Plenarprotokoll 19/111

Deutscher

Stenografischer Bericht

111. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 13654 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Monika Grütters, Staatsministerin BK ...... 13655 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- (SPD) ...... 13656 A haushaltsplans für das Haushaltsjahr (CDU/CSU) ...... 13657 B 2020 (Haushaltsgesetz 2020) Dr. Jens Zimmermann (SPD) ...... 13658 A Drucksache 19/11800 ...... 13615 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 Einzelplan 05 Drucksache 19/11801 ...... 13615 B Auswärtiges Amt , Bundesminister AA ...... 13659 B Einzelplan 04 Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 13661 B Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Jürgen Hardt (CDU/CSU) ...... 13662 D Dr. (AfD) ...... 13615 B (FDP) ...... 13664 A Dr. , Bundeskanzlerin ...... 13618 B (DIE LINKE) ...... 13665 B (FDP) ...... 13624 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 13666 B Dr. Rolf Mützenich (SPD) ...... 13628 D (SPD) ...... 13667 B Dr. (DIE LINKE) ...... 13632 C Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD) ...... 13668 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE Dr. (CDU/CSU) ...... 13669 C GRÜNEN) ...... 13636 A Bijan Djir-Sarai (FDP) ...... 13670 D Dr. (FDP) ...... 13637 C (CDU/CSU) ...... 13639 D Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 13671 D Dr. (AfD) ...... 13642 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13672 D (Minden) (SPD) ...... 13644 C (SPD) ...... 13673 D Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 13645 C (CDU/CSU) ...... 13674 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 13646 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) ...... 13675 B (CDU/CSU) ...... 13676 A (CDU/CSU) ...... 13644 D (CDU/CSU) ...... 13677 A Dr. (AfD) ...... 13648 C Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 13675 D Johannes Kahrs (SPD) ...... 13649 B (DIE LINKE) ...... 13650 C Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13651 B Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesminis- Marco Bülow (fraktionslos) ...... 13652 B terin BMVg ...... 13679 A (CDU/CSU) ...... 13653 A Rüdiger Lucassen (AfD) ...... 13681 A II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. (SPD) ...... 13682 A Michael Georg Link (FDP) ...... 13701 C (FDP) ...... 13683 B Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 13702 D Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 13684 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13703 D Dr. (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 13704 D DIE GRÜNEN) ...... 13685 D (AfD) ...... 13705 D (CDU/CSU) ...... 13687 C (SPD) ...... 13706 D Martin Hohmann (AfD) ...... 13688 D (SPD) ...... 13690 A Dr. Christoph Hoffmann (FDP) ...... 13708 A Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 13691 B Helin (DIE LINKE) ...... 13709 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) ...... 13692 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 13707 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) ...... 13693 B (CDU/CSU) ...... 13710 C (SPD) ...... 13694 B (AfD) ...... 13711 D Dr. (CDU/CSU) ...... 13695 D Dr. (CDU/CSU) ...... 13712 C Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 13696 C Dr. (SPD) ...... 13713 B Carsten Körber (CDU/CSU) ...... 13714 D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zu­ Nächste Sitzung ...... 13715 D sammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ ...... 13697 D Volker Münz (AfD) ...... 13699 C Anlage Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 13700 C Entschuldigte Abgeordnete ...... 13717 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13615

(A) (C)

111. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Beginn: 9:00

