelspütz, SPD, aus: „Die Mitglieder des von uns verlangen. Deutschen Bundestages bekommen ein gehobenes Ge- halt; das ist richtig. Wir haben uns bei dieser schwierigen Dieses Pensum an Arbeit, das – wie ich finde, viel zu Gratwanderung gefragt: Was ist angemessen? – Das Jah- gering – auf 80 Stunden wöchentlich – im Jahresdurch- resgehalt eines Bundesrichters sollte der Maßstab sein. schnitt, wohlgemerkt – berechnet wurde, muss angemes- Wir können und wollen uns nicht an Spitzengehältern in sen honoriert werden. Hierzu gehört – auch das haben wir der Wirtschaft oder auch im Staat orientieren. Auch in betont –, dass wir den Vergleich mit hoch stehenden Be- Zukunft werden wir nicht so bezahlt wie Vorstandsmit- amten, mit Richtern und auch mit Vertretern der Wirt- glieder in der Wirtschaft oder Staatssekretäre bzw. Bun- schaft und des öffentlichen Lebens durchaus aushalten desverfassungsrichter. Wir wollen einen vernünftigen, können und ihnen sogar unter Hinweis darauf ganz deut- vertretbaren Maßstab wählen. lich machen wollen, was wir 1975/1977 in diesem Hause schon einmal für richtig gehalten haben und wobei wir an (B) Ich denke, wir können guten Gewissens sagen: Der manchen Stellen in den vergangenen Jahren immer wie- (D) Maßstab Bundesrichtergehalt ... ist eine solide Grundlage der vor der öffentlichen Reaktion eingeknickt sind.“ für die Zukunft; er wird uns allen viele unnötige und un- gute Diskussionen ersparen. Wir werden auf diese Weise Auf der Grundlage dieser Debatte und den entspre- auf Dauer den Vorwurf los, dass wir in eigener Sache ent- chenden Beschlüssen hat der Präsident des Deutschen scheiden, dass wir uns selbst bedienen.“ Bundestages, der Kollege Wolfgang Thierse, unter dem 21. April 1999 an unseren damaligen Fraktionsvorsitzen- Vorher führte er zum Maßstab der Angemessenheitden geschrieben: weiter aus: „Im Jahre 1977, als das Abgeordnetengesetz „Ich halte es für angemessen, die Abgeordnetenentschä- erstmals verabschiedet wurde, stellte sich die Frage: Was digung in den nächsten Jahren in maßvollen Schritten stu- ist bei der Entschädigung eines Abgeordneten angemes- fenweise zu erhöhen. Wie Sie wissen, bestimmt § 11 Abs. 1 sen? Dann sind Vergleichsmaßstäbe gesucht und gewählt des Abgeordnetengesetzes, dass sich die Abgeordneten- worden. Es war die Rede von dem hauptamtlichen Land- entschädigung an den Bezügen in den Besoldungsgrup- rat in Süddeutschland oder dem Bürgermeister. Es war die pen R6/B6 zu orientieren hat. Deren Entwicklung gibt Rede von dem Ministerialdirigenten, dem Unterabtei-also die Richtung an. Zwischen der aktuellen Abgeordne- lungsleiter in einem Bonner Ministerium. Es war auch tenentschädigung und der vom Abgeordnetengesetz vom Bundesrichter die Rede. Damals, im Jahre 1977, hat vorgegebenen Orientierungsgröße besteht ungeachtet der man eine zu versteuernde Bruttoentschädigung für Abge- letzten Steigerung immer noch ein Abstand von mehr als ordnete von monatlich 7 500 DM gewählt. Das war in 1 600 DM. Besoldungserhöhungen, wie sie für dieses Jahr etwa das damalige Gehalt von Bundesrichtern. schon anstehen, werden den Abstand zunächst weiter ver- Dahin wollen wir zurück. Wir wollen wieder in die größern. Eine maßvolle Anpassung der Abgeordnetenent- Kategorie des Bundesrichtergehalts, wo wir früher schon schädigung trägt dem Gesetzesauftrag einer Orientierung einmal waren ... Die Gehälter wurden in den letzten 17/18 Ja- der Abgeordnetenentschädigung an den Einkünften in den hren“ – und hier muss man sagen, dass sich diese Ent- genannten Besoldungsgruppen Rechnung. wicklung zulasten der Abgeordneten-Diäten in den letz- Ich empfehle dazu, die Abgeordnetenentschädigung ten fünf Jahren weiter fortgesetzt hat – „natürlichnach § 11 Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes beginnend angehoben, bei den Abgeordneten, aber auch bei den Bun- mit dem 1. Januar 2000 in vier Jahresschritten bis zum desrichtern – bei den Bundesrichtern prozentual in dop- 2. Januar 2003 um jeweils 350 DM von 12 875 DM auf pelter Höhe gegenüber den Abgeordneten des Deutschen dann 14 275 DM zu erhöhen. Dies entspricht im ersten Bundestages. Bei allen anderen Beamten war es ebenso.“ Schritt einer Erhöhung um 2,7 Prozent, im letzten um 12690 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) 2,5 Prozent. Der erste Schritt liegt damit noch unterhalb Wir haben seit 1977 bereits zehnmal auf eine Erhöhung (C) des Betrages, der in der Besoldungsrunde für das Jahrder Diäten verzichtet. Vergleichbare Einkommensbezie- 1999 im öffentlichen Dienst vereinbart wurde, wird uns her sind den Abgeordneten längst davongezogen. Auch also zunächst noch ein Stück von dem im Gesetz vorge- Kommissionen werden uns nicht wirklich helfen. Ob sie sehenen Ziel wegführen. Die vorgesehene Annäherung nun unmittelbar entscheiden oder nur Vorschläge unter- wird aber mit den Folgeschritten eingeleitet und später er- breiten: Unsere Dauerkritiker auf gut dotierten Lehr- und reicht werden können.“ anderen Stühlen werden jede Veränderung unserer Be- züge als Selbstbedienung brandmarken. Man würde auch Diese Ausführungen des Herrn Bundestagspräsiden- dann den Finger der Öffentlichkeit auf diese „habgieri- ten, der nun wirklich nicht für Verschwendungssucht oder gen“ Abgeordneten richten. Großspurigkeit bekannt ist, haben die Vorbildfunktion der Abgeordneten und die allgemeine Sparnotwendigkeit Wir müssen in zwei Richtungen mit der Schwierigkeit schon einbezogen. Selbst sie sahen schon ein Zurückblei- unserer Selbstrechtfertigung umgehen. Zuallererst gilt: ben hinter dem selbstgesetzten Maßstab vor. Wir müssen Maß halten. Ich verwende diesen Begriff von Ludwig Erhard an dieser Stelle ganz bewusst an die Ihre Vorschläge bleiben selbst hinter den Vorschlägen Adresse der Union. Sie wollen eine deutlich stärkere An- des Bundestagspräsidenten vom Anfang dieser Legisla- hebung der Diäten. Wir sind hier für mehr Bescheiden- turperiode zurück. Dahinter steckt mehr als die allge-heit. Das ist der Unterschied. Die Öffentlichkeit hat mit meine Erkenntnis, dass Diätenerhöhungen immer unpo- vollem Recht ein sehr empfindliches Gespür dafür, ob wir pulär sind und niemals mit einhelliger Zustimmung zu hier Wasser predigen und Wein trinken. rechnen ist. In der bereits erwähnten Debatte sagte dazu Rot-Grün hat hier durch die drastischen Einschnitte bei schon der Kollege Wiefelspütz: „Wann ist denn der rich- den Mehrfacheinkommen aus früherer und aktiver Tätig- tige Zeitpunkt für solche Regelungen? Gibt es ihn über- keit einen wichtigen Schritt zum Abbau finanzieller Pri- haupt?“ vilegien von Politikern gemacht. Wenn uns in den Medien Ihr Verhalten hat noch einen weiteren Grund, nämlich immer die Wirtschaft als Vorbild für Effektivität vorge- Ihr schlechtes Gewissen: Sie sind willkürlich von der Net- macht wird, dann wird wohlweislich verschwiegen, dass tolohnanpassung bei der Rente für zwei Jahre kurz nach dort wirklich mit Millionen gehandelt wird. Im Gehalts- dem Regierungswechsel abgegangen und haben stattdes- vergleich sind wir da Laufburschen. Die Wirtschaft kann sen einen so genannten Inflationsausgleich eingeführt. und darf für uns kein Vorbild sein, im Gegenteil. Ich stehe Vor der Wahl haben Sie über diesen einschneidendendazu, dass wir uns hier für diese Legislaturperiode sehr zurückgehalten haben. Niemand kann uns ohne Böswil- Schnitt kein Wort verloren, sondern unsere Rentenreform ligkeit oder Unkenntnis Bereicherungsabsichten unter- als „sozialen Kahlschlag“ und „Weg in die Altersarmut“ (B) stellen. Ich fordere unsere Kritiker aber auch ausdrücklich (D) bezeichnet, die zu einer geringeren Belastung der Rent- auf, dies öffentlich kund zu tun! Auch das gehört zu einer nerinnen und Rentner geführt hätte. Ihre Willkür ist kein fairen Diskussion. Maßstab, sie taugt nicht, noch nicht einmal als vermeint- liches Vorbild für die Beurteilung der Angemessenheit der Was uns Abgeordnete angeht, so ist auch unser Selbst- Abgeordnetenentschädigung. bewusstsein gefordert. Wir müssen viel deutlicher, als das bisher oft der Fall war, unsere Arbeit für die Demokratie In Wirklichkeit kann auch nicht von einem Inflations- deutlich machen. Das gilt für Regierung und Opposition ausgleich gesprochen werden, denn die Erhöhung der Ener- gleichermaßen. Auch wir haben dafür das legitime Bedürf- giepreise, die Ihre so genannte Ökosteuer mitverursacht nis nach einem angemessenen Einkommen. Wie jeder an- hat, hat bereits in den letzten Monaten zu einem Über- dere essen wir unser Frühstücksbrötchen auch nur einmal. schreiten der 2-Prozent-Marke der Inflationsrate geführt. Das alles ist übrigens nicht meine Privatmeinung. Das Wir wissen, dass viele Kolleginnen und Kollegen mit Grundgesetz bestimmt in Art. 48 Abs. 3, dass Abgeord- geballter Faust in der Tasche Ihrem Vorschlag zustimmen nete einen Anspruch auf angemessene Entschädigung ha- werden. Das von uns zu erwarten, ist aber wirklich zu viel ben, die unsere persönliche Unabhängigkeit sichert. verlangt. Man mag vieles an der Finanzierung unseres Poli- tikbetriebs kritisieren. Werfen wir hier nur einen Blick auf Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die in die Wahlen in den USA. Mit astronomischen Summen der Beschlussempfehlung des Geschäftsordnungsaus-wird dort nicht allein um das Weiße Haus, sondern auch schusses vorgeschlagene Erhöhung unserer Einkommen um jeden Sitz in Senat und Repräsentantenhaus gekämpft. fällt wahrlich nicht üppig aus. Mit 1,9 Prozent liegen wir Wenn ich mir diese Interessenkonflikte vor Augen halte, in den kommenden Jahren auf dem zu erwartenden Ni- ist die Unabhängigkeit ein hoher Wert. Es lohnt sich, dafür veau der Preissteigerungen. Trotz dieser Zurückhaltung auch öffentlich zu streiten. Ich bin davon überzeugt, dass werden wir auch diesmal mit Kritik zu rechnen haben. wir hier die Menschen überzeugen können. Diese schon zum Ritual geronnenen Anwürfe zielen letzt- Zur Überzeugungsarbeit gehört aber auch das Einge- lich auf unsere Arbeit. Sie machen sich auch das Erschei- ständnis von Defiziten. Wir haben zwar hier in diesem Ge- nungsbild der Politik und unser unbefriedigendes Image setz den Bemessungsbetrag angepasst. Es wurden zwar insgesamt zunutze. Die Diätendebatte ist insoweit eine – auch hier öffentlich kaum zur Kenntnis genommen – in Ersatzdiskussion. Wir würden zu kurz greifen, wollten der 13. Wahlperiode erhebliche Einschnitte beschlossen. wir uns erneut durch demütige Null-Runden kasteien oder Das Missverhältnis von Diäten und Versorgungsbezügen uns auf irgendwelche Kommissionsvorschläge verlassen. ist aber nicht behoben. Wir müssen hier Abstriche vor- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12691

