die innere Auszeit

Exerzitien als Form individueller und gemeindlicher Spiritualität Reflexionen zum Bildungsurlaub vom 1. Januar – 31. März 2018 von Michael Reinke

MICHAEL REINKE Gemeindepädagoge im Pfarramt der Kirchengemeinde am Weinberg Invalidenstr. 4a in 10115 Berlin reinke@gemeinde‐am‐weinberg.de

II

Kommen. Gedanken zu Beginn

Die erste Exerzitienerfahrung machte ich in meiner Studienzeit, ohne sie mit dem Namen und ihrer alten, traditionsreichen und spirituellen Geschichte einordnen zu können. Nach meiner ersten Woche in Taizé beschloss ich als alleinreisender Pilger damals spontan, meinen Aufenthalt um noch eine weitere Woche zu verlängern und in die Stille zu gehen. Abseits vom Jugendcamp wohnte ich mit zehn jungen Männern in einem französischen Landhaus, speiste schweigend bei klassischer Musik, meditierte spazierengehend über den Weinbergen des Bur‐ gunds, betete mit Psalmworten in kleinen Dorfkirchen der Umgebung und genoss jeden Morgen eine kurze Bibeleinführung und jeden Nachmittag ein kurzes Gespräch mit einem Bruder der Communaute von Taizé. Mal versunken in der Stille, mal ungeduldig ob der vielen Zeit und der Einsamkeit, mal hingerissen und erfüllt von der Natur, den gemeinsamen Gebeten in der Kirche und meinen individuellen Gebeten und Zwiegesprächen mit Gott und mir selbst, wurden diese Tage für mich zu einem biographisch wie geist‐ lich prägnanten Erlebnis.

Die Exerzitien sind doch „das allerbeste, was ich in diesem Leben denken, verspüren und verstehen kann, sowohl dafür, dass sich der Mensch selber nützen kann, wie dafür, Frucht bringen und vielen an‐ deren helfen und nützen zu können“1. So soll einer der Urväter der Exerzitien, Ignatius von Loyola, sei‐ nem Beichtvater von den geistlichen Übungen vorgeschwärmt haben. Exerzitien gehören seit den frühen Jahrhunderten der Kirche zum geistlichen Brot vieler Gläubiger. Vor allem in Klöstern und Kommunitäten gehören sie, ähnlich wie die Stundengebete, zur rituellen Glau‐ benspraxis.

In der Gemeindearbeit begegneten sie mir immer mal wieder, jedoch eher als Mauerblümchen. Pro‐ testantisch fremdelnd beäugt als vorreformatorische, doch eher katholische Blüten. Und doch blühen die Angebote für Exerzitien landauf landab in mannigfacher Vielfalt. Von den traditionellen katholi‐ schen Angeboten, über christliche Natur‐, Berg‐, Wüsten‐ oder auch Pferdeexerzitien. Jugend‐ und Konfiexerzitien finden sich da genauso, wie auch immer häufiger Straßenexerzitien, oder in Berlin gar Ringbahnexerzitien. Vielfache Formen finden mehr und mehr in den Fastenzeiten ihren Ort und ihren Raum.

Im Rahmen meiner Studienzeit will ich mich dieser Tradition und ihrer Praxis widmen. Ich freue mich darauf in evangelische, wie katholische Exerzitien einzutauchen und mich leiten und inspirieren zu las‐ sen, mich auf die Stille und die Gebete einzulassen und will mich, gemeinsam mit meiner Partnerin, auf eigene Füße begeben und einen Weg über 3 Wochen durch pilgernd zurücklegen. Mich reizt es nach meinen ersten 10 Dienstjahren, im Rahmen der Exerzitien wieder einmal Schüler sein zu dürfen, geistlich aufzutanken, manchen theologischen Fragen neu nachzuspüren, Texte ohne die innere Kanzel wirken zu lassen und die Methode der geistlichen Übungen, als Schritt aus dem All‐ tag, als Schritt in den Raum Gottes, als innere Auszeit zu erleben. In einem zweiten Kapitel will ich schauen, welche Exerzitienformen oder Impulse sich daraus für die Arbeit und die Angebote in der Gemeinde entfalten und realisieren ließen.

1 Lambert, Willi, Das siebenfache Ja. Exerzitien‐ ein Weg zum Leben, echter Verlag, Würzburg, 2006, S.10

III

 Geschichtliche und theologische Annäherungen an Exerzitien

Die ersten Grundzüge von Exerzitien beschrieb Gertrud von Helfta um 1250.2 Später wurden diese un‐ ter anderem von Ignatius von Loyola aufgegriffen und weiter entfaltet. Ignatius entwirft seine Exerzi‐ tien als Zeit der Entscheidung für Novizen und Mitglieder seines Ordens. Durch ihn begann eine Bewe‐ gung der Exerzitien, die mitunter auch das geistliche Leben der Gemeinden und der Kirche, speziell ihrer Gemeinschaften und Klöster prägte. 1579 kam es in Mailand zur Gründung des ersten Exerzitien‐ hauses durch Karl Borromäus. Papst Pius XI würdigte und empfahl schließlich die Exerzitien in seiner Enzyklika „Mens nostra“ (1929 ) nicht nur für Ordensgemeinschaften und Priester, sondern für jegliche Christenmenschen. Der Jesuit Karl Rahner prägte in Deutschland die Gestalt und weitere Entwicklung von Exerzitien. „Es muß darauf geachtet werden“, bemerkte er in den 1970er Jahren „daß Exerzitien nicht abstrakte In‐ doktrination eines theoretischen Lehrsystems samt dessen ‘praktischen’ Konsequenzen sind [...], son‐ dern ‘Mystagogie’ in die religiöse Erfahrung des Menschen und seiner Begnadung von innen.“3

Im Rahmen dieser Arbeit und meiner Studienzeit will ich mich vor allem den ignatianischen und kar‐ melitanischen Exerzitien widmen.4 Die Schrittfolge dieser Arbeit: „Kommen. Bleiben. Gehen.“ ist die‐ sem Weg und speziell dem Weg der Exerzitie des Karmeliterordens angelehnt. In der Einführung dazu riet Pater Reinhard Körner in diesen (später weiter ausgeführten) Schritten durch die Exerzitienwoche zu gehen.

