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Musikstunde – across the border (6)

SWR2, 1. Juni 2013

9:05-10:00 Uhr

Manuskript: Günther Huesmann

Redaktion: Martin Roth

Jingle Musikstunde

Guten Morgen! Der Jazz in New Orleans habe eine „latin tinge“, einen lateinamerikanischen Anstrich – eine uralte Weisheit des Pianisten Jelly Roll Morton. Seine Worte stammen aus den 1920er Jahren. Aber noch 30 Jahre später gab es Menschen in Nordamerika, die nichts von der Faszination der afro-kubanischen Musik wussten. Der Sänger Nat King Cole war es, der 1959 die Sounds der Rhumba bis in das letzte Wohnzimmer der USA trug. Und man versteht im nächsten Titel auch warum: So verführerisch hat man den Klassiker des Mexikaners Alberto Dominguez vorher und nachher selten gehört. „Perfidia“.

1) TITEL: Perfidia

KOMPONIST: Alberto Dominguez

INTERPRET: NAT KING COLE

M9018382 001-01

2:18 3

Nat King Cole tanzte die Rhumba in den Capitol Studios von Los Angeles. Von dort gehen wir auf die Insel, woher dieser Rhythmus stammt.

Der Kubaner Chucho Valdes nennt seine aktuelle Band „The Afrocuban Messengers“. Das ist natürlich eine Anspielung auf die legendäre Band des amerikanischen Schlagzeugers Art Blakey: auf dessen „Jazz Messengers“. So wie Blakey und seine Mitmusiker die Botschaft des in die weite Welt trugen, genauso verkünden Chucho Valdes „Afrocuban Messengers“ die rhythmischen Botschaften von Son, Santeria und Guaguaconco im Jazzgewand.

Ein Gospel, der überall gehört wurde und wird: Valdes hat im Laufe seiner Karriere 8 Grammys eingeheimst. Die ersten noch als Mastermind und Leiter der legendären kubanischen Big-Band „Irakere“. Erst sehr viel später, in den 1990er Jahren, outete er sich als ideensprühender Pianist in Soloprojekten. Womit er auch in seiner Eigenschaft als virtuoser Tastenlöwe, die Fackel weiterträgt: Chucho Valdes ist Sohn des legendären Klavierspielers Bebo Valdes. Auf seiner aktuellen CD „Border-Free“ untermauert der 71jährige Chucho eindrucksvoll, warum er als Gründervater des modernen kubanischen Jazz gilt.

2) TITEL: Santa Cruz

KOMPONIST: Chucho Valdes

INTERPRET: Chucho Valdes‘ & The Afrocuban Messengers

CD: Jazz Village EAN 3149027001625

Album: Border-Free

Track 7, 6:25 4

„Santa Cruz“ - der kubanische Pianist Chucho Valdes.

Dass Bulgarien in Sachen Jazz längst nicht mehr ein Entwicklungsland ist, beweist der nächste Musiker. Seine Soli werden im Magazin „Down Beat“ abgedruckt – das ist nun nicht so irgendeine Fan-Postille, sondern das weltweit führende, amerikanische Jazzmagazin.

Wichtiger aber als alle Druckerfolge dürften für Georgi Korzanov seine musikalischen Kontakte sein. Seit der Posaunist 1995 in Frankreich lebt, hat er sich zu einem unverzichtbaren Teil der Pariser Jazzszene entwickelt. Der Bläser, der durchaus auch mal rustikal zupacken kann, wird nicht nur von Henri Texier wegen seines Einfühlungsvermögens geschätzt. Auf seiner CD „Viara“ zeigt Kornazov, woran das liegt: beispielsweise an seiner Kunst der Balladeninterpretation. Wobei Kornazov ganz nebenbei auch noch mit dem Vorurteil aufräumt, dass Balkan-Jazz zwangsläufig immer etwas mit vertrackten Metren und rasenden Rhyhtmen zu tun habe müsse.

3) TITEL: Lune

KOMPONIST: Georgi Kornazov

INTERPRET: Georgi Kornazov & Horizons Quintet

CD: BMC Records EAN 5998309301452

ALBUM: Viara

Track 5, 5:46

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Ein Bulgare in Paris: der Posaunist Georgi Kornazov mit seinem Horizons Quintet und dem Titel „Lune“.