(A) nehmen – möglicherweise sogar durch mehr private Vor- selbstbewusst stehen und ein Gefühl zur eigenen Leistung (C) sorge. Was wir den Rentnerinnen und Rentnern undentwickeln. Das mag ja alles stimmen. Aber, liebe Kolle- – wenngleich erst in Ansätzen – dem öffentlichen Dienst gen, man hört ja so manches, wie wir unsere jeweiligen abverlangen, muss auch für uns gelten. Leistungen schon untereinander würdigen; so ist es doch erst recht außerhalb dieses Hauses. Unsere Stellung in der beruflichen Werteskala ist ja leider mehr als schlecht. Da- (F.D.P.): Der Deutsche Bundestag Jörg van Essen rüber müssen wir uns Gedanken machen und es ändern. hat sich schon oft mit Fragen der Abgeordnetenent- schädigung befasst. Wir haben immer wieder über unsere Dazu gehört vor allem, dass das Verfahren um Diätener- eigenen Diäten debattiert und sind dafür immer wieder höhungen verantwortungsvoll und transparent geregelt von den Bürgerinnen und Bürgern kritisiert und missver- wird. Das heißt zuallererst: Dieser Vorgang muss unserer standen worden. Es ist daher längst überfällig, über Alter- eigenen Entscheidung entzogen werden. Es müssen für nativen der bestehenden Form der Abgeordnetenentschä- alle transparente Kriterien für die Angemessenheit unse- digung nachzudenken. Wir müssen wegkommen von dem rer Vergütung gefunden werden. Kriterien, die die Men- Bild der Selbstbedienung durch die Abgeordneten. Dies schen außerhalb des Parlaments nachvollziehen können gelingt uns aber nur dann, wenn wir nicht selber über die und für die wir gesellschaftliche Akzeptanz bekommen. Diäten entscheiden, sondern dies einem unabhängigen Im Moment ist die gesellschaftliche Akzeptanz nicht Gremium überlassen. Auch die PDS hat diesen Weg be- vorhanden und das kann man nicht damit abtun, dass die fürwortet und ich weiß, dass auch in den anderen Fraktio- Zeiten für Diätenerhöhungen immer schlecht seien. nen des Hauses die Sympathien für diesen Vorschlag wachsen. Nein, sie sind besonders schlecht, wenn Ihnen der Ge- ruch der Selbstbedienung anhaftet. Deshalb vor allem Wir stimmen heute über den Gesetzentwurf der Koali- stimmen wir heute gegen das Gesetz zur Diätenerhöhung. tion ab, der an dem alten Modell festhält und sicher nicht Wir unterscheiden uns damit von CDU/CSU, die ja mit geeignet ist, den Stimmungen der Bevölkerung entgegen- der heute zu entscheidenden Diätenerhöhung ihre Leis- zukommen. Der rot-grüne Entwurf orientiert sich an der tungen nicht angemessen bedacht sieht – und ich unter- im Abgeordnetengesetz festgeschriebenen Höhe der Be- streiche, dass wir für die Zukunft Modelle unterstützen, züge für Richter an einem obersten Bundesgericht. Die die weniger Willkür und Zufall zulassen, sondern für die F.D.P. hat dies immer für falsch gehalten. Abgeordnete Besoldung von uns Abgeordneten nachvollziehbare sind weder Beamte noch sind sie im öffentlichen Dienst Grundlagen schaffen. tätig. Sie sind eher zu behandeln wie Selbstständige. Die F.D.P. hat in ihrem Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass eine unabhängige Kommission, die vom Bundesprä- Anlage 23 (B) sidenten eingesetzt wird, über die Höhe der Abgeordneten- (D) entschädigung entscheidet. Darüber hinaus soll die Kom- Zu Protokoll gegebene Reden mission auch Vorschläge für die Altersversorgung von zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset- Abgeordneten vorlegen. Ein Gutachten des Wissenschaft- zes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung lichen Dienstes hat unsere Auffassung bestätigt, dass eine und anderer Gesetze (2. FGOÄndG) (Tagungs- Verfassungsänderung zulässig wäre, wenn die Entschei- ordnungspunkt 25) dung über die Anpassung der Höhe der Diäten auf der Ba- sis gesetzlich vorgegebener Kriterien einer unabhängigen Kommission übertragen würde. Alfred Hartenbach (SPD): Mit diesem Gesetz been- den wir ein 25 Jahre dauerndes Provisorium. Der Gesetzentwurf der F.D.P. wird zurzeit noch in den Gremien des Bundestages beraten. Ich lade Sie ein, sich Für die Zulassung der Revision zum Bundesfinanzhof an den Beratungen intensiv zu beteiligen und sich mit den galt bis 1975 ein Streitwert von 1 000 DM. Durch das Ideen der F.D.P. auseinander zu setzen. Wir haben jetzt die Erste Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofes Chance, einen ganz neuen Weg zu gehen, für den wir in wurde dieser Streitwert auf 10 000 DM angehoben, im der Bevölkerung Akzeptanz und Verständnis erwarten Jahr 1985 wurde die Streitwertrevision gänzlich suspen- werden. Nutzen wir gemeinsam diese Chance! diert und – damals als Übergangslösung angesehen – eine Zulassungsrevision eingeführt, nach der die Revision nur wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, wegen Ab- Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Unabhängig davon, weichung eines Urteils eines Finanzgerichts von einer in welcher Höhe oder wie bescheiden auch immer dieEntscheidung des Bundesfinanzhofes oder bei Vorliegen Diätenerhöhung ausfällt – dieses befreit uns nicht aus der eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels zu- peinlichen Lage, dass wir in der Öffentlichkeit als Selbst- lässig war. bedienungsladen wahrgenommen werden. Wir gehören zu den wenigen privilegierten Berufsgruppen, die selber Dieses Entlastungsgesetz wurde mehrfach verlängert, darüber entscheiden, was sie verdienen wollen. Gerade die alte Regierung unter ihren verschiedenen Justizminis- für uns Abgeordnete, die wir zu Recht unter großer öf- terinnen und Justizministern fand nie die Kraft, sich für fentlicher Beobachtung stehen, ist genau dies ein unmög- eine vernünftige Lösung zu entscheiden. licher Vorgang und gehört dringend geändert. Wir haben diese Erblast übernommen und deshalb vor Nun wird hier immer argumentiert, auch Abgeordnete einem Jahr noch einmal eine Verlängerung des Entlas- müssten angesichts der Verantwortung und der Arbeitsbe- tungsgesetzes bis längstens 31. Dezember 2000 beschlos- lastung angemessen bezahlt werden, wir müssten dazu sen. Würden wir nun dieses Gesetz auslaufen lassen, ohne 12692 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) uns für eine Neuregelung zu entscheiden, würden wir auf Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Am 31. Dezem- (C) den Zustand von 1975 zurückfallen, das heißt, jede Revi- ber diesen Jahres, also in ein paar Wochen, läuft das Ge- sion ab 1 000 DM Streitwert wäre zulässig. Das Ende ei- setz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs aus. Diese Tat- ner geordneten Rechtsprechung bei dem Bundesfinanzhof sache wurde nicht erst im Herbst dieses Jahres bekannt. wäre abzusehen. Dennoch legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf erst jetzt vor. Die Folge ist wieder einmal höchste Eile, mit Die rot-grüne Bundesregierung und die sie tragenden der das Gesetzgebungsverfahren durchgezogen werden Koalitionsparteien haben daher nach umfassenden Vorar- muss, und wenig Gelegenheit zu sorgfältiger Prüfung und beiten eine sehr klare Linie beschlossen: Beratung, geschweige denn zu eingehender Beratung mit Künftig sollen Revisionen – gleichgültig, in welcher den Betroffenen bzw. Beteiligten. Das ist höchst unbe- Verfahrensart sie eingelegt werden – nicht mehr vonfriedigend, und wir müssen froh sein, dass bei diesem Eil- einem Streitwert abhängig sein. Maßgebliche Richt-verfahren zumindest einige unserer kleineren Verbesse- schnur wird für uns sein, die Zulassung einer Revision da- rungsvorschläge übernommen worden sind. ran zu messen, ob das Verfahren von besonderer Bedeu- Leider muss aber festgestellt werden, dass gerade in tung ist und der Fortbildung des Rechts dient, zur dem besonders sensiblen Bereich der Zulassungsgründe Wahrung der Rechtseinheit und zur Überprüfung von Ver- im Hinblick auf die Revision beim Bundesfinanzhof die fahrensmängeln. In der Verwaltungsgerichtsordnung ist von uns eingebrachten Verbesserungsvorschläge nicht be- dieser Schritt bereits vollzogen worden, bei der Reform achtet wurden, sodass ein derartiges Gesetz weiterhin eine des Zivilprozesses haben wir diesen Schritt vor und bei Einschränkung des Individualrechtsschutzes der Bürger der Reform der Finanzgerichtsordnung werden wir diesen unseres Landes bewirken wird. Schritt nunmehr am heutigen Tage vollziehen. Seit nunmehr 15 Jahren, also seit dem Jahr 1985, gibt Dabei bleibt keineswegs die Einzelfallgerechtigkeit es das Bundesfinanzhofentlastungsgesetz, das die so ge- auf der Strecke, wie dies von einigen Kritikern behauptet nannte Streitwertrevision einstweilen suspendiert hat. Die wird. Nach wie vor wird das Gericht unter dem Gesichts- dadurch bewirkte eingeschränkte Kontrolle der Recht- punkt der Wahrung der Einheit der Rechtsprechung, aber mäßigkeit von Entscheidungen der Finanzgerichte und auch unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Sache die damit verbundene erhebliche Einschränkung des Indi- überprüfen können, ob ein Urteil falsch oder richtig ist, vidualrechtsschutzes konnten nur schweren Herzens hin- und entscheiden, ob es dieses Urteil einer erneuten Über- genommen werden. Damals türmten sich aber die Akten- prüfung unterzieht. Damit haben wir eine – wenn auch berge beim Bundesfinanzhof, sodass die Gefahr bestand, vorsichtige, so doch klar erkennbare – Öffnung der Revi- dass ein Rechtsschutz in einigermaßen angemessener Zeit sionsmöglichkeiten geschaffen, unabhängig von dergar nicht mehr gewährt werden konnte. Dem Bundesfi- (B) Höhe des Streitwertes und damit einen mutigen Reform- nanzhof musste deshalb unbedingt die Möglichkeit gege- (D) schritt getan. ben werden, seine Rückstände abzubauen. Es bestand Wir haben aber auch einen weiteren Reformschritt ge- deshalb damals keine andere Möglichkeit, sollte nicht der tan: Wir werden nämlich zulassen, dass unter Beachtung in Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz, datenschutzrechtlicher Bestimmungen und der Persön- wozu – so das Bundesverfassungsgericht – auch der lichkeitsrechte der Betroffenen Ton- und Bildaufzeich- Rechtsschutz in angemessener Zeit zählt, gefährdet wer- nungen von den Vernehmungen von Zeugen und Sach- den. Dieser Abbau von Rückständen ist nach Auskunft des verständigen gefertigt und verwertet werden dürfen. Bundesjustizministeriums, aber auch nach eigenen Aus- sagen des Bundesfinanzhofs, nun erfreulich weit voran- Wir haben die Besonderheiten des finanzgerichtlichen geschritten. Verfahrens beachtet, als wir den Wunsch des Bundesrates, Erklärungen und Beweismittel, die in der Abgabenordnung Im Gegensatz zu anderen Gerichtszweigen ist die Fi- im Einspruchsverfahren nicht berücksichtigt wurden, auch nanzgerichtsbarkeit nur zweistufig aufgebaut. Es gibt hier im finanzgerichtlichen Verfahren auszuschließen, nichtalso im Einzelfall keine Revision; über dem Finanzgericht entsprochen haben. Wir sind der Meinung, dass bei einer wölbt sich gewissermaßen nur noch der blaue Himmel. einzigen Tatsacheninstanz vor Gericht dem Grundgedan- Und so gehört zu den primären Aufgaben des Bundesfi- ken des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz Rechnung getragen nanzhofes als Revisionsgerichts zwar die Rechtsfortbil- werden muss und eine volle Überprüfung vorgebrachter dung und die Wahrung der Rechtseinheit. Es darf aber Tatsachen und Behauptungen möglich sein muss. nicht vergessen werden, dass der Bundesfinanzhof eben wegen dieser Zweistufigkeit des Instanzenweges nicht Wir begrüßen ausdrücklich, dass wir nun heute ein Ge- aus der Aufgabe entlassen ist, Individualrechtsschutz zu setz verabschieden, das von Fachleuten, nämlich einem gewähren und finanzgerichtliche Entscheidungen zu ehemaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofes, undüberprüfen. noch aktiven Richterinnen und Richtern sowie den Be- rufsverbänden begleitet wurde. Es ist damit ein Gesetz aus Der vorliegende Gesetzesentwurf erfüllte diese Auf- der Praxis für die Praxis. gabe jedoch nicht. Aufgrund der in § 115 Abs. 2 FGO ab- schließend und erschöpfend aufgezählten Zulassungs- Ich bedanke mich ausdrücklich bei dem Bundesminis- gründe wird nur die Grundsatzrevision, also bei terium der Justiz, dass dieses Gesetz trotz des erheblichen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, die Diver- Zeitdrucks noch rechtzeitig in die Beratungen gegeben genzrevision, also bei Abweichung der Entscheidung von werden konnte, sodass alle, die guten Willens waren, ein- der bisherigen Rechtsprechung, und die Verfahrensrevi- gehend das Gesetz beraten durften. sion, also bei Verstößen des Gerichts gegen Verfahrens- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12693