 Biographische Streifzüge zu Ignatius von Loyola5

Ignatius ist das 13. Kind einer baskischen Adelsfamilie und wird 1491 in Azpeitia im Baskenland gebo‐ ren. Als junger Mann schreibt er einmal, dass ihn bis zu seinem 26. Lebensjahr nichts weiter interes‐ sierte als Turniere auf seinem Hof. Dies ändert sich, als er infolge einer Schussverletzung mit dem Le‐ ben rang und sich mit Schmerz, Krankheit und Sterben auseinanderzusetzen hat. Er pilgert durch Eu‐ ropa und Israel, studiert Theologie und Philosophie. Später gründet er in Paris den Kreis der „Freunde im Herrn“ und schließlich 1540 den Orden der Jesuiten, deren „General“ er bis zu seinem Tod 1556 bleibt.

 Zugänge zu Exerzitien nach Ignatius von Loyola

Das Grundlagenwerk der ignatianischen Exerzitien bildet die „Exercitia spiritualia“, die geistlichen Übungen, welche Ignatius von Loyola um 1530 schrieb und damit seine eigenen Erfahrungen und Ein‐ sichten an künftige Gottessucher vermachte.

Ziel der Exerzitien ist es, so beschreibt es Ignatius „sich von Gott umarmen [zu lassen] und so die le‐ bensgestaltende Liebe in sich wecken [zu] lassen“6 Dafür benennt er drei Bedingungen, die allen Exer‐ zitien grundlegend sein sollen:7

‐ Es muss geübt werden

2 Vgl. Gertrud von Helfta, Exercitia spiritualia. Geistliche Übungen (lat.‐dt.), Elberfeld 2001 3 Wagnis des Christen, Freiburg 1974, 96, zitiert aus Körner, Reinhard OCD, kommen‐ bleiben‐ gehen, PDF Aufsatz auf www.karmel‐birken‐ werder.de 4 Wohlwissend, dass ich nicht über DIE ignatianischen oder karmelitischen Exerzitien schreiben kann, sondern vor allem über die beiden Ex‐ erzitien dieser Richtung, die ich in meiner Zeit erlebte und dazu einige wenige Quellen zur Reflexion und Darstellung heranzog. 5 Ebd. S. 11ff 6 Ebd, S. 18 7 Ebd, S. 17ff

IV

‐ Es geht um geistliches Leben, d.h. um Leben aus Glauben, Hoffen und Lieben ‐ Alles Beten und Üben zielt darauf hin, als Antwort auf die Berührung mit dem Liebeswillen Gottes, das eigene Leben zu gestalten zu suchen

Als Einstellung für diese geistlichen Übungen nennt Ignatius die Fähigkeit zum ruhigen Wahrnehmen, zur Einfachheit, zur Achtsamkeit, eine seelische Weitherzigkeit und Großzügigkeit, innere Freiheit, der geduldige Wille zum Weg, Offenheit im Gespräch sowie die Bereitschaft, sich geistliche Übungen ge‐ ben zu lassen8.

 Ignatianische Schrittfolge zur Meditation und Christusbetrachtung

Im Kern der geistlichen Übungen geht es darum „Christus zu schauen“. Sich Christus anzunähern über ein Bild, eine Ikone, ein Lied‐ oder Bibeltext, über die Stille oder die Natur. Um dieser Betrachtung Raum zu geben, hat Ignatius eine Schrittfolge, eine Art Struktur oder didaktischen Weg skizziert:

‐ Das Vorwort/ das Thema: Über jeder Exerzitie steht ein Thema. Meist ist es eine persönliche Frage‐ stellung, aber es kann ebenfalls schlicht das Retrait, der Rückzug als Form einer Exerzitie sein. Dieses Thema führt wie eine Leitschnur durch die Exerzitientage und wird im Schweigen, oder durch geistli‐ che Impulse entfaltet. Ignatius endete diese Vorbereitungszeit immer mit dem gleichen Gebet: „Herr, mein Gott, gib, dass all meine Absichten, Handlungen und Betätigungen rein auf den Dienst und Lobpreis deiner göttli‐ chen Majestät hingerichtet seien“9 ‐ Das Wort/ der biblische Text: Entweder selbst ausgesucht oder durch den Exerzitienleitenden. ‐ Das Gespräch/ die Begegnung: Die Begegnung mit dem Text meint ein fast bibliodramatisches, bzw. bibliopsychodramatisches Einsteigen in den Text. Es gilt, sich in die Szene, oder in einzelne Personen, in Handlungsstränge hineinzubegeben und diese auf sich und den eigenen Lebensweg wirken zu las‐ sen. Diese Begegnung sollte nicht nur einmalig stattfinden, sondern lebt eigentlich von Betrachtun‐ gen über mehrere Tage. Diese können mit einem Zwiegespräch mit Gott, oder aber auch mit einem Gebet enden. ‐ Das Nachwort: Es dient der Reflexion der Übung, dem inneren Festhalten und Vergegenwärtigen des Weges. Dazu gehört auch, sich offen einzugestehen, dass und ggf. warum die Begegnung nicht mög‐ lich war.