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: zweiten Quartal 2019 sogar geschrumpft. Damit sind Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte wir im Vergleich mit den übrigen EU- und Euro-Mitglied­ nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. staaten Schlusslicht. Die Krise kommt nicht, die Krise ist bereits da. Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs­ punkte 1 a und b – fort: (Beifall bei der AfD) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein­ Die nächste Rezession wird weder ein vom Himmel gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest­ gefallenes Schicksal sein stellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020) (Zuruf von der SPD: Sie steht vor uns!) noch das Werk böser Mächte. Sie ist in erster Linie haus­ Drucksache 19/11800 gemacht. Die Schwierigkeiten, in die die deutsche Wirt­ Überweisungsvorschlag: schaft und damit das ganze Land hineinrutscht, sind die Haushaltsausschuss Folge Ihrer verhängnisvollen und wirtschaftsfeindlichen (B) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregie­ Politik, (D) rung (Beifall bei der AfD – [Er­ Finanzplan des Bundes 2019 bis 2023 furt] [SPD]: Weil die Exporte einbrechen, ja? So ein Blödsinn!) Drucksache 19/11801 einer im Kern grün-sozialistischen Ideologie, die unser Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Land ruiniert und seiner Zukunftsfähigkeit beraubt. Wir haben für die heutige Aussprache gestern eine Re­ ( [DIE LINKE]: Ja, das war schon mal dezeit von insgesamt acht Stunden beschlossen. witzig! Total sozialistisch!) Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundes­ Diese Regierung trägt die Verantwortung für die Demon­ kanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan tage der Autoindustrie durch Klimaschutzwahn und 04. E-Auto-Planwirtschaft. Das Wort hat die Vorsitzende der AfD-Fraktion, (Beifall bei der AfD) Dr. Alice Weidel. Sie ruinieren unser Land mit der absurden Idee, gleich­ (Beifall bei der AfD) zeitig aus Atomenergie und Kohleverstromung ausstei­ gen zu können und zu einem fiktiven Datum in nicht allzu Dr. Alice Weidel (AfD): ferner Zukunft – typisch Planwirtschaft! – das Land CO2- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und neutral zu machen. Herren! Deutschland steht vor einer Rezession: keine ein­ (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ fache Konjunkturdelle, sondern ein handfester Rückgang NEN]: Aus der Schweiz betrachtet sich das der Wirtschaftsleistung. Die Exporte brechen mit zwei­ doch ganz gut, oder?) stelligen Verlusten in einigen wichtigen Ausfuhrländern ein: China, Großbritannien und Russland. Besonders be­ Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist absolut troffen: Automobilindustrie und Maschinenbau, das grotesk. Rückgrat unserer industriellen Produktion und damit unseres Wohlstands. Die Meldungen über massive (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Stellenstreichungen in tragenden Unternehmen und Das ist ein ökonomischer und naturwissenschaftlicher Schlüsselbranchen reißen nicht ab. Das Wirtschafts­ Nonsens, der uns jetzt schon die höchsten Stromkosten wachstum stagniert, das Bruttoinlandsprodukt ist im in Europa beschert, Hunderttausende Haushalte von Ge­ 13616 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Alice Weidel (A) ringverdienern und der Mittelschicht in existenzielle Be- wenn die Asyltäuschung auffliegt und der Aufenthalts- (C) drängnis bringt, die Versorgungssicherheit gefährdet und titel verweigert wird, müssen sie kaum eine Abschiebung energieintensive Industrien nach und nach aus Deutsch- fürchten. land vertreibt. Sie haben das Geld für die abseitigsten Partikularinte- (Beifall bei der AfD) ressen übrig, aber nicht für die effektive Kontrolle unserer Grenzen und den Schutz unserer Bürger, die Ihnen einen Ihr vorgeblicher Klimaschutz ist nichts anderes als ein Rekordanteil des von ihnen erwirtschafteten Einkom- monströses Deindustrialisierungsprogramm, verbunden mens überlassen müssen. Die Gegenleistungen bleiben mit veritabler Arbeitsplatzvernichtung. Sie verschwen- Sie schuldig. den Abermilliarden, um imaginierte Weltuntergänge in ferner Zukunft abzuwenden. Sie