n e w s l e t t e r herausgegeben vom Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. Jg. 15 (2010), No. 2

„Militärgeschichte ausstellen“ am Beispiel der Die Junkerschulgeneration – eine militärische El i-

Neukonzeption des Militärhistorischen Museums te des „Führers“? Ergebnisse einer Untersuchung

der Bundeswehr in Dresden. der Absolventen der SS-Führerschulen. Von Jens Westemeier Von Gorch Pieken

Pflicht zum Untergang – Die deutsche Kriegfüh- rung im Westen des Reiches 1944/45. Von John Zimmermann September 2010 35 Impressum 2

Abbildungsnachweis: Ansicht des neuen Arsenalgebäudes d e s M H M ; (c) Architekt Daniel Libeskind AG

Der Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. wurde 1995 Verantwortliche Redakteure: mit dem Ziel gegründet, Forschung und Austausch Susanne Brandt: Unendliche Welten auf dem Gebiet einer interdisziplinär angelegten und Epochen übergreifenden Geschichte von Mili- [email protected] tär und Krieg zu fördern. Diese soll politik- und in- Daniel Karch: Heftredaktion / Layout stitutionsgeschichtlichen Ansätzen gegenüber eben- [email protected] so offen sein wie wirtschafts- und sozialhistorischen Richard Kühl: Unendliche Welten oder kultur- und geschlechtergeschichtlichen Zu- [email protected] gängen. Christian Th. Müller: Wiss. Projekte Der Arbeitskreis möchte zur Entwicklung dieses ak- [email protected] tuellen und wichtigen Feldes der Geschichtswissen- schaft beitragen, das an deutschsprachigen Univer- Christoph Nübel: Hist. Orte / Institutionen sitäten institutionell kaum vertreten ist. Deshalb bie- [email protected] tet der Arbeitskreis allen, die an den historischen Felix Römer: Essays Aspekten von Krieg und Militär von der Antike bis [email protected] zum 21. Jahrhundert interessiert sind, ein Forum René Rohrkamp: Essays der Information und Kommunikation. Dieses Fo- [email protected] rum schafft er durch die regelmäßige Organisation Michael Toennissen: Veranstaltungen von Workshops und Tagungen, durch die jährlich stattfindende Mitgliederversammlung, durch den [email protected] zweimal im Jahr erscheinenden newsletter sowie Dierk Walter: Website durch seine Website und eine Informationsliste. [email protected] Der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt derzeit € 25,00, für Studenten und Arbeitslose € 10,00. Ein © Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. Beitrittsformular kann bei der Geschäftsstelle ange- fordert werden. Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt, die Verfasser für den Inhalt verantwortlich. Beiträge, Herausgeber des newsletters: Tagungsberichte, öffentliche Aufrufe und Ankündi- Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. gungen, Informationen über laufende Forschungs- projekte (v. a. Dissertationen und Habilitationen), Vorstand: geplante Tagungen, Ausstellungen, Forschungsein- - 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Stig Förster richtungen oder Calls for Papers richten Sie bitte per - 2. Vorsitzender: Prof. Dr. Sönke Neitzel E-Mail oder auf Datenträger an die Redaktion unter - Schatzmeister: PD Dr. Christian Koller der angegebenen Adresse. Die Redaktion behält sich - Schriftführer: PD Dr. Dierk Walter das Recht vor, Beiträge abzulehnen, geteilt abzu- - Beisitzer: Dr. Markus Pöhlmann, Dr. Alaric Sear- drucken oder in Vereinbarung mit dem/der Verfas- le, Dr. Kerstin von Lingen ser/-in zu kürzen. - Ehrenvorsitzende: Prof. Dr. Wilhelm Deist †, Prof. Dr. Gerd Krumeich Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. Geschäftsstelle Bankverbindung: Historisches Institut Postbank Karlsruhe Universität Bern BLZ 660 100 75 - Konto-Nr. 347373755 Länggassstr. 49 CH-3000 Bern 9 Herstellung: Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. in Verbindung E-Mail Geschäftsstelle: mit dem Historischen Seminar II der Heinrich- [email protected] Heine-Universität Düsseldorf. E-Mail Redaktion: Bezug: [email protected] Der newsletter erscheint zweimal jährlich; Mitglieder des Arbeitskreises erhalten den newsletter kostenlos; ISSN 1434-7873 (gedruckte Ausgabe) Bezug durch den Arbeitskreis Militärgeschichte http://www.akmilitaergeschichte.de e. V. Preis je Heft € 10,— (inkl. Versand).

3 Inhalt

INHALT

INHALT ...... 3

EDITORIAL ...... 4

ESSAYS ...... 4 Pflicht zum Untergang – Die deutsche Kriegführung im Westen des Reiches 1944/45. Von John Zimmermann ...... 4

Die Junkerschulgeneration – eine militärische Elite des „Führers“? Ergebnisse einer Untersuchung der Absolventen der SS-Führerschulen. Von Jens Westemeier ...... 8

WISSENSCHAFTLICHE PROJEKTE ...... 13 Paul Kuhlo – Kommandeur des Ostasiatischen Marine-Detachements und japanischer Kriegsgefangener (Dissertation). Von Christian Bormann ...... 13

The 1918 Occupation of the Ukraine by the Central Powers (Magisterarbeit). Von Wolfram Dornik ...... 14

Die westdeutsche Militärhilfe für afrikanische Staaten, 1960 – 1973 (Dissertation). Von Carola Eugster ...... 16

Begegnung zweier Welten? Medienstrategien und Medienbilder der britischen und der deutschen Militärführung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Dissertation). Von Christian Götter ...... 18

Des Teufels Offiziere? Denk- und Deutungsmuster von Soldaten der Waffen-SS (Examensarbeit). Von Frederik Müllers ...... 19

Militärgerichtsbarkeit im Deutschen Kaiserreich 1871-1918 (Dissertation). Von Helmut Rübsam ...... 20

Im Dienste seiner Majestät: Netzwerke im preußischen Offizierkorps 1713-1786 (Dissertation). Von Carmen Winkel ...... 22

HISTORISCHE ORTE, INSTITUTIONEN UND FORSCHUNGSBERICHTE ...... 23 „Militärgeschichte ausstellen“ am Beispiel der Neukonzeption des

Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Von Gorch Pieken ...... 23

VERANSTALTUNGEN, TAGUNGSBERICHTE ...... 27 Kolloquium zur Militärgeschichte für Nachwuchswissenschaftler/-innen an der Univ. Mainz. Von Takuma Melber ...... 27

UNENDLICHE WELTEN ...... 34 Abschiedsexkursion zu Ehren Gerd Krumeichs. Von Ingo Eiberg ...... 34

ANKÜNDIGUNGEN, CALL FOR PAPERS ...... 37 51. ITMG des MGFA vom 22. bis 24. September zum Thema: Auf dem Weg zur Wiedervereinigung: Die beiden deutschen Staaten in ihren Bündnissen 1970-199 ...... 37

Editorial / Essays 4

EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser!

Mit dem Militärhistorischen Museum der John ZIMMERMANN beleuchtet in seinem Bundeswehr (MHM) entsteht derzeit das Beitrag „Pflicht zum Untergang“ ein bis in größte militärgeschichtliche Museum die aktuelle Forschung hinein nur selten ge- Deutschlands – eine beachtliche Kombinati- nauer beachtetes Themenfeld: Die deutsche on alter und neuer Architektur, mit der Kriegführung und das militärische Ende des Dresden wieder ein neues Prestigeprojekt Zweiten Weltkrieges im Westen des Reiches. vorzuweisen hat. Dabei war der heute als Mit seinem Essay „Die Junkerschulgenerati- virtuos gefeierte Entwurf von Daniel Li- on – eine militärische Elite des ‚Führers‘?“ beskind zunächst alles andere als unumstrit- präsentiert Jens WESTE MEIER Ergebnisse ei- ten. Mit seinem Neubau des Imperial War ner Untersuchung der Absolventen von SS- Museum in Manchester hatte der Architekt Führerschulen und berichtigt das vielfach zwar schon eindrucksvoll bewiesen, dass er (noch immer) von irrigen Annahmen be- dem heiklen Thema Kriegsgeschichte ge- stimmte Bild der Waffen-SS. wachsen ist. Dennoch gipfelten Vorwürfe Neben einem ausführlichem Bericht von nach Bekanntwerden seines MHM-Entwurfs Takuma MELBER zum „Kolloquium zur Mili- – mit dem er sich gegen internationale Kon- tärgeschichte für Nachwuchswissenschaft- kurrenz, wi e Ludwig Thürmer und KSP En- ler“, welches vom 17.-19. Mai an der Univ. gel und Zimmermann, durchgesetzt hatte – Mainz stattfand, finden sich im vorliegenden schon bald in „architektonische Vergewalti- Newsletter auch wi e d er sieben Vorstellungen gung“ und „Blitzkrieg“ (FAZ). aktueller wissenschaftlicher Projekte. Dar- Eine Ansicht des neuen Arsenalgebäudes über hinaus berichtet Ingo EIBERG von der (© Architekt Daniel Libeskind AG) findet sich Abschiedsexkursion zu Ehren Prof. Dr. Gerd auf unserem Cover. Krumeichs, seit 1997 Lehrstuhlinhaber für Die anfänglichen Aufschreie wegen des Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine- radikalen Einschnitts in den Altbau, einer Universität Düsseldorf und zudem Ehren- angeblichen Zerstörung des denkmalge- vorsitzender unseres Arbeitskreises, welche schützten Arsenals, wichen alsbald der Be- vom 20.-25. März durch Frankreich und geisterung. Allein die eine (ständig wieder- Süddeutschland führte. kehrende) Frage blieb: Hat ein Militärmuse- Letztlich sei auf die Ankündigung zur 51. um, wie modern es auch sei, in der mitunter Internationalen Tagung für Militärgeschich- fast „aggressiv pazifistischen Bundesrepu- te des MGFA in Potsdam vom 22.-24. Sep- blik von heute“ (WELT) überhaupt eine reel- tember verwiesen, welche sich der Frage le Chance? Immerhin war man Jahrzehnte widmen wird, welche Rolle Veränderungen ohne eine so große, zentrale Einrichtung der Sicherheits- und Militärpolitik für die ausgekommen. Dr. Gorch PIEKEN, Wissen- Ereignisse von 1989 und 1990 gespielt haben. schaftlicher Leiter des MHM, stellt in seinem Beitrag „Militärgeschichte ausstellen“ die Viel Spaß bei der Lektüre! Neukonzeption des Museums vor – und geht damit (auch) dieser Frage auf den Für die Redaktion: Daniel Karch Grund.

ESSAYS

Pflicht zum Untergang – Die deutsche Kriegführung im Westen des Reiches 1944/45. Von John Zimmermann

Das militärische Ende des Zweiten Welt- lässigtes Objekt der historischen Forschung. krieges, zumal gegenüber den westlichen Herausragende Vertreter der Kriegsgenera- Alliierten, blieb jahrzehntelang ein vernach- tionen dominieren bis heute die veröffent-

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lichte Meinung in der Bundesrepublik. Trotz schaft sehen, welche die deutschen Einheiten relativ früh begründeter Zweifel an der ger- zusammengehalten habe. Obwohl der ne zitierten Professionalität und vor allem Durchlauf an Soldaten in der Endphase an- „Sauberkeit“ der Wehrmacht – erinnert sei gesichts der horrenden Verlust- und den an die richtungsweisenden Studien von noch höheren Gefangenenzahlen zu groß Manfred Messerschmidt und Klaus-Jürgen gewesen war, um diese These zu stützen, Müller bereits Ende der 1960er Jahre – büß- konzentrierten sich beinahe alle westlichen ten sie an Wirkungsmacht kaum ein. Und Armeen in der Nachkriegszeit auf die Erzie- die sich seit Ende der 1980er Jahre entwi- hung ihrer Soldaten eben zu jener kleinen ckelnde Erinnerungsliteratur widmete sich Kampfgemeinschaft. mehr den Schrecknissen der letzten Monate Denn bis in die aktuelle Forschung hinein für die Deutschen auf der lokalen, höchstens wurde der damalige Soldat allein im Kon- regionalen Ebene. Wissenschaftlich meist text des Phänomens Weitermachen innerhalb weniger relevant, dienten diese Werke eher seines militärischen Systems betrachtet, der von Thomas Kühne so benannten nicht auch das dahinterstehende Indivi- „Selbstviktimisierung“ als der tatsächlichen duum beurteilt. Ungeprüft blieb auch, was Aufarbeitung der Vergangenheit, und die der deutschen Kriegführung im Westen Frage der Verantwortlichkeit war bestenfalls überhaupt zur Verfügung stand, wie der nachrangig. Hinsichtlich der Auseinander- Kampfwert der dort stehenden Truppen zu setzung mit den westlichen Kriegsgegnern beziffern war und wie bewusst den Trup- erschien dies womöglich nicht opportun, penführern das Missverhältnis zwischen hatte sich doch im Kontext von Kaltem Krieg Mitteln und Anforderungen war. Näher un- und Westintegration der Bundesrepublik tersucht wurden allein die Invasionskämpfe Deutschland inzwischen ein freundschaftli- in der Normandie sowie die Ardennenoffen- ches Verhältnis entwickelt. Im Interesse ei- sive. Erst die bahnbrechende Studie von nes für notwendig erachteten politischen Klaus-Dietmar Henke nahm die letzte Phase Konsenses stimmten sogar die ehemaligen des Krieges im Westen grundsätzlich ins Vi- Widersacher der Meinung zu, es habe sich sier, jedoch beinahe ausschließlich aus US- im Westen um einen Krieg gehandelt, der im amerikanischer Perspektive. Die letzten Mo- Großen und Ganzen in zivilisierten Bahnen nate des Zweiten Weltkrieges blieben in ih- verlaufen sei. Auf einen kurzen Nenner ge- rer Dimension als eine der größten demo- bracht, habe die Wehrmacht im Anschluss graphischen Katastrophen der deutschen an die Invasion in der Normandie und die Geschichte wissenschaftlich kaum unter- Vertreibung aus Frankreich solange weiter- sucht. gekämpft, bis sie einem in jeder Hinsicht Es existieren also gleich mehrere gute überlegenen Gegner erlegen sei. Kaum et- Gründe, die deutsche Kriegführung im Wes- was dürfte die Unterordnung der histori- ten in den letzten Monaten genauer zu un- schen Auswertung unter die Entwicklung tersuchen, die sich vor allen Dingen aus of- der Nachkriegszeit mit ihrem Ost-West- fensichtlichen Widersprüchlichkeiten erga- Gegensatz deutlicher ausdrücken als diese ben. So wollte die Wehrmacht angetreten Feststellung. sein, um das „Vaterland“ und dessen Be- Dass es deutsche Soldaten waren, die mit wohner zu verteidigen und zugleich ihren ihrem Kampf im Westen das Reich schützen Kameraden im Osten den Rücken freizuhal- wollten und doch in der Konsequenz die ten. Auch die deutsche Bevölkerung war wie Zerstörung der eigenen Heimat in Kauf ihre Soldaten in der Mehrheit zwar nach- nahmen, blieb unbeachtet. Dies empfanden weislich längst kriegsmüde, zur Aufgabe je- indes schon viele Zeitgenossen als Wider- doch größtenteils nicht bereit. Bevölkerung spruch, wie selbst die Feldpostprüfstellen und Armee erfüllten so die Hoffnungen des der Wehrmacht eingestehen mussten. Die Regimes auf eine bis auf die individuelle Einsicht, die Waffen niederzulegen, folgte Ebene reichende totalisierte Kriegführung daraus jedoch nicht. Selbst die westalliierten mehrheitlich nicht, entzogen ihm aber Führungsstäbe waren bis nach dem Krieg gleichwohl nicht in Gänze das Vertrauen. von der Durchhaltefähigkeit der Wehrmacht Trotz der absoluten Überlegenheit des west- beeindruckt und wollten den Grund dafür in lichen Gegners dauerte der Krieg dennoch der so genannten kleinen Kampfgemein- fast ein Jahr an und forderte den Alliierten

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höchste Anstrengungen ab. Das war auch tär an. So lässt sich auf der Grundlage sämt- der Tatsache geschuldet, dass die deutsche licher zur Verfügung stehender Quellen, von Wirtschaft 1944 ihren Höchstausstoß ver- der offiziellen Überlieferung bis hin zu Ego- zeichnete – was wiederum nicht verhinderte, Dokumenten, eine Schnittmenge bilden, die dass es den deutschen Streitkräften an allem eine veritable Aussagekraft hinsichtlich der mangelte. Motivationslage der Akteure beanspruchen Im Kern stellen sich also zwei erkenntnis- darf. leitende Fragen: Zum einen, wie es der au- Die Ergebnisse dieser Studie zeigen: Die genscheinlich hoffnungslos unterlegenen führenden Militärs des „Dritten Reiches“ Armee gelingen konnte, die endgültige Nie- ebenso wie die ihnen unterstellten Soldaten derlage noch beinahe ein Jahr hinauszuzö- hätten – gerade aus rein handwerklich- gern, und zum anderen, warum die Mehr- militärischer Perspektive betrachtet – den heit der Deutschen – gerade in der Wehr- Krieg spätestens im Herbst 1944 als verloren macht – bereit war, bis „fünf nach zwölf“ anerkennen müssen. Der Gegner verlangte weiterzumachen? Zur Untersuchung dieser nichts weniger als die bedingungslose Kapi- Fragestellung gilt es, die Perspektive der tulation, über Verbündete verfügte das deutschen Seite einzunehmen. Hierzu ist der Deutsche Reich kaum noch und vom Re- Blick zunächst auf die Bedingungen zu rich- kordausstoß an Rüstungsgütern profitierte ten, unter denen die Akteure den Krieg fort- die deutsche Kriegführung nicht mehr, weil zuführen hatten: auf den politischen und die alliierten Bomber den Nachschub für die wirtschaftlichen Rahmen sowie die militäri- Truppen lahm legten. Demgegenüber konn- sche Ausgangslage im Herbst 1944, als die te der Gegner materiell aus dem Vollen Wehrmacht im Westen zum Großteil auf die schöpfen, war bestens ausgerüstet und litt Reichsgrenzen zurückgedrängt war. Hieran unter keinen nennenswerten Nachschub- anschließend rückt die Wahrnehmung der schwierigkeiten. Zu dieser materiellen Be- deutschen Militärs ins Zentrum der Betrach- schränktheit trat – was letztlich noch we- tung: Wie stellte sich die Gesamtsituation sentlicher zur Entschlussfindung der Mili- für sie dar, über welches Wissen verfügten tärs hätte beitragen müssen – der Mangel an sie und an welche Lösungswege dachten sie, Soldaten. Wohl versprach die Proklamation um das Reich mit welchem Ziel zu verteidi- des „Volkskrieges“ durch Goebbels im Ok- gen? Dieser methodische Ansatz wurde tober 1944 neue Uniformträger, zu Soldaten deswegen gewählt, weil er bis heute gültigen waren diese allenfalls erst noch zu machen, militärischen Regeln folgt: Auf die Feststel- wofür es wiederum an Zeit und Ausbil- lung der Feindlage folgt die Beurteilung der dungsmitteln fehlte. Welle um Welle aus eigenen Lage, vor deren Hintergrund dem Boden gestampfter Verbände – zum schließlich der gegebene Auftrag unter Be- Schluss fochten nominell 254 deutsche Divi- rücksichtigung des Verhältnisses von Mit- sionen – führten dabei einen weitgehend teln und Möglichkeiten bewertet wird. Um vorindustriellen Krieg. Zum Jahreswechsel der rätselhaft erscheinenden Frage auf die 1944/45 wurde auf den Jahrgang 1928, im Spur zu kommen, warum bedeutende Teile Februar auf 1929 zurückgegriffen; noch im der Wehrmacht den Kampf trotz der Aus- gleichen Monat genehmigte Hitler gar die sichtslosigkeit ihrer Lage weiterführten, un- Aufstellung eines Frauenbataillons. Wäh- tersucht die vorliegende Arbeit die Motiva- rend die Jahrgänge 1930 und 1931 zur Ein- tionen verschiedener Gruppen, die in engem ziehung vorbereitet wurden, integrierte man Bezug zueinander standen, sich jedoch in HJ-, RAD- und Polizei-Verbände in die Ge- unterschiedlichen situativen und institutio- fechtsführung. Der Volkssturm, quasi aufge- nellen Kontexten bewegten: 1. die der Solda- rufen als Reserve der „Volksgemeinschaft“, ten auf dem Schlachtfeld, 2. die ihrer kriegs- vermochte die in ihn gesetzten Hoffnungen gefangenen Kameraden im westlichen Ge- zudem nicht zu erfüllen. Seine Milizionäre wahrsam, und 3. die der Frauen. Im Gegen- waren kaum ausgebildet, dürftig bewaffnet, satz zu den Uniformträgern auf dem zumindest im Westen mehrheitlich unmoti- Schlachtfeld waren die Kriegsgefangenen viert und stellten in der Regel eher eine Be- nämlich nicht mehr von Verwundung und lastung für die reguläre Truppe dar. Als Er- Tod bedroht, die hier untersuchten Frauen satz für dieses ohnehin schon bunte Sam- wiederum gehörten nicht dem System Mili- melsurium schickte man der Front im letzten