 Grundelemente und Strukturen ignatianischer Exerzitien

Neben den bereits genannten Schritten und Zugängen von Exerzitien, zählt zuallererst das Schweigen als Grundrahmen. Ob in Einzel‐ oder Gruppenexerzitien gilt, dass diese Zeit durch Stille gekennzeich‐ net und getragen ist. Der Tag wird strukturiert durch vier Gebetszeiten, die sich nach Ignatius über jeweils eine Stunde er‐ strecken sollen. Eigentlich über 61 Minuten, weil sich selbst in der letzten Minute noch die Begegnung oder eine neue Richtung ergeben könnte. Eine fünfte Gebetszeit in der Nacht nennt Ignatius als zu‐ sätzliche Möglichkeit. Zudem gehört ein tägliches Gespräch von 20‐50 Minuten mit der Leitungsperson der Exerzitie zum Ta‐ gesablauf. Es dient der Tagesreflexion und der geistlichen Aussprache über persönliche Themen, Kri‐ sen und Lebensfragen, aber auch, um weitere Übungen oder Schritte auf dem Weg der Exerzitie zu

8 Ebd, S. 18 9 Ebd, S. 31 zitiert aus Ignatius von Loyola „Exercitia spiritualia“

V

besprechen und zu finden. Für Ignatius gehört ebenso die tägliche Eucharistie, sowie das Sakrament der Beichte zum Vollzug ei‐ ner Exerzitie. Er beschrieb den Ablauf einer Exerzitie über dreißig Tage, später entwickelte er auch Wege, die über 10 Tage führen. Darin skizziert er einen Weg vom Heil, über eine Art Sündenbekennt‐ nis und Umkehr, hin zu einer Neuausrichtung und Neubegegnung mit Gott. „Ohne Befreiung vom zwanghaften Tanz um das eigene Egoismus‐Ich, gebe es keinen Fortschritt“.10 In diesem Sinne gehören als Streckenabschnitte des ignatianischen Weges auch Momente der Gewis‐ sensforschung, der Sündenbetrachtung, sowie der „Höllenbetrachtungen“. In letzterem werden alle Momente der Gottesferne in der Welt und im eigenen Leben in den Fokus genommen.

 Die Spiritualität des Terisianischen Karmel

Die Wurzeln der karmelitanischen Exerzitien reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit ent‐ stand der Stammorden der Karmeliter in der namensgebenden Gebirgszone Israels nahe Haifa. Zu den Gründern zählten Kreuzfahrer und Palästinapilger, die sich dort niederließen und als Eremitenkommu‐ nität neben der neuen Heimat auch ihre geistliche Heimat gestalteten. In ihren neu gegebenen Or‐ densregeln ging es ihnen nicht vornehmlich um die Festsetzung der Gebetszeiten, sondern vielmehr darum, miteinander zu definieren, wie es gelingen kann, Gott im Alltag, in der täglichen Arbeit, wie auch in den geistlichen Übungen zu dienen und nah zu sein.11 Früh orientierten sie sich dabei an Maria, fanden in ihr ihre Patronin und widmeten ihr die im 5. Jahr‐ hundert auf dem Karmel erbaute erste Kirche des Ordens. „Wie Maria und mit Maria in das DU fin‐ den“ ist bis heute ein geistlicher Leitsatz der karmelitischen Spiritualität.

In der Mitte des 13. Jahrhunderts sah sich der Orden aufgrund der politischen Umstände gezwungen, den Karmel zu verlassen. Und so kam es bald darauf zu Klostergründungen in europäischen Ländern. Im 16. Jahrhundert gründete Teresa von Avila, unterstützt von Karmeliterpater Johannes vom Kreuz, einen neuen Ordenszweig, den „unbeschuhten Karmel“. Dieser, später terisianische Karmeliterorden, genannte Zweig der Gemeinschaft bildet heute für viele der Karmelklöster die geistlichen Wurzeln.

Unter Jean de St. Samson entstanden im 16. Jahrhundert die ersten 10 tägigen Exerzitien, die sich vor allem an die Gemeinschaft des Ordens richteten. Später, nach dem zweiten vatikanischen Konzil, ent‐ deckten und entwickelten die karmelitanischen Gemeinschaften die Exerzitien als Angebot der Seel‐ sorge, der Verkündigung und vor allem als Chance der geistlichen Erneuerung, die sich an alle Men‐ schen ihres Umkreises richtet. Heute gibt es 48 eigene Exerzitienhäuser im Geist der Karmeliter. Zu wichtigen Akzenten im Tagesablauf gehören zwei Vorträge und eine thematische Abendbesinnung die sich dem Thema der jeweiligen Exerzitienwoche widmet. Die meisten Exerzitien gehen über 10, 4 oder 3 Tage. „Inhaltlich haben Exerzitien, so auch die karmelitanisch gestalteten, weniger den Glauben als vielmehr das Glauben, also das persönliche Glaubensleben zum Thema. Darin unterscheiden sie sich von Seminaren und religiöser Fortbildung. Sie sind mystagogisch, nicht missionarisch orientiert.“12

Im Unterschied zu den ignatianischen Exerzitien, werden die Teilnehmenden hier nicht in Einzelge‐ sprächen durch den Leitenden begleitet. Vielmehr soll sich das Gespräch bzw. die Begegnung dieser Zeit ganz auf Gott konzentrieren.