lassen sich von fragwür- (Beifall bei der AfD) digen Lobbyisten wie der Deutschen Umwelthilfe – aus Inzwischen hat jeder zweite Hartz-IV-Empfänger einen meiner Sicht gehört diese Lobbyorganisation verboten – Migrationshintergrund. Dazu kommt: Fast zwei Drittel am Gängelband führen der sogenannten Flüchtlinge leben von Hartz IV. Also (Beifall bei der AfD) zwei Drittel Ihrer Fachkräfte leben von Hartz IV! und zerstören dafür die Grundlagen unseres Wohlstands Asylzuwanderer sind übrigens überproportional krimi- und unsere Fähigkeit, die ganz realen und drängenden nalitätsbelastet, gemessen am Bevölkerungsanteil. Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte zu meis- Schwere Sexual-, Raub- und Tötungsdelikte durch Zu- tern. wanderer haben erschreckend zugenommen. Ich nenne zum Beispiel die unbewältigten Folgen der (Dr. [DIE LINKE]: Das ist ras- ungeregelten Migration in die Sozialsysteme und die Kri- sistische Hetze! – Weitere Zurufe von der LIN- minalstatistik. KEN) Das Lagebild zur Zuwanderungskriminalität des Bundes- (Zurufe von der SPD: Ah! – Hört! Hört!) kriminalamts bestätigt das doch schwarz auf weiß. Hören Ja, ich weiß schon, warum Sie so quietschen. – Der Sie doch auf, hier so rumzubrüllen! frühere Bundesnachrichtenchef, August Hanning, spricht von mehr als 2 Millionen überwiegend jungen Männern, (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann die seit 2015 eingewandert sind. Und die nächste Welle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie ge- steht schon vor der Tür. Die Bilder aus Lesbos sind ein merkt, dass gar keiner brüllt? Da stand auf dem Zettel „Hören Sie auf, rumzubrüllen!“! Nicht (B) Menetekel. Der Türkei-Deal, an den Sie sich ja so gerne (D) und so lange geklammert haben, ist gescheitert. Die Bal- zu doll an den Sprechzettel halten!) kanroute ist offen, und Sie verschließen einfach die Au- Dass für die Bürger die Sicherheit im öffentlichen Raum gen davor. mehr und mehr verloren geht, lässt Sie offenkundig gleichgültig. Man sieht das hier. Wir könnten die Migration übers Mittelmeer beenden, wenn Sie bereit wären, mit Italien und anderen Mittel- Eine ältere Hypothek ist das gescheiterte Euro-Experi- meeranrainern dafür zu sorgen, dass keiner mehr illegal ment. Zehn Jahre Euro-Rettung durch verlorene Hilfskre- übers Meer nach Europa gelangen kann. dite und Geldschöpfung auf Knopfdruck sind zehn Jahre Umverteilung von unten nach oben und vom Bürger zum (Beifall bei der AfD) Staat. Die Nullzinspolitik, über die sich ja Was wird aber gemacht? Stattdessen ermuntern Sie die gestern so gefreut hat, führt die deutsche Mittelschicht humanitären Schleuser und Menschenhändler, auch und den Sparer ins Prekariat. Das Märchen vom reichen NGOs genannt, Land stimmt schon lange nicht mehr. In Europa belegen die Deutschen beim Vermögen den letzten Platz. (Widerspruch bei der SPD) Wenn die Draghi-Blase platzt, zündet der Euro-Geld- lassen deren illegal eingeschleusten Passagiere noch nach sozialismus. Das wissen wir. Der Anteil der faulen Kre- Deutschland einfliegen und wollen sogar noch einen dite in den Bilanzen südeuropäischer Banken – die Sum- staatlichen Wassertaxidienst einrichten. Das ist wirklich men, die im Feuer stehen – ist gigantisch. Das Kartenhaus nur noch grotesk, sehr geehrte Damen und Herren! der Zombiebanken steht auf dem wackligen Boden der Negativzinspolitik der EZB, und die zerstört unaufhalt- (Beifall bei der AfD) sam das Geschäftsmodell der soliden Banken. Wir stehen Eine wirksame Sicherung und Kontrolle der Grenzen vor einem gigantischen Bankencrash, sehr geehrte Da- ist möglich. Die Kosten würden sich jährlich im einstel- men und Herren! ligen Milliardenbereich bewegen – und das wissen Sie. Kein Vergleich mit den ökonomischen, politischen und (Beifall bei der AfD) vor allem gesellschaftlichen Folgekosten der anhaltenden Wir werden bei gleichbleibender Entwicklung eine ungeregelten Einwanderung! Sie wollen Millionen Staatsschulden- und Bankenkrise erleben, Hyperinflation Bürger durch Verbote, Strafsteuern und dirigistische und anschließend eine Währungsreform, bei der die Men- Maßnahmen in ihrer individuellen Mobilität einschrän- schen alles verlieren werden. Und Sie sagen es ihnen ken, aber illegale Einwanderer können sich weiter frei nicht. Was tun Sie, um das zu verhindern? Natürlich gar und ungehindert über unsere Grenzen bewegen. Selbst nichts. Im Gegenteil: Sie befeuern die Entwicklung auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13617