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halben Jahr des Krieges willkürlich zusam- wofür sie bei einer klassischen Rollenzutei- mengewürfelte Marschbataillone aus Gene- lung allein verantwortlich waren, nämlich senden, sogenannten Magen- und Ohren- Heim und Herd. Erst als deren Zerstörung kranken oder überzähligen Marine- und keinem anderen Zweck mehr dienen konnte Luftwaffenbesatzungen, die letztlich nicht als der Verzögerung eines doch als unaus- einmal mehr zu bewaffnen waren. Fahrrad- weichlich erkannten Endes, kamen die Frau- verbände sollten gepanzerte Kräfte angrei- en zu dem Schluss, aufzugeben. Für den bis fen, eine Art Guerillakrieg hinter den schnell dahin gefochtenen Kampf ihre Lieben zur vorstoßenden Alliierten Nachschublinien Disposition zu stellen, war indessen nur we- und Depots vernichten, auf Lkw montierte nigen fragwürdig erschienen. Flakgeschütze Artillerie simulieren und vie- Zweifellos waren die Gründe für das les mehr. Dass es den Fahrrädern an Reifen Verhalten der Deutschen in dieser Phase fehlte, den Lkws an Sprit, den Geschützen höchst different, gemein scheint ihnen un- an Munition und für eine Guerillataktik an abhängig von Status und Geschlecht aber hinlänglicher Motivation, unterstreicht die dreierlei gewesen zu sein: Die Anhänglich- militärische Fragwürdigkeit dieser Ver- keit an die Person Hitlers, die Überzeugung zweiflungsmaßnahmen. Zur Anwendung – wie differenziert im Einzelfall auch immer wurde alles gebracht, was den Krieg noch – von den „guten“ Seiten des Nationalsozia- verlängerte, Rücksichten gab es kaum mehr. lismus und vor allem der Wille, den Krieg Selbst die Bevölkerung fürchtete die eigene zu überleben. Letzteres war am ehesten si- Truppe rasch mehr als den Gegner. cherzustellen, wenn Mann und Frau das ta- Die zeitgenössischen Begründungen für ten, was das Regime ihnen abverlangte, aber die aufgeschobene Niederlage variierten auf eine Weise, welche die Kriegsgefahren freilich. Vom Wunderglauben an den Sieg ist minimierte. Dieses business as usual war im genauso die Rede wie von der Erreichung Sinne der Kriegführung ineffektiv, für die eines irgendwie erträglichen Friedens, von bloße Verlängerung des Krieges indes aus- einer Bereitschaft zur bedingungslosen Ka- reichend. Bis hin zur Übernahme des Argu- pitulation hingegen nicht. Stattdessen domi- ments von der „Pflichterfüllung“ über sozia- niert der Topos einer ominösen „Pflichterfül- le und Geschlechter-Grenzen hinweg wurde lung“ in der Rechtfertigung für das eigene so ein Schulterschluss vollzogen, der sich Handeln. Dabei muss in Rechnung gestellt über das tatsächliche Kriegsende hinaus als werden, wie dehnbar dieser Begriff war. tragfähig erweisen sollte. Konformität wird eben gerade durch Unauf- Insofern war das Weitermachen der fälligkeit vermittelt. Man durfte also weder Deutschen also naheliegend und menschlich dem Gegner noch den eigenen Vorgesetzten nachvollziehbar, weil es das relativ geringste auffallen. Gleichzeitig ist die Frage nach den persönliche Risiko mit eingeübter Konformi- Gründen für das konformistische Verhalten tät verband – nicht erst im „Dritten Reich“ vieler Wehrmachtsangehöriger auch immer ein allgemeines deutsches Phänomen. eine nach den Alternativen. Dass die meis- Schlagworte wie „Pflichterfüllung“, „Ehre“ ten Deutschen solche offenbar nicht sahen, oder „Vaterland“ gehörten zum Wertekanon war augenscheinlich nicht an die unmittel- der Deutschen lange vor Hitler. Sie erwiesen bare Todesbedrohung oder die Einbindung ihre vordergründige Tragfähigkeit in der in das hierarchische System Militär gekop- letzten Phase des Zweiten Weltkrieges eben- pelt, denn sowohl „die“ Kriegsgefangenen so wie in der Nachkriegszeit und bis weit in als auch „die“ Frauen machten weiter. Der die neue westdeutsche Staatlichkeit hinein. Gedanke, den Widerstand aufzugeben, kam Propaganda und Terror forderten und för- erst ganz zuletzt auf. Bei Frauen zeigte sich derten die Einsicht in eine zunehmend myt- der Wille zur Einstellung des Kampfes aller- hisch überhöhte Auseinandersetzung um dings zu einem früheren Zeitpunkt als bei angebliches Sein oder Nichtsein. Parolen Männern. Sie plädierten nämlich für die Ka- und Strafandrohungen passten sich dem an. pitulation – um es plastisch zu formulieren – Bei der Wahl zwischen der Lebensgefahr an , bevor das eigene Hab und Gut zerstört der Front und dem Risiko, Henkern aus den wurde, nicht erst danach, wie die meisten eigenen Reihen zum Opfer zu fallen, moch- Männer. Ihre Definition der „Pflichterfül- ten sich viele für die Anpassung entschieden lung“ endete dort, wo das zu verlieren war, haben; angesichts der praktizierten Sippen-

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haft ein nachvollziehbarer Entschluss. Das Das ex post so gern gebrauchte Argu- hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass die ment von den eingeengten Handlungsspiel- Führung im „Dritten Reich“ bis zum Ende räumen kann nur indes nur dort greifen, wo ein System aus Unterdrückung und Anreiz das Regime noch in der Lage war, Druck aufrecht zu erhalten vermochte, das wohl auszuüben, was immer weniger der Fall manchen korrumpiert haben dürfte. Nicht war. Die Mehrheit hatte gerade durch die nur die Verlustzahlen stiegen gegen Kriegs- von Hitler erzwungene Einmischung ins mi- ende, sondern auch die Karrierechancen, litärische Detail profitiert und überbot sich nicht nur die einfachen Soldaten wurden darin Maßnahmen, ihrem „Führer“ entge- immer jünger, sondern auch die sie führen- genzuarbeiten. Sie scheuten sich nicht, dem den Vorgesetzten, weil sie immer schneller Regime bei der Terrorisierung der eigenen befördert werden mussten. Soldaten und der eigenen Bevölkerung zu Verantwortung und Verantwortlichkeit sekundieren. Damit schloss sich ein Kreis, für das eigene Handeln wurden stattdessen der nicht erst bei der Selbstunterwerfung nur in der Ausnahme wahrgenommen. Dass unter das NS-Regime lange vor dem Krieg die Fortführung des Krieges auch das Beste- begonnen worden war. Kurz gesagt: Das hen des NS-Regimes mitsamt seines Terror- letzte Jahr des Zweiten Weltkrieges war der und Mord-Apparates verlängerte, stand Kulminationspunkt eines spezifisch deut- nicht zur Debatte. Ob dabei der mythisierte schen Militarismus. Erfahrungshintergrund des Novembers 1918 eine Rolle spielte, die Angst vor der Rache Literatur: der Sieger, die Furcht vor dem Sturz in die berufliche und gesellschaftliche Bedeutungs- Zimmermann, John, Pflicht zum Untergang losigkeit oder eine Mischung dieser oder – Die deutsche Kriegführung im Westen des weiterer Motive, allen ist eines gemein: Sie Reiches 1944/45. Paderborn 2009 (Zeitalter negieren samt und sonders die Verantwor- der Weltkriege, 4). tung gegenüber dem „Vaterland“ und seiner Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches Bevölkerung. Entscheidend blieb einzig, ob 1945. Zwei Halbbände. Im Auftrag des eine Maßnahme noch umgesetzt werden MGFA hrsg. von Rolf-Dieter Müller. Mün- konnte, nicht ob sie militärisch sinnvoll war. chen 2008 (Das Deutsche Reich und der Das schloss die materielle und physische Zweite Weltkrieg, 10/1 und 10/2). Zerstörung des Reiches samt seiner Bewoh- ner mit ein. So tun als ob (Siegfried Westphal, Henke, Klaus-Dietmar, Die amerikanische Erinnerungen, Mainz 1975, 333) bildete da- Besetzung Deutschlands. München 1995 bei das Bindeglied zwischen dem funktio- (Quellen und Darstellungen zur Zeitge- nierenden Soldaten und dessen Überle- schichte, 17). benswillen. Dieser Zweiklang deutete per- Kunz, Andreas, Wehrmacht und Niederlage. spektivisch über das Kriegsende hinaus und Die bewaffnete Macht in der Endphase der mochte nicht nur ein Weiterleben, sondern nationalsozialistischen Herrschaft 1944 bis gerade den Eliten ihren Statuserhalt verspre- 1945, München 2005 (= Beiträge zur Militär- chen. Deswegen versuchten sie durch stän- geschichte, 64). diges Improvisieren ihre Professionalität un- ter Beweis zu stellen.

Die Junkerschulgeneration – eine militärische Elite des „Führers“? Ergebnisse einer Un- tersuchung der Absolventen der SS-Führerschulen. Von Jens Westemeier

Das Bild der Waffen-SS wird noch immer politik gesellschaftliche Akzeptanz erlang- von den irrigen Annahmen bestimmt, sie ten, maßgeblich auf die Umtriebigkeit orga- habe mit Himmler, Holocaust und Vernich- nisierter SS-Veteranen und ihrer Bewunde- tungskrieg nichts zu tun gehabt – Fehlurtei- rer zurückzuführen sind, bisweilen aber le, die während Adenauers Vergangenheits- auch durch die Geschichtsschreibung festge-

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schrieben wurden. Besonders hartnäckig die aufgrund ihrer Verdienste während der hält sich die Vorstellung, die Waffen-SS sei „Kampfzeit“ und mit Hilfe alter Freund- eine militärische Elitetruppe gewesen. Aktu- schaften in hohe Positionen gelangt waren, elle Forschungen zur Frage nach diesem Eli- hatte daher nach 1933 die jüngere Generati- testatus, dem Grad der nationalsozialisti- on vor der Ernennung zum SS-Führer eine schen Ideologisierung, dem Handlungsrah- Führerschule zu absolvieren, auf der sie so- men der Waffen-SS-Männer und ihrer Betei- wohl militärisch ausgebildet als auch nach- ligung an NS-Verbrechen widerlegen diese haltig auf Himmlers Weltanschauung einge- überholten Klischees. Aufbauend auf diesen schworen werden sollte. Während des Krie- neuen Erkenntnissen, zeigt die hier vorge- ges stilisierte die NS-Propaganda die Jun- stellte Dissertation die ungenügende militä- kerschulen zu elitären Kaderschmieden. So rische Ausbildung der Waffen-SS und hält verklärte Himmler die zahlreichen gefalle- als besonderes Kennzeichen der Waffen-SS- nen Regiments- und Bataillonskommandeu- Führer deren unprofessionellen, menschen- re, als er in einer Rede an die Gruppenführer verachtenden Führungsstil und die von ih- am 9. Juni 1942 über die Führerverluste der nen befohlenen Kriegsverbrechen fest. Waffen-SS sprach: „Es sind [sic!] also der Daneben bestätigt die Studie, wie fest die erste, beste Nachwuchs, den wir im Jahre Waffen-SS im Nationalsozialismus verwur- 1934 aus den Junkerschulen Tölz und Braun- zelt war, der sowohl die Voraussetzung ih- schweig, aus den ersten Jahrgängen von rer Existenz als auch ihre weltanschauliche Idealisten bekamen, die zu Bataillonskom- Basis bildete. Personifiziert waren diese mandeuren herangewachsen waren.“1 SS- Charakteristika in den SS-Führern der soge- Veteranen und Bewunderer der Waffen-SS nannten Junkerschulgeneration, die einen feiern noch heute die Junkerschulen als Er- Untersuchungsschwerpunkt der Dissertati- ziehungsstätten einer militärischen Elite und on bildet. Hierzu wurde ein kollektivbiogra- Avantgarde eines neuen Europa. fischer Ansatz gewählt, deren zentrale Er- Die erste SS-Führerschule hatte Heydrich gebnisse in der Folge vorgestellt werden. 1934 im oberbayerischen Tölz gegründet, ei- Auswertungsgrundlage bildete u.a. der ne zweite wurde in Braunschweig eingerich- Bestand des ehemaligen Berlin Document tet. Die grundsätzliche Genehmigung dazu Center (Personalakten des SS-Personal- hatte sich Himmler am 18. Oktober 1934 von hauptamtes und des Rasse- und Siedlungs- Hitler anlässlich einer Besprechung über den hauptamtes, Bestand BDC, SSO u. RS) im Einsatz der Verfügungstruppe für den Fall Bundesarchiv (BA) Berlin-Lichterfelde, der innerer Unruhen eingeholt. Bis 1938 zählten Bestand Persönlicher Stab RFSS (BA, NS 19), die Führerschulen jedoch nicht zur Verfü- der Bestand Waffen-SS (RS) im BA- gungstruppe, sondern firmierten als Einrich- Militärarchiv (BA-MA) und im Militärarchiv tungen der NSDAP. Der erste Lehrgang fand Prag, sowie der Nachlass HIAG im BA-M A vom 1. April bis 22. Dezember 1934 in Tölz (B 438). Biografische Ergänzungen fanden statt; 83 Führeranwärter bestanden. Dieses sich in Ermittlungs- und Gerichtsakten u.a. erste Experiment zeigte schon bald, dass et- der US-Militärprozesse im US National Ar- liche Teilnehmer ohne die geringsten Vor- chive (u.a. RG-338), im BA Ludwigsburg kenntnisse angereist waren und das militäri- und im Simon-Wiesenthal-Archiv Wien, in sche Ausbildungsziel, zumindest zum Füh- Entnazifizierungs- und Spruchkammerakten ren eines Infanteriezuges befähigt zu sein, der Staats- und Landesarchive und in Archi- weit verfehlten. Künftige Teilnehmer nah- ven verschiedener KZ-Gedenkstätten. Der men ab 1935 an eilig eingerichteten Führer- Bestand WASt war für eine breite Auswer- anwärterlehrgängen teil. Während der drei tung nicht zugänglich. Monate dauernden Lehrgänge erhielten die An der Spitze der SS stand Reichsführer Führeranwärter eine militärische Grundaus- Himmler, der sie nach eigenen Vorurteilen, bildung. Allerdings konnte von einer Stan- Marotten und Vorlieben aufbaute. Für seine dardisierung der Grundausbildung keine zukünftigen SS-Führer wünschte Himmler Rede sein: Wie schon bei der Führung der sich eine Ausbildung, die das militärische einzelnen Standarten hatte jeder Komman- Ausbildungsniveau und Sozialverhalten deur seine eigenen Vorstellungen und expe- vereinheitlichte. Anders als jene SS-Führer, rimentierte nach Gutdünken; jeder Lehr-

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gangsleiter wiederum setzte die Vorstellun- Vergleich der Ausbildungszeiten der jungen gen seines Kommandeurs anders um – das SS-Führer mit einem Offiziersanwärter der Provisorische wurde zur Norm. Das Prob- Wehrmacht zeigt dies. Selbst als die Reichs- lem wurde nicht beseitigt, noch 1940 beklag- wehr im Zuge der Aufrüstung die Offi- ten sich die Schulleiter über eine mangelnde ziersausbildung von fünf (1927) auf zwei Vorausbildung. Jahre (1933) verkürzte, erhielt jeder Offi- Am 24. April 1935 begann mit 240 Junkern ziersanwärter eine intensivere militärische der erste Lehrgang an der dem SS-Hauptamt Ausbildung als die Junkerschulabsolventen. unterstellten Führerschule Braunschweig.2 Da die nationalsozialistischen Erzie- Wer war für die Ausbildung zuständig und hungsziele als Grundsätze der Lebensfüh- was wurde insbesondere in militärischer rung in allen Unterrichtsfächern vermittelt Hinsicht vermittelt? Unter anderem lassen wurden, war die SS-Ideologie auch in der sich sechs Taktiklehrer nachweisen, bei de- militärischen Ausbildung allgegenwärtig. nen es sich um „alte“ Männer und Pensionä- Dies garantierten nicht nur die Weltan- re handelte, die nur mit Widerwillen einst- schauungs-, sondern auch die Fachlehrer, mals ihre Uniform abgelegt hatten und der die samt und sonders Nationalsozialisten NSDAP nahe standen. Die SS bot ihnen eine waren. So verband das Fach Heerwesen all- neue Heimat, Karrierechance und soziale Si- gemeine militärische mit SS-spezifischen cherheit. Zwischen 1871 und 1898 geboren, Führungs- und Verhaltensgrundsätzen. Dem lag ihr Altersdurchschnitt zu Lehrgangsbe- angehenden Führer sollte neben dem Fach- ginn bei fünfzig Jahren. Sie hatten schon vor und Vorschriftenwissen, das zur Führung 1933 mit Hitler sympathisiert, ohne aller- von Zug und Kompanie unerlässlich war, dings zu den sog. Alten Kämpfern zu gehö- ein SS-gemäßes Führerleitbild vermittelt ren. Als Taktiklehrer waren sie denkbar un- werden. „Heerwesen“ war in hohem Maße geeignet, da die militärische Entwicklung an Teil einer fächerübergreifenden Persönlich- ihnen vorbeigegangen war. Teilweise zehn keitserziehung, durch die hergebrachte mili- und mehr Jahre nicht mehr im Militärdienst, tärische Kenntnisse wie auch SS- verfügten sie nur über Weltkriegs- und Frei- ideologische Normen für den Truppenalltag korpserfahrung. Den Ansprüchen an eine verwertbar gemacht wurden. moderne oder gar elitäre Militärausbildung Neben der militärisch-fachlichen Ausbil- konnten sie in keiner Weise genügen. dung lag der zweite Schwerpunkt des Un- Die militärische Ausbildung kreiste mit terrichts auf der weltanschaulichen Erzie- den Fächern Taktik, Geländekunde und hung. „Weltanschauung“ wurde zweimal Waffendienst um die Praxis auf der Füh- pro Woche jeweils zwei Stunden unterrich- rungsebene des Infanteriezugs. Ziel war es, tet. Dazu kamen – auf Anregung der Junker dass der Junker eine etwa dreißig Mann – abendliche Diskussionsrunden und Lehr- starke Teileinheit, die sich in drei Gruppen veranstaltungen. Das Fach wurde neben gliederte, im Gelände einsetzen und im Ge- dem Fach Taktik in der Gesamtnote des Ab- fecht führen können sollte. Dazu gehörten schlusszeugnisses am höchsten bewertet. Es normalerweise der Einsatz der schweren In- wäre aber verfehlt, die weltanschauliche Er- fanteriewaffen sowie Grundkenntnisse im ziehung als Indoktrination anzusehen, und Pionier- und Fernmeldewesen. Es findet sich die isolierte Betrachtung des Weltanschau- jedoch kein Nachweis, dass den Führerschu- ungsunterrichts sollte nicht überbewertet len für die ersten Lehrgänge überhaupt werden. Vielmehr erhielt die nationalsozia- schwere Infanteriewaffen wie Maschinen- listische Grundüberzeugung der Junker, z.B. gewehre oder Granatwerfer zur Verfügung ihr Antisemitismus, in pseudo-wissen- standen. Da die rein militärisch-handwerk- schaftlichen Lehrgesprächen ein akademisch liche Ausbildung sich an Reichswehrvor- getünchtes Fundament. Die NS-Weltan- schriften hielt, war sie weder revolutionär schauung war die allen Junkern gemeinsame oder modern, noch konnten die Absolventen Grundüberzeugung, durch die sie über- daraus einen Eliteanspruch herleiten. Im haupt erst den Weg in die SS gefunden hat- Gegenteil, die Ausbildung war im Grunde ten. Der Junker musste daher nicht erst ler- unprofessionell, Bestandteil der Abschluss- nen, sich mit der SS und ihren Werten zu prüfung eine Fuchsjagd zu Pferd. Auch der identifizieren. Ein Teil von ihnen hatte sich

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in Österreich (etwa zehn Prozent der Absol- Nationalsozialismus ihre Freizeit opferten venten waren österreichische SS-Männer, die und sich bedingungslos einsetzten. 1934 nach Deutschland geflohen waren) 1936 wurden in der Dienstaltersliste 123 oder in der Kampfzeit bereits dafür geschla- Absolventen, also knapp 85 Prozent, als gen und übertraf in seinem politischen Fana- NSDAP-Mitglieder geführt; die tatsächliche tismus manchen Schultheoretiker. Der welt- Zahl der NSDAP-Mitglieder und -anwärter anschauliche Unterricht systematisierte die lag noch höher. Die Ende 1933 verhängte noch diffusen Vorstellungen der jungen Aufnahmesperre verhinderte zunächst den Männer; er war Teil einer nachfolgenden, gewünschten Parteieintritt vieler Interessen- jahrelangen Ideologisierung der SS-Führer, ten. Als die Aufnahmesperre 1937 gelockert die in der VT, den Totenkopf-Verbänden, in wurde, trat auch die Mehrzahl der restlichen Polizei, Sicherheitsdienst und den Ämtern 15 Prozent in die Partei ein. Die Führeran- das Selbstverständnis der SS ausmachte. wärter waren ohnehin überzeugte National- Der erste Braunschweiger Lehrgang ende- sozialisten, was nicht von ihrer Parteimit- te Anfang Februar 1936. Von den etwa 240 gliedschaft abhing. Führeranwärtern hatten ihn 147 erfolgreich Über die Verwendung der Junker ent- absolviert. Im Schnitt waren die Absolven- schied das Personalamt der Reichsführung ten zu Beginn des Lehrgangs zwischen 22 SS erst nach Abschluss des Lehrgangs. Ir- und 23 Jahre alt. Sie verteilten sich auf fol- gendein Muster, nach dem die Absolventen gende Geburtsjahrgänge: vom Hauptamt für die verschiedenen Dienststellen ausgewählt wurden, ist nicht Absolventen Führerschule Braunschweig erkennbar. Für den SD wurden anscheinend nach Geburtsjahrgängen besondere Vorkenntnisse und Fähigkeiten (Sprache, Studium, Auslandserfahrung) ge- 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 nutzt. Kaum einer kam wieder zu der Ein- 1 1 - - 3 5 14 heit, der er vor dem Lehrgang angehört hat- te. 51 der 147 Braunschweiger Absolventen 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 (knapp 35 Prozent) wurden auf Dienstpos- 17 24 27 35 16 2 1 ten in den späteren Waffen-SS- Kernverbänden Leibstandarte, Verfügungs-

truppe und Totenkopf-Verbände versetzt. Der älteste Teilnehmer gehörte dem Jahr- Im Zuge von Versetzungen zu diversen gang 1904, der jüngste Teilnehmer dem NSDAP- und SS-Dienststellen versahen Jahrgang 1917 an. Das heißt, keiner gehörte letztlich nur zehn Prozent der Absolventen zur Front- und Freikorpsgeneration; die ihren Dienst bis 1939 dauerhaft in „militäri- Teilnehmer bildeten vielmehr mit dem Jahr- scher“ Funktion. Die Vermutung, dass die gang 1910 und jünger eine neue Generation jüngeren Absolventen für Zugführerposten innerhalb der SS. Ein Teil war bereits Mit- in der VT ausgewählt wurden, findet keine te/Ende der 1920er Jahre zur SA und Bestätigung. Die Mehrzahl der in SS-Äm te r n NSDAP gestoßen und hatte sich in der verwendeten Junker übernahm nach Kriegs- „Kampfzeit“ bewährt, der andere Teil war beginn ohne weitere Ausbildung Einheiten schon aus Altersgründen erst nach der der Waffen-SS. Machtergreifung zur SS gekommen. Für die- Nach vorläufigen Schätzungen bildeten se vor dem Krieg in Braunschweig und Tölz die Junkerschulen bis Kriegsende rund ausgebildete jüngere Führergruppe inner- 15.000 SS-Führer aus, wobei die Kriegslehr- halb der SS wurde der treffende Begriff der gänge, wie die Lehrgänge für Reserveführer „Junkerschulgeneration“ gewählt, die sich und Versehrte, stark verkürzt waren. Bis von der älteren „Kriegsjugendgeneration“ Ende 1939 durchliefen 1.138 Führer einen deutlich abhob.3 Es waren junge Männer, die zehnmonatigen Friedenslehrgang – die ei- sich ganz bewusst für Hitler und dessen gentliche Junkerschulgeneration. Die Mehr- Bewegung entschieden hatten. Im Vergleich zahl dieser Junker fand sich bei der Ord- zu ihren Altersgenossen, Arbeitskollegen, nungspolizei wieder. Auch zum SD stießen Kommilitonen und Mitschülern waren es in der mittleren Aufbauperiode etliche Ab- politische Aktivisten, die für die Ziele des solventen aus Braunschweig und Tölz, wo