(A) grundsätze, möglich sein. Während die Grundsatzrevision gewillt ist, den Bürgern unseres Landes auch im Bereich (C) in besonderem Maße der Rechtsfortbildung dient, geht es der Finanzgerichtsbarkeit den ihnen zustehenden Indivi- bei der Divergenzrevision um die Wahrung der Rechts- dualrechtsschutz zuzubilligen. Angesichts dieser Tatsache einheit. Damit werden die für eine Revisionsinstanz typi- erscheint allerdings die im Gesetzesentwurf aufschei- schen Aufgaben erfüllt. Es fehlt demgegenüber aber an ei- nende Begründung, durch dieses Gesetz solle eine Ver- ner effizienten Zugangsmöglichkeit mit dem Ziel, dem besserung des Rechtsschutzes erreicht werden, als Farce. Individualrechtsschutz zu entsprechen und eine weiter ge- Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sieht, dass wei- hende Rechtmäßigkeitskontrolle von Finanzgerichtsent- tere von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Verbesse- scheidungen herbeizuführen. rungsvorschläge, die zu einer Verbesserung des Rechts- Dieser Frage haben sich die Bundesregierung wie auch schutzes führen würden, von der Regierungskoalition die Regierungsfraktionen nicht wirklich gestellt. Dienicht beachtet wurden. CDU/CSU-Fraktion ist der Ansicht, dass eine Wiederein- Als Beispiel sei hier nur der § 90 a Abs. 2 FGO ge- führung der Streitwertrevision ein weniger geeignetesnannt. Wir wollten zur Verbesserung der Rechtssicherheit, Auswahlkriterium für die Revision ist. Der Streitwert ist dass die mündlichen Verhandlungen stets nur vor dem unabhängig davon, ob dem Revisionsverfahren eine oder Vollsenat des Finanzgerichts vorgesehen sind, oder, wie zwei Tatsacheninstanzen vorausgegangen sind, keinjetzt in § 128 Abs. 2 FGO vorgesehen ist, dass Beschlüsse Gradmesser für die Bedeutung der Sache. Ein Rechtsstreit im Verfahren der Prozesskostenhilfe nicht mit der Be- mit einem geringen Streitwert kann erhebliche Bedeutung schwerde angefochten werden können. Wir sind weiterhin haben, gerade wenn man an die Streitverfahren aus dem der Ansicht, dass diese Vorschriften einschließlich der Be- Bereich der Lohnsteuer oder an die Streitfragen, die im schwerde zum BFH eine Ausprägung der verfassungs- Zusammenhang mit der Einkommensteuer, zum Beispiel rechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes bei der jährlichen Veranlagung, regelmäßig wiederkehren darstellen.Dieser Rechtsschutz ist schon von Verfassungs und somit eine Vielzahl von Steuerpflichtigen betreffen, wegen auch Unbemittelten zu gewähren. Wir waren daher denkt. Hingegen kann einem Rechtsstreit mit hohemder Auffassung, dass die Möglichkeit der Beschwerde Streitwert durchaus jede über den Einzelfall hinausge- zum BFH keinerlei Einschränkung erfahren sollte. Aber hende Bedeutung fehlen. wie man sieht, ist die Regierung auch hier der Auffassung, Der Individualrechtsschutz wäre hingegen besser ge- dass der Rechtsschutz der Bürger einzuschränken sei. währleistet, wenn man als vierten Revisionsgrund einge- Auch die Bemühungen der Regierungsparteien, die fügt hätte: „wenn überwiegende Zweifel an der Richtig- Ablehnung des weiteren Revisionszulassungsgrundes da- keit der Entscheidung bestehen“. Das war von unsmit zu begründen, dass ja bereits die Finanzbehörden im vorgeschlagen worden und wurde von dem Vorsitzenden Vorverfahren ihre eigene Entscheidung überprüfen, über- (B) Richter am Bundesfinanzhof in einem Expertengespräch zeugen hier wenig. Auch wenn bereits bei den Finanz-(D) sehr intensiv unterstützt. Durch diesen weiteren Revisi- behörden durch das Widerspruchsverfahren eine Über- onszulassungsgrund hätte man nach unserer Ansicht zu- prüfung stattfindet, so kann dies nicht den fehlenden mindest einen gewissen Ausgleich zwischen der Wahrung Individualrechtsschutz im Revisionsrecht der Finanzge- des Individualrechtsschutzes einerseits und der Entlas- richtsbarkeit ersetzen. Auch in Bezug auf die Verwal- tung des Gerichts andererseits geschaffen. Zum einentungs- oder Sozialgerichtsbarkeit gibt es verwaltungs- würde hierdurch dem Bedürfnis des Bürgers nach Einzel- mäßige Vorverfahren und dennoch wird hier umfassender fallgerechtigkeit und weitgehender Kontrolle der Recht- Rechtsschutz durch die Gerichte gewährt. Bürger, die sich mäßigkeit von Finanzgerichtsentscheidungen entspro- gerade gegen einen Steuerbescheid des Finanzamts zur chen. Durch die Formulierung „überwiegende Zweifel an Wehr setzen wollen, darauf zu verweisen, dass ja die Fi- der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung“ wäre nanzverwaltung auf einen Einspruch hin das Ganze schon zum anderen aber auch sichergestellt worden, dass die ge- gründlich geprüft hätte, hieße im Rechtsstaat, ihnen gen die Richtigkeit der Entscheidung sprechendenSteine statt Brot zu geben. Ein Grundprinzip in unserem Gründe im Einzelfall tatsächlich überwiegen müssten. Staat ist noch immer die Gewaltenteilung, und die daraus Es handelt sich somit um ein materiell-rechtliches Ab- resultierende Unabhängigkeit der Gerichte. Eine inner- wägungskriterium, welches bei der Frage, ob eine Revi- behördliche Überprüfung durch ein Widerspruchsverfah- sion zugelassen wird, von den Finanzgerichten stets an- ren, so gut sie auch sei, kann somit niemals eine Ent- zustellen ist. scheidung eines unabhängigen Gerichtes ersetzen. Wir können ja froh sein, dass die Bundesregierung nicht noch Dieser weitere Revisionszulassungsgrund hätteden Vorschlag des Bundesrates übernommen hat, wonach hauptsächlich die „Ausreißer“ unter den finanzgerichtli- Präklusion eintreten sollte, der Bürger also im gerichtli- chen Entscheidungen betroffen, denen die Unrichtigkeit chen Verfahren nicht mehr Einwände vorbringen könnte, gewissermaßen auf der Stirn geschrieben steht, und auch die er im Verwaltungsverfahren versäumt hat – vollends solche Entscheidungen, bei denen bei summarischer Prü- ein Schlag gegen die Gewaltenteilung! fung angenommen werden kann, dass sie einer revisions- rechtlichen Überprüfung nicht standhalten werden. Es ist Dabei wäre gerade in der Finanzgerichtsbarkeit ein ef- daher nicht anzunehmen, dass dieser weitere Revisions- fektiver Individualrechtsschutz von ganz besonderer Be- grund zu einer Überlastung des Bundesfinanzhofes ge- deutung. Denn insbesondere das Steuerrecht belastet die führt hätte. Bürger. Und gerade diese Bundesregierung und diese Re- gierungskoalition belasten mit immer neuen Steuererhö- Die Bundesregierung zeigt aber durch den von ihr vor- hungen. Ich denke hier nur an die so genannte Ökosteuer. gelegten Gesetzesentwurf, dass sie offensichtlich nicht Gerade diese Bundesregierung will mit Steuern steuern 12694 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) – siehe wiederum Ökosteuern –, und gerade diese Bun- der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. Die Zulassung(C) desregierung verkompliziert das ohnehin beispiellos kom- erfolgt nur bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeu- plizierte und intransparente Steuerrecht auch noch immer tung, Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer ein- weiter. Ich nenne hier nicht nur wieder die Ökosteuer, son- heitlichen Rechtsprechung oder bei Vorliegen eines Ver- dern die gesamte Steuergesetzgebung dieser Legislaturpe- fahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann. riode. Und jetzt soll den wirklich geplagten Steuerbürgern auch noch der Rechtsschutz im Hinblick auf den Bundes- Damit wird Abschied genommen von der Streitwertab- finanzhof beschnitten werden! Das machen wir nicht mit. hängigkeit der Revision. Denn auch ein Rechtsstreit mit geringerem Wert kann erhebliche Bedeutung haben, zum Das gegenwärtige Steuerrecht mit seinem offenbar un- Beispiel gerade im Bereich der Lohnsteuer. stillbaren Drang, mit Mitteln der Besteuerung angeblich zugleich steuerliche und soziale Gerechtigkeit im Einzel- In die Revision sind damit alle Tatbestände einbezogen, fall zu schaffen, führt unweigerlich zu einem ,,Arbeitsbe- in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Inte- schaffungsprogramm“ für die Finanzgerichte. Nur eine resse an einer Korrigierung der Entscheidung des Bundes- umfassende Vereinfachung des Steuerrechts würde zu- finanzhofs besteht. Zugegeben: In meiner Rede vom gleich die Prozessflut bei den Finanzgerichten dämmen 29. September habe ich angemerkt, dass für mein Dafür- können. Eine solche Vereinfachung vermissen wir bisher halten daran zu denken wäre, ob nicht im Interesse einer aber auch in Ansätzen schmerzlich. So wird die Flut der Einzelfallgerechtigkeit und angesichts des Fehlens eines Verfahren bei der Finanzgerichtsbarkeit nicht abnehmen, Berufsverfahrens als vierter Revisionsgrund auch „offen- solange nicht die Flut der steuerrechtlichen Normen ver- sichtliche Fehler“ eine Revision begründen sollten. ringert und ihre Qualität verbessert wird. Der nun einge- Im Berichterstattergespräch wurde ausgiebig auch über schlagene Weg, einfach die Rechtsschutzmöglichkeiten diesen Punkt debattiert, nicht zuletzt deshalb, weil der ge- des Bürgers zu beschneiden, damit die Finanzgerichte in schätzte Herr Kollege Funke ein Verfechter dieser Position der Lage bleiben, den Verfassungsauftrag des Art. 19ist. Auch ich sehe diese Notwendigkeit. Trotzdem aber Abs. 4 GG einigermaßen zu erfüllen, ist sicher nicht hin- habe ich mich nach reiflicher Überlegung davon überzeu- nehmbar. gen lassen, dass auf den neuen Revisionszulassungsgrund Die CDU/CSU-Fraktion hält weiterhin das Anliegen „wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung ei- einer umfassenden Novellierung des Revisionsrechts und ner einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des damit verbunden einer Verbesserung des Rechtsschutzes BFH erfordert“ – aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit für grundsätzlich erstrebenswert. Es muss aber bei einer durch den BFH auch dann Rückgriff genommen werden solchen Novellierung zu einem gerechten Ausgleich zwi- kann, wenn dies die Einzelfallgerechtigkeit gebietet. schen der Entlastung der Gerichte und dem Individual- Diese Auffassung wird durch den Präsidenten des rechtsschutz kommen. Dass ein solcher Ausgleich sehr BGH gestützt. Er vertritt öffentlich die Rechtsmeinung, (B) viel besser angegangen werden könnte, wurde von uns (D) kein