Dr. Alice Weidel (A) noch. Von EZB-Chefin Christine Lagarde ernten Sie da- Der Ökonom Daniel Stelter berechnet – ich zitiere –: (C) für Beifall und ganz viel Umarmung, von jener Frau, die Allein auf Bundesebene wurden in den letzten zehn Jah- 2010 als IWF-Direktorin erklärte – ich zitiere –: ren 460 Milliarden Euro zusätzlich verfügbares Geld für Konsum und Wahlgeschenke verplempert. – Zitat Ende. Wir müssen die Verträge brechen, um den Euro zu retten. Dabei gibt es genug Baustellen im Land, in denen das Und das ist genau Ihr Verständnis von Rechtstreue. Geld der Bürger besser und sinnvoller ausgegeben wer- den könnte. (Beifall bei der AfD – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie ( [SPD]: Genau! Schweizer uns nicht mit Rechtstreue!) Konten!) Für eine andere Lösung als eine zum deutschen Nach- Die Infrastruktur verfällt, Straßen verkommen, Schulge- teil hätten Sie aber vermutlich auch gar keine Mehrheiten bäude verfallen, die Bahn funktioniert immer schlechter, zusammenbekommen. Denn Sie haben Deutschland in schnelles Internet gibt es anderswo, von Großprojekten Europa isoliert, und niemand nimmt Sie mehr ernst. Bei wie Flughäfen, die nie fertig werden, gar nicht zu reden. internationalen Konferenzen sitzen Sie im Abseits, wäh- rend die anderen ihre Interessen verfolgen und auch (Beifall bei der AfD) durchsetzen. Die Sozialsysteme sind überlastet und nicht zukunftsfä- hig. Deutschland droht eine massive Altersarmut. Die (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wenn hier öffentliche Ordnung leidet, Sicherheit geht verloren. einer im Abseits sitzt, dann sind Sie das!) Sie haben das Verhältnis zu den USA zerrüttet, die Briten (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE aus der EU getrieben GRÜNEN]: Ja, deswegen wohnen Sie in der Schweiz!) (Lachen bei der SPD) Dass das die Grünen nicht interessiert, weiß ich. und tun im Kielwasser der Franzosen nichts für eine ver- nünftige Brexit-Lösung. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie wohnen doch in der Schweiz! Wa- (Beifall bei der AfD) rum reden Sie eigentlich über unser Land hier?) Und jetzt legen Sie uns einen Haushalt vor, der vor Die Bundeswehr ist kaum noch einsatzfähig, die arbeit- allem eins erkennen lässt: dass Sie und Ihr Kabinett nicht ende Bevölkerung ist mit hohen Steuern und Abgaben verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat. Sie (B) belastet. (D) verkonsumieren die immer noch reichlich kassierten Steuergelder, als würde der Segen ewig weiterfließen. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie haben sich doch entschieden, in der (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schweiz zu leben!) NEN]: Was ist eigentlich mit Parteienfinanzie- rung?) Statt den Bürgern das zu viel abgenommene Geld zu- rückzugeben – nicht einmal den Soli können Sie rechts- Was passiert denn dann, wenn die geburtenstarken Jahr- konform abschaffen –, brüten Ihre Regierung und die sie gänge, die jetzt auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen tragenden Parteien schon über neue Steuern: CO2-Steuer, Laufbahn sind, in zehn Jahren in Rente gehen und nicht Vermögensteuer, Sonderabgaben auf alles Mögliche. Je- mehr bis zum Anschlag gemolken werden können? der Vorwand scheint Ihnen recht, um den Bürger immer weiter zu belasten, weil Sie mit dem überreichlich vor- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Auf Ihr handenen Steuergeld doch gar nicht umgehen können. Rentenkonzept warten wir ja