10 Ebd, S. 51 11 Entnommen aus Selbstbeschreibung des Karmeliterklosters Birkenwerder, PDF „Christliche Spiritualität aus den Quellen des Karmel“, Pater Reinhard Körner, OCD 12 Körner, Reinhard, ebd, S. 3

VI

bleiben. Reflexionen der Exerzitien

 Einzelexerzitien in der Gruppe – eine Einkehrwoche auf dem Schwanberg

In der ersten Woche des Jahres lud die Kommunität des Casteller Rings zu einer Exerzitie in der Gruppe. Sowohl der Schwanberg als Ort, als auch die Kommunität der Schwesternschaft im benedikti‐ nischen Geist reizten mich, um eine erste Exerzitie nach „protestantischer Art“ zu erleben.

Ohne vorherige Recherche und Literaturstudium beschloss ich diese fünf Tage als Erstbegegnung einer „Einzelexerzitie in der Gruppe“, so die Beschreibung im Jahresprogramm, zu erleben.

Der Tagesablauf orientierte sich an den vier Gebetszeiten der Kommunität: 6:30 Uhr Morgengebet, 12.00 Uhr Mittagsgebet, 17.00 Uhr Abendgebet und 20.00 Uhr Komplet. In den Tagen dieser Woche fanden zudem Gottesdienste statt, die meist an Stelle des Morgengebetes gefeiert wurden. Die Liturgie der Gebete ist in großen Teilen angelehnt an die des nahegelegenen Benediktinerordens in Münsterschwarzach und durch das Psalmodieren geprägt. Die Gebete werden vor allem von den etwa 30 Schwestern der Kommunität getragen und geleitet, zu den Gottesdiensten werden sie durch das Pfarrehepaar unterstützt. Die Gebete finden gemeinsam in der Kirche statt, wobei die Schwestern im Zentrum der Kirche in einen eigenen etwas abgegrenzten Feld ihre Plätze haben.

Die Unterkunft war unmittelbar neben dem Kloster im Exerzitienhaus „St. Michael“, in dem zu dieser Zeit sowohl eine andere Gruppe, als auch einige Einzelgäste zu Einkehrtagen zu Gast waren. Das Haus ist gänzlich der Stille und Einkehr gewidmet. Kleine Gebetsräume laden zum individuellen Gebet ein, Gruppenräume stehen für die morgendlichen Tagesimpulse bzw. die Leibarbeit zur Verfügung.

Die Exerzitienwoche wurde nach einer kurzen Eröffnungs‐ und Vorstellungsrunde mit einem gemein‐ samen Abendmahlsgottesdienst in der Kirche eröffnet. Gemeinsam mit allen Gästen aus den verschie‐ denen Seminaren und Häusern des Schwanbergs feierten wir mit etwa 70 BesucherInnen den ersten Gottesdienst. Die Predigt griff das Thema Wüstenzeiten und die Quellen des lebendigen Wassers im Sinne der Jahreslosung auf. Der erste Tag begann um 6.30 Uhr mit dem Morgengebet in der Kirche. Um 7.30 Uhr kamen die etwa 16 Teilnehmenden der Woche zu einem thematischen Morgenimpuls zusammen. Verbunden mit ei‐ nem Lied, entfaltete Schwester Ruth darin einen theologisch‐spirituellen Gedanken bzw. eine Übung für den Tag. Am ersten Tag galt es, über den „persönlichen Heilsplan Gottes“ zu meditieren und diesen zu notie‐ ren. Darin sollten alle prägnanten positiven Ereignisse, Erlebnisse, Bekanntschaften und Beziehungen, Lebenskreuzungen und Fügungen notiert werden. Sie lud die Teilnehmenden ein, diese Gedanken in Form eines eigenen Psalms zu notieren.

Im Anschluss an den Morgenimpuls gab es jeweils das Angebot der Leibarbeit. Etwa eine Stunde lang führte Schwester Esther die Teilnehmenden durch Atem‐ und Körperübungen in den Tag ein. Diese Form der traditionellen Leibarbeit findet sich in vielen Exerzitienwochen als ein Grundelement. Sie dient im ganzheitlichen Sinne dazu, nicht nur im Geist und mit der Ratio ins Gebet zu gehen, sondern sich mit Leib und Seele zu öffnen.

Am Nachmittag gab es jeweils Raum für Einzelgespräche zwischen den Teilnehmenden und Schwester Ruth. Die Gespräche, so führte Schwester Ruth ein, trugen vor allem den Akzent eines geistlichen Ge‐ spräches, des geistlichen Reflektierens der Exerzitienerfahrungen.

VII

Die Mahlzeiten wurden gemeinsam mit allen Schweigenden des Hauses eingenommen. Eröffnet mit einem Tischgebet, fanden auch diese in der Stille statt.

Es gelang mir schnell, mich in die Tagesstruktur einzufinden und sie zu meinem Rhythmus zu machen. Rückblickend betrachtet waren für mich vor allem die Gottesdienste die geistlichen Oasen. Sowohl der Eröffnungsgottesdienst, als auch der traditionelle Freitagmorgengottesdienst mit dem Angebot der Segnung, wie auch der Epiphaniasgottesdienst waren für mich inspirierende Momente. So kamen zu diesem Gottesdienst auch Mitarbeitende des Schwanbergs, sowie einige Menschen aus der Kirchenge‐ meinde und des Umfeldes.

Die Verbindung von gemeinsamen Gebeten, individueller Zeit der Stille, thematischen Impulsen und dem kurzen Gespräch empfand ich sehr anregend.

 Zwei Gruppenexerzitien im Karmeliterkloster Birkenwerder

Nach der Exerzitie protestantischer Prägung auf dem Schwanberg, besuchte ich zwei Exerzitien des Karmeliterklosters. Sowohl die konzeptionelle Prägung bzw. die spirituelle Note der karmelitischen Ex‐ erzitien interessierten mich, als auch speziell die thematischen Zugänge dieser beiden Angebote des klösterlichen Jahresplans. So erlebte ich dort Ende Januar eine fünftägige Exerzitie zum Thema „Leben mit dem Dreieinen Gott“ unter der Leitung von Pater Reinhard Körner, sowie im Anschluss daran eine Wochenendexerzitie zum Thema „In der Lebensmitte zu Gott finden“.