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sie nach kurzen Lehrgängen auf den SD- cherlobby organisierten die ehemaligen Jun- Schulen Bernau und Berlin-Grunewald Füh- ker die Kampagnen zur Aufhebung der Ur- rungspositionen einnahmen. Das SD-Haupt- teile gegen ihre Kameraden. Sie führten die amt war der Vorläufer des RSHA, das zur HIAG. Sie schrieben die Chroniken der Zentrale der rassischen Verfolgung und Stammdivisionen der Waffen-SS und deute- Vernichtung wurde. 1938 führte die Dienst- ten damit die Geschichte der Waffen-SS um. altersliste 22 Absolventen im SD-Dienst auf. Sie leugneten und verschwiegen in ihren Der erfolgreiche Abschluss der Junker- Schriften die von ihnen begangenen Verbre- schule implizierte keine bevorzugte Förde- chen. Auf diese Weise gelang es Himmlers rung. Die Braunschweiger Junker erreichten Kriegern, ein bis heute noch in der Bundes- bis 1945 zumeist noch den Dienstgrad eines republik vorherrschendes Geschichtsbild Sturm- bzw. Obersturmbannführers. Führer- von der Waffen-SS als „Soldaten wie andere bewerber, die den Lehrgang nicht bestanden auch“ zu verbreiten. In ihren Publikationen oder abgelöst wurden, waren von der Füh- retteten sie Ideologieversatzstücke des Nati- rerlaufbahn nicht automatisch ausgeschlos- onalsozialismus in die Bundesrepublik hin- sen, sondern konnten noch auf anderen We- über. Keiner der Junkerschulgeneration gen Führer werden. schwor der nationalsozialistischen Ideologie Soweit nachweisbar, fielen 53 der Braun- ab. schweiger Absolventen, also über 35 Pro- Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass zent, an der Front (davon einer in einer die Bewertung der Waffen-SS als militäri- Strafeinheit), sechs verunglückten tödlich sche Elitetruppe verworfen und als national- oder starben in Gefangenschaft, einer beging sozialistischer Mythos bewertet werden Selbstmord und einer wurde 1948 von den muss. Ihren Platz in der Geschichte sicherte Alliierten wegen seiner Kriegsverbrechen sie sich mit der Ungeheuerlichkeit ihrer Ta- hingerichtet. Fünf wurden wegen Kriegs- ten, das eigentliche Kennzeichen der Waf- verbrechen bzw. NS-Gewaltverbrechen ge- fen-SS bleiben die von ihr begangenen richtlich verurteilt. Paul Werner Hoppe war Verbrechen. Die nationalsozialistische Welt- Kommandant des KZ Stutthof und Johannes anschauung machte das politische Soldaten- Hassebroek Kommandant des KZ Groß- tum der Waffen-SS aus. Die von den SS- Rosen. Außer diesen zwei Tätern der Kon- Führern verinnerlichten, rassistischen Über- zentrationslager-SS gehörten mit Joachim zeugungen bedingten die menschenverach- Peiper – er war von 1938 bis 1941 Himmlers tende Gefechtsführung und die Kriegs- Adjutant–, Walter Reder und Fritz Knöch- verbrechen. Letztere sind nicht nur auf au- lein gleich drei der bekanntesten Kriegsver- genblickliche, militärisch zu lösende Situati- brecher der Waffen-SS dem ersten Führer- onen zurück zu führen, sondern auf die So- lehrgang Braunschweig an. Es bleibt festzu- zialisierung der SS-Führer, worauf die For- halten, dass es Himmler in der Tat gelang, schung schon frühzeitig hinwies. Diese The- die Führer der ersten Junkerschulgeneration se findet in neuen Untersuchungen wie auch charakterlich und ideologisch zu politischen in der vorliegenden Arbeit ihre Bestätigung, Soldaten zu formen und sie zu einem relativ und zwar nicht nur hinsichtlich des Vernich- homogenen Führerkorps zusammenzu- tungskrieges im Osten, sondern auch für die schweißen – zu „weltanschaulich gefestigten Kriegsverbrechen im Westen und Süden. Kämpfern“. Sie wurden zu „Kriegern“ im Jens Westemeier: Himmlers Krieger. Joachim archaischen Sinne des Wortes, wie es Himm- Peiper, Waffen-SS und Kriegsverbrechen. Dis- lers Kriegermythos entsprach. sertation Universität Potsdam 2009. Die Veröf- Die Junkerschulgeneration blieb über das fentlichung ist für 2011 im Verlag Ferdinand Kriegsende hinweg verbunden. Die Vetera- Schöningh vorgesehen. nen des ersten und zweiten Führerlehrgangs versammelten sich zum ersten Mal 1952, Literatur: dann jährlich zu Pfingsten zu sog. Jahr- Cüppers, Martin: Wegbereiter der Shoah. gangstreffen in Bad Tölz. Die entscheidende Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichs- Bedeutung für die Geschichte der Waffen-SS führer-SS und die Judenvernichtung 1939- gewann die Junkerschulgeneration in der 1945. Darmstadt 2005. Nachkriegszeit. Als Teil der Kriegsverbre-

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Gentile, Carlo: Wehrmacht und SS im Kampf Wegner, Bernd: Hitlers politische Soldaten. gegen Partisanen und Zivilbevölkerung in Die Waffen-SS 1933-1945. Paderborn 2008. Italien 1943-1945. Dissertation Köln 2008. Die Veröffentlichung ist für Herbst 2010 im 1 NA, RG 242, T-175, Rolle 90, S. 2664 ff, Himmler Verlag Ferdinand Schöningh vorgesehen. am 9.6.1942. 2 Erst über zwei Jahre später, am 5.5.1937, befahl Leleu, Jean-Luc: La Waffen-SS. Soldats Poli- Himmler, Tölz u. Braunschweig mit Wirkung tiques en Guerre. Paris 2007. zum 1.5.1937 als „SS-Junkerschulen Tölz und

Merkl, Franz-Josef: General Simon: Lebens- Braunschweig“ zu bezeichnen, BA-MA, RS 5/989, Befehl RFSS 5.5.1937. geschichten eines SS-Führers: Erkundungen 3 Wegner unterscheidet in seiner Untersuchung zu Gewalt und Karriere, Kriminalität und zwischen „älteren“ SS-Führern, die den Ersten Justiz, Legenden und öffentlichen Ausei- Weltkrieg u. die ihm folgende Revolutionszeit nandersetzungen. Augsburg 2010. zumindest als Heranwachsende erlebten u. den

Rohrkamp, René: „Weltanschaulich gefestig- nach 1903 Geborenen, die er zum „jüngeren“ SS- te Kämpfer“: Die Soldaten der Waffen-SS Führerkorps zählt, Wegner: Politische Soldaten, S. 214, Anm. 17. 1933-1945. Paderborn 2010.

WISSENSCHAFTLICHE PROJEKTE

Paul Kuhlo – Kommandeur des Ostasiatischen Marine-Detachements und japanischer Kriegs- gefangener (Dissertation) Von Christian Bormann

Im Zusammenhang mit imperialistischen Kurze Beschreibung der Tätigkeit des Ostasiati- Bestrebungen und der Kolonialpolitik des schen Marine-Detachements während der Bela- Deutschen Kaiserreichs im 19. Jh. ist die Ge- gerung von Tsingtau 1914 fest, den er ab ca. schichte der sogenannten „Musterkolonie 1917 in japanischer Kriegsgefangenschaft Kiautschou“ ein Beispiel für den Versuch, begann und der auf seinen Tagebüchern be- sich einen „Platz an der Sonne“ auf dem ruht. Anders als der Titel vermuten lässt, be- chinesischen Festland zu sichern. Der inhaltet der Bericht aber nicht nur einen prä- Wunsch nach einem Stützpunkt, Handels- zisen Überblick über Kuhlos Zeit als Kom- platz und sicheren Anlaufhafen für deutsche mandeur in Tsingtau, sondern auch eine Kriegsschiffe im Fernen Osten wurde mit ausführliche Darstellung der anschließenden der Landung des Kreuzergeschwaders unter Kriegsgefangenschaft in den Lagern Hon- Führung des Admirals von Diederichs in der ganji in Tôkyô-Asakusa und Narashino. Bucht von Kiautschou am 14. November Anhand dieser Aufzeichnungen sollen in 1897 verwirklicht. Während des Angriffs ja- vorliegendem Projekt die Rolle des OMD in panischer und britischer Truppen im Sep- Tsingtau vor dem Hintergrund des zu er- tember 1914 spielte vor allem das Ostasiati- wartenden Angriffs durch japanische und sche Marine-Detachement (OMD) eine wich- britische Truppen im September 1914 und in tige Rolle, welches unter dem Kommando den darauf folgenden militärischen Ausei- von Oberstleutnant Paul Kuhlo (1866-1943) nandersetzungen und die anschließende u.a. in den Kämpfen im Vorgelände den ja- Kriegsgefangenschaft der Truppenangehöri- panischen Truppenaufmarsch stören und so gen des OMD in Japan dargestellt werden. lange wie möglich aufhalten sollte. Mit der Somit ermöglicht Kuhlos Bericht eine Ausei- Kapitulation der Deutschen Kolonie im No- nandersetzung mit dem OMD bezüglich vember 1914 ging Kuhlo in die japanische zweier unterschiedlicher, aber zusammen- Kriegsgefangenschaft. Seine Erlebnisse als hängender Themenkomplexe, da er zum ei- Kommandeur des OMD und die Erinnerun- nen der Einschätzung der militärischen Lage gen an die anschließende fünfjährige Gefan- Tsingtaus und der Frage nach den Verteidi- genschaft in Japan hielt er in einem bisher gungsmöglichkeiten und der Rolle des OMD unveröffentlichten Bericht mit dem Titel darin nachgeht, und zum anderen das All-

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tagsleben in den Kriegsgefangenenlagern Einsatz von Marineverbänden in Ostasien Honganji und Narashino und die Behand- und in den deutschen Kolonien sind heute lung der Gefangenen durch die japanische nur fragmentarisch erhalten oder überdauer- Lagerleitung schildert. Das Bild des OMD in ten den Zweiten Weltkrieg nicht. Ein Doku- der japanischen Öffentlichkeit nach der mentenkonvolut aus dem Nachlass Paul deutschen Kapitulation und während der Kuhlos, welches neben o.g. Bericht auch Ur- anschließenden japanischen Kriegsgefan- kunden, Zeugnisse, Beurteilungsschreiben genschaft soll ebenso in die Überlegungen und zahlreiche Briefe und Postkarten ent- einbezogen werden. hält, die Kuhlo u.a. vom damaligen Kom- Das OMD wurde in der Forschung bisher mandeur der Landfront, v. Kessinger, sei- kaum betrachtet und vorwiegend in älteren nem Adjutanten v. Wilucki und Admiral Werken im Zusammenhang mit dem III. und Chef des Stabes beim Gouvernement Seebataillon erwähnt, dem es von 1909 bis Kiautschou, Saxer, erhalten hat, ist für die 1912 angegliedert war. Zur Geschichte der vorliegende Arbeit ebenfalls von großem In- Kriegsgefangenen gibt es einige umfassende teresse. Das bisher noch nicht bearbeitete Darstellungen, jedoch legen viele ihren Material erlaubt eine differenzierte Betrach- Schwerpunkt auf das in der neueren For- tung der Ereignisse in Tsingtau und der Rol- schung als „Wiege der 9. Symphonie Beet- le des OMD sowie der Kriegsgefangenenla- hovens“ bekannte Lager Bandô, das u.a. ger Honganji und Narashino aus der Per- auch Gegenstand des japanischen Films spektive eines hohen Kommandoträgers und „Ode an die Freude“ (2006) ist und allge- späteren Lagerältesten, der durch seine Posi- mein als „Musterlager“ deutscher Kriegsge- tion Einblicke hatte, die anderen Zeitgenos- fangener in Japan bezeichnet wird. Kuhlos sen verwehrt blieben. Eine kritische, kon- Bericht, in dem er detailliert auf die Wohn- textbezogene Aufarbeitung des Nachlasses verhältnisse, die Lebensbedingungen, die Paul Kuhlos erscheint somit für die militär- körperliche Verfassung und medizinische historische Japanforschung von großem In- Versorgung der Gefangenen, die Verpfle- teresse. Die Arbeit wird betreut von Prof. Dr. gungssituation sowie die Stimmung in den (em.) Peter Pantzer, Institut für Orient- und Lagern Honganji und Narashino eingeht, Asienwissenschaften (Japanologie) der Uni- zeichnet ein differenziertes Bild auch dieser versität Bonn. Lager. Christian Bormann Die Quellenlage zum OMD in den Archi- [email protected] ven ist lückenhaft; viele Unterlagen zum

The 1918 Occupation of the Ukraine by the Central Powers Von Wolfram Dornik

Am Ludwig Boltzmann-Institut für Prof. Dr. Bogdan Musial, Dr. Alexei Miller, Kriegsfolgen-Forschung in Graz (Österreich) Dr. Georgiy Kasianov und Dr. Vasyl Rase- wird seit Juni 2009 das Projekt "The 1918 Oc- vych gewonnen werden. Gemeinsam erar- cupation of the Ukraine by the Central Po- beiten sie militärische, politische, wirtschaft- wers" durchgeführt. Das Projekt wird vom liche und soziale Aspekte der Besatzung der Fonds für Wissenschaft und Forschung fi- Ukraine durch die Mittelmächte zwischen nanziert. Univ.-Prof. Dr. Stefan Karner, Lei- Februar und November 1918 (März 1919). ter des LBI für Kriegsfolgen-Forschung und Darüber hinaus wird das Thema auch im stv. Vorstand des Instituts für Wirtschafts-, Kontext der Ostfront des Ersten Weltkrieges, Sozial- und Unternehmensgeschichte der der Russischen Revolution bzw. des Bürger- Universität Graz, leitet das Projekt; Dr. krieges sowie der internationalen Beziehun- Wolfram Dornik vom LBI für Kriegsfolgen- gen während und kurz nach dem Ersten Forschung führt inhaltliche Recherchen, die Weltkrieg in Osteuropa verortet. Ganz be- Redaktion des Buches und die Koordination sonderen Stellenwert hat dabei die Rolle des Projektteams durch. Zur Mitarbeit konn- Sowjetrusslands als Akteur auf der interna- ten Dr. Hannes Leidinger, Dr. , tionalen Bühne beziehungsweise Katalysator

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im Nationalitätendiskurs Osteuropas und satzungsverwaltung vorbereiteter und der ehemaligen russländischen Gebiete nach durchgeführter Coup d´Etat brachte Pavel der Februar Revolution von 1917. Das Pro- Skoropadsky als Hetman an die Macht. Er jektteam wird zur Analyse bisher nicht be- versuchte mit einer antirevolutionären Poli- arbeitete Dokumente aus Archiven in Öster- tik, die auf die militärische Macht der Mit- reich, Deutschland, Großbritannien, Frank- telmächte und eine verstärkte Ukrainisie- reich, Polen, der Schweiz, den USA, der Uk- rung setzte, das Land zu befrieden. Doch mit raine und der Russischen Föderation heran- diesem durch Waffengewalt erzwungenen ziehen. Die Projektergebnisse werden in ei- Machtwechsel und der folgenden Abhän- ner gemeinsam verfassten Monographie zu- gigkeit des Hetmans von den deutschen Be- sammengefasst, die im Juni 2011 auf einer satzungstruppen wurde auch die Faktizität internationalen Konferenz präsentiert und der Besatzung offensichtlich, wohingegen kritisch diskutiert wird. zuvor noch die Unabhängigkeit der Ukraine Dr. Peter Lieb, Dr. Wolfram Dornik und betont und die Hilfe im Kampf gegen die Dr. Vasyl Rasevych werden sich den mili- Bolschewiki unterstrichen wurde. Dies wie- tärhistorischen Kapiteln zur Eroberung des derum förderte weiteren Widerstand inner- Gebietes der Ukraine und seiner Verwaltung halb der Bevölkerung, ganz besonders die widmen. Die militärischen Operationen Rücknahme revolutionärer Errungenschaf- wurden durch einen besonders raschen ten für die Kleinbauern weckte heftigen Wi- Vormarsch deutscher Truppen auf Kiew am derstand. Erst im Sommer 1918 beruhigte 18. Februar eröffnet. Nachdem am 9. Februar sich die Lage in der Ukraine durch einen in Brest-Litowsk ein Friedensvertrag zwi- Wechsel der Strategie in der Aufstandsbe- schen der Ukraine und den Mittelmächten kämpfung, ukrainische Behörden wurden unterzeichnet wurde, war die Basis für einen nun stärker in die Besatzungsverwaltung Hilferuf der Zentralrada gelegt: Österreich- eingebunden; auch die Uneinigkeit der Bol- Ungarn und das Deutsche Reich sollten im schewiki über die in der Ukraine anzuwen- Kampf gegen russische und ukrainische Bol- dende Vorgehensweise beruhigte die Situa- schewiki zur Hilfe kommen. Der Vormarsch tion für die ohnehin schon massiv durch endete im Mai auf der Krim und östlich von Truppentransferierungen geschwächten Rostow/Don. Die Mittelmächte wollten mit Einheiten der Mittelmächte und im Aufbau diesem Schritt die Ostfront befrieden, um befindlichen Hetman-Truppen. sich auf andere Kriegsschauplätze konzent- Schon während des politischen und mili- rieren zu können. Außerdem benötigten sie tärischen Zusammenbruchs der Habsbur- dringend Lebensmittellieferungen zur Stabi- germonarchie zogen sich die österreichisch- lisierung der von Hungerrevolten erschüt- ungarischen Truppen ab Ende Oktober in terten Heimatfront. Doch andauernde Wi- heillosem Chaos und teilweise auf eigene derstände gegen die Mittelmächte und die Faust zurück. Manche deutsche Einheiten Zentralrada, unverhältnismäßiges Vorgehen mussten noch bis März 1919 zur Abwehr der der Besatzungstruppen bei der wirtschaftli- vorrückenden Roten Truppen in ukraini- chen Ausbeutung, im Kampf gegen Rote schen Gebieten stehen bleiben, die nun end- Garden und im Umgang mit sozialen Kon- gültig vom Russischen Bürgerkrieg erfasst flikten im Land förderten die von den Bol- wurden. schewiki in Moskau auch weiterhin geför- Wolfram Dornik derten Unruhen. Ein von der deutschen Be- [email protected]

Die westdeutsche Militärhilfe für afrikanische Staaten, 1960 – 1973 (Dissertation) Von Carola Eugster

Die Forschung zu den Internationalen deren Verbündeten, war die Bundesrepublik Beziehungen im Kalten Krieg berücksichtigt davon nur indirekt betroffen. Die zur "Drit- zunehmend die mittleren Mächte und die ten Welt" zusammengefassten "Entwick- Dritte Welt, wo es zu den schwersten Kon- lungsländer" waren geprägt von wirtschaft- flikten dieser Zeit kam. Im Gegensatz zu an- licher und innen- wie außenpolitischer In-