noch! Sagen Sie Das ist doch die Wahrheit! es einmal!) Vorsorge für schlechte Zeiten ist in diesem Haushalt ein (Beifall bei der AfD) Fremdwort. Der Investitionsanteil ist trotz des Rekord- So kann es einfach nicht weitergehen. Ein grundsätz- volumens lächerlich niedrig und akrobatisch schön- liches Umdenken tut not: Umwelt- und Ressourcenscho- gerechnet. Dazu verdient – das ist auch absolut absurd – nung statt Klimaschutz, Schluss mit der kopflosen Ener- der Bundesfinanzminister sogar noch am Schulden- giewende, Stopp der unkontrollierten Einwanderung und machen, weil Anleger für langlaufende Anleihen Nega- Sicherung unserer Grenzen, tivrenditen zahlen. Das allein zeigt, wie das Geldsystem aus den Fugen geraten ist, sehr geehrte Damen und Her- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie sind ren; ja auch in die Schweiz eingewandert!) (Beifall bei der AfD) Abkehr von der Euro-Inflationspolitik und vor allem mehr Freiheit für die Bürger und alle, die in diesem Land denn es sind die Bürger, die durch Negativzinsen wie Werte schaffen. durch eine Sondersteuer kalt und gnadenlos enteignet werden. Es ist das Geld der Bürger, direkt und indirekt (Beifall bei Abgeordneten der AfD) eingetrieben, das Sie verschleudern. Denk- und Redefreiheit statt Diffamierung Andersdenk- (Beifall bei der AfD) ender, 13618 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Alice Weidel (A) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Es gibt auf der einen Seite eine nach wie vor starke (C) GRÜNEN]: Bitte? Sie können hier alles sa- Macht – man kann sagen: eine Supermacht USA –, öko- gen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE nomisch und militärisch. Europa ist dieser Supermacht im GRÜNEN]: Aber da sind Sie doch ganz groß Wertesystem verbunden, und trotz aller Meinungsver- drin!) schiedenheiten gibt es eine tiefe Gemeinsamkeit. Aber es gibt keinen Automatismus mehr wie im Kalten Krieg, die das politische Klima vergiftet. dass die Vereinigten Staaten von Amerika schon die Be- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE schützerrolle für uns Europäer übernehmen werden. Eu- GRÜNEN]: Sie dürfen hier alles vertreten!) ropas Beitrag wird hier stärker gefordert. Wirtschaftliche Freiheit statt Gängelung und neue Ver- Wir haben auf der anderen Seite China mit einem an- bote, Entlastung bei Steuern und Abgaben statt Steuer- deren politischen System, mit einem rasanten ökonomi- wucher, Bürokratismus und Umverteilung. schen Aufstieg, mit wachsenden militärischen Kräften, nicht eingebunden in irgendwelche Abrüstungsregime. Hören Sie auf Ludwig Erhard – ich zitiere –: Ich konnte mich letzte Woche bei meinem Besuch in China wieder davon überzeugen, mit welch unglaublicher Kümmere du, Staat, dich nicht um meine Angelegenhei- Dynamik und Entschlossenheit dort die Entwicklung vo- ten, sondern gib mir so viel Freiheit und lass mir von dem ranschreitet. Damit ist natürlich klar – das habe ich auch Ertrag meiner Arbeit so viel, dass ich meine Existenz, in China deutlich gemacht –, dass China auch für die mein Schicksal und dasjenige meiner Familie selbst zu globale, multilaterale Ordnung eine zunehmende Verant- gestalten in der Lage bin. wortung hat. (Beifall bei der AfD – Martin Schulz [SPD]: Deutschland tut gut daran, mit China in allen Bereichen Vor allen Dingen in der Schweiz!) Kontakte zu pflegen, wirtschaftlich, aber auch in den ver- Das ist freiheitliche, bürgerliche Politik, die unser Land schiedenen Dialogformaten, die wir haben – Rechts- so dringend nötig hat und die in dieser Regierung keine staatsdialog, Menschenrechtsdialog –, Heimat und keinen Fürsprecher mehr hat. (Beifall der Abg. Dr. [SPD]) (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in denen wir auch unterschiedliche Meinungen austragen NEN]: Was ist eigentlich mit Ihrem Spenden- können. Ich habe bei meinem Besuch auch wieder darauf sumpf?) hingewiesen, dass die Einhaltung der Menschenrechte für uns unabdingbar ist. Ich bedanke