Während das Schweigen als Rahmen bzw. Haltung ähnlich der Exerzitie des Schwanbergs war, verband die beiden Exerzitienhäuser in ihrer Grundkonzeption, so wie ich sie erlebte, nichts darüber hinaus. In Birkenwerder begann der Tag mit einem Eucharistiegottesdienst. Liturgischer Kern der kurzen Liturgie war das Abendmahl, verbunden durch ein bis zwei Lieder. Nach dem musikalisch untermalten Früh‐ stück eröffnete der Morgenvortrag um 9.15 Uhr das Thema. Ein weiterer Vortrag am Nachmittag um 15.30 Uhr, sowie ein kurzer thematischer Abendimpuls in der Kirche bildeten neben den Mahlzeiten die Tagesgrundstruktur.13 Auffällig war die Haltung, so wie es Pater Körner auch in der Einführung deutlich machte, dass Gott der eigentliche Exerzitienleiter ist und sich demnach die Leitung von Seiten des Klosters zurücknahm. So war auffällig, dass die Vorträge und Abendimpulse daher nicht durch per‐ sönliche Worte, oder einem interaktiven Impuls für die Gruppe eröffnet wurden. Auch das Ende der jeweiligen Einheiten bildete stets ein prägnanter, themenbezogener Schlusssatz, nach welchem der oder die Leitende schweigend vor der Gruppe den Raum oder die Kirche verließ. Das Angebot des Gespräches mit Pater Reinhard gab es, jedoch nur einmalig bei Interesse.

Die Vorträge erlebte ich in beiden Exerzitien dieses Klosters als sehr inspirierend und anregend. Insbe‐ sondere auch durch die zugewandte Art und die thematisch vielschichtigen Zugänge von Pater Rein‐ hard, waren diese Runden zugleich fundamentale Impulse für die Zeit des Stille. Angereichert durch etliche Bildmotive gab es immer wieder weiterführende Fragen und Übungen für die individuelle Ar‐ beit. Besonders in der zweiten Exerzitie mit dem deutlichen lebensbiographischen Thema, waren diese Impulse auch für den roten Faden der Tage prägend.

Insgesamt trägt das Kloster eine sehr familiäre Atmosphäre. Die geistliche Leitung trägt Pater Rein‐ hard. Er lebt neben dem Klostergelände mit zwei weiteren Brüdern, von denen einer der Priester der im Kloster ansässigen Kirchengemeinde und der andere der Wirtschafter des Klostergeländes ist. Die Gebete der kleinen Gemeinschaft sind bis auf das Vespergebet am Samstag nicht öffentlich.

13 In der zweiten, kürzeren Exerzitie gab es am Nachmittag einen weiteren Vortrag.

VIII

Allgemein war auffällig, dass die drei Bereiche Kirchengemeinde, Exerzitienhaus und Ordensgemein‐ schaft, konzeptionell und im geistlichen Leben in getrennten Zeitabläufen und Strukturen gestaltet wurden. Die Verbindung von Kirchengemeinde, Ordensgemeinschaft und Exerzitiengruppe habe ich rückblickend auf dem Schwanberg als organisch verknüpfter erlebt.

Beeindruckend war für mich die Strahlkraft des Klosters. In beiden Exerzitien waren zwischen 25‐30 Menschen. Darunter Teilnehmende aus der Schweiz, aus Norddeutschland und dem östlichen und westlichen Süden. Im Jahresplan des Klosters findet sich hinter einigen Exerzitien bereits der Vermerk, dass dieses Angebot ausgebucht ist.

 Mein persönlicher Rückblick auf die erlebten Gruppen-Exerzitien

Ich habe diese verschiedenen Exerzitien als sehr aufklärende, geist‐ und kraftvolle innere Auszeiten erlebt. Tragend und impulsgebend für mein Weitergehen waren für mich an beiden Orten dafür und dabei folgende Aspekte:

‐ Die regelmäßigen gemeinsamen Gebete. Sowohl der Glockenklang zum Gebet im Tageslauf, als auch im Erleben, dadurch immer wieder in Gemeinschaft gerufen zu werden. Auch wenn ich an beiden Orten nicht meine „Heimatli‐ turgie“ vorfand14, so war ich erfreut und überrascht, wie schnell und vertraut sie mir doch durch die Wiederholungen und die authentische Haltung der jeweiligen Liturgen wurden. Auch die Form des Gebetes, d.h. einer Liturgie, die den biblischen Texten und dem Gesang Raum und Kraft schenkt und diesen auch ohne das eigene Wort der Verkündigung vertraut, ist mir neu und klar in den Blick gerückt. ‐ Das Schweigen. Eine für mich neu ins Bewusstsein gekehrte Einsicht dieser Tage ist, dass das geistliche Schwei‐ gen bzw. das Herzensgebet sowohl liturgisch, als auch in der individuellen Gebetspraxis einen höheren Stellenwert verdient hat. Auch die Erfahrung des gemeinsamen Schweigens und des Begegnens im Schweigen ist eine prägnante, wenn nicht sogar durch diesen Rahmen einma‐ lige Erfahrung. ‐ Impulse als Leitschnur. Insbesondere die Verknüpfung von theologisch‐thematischen Impulsen und Meditation bzw. die Einzelarbeit der karmelitischen Exerzitien inspirierte mich. Für Gemeindeveranstaltungen und –rüstzeiten, die oftmals von einem Thema „über etwas“ und dem Diskurs darüber geprägt sind, sehe ich die Chance, Themen nach „karmelitischer Art“ als Impulse zu gestalten, die zu‐ nächst in die individuelle Arbeit und später in einen Austausch führen. ‐ Geistliches Gespräch. Eine Motivation zu meinem Thema dieses Studienurlaubes war die Perspektive, mittelfristig eine Weiterbildung zur geistlichen Begleitung zu beginnen. Die Erfahrung des geistlichen Ge‐ spräches bestärkte mich darin. Diese Form der geistlichen Begleitung auf der Schwelle zwischen Seelsorge und Verkündigung, zwischen Lebensbegleitung und Tagzeiten‐Liturg, zwischen Gruppenleitung und mystischem Vertrauen faszinierte mich und ist meines Erachtens als Bestandteil einer zukünftigen Gemein‐ dearbeit, wie auch des pastoralen Berufsbildes fundamental.