Obergericht dürfte gezwungen werden, sehenden deutlich aufgezeigt. Auges ein Fehlurteil gutzuheißen; ein Revisionsgericht Der vorliegende Gesetzesentwurf möchte für eine Ent- müsse die Möglichkeit haben, sich bei offensichtlichen lastung der Gerichte auf Kosten des Individualrechts-Fehlern einer Sache anzunehmen, auch wenn es um den schutzes sorgen. Dies ist nicht hinnehmbar. Aus den ge- Einzelfall gehe. Und weil davon auszugehen sei, dass nannten Gründen können wir nicht für BGH diesen und BFH den Revisionsgrund nicht in unterschied- Gesetzesentwurf stimmen. licher Weise auslegen werden, könne er dem Gesetzent- wurf so zustimmen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist auch sinnvoll, im Gegensatz zur geltenden Fas- NEN): Bekanntlich läuft das Gesetz zur Entlastung des sung der Finanzgerichtsordnung auch im finanzgerichtli- Bundesfinanzhofes aus. Die Neuregelung übernimmt be- chen Revisionsverfahren den Vertretungszwang durch An- währte Regelungen dieses Gesetzes in die Finanzgerichts- wälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer einzuführen, ordnung und so in das Dauerrecht, fügt Neuregelungen zur so wie es in allen anderen Verfahrensordnungen seit alters Vereinheitlichung der einzelnen gerichtlichen Verfahrens- her der Fall ist. Denn üblicherweise werden die Kläger an- ordnungen ein und regelt insbesondere das Revisionsver- gesichts der Komplexheit des Steuer- und Abgabenrechts fahren völlig neu. Das ist allemal besser als eine bloße Ver- nicht in der Lage sein, die Aussichten einer Revision rich- längerung des Entlastungsgesetzes. Ein ersatzlosertig einzuschätzen und das Revisionsverfahren sachgerecht Wegfall des Entlastungsgesetzes kam nicht in Betracht, selbst zu führen. Da sich diese Regelung im Entlastungs- weil dann beim Bundesfinanzhof Revisionen schon ab ei- gesetz bewährt hat, sollen auch zukünftig Berufsgesell- nem Streitwert von 1 000 DM zulässig geworden wären, schaften mit Befugnis zur Hilfe in Steuersachen vertre- was dieses Gericht binnen kürzester Zeit lahmgelegt hätte. tungsbefugt sein. Weil bei der Regelung des § 91 a, Ich begrüße an dieser Stelle nochmals ausdrücklich, wonach Verfahrensbeteiligte nur am Bildschirm anwesend dass die Neuregelung sich nicht in einer reinen Erhöhung sein können, nun die Anregungen des Bundesdatenschutz- des Revisionsstreitwerts erschöpft. Gerechtigkeit sollte beauftragten voll in den Entwurf eingearbeitet wurden, nicht vom Streitwert abhängig sein. In den Berichterstat- habe ich auch hier keine Bedenken mehr. terrunden hat sich gezeigt, dass hierbei über die Frakti- Meine Fraktion stimmt dem Gesetz zu. onsgrenzen hinweg Einigkeit besteht. In der Finanzge- richtsordnung findet nunmehr, wie auch bei der Regelung des Revisionsverfahrens der ZPO-Novelle, die Revision Rainer Funke (F.D.P.): Seit über zwei Jahren weiß die dann statt, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde Bundesjustizministerin, dass am 31. Dezember 2000 die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12695

(A) Novelle zur Finanzgerichtsordnung im Bundesgesetzblatt und einem Vorsitzenden Richter dieses Gerichts – ergab (C) stehen muss, weil Ende des Jahres das Gesetz zur Ent- schließlich breites Einverständnis mit dem Gesetzentwurf lastung des Bundesfinanzhofs ausläuft. Demnach hat sie der Bundesregierung zur Änderung der Finanzgerichts- es unterlassen, rechtzeitig das Zweite Gesetz zur Ände- ordnung, allerdings mit einer entscheidenden Ausnahme, rung der Finanzgerichtsordnung vorzulegen. Es ist jaund zwar den Regelungen zur Revisionszulassung. Hier nicht nur ein einmaliges Versehen, sondern leider Stil und trennte Regierungs- und Oppositionsparteien vor allem Arbeitsweise des Bundesjustizministeriums geworden, die Frage nach der Auf- bzw. die Nichtaufnahme eines dass Gesetze in letzter Minute vorgelegt werden und dann vierten Revisionsgrundes in den § 115 Abs. 2 FGO. Ge- durch den Bundestag und durch die Ausschüsse durchge- rade von dem anwesenden Richter des Bundesfinanz- peitscht werden. Ich fürchte, hinter dieser Arbeitsweise hofes wurde nicht nur die vorgesehene Neuregelung der steckt auch eine Methode, nämlich dass eine Revisionszulassung ord- begrüßt, sondern auch die Aufnahme nungsgemäße Beratung in den Ausschüssen und mit den eines weiteren Revisionszulassungsgrundes für den Fall Berichterstattern gar nicht erst ermöglicht werden soll. befürwortet, dass „überwiegende Zweifel an der Richtig- Dabei hätte sich eine breite Diskussion – auchkeit des angefochtenen Urteils bestehen“. Dadurch würde wissenschaftlicher Art – bei der Novellierung der Finanz- der Rechtsschutz für die Steuerbürger erweitert und dem gerichtsordnung angeboten. Denn bekanntlich gibt es in höchsten Finanzgericht die Möglichkeit gegeben, besser der Finanzgerichtsbarkeit nur zwei Instanzen, das Finanz- als bislang Einfluss auf eine einheitliche Rechtsprechung gericht und den Bundesfinanzhof. Wir begrüßen, dasszu nehmen und rechtsfortbildend zu wirken, ohne dass je- durch die vorliegende Novelle, wenn auch in vorsichtiger doch die Einzelfallgerechtigkeit auf der Strecke bleibt. Weise, die Revisionsmöglichkeiten etwas verbessert wer- Auch die Präsidentin gestand eine bereits jetzt bestehende den. Ob jedoch der individuelle Rechtsschutz des betrof- Praxis ein, die bei „überwiegenden Zweifeln“ an der fenen Bürgers vor einem unrichtigen erstinstanzlichen Richtigkeit einer Entscheidung die Revision zulässt. Da Urteil verbessert worden ist, muss bezweifelt werden.auch die Regierungskoalition in dieser Frage nochmals Entgegen weit verbreiteter Auffassung in der Praxis, im ernsthafte Prüfung zusagte, ging man mit dem Gefühl aus- Arbeitskreis und in der Wissenschaft ist der vierte Revisi- einander, dass die SPD es noch richten werde. Aber das onsgrund, dass nämlich gegen offensichtlich unrichtige war ein Irrtum und zeigt wieder einmal, dass man sich in erstinstanzliche Urteile die Revision betrieben werden der Politik nicht von Gefühlen leiten lassen darf. kann, nicht mit aufgenommen worden. Wir bedauern dies Gewiss gibt es ernsthafte Argumente für das Für und sehr. Eine vertiefte Diskussion hätte sich auch hinsichtlich Wider eines vierten Revisionsgrundes. Dass unsinnige der Frage der Präklusion von Beweismitteln angeboten. Verfahren vermieden werden müssen, darüber besteht Dasselbe gilt für Fragen der Beweiserhebung, die durch- Konsens. Doch wenn ein Richter des betroffenen Gerichts aus modern ausgestaltet sind, was ich einräume. Zeit für meint, die Richter des BFH könnten mit dem Problem (B) eine vertiefende Diskussion ist wegen des langen Zögerns umgehen, es beherrschen, dann verstehe ich diese Rechts- (D) und der großen Hast der Ministerin nicht geblieben. So schutzbeschneidung wirklich nicht mehr. Der Grund kann man auf Dauer keine guten Gesetze machen. Das dafür lässt sich dann nur noch mit Blick auf die weiter an- Parlament sollte sich solche Verfahrensweisen nicht ge- stehenden Verfahrensreformen unter dem Motto „Wehret fallen lassen. den Anfängen“ erahnen. Das ist schlecht. Nicht umsonst war in den vergangenen Jahren die Der Schutz eines Gerichts vor Überbelastung darf Finanzgerichtsordnung politisch höchst umstritten und grundsätzlich nicht zulasten des Schutzes des einzelnen das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs mehr- Bürgers, sprich der Gewährung von Individualgerechtig- fach verlängert worden. Denn schließlich wollten Praxis keit gehen. Im Zweifel muss deshalb jeder Beschneidung und große Teile des Bundestages darüber diskutieren, ob des Rechtsschutzes der Bürger entgegengewirkt werden. analog der früheren Steuerausschüsse und der Wider-Dies gilt gerade im Finanzgerichtsverfahren, in dem wir spruchsausschüsse in Verwaltungsgerichtsverfahren eine nur zwei Instanzen haben, und in einem Bereich, nämlich zusätzliche Filterwirkung vor Klageerhebung vor dem Fi- dem unübersichtlichen und komplizierten Steuerrecht, nanzgericht erzielt werden könnte. Eine solche Diskus- das bekanntlich nicht zu den einfachsten Rechtsmaterien sion hat die Ministerin mit ihrer Vorgehensweise prak- zählt. Insbesondere hier ist doch ein erhöhter Rechts- tisch unmöglich gemacht. Wir werden diesen Gedanken schutz gefragt. Der Rechtsstaat darf nicht dicht machen. jedoch nicht aufgeben und fordern unsere fachkundigen Mitkollegen auf, mit uns hierüber weiter nachzudenken. Im Übrigen bin ich auch gegen den Wegfall der Rege- lung, zugunsten eines Beteiligten für das Revisionsver- fahren Prozesskostenhilfe zu beantragen, wie es ursprüng- Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Es gibt auf den ersten lich in § 120 Abs. 4 hieß. Ich bin keineswegs dafür, dass Blick eine Reihe guter Gründe, dem Gesetz zur Änderung ungerechtfertigten Fristverlängerungen Tür und Tor ge- der Finanzgerichtsordnung zuzustimmen. Das betrifftöffnet werden soll, aber bei qualifizierten Anträgen muss zum Beispiel die Vorschläge zur Verfahrenseffektivierung das im Interesse des Betroffenen möglich sein. oder den Abschied von der Streitwertrevision. Am Ende ist es aber ein Grund, nämlich ein fehlender Zulassungs- Zum Schluss bleibt mir nur noch festzustellen: Was grund, der für mich Grund genug ist, dem Gesetz nicht zu- dem einen ein Grund zu wenig, ist dem anderen ein Grund stimmen zu können. zu viel. Bezogen auf den Rechtsschutz der Steuerbürger kann es meines Erachtens gerade in Anbetracht des über- Wenn nach der ersten Lesung noch Zweifel bestanden: aus komplizierten Steuersystems und seiner ohnehin be- Das Berichterstattergespräch mit den Sachverständigen schränkten Zweizügigkeit in unserem Lande keinen – allen voran mit der Präsidentin des Bundesfinanzhofes Grund zu viel für den Schutz der Bürger geben. Auch die 12696 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Schaffung der Möglichkeit des Einsatzes von Videokon- wesentlich erweitert. Der unterlegene Verfahrensbetei-(C) ferenzen – ein interessantes Novum in unserem Gerichts- ligte hat, wie ich meine, Anspruch darauf zu wissen, wesen – verbessert am Ende nicht mein Gesamtbild von warum er kein Erfolg gehabt hat. Diesem Anspruch wird diesem Gesetz. Bleibt am Ende nur zu hoffen, dass die Rechnung getragen. Richter am BFH in ihrer Zulassungspraxis großzügiger als der Gesetzgeber sind. Besonders hinweisen möchte ich auf den Zuwachs an Modernität im finanzgerichtlichen Verfahren. Wir machen die moderne Kommunikationstechnik für das gerichtliche Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatsekretär bei der Bundes- Verfahren nutzbar. Die Beteiligten sollen die Möglichkeit ministerin der Justiz: Ich bedaure sehr, dass sich die Op- bekommen, per Videokonferenz an der mündlichen Ver- position bei den Ausschussberatungen nicht in der Lage handlung teilzunehmen. Es soll auch die Möglichkeit an- gesehen hat, dem von der Bundesregierung vorgelegten geboten werden, Zeugen und Sachverständige per Video- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Fi- konferenz zu vernehmen. nanzgerichtsordnung und anderer Gesetze zuzustimmen. Wir haben uns auch noch nach dem Gespräch der Be- Der Gesetzentwurf sieht im Verhältnis zu dem Entlas- richterstatter mit den Experten aus der Praxis die Frage ge- tungsgesetz, das jetzt schon über 25 Jahre gilt und damit stellt, ob das Revisionsrecht um einen weiteren Revisions- praktisch Dauerrecht ist, eine Vielzahl von Verbesserun- zulassungsgrund, den Revisionszulassungsgrund „Wenn gen für den Rechtsschutz in Steuersachen vor, die von der überwiegende Zweifel an der Richtigkeit des angefochte- Praxis auch einhellig begrüßt worden sind. Ich nenne hier nen Urteils bestehen“ ergänzt werden kann. Wir haben uns an erster Stelle die Erweiterung des Zugangs zum Bun- dagegen entschieden, und zwar aus folgenden Gründen: desfinanzhof durch den neuen Revisionszulassungsgrund Erstens. Der neue Revisionszulassungsgrund „Wenn „Wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung ei- die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer ein- ner einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des heitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bun- Bundesfinanzhofs erfordert“. Damit können alle Urteile desfinanzhofs erfordert“ gibt dem BFH die Möglichkeit, revisionsrechtlich überprüft werden, bei denen ein allge- aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit auf jedes Verfah- meines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung ren Zugriff zu nehmen, also auch offenbar falsche Ent- des Revisionsgerichts besteht. Das ist gerade auch dann scheidungen aufzuheben. der Fall, wenn der Bundesfinanzhof sieht, dass das Urteil des Finanzgerichts offenbar falsch ist. Damit haben wir Zweitens. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht zu- – berechtigter – Kritik an den zu engen Revisionszulas- lassen, dass beim BFH der Geschäftsanfall so drastisch sungsgründen des alten Rechts Rechnung getragen. Die steigt wie vor etwa 10 bis 15 Jahren. Die zusätzliche Be- zu enge Auslegung der alten Zulassungsgründe hat ganz lastung, die der neue Revisionszulassungsgrund und die (B) maßgebend dazu beigetragen, dass über 40 Prozent der erweiterten Begründungspflichten nach sich ziehen wer- (D) bei dem Bundesfinanzhof eingehenden Verfahren un-den, wird der Bundesfinanzhof verkraften können. Eine zulässig sind, ein Zustand, der im Interesse einer umfas- weitere Öffnung der Revision sollte sorgsam überlegt senden Rechtschutzgewährung völlig unakzeptabel ist. werden; die Bundesregierung hält sie derzeit im Interesse Der Bundesfinanzhof hat sich mittlerweile schon fast von der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht für einem Revisions- zu einem Beschwerdegericht ent-angebracht. Ich versichere Ihnen aber: Wir werden die wickelt, das aufgrund eng gefasster Zulassungsgründe Entwicklung genau beobachten. Wir werden auch genau und zusätzlich durch die enge Auslegung dieser Gründe beobachten, ob und wie der Bundesfinanzhof mit dem den Großteil der Beschwerden abweist. Ich kann deshalb neuen Revisionszulassungsgrund zurechtkommt. Unab- auch nicht nachvollziehen, dass die Opposition es lieber hängig davon meine ich aber auch: Ohne Not sollte der bei dem gegenwärtigen Zustand belassen möchte. Zugang zu den obersten Bundesgerichten nicht unter- schiedlich geregelt werden. Ich bin für einheitliche Rege- Der Gesetzentwurf beseitigt – und damit komme ich lungen für alle obersten Bundesgerichte. zu weiteren Rechtsschutzverbesserungen, die von allen Experten befürwortet worden sind – das Nebeneinander Ich bitte Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. von zulassungsbedürftiger und zulassungsfreier Revi- sion – ein verfahrensrechtlicher Spagat, der für manchen rechtssuchenden Steuerbürger und seinen Berater schon Anlage 24 zur Rechtsmittelfalle geworden ist. Die viel zu kurze Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Zu Protokoll gegebene Reden – derzeit nur ein Monat – wird auf zwei Monate verlän- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur gert. Zusätzlich ist vorgesehen, dass sie um einen weite- Einführung einer Dienstleistungsstatistik und ren Monat verlängert werden kann: insgesamt also bis zu zur Änderung statistischer Rechtsvorschriften drei Monate Begründung; das sollte ausreichen, um eine (Tagesordnungspunkt 26) fundierte Begründung abzuliefern. Die erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde soll künftig als Revisions- verfahren fortgesetzt werden. Die derzeit immer noch not- Detlev von Larcher (SPD): Wir befinden uns auf dem wendige zusätzliche Revisionseinlegung ist eine reine Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Zwei Drittel der Formsache und damit verzichtbar. Im Interesse derErwerbstätigen arbeiten im Dienstleistungssektor, fast Rechtssuchenden werden die Begründungspflichten bei 70 Prozent der Bruttowertschöpfung entfällt inzwischen Entscheidungen über die Nichtzulassungsbeschwerdeauf diesen Bereich. Dienstleistungen sind also längst zum und bei Beschlussentscheidungen über Revisionen ganz wichtigsten Faktor in unserer Wirtschaft geworden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12697

(A) Zugleich stehen aber die statistischen Informationen verzichten. Dem zusätzlichen Aufwand für die Dienstleis- (C) über den Dienstleistungssektor in einem krassen Missver- tungsstatistik stehen also sowohl in den Unternehmen als hältnis zu seiner wirtschaftlichen Bedeutung. Während auch bei den statistischen Ämtern erhebliche Erleichte- wir über hoch differenzierte Informationen über das ver- rungen gegenüber. arbeitende Gewerbe verfügen, sind die vielfältigsten Alles in allem schaffen wir mit diesem Gesetz die Dienstleistungen oft in sehr summarischen Darstellungen Grundlage für eine verlässliche und konsistente Dienst- verborgen, in denen man häufig nicht das findet, was man leistungsstatistik und bewahren dabei Augenmaß. Ich sucht. Dort, wo detaillierte Informationen vorliegen, sind bitte Sie deshalb, diesem Gesetz zuzustimmen. diese häufig nicht uneingeschränkt vergleichbar oder ver- knüpfbar. Die Bedeutung der Dienstleistungen in der amt- lichen Statistik von heute entspricht der tatsächlichen Be- Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Statistik ist keine deutung dieses Sektors vor Jahrzehnten. Das gilt ganz Erbsenzählerei, sondern, wie die britische Regierung zu besonders für viele unternehmensorientierte Dienstleis- Recht in einem Grünbuch schrieb, „a matter of trust“ – tungen, die sich erst in letzter Zeit – unter dem Stichwort eine Frage des Vertrauens. Outsourcing – als eigenständige Wirtschaftseinheiten in Dass wenigstens Wissenschaft und globale Unterneh- großem Umfang entwickelt haben. men weltweit die strategische Bedeutung der Erhebung Hier gibt es also erheblichen Nachholbedarf, den wir und Analyse von Daten begriffen haben, macht die Ent- mit dem Dienstleistungsstatistikgesetz decken. Dabeischeidung des Nobelpreiskomitees im Bereich Wirt- geht es nicht um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für schaftswissenschaft in diesem Jahr für die Mikroökono- die statistischen Ämter. Für Politik und Wirtschaft sind metriker McFadden und Heckman deutlich. Denn nur zuverlässige und präzise Daten unverzichtbar. Für eine durch eine zuverlässige Datengrundlage kann der wirt- wirkungsvolle Wirtschafts- und Finanzpolitik sind ver- schaftliche und gesellschaftliche Wandel erfasst und von lässliche Daten von herausragender Bedeutung. Gerade Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftlern analysiert auch um Fehlentwicklungen in einzelnen Wirtschafts- werden. Die daraus resultierenden Handlungsempfeh- bereichen beobachten und nötigenfalls gegensteuern zu lungen stellen die Entscheidungsbasis von Millionen Un- können, reichen globale Zahlen nicht aus. Nicht zuletzt ternehmen, Privatpersonen und natürlich für die Politik deshalb gibt es ja auch eine Verordnung des Europäischen dar. Ohne zuverlässige Informationen keine rationale Ent- Rates zum System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnun- scheidung – das wissen Investmentgesellschaften und gen, mit der uns eine Modernisierung unserer wirt-Banken, multinationale Ölkonzerne und Produzenten von schaftsstatistischen Rechtsvorschriften auferlegt wird. Konsumgütern. Nur die Politik in Deutschland hat das fast Aber nicht nur Parlamente und Regierungen brauchen zwei Jahrzehnte anders gesehen und die deutsche Statis- (B) verlässliche Statistiken, auch viele Unternehmen sind für tik ist weit hinter den Standard der USA und leider auch (D) die unterschiedlichsten Planungs- und Entscheidungspro- auf vielen Feldern deutlich hinter den unserer EU-Part- zesse auf zuverlässige und auch tatsächlich vergleichbare nerländer zurückgefallen. Informationen angewiesen. Deshalb wäre letztlich nie- Es ist nachgerade peinlich, wenn die Bundesbank und mandem damit gedient, wenn wir die Statistiken minima- die Europäische Zentralbank von der Politik mit deutli- listisch anpassten. Bei Erhebungen von Kammern oder chen Mahnungen eine Verbesserung der Datenbasis ein- Verbänden ist eben nicht sichergestellt, dass die erhobe- klagen müssen und die europäischen Finanzminister – der nen Daten auch tatsächlich repräsentativ sind. Außerdem Ecofin-Rat – am 29. September einen Aktionsplan be- stellt sich bei Statistiken nach dem Subsidiaritätsprinzip schließen mussten mit detaillierten Angaben, welche die Frage, ob Abgrenzungen nach denselben Regeln vor- Staaten in welchen Bereichen ihre Statistiken verbessern genommen werden. Sie, meine Damen und Herren von und anpassen müssen. Vierteljährlich wird es Berichte ge- der CDU/CSU, sollten doch genau so gut wie ich wissen, ben, welche Staaten ihre Hausaufgaben gemacht haben dass genau wie bei Versicherungsverträgen auch bei Sta- und welche nicht. Ich hoffe, dass wir schnell aus der Pein- tistiken das Wichtigste immer im Kleingedruckten steht. lichkeit herauskommen, in weiten Bereichen unter den Deshalb steht es für mich außer Frage, dass es die amtli- Klassenletzten zu sein, und vielleicht auch einmal wieder che Statistik, ein einheitliches, auf einer gesetzlichen Aus- unter den Klassenbesten sind. kunftspflicht der befragten Unternehmen basierendes System zur Erhebung von Strukturdaten geben muss. Er- Das ist nicht nur wichtig, weil nur – wie Edelgard gänzende Informationen auf freiwilliger Basis sind immer Bulmahn, unsere Bundesforschungsministerin richtig sagt – „eine genauere und innovative Erfassung und Ana- willkommen, aber sie können Statistiken in diesem Sinne lyse des rapiden gesellschaftlichen Wandels durch ein en- nicht ersetzen. ges Zusammenwirken von unabhängiger Wissenschaft Es ist ja auch nicht so, dass mit dem vorliegenden Ge- und unabhängiger Statistik die Politik zielgenauer ma- setz eine ungeheure Datenflut ausgelöst würde. Wir wol- chen. Nur so können die komplexen Wechselwirkungen len die Datenerhebung auf jährlich 15 Prozent der Unter- zwischen Bevölkerungsentwicklung, Strukturänderungen nehmen beschränken. Für kleinere Unternehmen mitder Wirtschaft, Ausbildungssystem, Beschäftigung und jährlichen Umsätzen unter 250 000 Euro – und das trifft sozialer Sicherung richtig verstanden und aufbereitet wer- für sehr viele Dienstleistungsunternehmen zu – wird die den, um darauf erfolgreiche Politik aufzubauen. Die Ver- Erhebung wesentlich erleichtert. Zudem ermöglicht die fügbarkeit solcher zuverlässigen Datengrundlagen wird Dienstleistungsstatistik es uns, zukünftig auf die Erhe- damit letztlich auch die Erfolgsmaßstäbe für Politik ver- bung von Daten im Rahmen der Kostenstrukturstatistik zu ändern“. 