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stabilität, gegen die der Aufbau von Militär Im zweiten Schritt werden die Ausgestal- und Sicherheitskräften helfen sollte. Damit tung und die Motive der Militärhilfe unter- wurde das Militär auch zu einer Institution sucht. Impulsgebend war sicherlich das US- der politischen Machtsicherung und zu einer amerikanische Interesse an einer Beteiligung umworbenen Zielgruppe beider Machtblö- der Verbündeten am Containment („burden- cke, die in den Entwicklungsländern mittels sharing“), doch die Bundesregierungen ziviler Entwicklungshilfe und Militärhilfe handelten dabei auch im eigenen Interesse, um Einfluss konkurrierten. z.B. um mit der DDR zu konkurrieren und In der hier vorzustellenden Arbeit steht um die Entwicklungsländer zu stabilisieren. die Militärhilfe für afrikanische Staaten seit Federführend bei Planung und Durchfüh- Anfang der 1960er Jahre als außenpolitisches rung waren das Auswärtige Amt und das Handlungsfeld der Bundesregierung im Mit- Bundesministerium der Verteidigung. Trotz telpunkt. der dabei festzustellenden binnen- wi e i n- Gerade weil die Bundesrepublik als ein Staat terministeriellen Reibungsverluste engagier- erscheint, der sich erst seit kurzem auch mi- ten sich die Bundeskanzler vergleichsweise litärisch für die internationale Sicherheit en- wenig. Der Bundestag, zunächst ohnehin gagiert, muss deren frühe Militärhilfe von kaum beteiligt, blieb durchweg auf kriti- besonderem Interesse sein. Wenn das um scher Distanz. Anfang der 1960er begann die militärische Komponente erweiterte in- die, offiziell als "Ausrüstungs- und Ausbil- ternationale Handeln heute als Ausdruck dungshilfe" bezeichnete, Unterstützung ver- der vollen Souveränität gilt, dann könnte schiedener Armeen der Dritten Welt, in schon die Militärhilfe als eine erste Konsoli- Form von militärisch-technischem Know- dierung der gerade errungenen Souveränität how, Ausbildung von Soldaten sowohl in verstanden werden. In dieser Arbeit soll ge- den Empfängerländern als auch in der Bun- prüft werden, ob und inwieweit sich der au- desrepublik sowie der Lieferung von Waffen ßenpolitische Spielraum der Bundesrepublik und Ausrüstung. Dafür standen in den durch ihre Militärhilfe ausdehnte, wie das 1960er Jahren ungefähr 100-150 Mio. DM politische System mit den Problemen der jährlich zur Verfügung, wovon in den 1970er Militärhilfe umging, welche innen- und au- Jahren ungefähr die Hälfte blieb. Zwischen ßenpolitischen Faktoren sich auswirkten, 1961 und 1964 begannen, zuerst mit dem und welche Prioritäten bestanden. Darauf Sudan und weiteren afrikanischen Staaten aufbauend wird untersucht, ob sich hier größere Kooperationen. In den 1970ern und Anpassungszwänge im Kontext der Integra- 1980ern gab es v.a. kleinere Projekten, mit tion in die westliche Staatengemeinschaft einer Streuung über fast alle afrikanischen ausdrücken, oder ob dies einen beginnenden Staaten. Umbruch in der außenpolitischen Entwick- Die ohnehin schwer miteinander zu ver- lung der Bundesrepublik darstellt. Weil das einbarenden Ziele waren mit einem kleinen Umfeld der westdeutschen Militärhilfe für Etat, der zudem die anfangs ressourcenarme Afrika kaum erforscht ist, erscheint es not- Bundeswehr belastete, kaum zu erreichen. wendig, sich auf die Perspektive der Bun- Im internationalen Umfeld mussten die desregierung zu konzentrieren. Der Unter- Bundesregierungen ihre Position nicht nur suchungszeitraum 1960 – 1973 erlaubt es, gegenüber den afrikanischen Staaten anhand der Quellen den durch Regierungs- bestimmen, was wegen deren eigenen Zielen wechsel und in Reaktion auf Krisen verän- sowie ihrer inner- und zwischenstaatlichen derten politischen und öffentlichen Umgang Konflikte schwer war. Entscheidend war mit der Militärhilfe nachzuzeichnen. auch die Ebene der Interaktion mit den ver- In einem ersten Schritt wird zunächst die bündeten Staaten. In Afrika blieb der euro- frühe westdeutsche Politik gegenüber der päische postkoloniale Einfluss, trotz der glo- Dritten Welt dargestellt. Zentral sind dabei balen US-amerikanischen Macht, lange be- die Verteidigung des Alleinvertretungsan- stehen, was die Positionierung der Bundes- spruchs und die Bedeutung verschiedener republik erschwerte. Die Konflikte der Ver- westlicher Staaten für die gesamte westdeut- bündeten wurden sowohl bilateral als auch sche Außen- und Sicherheitspolitik. in der NATO bearbeitet. Als wichtiges Fo- rum afrikanischer Politik und der Kritik an

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der Militärhilfe, war die UNO beteiligt. Eine me mit einem außen- und sicherheitspoliti- weitere Ebene entstand durch westdeutsche schen Instrument, das im Kalten Krieg, der kommerzielle Rüstungstransfers, deren, zu- Dekolonisierung, dem Aufbau staatlicher mindest nominell, private Träger außenpoli- Strukturen in den Entwicklungsländern und tische Folgen nicht ausschlossen, schon weil in der Dynamik begrenzter Konflikte stän- die Genehmigung eines Rüstungsexports als dig massiv an die Grenzen seiner Wirksam- staatliche Unterstützung bzw. Einmischung keit zu stoßen schien. galt. Zur Erforschung der westdeutschen Mili- Anhand von einem Überblick über die af- tärhilfe sind, neben wenigen Arbeiten aus rikanischen Empfängerländer und sechs ver- den 1970/1980er Jahren, besonders die neu- tiefenden Fallbeispielen (Sudan, Nigeria, en Forschungen über außereuropäische Kon- Guinea, Tansania, Somalia und Äthiopien), flikte während des Kalten Krieges, über die lassen sich die einzelnen Ziele, Zielkonflikte Dekolonisation, die Politik der afrikanischen und Erfolgserwartungen an die Programme Staaten und über den Rüstungstransfer an genauer erkennen. Abschließend soll geklärt die Dritte Welt nützlich. Das Quellenmateri- werden, warum die Militärhilfe laufend eine al findet sich im Politischen Archiv des Anpassung verschiedener zentraler Prinzi- Auswärtigen Amtes, Berlin, und dem Bun- pien der Bundesrepublik auslöste. Erstaunli- desarchiv / Militärarchiv, Freiburg. Hilf- che Flexibilität ist bei der Auswahl der Emp- reich sind darüber hinaus die Quelleneditio- fängerstaaten zu sehen, die z.B. zeigt wie die nen des Bundestags und des Kabinetts, so- Hallstein-Doktrin in der Praxis angepasst wie die damalige Presse. Inwieweit Material werden konnte. Als die SPD zunehmend die aus Industrie-Archiven zur Verfügung steht, Regierungspolitik bestimmte, wurde die Mi- wird derzeit geprüft. litärhilfe fortgesetzt, obwohl diese bei der Die Arbeit wird betreut von Prof. Dr. Partei unpopulär war. Insgesamt waren die Gerhard Hirschfeld – Bibliothek für Zeitge- westdeutschen Akteure ständig dabei, die schichte, Stuttgart, beratend beteiligt sind Militärhilfe nach Krisen anzupassen, und die das Militärgeschichtliche Forschungsamt, Erwartungen anderer Regierungen gegen- Potsdam, und das Stockholm International über den eigenen Möglichkeiten und Vortei- Peace Research Institute. len auszutarieren. Die deutschen Erfahrun- Carola Eugster gen waren eine Facette der globalen Proble- [email protected]

Begegnung zweier Welten? Medienstrategien und Medienbilder der britischen und der deut- schen Militärführung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Dissertation) Von Christian Götter

Der Erste Weltkrieg war bereits erklärt teten die Kampftruppen. Explizit sollten die worden, als der Chef des deutschen Gene- Fehler, die man im Ersten Weltkrieg ent- ralstabes, Generaloberst von Moltke, am 2. deckt zu haben meinte, vermieden werden. August 1914 dem Chef seines Nachrichten- Diese Argumentation der Medienspezialis- dienstes befahl festzustellen, welche Vorar- ten der Wehrmacht in den 1930er Jahren ist beiten geleistet worden waren, um über die freilich eng mit der Dolchstoßlegende ver- Presse auf die öffentliche Meinung in knüpft. Tatsächlich aber sind die Verände- Deutschland einzuwirken. Dieser meldete rungen und auch Verbesserungen der me- ihm daraufhin, dass man sich bisher allein dienbezogenen Planungen des Militärs ge- darauf konzentriert hatte, für die Informati- genüber dem Ersten Weltkrieg nicht von der onssicherheit zu sorgen. Eine zielgerichtete Hand zu weisen. Das Militär befasste sich Informationsausgabe dagegen sei nicht vor- aber nicht allein in Bezug auf Kriege mit sei- bereitet worden. Anders war die Situation, nen eigenen Medienbeziehungen. Diese wa- als deutsche Truppen 1939 in Polen einmar- ren vielmehr gerade in den Friedenszeiten schierten – die Propaganda für diesen Kon- von großer Bedeutung, in Deutschland wie flikt war vorbereitet worden und militärisch auch in anderen Nationen. Die Fragen, in organisierte Propagandakompanien beglei- welcher Form Militärs mit ihren Erfahrun-

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gen mit Medien und deren Vertretern um- eingesetzten Methoden oder angestrebten gehen, ob und welche Lehren sie ziehen, wie Ziele. sie auf technologische oder gesellschaftliche Diesen beiden Aspekten wird in einem Veränderungen reagieren, liegen auf der diachronen Vergleich nachgespürt, der die Hand. Sie werden im vorliegenden Projekt erfahrungsgeschichtliche Perspektive stark anhand der Beispiele der Militärführungen macht und Wandel und Kontinuitäten über Deutschlands und Großbritanniens in der die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ih- ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts themati- ren Kriegs-, Spannungs- und Friedenszeiten siert. hinweg verfolgt. Hierbei die britische und Bisherige Untersuchungen zu den Mili- deutsche Militärführung in den Blick zu tär-Medien-Beziehungen aus Sicht der Mili- nehmen bringt den Vorteil, dass auch die tärs konzentrieren sich im Wesentlichen auf synchronen Verflechtungen dieser beiden die Entwicklung in den USA seit dem Viet- Akteure, die sich beständig gegenseitig beo- namkrieg oder auf Kriegszeiten. Neuere Ar- bachteten, in die Analyse einfließen können. beiten nehmen zwar gerade für Deutschland Auch können so Unterschiede und Gemein- auch längere Zeiträume und Nicht- samkeiten in der Art und Weise aufgezeigt Kriegszeiten in den Blick, beschränken sich werden, wie ein Verlierer und ein Gewinner aber oft auf institutionelle Veränderungen des Ersten Weltkriegs mit den Erfahrungen oder die Inhalte von Propaganda. Die hinter der Militär-Medien-Beziehungen aus diesem diesen Tätigkeiten stehenden Haltungen ersten großen Propagandakrieg umgingen. und Planungen des Militärs in Bezug auf Als Quellenbasis dienen vor allem die Akten Medien und deren möglichen Nutzbarma- der Militärführung, ergänzt um ausgewählte chung bleiben häufig Randerscheinungen. Nachlässe. Hinzu kommen die Akten derje- Das hier vorgestellte Projekt soll einen Bei- nigen Spezialabteilungen der Militärs, die trag leisten, diese Lücken zu schließen. Das von der jeweiligen Führung mit der Me- Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Me- dienarbeit betraut worden waren. Durch dienstrategien der beiden Militärführungen, diese Auswahl ist es möglich, einerseits womit spezifische Kombinationen von Zie- grundlegende Überlegungen zu den Militär- len, Zielgruppen und Methoden medienbe- Medien-Beziehungen zu erfassen und ande- zogenen Handelns bezeichnet werden. Der rerseits Einzelfälle aufzugreifen, die Fragen Begriff erlaubt es, innerhalb der Untersu- in Bezug auf die etablierte Praxis aufwarfen chung mit unterschiedlichen Phänomenen und zu deren Bestätigung oder zu Ände- umzugehen, zu denen die Rekrutenwerbung rungen führten. Auf diese Art und Weise ebenso zählt wie der Versuch, Kriegsbe- bleiben auch die Erfahrungen derjenigen Mi- richterstatter von den Schlachtfeldern fern- litärs im Blickfeld, die, beispielsweise als zuhalten und die Zeitungen über Offiziers- Zensuroffiziere, ganz praktisch mit den Me- berichterstatter mit Nachrichten zu versor- dienvertretern interagierten. gen. Flankierend kommen die Medienbilder Dieses Projekt ist Teil eines größeren hinzu, womit die Vorstellungen der Militärs DFG-Projektes, das die Militär-Medien- von den Medien und ihrer gesellschaftlichen Beziehungen des 20. Jahrhunderts in ver- Rolle bezeichnet werden. Es wird zu zeigen schiedenen Ländern untersucht. Die Disser- sein, welche Auswirkungen bestimmte Me- tation wird betreut durch Prof. Dr. Ute Da- dienbilder auf die jeweiligen Medienstrate- niel, Braunschweig. gien hatten, beispielsweise in Bezug auf die Christian Götter [email protected]

Des Teufels Offiziere? Denk - und Deutungsmu ster von Soldaten der Waffen -SS (Examensarbeit) Von Frederik Müllers

„Ich habe den Nationalsozialismus […] Leben ist für unser Volk, dass sonst unsere als Religion, als mein Leben eingeatmet. Ich Kultur zum Teufel geht.“ habe erkannt, dass das das einzig richtige Geradezu prototypisch scheint der SS- Offizier mit diesen Worten nicht

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nur sich selbst, sondern die Angehörigen der genen fertigte man Personalakten an, die Waffen-SS insgesamt zu charakterisieren. So umfangreiche und sehr aufschlussreiche In- spiegelt das Zitat wider, wofür diese Orga- formationen bieten. nisation in der Retrospektive steht: Die Ver- In der Regel finden sich in den Akten der körperung des fanatischen Nationalsozia- Gefangenen Formblätter zum biografischen lismus, deren Angehörige als ideologisierte, Hintergrund, so genannte Morale Question- „weltanschauliche“ Soldaten des „Führers“ naires (hierbei handelt es sich um standardi- zum Inbegriff des nationalsozialistischen sierte Vernehmungsberichte zur politischen Terrors in Europa avancierten. Haltung der Gefangenen), Verhörprotokolle Dabei erlaubte es die Quellenlage bislang zu allgemeinen und speziellen Fragen und kaum, die fast 600.000 Angehörigen dieser schließlich Abhörprotokolle – Mitschriften NS-Formation in den Blick zu nehmen. Den- von Gesprächen der Gefangenen unterein- noch zog die Forschung von einzelnen ex- ander, welche aus den Lauschangriffen auf ponierten Personen wie Kurt Meyer mentali- ihre Zellen resultierten. tätshistorische Rückschlüsse auf die Truppe Der größte Vorteil dieser einzigartigen selbst, ohne dies empirisch belegen zu kön- Quellen liegt darin, dass enorme Offenheit nen. die protokollierten Gespräche prägt: in der Bezeichnend ist auch, dass zwar zahlrei- vermeintlichen Privatsphäre der Zellen che, auch jüngere, Studien zu den Soldaten sprachen deren Insassen ohne Hemmung der Wehrmacht existieren, die Waffen-SS im auch über sensible Themen. Dadurch ermög- Zweiten Weltkrieg jedoch von nur einem licht der Aktenbestand eine nahezu ungefil- Autor maßgeblich behandelt wurde: dem terte und, angesichts seines Umfangs und Franzosen Jean-Luc Leleu, dessen Werk ei- Detailreichtums, erstmals auch empirische ner Übersetzung harrt. Doch selbst Leleu ist Analyse der Denkmuster und des Selbstbil- aufgrund der Quellenproblematik nicht in des der deutschen Streitkräfte im Zweiten der Lage, Fragen nach Denk- und Deu- Weltkrieg. Darüber hinaus bieten die Akten tungsmustern von Angehörigen der Waffen- aus Fort Hunt die einmalige Möglichkeit, SS im Krieg zu beantworten, da man, um auf empirischer Basis festzustellen, ob und solch individuelle Ansätze zu verfolgen, in welchem Maßstab es Unterschiede in den bisher auf Ego-Dokumente wie Tagebücher, Perzeptionsmustern von Angehörigen der Briefe oder Autobiografien angewiesen war, Wehrmacht und Waffen-SS gab. Diese Leit- die problematische Quellen darstellen, da sie frage soll Gegenstand der Examensarbeit durch ihren selektiven und retrospektiven sein, welche sich aufgrund ihres recht knap- Charakter nur einen verzerrten Blick auf pen Umfangs den zwanzig inhaftierten SS- zeitgenössische Weltbilder eröffnen. Männern in Offiziersrängen widmet. Nun steht jedoch ein Quellenbestand zur Da die Waffen-SS eine Landstreitmacht Verfügung, der neue Erkenntnisse ver- war, bietet sich für eine solche Untersu- spricht. Dieser Fundus aus den Washingto- chung an, das Heer als Vergleichsmaßstab ner National Archives gewährt tiefe Einblicke heranzuziehen. Um die Variablen einer sol- in die Gedankenwelt von Angehörigen der chen Gegenüberstellung zu minimieren, Wehrmacht und Waffen-SS während des muss eine weitgehend homogene Stichprobe Krieges. Die Akten stammen aus dem ame- als Sample ausgewählt werden, insbesonde- rikanischen Verhörlager Fort Hunt (Virgi- re die Geburtsjahre sollten weitestgehend nia), welches das US-Militär im Frühjahr Kongruenz aufweisen. 1942 eingerichtet hatte, um von ausgewähl- Welche inhaltlichen Aspekte in der men- ten deutschen Kriegsgefangenen nachrich- talitätshistorischen Analyse im Vordergrund tendienstliche Informationen zu gewinnen. stehen, kann und muss induktiv während Dafür internierte die US Army knapp drei- der Erschließung des Quellenmaterials fest- tausend deutsche Soldaten, darunter über gelegt werden. Erste Sichtungen offenbaren einhundert Angehörige der Waffen-SS, bereits eine große Vielzahl von Möglichkei- zwanzig von ihnen Offiziere. Die Gefange- ten. So bietet es sich aufgrund der hohen nen wurden nicht nur verhört, sondern über Frequenz an, die Haltung der einzelnen Sol- versteckte Mikrophone in ihren Zellen sys- daten zur Person Adolf Hitlers zu untersu- tematisch belauscht. Zu jedem dieser Gefan- chen, aber auch Ausführungen zum weite-

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ren Kriegsverlauf sind zahl- und aufschluss- wurden, zum Verständnis der Waffen-SS als reich. Viel versprechend erscheint darüber „nationalsozialistische Elite“ jedoch unab- die Thematisierung von deutschen Kriegs- dingbar sind. Die Arbeit wird von Prof. verbrechen. Sönke Neitzel, Universität Mainz, betreut. Auf diesem Wege soll die Examensarbeit das lückenhafte Bild dieser „nationalsozialis- Frederik Müllers tischen Elite“ um neue Facetten bereichern, [email protected] die bisher in der Forschung vernachlässigt

Militärgerichtsbarkeit im Deutschen Kaiserreich 1871-1918 (Dissertation) Von Helmut Rübsam

Nach der Gründung des deutschen Kai- ren Gerichtsbarkeit standen den Gerichts- serreiches 1871 wurde aus den Armeen der herren an Stelle der Kriegsgerichtsräte soge- einzelnen Bundesstaaten ein kaiserliches nannte Gerichtsoffiziere zur Seite. Kontingentsheer gebildet. Dieses „Reichs- Das Reichsmilitärgericht (RMG) wurde heer“ bestand aus 18 Armeekorps und die aufgrund der MStGO vom 1. Dezember 1898 Gesetzgebungskompetenz in militärischen am 1. Oktober 1900 in Berlin errichtet. Es Angelegenheiten lag beim Deutschen Reich. war eine permanente Einrichtung über den So wurde 1872 ein einheitliches Militärstraf- militärischen Standgerichten und Ober- gesetzbuch (MStGB) als Kombination aus kriegsgerichten und es war somit die letzte preußischem und bayerischem Recht erlas- Instanz der deutschen Militärgerichte. sen. Die Militärjustiz – eine reichsgesetzlich Beim RMG wurden als ständige Spruchkör- geregelte Sondergerichtsbarkeit ausschließ- per Senate gebildet. Die Senate bestanden lich für Personen des Soldatenstandes – bil- jeweils aus einem Senatspräsidenten und der dete mit ihren eigenen Gerichten sowie spe- erforderlichen Anzahl von Räten und Offi- ziellem Militärstraf- und Verfahrensrecht ei- zieren. Der RMG entschied sowohl über nen eigenen Komplex innerhalb der Militär- Einzelfälle als auch Grundsatzurteile. Der verwaltung. Bei der Militärstrafprozessord- ranghöchste Offizier war immer der Vorsit- nung dauerte der Vorgang der Neugestal- zender des Senats. tung bis 1898, solange nutzten die Mitglieds- Durch die MStGO wurde eine neue Ge- staaten ihre eigenen Militärstrafprozessord- richtsorganisation geschaffen, deren wich- nungen. Es erfolgte eine Einteilung in eine tigstes Merkmal die Einführung eines In- niedere und eine höhere Gerichtsbarkeit. Für stanzenzuges war. Angefochtene Urteile Strafsachen der niederen Gerichtsbarkeit, die konnten nunmehr im höheren Rechtszug sich auf Mannschaften und Unteroffiziere durch ein Gericht überprüft werden. Dies erstreckte, waren die Standgerichte zustän- bedeutete eine höhere Rechtsgarantie für dig. Die niedere Gerichtsbarkeit umfasste den Angeklagten. militärische Vergehen und Übertretungen, Bayern verzichtete auf sein bayerisches die nur mit Arrest bestraft wurden, sowe it oberstes Landesmilitärgericht und bekam nicht eine Ehrenstrafe zu erwarten war. Alle dadurch einen besonderen Senat im RMG übrigen strafbaren Handlungen unterlagen für sein Heer zuerkannt. Dessen Mitglieder der höheren Gerichtsbarkeit. wurden vom bayerischen König ernannt. Mit der Militärstrafgerichtsordnung Der bayerische Senat war für diejenigen Fäl- (MStGO) hatten die Militärjuristen zum ers- le zuständig, welche Urteile, Entscheidun- ten Mal die Möglichkeit an der Urteilsfin- gen und Verfügungen eines bayerischen Mi- dung mitzuwirken. Zwar führte bei allen litärgerichts oder bayerischen Gerichtsherrn Gerichten (auch beim Reichsmilitärgericht) zum Gegenstand hatten. Von den 3 Senaten ein Offizier den Vorsitz, aber die Verhand- des RMGs war der bayerische der mit der lungsleitung lag beim dienstältesten Kriegs- geringsten Anzahl an Fällen. Dies ergab sich gerichtsrat bzw. beim Senatspräsidenten. daraus, dass die bayerische Armee vor dem Die Militärjuristen wurden nur in der höhe- Ersten Weltkrieg aus nur 3 Armeekorps be- ren Gerichtsbarkeit eingesetzt. Bei der niede- stand, während die beiden anderen Senate