Wenn der selige Art Tatum in New York einen Jazzclub betrat, hörten dort die Pianisten schlagartig zu spielen auf. Vor Schreck, vor Ehrfurcht, vor Bewunderung – man weiß es nicht so genau. Jedenfalls löste die Erscheinung dieses Wunderpianisten eine Art Schockstarre bei seinen Instrumentalkollegen aus.

Ähnlich geht es heute New Yorker Klavierspielern, wenn der in Kirgisien geborene Pianist Eldar Djangirov in einen Club kommt. Letzterer spielt mit einer so atemberaubenden feuerwerksähnlichen Virtuosität, dass manche Kritiker ihn vor seinen technischen Zaubereien schützen möchten. Dabei schnürt der 25jährige Pianist auf seiner aktuellen CD „Breakthrough“einen stilistisch höchst spannendes Paket: vom Hard-Bop über Radiohead bis zum Jazz-Rock, der russisch-amerikanische Pianist fühlt sich überall zuhause. Und selbst dort wo er in den Rückspiegel der Jazzgeschichte schaut – zurück zu seinen Vorbildern Art Tatum und Oscar Peterson – fährt er mit Eleganz und Klasse seinen ganz eigenen swingenden Kurs.

4) TITEL: No Moon at All

KOMPONIST: David A. Mann/Redd Evans

INTEPRET: Eldar Djangirov

CD: Motema Records MTM 155

ALBUM: Breakthrough

Track 5, 3:19 6

Eldar Djangirov mit einem Ausschnitt aus seiner aktuellen CD „Breakthrough“.

Gegenüber seinen hinreißenden Live-Auftritten fallen Richard Bonas Alben immer ein bisschen süßlich aus. Aber das ist auch die einzige Mäkelei, die man bei seinem aktuellen Album „Bonafied“ loswerden kann.

Der Bassist, der durch Jaco Pastorius zum Jazz kam, und sich – aus Mangel an Alternativen – seinen ersten Elektrobass selbst baute: mit Saiten aus Fahradbremskabeln, dieser Bassist hat sich auch zu einem eigenständigen Vokalisten entwickelt – mit seinem unnachahmlichen Falsettgesang.

Als Richard Bona Mitte der 1980er Jahre aus seiner Heimat Kamerun zum ersten Mal nach Paris kam und aus dem Flugzeug stieg, sah er zum ersten Mal Schnee. Obwohl Bona inzwischen in New York lebt, ist seine Verbindung zur Pariser Improvisationsszene nicht abgerissen. Und so hat sich der Kameruner, der in der Sprache Dualla singt, den Shooting Star der jungen französischen Jazzszene mit an seine Seite geholt: den Akkordeonspieler Vincent Peirani.

5) TITEL: Janjo La Maya

KOMPONIST: Richard Bona

INTERPRET: Richard Bona

CD: EmArcy 3736377, LC 00699 Album: Bonafied

Track 4, 5:23 7

Richard Bona mit „Janjo La Maya“.

Eine Jazzszene in Venezuela? Gibt es so etwas überhaupt? Und ob es sie gibt. Und zwar eine so gute, dass es gleich zwei venezolanische Pianisten in die besten Bands des aktuellen New Yorker Jazz geschafft haben. Edward Simon und Luis Perdomo.

Letzerer wurde 1971 geboren. Jeden Sonntag schaltete er die Radiosendung „El Idioma del Jazz“ ein, die älteste Jazz-Radiosendung in Caracas – seit 1955 gibt es sie. Irgendwann hörte Perdomo dann eine Platte von Lee Konitz mit einem fantastischen Pianisten drauf: Harold Danko.

Bei dem sollte er später in New York studieren – aber da war Perdomo schon so weit, dass ihm seine Lehrer sagten: „Junge, Dir kann man nichts mehr beibringen. Jetzt musst Du eigene Wege gehen. Sei Dir selbst der größte Kritiker und such in der Musik nach persönlichen Lösungen.“

Das hat Luis Perdomo in den letzten Jahren auf eindrucksvolle Weise getan. Der Venezolaner war viele Jahre Mitglied in der Band des Saxofonisten Miguel Zenon. Nun aber hat er sich auf seiner CD „Links“ selbstständig gemacht. Und da zeigt er, was das Besondere an ihm ist: dass er den vitalen Funken der lateinamerikanischen Musik mit einem großen Sinn fürs lyrische Spiel verbindet.