12698 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Das ist richtig und deswegen ist es absurd, wenn viele tragen und wir wissen künftig besser über die Entwick-(C) bei der Diskussion der Kosten der Statistik nicht gleich- lung bei Software, Lizenzen und sonstigen Formen geis- zeitig sehen, dass wir Jahr für Jahr politisch über Haushalte, tigen Eigentums Bescheid. Aber es ist nur ein Schrittchen öffentliche Programme und Investitionen im Werte von im Vergleich zu den USA, wo auf Initiative des Vizeprä- Hunderten von Milliarden entscheiden bzw. diese wesent- sidenten Al Gore ein 1 Milliarde US-Dollar teures Projekt lich beeinflussen, die Qualität der Daten, aufgrund derer in Gang kam, um bessere Informationen über Internet-Zu- wir entscheiden, zum Teil aber miserabel bzw. die Statistik gang und -Nutzung Öffentlichkeit und Wirtschaft zur Ver- so lückenhaft ist, dass man gelegentlich genauso gut die fügung zu stellen. Wer in Deutschland beklagt, dass wir Dame mit der Kristallkugel konsultieren könnte. auf vielen Feldern der so genannten New Economy hin- terherhinken, sollte nicht übersehen, dass Investitions- Bei den Informations- und Kommunikationstechnolo- entscheidungen bei uns nicht nur deswegen riskanter bzw. gien ist mittlerweile der Spruch „Garbage in – Garbage weniger erfolgen, weil erstens die Märkte kleiner bzw. out“ – also „gibt man Mist rein, kommt auch Mist raus“ – segmentierter sind, sondern auch deswegen, weil die In- ein geflügeltes Wort. Bei der amtlichen Statistik werden formationen weit hinter den Erfordernissen bzw. anderen wir in Zukunft nicht darum herumkommen, eine Be-Ländern – USA, Skandinavien – herhinken. standsaufnahme zu machen bzw. die vorhandenen Be- standsaufnahmen unter anderem der „Kommission zur Das zweite Anliegen, politisch weit gewichtiger, ist die Verbesserung der statistischen Infrastruktur“ zur Kenntnis mit dem Dienstleistungsgesetz verbundene Novellierung zu nehmen. Dann werden wir auch feststellen müssen, des § 47 GWB; denn es handelt sich nicht um eine bloße dass wir um die Forderung der Europäischen Zentralbank, formale Änderung statistikrechtlicher Vorschriften, son- mehr Geld in die Datenproduktion zu stecken, nicht he- dern um die Voraussetzung für die unabhängige Arbeit der rumkommen. Monopolkommission und dafür, der Wirtschafts-, Wettbe- werbs- und Mittelstandspolitik aussagekräftige, empi- Verglichen mit dem, was auf dem Spiel steht, kostet es rische Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen. nicht viel: Eine fehlerhafte Prognose der Wirtschaftsent- wicklung ist für die Märkte viel teurer, eine öffentliche Die neue, jetzt im Wege des Kompromisses gefundene Fehlentscheidung, die Milliardeninvestitionen allerRegelung ermöglicht eine realistischere Einschätzung des Transfers in den Sand zu setzen, ebenso. Und schließlich Verflechtungs- und Konzentrationsgrades der Unterneh- erleben wir derzeit, dass die Finanzmärkte die wirtschaft- men, der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und erlaubt liche Entwicklung des Euro-Raumes deutlich schwächer auch Rückschlüsse einerseits auf die Wettbewerbsfähig- beurteilen als die der US-Wirtschaft. Ein nicht geringer keit der Wirtschaft auf den deutschen und internationalen Teil ist dem Unterschied zwischen den nach europäischen Märkten, andererseits auf die Stellung mittelständischer Unternehmen. Der bisherige, völlig unbefriedigende (B) Standards systematisch „geschönten“ US-Statistiken ge- (D) schuldet. Aber wenn aus dem Euro-Raum keine verlässli- Zustand, dass uns die amtliche Statistik den Konzentrati- chen Vergleichsdaten vorliegen, sollten wir uns nicht be- onsgrad der zehn größten Anbieter beim Lebensmittel- klagen, sondern besser mehr Geld in die Hand nehmen. handel mit 25 Prozent angab, während er in Wirklichkeit Information ist schließlich keine Holschuld, sondern eine über 80 Prozent betrug, dürfte jetzt der Vergangenheit an- Bringschuld. gehören. Deswegen ist das heute von uns zu verabschiedende Die Ausschüsse für Wirtschaft und Technologie und für Dienstleistungsstatistikgesetz ein erster Schritt in dieFinanzen haben jedenfalls gemeinsam diesen Bereich ein- richtige Richtung – auch wenn es nicht die Voraussetzun- stimmig für so wichtig erachtet, dass wir uns nach einem gen erfüllt, die für eine umfassende Analyse von Stand Jahr berichten lassen, ob die von der Monopolkommis- und Entwicklung des beschäftigungsträchtigen Sektors sion zu Recht beklagten Probleme nun faktisch beseitigt notwendig sind. sind, oder ob weitere Schritte der Politik nötig werden. Angesichts der Bedeutung des Dienstleistungssektors Das Fazit der sozialdemokratischen Bundestagsfrak- –1998 waren in Deutschland rund 66 Prozent aller Er- tion ist deswegen: Wir alle im Deutschen Bundestag ha- werbstätigen, nämlich 23,8 Millionen Menschen, dortben der Statistik zu wenig Augenmerk geschenkt. Eine tätig – war die Vernachlässigung und unvollständige Ab- richtig angelegte amtliche Statistik ist keine Erbsenzähle- bildung dieses Sektors unverständlich, erst recht, dass wir rei und Spielerei für Zahlenjongleure, sondern unabweis- so spät dran sind mit der Umsetzung von EU-Ratsverord- bare Voraussetzung für jede rationale Entscheidung in Po- nungen zum Europäischen System volkswirtschaftlicher litik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine verlässliche Gesamtrechnungen und zur Unternehmensstrukturstatis- Statistik ist nicht zum Nulltarif zu haben. Fehlentschei- tik von 1996. Aber, wie gesagt, der erste Schritt ist getan; dungen können milliardenschwere Kosten verursachen. weitere müssen folgen. Der EU-Aktionsplan, der im Ecofin-Rat beschlossen wurde, muss schnell umgesetzt werden. Unsere Statistik Mit diesem Gesetz ist auch zwei Anliegen Rechnung hat viele weiße Flecken. Warum haben wir beispielsweise getragen, die uns im Parlament wichtig waren: erstens der weder eine Gründerstatistik noch eine Vermögensstatis- stärkeren Beachtung der Bedeutung immaterieller Güter tik? Interessierte uns wirklich beides nicht? Eine Grund- wie zum Beispiel Software und Lizenzen und zweitens satzdiskussion über die strategische Neuorientierung un- der Analyse der Konzentration der Wirtschaft. serer amtlichen Statistik ist deswegen notwendig und die Dem ersten Anliegen ist nun wenigstens mit der Erhe- Schlussfolgerungen und Umsetzung dürfen wir nicht in bung der immateriellen Güter nach Arten Rechnung ge- die nächste Legislaturperiode verschieben. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12699

(A) Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Mit dem Gesetz Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen führt einen engen (C) zur Einführung einer Dienstleistungsstatistik schließen Dialog mit den mittelständischen Unternehmen über wir eine Lücke in der statistischen Erfassung der bundes- Möglichkeiten des Bürokratieabbaus. Wir haben eine deutschen Wirtschaft. Reihe von Vorschlägen gemacht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat eine Projektgruppe Entgegen der stark zunehmenden wirtschaftlichen Be- eingerichtet, die Vorschläge zur Reduzierung der büro- deutung des Dienstleistungssektors bildet die Bundessta- kratischen Lasten erarbeitet und umsetzt. Einiges wurde tistik diesen Bereich bisher nur sehr unvollständig ab. Dies bereits erreicht. zeigte sich schon bei einem kurzem Blick in das statisti- sche Jahrbuch. Während sich unter dem Stichwort Dienst- Die Krankenkassen haben ihre Leistungsformulare leistung nur Eintragungen auf fünf Seiten dieses übervereinheitlicht. In einem Modellprojekt wird der Einsatz 700-seitigen Werkes finden, ist zum Beispiel der Bereich neuer Technologien zwischen Arbeitgeber und Kranken- Landwirtschaft mit weit über 20 Seiten bis hinein in Ein- kassen erprobt. Seit Sommer 2000 können Unternehmen zelheiten der Düngemittelversorgung exzellent abgebildet. das Internet im Rahmen der Auskunftspflichten gegen- Hier besteht ein Ungleichgewicht, das im Interesse einer über dem Statistischen Bundesamt einsetzen. Melde- übersichtlichen Wirtschaftsstatistik nicht hingenommen pflichten werden überprüft und abgebaut. Im Rahmen des werden kann. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt deshalb Multimediapilotprojektes „MEDIA@Komm“ wird die das Vorhaben, eine Dienstleistungsstatistik einzuführen, Nutzung neuer Kommunikationsmittel in den Kommunen die von allen wirtschaftspolitischen Handlungsträgern ver- vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wendet werden kann. gefördert. Durch das „digitale Rathaus“ und „digitale Marktplätze“ werden alle Transaktionsprozesse, zum Bei- Gleichzeitig ist aber auch festzustellen, dass die Belas- spiel Meldewesen, Bauanträge, öffentliche Ausschrei- tung besonders kleinerer Unternehmen mit staatlich auf- bung, Wirtschaftsförderung, beschleunigt. Die Bundesre- erlegter Bürokratie und mit Statistikpflichten schon jetzt gierung wird so schnell wie möglich die gesamte das erträgliche Maß überschritten hat. Wir sollten deshalb Kommunikation nach außen digital abbilden. Dazu wurde die Dienstleistungsbranche, wo gerade viele kleinedie Initiative „e-Government 2005“ gestartet. Start-up-Unternehmen tätig sind, nicht mit unzumutbaren weiteren Lasten quälen. Deshalb freue ich mich, dass die Die unternehmensnahen Dienstleistungen gehören zu Koalitionsfraktionen entgegen dem Entwurf der Bundes- den am schnellsten wachsenden Bereichen der Wirtschaft. regierung zu der Erkenntnis gelangt sind, dass eine Redu- Die Forderungen der Forschungsinstitute und der Wirt- zierung der Zahl der Auskunftspflichtigen mit einer aus- schaft, die Dienstleistungen angemessen zu erfassen, sagefähigen Statistik vereinbar ist. So ist wenigstens eine wurden immer lauter. Zur Ermittlung exakter Daten in der kleine Last von den Betrieben des Dienstleistungssektors volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sehen auch wir (B) genommen. die Notwendigkeit, hier verlässliche Daten zu gewinnen. (D) Dies reicht aber nicht aus. Die CDU/CSU-Fraktion hat Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir die deshalb sowohl in den Ausschussberatungen als auch jetzt Verpflichtungen der Richtlinien der EU aus dem Jahr im Plenum Änderungsanträge vorgelegt, mit denen wir 1996 um. Wir haben darauf geachtet, die Belastungen der erreichen wollen, dass Doppelzählungen vermieden wer- Unternehmen so niedrig wie nur möglich zu halten. Vor- den und dass kleinere Unternehmen, weitergehend als von gesehen ist die Erhebung von Strukturdaten bei Unter- der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vor- nehmen und Einrichtungen zur Ausübung einer freiberuf- gesehen, von differenzierten statistischen Übermittlungs- lichen Tätigkeit, die überwiegend unternehmensnahe pflichten entlastet werden. Dienstleistungen anbieten. Die Unternehmen nehmen ro- tierend an der jährlich stattfindenden Erhebung teil. Jähr- Ich will auf die