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für 20 Armeekorps, die kaiserliche Marine mehr oder kaum noch ehrverletzend emp- und die Schutztruppen in den Kolonien zu- funden wird. Aber trotzdem spielt die Eh- ständig waren. Das RMG war mit 3 regulä- rengerichtsbarkeit eine wichtige Rolle in der ren Senaten ein relativ kleines Gericht. eigentlichen Militärgerichtsbarkeit. Zu der „normalen“ Militärgerichtsbarkeit Zum Thema „Militärgerichtsbarkeit“ gibt mit ihren Vergehen (Fahnenflucht, Selbst- es noch keine allgemeine Abhandlung. Es verstümmelung, Totschlag usw.) und Straf- werden aber einzelne Aspekte, wie z.B. formen (Arrest, Gefängnis, Zuchthaus oder Reichsmilitärgericht oder Militärstrafge- Todesstrafe), kam noch die Ehrengerichts- richtsordnung in zahlreichen Büchern be- barkeit hinzu. handelt. In dem Dissertationsprojekt sollen Die Ehrengerichtsbarkeit stellte mit ihrem mehrere Bereiche untersucht werden: umfassenden Katalog von negativen und oft 1) Wie wurde die Vereinheitlichung der Mi- sehr allgemein gehaltenen Umschreibungen litärgerichtsbarkeit im deutschen Kaiser- einer idealen Haltung und Gesinnung des reich in den Einzelstaaten vor allem Bay- Offiziers ein Normensystem dar, dass dem ern, Sachsen und Württemberg aufge- Offizier so gut wie keine private Existenz nommen und umgesetzt? ließ. 2) Wurde die Militärgerichtsbarkeit auch Dabei trat für die Entscheidungen ein Eh- auf Zivilpersonen im Kaiserreich und den renrat aus Offizieren zusammen. In Duell- Kolonien angewendet? angelegenheiten sollte der Ehrenrat einen 3) Wurde das damals geltende Völkerrecht gütlichen Ausgleich anstreben. von Deutschland bei Strafexpeditionen Kaiser Wilhelm I. berief 1872 eine Kom- (z.B. Boxeraufstand) bzw. Kolonialkrie- mission ins Leben, damit diese die ehrenge- gen (z.B. Herero-Aufstand) bzw. dann im richtlichen Bestimmungen von 1843 überar- Ersten Weltkrieg beachtet? beitete. Der Einfluss der Ehrengerichte vor 4) Wurde die Militärgerichtsbarkeit wäh- einem Duell wurde danach noch weiter ein- rend der Kaiserzeit in irgendeine Art und geschränkt. Dieser Ehrenrat war ab diesem Weise reformiert? Zeitpunkt nur noch ein Hilfsorgan des 5) Sind Unterschiede zwischen Urteilen von Kommandeurs. Nach Abschluss der Unter- Militärgerichten vor und während des suchungen des Ehrenrats berief der Kom- Ersten Weltkrieges erkennbar? Wann ist mandeur das Ehrengericht ein. Die Ehrenge- es zu einer Verschärfung der Militärge- richte hatten nach der neuen Verordnung richtsbarkeit in Deutschland gekommen? einerseits die Aufgaben, Offiziere deren Be- 6) Wie war die Militärgerichtsbarkeit in Ös- nehmen nicht dem des Offizierstandes ent- terreich-Ungarn und Großbritannien ge- sprach oder die nicht das richtige Ehrgefühl regelt? besaßen, auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und nötigenfalls aus dem Dienst Die Hauptquellen sind in mehreren Ar- zu entfernen und andererseits Offiziere von chiven (Bundesarchiv Berlin, Bundarchiv- unbegründeten Verdächtigungen ihrer Eh- Militärarchiv Freiburg im Breisgau, Haupt- renhaftigkeit zu befreien, insofern andere staatsarchiv Stuttgart, Bayerisches Kriegsar- standesgemäße Wege hierzu nicht vorhan- chiv München, Hauptstaatsarchiv Dresden) den waren. verteilt. Des Weiteren sind noch Memoiren, Der Spruch des Ehrengerichtes konnte Feldpostbriefe und Gesetzestexte Quellen dann lauten: Freispruch, Schuldig, aber der Be- für diese Doktorarbeit. schuldigte wurde im Dienst belassen, Schuldig Das Dissertationsprojekt wird von Prof. und Entlassung aus dem Dienst mit schlichtem Dr. Sönke Neitzel (Johannes Gutenberg Uni- Abschied, Schuldig und unehrenhafte Entlas- versität Mainz) betreut. sung. Aus der heutigen Sicht können manche Helmut Rübsam Ehrengerichtsverfahren eher belustigend [email protected] wirken, da das angezeigte Verhalten nicht

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Im Dienste seiner Majestät: Netzwerke im preußischen Offizierkorps 1713-1786 (Dissertation) Von Carmen Winkel

Das preußische Offizierkorps gehört ziale Mechanik“ innerhalb des Offizierkorps, zweifellos zu den traditionellen Untersu- also die Frage nach Rekrutierungswegen, chungsgegenständen der Militärgeschichte. Karriereverläufen und der Ausgestaltung Fasst man die zentralen Ergebnisse der älte- personeller Netzwerke ist kaum etwas be- ren Forschung zusammen, ergibt sich fol- kannt. An bestimmten institutionellen „Kno- gendes Bild: der einheimische Adel konnte tenpunkten“ von Netzwerken sollen diese erfolgreich – wenn auch unter anfänglichen rekonstruiert und analysiert werden. Schwierigkeiten – in die Armee eingebun- Erstens soll generell die Beziehung zwi- den werden. Dem König gelang dies durch schen König und Offizieren untersucht wer- Gewährung umfangreicher Privilegien für den. Preußen gilt bis heute als das Parade- den Adel, mit deren Hilfe er sich ein „mo- beispiel für die nahezu vollständige Einbin- narchisiertes“ (Manfred Messerschmidt) und dung des Adels in das Offizierkorps. Vor loyales Offizierkorps schuf. Alles in allem diesem Hintergrund soll das System Militär entstand das festgefügte Bild vom König als gesellschaftlicher Raum, in dem Status, und „seinen“ Offizieren. Die soziale Praxis Prestige und Karrierechancen inszeniert, der vielbeschworenen Einbindung des preu- erworben und verteilt wurden, zu betrach- ßischen Adels in das Offizierkorps unter ten sein. Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. stellt Zweitens ist dabei nach der sozialen Bin- aber bis heute ein Desiderat der Forschung nenstruktur der Regimenter zu fragen. Wie dar. Angesichts der quantitativen Entwick- rekrutierten die fast ausnahmslos adligen lung des Korps drängt sich die Frage auf, Regimentschefs – in deren Händen die per- wie es den preußischen Monarchen zwi- sonelle und wirtschaftliche Verwaltung der schen 1713 und 1786 gelungen ist, ein meh- Einheiten lag – den Offiziersnachwuchs? rere tausend Köpfe zählendes Offizierkorps Welchen Stellenwert nahmen hier die fami- zu rekrutieren, das sich fast ausschließlich liären Netzwerke der adligen Offiziere ein? aus dem heimischen Adel zusammensetzte. Drittens wird der Fokus auf der Interdepen- Im Mittelpunkt der Untersuchung soll daher denz zwischen der Vergabe von Offizierspa- die soziale Praxis der Rekrutierung der tenten an Reichsfürsten und der Außenpoli- preußischen militärischen Elite stehen. Dass tik der preußischen Monarchen liegen. Be- sich die Offiziere zwar fast ausschließlich sonders unter Friedrich II. nahm die Zahl aus dem Adel und damit aus der gesell- auswärtiger Reichsfürsten im Heer deutlich schaftlichen Führungsschicht rekrutierten, zu. Welche Rolle spielte der Dienst für den ist in der Forschung hinlänglich bekannt „roi de prusse“ für die Bindung an densel- und doch erklärt dieser Umstand nicht, wie ben? Konnte damit wirklich politische Loya- es zur Einbindung des Adels in das Offizier- lität generiert werden, wie die ältere For- korps gekommen ist. Die Netzwerkfor- schung immer wieder betonte? schung hat darauf hingewiesen, dass sich Viertens werden die Vernetzungen der Führungsgruppen zwar aus bestimmten ge- Offiziere außerhalb des Systems Militär in sellschaftlichen Gruppen – hier dem Adel – den Blick genommen. Seit der Mitte des 18. rekrutieren, dies aber für die Konstitution Jahrhunderts entstanden zahlreiche Frei- und innere Kohärenz der Führungsgruppen maurerlogen die einen beachtlichen Anteil weniger relevant ist als die soziale Verflech- von Offizieren in ihren Reihen aufwiesen tung der Mitglieder untereinander (Wolf- bzw. als reine Militärlogen gegründet wur- gang Reinhard). den. Die Logen entstanden in ganz Europa Die Bedeutung der Netzwerke für Rekru- und konnten den international vernetzten tierung und Karrieren in der frühmodernen Offizieren daher wichtige Beziehungen ver- Verwaltung und im Heer wird von der For- mitteln. Inwieweit konnten die hier ge- schung immer wieder betont, doch fehlen knüpften Beziehungen für eine Karriere im insbesondere für das preußische Heer ent- Militär genutzt werden? sprechende Untersuchungen. Über die „so-

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Methodisch basiert die Arbeit auf kultur- tung des Systems Militär betrachtet, das geschichtlichen Fragestellungen, sollen doch letztendlich immer ein Spiegelbild der sozia- die handelnden Akteure und ihre Interessen len und politischen Verfassung einer Gesell- in den Blick genommen und mit den In- schaft war. strumenten der Netzwerk- und Patronage- Die Dissertation wird von Prof. Dr. Ralf forschung untersucht werden. Nicht zuletzt Pröve, Universität Potsdam, Lehrstuhl für versteht sich die Untersuchung als Beitrag Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Ge- zu der seit langem postulierten „neuen“ Mi- walt betreut und seit 2008 von der DFG fi- litärgeschichte, die neben den vielfältigen nanziert. Wechselwirkungen von Militär und Gesell- Carmen Winkel schaft auch die Bedeutung und Ausgestal- [email protected]

HISTORISCHE ORTE, INSTITUTIONEN UND FORSCHUNGSBERICHTE

„Militärgeschichte ausstellen“ am Beispiel der Neukonzeption des Militärhistorischen Muse- ums der Bundeswehr in Dresden Von Gorch Pieken, Wissenschaftlicher Leiter MHM

Mit dem Militärhistorischen Museum der ker nationaler Prägung: Orte militärischer Bundeswehr (MHM) entsteht im Norden Leistungsschauen mit Bildern vom braven Dresdens derzeit das größte Museum der Sterben in glorreichen Kriegen, Hallen für Stadt und das größte militärgeschichtliche technische Sammlungen und patriotische Museum in der Bundesrepublik Deutsch- Heilsgeschichten. Kritische Reflexionen auf land. die selbstgewählte Perspektive hatten dort Die Sammlung des MHM blickt auf eine keinen Platz. mehr als 110-jährige wechselvolle Geschich- Mit dem Erlass des Bundesverteidi- te zurück. Seit 1897 beherbergte das ehema- gungsministers stellte sich die grundsätzli- lige Arsenalhauptgebäude im Zentrum der che Frage, in welcher Form und mit welchen Dresdner Albertstadt nacheinander die Kö- Inhalten man in der Bundesrepublik nigliche Arsenalsammlung, das Königlich Deutschland Militärgeschichte ausstellen Sächsische Armeemuseum, das Sächsische kann. Denn 40 Jahre lang war man offen- Armeemuseum, das Heeresmuseum der sichtlich gut ohne ein großes, zentrales Mili- Wehrmacht (ab 1942: Armeemuseum) und tärmuseum ausgekommen. Militär und Mili- ab 1972 das Armeemuseum der DDR. Sieben tärgeschichte galten lange Zeit für viele Monate vor der deutschen Einheit wurde Menschen in den alten Bundesländern bes- das Museum in „Militärhistorisches Muse- tenfalls als ein interessantes Randthema, das um Dresden“ umbenannt. Mit der deutschen quasi außerhalb der Gesellschaft stattfand Einheit übernahm die Bundeswehr Material und das von einem großen, wenn nicht gar und Liegenschaften der NVA, darunter auch überwiegenden Teil der Bevölkerung mit das zentrale Armeemuseum der Nationalen Skepsis und Ablehnung betrachtet wurde. Volksarmee in Dresden. Durch den Erlass Einen aufschlussreichen Einblick in die zur „Konzeption für das Museumswesen in Stimmungslage der Nation zum Thema „Mi- der Bundeswehr“ vom 14. Juni 1994 des litär“ bot in den 1980er und 1990er Jahren Bundesministers der Verteidigung erhielt der Proustsche Fragebogen des FAZ- das MHM die Funktion eines Leitmuseums Magazins.2 In diesem gab es eine einzige im Museums- und Sammlungsverbund der Frage zur Militärgeschichte, die, nach An- Bundeswehr.1 sicht der meisten Befragten, nicht mehr Die Geschichte der militärhistorischen wirklich in die zweite Hälfte des 20. Jahr- Museen und ihrer Vorgängerinstitutionen hunderts passte. Die Auswertung der insge- beginnt bei den Zeughäusern und ihren samt 1008 Fragebögen vom ersten Heft 1980 Trophäensammlungen, aus denen Ruhmes- bis zur Einstellung des Magazins 1999 ergab hallen wurden und Armeemuseen mit star- ein eindeutiges Bild. Auf die Frage „Welche

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militärischen Leistungen bewundern Sie am wenn Sie diese überkommene Frage bald meisten?“ erhielt der Leser nur in den sel- mal streichen würden.“ Weitere 38 Befragte tensten Fällen eine Antwort mit ernst ge- verweigerten jegliche Antwort. 154 Fragebo- meinten militärhistorischen Bezügen. Die gen-Ausfüller gaben ihrer Antwort eine hu- mit 30 Mal am häufigsten gegebene Antwort moristische Richtung. Etwa der Schriftsteller dieser Art bezog sich auf die Landung der Friedrich Dürrenmatt, der auf die Frage Alliierten in der Normandie und die damit nach den bewundernswerten militärischen verbundene Befreiung von der NS-Diktatur - Leistungen 1981 zur Antwort gab: „Meine zuzüglich der drei Antworten, die dem Ehe, die jetzt schon länger dauert als der Kampf der Roten Armee um Berlin einen Dreißigjährige Krieg.“ Oder Fernsehkoch vergleichbaren Stellenwert wie dem D-Day Vincent Klink 1996: „Keine, außer Huhn Ma- beimaßen. 148 Antworten bezogen sich auf rengo.“4 Zählt man alles zusammen, so äu- militärische Leistungen, die einer Befreiung ßert sich der überwiegende Teil der 1008 Be- oder dem Widerstand galten. 22 Mal wurde fragten ablehnend oder desinteressiert ge- die Befreiung vom Faschismus bzw. der Sieg genüber allem Militärischen und Militärhis- über Hitlerdeutschland genannt, 15 Mal der torischen. Aufstand im Warschauer Ghetto, neun Mal Dieses Bild änderte sich zumindest in Be- die Verteidigung von Leningrad und sechs zug auf die eigenen nationalen Streitkräfte Mal der Sieg des Vietcong. bereits in den 1990er Jahren. Als „Armee der Einzelne Schlachten oder Beispiele klassi- Einheit“ erreichte die Bundeswehr gerade scher Operationsgeschichte wurden nur 109 auch vor dem Hintergrund humanitärer und Mal genannt und dies vorwiegend von Be- friedenserhaltender Einsätze große Zustim- rufshistorikern, Soldaten und Politikern. Mit mung und hohes Ansehen in großen Teilen weitem Abstand vorn liegt die berühmte an- der Bevölkerung. Gleichzeitig wurde und tike Schlacht bei den Thermopylen und wird aber von Politikern aller Parteien und Hannibals Zug über die Alpen (erstere von von den Soldaten selbst eine mangelnde An- acht Befragten angegeben, letzterer von 27 teilnahme an den Problemen der Bundes- Befragten). Es hat den Anschein, dass es bis wehr und am Einsatzalltag der Soldaten auf den insgesamt 15 Mal genannten israeli- festgestellt und beklagt. Dieses „freundliche schen Sechs-Tage-Krieg und die von elf Be- Desinteresse“ weiter Teile der Bevölkerung fragten angeführte Befreiungsaktion von gegenüber der Bundeswehr steht im Gegen- Entebbe3 keine bewundernswerten rein mili- satz zu der Bedeutung, die das Thema glo- tärischen Verdienste der Gegenwart gebe baler militärischer Herausforderungen und und dass militärische Leistungen durch das Konfrontationen unter Beteiligung deutscher 20. Jahrhundert per se fragwürdig geworden Streitkräfte in der öffentlichen Diskussion seien. Friedenserzwingende und friedens- inzwischen einnimmt. bewahrende Maßnahmen, wie etwa die Als ein wichtiges Forum der öffentlichen SFOR-, IFOR- oder KFOR-Einsätze oder der Auseinandersetzung mit Militär und Mili- Kosovokrieg, finden gar nicht oder kaum tärgeschichte versteht sich das MHM. Auf Erwähnung (lediglich fünf Mal). In den Grundlage einer historisch-kritischen Spu- 1980er Jahren des Kalten Krieges wurden rensuche bietet es Raum, um über aktuelle Abrüstungsbemühungen zwischen den mili- politisch-militärische Entwicklungen fach- tärischen Blöcken 22 Mal als bewunderns- kundig und kontrovers zu diskutieren. Das werte militärische Leistung präferiert. Die neue MHM soll über deutsche Militärge- Bundeswehr oder gar der Staatsbürger in schichte informieren, zu Fragen anregen und Uniform finden sich in den Antworten nicht verschiedene Sichtweisen anbieten. Das wieder. MHM wird ein Museum ohne Pathos sein, Die mit 389 Antworten bei weitem größte das sich bemüht, geschichtliche Besinnung Gruppe lehnt alles Militärische strikt ab. Der mit kritischer Auseinandersetzung und Wer- Schriftsteller Hermann Burger stellte 1983 tung zu verbinden. Es wird weniger ein die Gegenfrage: „Welche tödliche Krankheit Haus der Sinnstiftung als der Denkstiftung möchten Sie am liebsten haben?“ und die werden. Das neue MHM versteht sich nicht Tagesthemenmoderatorin Gabi Bauer re- primär als Technikmuseum, sondern als ein tournierte 1998: „Ich würde bewundern, historisches Museum, das mit den Fragestel-

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lungen einer modernen Militärgeschichte Wohlfeil bereits Ende der 1960er Jahre for- nicht nur Fachleute und technikinteressierte muliert hat, „fragt diese Disziplin der Ge- Laien, sondern ein breites Publikum errei- schichtswissenschaft nach der bewaffneten chen möchte. Macht als Instrument und Mittel der Politik Mit dieser Zielsetzung versucht das und befasst sich mit dem Problem ihrer Füh- MHM, inhaltlich und baulich neue Wege zu rung in Krieg und Frieden. Im Krieg sieht sie beschreiten. Eine Expertenkommission aus jedoch nicht nur eine rein militärische An- Wissenschaftlern und Museumsfachleuten gelegenheit, sondern stellt ihn hinein in die erarbeitete 2001 ein Rahmenkonzept für die allgemeine Geschichte [...]. Die Mil- Neukonzeption der Dauerausstellung. Mit itärgeschichte untersucht weiterhin das Mili- der Grundsanierung des Altbaus, - einer tär nicht nur als Institution, sondern als Fak- dreiflügligen Anlage der Semper-Schule - tor wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und und einem Erweiterungsbau wurde nach ei- des gesamten öffentlichen Lebens. Nicht zu- nem internationalen Wettbewerb der ameri- letzt beschäftigt sie sich mit der bewaffneten kanische Architekt Daniel Libeskind beauf- Macht als politischer Kraft. Im Mittelpunkt tragt. Der von Libeskind entworfene keil- der Militärgeschichte aber steht – analog förmige, asymmetrische Neubau durch- zum Ziel der allgemeinen historischen Wis- dringt den massiven, militärisch streng ge- senschaft, den Menschen und seinen Wir- gliederten Altbau. Die neue Architektur kungskreis zu erforschen – der Soldat in al- stellt einen Einschnitt in das Gebäude dar, len seinen Lebensbereichen“.6 wodurch nicht nur seine äußere Gestalt, Gerade diese Zielsetzung hat der Militär- sondern auch das innere Raumgefüge geschichte seit den 1990er Jahren weitere Er- grundlegend verändert wird. „Der neue kenntnishorizonte eröffnet. In ihrem Mit- Baukörper kontrastiert innen und außen in telpunkt steht die Forderung, „Militärge- Form und Charakter deutlich mit dem vor- schichte auch als historische Soziologie or- handenen.“5 Der Neubau ergänzt die hori- ganisierter Gewaltverhältnisse“ zu be- zontalen, durch ein Säulenraster geglieder- greifen. „Ausgehend von der institu- ten Flügel des Arsenals mit vertikalen, ge- tionalisierten Gewaltbefugnis des Militärs schossübergreifenden Sälen und schafft da- (lat. potestas) eröffnet sich eine Perspektive mit Platz für große und sperrige Schwerex- auf die durch die Gruppe oder den Einzel- ponate. Der Raum folgt hier der Funktion. nen ausgeübte oder erlittene Gewaltsamkeit Und gleichzeitig sind auf diesen inhaltliche (lat. violentia). Ihre Grundlage bildet dabei Codierungen übertragen, die das Gebäude die dem Individuum innewohnende oder zum ersten und größten Exponat der Aus- ihm durch die Verwendung von Hilfsmitteln stellung machen. Der Keil wird zum Gewalt- zuwachsende Gewalt (lat. vis).“7 instrument, der das Arsenal zerschneidet, Historische Prozesse münden in die Ge- zum Stachel, zum Zeichen für Krieg und genwart und erst diese gibt der Geschichte Schmerz, zum Kontrapunkt des Arsenals, ihren Atem und ihre Antworten. Und um- der Krieg nicht anerkennt, sondern in Frage gekehrt bedarf es der geschichtlichen Erin- stellt. Bei der Planung des Neubaus ging es nerung, um Fragestellungen und Probleme nicht darum, ein Gebäude zu errichten, bei der Gegenwart besser erklären und einord- dem es nur auf die Zahl der Quadratmeter nen zu können. Will man das Kriegspotenzi- ankommt, sondern hier war entscheidend, al unserer Welt ein wenig mehr verstehen, dass die Architektur zum symbolischen um es hinterfragen und vielleicht sogar Ausdruck unserer Geschichte wird. überwinden zu können, muss man sich den Im Rahmen dieses Um- und Neubaus Ursachen und dem Wesen jenes Gewalt- war nicht nur die architektonische Gestalt ‚Anteils’ zuwenden, der in uns selbst und al- des Museums neu zu bestimmen, sondern len anderen Menschen in allen bekannten auch eine zeitgemäße und an den neuen Gesellschaftsordnungen zu allen Zeiten ent- Fragestellungen einer modernen Militärge- halten war und ist. So verstanden, ist Krieg schichte orientierte Neukonzeption der nur eine Erscheinungsform der Gewalt. Und Dauerausstellung zu entwickeln. das Militär ist lediglich die berühmte Spitze In Anlehnung an die grundlegende Defi- des Eisberges, dessen Schwerpunkt weit un- nition von Militärgeschichte, wie sie Rainer terhalb der Wasserlinie im Bereich der Anth-