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6) TITEL: Paco

KOMPONIST: M. Zenon

INTERPRET: Luis Perdomo

CD: Criss Cross 1357 ALBUM: Links

Track 10, 8:04

Luis Perdomo mit dem Titel „Paco“. Und am Altsaxofon war sein ehemaliger Chef, der Puertorikaner Miguel Zenon.

Die nächste Band spielt so polyglott wie sie besetzt ist. Die Musikerinnen und Musiker kommen aus Brasilien, Indien, Kanada, Spanien und Taiwan. Kennengelernt haben sie sich alle in den USA, beim Studium am Berklee College in Boston.

Zusammengeführt hat sie eine Musikerin aus Taiwan, die junge Vibrafonistin Yuhan Su. Entflammt von einem Gary-Burton-Chick-Corea- Konzert hatte sie einst in Taiwan Zugang zur Welt des Jazz gesucht. Nur gab es dort wenige Jazzschulen, kaum Vorbilder. So holte sich Su ihr Jazzwissen aus Bibliotheken, gewann ein USA-Stipendium und - wurde Meisterschülerin beim berühmten Vibrafonisten Dave Samuels. Der riet der studierten Orchester-Perkussionistin, ihr klassisches Wissen und ihren eigenen kulturellen Hintergrund in ihren Jazz einfließen zu lassen. Was Yuhan Su auf ihrer aktuellen CD „Flying Alone“ tut. Sie spielt darauf nicht nur Vibraphon, sondern hat auch alle Tracks komponiert. Und singt in einem Stück in Mandarin.

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7) TITEL: Comfort Zone

KOMPONIST: Yuhan Su

INTERPRET: Yuhan Su

CD: Inner Circle Music 700261853079

ALBUM: Flying Alone

Track 4, 8:11

Aus Taiwan. Die Vibrafonistin und Sängerin Yuhan Su mit „Comfort Zone“. Einen Großteil der Gelder zur Finanzierung ihrer ersten CD „Flying Alone“ hat sie bei Kickstarter organisiert, einer Internetplattform zur Projektfinanzierung.

Afrika und die USA – der musikalische Austausch zwischen diesen beiden verschiedenen Regionen funktioniert manchmal nicht wie eine Einbahn-, sondern wie eine Zweibahnstraße. Wobei die Einflüsse über den Atlantik sogar mehrmals hin und her laufen. Ein Beispiel: Im Funk von James Brown blitzen immer wieder uralte afrikanische rhythmische Weisheiten auf. Brown wiederum war es, der mit seinen Funk-Rhythmen auf den nigerianischen Saxofonisten und Sänger Fela Kuti einen solchen Eindruck machte, dass dieser in Lagos den Afro-Beat erfand. Ein magisches Gemisch aus Funk, Highlife und Jazz.

Diese Afro-Beat-Rhythmen wiederum üben heute auf einen großen amerikanischen Jazzgitarristen John Scofield eine Riesen-Faszination aus. Der ehemalige Miles-Davis-Gitarrist, Herr der Saiten zwischen Rhythm & und Bop, outet sich auf seiner aktuellen CD „Überjam Deux“ unter anderem auch als großer Fan des Afro Beat. 10

Und zeigt der jüngeren Gitarristen-Generation was eine Groove-Harke ist. Seine Afro Beats sind so federnd punkgenau gesetzt; dass Scofields Linien stets unter rhythmischer Spannung bleiben - konzentriert wie ein Löwe vor dem Sprung. Mit „Camelus“ endet die heutige Ausgabe von „Jazz across the border“ in der Musikstunde. Ihnen noch einen angenehmes Wochenende wünscht Günther Huesmann.

8) TITEL: Camelus

KOMPONIST: John Scofield/Avi Bortnick

INTERPRET: John Scofield

CD: Emarcy 0602537337248, LC 00699 ALBUM: Überjam Deux

Track 1, 8:35