Einzelheiten unser Anträge nicht näher lich werden nur 15 Prozent der Unternehmen betroffen eingehen, schließlich sind sie in den Ausschussberatun- sein. Die Unternehmen dürften damit nur alle 6 bis 7 Jahre gen eingehend beraten worden. Ich will nur soviel sagen: an statistischen Erhebungen teilnehmen. Wenn es nicht gelingt, im Dienstleistungssektor eine Ak- zeptanz für die neue Statistik zu erreichen, werden Sie Der Gesetzentwurf enthält eine Mittelstandskompo- schlechtere Ergebnisse bekommen als wir uns alle erhof- nente: Kleine und mittlere Unternehmen mit einem Jahres- fen. Deshalb meine Bitte an Sie: Geben Sie sich einen umsatz kleiner als 250000 Euro werden mit einem Ruck und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Das Ergeb- verkürzten Katalog befragt. Zur Vermeidung von Doppel- nis wird keine aufgeweichte, sondern eine aussagekräfti- erhebungen werden bestehende Statistiklasten im Be- gere Statistik sein, weil sie nur so auf Akzeptanz bei den reich der Verkehrsstatistik, Kostenstrukturstatistiken und beteiligten Wirtschaftskreisen stößt. Handwerkszählung reduziert. Die Wirtschaft hat sich positiv zu dem vorliegenden Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Gesetzentwurf geäußert und den Nutzen einer Vervoll- GRÜNEN): Die Belastung der Wirtschaft mit komplizier- ständigung der Daten höher eingeschätzt als die bei den ten bürokratischen Verfahren der öffentlichen Verwaltun- betroffenen Unternehmen entstehenden Kosten. Wir ha- gen ist zu hoch. Die gesetzlichen Anforderungen an die ben, wie ich glaube, mit diesem Entwurf einen vernünfti- Unternehmen zur Abgabe statistischer Daten sind we- gen Interessenausgleich hinbekommen. sentlicher Teil dieser hohen Bürokratielasten. Besonders Selbstständige, kleine und mittlere Unternehmen leiden Gudrun Kopp (F.D.P.): Mit dem vorliegenden Entwurf darunter. eines Dienstleistungsstatistikgesetzes muss im Rahmen 12700 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) von EU-Verordnungen auch die Bundesrepublik Deutsch- chen von gestern und hat zweitens auch keine Bedenken (C) land künftig jährliche Strukturdaten für eine Dienst-mehr gegen willkürliche Wahlkreiszuschnitte. leistungsstatistik erheben. Auskunftspflichtig sind dem- nach Firmen und Einrichtungen, die überwiegendFangen wir mit dem schroffen Verhalten der Mehrheit unternehmensorientierte Dienstleistungen gegen Entgelt gegenüber der Opposition an. Sie werden diesen Vorwurf anbieten, wie in den Sparten Verkehr, Nachrichtenüber- sicher zurückweisen, weil wir, Herr Kollege Wiefelspütz, mittlung, Grundstücks- und Wohnungswesen, Forschung schon im Februar zusammengesessen haben. und Entwicklung, um nur einige zu nennen. Soweit die Aber schauen wir genau hin. Damals haben Sie mir fol- Sachlage. gende Zusage gemacht: Es werden nur jene Veränderun- Es ist völlig unlogisch, warum die Zuständigkeit für gen vorgenommen, die wegen der Bevölkerungszahl un- eine solche Wirtschaftsstatistik durch Änderungen beste- abwendbar sind. Und es werden einige wenige hender Rechtsvorschriften endgültig auf das Bundesminis- Veränderungen vorgenommen, für die Sie politische, terium für Finanzen übertragen werden soll. An diesem nicht aber wahlrechtliche Gründe genannt haben. Beispiel wird symbolisch und tatsächlich deutlich, welche Mit großer Aufmerksamkeit haben wir daher Ihren Schlüsselrolle das Bundesfinanzministerium gegenüber „Diskussionsentwurf“ gelesen, den Sie uns Mitte Oktober dem Bundeswirtschaftsministerium in der Machtzuord- übermittelt haben. Wir sollten und wollten diesen Vor- nung des Kanzlers hat. Der Bundeswirtschaftsministerschlag prüfen, damit vor Ihrem Fraktionsbeschluss die hätte diesen originär wirtschaftsbezogenen Bereich in sei- Möglichkeit besteht, unzumutbare Vorschläge im Kon- nem Ministerium behalten müssen. Er aber schwieg und sens auszuräumen. Also haben wir Ihren „Diskussions- akzeptierte, was ihm vorgesetzt wurde, wie im Übrigen entwurf“ zur Diskussion an unsere Landesgruppen ver- auch beim Verkauf der Deutschen Ausgleichsbank, DtA, schickt. Und jede Landesgruppe hat sich die an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW. Auch dabei entsprechenden Vorschläge angesehen und gegebenen- führte der Bundesfinanzminister das Zepter. falls mit der SPD diskutiert. So habe ich für Nord- Zurück zum Dienstleistungsstatistikgesetz: Kostenrhein-Westfalen mit Herrn Kollegen Wiefelspütz über ei- entstehen dem Bund, den Ländern und auch nige der Unstimmigkeiten gesprochen und auf unserer Seite auskunftspflichtigen Wirtschaft. Während sich die Kosten dabei auch die betroffenen Kollegen einbezogen. Dieter des Bundes durch Einsparungen aufgrund von Arbeitser- Wiefelspütz hatte mir persönlich zugesagt, dass er unsere leichterungen aufheben, entstehen den Ländern nettoEinwände gegen den „Diskussionsentwurf“ offen prüfen noch circa 4,3 Millionen DM Kosten, und zwar jährlich. wolle. Wir waren für Mittwoch verabredet. Herr Aber auch die Kosten für die Wirtschaft sind nicht uner- Wiefelspütz wollte mir das Ergebnis seiner Prüfung mit- heblich. Sie werden mit circa 6,5 Millionen bis 13,5 Mil- teilen. (B) lionen DM jährlich angegeben. Wer ein Unternehmen von (D) innen kennt, weiß wie zeitraubend schon heute büro- Was aber passiert? Die SPD-Fraktion bringt ihren kratische Lasten gerade für die mittelständischen Firmen „Diskussionsentwurf“ am Dienstag unverändert ein. sind, die keine eigenen Bearbeitungsabteilungen für die- Nichts wurde geprüft, keines unserer Argumente berück- sen Ballast finanzieren können. sichtigt! Und dann wird auch noch äußerst kurzfristig un- ser Gespräch am Mittwoch abgesagt, mit der Folge: Sechs Die F.D.P. lehnt diesen Regierungsentwurf ab, mit dem Abgeordnete meiner Fraktion warteten vergebens auf das Hinweis darauf, dass endlich Energien darauf verwendet Ergebnis der zugesagten Prüfung. werden müssen, wie EU-weit und national Bürokratielas- ten drastisch vermindert werden können. Ich vermisse zu- So viel zum Verfahren und zur Verlässlichkeit Ihrer Zu- dem die Prüfung, ob die geforderten statistischen Daten sagen. Jetzt einige Sätze zu Ihren inhaltlichen Vorstellun- nicht von den Kammern erhoben und weitergegeben wer- gen. Ich fange einmal mit den Vorhaben in meiner Heimat den können, zur Entlastung der besonders gebeutelten Nordrhein-Westfalen an, die auch der Kollege Wiefelspütz kleinen und mittelgroßen Firmen. nicht so recht nachvollziehen konnte: Sie wollen die west- fälische Gemeinde Horstmar entgegen der Empfehlung der Wahlkreiskommission dem Wahlkreis 128 – Coesfeld- Anlage 25 Steinfurt II – zuschlagen. Wer sich das auf der Landkarte einmal ansieht, kann bei so viel Willkür nur den Kopf Zu Protokoll gegebene Reden schütteln. Es entstünde ein unmöglicher Wahlkreiszu- schnitt! Bis heute wollte mir auch noch niemand von der zur Beratung des Entwurfs eines Sechzehnten SPD sagen, ob und welche persönlichen Interessen hinter Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes diesem Vorschlag stecken. Fachargumente können es je- (Zusatzordnungspunkt 5) denfalls nicht sein. Dem Ennepe-Ruhr-Kreis wollen Sie die Kreisstadt (Recklinghausen (CDU(/CSU): Erwin Marschewski nehmen. Wenn es nach Ihnen geht, wird die Kreisstadt „Das Einvernehmen in Wahlrechtsfragen hat in diesem Schwelm dem Nachbarwahlkreis Hagen zugeschlagen. Hause eigentlich eine gute Tradition“ so der Kollege Hier, aber auch vor Ort, versteht das niemand! Körper am 13. Februar 1998 hier in diesem Hohen Hause. Wenn der Kollege Körper jedoch „eigentlich“ sagt, lässt Ihr Vorschlag für Essen und Mühlheim scheint eben- er sich ein Hintertürchen offen. Das Hintertürchen der falls am grünen Tisch entstanden zu sein. Nicht, dass das SPD heißt: Wenn die SPD die Mehrheit hat, dann küm- folgende Argument allein entscheidend wäre. Aber Ihr mert sie sich erstens nicht mehr um ihre Konsensverspre- Vorschlag bedeutet auch, dass Rot-Weiß Essen demnächst Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12701

(A) wahlkreismäßig zu Mühlheim gehört. Paradox! Zudem: Wir haben 1998 nur für einen ganz kleinen Teil keine (C) Die westlichen Teile von Essen sind nach Mühlheim ori- Einigung erzielen können. Sie aber geraten schon bei der entiert. Dann sollten sie auch dort im Wahlkreis bleiben. relativ einfachen Aufgabe der Umsetzung der Empfeh- Ich denke, dass wir über diese Fragen noch offen reden lung der Wahlkreiskommission ins Schlingern. Warum? werden. Weil Sie stumpf auf Mehrheit statt auf Argumente setzen: Es gibt keine ernsthaften Gespräche, keine ernsthafte Su- Ihr Vorhaben in Köln ist auch nicht nachzuvollziehen: che nach Konsens. Stattdessen versuchen Sie es mit einer Nach jetziger Gesetzeslage stimmen in Köln die Wahl- „Ordre de Mehrheit“ und verkünden das Ende der Durch- kreisgrenzen für Bundes-, Landes- und Kommunalwah- sage. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir dies hin- len überein. Sie wollen diese sinnvolle Lösung ändern, nehmen werden. Und sind Sie sicher, dass Sie nicht erneut ohne dass die Bevölkerungsentwicklung Sie dazu zwingt. eine Abstimmung im Innenausschuss verlieren trotz ver- Allein diese Beispiele zeigen, dass Ihr Entwurf unsere Zu- baler Bedrohung von Koalitionsabgeordneten durch ihren stimmung nicht finden kann. Parlamentarischen Staatssekretär? Ich hoffe, dass Sie die Ein Blick auf die Vorschläge für andere Länder be-Beratungen im Innenausschuss nicht torpedieren. Kehren stätigt uns in dieser Einschätzung: In Sachsen setzen Sie Sie zu einem geordneten Verfahren zurück. Es ist keine sich in gut der Hälfte aller Wahlkreise über die Empfeh- Zeitnot. Wenn Sie wollen, können wir in Ruhe und Ver- nunft beraten. Wir sind dazu bereit. Bleiben Sie aber bei lungen der Wahlkreiskommission hinweg. Das Votum der Ihrer Strategie von Schnelligkeit statt Qualität, werden Landesregierung lassen Sie ebenfalls unberücksichtigt. wir Ihre Vorschläge einer öffentlichen Anhörung unter- Sie wollen 50 Prozent aller Empfehlungen der Fachex- ziehen müssen. perten übergehen. Hier muss man kein Schelm sein, um sich dabei Böses zu denken. Da Sie uns keine ausrei- chende Zeit für die Prüfung lassen, können wir angesichts Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch Ihrer Vorschläge bislang nur parteipolitische Taktik in der schwere Geburten sind irgendwann einmal überstanden. SPD-Diaspora Sachsen vermuten. Die Neueinteilung der Wahlkreise gehört sicher zu den besonders aufwendigen und schwierigen parlamentari- Auch in Niedersachsen machen Sie seltsame Vor-schen Projekten. schläge: Auch hier wollen Sie eine Kreisstadt, nämlich Winsen an der Luhe, nicht ihrem Wahlkreis zuordnen. DieVerkleinerungdesBundestagesvon656auf598Ab- Und Ihre Vorschläge für Hannover-Land lassen historisch geordnete wurde im Jahre 1996 mit Wirkung ab der gewachsene Strukturen völlig unberücksichtigt. 