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ropologie und Kulturgeschichte des Men- Ausbau ein. Die Raumgestaltung entwickelt schen liegt. Plotstrukturen und eindringliche Assoziati- Das MHM wird nicht nur thematisch, onskontexte. Mittels Collagen aus audiovi- sondern auch auf der Ebene der Vermittlung suellen Medien werden Klang- und Bild- neue Wege beschreiten und einige ausgetre- räume geschaffen. In sechs geschossüber- tene Trampelpfade musealer Präsentationen greifenden prismenartigen Ausstellungs- verlassen. schächten, die Daniel Libeskind „vertikale Die zukünftigen Besucherinnen und Besu- Vitrinen“ nennt, werden Exponate im Raum cher werden im MHM zwei Museen in ei- installiert, wie zum Beispiel Karussellgon- nem vorfinden, die räumlich und metho- deln von Jahrmärkten aus den 1950er Jahren, disch klar von einander unterschieden sind. kleine Miniaturpanzer, -raketenwerfer und - Zum einen den klassischen chronologischen flugzeuge mit Miniaturbewaffnung, wenn Rundgang, die nach Daten sortierte Zeitreise man so möchte, eine Vorform moderner in den Flügeln des historischen Arsenalge- Ego-Shooter aus dem Krieg im Kinderzim- bäudes und den thematischen Querschnitt, mer heutiger Zeit. Die 18 Meter tiefe Vertika- den Themenparcours im Neubau von Daniel le Vitrine wird durch einen Laufsteg über- Libeskind. brückt. Eine Brüstungsvitrine am Geländer In der „Chronologie“ soll das Verhältnis nimmt Exponate zur Evolutionsgeschichte von Militär und Gesellschaft in Deutschland des Kriegsspielzeuges auf. Am Ende des präsentiert werden und dies vor dem Hin- Laufstegs ist nur noch ein einziges Exponat tergrund der allgemeinen Geschichte im ausgestellt, die Puppenstube eines engli- Wandel der Epochen vom Mittelalter bis zur schen Mädchens aus dem Jahre 1944. Das Gegenwart. Eine historische Ausstellung Mädchen lebte in London und hatte ihre lebt von der Abfolge der Ereignisse und der Puppenstube kriegstauglich gemacht, indem Sprache der Dinge. Obwohl Staatsaktionen es die Fenster mit schwarzer Farbe verdun- und Kriege den Hauptpfad bilden, gelingt kelte, Gasbettchen für ihre Puppen aufbaute es, die Entgegensetzung von Alltags- und und einen Anderson-Shelter vor das Haus politischer Geschichte zu überwinden. Die stellte. Spätestens an dieser Stelle wird aus Chronologie ermöglicht eine Annäherung an Spiel Ernst. Der Laufsteg ragt hier in eine das komplexe und umfassende Phänomen andere Museumshalle hinein, in der eine V2- „militärische Gewalt“ und seine besondere Rakete des Zweiten Weltkrieges steht, die Ausprägung „Krieg“. Das MHM erweitert London und das kleine Mädchen mit seiner das Thema bis hin zu einer Sozialgeschichte Puppenstube bedrohte. der militärischen Gewalt. Diese wird durch Der Themenparcours beginnt im vierten immer wieder aufgegriffene Leitthemen wie Obergeschoss des Neubaus, mit einem Aus- „Gesichter des Krieges“, „Verwundung und stellungsbereich zur Zerstörung Dresdens Tod“, die „Waffe als Arbeitsgerät“, „Solda- und anderer europäischer Städte im Zweiten tenalltag“ sowie „Erinnerung an Krieg“ be- Weltkrieg, der von Deutschland ausging handelt. und am Ende an seinen Ausgangspunkt zu- Im Themenparcours gibt nicht die Chro- rückkehrte. Von hier gelangen die Besucher nologie die Erzählrichtung vor, sondern hier ins dritte Obergeschoss, das dem Thema werden die Exponate in ihre größeren Sinn-, „Krieg und Gedächtnis“ gewidmet ist. Im Erfahrungs- und Funktionszusammenhänge Zweiten Obergeschoss sind die Themen „Po- gestellt. Der Themenparcours im Libeskind- litik und Gewalt“ und „Militär und Gesell- Keil konzentriert sich auf die Nennung gro- schaft“ verortet, - letzteres mit den Unterka- ßer Fragestellungen und lässt Raum für Spe- piteln „Militär und Sprache“, „Militär und zialthemen, die überraschende Einblicke in Mode“, „Krieg und Spiel“ sowie „Militär die Militärgeschichte ermöglichen. Hier fin- und Musik“. Im ersten Obergeschoss wer- den die Besucher verschiedene Arten von den die Themen „Leiden am Krieg“, „For- Erzählungen in ungewöhnlicher Präsentati- mation der Körper“ und „Tiere beim Mili- on. Anders als in der Chronologie, wo die tär“ ausgestellt und im Erdgeschoss „Militär Ausstellungsgestaltung eine weitgehend und Technologie“ sowie „Schutz und Zer- neutrale Folie für die Objektpräsentation störung“. Schutzbauten aus verschiedenen bildet, mischt sich hier der raumbildende Epochen stehen in diesem letzten Ausstel-

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lungsbereich einem Geschosshagel mit groß- min für die Eröffnung der neuen Ausstellung formatigen Bomben und Raketen aus dem noch nicht feststeht, wird an dieser Stelle von der 20. Jahrhundert gegenüber, der sich über üblichen Angabe von Preisen sowie Öffnungszei- mehrere Etagen des Gebäudes erstreckt. Am ten abgesehen. Ende steht die Atombombe. Mit ihrer poten- Bitte informieren Sie sich über die Internetseite tiell totalen Zerstörungskapazität ist sie ge- www.militaerhistorisches -museum.bundeswehr.de wissermaßen die radikalste Ausformung des oder telefonisch unter 0351 / 823 28 03. (Red.) Krieges der Menschen gegen sich selbst. In 1 einer Installation simuliert der in New York Vgl. zur Geschichte des Arsenals als Militärmu- lebende Künstler Ingo Günther das Aufblit- seum „100 Jahre Museum im Dresdner Arsenal (1897-1997). Eine Schrift zum Jubiläum“. Hrsg. zen der 1945 über Hiroshima detonierten vom Militärhistorischen Museum, Dresden 1997. Atombombe. Durch ein in zufälliger Zeitab- 2 Dieser Fragebogen mit 33 Fragen trägt den Na- folge ausgelöstes Blitzlicht werden die men des französischen Schriftstellers Marcel Schatten der Besucher für einige Sekunden Proust (1871–1922), der ihn aber nicht entworfen auf einer Wand eingebrannt. Der Besucher hat. Im Alter von etwa 20 Jahren hatte Proust ei- wird in die Inszenierung der Ausstellung nen Fragebogen ausgefüllt, dem er selber den Ti- mit einbezogen und gleichzeitig entsteht ei- tel «Marcel Proust par lui-même» («Marcel ne überraschende Sinneswahrnehmung des Proust über sich selbst») gab. Der Fragebogen eigenen Körpers, der sich von seinem Schat- war ein beliebtes Gesellschaftsspiel in den Pariser Salons. ten löst. 3 Bei der Operation Entebbe handelte es sich um Zentral für die neue Dauerausstellung ist eine Geiselbefreiung durch eine Spezialeinheit ihr multiperspektivischer Ansatz. Festste- des israelischen Heeresnachrichtendienstes hende Erwartungen werden hinterfragt, Aman auf dem Flughafen von Entebbe in Ugan- Blickwechsel ermöglichen einen neuen Blick da am 4. Juli 1976. auf komplexe militärhistorische und kultur- 4 Im Kampf um die Vorherrschaft in Italien geschichtliche Fragestellungen. Offen, viel- schlug Napoleon in der Nähe des Dorfes Maren- fältig und kontrastreich präsentiert sich ein go am 14. Juni 1800 ein österreichisches Heer. Am Museum, das seine Besucher anregen möch- Abend der Schlacht bereitete Napoleons Küchen- te, einen eigenen Standpunkt zu suchen. Der chef Dunant dem Feldherrn ein Nachtmahl zu. Weil er seinen ganzen Küchenwagen verloren Libeskind-Bau mit der neuen Dauerausstel- hatte, schickte er Soldaten aus mit dem Befehl, ir- lung öffnet Denkräume für die Auseinan- gend etwas Essbares herbeizuschaffen. Einer dersetzung mit Militärgeschichte, für den brachte ein Huhn, ein anderer Tomaten, ein drit- gesellschaftlichen Diskurs über die Rolle von ter eine Handvoll Pilze, ein vierter Zwiebeln ... Krieg und Militär in Vergangenheit, Gegen- Daraus improvisierte Dunant ein köstliches Ein- wart und Zukunft. topfgericht, das Küchengeschichte machen sollte. 5 Libeskind, Daniel: Beyond the Arsenal, Bro- Militärhistorisches Museum der Bundeswehr schüre, o.J., S. 6 6 Olbrichtplatz 2 - 01099 Dresden Zit. in Konzeption für das Militärhistorische Museum vom 14. Dezember 2001, S. 2. Da die Interimsausstellung des MHM am 12. 7 Konzeption für das Militärhistorische Museum September 2010 geschlossen wird und der Ter- vom 14. Dezember 2001, S. 2.

VERANSTALTUNGEN, TAGUNGSBERICHTE

Kolloquium zur Militärgeschichte für Nachwuchswissenschaftler/-innen Veranstaltet vom Wissenschaftlichen Beirat zur Verleihung des Werner-Hahlweg-Preises, dem Deutschen Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges, dem Arbeitskreis Militärge- schichte und dem Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 17. - 19. Mai 2010, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Von Takuma Melber

Um sich über ihre militärhistorisch ausge- ausgewiesenen Experten der Militärge- richteten Arbeiten untereinander und mit schichte auszutauschen, tagten vom 17. bis

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zum 19. Mai 2010 junge HistorikerInnen im der traditionellen Forschung bislang ange- Senatssaal der Johannes Gutenberg- nommen. Man darf auf die Endergebnisse Universität Mainz. Im Rahmen des Nach- der sich vor allem auf Briefmaterial stützen- wuchskolloquiums, organisiert und veran- den Studie CARMEN WINKELS gespannt staltet vom Deutschen Komitee für die Ge- sein, existieren für die Militärgeschichte schichte des Zweiten Weltkrieges, dem Ar- zwar Gruppenbiografien, jedoch kaum beitskreis Militärgeschichte, dem Arbeits- Netzwerkbetrachtungen, die ganz neue Ein- kreis Militär und Gesellschaft in der Frühen blicke in das System Militär gewähren, wie Neuzeit und vom Bundesamt für Wehrtech- PETER LIEB (Sandhurst) in seinem Kom- nik und Beschaffung, vertreten durch den mentar betonte. wissenschaftlichen Beirat zur Verleihung des CHRISTIAN SENNE (Hamburg) und Werner-Hahlweg-Preises, wurden diverse, NIELS WEISE (Würzburg) zeigten anhand en gros in einem Anfangsstadium ihrer Ent- ihrer Beiträge, dass auch die biographische stehung befindliche, Dissertationen vorge- Perspektive traditioneller Form, nämlich die stellt. In den sich auf insgesamt sechs Panels klassische Einzelbiographie, neue und verteilenden Vorträgen wurde dabei ein durchaus gewinnbringende Erkenntnisse zu breites Themenspektrum der Militärge- Tage fördert und den militärhistorischen schichte abgedeckt, nicht nur was die zeitli- Diskurs anregt. Anhand der Karriere Curt che und örtliche Fokussierung, sondern Ernst von Morgens, der unter anderem als auch militär- und kulturhistorische Ansätze Forschungsreisender im Hinterland Kame- sowie interdisziplinäre Herangehensweisen runs, als Militärattaché in Konstantinopel anbelangt. und schließlich als General der Infanterie tä- Zu Beginn der Tagung richtete sich der tig war, verwies auch SENNE auf die Bedeu- Blick der Diskutanten im von RAINER F. tung von Netzwerken innerhalb der preu- SCHMIDT (Würzburg) moderierten Panel ßisch-deutschen Armee: So war die militäri- „Biographische Perspektiven“ zunächst auf sche Laufbahn und der schnelle Aufstieg militärhistorisch relevante Akteure. von Morgens wesentlich durch die Vernet- CARMEN WINKEL (Potsdam) präsentierte zung des Generals im militärischen System einen für die Militärgeschichte überaus in- sowie die Protektion seines Vorgesetzten novativen Ansatz der Netzwerkanalyse: Im Eduard von Liebert bestimmt. Wie anhand Gegensatz zur älteren Forschung, welche die des Beitrags von CHRISTIAN SENNE deut- Rolle des preußischen Königs als zentrale lich wurde, gelang es einem Netzwerk impe- Entscheidungsgewalt in der Auswahl seiner rial denkender Offiziere im preußischen Offiziere betont, untersucht WINKEL das Heer durch Stellenbesetzungen im eigenen preußische Offizierskorps im 18. Jahrhun- Sinne durchaus die imperial ausgerichtete dert unter besonderer Berücksichtigung der Politik des nach Weltmacht strebenden sozialen Beziehungen (Verwandtschaft, Deutschen Kaiserreichs mitzugestalten, Freundschaft, Patronage, Landsmannschaft) wenngleich es im Offizierskorps der Schutz- der Akteure. Anhand von Fallbeispielen, un- truppen keinen esprit de corps gegeben hat. ter anderem der Familien von Holtzendorff Ferner setzte SENNE mit Blick auf die in der und Bondeli, verdeutlichte WINKEL, dass historischen Forschung diskutierte Frage als Auswahlkriterien zum Eintritt in den nach dem Zusammenhang zwischen der preußischen Offiziersstand nicht etwa Leis- Etablierung von Kolonialgebieten im Zuge tung oder Eignung, sondern vielmehr ver- des Imperialismus und dem Emporkommen wandtschaftliche und familiäre, aber auch totalitärer Regime einen Gegenstandpunkt wirtschaftliche Interessen preußischer Ade- zur These Hannah Arendts [1]: War und blieb liger die entscheidende Rolle spielten. Bil- von Morgen auch nach der Auflösung des dungen regelrechter preußischer Militärdy- Kaiserreichs ein bekennender Monarchist nastien waren schließlich die Folge. sowie ein vehementer Vertreter des Revisio- CARMEN WINKEL räumte ein, dass die nismus und zeigte er eine gewisse Affinität Zugehörigkeit zum Adel ein wesentliches zum völkischen Denken und einer autoritä- Kriterium der Vorauswahl der Offiziere dar- ren Herrschaftsform auf, war von Morgen stellte. Allerdings wies die Referentin darauf der nationalsozialistischen Bewegung nicht hin, dass die Standesunterschiede bei Wei- zugeneigt. tem nicht so fest verankert waren, wie von

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NIELS WEISE richtete den Fokus seines oberste Prämisse bildete. War der preußi- Vortrages auf die Zeit der nationalsozialisti- sche König für ein normgerechtes Verhalten schen „Schutzhaft“ Theoder Eickes im Jahr seiner Soldaten zwar von großer Bedeutung, 1933 und damit auf einen wenig beleuchte- gab es in realiter dennoch eine gewisse Dis- ten Teilabschnitt des biografischen Werde- krepanz zwischen eingeforderten Normen gangs des SS-Obergruppenführers und Mit- und dem tatsächlichen Verhalten der Solda- begründers der Waffen-SS, der vor allem als ten. Normverstöße waren dabei letztlich der zweiter Kommandant des Konzentrationsla- militärischen Praxis geschuldet. Des Weite- gers Dachau und KZ-Inspekteur traurige Be- ren stellte GROSS in seiner Betrachtung der rühmtheit erlangte. Unter Heranziehung des Schlacht als militärischem Ausnahmezu- in der „Schutzhaftanstalt“ der Würzburger stand übergeordnete Motivationsfaktoren Psychiatrie 1933 angelegten Anamnesebe- zur Schlachtenteilnahme, wie Glaube, Ehre, richts schlug Weise die „Akte Eicke“ neu auf Treue und Patriotismus, in Relation zu Fak- und stellte dabei die neu gewonnenen Er- toren individueller Natur, wie Selbsterhal- kenntnisse zum Führungsstil Heinrich tungstrieb und Angst. Am Fallbeispiel des Himmlers heraus: So wurde der damalige Schweizer Söldners Bräker zeigte der Refe- SS-Oberführer auf Anweisung des Reichs- rent dabei auf, dass die Schlacht als Schock- führers-SS und nicht etwa auf die des pfälzi- erlebnis zum Ausbruch latenter Unzufrie- schen Gauleiters Josef Bürckel in die psychi- denheit führen konnte, was in diesem Fall atrische Anstalt eingewiesen. Ebenso war es schließlich in der Desertion des Akteurs Himmler, der die Entlassung Eickes veran- mündete. Letztlich, so das Fazit des grosss- lasste – primär, um eigene Probleme zu lö- chen Beitrags, muss der militärische Werte- sen, nämlich den lokalen Konflikt zwischen kanon als selbstgeneriertes, standesethisches Bürckel und Eicke zu entschärfen, die gera- und nicht als ein aufoktroyiertes Wertesys- de vakant gewordene Stelle der Leitung des tem aufgefasst sowie die Schlachtenteilneh- Konzentrationslagers Dachau in der Person mer sowohl als Träger als auch als Produ- Eickes zu besetzen und im neuen Leiter des zenten von Normen- und Wertesystemen KZs Dachau, der seine Berufung als „letzte verstanden werden. Trotz eines klar erkenn- Bewährungschance“ verstand, das Gefühl baren, übergeordneten Systems soldatischer einer gewissen Abhängigkeit sowie eine loy- Normen gilt es auch stets individuelle und ale Haltung hervorzurufen. Auch die Studie standestypisch unterschiedliche Systeme zu von NIELS WEISE ist somit vor allem im berücksichtigen. Rahmen des in diesem Panel diskutierten Die Verbindung der Elemente einer ope- Netzwerkbegriffs zu verstehen und einzu- rationsgeschichtlichen Schlachtenanalyse ordnen. mit Aspekten mentalitätsgeschichtlicher Na- In der von ROLF-DIETER MÜLLER tur leistete JONATHAN ZIMMERLI anhand (Potsdam) geleiteten und VOLKER der von ihm erörterten Schlacht im Hürt- SCHMIDTCHEN (Bochum) kommentierten genwald (1944). ZIMMERLI schritt dabei zweiten Sektion wandten sich FREDERIC von der diesbezüglich in der amerikanischen GROSS (Tübingen) und JONATHAN Militärgeschichtsschreibung dominierenden ZIMMERLI (Bern) der „Schlacht als Analy- personenbezogenen Mikro- auf eine überge- seinstrument“ zu. GROSS stellte aus seinem ordnete, strukturelle Probleme und Mentali- Dissertationsprojekt zur literarischen Verar- täten des US-Offizierskorps betrachtende beitung von Kriegserfahrungen im Sieben- Makroebene. Auf amerikanisches Archivma- jährigen Krieg die am 1. Oktober 1756 zwi- terial gestützt erläuterte ZIMMERLI über- schen preußischen und österreichischen zeugend, dass das Fortsetzen der Schlacht Truppen ausgefochtene Schlacht bei Lobo- trotz exorbitant ansteigender Verlustzahlen sitz vor. Dabei stellte er die Frage nach Exis- und des bedenkenlosen Opferns amerikani- tenz und Reichweite soldatischer Tugenden scher Soldaten durch die Kommandierenden und Normen mit besonderer Fokussierung der 1. US-Armee dem von der Marktwirt- der einfachen Soldaten im Angesicht militä- schaft her bekannten „Fire and Hire“- rischer Gefahr. GROSS zeigte auf, dass das Prinzip geschuldet war. Die Regel darstel- militärische Tugend- und Wertesystem den lende Einmischungen von oben, gekoppelt Interaktionsrahmen der Akteure festlegte, mit der ständigen Angst vor Entlassungen, wobei das Prinzip der Funktionalität die erzeugten eine soziale Drucksituation inner-