14 Diese ist, wie mir in diesen Tagen zunehmend klar wurde eher die Liturgie und Spiritualität von Taizé und Iona.

IX

‐ Glaubensgemeinschaft/ Orden. Die jeweiligen Gemeinschaften erlebte ich als wichtige geistliche und organisatorische Kontur der Exerzitien. Sowohl in den Gebeten und Gottesdiensten, in ihrer Programmverantwortung, aber auch als geistliche Gastgeber*innen. Auffällig war für mich an beiden Orten die Balance zwischen der Präsenz im Programm‐ und Gruppengeschehen, als auch das Bewahren der kommunitären Privatsphäre durch einen klar abgegrenzten Bereich. Auf manchen Spaziergängen dachte ich über dieses Verhältnis in meinem pastoralen und ge‐ meindepädagogischen Alltag nach. Über meinen Drang nach Gemeinschaft, die Freude daran Teil der Gemeinde zu sein und danach, an welchen Stellen ich eigentlich, wie im Kloster Bir‐ kenwerder ein Schild „Hier beginnt der Klosterbereich. Zutritt nur für Ordensmitglieder“ im übertragenden Sinne aufstellen wollte. Wo beginnt der Bereich, den ich für mein geistliches Leben reserviere, den ich zurückhalte, um mit Abstand diejenigen begleiten zu können, die mich als geistliche Begleitung aufsuchen?

 Pilger-Exerzitie in Israel

An die beiden Gruppenexerzitien, die jeweils durch Leitende begleitet stattfanden, schloss sich im Kern meines Studienurlaubes eine selbstgestaltete Exerzitie an, die ich gemeinsam mit meiner Partne‐ rin unternahm. Es reizte mich, die Inspirationen der Gruppenexerzitien und des Literaturstudiums mit einem Pilgerweg zu verbinden. Durch die Erfahrung einiger Pilgerwege, die ich sowohl leitete, als auch als Teil einer Gruppe erlebte, konnte ich mir den thematischen und geistlichen Bogen einer Exerzitie sehr gut in Kombination mit der Ruhe und Dynamik einer Pilgerschaft vorstellen.

So wählten wir als Weg den Shvil Israel, den Israel‐National‐Trail, dessen Route quer zwischen der Nord‐ und Südspitze durch das Land führt. Grundgedanke war es, keine „Wallfahrt“ zu möglichst vie‐ len heiligen Stätten durch einen Pilgerweg zu verbinden, sondern vielmehr auf dem Weg durch das Heilige Land, dem Heiligen nachzugehen. Aus dem insgesamt 1025 km langen Wanderweg, gestalteten wir unsere etwa 300 km lange Teilstre‐ cke in einer Balance aus theologischen, meteorologischen und letztlich geographischen Aspekten. Wir planten, bedingt durch unseren Reisestart im frühen israelischen Frühling, eine Route von Süden gen Norden, um den letzten winterlichen Regenfällen zu entgehen. bedarf mindestens drei Tage, um in die Stadt und zu den entsprechenden Orten zu pilgern. So entschieden wir uns schweren Herzens, Jerusalem als Pilgeretappe auszuklammern. Zudem hatte ich durch meine vorherigen Israelreisen die von Touristen überquellenden religiösen Sehenswürdigkei‐ ten in Erinnerung, bei denen letztlich wenig Raum für Geist und Gebet bleibt. Auch erschien es uns ausreichend, jeweils bis zu und ab den Stadträndern von Tel Aviv zu pilgern und das Zentrum nur als Ankommende und Abreisende wahrzunehmen und zu genießen.

Wir entschieden uns, den Weg als Pilgerweg von der Wüste , hin nach Kapernaum am See Ge‐ nezareth zu gestalten und starteten mit einem zwei tägigen Aufenthalt in der Wüste Negev. Eine erste Tagestour führte uns in den Machtresch‐Krater in der Nähe von Mitspe Ramon. Unseren Pilgerweg starteten wir zeitgleich mit dem jüdischen Purimfest in (südlich von Gimzo) und pilgerten in 16 Tagesetappen von Süden gen Norden, von der Wüste, über das Mittel‐ und galiläi‐ sche Meer, über das Karmelgebirge, durch Nazareth, über den Berg Tabor, zum Berg der Seligpreisun‐ gen und schließlich zur ehemaligen Synagoge von Kapernaum.