15. Wahlperiode beschlossen. Damit einher geht die Ver- kleinerung der Zahl der Wahlkreise von 328 auf 299. In Schleswig-Holstein setzen Sie sich nicht nur über Die Einteilung der Wahlkreise muss vom Zuschnitt und (B) die Empfehlungen der Wahlkreiskommission hinweg, (D) von der Zahl der Wählerinnen und Wähler her den hohen sondern auch über die Vorschläge der rot-grünen Landes- Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die regierung. So soll der Wahlkreis Segeberg regelrecht zer- Gleichheit der Wahlchancen genügen. Daher ist aufgrund stückelt werden. Uns bleibt auch hier nur ein Verdacht: der Verschiebungen in der Bevölkerungsstruktur eine er- Es werden persönliche Interessen von SPD-Bundespo- neute Korrektur der 1998 beschlossenen Neueinteilung litikern bedient. notwendig geworden. Warum Frau Sonntag-Wolgast ihre schleswigholstei- Das alles ist für die Öffentlichkeit, auch für unsere Par- nischen Genossen hier nicht gebremst hat, bleibt ihr Ge- teigliederungen nicht immer leicht nachzuvollziehen. heimnis. Als Parlamentarische Staatssekretärin im BMI Wollen wir aber Wahlanfechtungen vermeiden, müssen sollte sie jedoch den fachlichen Argumenten zum Durch- wir den hier vorgeschlagenen Weg einer erneuten Kor- bruch verhelfen. rektur gehen. Für Baden-Württemberg hört man, dass Sie sogar zu Ich möchte hier für meine Fraktion den Kolleginnen Ihrem eigenen Gesetzentwurf schon wieder einen derund Kollegen, aber auch den zuständigen Beamtinnen und berühmt-berüchtigten rot-grünen Nachbesserungsanträge Beamten, für diese mühevolle Arbeit in den letzten Jahren stellen wollen. Ich schlage vor: Holen Sie Luft und wer- danken. Sie haben eine schwierige und nicht immer dank- den Sie sich selbst erst einmal einig, bevor Sie uns unaus- bare Aufgabe gemeistert. gereifte Gesetzentwürfe vorlegen! Wir sehen an der komplizierten Einteilung der Wahl- Fazit: Angesichts Ihres Vorgehens und angesichts der kreise, wie schwierig und vielschichtig gerade das Pro- unübersehbaren Mängel Ihres Entwurfs kann ich mirblem der Parlamentsarbeit in der Region ist. Entgegen ei- nicht vorstellen, dass wir zu einer Einigung kommen. Die ner landläufig gehegten Auffassung sind wir eben nicht letzte Reform in der Zeit unserer Verantwortung dagegen nur hier im Reichstag anzutreffen, sondern auch in unse- ist in einem anderen Stil erarbeitet worden: Wir haben ge- rer Heimat, die wir hier zu vertreten haben. meinsam mit Ihnen in häufigen, langwierigen und inten- Manchmal sind jene Kritiker, die laut über angeblich siven Gesprächen nach Lösungen gesucht. Und für über zu viele Abgeordnete herziehen, die gleichen, die dann zu 90 Prozent aller Wahlkreise haben wir diese Lösung auch wenig Präsenz in den Regionen kritisieren. Genau um die- gefunden – und das, obwohl gleichzeitig die Zahl derses Problem geht es aber: das angemessene Verhältnis Wahlkreise zu verringern war. Die Aufgabe damals war zwischen einem arbeitsfähigen Parlament hier in Berlin also wesentlich schwieriger als heute. und unserer persönlichen Nähe zu den Bürgerinnen und 12702 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000

(A) Bürgern. Wir müssen uns darüber klar sein: Je kleiner die Rolf Kutzmutz (PDS): Die Notwendigkeit einer Än- (C) Zahl der Abgeordneten in Berlin, umso großer werden die derung – der 16. – des Bundeswahlgesetzes ist in der Pro- Wahlkreise und die Entfernung zu den Menschen. blemstellung für diesen Entwurf klar beschrieben. Es ist die Bevölkerungsentwicklung in den Bundesländern und Bei allen Bemühungen um eine sachgerechte Auftei- in einigen Wahlkreisen, die es erfordert, die Einteilung lung: Nicht alle werden zufrieden sein. Das war 1998 so – den Zuschnitt der Wahlkreise – mit den Grundsätzen zu und das wird auch jetzt angesichts der neuen Veränderun- deren Bildung in Übereinstimmung zu bringen. gen nicht ausbleiben können. Wenn ich mir die Probleme etwa im Wahlkreis Soltau-Fallingbostel-Winsen ansehe, Es ist – betrachtet man die beschlossene 15. Änderung wird das deutlich. Der Kreis liegt bei den Wählerinnen des Bundeswahlgesetzes – eine Reform der Reform. Ein und Wählern mit 21,6 Prozent deutlich über der Toleranz- nicht zu leugnender Ausgangspunkt für all diese Überle- grenze. Hier muss ein Neuzuschnitt erfolgen. Ähnliches gungen ist natürlich die Verkleinerung des Bundestages, gilt auch für andere Regionen. der eine umfassende Neueinteilung und Neuverteilung der Wahlkreise auf die Länder notwendig machte. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung verlieren ein- Weniger Abgeordnete, das heißt größere Wahlkreise. zelne Bundesländer Wahlkreise. Das betrifft leider in star- Nun sind die eben erst neu eingeteilten Wahlkreis in Kon- kem Umfang die neuen Bundesländer. Was schon 1998 flikt geraten mit der Bevölkerungsentwicklung, dem festgelegt wurde, hat sich angesichts neuer Veränderung Gleichheitsgrundsatz bei der Wahl und in Einzelfällen der Bevölkerungszahlen noch verstärkt. Bitter ist das für auch mit kommunalen und regionalen Gebiets- und Ver- Sachsen, das nunmehr gegenüber der letzten Bundestags- waltungsstrukturen. wahl den Verlust von 4 Wahlkreisen zu verschmerzen hat und nur noch 17 Bezirke erhält. Bei der Wahlkreiseinteilung sollen die Grenzen von Gemeinden, Kreisen und kreisfreien Städten nach Mög- Sachsen-Anhalt verliert zusätzlich zu den beiden Wahl- lichkeit eingehalten werden, sagt das Bundeswahlgesetz. kreisen noch einen weiteren. MecklenburgVorpommern Das wird zum Beispiel in Berlin mit dem jetzt vorliegen- muss sich mit 7 statt mit 9 Wahlkreisen begnügen; Thürin- den Gesetzentwurf deutlich. Hier wurden – das ist be- gen verliert 2 Wahlkreise. schrieben – bei Fortführung der gegenwärtigen Wahlkreis- Die Menschen in den neuen Ländern werden daher lei- einteilung sieben der zukünftig zwölf Berliner Bezirke der stärkere Veränderungen beim Zuschnitt ihrer gerade durch Wahlkreisgrenzen zerschnitten. Durch den Vor- erst vertrauten Wahlkreise zu verkraften haben. Es werden schlag der Wahlkommission werden jedoch künftig zehn von zwölf Bezirken einheitlich einem Wahlkreis zugeord- in Zukunft proportional weniger Kolleginnen und Kolle- net. gen aus den neuen Ländern im Bundestag sitzen. Ich be- (B) daure das außerordentlich – habe aber auch keine Lösung Die Berliner PDS hat diesem vernünftigen Verfahren (D) anzubieten, die dem Verfassungsgebot der Wahlgerech- zugestimmt, obwohl mancher uns nicht wohlgesonnener tigkeit genügen könnte. Zeitgenosse darin auch eine Chance auf Verhinderung ei- nes Direktmandatsgewinnes der PDS sieht. Darüber las- Ein Blick über den Atlantik zeigt uns aber recht dras- sen Sie uns reden und abrechnen, wenn der Wahlabend er- tisch, welche Folgen mangelnde Chancengleichheit für reicht ist. aller Wählerinnen und Wähler haben kann. In Berlin ist das Konstrukt also nachvollziehbar, viel- Während einige Länder schwächer im Bundestag ver- leicht auch für eine Gemeinde wie Niedergörsdorf in treten sein werden, bekommen andere eine – proportional Brandenburg, die bisher durch eine Wahlkreisgrenze ge- zur verkleinerten Zahl der Abgeordneten – stärkere Ver- teilt war. Nur, die neue Lösung drittelt den relativ kleinen tretung. Länder mit steigender Bevölkerungszahl können Landkreis Teltow-Fläming und schafft neue Probleme, die Zahl ihrer Wahlkreise halten. So bekommt Schleswig- indem eines überwunden wird. Ebenso problematisch ist Holstein nun doch noch seinen 11. Wahlkreis zurück, den es in Sachsen-Anhalt. Die Kreise werden zum Teil völlig es nach der ursprünglichen Planung 1998 verloren hatte. zerrissen, so der große Landkreis Merseburg-Querfurt. Die gleiche gute Nachricht gilt für mein Bundesland Ba- 22 Gemeinden kommen zum Wahlkreis Mansfelder Land den-Württemberg, das sich über den Erhalt seiner gegen- und 18 zum Burgenlandkreis. wärtig 37 Wahlkreise freuen kann. Richtig ist: Die Einteilung der Wahlkreise muss die Be- Für Berlin war es nötig, sich an die neuen Bezirks-völkerungsgröße zur Grundlage haben, aber man kann das grenzen anzupassen. Auch dies konnte umgesetzt werden. dazugehörige Territorium nicht einfach per Zirkelschlag Dennoch muss auch Berlin mit einem Wahlkreis weniger festlegen. auskommen als bisher. Es entstehen, besonders in Ostdeutschland, Wahl- Als Vertreter einer kleinen Partei bin ich mir der Nach- kreise, deren territoriale Ausdehnung nicht nur die Arbeit teile einer Verkleinerung des Parlaments sehr wohl be- der Abgeordneten erschweren wird. 110 km Wegstrecke wusst. Gerade in den kleinen Bundesländern werden die von einem Ende des Wahlkreises zum anderen sind wahr- Probleme in der Bürgerarbeit vor Ort noch weiter steigen. lich keine Kleinigkeit. Fristen zur Einberufung der Ver- sammlung der Vertreterinnen und Vertreter, die Rechte Dennoch können wir das hier gefundene Ergebnis mit- von Mitgliedern der Parteien, aber auch die Möglichkei- tragen. Die maßvolle Verkleinerung des Parlaments und ten und Rechte von Kandidatinnen und Kandidaten müs- die durchaus vertretbaren Neuzuschnitte der Wahlkreise sen im Zusammenhang mit diesem Gesetz noch einmal zeigen die Reformfähigkeit – auch in eigener Sache. geprüft werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 131. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. November 2000 12703

(A) Ich will nicht lamentieren, aber klar sagen, dass es Drucksache 14/3859 Nr. 2.31 (C) durchaus noch Beratungsbedarf gibt. Drucksache 14/3859 Nr. 2.32 Drucksache 14/3859 Nr. 2.34 Drucksache 14/3859 Nr. 2.35 Drucksache 14/3859 Nr. 2.36 Anlage 26 Drucksache 14/3859 Nr. 2.38 Drucksache 14/3859 Nr. 2.40 Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Drucksache 14/3859 Nr. 2.41 Ausschuss für Ernährung, Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Landwirtschaft und Forsten geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- gen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parla- Drucksache 14/1936 Nr. 1.9 ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung Ausschuss für Gesundheit abgesehen hat. Drucksache 14/4170. Nr. 1.6 Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau Drucksache 14/3576 Nr. 1.7 und Wohnungswesen Drucksache 14/3576 Nr. 1.14 Drucksache 14/3859 Nr. 2.5 Drucksache 14/3723 Nr. 2.12 Drucksache 14/3859 Nr. 2.8 Drucksache 14/3859 Nr. 1.9 Drucksache 14/4170 Nr. 2.20 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Innenausschuss Drucksache 14/3341 Nr. 2.30 Drucksache 14/3341 Nr. 2.48 Drucksache 14/4170 Nr. 1.13 Ausschuss für Bildung, Forschung Drucksache 14/4170 Nr. 2.73 und Technikfolgenabschätzung Drucksache 14/4170 Nr. 2.91 Drucksache 14/4092 Nr. 1.4 Ausschuss für Wirtschaft Drucksache 14/4170 Nr. 2.24 und Technologie Drucksache 14/4170 Nr. 2.69 Drucksache 14/3723 Nr. 2.5 Ausschuss für wirtschaftliche Drucksache 14/3723 Nr. 2.9 Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/3723 Nr. 2.17 Drucksache 14/3723 Nr. 2.18 Drucksache 14/3146 Nr. 2.6 Drucksache 14/3859 Nr. 1.2 Ausschuss für die Angelegenheiten der Drucksache 14/3859 Nr. 1.3 Europäischen Union Drucksache 14/3859 Nr. 1.8 (B) Drucksache 14/3859 Nr. 2.13 Drucksache 14/3576 Nr. 2.1 (D) Drucksache 14/3859 Nr. 2.22 Drucksache 14/3859 Nr. 2.37 Drucksache 14/3859 Nr. 2.24 Drucksache 14/4170 Nr. 1.3 Drucksache 14/3859 Nr. 2.26 Drucksache 14/4170 Nr. 1.9 Drucksache 14/3859 Nr. 2.27 Drucksache 14/41 70 Nr.2.14 Drucksache 14/3859 Nr. 2.29 Drucksache 14/4170 Nr. 2.57 Druck: MuK. Medien-und Kommunikations GmbH, Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28 / 3 82 08 40, Telefax: 02 28 / 3 82 08 44 ISSN 0722-7980