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halb der US-Armee. Dieser auf den Kom- der noch in einem Anfangsstadium befindli- mandierenden der Einheiten lastende soziale chen Arbeit möchte die Historikerin unter Druck hatte schließlich eine zu positive Dar- anderem zivile und militärische Strukturen stellung der eigenen Leistungs- und Einsatz- sowie politische Intentionen und Ziele der fähigkeit in den Tagesberichten der Divisio- Entsendungsmacht unter Berücksichtigung nen und Regimenter zur Folge, sodass auf entsprechender Verträge und Abkommen höchster Kommandoebene eine völlig ver- aufzeigen. Kooperationen und Dialoge, aber zerrte Wahrnehmung der tatsächlichen auch Konflikte sollen bei der Begutachtung Kriegslage vorherrschte. Ihr war letztlich des Sandszakalltags ebenso wie die Kontak- das sture Festhalten der Entscheidungsträ- te zwischen österreichisch-ungarischen und ger an einer amerikanischen Kriegsführung osmanischen Vertretern zur Sprache kom- in strategisch gesehen zweitrangigem Ge- men. Neben der Betrachtung nachbarschaft- lände geschuldet. Gemäß ZIMMERLI be- licher Einflüsse ist es SCHEER zudem wich- stimmte der Taylorismus die Mentalität der tig, den Einfluss der k.u.k.-Monarchie als US-Armee im Zweiten Weltkrieg wesentlich, dualistischen Einfluss herauszustellen und in welcher der einfache GI nichts weiter als damit den Fokus auch auf die oftmals ver- ein bloßes und leicht austauschbares Räd- nachlässigte ungarische Sicht, d.h. auf unga- chen der amerikanischen Militärmaschinerie rische Politiker als Policy Maker, zu richten. darstellte. Wie anhand der Projektvorstellung deutlich SÖNKE NEITZEL (Mainz) wies in seinem wurde, wird auch hier einmal mehr die ein Abschlusskommentar in dem von STEFAN Charakteristikum der heterogen erscheinen- KARNER geleiteten Kolloquiumsabschnitt den Donaumonarchie um 1900 darstellende „Militärische Fremdherrschaft“ darauf hin, Vielvölkerproblematik ein zentrales Thema dass es der historischen Forschungsland- der Studie werden. schaft noch immer sowohl an synchron als Um hinter der Folie des Vernichtungs- auch diachron vergleichenden Besatzungs- krieges die Heterogenität des deutschen studien mangele und eine vergleichende Be- Ostkrieges hervorzuheben, nahm JÜRGEN trachtung von Phänomenen wie Besatzung KILIAN (Passau) die Wahrnehmung deut- noch zu wenig gewagt werde. Diesen Appell scher Besatzer des russischen Nordwestens stützend, wurde in dieser Sektion einem ös- in den Kriegsjahren 1941-1944 unter die Lu- terreichisch-ungarischen Beispiel aus dem pe. Im Mittelpunkt seiner Analyse stand die späten 19./frühen 20. Jahrhundert eine deut- Frage nach der propagandistischen Themati- sche Okkupationsstudie aus dem Zweiten sierung und schließlich tatsächlichen Weltkrieg gegenübergestellt. Verbreitung des Bildes des „slawischen Un- Zunächst stellte TAMARA SCHEER (Bu- termenschen“ innerhalb der Wehrmachts- dapest) die Militärpräsenz der Donaumo- truppen. Diesbezüglich erläuterte KILIAN, narchie im Sandszak Novipazar/Plevlje vor, dass sich für die Wehrmachtssoldaten trotz wobei sie zunächst den zu beachtenden aller existierender, in einer Frühphase des Sonderstatus des Sandszaks ausdrücklich Ostfeldzugs direkt und indirekt stark pro- hervorhob: Aufgrund der aufrecht erhalten pagierter, negativer Stereotype kein einheit- gebliebenen osmanischen Verwaltung ist im liches, sondern vielmehr ein vielseitiges und Fall Novipazar/Plevlje nämlich von einer damit heterogen wahrgenommenes Slawen- Militärpräsenz, jedoch nicht von einer Besat- bild konstatieren lässt. Diverse, überwie- zung im militärischen Sinn zu sprechen. Auf gend auf das Kriegsgeschehen reagierende einen breiten Quellenfundus gestützt, der in Versuche, das Slawenbild als auch das Ver- bosnisch-herzegowinischen Archiven la- halten der Besatzer zu normieren und die gernde administrative Schriften lokaler Ebe- Besatzung damit effizienter und einheitli- ne, Memoiren und Reiseliteratur, die Fremd- cher zu gestalten, scheiterten. Situative Ele- sichten auf den Sandszak ermöglichen, so- mente und eine gewisse Eigendynamik der wie Zeitungen, aus denen die zeitgenössi- Handlungsweisen deutscher Wehrmachts- sche öffentliche Diskussion und Wahrneh- soldaten gegenüber der Bevölkerung präg- mung herausgearbeitet werden soll, beinhal- ten die Zeit der eher kontrastreich als kon- tet, zielt TAMARA SCHEER darauf, eine form erscheinenden deutschen Besatzung umfassende Sicht auf die österreichisch- des russischen Nordwestens. Die diversifi- ungarische Militärpräsenz zu offerieren. In zierten und vielschichtigen Wahrnehmun-

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gen der Besatzten seitens der Besatzer zogen (München) in seinem abschließenden Kom- schließlich eine genauso facettenreiche, mentar zu der von BERNHARD KROENER wenn auch in ihrer Gesamtheit nicht völker- (Potsdam) geleiteten Sektion hervorhob. rechtskonforme Okkupationszeit nach sich. Wurden die Offiziere der Donaumonar- In jüngster Zeit beschäftigen sich zum chie in Form der von SCHMITZ ausgewerte- Teil interdisziplinär ausgelegte Forschungs- ten Erfahrungsevaluationsbögen dienstlich projekte mit dem schier unerschöpflich er- abgefragt, wurden deutsche Generäle wäh- scheinenden Themenfeld der „Erfahrungen rend des Zweiten Weltkriegs in Gefangen- und Deutungen des Krieges“. Der histori- schaft vom britischen Nachrichtendienst ab- schen Forschungsaktualität geschuldet, bil- gehört. Auf der aus der britischen Intelligen- deten daher militärische Wahrnehmungs-, cearbeit hervorgegangenen, einzigartigen Deutungs-, Denk- und Erfahrungsmuster Quelle der Abhörprotokolle gründet die in den Rahmen der letzten drei Panels und den letzten Zügen befindliche Dissertation damit ein Kernthema des Kolloquiums. von TOBIAS SEIDL (Mainz), der sich mit Zunächst stellte MARTIN SCHMITZ den Wahrnehmungs- und Deutungsmustern (Augsburg) sein noch in einer Frühphase be- deutscher Generäle beschäftigt. SEIDL zeigte findliches Dissertationsprojekt vor, das die in seinem Vortrag anhand der Aussagen ei- militärischen Erfahrungen von k.u.k.- ner untersuchten Gruppe 17 gefangener Ge- Offizieren im Ersten Weltkrieg im Hinblick neräle des Afrikakorps für den Zeitraum auf „Formen der Kriegführung“ zum For- Mai 1943 bis Mai 1944 auf, dass sich die Auf- schungsgegenstand hat. Auch gewisse Rah- fassungen und Einstellungen dieses Teils menbedingungen, wie das Anforderungs- der Wehrmachtsgeneräle nicht ohne Weite- profil an die Offiziere, die Bedeutung lingu- res generalisieren lassen. Stattdessen sind istischer Beherrschung seitens der Offiziere die Vorstellungen und Deutungen der Gene- für das Leistungsvermögen der ethnisch he- ralität vielschichtiger Natur. Sie besitzen terogenen k.u.k.-Truppen, oder auch menta- sowohl homogene als auch heterogene Zü- litäts- und kulturgeschichtliche Aspekte, wie ge. Teilweise sind sogar Unterschiede in die Wahrnehmung des soldatischen Selbst-, zentraler und in den Personenkreisen um aber auch Feindbildes, die Deutung der die Generäle Crüwell und von Thoma pola- Kriegsniederlage und die Sinnstiftung des risierter Weise zu erkennen, beispielsweise Krieges, werden im Rahmen dieser Studie in der Wahrnehmung und Deutung des poli- thematisiert. Auf methodische Vorarbeiten tischen Geschehens oder der Einschätzung des Tübinger Sonderforschungsbereichs des weiteren Kriegsgeschehens. Entgegen „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesell- bisher geltender Annahmen müssen das schaft in der Neuzeit“ gestützt, zielt soldatische Selbstverständnis und Handeln SCHMITZ zudem darauf, auch Aussagen von der politischen Einstellung getrennt be- über die militärische Sozialisation der Offi- trachtet werden, so ein Plädoyer SEIDLS. ziere zu treffen sowie Übereinstimmungen Traditionelle Erklärungsansätze greifen hier als auch Diskrepanzen von Erwartungen an zu kurz und auch Betrachtungen des militä- den Krieg und Erfahrungen im Krieg her- rischen Werdegangs und der Auszeichnun- auszuarbeiten. Die Arbeit von MARTIN gen Einzelner können nur unter Vorbehalt SCHMITZ fußt dabei auf einem zweigliedri- als Indikatoren zur Deutung des soldati- gen Quellenkorpus: Zum einen auf zahlrei- schen Ethos Wehrmachtsangehöriger heran- chen Nachlässen, die Reflexions- und Kor- gezogen werden. Die Abhörprotokolle legen respondenzschriften von Offizieren der ös- somit eine zumindest teilweise Neubewer- terreichisch-ungarischen Armee beinhalten. tung der Institution Wehrmacht und ihrer Zum anderen auf im Wiener Kriegsarchiv Akteure nahe. Folglich scheinen im Ange- lagernden, dienstlichen Überlieferungen, sicht dieser und weiterer Studien des For- insbesondere Erfahrungsberichten von Ein- schungsprojektes „Referenzrahmen des heiten und Offizieren. Die vorgestellte Ar- Krieges“ das bislang vorherrschende Bild beit lässt gerade dank des profunden Quel- der Homogenität der Wahrnehmungs- und lenfundus neue Erkenntnisse zum Erfah- Deutungsmuster der Wehrmachtsgeneralität rungs- und Deutungshorizont der Offiziere kritisch hinterfragt werden zu müssen. und zum Innenleben der k.u.k.-Armee er- Den Chair des sich mit je einem Beitrag warten, wie CHRISTIAN HARTMANN der Antike und der sich mit der Scharnier-

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zeit zwischen Spätantike und Frühem Mit- Soldaten des römischen Imperiums mehr telalter beschäftigenden Sektion hatte SVEN mit den merowingischen Kriegern als den GÜNTHER (Mainz) inne. ANDREA Soldaten der römischen Kaiserzeit gemein- SCHÜTZE (München) stellte hier einen Teil- sam hatten. Daneben wurde anhand des aspekt ihres Projektes „Domitian – Krieg Vortrags offensichtlich, dass die Beschäfti- und mediale Krieger in den Medien der rö- gung mit aufgrund der Quellenlage verhält- mischen Kaiserzeit“ vor, in dem sie sich mit nismäßig gut fassbaren Gesellschaftsstruktu- dem medialen Transfer von Krieg in eine zi- ren, wie dem sich so grundlegend verän- vile Gesellschaft und deren kriegsmediale dernden, spätrömischen Militärwesen nicht Einbindung befasst. Im Zuge der grundle- zu unterschätzende Möglichkeiten eröffnet, genden Frage nach dem medialen Kriegser- neue Zugänge zu vergleichbaren Wand- folg Domitians untersuchte die Althistorike- lungsprozessen zu erhalten. Dadurch schei- rin in ihrem Vortrag „69 – ein Kriegstrauma nen jene Vorgänge, die zum Ende der Antike mit Folgen?“ die mediale Qualität der real- und schließlich zu der Zeit, die heute als historischen Ereignisse zwischen dem 18. „Mittelalter“ bezeichnet wird, führten, bes- und 20. Dezember 69 n. Chr. Sie vertrat da- ser verständlich zu werden, so SARTI. bei die These, dieses Ereignis habe – bislang OLIVER STOLL schloss die Sektion mit sei- zu wenig beachtet – für das mediale Ver- nem Kommentar, in dem er den zur Diskus- ständnis Domitians grundlegende Bedeu- sion gestellten, Kriegserfahrungen und - tung, da nach einer Analyse gemäß DSM-IV traumata fokussierenden Beitrag sowohl bei Domitian, als auch den Flavia- SCHÜTZES in den Rahmen des Gesamtkon- nern sowie weiten Teilen der römischen Be- zepts medialer und kommunikativer Verar- völkerung eine schwere Kriegstraumatisie- beitung Domitians stellte. Unter dem Hin- rung stattgefunden haben müsse. Damit sei weis, den Wandel der Spätantike als sehr für eine ganze Generation eine nicht zu un- komplexen Prozess zu verstehen, der sich terschätzende kommunikative Konsens- nicht ohne Weiteres mit der Barbarisierung grundlage zwischen Kaiser und Volk ge- der Römer und einer gleichzeitigen Romani- schaffen worden. Das „Ereignis 69“ sei nicht sierung der Germanen erklären ließe, rei- nur durch ständige Reinszenierung verarbei- cherte er den Beitrag SARTIS mit Bemer- tet und memoriert worden, sondern spiegele kungen zum System Militär als integratives sich gerade in den vom Kaiser selbst geführ- Element an. ten Kriegen wider. Das letzte Kolloquiumspanel wu rd e LAURY SARTI (Hamburg) erklärte in ih- schließlich von HORST CARL (Gießen) ge- rem Vortrag zur Entstehung des merowingi- leitet, dem FELIX RÖMER (Mainz) als schen Militärwesens, dass das spätrömische Kommentator der vorgetragenen Referate Militärwesen keinen Bruch zur Zeit der zur Seite stand. fränkischen Machtübernahme kannte. Viel- Einen regionalgeschichtlichen Beitrag aus mehr hatten sich viele Elemente, die für das dem Themenfeld der Gewaltkultur lieferte merowingische Heerwesen von Bedeutung STEFANIE FABIAN (Magdeburg), die in ih- sein sollten, bereits im Laufe des 5. Jahrhun- rer Dissertation Wahrnehmungen und Er- derts entwickelt. Im Zuge dieser Verände- fahrungen von Gewalt im Dreißigjährigen rungen wurde der Kriegsführende wieder und Siebenjährigen Krieg im Gebiet des heu- Teil der zeitgenössischen Gesellschaft und tigen Sachsen-Anhalt analysiert und zuein- deren Erlebniswelt, was mit einem Identi- ander in Relation setzt. In beiden Kriegen tätswandel des als „miles“ bezeichneten kam es dabei zu verschiedensten Formen Soldaten verbunden war. Inwiefern sich die- militärischer Übergriffe auf die Bevölkerung, ser bis in die zeitgenössische Begrifflichkeit die oftmals existenzbedrohende Folgeer- zur Bezeichnung des kriegsführenden Waf- scheinungen wie Hunger oder Seuchen nach fenträgers niederschlug, erörterte SARTI an- sich zogen, wie beispielsweise Plünderun- hand von Beispielen: So zeigte sie, dass der gen, Truppeneinquartierungen und - den Soldaten definierende Begriff des „mi- durchzüge oder der Raub von Vieh und Ge- les“ nach und nach verschwand und die für treide. Für den Siebenjährigen Krieg lassen die Soldaten verwendete Bezeichnung „ho- sich dabei weitestgehend Formen materieller mines christi“ neu auftauchte. Die Indizien Gewalt, die Heranziehung von Zivilisten zu weisen darauf hin, dass dabei die letzten Schanz- und Holzarbeiten oder Vorspann-

33 Veranstaltungen / Tagungsberichte

diensten sowie Geiselnahmen von Amtsper- und der Frau als Symbol des zu schützenden sonen zur Lösegelderpressung nachweisen. Vaterlandes auf der anderen Seite, waren In beiden untersuchten Kriegen hing die klar verteilt. Wie BISCHL anhand von Plaka- soldatische Gewaltausübung gegenüber Zi- ten in Wort und Bild illustrierte, waren im vilisten dabei wesentlich von der persönli- Deutungshorizont der Rotarmisten Alko- chen Haltung, der Autorität und der Inter- holkonsum, Gewaltbereitschaft und hetero- pretation vorgegebener Ordnungen und sexuelle Aktivität als Attribute der Männ- Normen seitens der kommandierenden Offi- lichkeit an das entsprechende Rollenmodell ziere ab. FABIAN wies jedoch ausdrücklich gekoppelt, was schließlich sexuelle Übergrif- darauf hin, dass der Dreißigjährige Krieg ei- fe auf Frauen zur Folge hatte. Dank der Ein- ne von Furcht und Willkürempfinden sichtnahme von Egodokumenten gewährt durchdrungene Atmosphäre aufwies, wäh- die Studie BISCHLS besondere Einblicke in rend übergeordnete Instanzen im Zeitalter das Innenleben der Roten Armee, sodass der Kabinettskriege nach und nach mehr man auf zahlreiche neue, die Studie Cathe- wert auf die Einhaltung von Disziplin und rine Merridales genderspezifisch ergänzen- Ordnung legten und ein stärkeres Bewusst- de Erkenntnisse gespannt sein darf. [2] sein für im Kriegsgeschehen erlaubte und Das Kolloquium bildete schließlich auch unerlaubte Handlungen entwickelten. Im einen angemessenen Rahmen für die 10. Siebenjährigen Krieg verstand es die militä- Verleihung des Werner-Hahlweg-Preises für rische Führung schließlich diese besser in Militärgeschichte und Wehrwissenschaften. die Praxis umzusetzen: Soldatische Norm- Für ihre Studien wurden TANJA BÜHRER verstöße gegenüber Zivilisten wurden sei- (Bern), RÜDIGER BERGIEN (Potsdam), tens der Obrigkeit nun stärker geahndet, so- CHRISTIAN KEHRT (Darmstadt), MARTIN dass es zu einem geordneteren Miteinander CLAUSS (Regensburg) und WENCKE von Bevölkerung und Militär im Kontext des METELING (MARBURG) ausgezeichnet. Krieges kam. Als Fazit bleibt zu konstatieren, dass eine KERSTIN BISCHL (Berlin) stellte im Wiederholung eines solchen Kolloquiums, Schlussvortrag des Kolloquiums einen Teil- verstanden als Plattform des wissenschaftli- abschnitt ihrer im foucaultschen Sinne kul- chen Austausches zwischen militärge- turgeschichtlich angelegten Dissertation vor, schichtlichen Experten und jungen Militär- in der sie den Kriegsalltag der Roten Armee historikerInnen, äußerst zu begrüßen ist, wie und damit Wahrnehmungs- und Hand- anhand der anregenden und teils kontrovers lungsmuster, Gewalterfahrungen, soziale geführten Diskussionen zwischen Referie- Dynamiken und Geschlechterdiskurse ana- renden und Auditorium deutlich wurde. lysiert. Die im Fokus stehenden Vergewalti- Vorgestellte Arbeiten der Nachwuchswis- gungen deutscher und osteuropäischer senschaftlerInnen lassen für die Zukunft Frauen durch Rotarmisten sowie deren se- nicht nur fachlich spezifische Erkenntnis- xuelle Übergriffe auf Kameradinnen lassen gewinne, sondern auch erhebliche Impulse sich laut BISCHL mit Blick auf Sinnstif- in Form neuer Ansätze, Blickwinkel und Me- tungsprozesse, Selbstwahrnehmung und vor thoden an die deutsche Militärgeschichte allem –darstellung der Sowjetsoldaten erklä- und andere geschichtswissenschaftliche Dis- ren. Die Soldaten übernahmen die innerhalb ziplinen erwarten. der Roten Armee existierende, stark propa- Takuma Melber gandistisch indoktrinierte Polarisierung

zwischen Heldentum auf der einen sowie

Feigheit und Verrat auf der anderen Seite ______gezwungenermaßen als sinnstiftendes Deu- 1 Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge tota- tungsraster des eigenen Seins und Handelns. ler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, Die Ausübung von Gewalt spielte dabei eine Totalitarismus, München u.a.: Piper 2008. wichtige Rolle für den Vergemeinschaf- 2 Merridale, Catherine, Iwans Krieg: die Rote tungsprozess, vor allem aber die Fremd- Armee 1939 bis 1945, Frankfurt am Main: S. Fi- und Selbstwahrnehmung der Rotarmisten scher 2006. als „Helden“. Die geschlechtsspezifischen Rollen, mit dem wehrhaften, die Heimat ver- teidigenden Mann als Soldaten auf der einen

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deutschen Besatzer am Beispiel des russi- KOLLOQUIUMSÜBERSICHT schen Nordwestens (1941-1945)

I Biographische Perspektiven IV Erfahrungen und Deutungen des Krieges ­ Carmen Winkel (Potsdam), Netzwerke im (I) preußischen Offizierskorps (1713-1786) ­ Martin Schmitz (Augsburg), „Als ob die ­ Christian Senne (Hamburg), General Curt Welt aus den Fugen ginge“. Kriegserfah- Ernst von Morgen. Die imperiale Biogra- rungen von kuk Offizieren (1914-1918) phie eines preußisch-deutschen Offiziers ­ Tobias Seidl (Mainz), „Picking a general´s (1858-1928) mind”. Studien zum Deutungshorizont ­ Niels Weise (Würzburg), „Ich müsste ver- deutscher Generäle im Zweiten Weltkrieg rückt werden…“ Überlegungen zur Karrie- re des Inspekteurs der Konzentrationslager V Erfahrungen und Deutungen des Krieges und SS-Obergruppenführers und Generals (II) der Waffen-SS Theodor Eicke ­ Andrea Schütze (München), Domitian –

II Die Schlacht als Analyseinstrument Krieg und mediale Krieger in den Medien ­ Frederic Groß (Tübingen), Die Schlacht als der Römischen Kaiserzeit Erfahrungs- und Produktionsraum von mi- ­ Laury Sarti (Hamburg), Die letzten römi- litärischen Tugenden und Normen am Bei- schen Soldaten. Zur Entstehung des mero- spiel der Schlacht bei Lobocitz (1756) wingischen Militärwesens

­ Jonathan Zimmerli (Bern), Die Schlacht im VI Erfahrungen und Deutungen des Krieges Hürtgenwald (1944) (III)

III Militärische Fremdherrschaft ­ Stefanie Fabian (Magdeburg), Entfesselte ­ Tamara Scheer (Budapest), Mitteleuropa im Bellona? Gezähmte Bellona? Eine verglei- „europäischen Orient“. Die österreichisch- chende Perspektive auf Lebenswelten, Ge- ungarische Militärpräsenz im Sanszak No- walterfahrungen und Gewaltwahrneh- vipazar/Plevlje (1879-1908) mungen im Kriegsalltag des Dreißigjähri- ­ Jürgen Kilian (Passau), Die Perzeption der gen Krieges und des Siebenjährigen Krieges einheimischen Zivilbevölkerung seitens der ­ Kerstin Bischl (Berlin), Alltag und Gewalt, soziale Dynamiken und Geschlechterdis- kurse: Die Rote Armee 1939-1945

UNENDLICHE WELTEN

Abschiedsexkursion zu Ehren Gerd Krumeichs, 20. bis 25. März 2010 Von Ingo Eiberg

„Das haben sie noch mit keinem Prof ge- zuvor selbst eine Tagung zum Thema NS macht“, grinst Gerd Krumeich auf der Rück- und Erster Weltkrieg organisiert hatte und fahrt der sechstägigen Exkursion zufrieden Festschriften zutiefst verabscheut – die beste in die Runde. Anlässlich der Pensionierung Form, um seine wissenschaftliche Arbeit der des ehemaligen Lehrstuhlinhabers des His- letzten Jahrzehnte zu würdigen und torischen Seminars II der Heinrich Heine zugleich einen Blick in die Zukunft zu öff- Universität haben seine Mitarbeiter und nen. Studierende eine abwechslungsreiche Tour Sie sollte die Reisenden nicht nur zu durch Frankreich und Süddeutschland or- wichtigen Stationen des forschenden und ganisiert. Begleitet wurde der Ehrenvorsit- lehrenden Weges von Gerd Krumeich füh- zende des Arbeitskreises, der absichtlich ren (so wurden selbstverständlich Orte des nicht über die Ziele der Reise informiert Ersten Weltkrieges, solche, welche die wurde, von aktiven und ehemaligen Mitar- deutsch-französische Geschichte sowie beitern, Weggefährten, Doktoranden und Jeanne d´Arc repräsentieren, aber auch Orte, Studenten der Uni Düsseldorf. Eine Exkur- die eng mit dem Wirken Gerd Krumeichs sion schien allen Mitarbeitern – denen be- verbunden sind – wie Freiburg oder Stutt- kannt war, dass ihr Chef, der genau ein Jahr gart – besucht), sondern das interessierte,