X

1. Latrun > Gimzo 2. Gimzo > 3. Mazor > Netanja 4. Netanja > Hadera 5. Hadera > Binjamina 6. Binjamina > Carmel Forest 7. Carmel Forest > Ein Hud 8. Ein Hud > Isfiya 9. Isfiya > Tiv’on 10. Tiv’on > Zippori 11. Zippori > Nazareth 12. Nazareth > Mount Tabor 13. Mt Tabor > Menahemya 14. Menahemya > Poriyya Ilit 15. Poriyya Ilit > Ginnosar 16. Ginossar > Kapernaum Pilgerstrecke: ca 280 km

Auf dem Shvil gibt es keine Pilgerunterkünfte im klassischen Sinne. Stattdessen gibt es eine Liste mit „Trail Angels“. Dies sind Menschen, die ihre Wohnungen und Häuser den Pilger und Wanderern für eine Nacht kostenfrei öffnen. Die Begegnungen mit unseren Trail Angels bleiben für uns zweifelsohne in besonderer Erinnerung und schenkten uns je verschiedene Einblicke und Einsichten in die Themen, die Glaubens‐ und Lebenswelten von arabischen Christen, Drusen, Juden und Nichtgläubigen. Die herzliche und anteilnehmende Art unserer Gastgebenden hat uns tief bewegt und schenkte dem Weg und dem Unterwegssein eine einzigartige Prägung.

Als geistliche Struktur dieses Weges begleitete uns Anselm Grün und seine Exerzitien für den Alltag. Daraus ergab sich für jeden Tag ein thematisch‐theologisches Thema, das ausgehend von einer Bibel‐ stelle entfaltet wurde. Zusätzlich formulierte Grün immer wieder auch Übungen, denen man sich im Tageslauf widmen konnte. Meist lasen wir die Exerzitie im ersten Tagesdrittel des Weges und gingen danach 1‐2 Stunden in die individuelle Stille. Zumeist während des Pilgerns, manchmal verbunden mit einer Pause und der Möglichkeit der Meditation/des Gebetes. Nach unseren Erfahrungen, schien es nur hin und wieder angebracht, sich über die Impulse und eigenen Gedanken der Stille/ des Gebetes auszutauschen. Zumeist blieben für uns diese Momente der stillen Zeiten im Raum des Nichtausge‐ werteten und –reflektierten.

Von dem Vorhaben eine eigene Exerzitie zu gestalten und uns mit auf den Weg zu geben, kam ich im Zuge der Vorbereitungen ab. Zum einen nahmen die organisatorischen Vorbereitungen allerhand Zeit und Energie in Anspruch, zum anderen zog ich es vor, mich auf diesem Weg „beschenken“ zu lassen, ohne schon vorab auf alle Etappen und mögliche thematische Bögen zu schauen und den Weg zu strukturieren. Wenn ich als Leitender mit einer Gruppe unterwegs gewesen wäre, böte dies eine groß‐ artige Chance, Wege und Orte mit biblischen und geistlichen Impulsen und Übungen miteinander in Bezug zu bringen. Insbesondere die Verquickung von Tälern, Gebirgs‐ oder Wüstenetappen an den Grenzen der Kräfte, an Küstenstrecken, im Tagesverlauf und natürlich die in diesem Land vielfältig möglichen biblischen Orte bieten ideale Bezugspunkte.

Jedoch machte ich für mich die Erfahrung, dass es mir auf den Spaziergängen der klösterlichen Exerzi‐ tien besser gelang, ins Gebet zu finden und mich thematisch und geistlich vertiefend zu widmen.

XI

Denn neben den herrlichen landschaftlichen Geschenken des Pilgerweges, fordert dieser auch seinen Preis. So nehmen die Strapazen des Pilgerns mit Rucksack auf einem längeren Weg auch einige Kräfte und Nerven in Anspruch. So überlagern mitunter ganz profane Hürden des Weges jene Einsamkeit, die in klösterlicher Abgeschiedenheit möglich und schlicht gegeben ist.

Für mich war das Pilgern auf dem Shvil Israel eine landschaftliche Wanderwonne und eine prägende und inspirierende Pilgererfahrung, für die ich sehr dankbar bin. Ich freue mich und bin gespannt da‐ rauf, wie diese Erfahrung in meiner hermeneutischen Arbeit durchleuchtet, mit biblischen Texten un‐ terwegs zu sein, sie als Wegweiser, als Ausblick, als Hürde und Ruhestätte, als Wegengel und Trost‐ spender zu erleben.

XII

gehen. Impulse für Exerzitien im Alltag und Gemeinde

 Straßen- und Tagesexerzitien auf Gemeindefahrten und Klausuren

Auch wenn es aus terminlichen Gründen leider im Rahmen dieses Studienurlaubes nicht zu realisieren war, dass ich selbst eine Straßen‐ oder auch Ringbahnexerzitie erleben konnte, sehe ich sie als faszi‐ nierende Form. Ich bin mir unsicher, welchen zeitlichen Rahmen es bedarf, um sich auf die Übungen einstellen zu können. Ich denke jedoch aus meiner eigenen Erfahrung als Gruppenleitender, dass es in einem eingebetteten Rahmen einer Gemeinderüstzeit, oder einer Klausur dann möglich ist, den Pro‐ zess mit einer Exerzitie zu vertiefen, wenn Gruppe und Rahmen zuvor darauf ein‐ und abgestimmt sind. Insbesondere die Chance, mit Exerzitien individuelle, geistliche Erfahrungen zu machen und sie zugleich in einer Gruppe zu teilen, oder auch unausgesprochen miteinander zu tragen, macht sie für Jugendliche und Erwachsene wert‐ und reizvoll. Speziell für Gremienklausuren, auf denen originär viel be‐ und gesprochen wird, kann ich mir Tag‐ zeitengebete, verbunden mit einer Zeit des Schweigens als sehr erfrischende und vertiefende Mo‐ mente gut vorstellen.