35 Unendliche Welten

aufmerksame, die eigenen Perspektiven hin- zugleich mit einer Spur Selbstironie unseren terfragende Unterwegssein an sich sollte „boches de service“ und unterstrich damit, umgesetzt werden. in welchem Maße die internationale, aber Die erste Station führte die 50-köpfige nationale Perspektiven nicht auflösende Ar- Gruppe am 20. März zur Gedenkstätte beit des Museums lieb gewonnene Fremd- Thiepval an der Somme. Zu diesem ein- bilder oder verwurzelte Interpretationen drucksvollen, 1932 eingeweihten Denkmal hinterfragt und aufgebrochen hat. für die britischen und Commonwealth- Im Anschluss führte der sichtlich beweg- Soldaten, die kein bekanntes Grab haben, te Gerd Krumeich die Exkursionsteilnehmer gehört seit 2004 auch ein Besucherzentrum. durch die Ausstellung. Er und seine wissen- Es ist eine Art Außenstelle des renommier- schaftlichen Kollegen präsentierten den Be- ten Weltkriegsmuseums in Péronne, zu des- suchern das jeweilige Lieblingsobjekt. Für sen Gründungsmitgliedern Gerd Krumeich die Zuhörer wurde besonders anschaulich, gehört. Seit Jahren ist den Museumsmitar- dass auch das Erzählen im Museum zu ei- beitern bekannt, dass die Zahl der britischen nem nicht unerheblichen Teil sehr persön- (und erst recht der deutschen) Besucher weit lich ist und von individuellen Vorlieben be- hinter der der französischen zurückbleibt. stimmt wird. Wie die meisten Besucher, so Für Reisende aus England ist das imposante haben auch die Geisteswissenschaftler Ob- Denkmal Thiepval ein wichtiges Ziel, und so jekte, welche sie besonders berühren und in- lag es nahe, ein kleines Museum in der Nähe tellektuell anregen. Die Führung ging aber den Monuments zu erbauen, das sich zum über die Geschichte des 1. Weltkrieges weit einen der Somme-Schlacht widmet und zum hinaus, denn sie beleuchtete zugleich die anderen auch den Architekten Sir Edwin Lu- Entstehungsgeschichte des 1992 eröffneten tyens und seine Denkmalskonzeption den Museums. (http://www.historial.org/) Besuchern näherbringt. Im Mittelpunkt des Am zweiten Tag der Exkursion ging es nach kleinen aber feinen Museums, das gänzlich Compiègne, wo der Wagon de l'armistice (al- ohne Exponate im klassischen Sinn aus- lerdings eine Replik des im 2. Weltkrieg zer- kommt (außer einem Modell des Monu- störten Eisenbahnwagens) und das Denkmal ments) steht der Versuch, einen Teil der auf der Lichtung der Unterzeichnung des Identität der namenlosen Gefallenen zu- Waffenstillstandsvertrages besucht wurden. rückzubringen bzw. wiederherzustellen. Zu Das kleine, um den Waggon herum angeleg- jedem Namen soll ein Foto gefunden wer- te Museum bietet zwar zahlreiche interes- den und für einige der Toten gibt es einen sante Objekte – so zum Beispiel die Stereo- beindruckenden Stammbaum der Nach- skope, die dem Besucher mit dreidimensio- kommen – in vielen Fällen Kinder und Enkel nalen Bildern aus der Zeit des Ersten Welt- der überlebenden Familienangehörigen. krieges Einblicke in viele Themenkomplexe Diese Form des Gedenkens führt dem Besu- bieten. 1 Zugleich wird aber auch deutlich, cher eindrucksvoll vor Augen, wie viel Le- dass es in diesem kleinen Museum um eine ben durch den Krieg ausgelöscht wurde. ganz andere Form der musealen Präsentati- Der anschließende Besuch des Historial de on geht als in Péronne: während dort mit la Grande Guerre in Péronne hielt für den Vi- wenigen und ausgewählten Exponaten (ob- zepräsidenten des Museums eine erste Über- wohl das Historial weltweit über die größte raschung bereit. Mit einem Empfang durch Sammlung von Objekten zum 1. Weltkrieg das gesamte comité directeur hatte der 65- besitzt) Impulse für eine intensive Ausei- jährige nicht gerechnet, da er sich bereits nandersetzung mit dem komplexen Ereignis wenige Tage zuvor mit der Museumsleitung angeboten werden, ist die Ausstellung um getroffen hatte. Die Historiker aus Frank- den Wagon de l'armistice gekennzeichnet reich, Belgien, England, den USA und Israel durch eine Fülle von Fotos, Schriftstücken unterstrichen in kurzen Vorträgen, in wel- und kleineren Objekten, die den Besucher chem Maß die über nationale Grenzen hi- jedoch mit einer Menge von zum Teil nur nausgehende wissenschaftliche und museale mangelhaft strukturierten und interpretie- Zusammenarbeit die eigene Forschung, aber renden Informationen versorgen. Denkmal auch die Ausstellungsarbeit befruchtet hat. und Museum in Compiègne führen dem Be- Der Direktor des Historial, Guillaume de sucher vor Augen, dass hier eine kritische Fontclare, nannte Krumeich respektvoll und Reflexion mit diesem Erinnerungsort noch

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nicht klar in die museale Präsentation einbe- an der Mosel wurde der wilhelminische zogen worden ist. Bahnhof im „Deutschen Viertel“ mit seinen Von dem Ort der Unterzeichnung des zahlreichen neo-romanischen Details besich- Waffenstillstandes im November 1918 ging tigt. es nach Reims, dort stand u.a. eine Führung Die vierte Etappe führte die Gruppe zu- durch die Stadt sowie die Kathedrale auf rück nach Deutschland. Auf dem Weg nach dem Programm. Vor der gotischen Kirche, Freiburg, wo Krumeich von 1990 bis 1997 am Place du Parvis befindet sich ein Reiter- Professor für Geschichte des Romanischen standbild von „seiner Jeanne“, wie der Eh- Westeuropas an der Albert-Lu d wi g s- renvorsitzende des Arbeitskreises sie nennt. Universität gewesen ist, ließ es sich der Eh- Natürlich ließ es sich der Experte nicht rengast nicht nehmen, seinen „Studis“ etwas nehmen, den Exkursionsteilnehmern in kur- über Ereignisse an den jeweils passierten zen Zügen die wichtigsten Merkmale des Ortschaften zu erzählen. Die „Kanonade von Reiterstandbildes zu erläutern. Diese un- Valmy“ 1792 und die „Zabern-Affäre“ von komplizierte und souveräne Art der Wis- 1913 sind nur einige der zu nennenden sensvermittlung haben die Düsseldorfer „Highlights“. In Freiburg informierte Hein- Studenten, die seit 1997 von ihm gelernt ha- rich Schwendemann die Exkursionsteilneh- ben, immer am meisten geschätzt. Kontro- mer am 23. März über die Zeit des National- verser wurde die Führung, als Gerd Kru- sozialismus, die Bombenschäden und die meich es sich nicht nehmen ließ, die Stadt- post-NS Architektur, welche sich heute im führerin während ihres Vortrages über den Stadtbild erkennen lässt. Der Freiburger His- Beschuss der Kathedrale durch die Deut- toriker vertrat die These, dass aufgrund der schen während des 1. Weltkrieges zu massiven Zerstörung im 2. Weltkrieg nach verbessern. Wer hat die Verantwortung für 1945 die Pläne zum Neuaufbau der Stadt re- den Beschuss der Kathedrale zu tragen, alisiert wurden, die schon in der NS-Zeit er- Deutsche oder Franzosen, über diese Frage träumt worden waren. Und er desillusio- wurde erhitzt debattiert, und auch die neu nierte viele der Mitreisenden, die die mittel- hinzugekommenen Überraschungsgäste alterlich-frühneuzeitlich anmutende Archi- Dieter Langewiesche, Gerhard Hirschfeld tektur für „echt" hielten. Nur wenige Ge- und Irina Renz wurden in diese Kontroverse bäude, so Schwendemann, seien der völligen einbezogen. Kriegszerstörung entronnen, wie zum Bei- Am 22. März wurde die Reise von Reims spiel das Freiburger Münster. Auch wenn weiter nach Osten in Richtung Metz fortge- Schwendemann, aufgrund seiner kritischen setzt. Auf dem Weg dorthin informierte Da- Haltung, nach eigener Aussage wohl nie Eh- niel Mollenhauer (München) die Teilnehmer renbürger der Stadt werden dürfte, so waren über die Schlachtfelder des Deutsch- doch die Teilnehmer voll auf seiner Seite. Im Französischen Krieges, die anschließend in Laufe seiner exzellenten Führung rund um Mars-la-Tour und Gravelotte besichtigt die Universität wurde deutlich, weswegen wurden. Gerd Krumeich zeigte sich ebenso der Ehrenvorsitzende des Arbeitskreises der wie die mitgereisten Studenten tief beein- Stadt an der Dreisam so verbunden ist. In druckt von den Zeugnissen der „General- Freiburg, so Krumeich, sei er erst aufgrund probe des 1. Weltkrieges“. Aufgrund der ge- der im Kollegiengebäude I angebrachten Eh- sammelten Eindrücke in der Gedächtniskir- rentafel der Universität („Im Kriege von che von Mars-la-Tour und des Friedhofes für 1914-1918 kämpften und starben für die Ret- die Gefallenen forderte der 65-jährige, dass tung des Reichs [...] in den Kolonien und auf man sich nicht nur mit der Erinnerung an dem Weltmeere von den Lehrenden Beam- den Ersten Weltkrieg und der Instrumentali- ten und Studenten der Albrecht-Ludwigs- sierung durch die Nationalsozialisten befas- Universität“) darauf gekommen, sich näher se müsse, sondern auch den Krieg 1870/71 mit der Einkreisungsangst im deutschen stärker in die Vorgeschichte des Weltkrieges Kaiserreich zu befassen. Bei einem gemein- einbeziehen müsse. Gegen Nachmittag er- samen Abendessen in Freiburg konnten alle reichte die Gruppe das große Tagesziel, die Teilnehmer die Erlebnisse und Eindrücke in Hauptstadt des Départements Moselle und geselliger Atmosphäre austauschen. der Region Lothringen, Metz. Zur Verdeutli- Die fünfte und letzte Exkursionsetappe chung der historischen Bedeutung der Stadt brachte die Teilnehmer in die Bibliothek für

37 Unendliche Welten

Zeitgeschichte in der Landeshauptstadt Ba- schichte nur durch interdisziplinäre Bearbei- den-Württembergs. Nach einem Empfang tung weitergebracht werden könne. Im An- durch den Leiter und Direktor der BfZ Ger- schluss konnten sich die Düsseldorfer Stu- hard Hirschfeld und Irina Renz war das „in- denten mit Fragen an die „Profis“ einbrin- fernale Trio“ der Enzyklopädie Erster Welt- gen und ihren Standpunkt zum Thema ver- krieg komplett. Für die Teilnehmer bot sich treten, wodurch schließlich drei Historiker- zudem die Möglichkeit, sich über die um- Generationen in engem Austausch standen. fangreichen und vielfältigen Bestände der Auf der Rückfahrt am nächsten Tag zeigte Bibliothek für Zeitgeschichte in Stuttgart zu sich Gerd Krumeich schließlich mehr als zu- informieren.2 Gegen 18.00 Uhr versammel- frieden mit dem Exkursionsprogramm und ten sich die Besucher der Exkursion und ge- der regen Teilnahme. Auch in seiner Ab- ladene Gäste in der Württembergischen schiedsvorlesung, die der ehemalige Lehr- Landesbibliothek, um der Podiumsdiskussi- stuhlinhaber für Neuere Geschichte an der on „Wozu eine Kulturgeschichte des Ersten Heinrich-Heine-Universität am 27. April Weltkrieges“ beizuwohnen. Es diskutierten 2010 zum Thema „Vom historischen Erzäh- Reinhard Johler (Tübingen), Alan Kramer len“ hielt, ging er auf die vielen unvergessli- (Dublin), Sonja Levsen (Freiburg), Markus chen Momente während der sechstägigen Pöhlmann (Potsdam) und Gerd Krumeich. Überraschungstour ein. Die Diskussion begann ungewöhnlich, weil Ingo Eiberg Gerhard Kirschfeld seine Diskutanten zu- [email protected] nächst um ein persönliches Statement zur

Bedeutung der Kulturgeschichte gebeten Eindrucksvolle Bilder der fünf Exkursionsetap- hatte. So begann die Debatte mit einem per- pen hat Jan Niko Kirschbaum zusammengestellt: sönlichen und an der konkreten Forschung http://picasaweb.google.com/Denkmal.Wuppertal orientierten Statement. Im Zuge der Diskus- sion verdeutlichte Krumeich die Bedeutung ______dieses Forschungsfeldes, merkte jedoch kri- tisch an, dass sich der Weltkrieg mehr und 1 ww w . m a i r i e - mehr historisiere und sich somit aus der Be- compiegne.fr/decouvrir/clairierearmistice.asp 2 trachtung als zeitgeschichtliches Ereignis w w w . w l b -stuttgart.de/sammlungen/bibliothek - herauslöse. Schlussendlich herrschte Kon- f u e r -zeitgeschichte sens im Plenum, dass das Feld der Kulturge-

ANKÜNDIGUNGEN, CALL FOR PAPERS

Auf dem Weg zur Wiedervereinigung: Die beiden deutschen Staaten in ihren Bündnissen 1970-1990. 51. Internationale Tagung für Militärgeschichte (ITMG) des Militärgeschichtlichen Forschungs- amts (MGFA) vom 22. bis 24. September 2010 im Kongresshotel „Am Templiner See“ in Potsdam

Anlässlich des 20. Jahrestages der deut- Dynamik in die Ost-West-Beziehungen. Vor schen Wiedervereinigung am 3. Oktober dem Hintergrund der aktuellen transatlanti- 2010 widmet sich die Konferenz der Frage, schen Debatte über die langfristigen Ursa- welche Rolle Veränderungen der Si- chen von 1989 will die Konferenz diesen cherheits- und Militärpolitik für die Ereig- Entwicklungen unter sicherheits- und nisse von 1989 und 1990 gespielt haben. In deutschlandpolitischen Fragestellungen bewusster Abkehr von den konfrontativen nachspüren. und damit im nuklearen Zeitalter immanent Höhepunkte der Konferenz sind am gefährlichen Handlungsmustern der frühen Abend des 22. September ein Festvortrag Kalten-Kriegs-Ära brachte die Entspan- von Prof. Dr. Horst Teltschik („Die Wieder- nungsperiode eine neue, auf antagonistische vereinigung Deutschlands – 20 Jahre da- Kooperation und Transformation ausgelegte nach: Welche haben wir genutzt, welche ha-

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ben wir versäumt?“) und eine Podiumsdis- PROGRAMM kussion zum Thema „Die deutsche Frage als Mittwoch, 22. September 2010 historischer Faktor auf dem Weg zur Wende 1989/90“, die am Nachmittag des 24. Sep- 13:00 Begrüßung durch den Amtschef tember stattfindet. Diese Runde mit promi- des MGFA nenten Vertretern aus Politik und Militär 13:30-14:00 Einführung durch die Veranstal- soll die Tagungsergebnisse aus der Perspek- ter tive damaliger Verantwortlicher kommen- 14:00-14:50 Einführungsvortrag: tieren und im Dialog mit dem Publikum Deutsche Frage und Kalter Krieg sowohl die Ursachen und Bedingungen für 1945-1969 das Ende des Kalten Krieges bewerten als (G. Niedhart, Mannheim) auch die Bedeutung für die heutige und zu- Sektion I: Der Weg in die Ost- und Entspan- künftige Sicherheitspolitik erörtern. nungspolitik ab 1970 Das Militärgeschichtliche Forschungsamt veranstaltet die Tagung keineswegs als all- 15:20-15:40 Östliche Strategien gemeine „Jubiläumsveranstaltung“, sondern (C. Bekes, Ungarn) als wissenschaftlichen Beitrag von Rang zu 15:40-16:00 Westliche Strategien politisch-strategischen Entwicklungen heu- (S. Kieninger, Mannheim) te. Die Historiografie, auch die Militärge- 16:00-16:20 Pause schichte, muss sich, nicht zuletzt auch vor 16:20-16:40 KSZE-Prozess und Ost-West Dy- allem infolge der Ereignisse seit der Wende, namik (O. Bange) 16:40-17:00 Kommentar (W. Heinemann) zunehmend trans- und internationalen Fra- gestellungen zuwenden. Dies soll und muss 19:30/20:00 Vortrag Prof. Dr. h.c. Horst Telt- in der Diskussion verschiedenster methodi- schik: scher Ansätze geschehen. Die Wiedervereinigung Deutsch- In die aktuellen Fachdebatten eingebettet lands – 20 Jahre danach: Welche und diese erweiternd, will sich die 51. ITMG Chancen haben wir genutzt, wel- auf die Suche nach langfristigen Ursachen che versäumt? für die letztlich friedliche ‚Auflösung’ des politisch-militärischen Antagonismus geben. Donnerstag, 23. September 2010

Ein wesentlicher Schwerpunkt wird dabei Sektion II: Krisen und ihre Folgen 1970 - 1990 die Beleuchtung der Rolle der beiden deut- schen Staaten auf dem Wege zur globalen 09:00-9:10 Einführung Wende und der Einfluss der internationalen (B. Köster, Sektionsleiter) Sicherheits- und Militärpolitik auf die bei- 09:10-09:30 Polen (W. Jarzabek, Polen) 09:30-09:50 Able Archer (Mark Kramer, USA) den deutschen Staaten sein. 09:50-10:20 Pause Es ist durchaus kein Zufall, dass direkt im Anschluss an die 51. ITMG des Militärge- 10:20-10:40 Internationale Rüstungskontroll- schichtlichen Forschungsamtes der 48. Deut- verhandlungen und die Wieder- vereinigung Deutschlands (P. Ha- sche Historikertag in Berlin zum Thema rahan, USA) „Über Grenzen“ stattfindet (http:// 10:40-11:00 Kommentar (W. Loth, Essen) www.historikertag.de/Berlin2010/index.php). In- 11:00-11:45 Diskussion teressierte Besucher haben so die Gelegen- heit, transnationale Themen und For- 11:45-13:00 Mittagspause schungsfelder in einem Schwerpunktpaket kennenzulernen und zu vertiefen. Sektion III: Die Bündnisse und ihre deutschen Mitglieder Das Militärgeschichtliche Forschungsamt lädt alle an diesen zeitgeschichtlichen Fra- 13:00-13:10 Einführung gen Interessierte ein, an der Tagung teilzu- (H. Bröckermann, Sektionsleiter) nehmen. 13:10-13:30 NATO und Bundesrepublik (T. Geiger, Berlin) Anmeldeinformationen finden sich unter: 13:30-13:50 Warschauer Pakt und DDR http://www.mgfa.de/html/aktuelles/51.itmg?teaser=1 (J. Baev, Ungarn) 13:50-14:10 Pause

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14:10-14:30 Ost-West-Dynamik: (B. Lemke) Beispiel NATO Doppelbeschluss 10:40-11:00 Kommentar (H. Möllers) (J. Hoffenaar, Niederlande) 14:30-14:50 Kommentar (D. Krüger) 11:00-11:45 Diskussion 14:50-15:30 Diskussion 11:45-13:00 Mittagspause 15:30-15:50 Pause Sektion VI: Bundesrepublik und DDR in globaler Sektion IV: Die Interdependenz von innerer und Perspektive äußerer Sicherheit 13:00-13:10 Einführung 15:50-16:00 Einführung (B. Lemke, Sektionsleiter) (Marie-Pierre Rey, Frankreich) 13:10-13:30 Bw-NATO in der Welt 16:00-16:20 West-Ost-Ideentransfer (R. Deckert, Berlin) (V. Berghahn, USA) 13:30-13:50 „Antiimperialistische Solidari- 16:20-16:40 Protestbewegungen in Ost und tät“? Militärhilfen der DDR für West (H. Nehring, GB) die Dritte Welt (K. Storkmann ) 16:40-17:00 Dissidenten und Sicherheitsvor- 13:50-14:10 Pause stellungen 14:10-14:30 Die Politik der DDR und der (S. Savranskaya, USA/Rußland) Bundesrepublik in Westafrika 17:00-17:15 Kommentar (O. Tuma, Tsche c h i e n ) und Namibia (Jason Verber, USA) 17:15-18:00 Diskussion 14:30-14:45 Kommentar (O.A. Westad, GB)

14:45-15:30 Diskussion Freitag, 24. September 2010 15:30-15:45 Pause Sektion V: Operative Planungen: Zum Verhält- Abschlussdiskussion: nis von Strategie und wechselseitiger Die deutsche Frage als histori- Perzeption scher Faktor auf dem Weg zur 09:00-09:10 Einführung Wende 1989/90 (H.-H. Mack, Sektionsleiter) 15:45-15:50 Einführung 09:10-09:30 NVA-Operationsplanung für (M. Epkenhans) Nordde ut schland 1982-1985 15:50-16:30 Key Notes der vier Panelteilneh- (S. Lautsch, Köln) mer: Minister a.D. Th. Hoffmann; 09:30-09:50 Die Operationsplanungen der General a.D. K. Naumann; Prof. NATO zur Verteidigung der Dr. G.-H. Soutou (Frankreich); Norddeutschen Tiefebene in den PStS Christoph Bergner (ange- 1980er Jahren (H. Hammerich) fragt); Ministerpräsident a.D. Lo- 09:50-10:20 Pause thar de Maizière (angefragt)

10:20-10:40 Abschreckung oder Provokation? Fragen/Antworten und allgemeine Diskussion Die Allied Mobile Force und ihre 17:30 Verabschiedung Einsatzübungen (1960-1989)