 Exerzitie als Glaubenskurs-Wechsel

Das schier unermessliche Feld der Exerzitienformen auf dem „Markt“ beeindruckte und überraschte mich. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Exerzitien im Stillen auch für ein protestantisches Mauer‐ blümchen, oder besser als katholische Spiritualität ausklammerte. Die Glaubenskurse am Weinberg und auch in meinen früheren Gemeinden waren von der Besucherzahl auch zumeist mauerblümchen‐ haft.

Mit Sicherheit gründet bei den Exerzitien, die ich erlebte, ein Teil ihres Potentials darin, dass sie fernab des Alltags und weltfern hinter klösterlichen Mauern stattfanden. Aber nichtsdestotrotz ist es einen Versuch wert, diese auch als ein Angebot der gemeindlichen Gemeinschaft zu etablieren, bzw. als Rah‐ men für Menschen zu gestalten, die sich im Glauben auf ihre ersten Schritte begeben. Die Verqui‐ ckung von Lebens‐ und Glaubensthemen bietet sich m.E. augenscheinlich dafür an und könnte Vor‐ träge „über“ den Glauben durch Erfahrungen „mit“ dem Glauben flankieren oder gar ersetzen.

 Exerzitien im Alltag als roter Faden in Kirchjahreszeiten

Gleichwohl wie mich die Reiseangebote an Exerzitien überraschten, genoss ich es auch an Literatur‐ materialien aus dem vollem schöpfen zu können. So finden sich zahlreiche handliche Heftpublikatio‐ nen, mit denen eine Exerzitie auf ganz eigenen Wegen und zu eigenen Zeiten bild‐ und wortreich er‐ möglicht wird. Die Form der Übung für den Tag oder die Woche kann ich mir als ein (wenn auch nicht regelmäßiges) Element von Gottesdiensten oder zu besonderen Kirchenjahreszeiten vorstellen. Darüber hinaus bieten diese Materialien auch eine Struktur dafür, dass Menschen jeweils individuell im Laufe der Woche mit einem gemeinsamen Exerzitienrahmen unterwegs sind und sich zu gemeinsa‐ men Gebeten in der Woche treffen.

XIII

 „Frühschichten“ in der Fastenzeit

Eine Form der Exerzitie, die ich fast schon wieder vergessen hatte, begegnete mir in meiner ersten Stelle in Senftenberg. Gemeinsam mit meinem katholischen Kollegen und getragen von der langjähri‐ gen Tradition der katholischen Jugendgruppe, gestalteten wir gemeinsam ökumenische „Frühschich‐ ten“. Dazu trafen wir uns mit Jugendlichen auf freiwilliger Basis in den beiden Fastenzeiten, jeweils um 5:30 Uhr zu einem gemeinsamen Gebet mit anschließendem Frühstück.

 Kirchenjahreskalender der Passions- und Fastenzeit

Eine Idee einer alltagsbegleitenden Exerzitie bescherte mir mein Patenamt. Zum kommenden Pfingst‐ fest werden meine beiden Patenkinder konfirmiert. Inspiriert durch meine Lektüre und beflügelt durch den Freiraum dieser Wochen begann ich ihnen einen Kalender der 95 Tage bis zur Konfirmation zu basteln. Für die Sonntage und kirchlichen Feiertage dieser Zeit gestaltete ich kleine Säckchen, in denen jeweils ein Bibelvers, ein theologisch‐geistliches Zitat, ein kleines Briefchen mit Gedanken zum Thema des Sonntags und eine kurze Übung verpackt waren. So galt es beispielsweise zum Sonntag Judika nach dem Recht in ihrem Umkreis Ausschau zu halten. Sie fanden jeweils 3 € vor, mit denen sie in den Tagen der beginnenden Woche eingeladen wurden „Gutes“ zu schaffen. Diese Idee kann ich mir gut als Konzept im Rahmen der KonfiZeit vorstellen. Als Übung, die jede*r für sich daheim begeht, die aber ebenso gemeinsame Gebete und Zusammenkünfte beinhaltet. Eine Exer‐ zitie in der Fastenzeit, die meines Erachtens jedoch nur auf freiwilliger Basis funktionieren kann.

XIV

Literatur

 …ins Leben, Exerzitien im Alltag, Bistum Trier, 2012

 …damit sie (wir) das Leben haben, Exerzitien im Alltag, Bistum Trier, 2012

 Beziehungsweise leben, Exerzitien im Alltag, Bistum Hildesheim, 2004 und weitere Materialien

 Seidl Christoph, angerufen, Exerzitien im Alltag im Spiegel der biblischen Propheten, katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2006

 Meyer Annegret, Angekommen unterwegs, Exerzitien im Alltag, Bonifatius Verlag, Paderborn 2013

 Mertes Klaus, Verantwortung lernen, Schule im Geist der Exerzitien, echter Verlag, Würzburg 2004

 Lambert Willi, Das siebenfache Ja, Exerzitien – ein Weg zum Leben, echter Verlag, Würzburg 2006

 Grün Anselm, Exerzitien für den Alltag, Vier Türme Verlag, Münsterschwarzach 1997

Danksagung

Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit dieser Studienzeit. Diese Zeit und dieses Thema wurden für mich zu einer Quelle der Glaubens‐ und nun nach all den Wochen des „Dienstfastens“ zu einer Dienst‐ vorfreude. Ich danke unserer Landeskirche für die besondere Möglichkeit des Studienurlaubes! Ich danke darüber hinaus Pfarrerin Marita Lersner und Pfarrerin Andrea Richter, sowie OKR Christoph Vogel für die Ge‐ spräche beim „Exerzitientee“ mit Tipps und Erfahrungen, Literaturquellen und Kontakten, die mir beim ersten Herantasten und den ersten Schritten mit meinem Thema im Dienstalltag sehr halfen und mich vorab beflügelten.