mich. (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (D) (Beifall bei der AfD) bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Das gilt insgesamt, und das gilt auch im Blick auf die Nächste Rednerin ist die Bundeskanzlerin Dr. Angela Situation in Hongkong, wo wir das Prinzip „ein Land, Merkel. zwei Systeme“ weiter für richtig halten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Abgeordneten der SPD) neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Meine Damen und Herren, die wachsende Rivalität Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die- zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Chi- se Haushaltsdebatte2019 findet in Zeiten weltweiter na, gleichzeitig auch das geostrategische Wiedererstarken großer Veränderungen und Kräfteverschiebungen statt. Russlands haben natürlich tiefgreifende Folgen für uns in Die Europäische Union erlebt in wenigen Monaten den Europa. Wir als Europäer stehen einerseits durch den Austritt eines wichtigen Mitgliedstaates, den Austritt Austritt Großbritanniens geschwächt da – man muss das Großbritanniens. Wir haben nach wie vor nach meiner so aussprechen –; auf der anderen Seite ist es aber auch festen Überzeugung alle Chancen, ihn geordnet hinzube- genau die Stunde, neue Stärke zu entwickeln. Ich finde, kommen. Die Bundesregierung wird sich auch bis zum das, was gestern mit ihrer Vorstel- letzten Tag dafür einsetzen, dass das möglich ist. Aber ich lung der neuen EU-Kommission geleistet hat, weist ge- sage auch: Wir sind auch auf einen ungeordneten Austritt nau in diese Richtung: eine global ausgerichtete Kommis- vorbereitet. – Es bleibt aber dabei: Nach dem Austritt sion, die Europas Rolle in der Welt festigen will und die Großbritanniens haben wir einen wirtschaftlichen Wett- richtigen Themen angehen will. Ich glaube, das kann ein bewerber vor unserer eigenen Haustür, auch wenn wir sehr guter Start sein. enge außen- und sicherheitspolitische Kooperationen bei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei behalten wollen, auch wenn wir freundschaftlich verbun- Abgeordneten der SPD und der FDP) den sein wollen. Europa ist als multilaterales Projekt gegründet, als 70 Jahre Bundesrepublik, 30 Jahre nach dem Ende des Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, und Europa muss sich Kalten Krieges zeigen sich global völlig neue Muster der für den Erhalt des Multilateralismus auf der Welt einset- Kräfteaufteilung. zen, auch wenn er noch so unter Druck steht. Das ist Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13619

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) unsere Verpflichtung, und Deutschland muss hierbei eine die eine Eskalation der Spannungen in einer für die Welt (C) herausragende Rolle spielen. Kein Land auf der Welt sensitiven Region verhindern. Das ist europäische Auf- kann seine Probleme alleine lösen, und wenn wir alle gabe. gegeneinander arbeiten, dann werden wir nicht gewinnen. Ich glaube an die Win-win-Situation, wenn wir zusam- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) menarbeiten, und das muss das Credo sein. Wir müssen sichtbarer werden bei der Lösung der Si- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tuation in Syrien. Es muss jetzt endlich ein politischer neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- Prozess in Gang kommen, damit die Menschen, die au- SES 90/DIE GRÜNEN) ßerhalb Syriens leben, oder die Menschen, die in Syrien Flüchtlinge sind, wieder eine Chance haben, in ihrem Das bedeutet natürlich, dass wir das transatlantische Heimatland eine politische Ordnung zu finden, die nicht Bündnis stärken müssen, und deshalb ist es wichtig, un- von Diktatur bestimmt ist. Europa hat hier eine Verant- serer Verpflichtung nachzukommen und auch im militär- wortung. ischen Bereich unsere Versprechen einzuhalten. Wir wol- len uns in Richtung des Ziels bewegen, 2 Prozent des Wir haben die Verantwortung zur Lösung der Spannun- Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben – wie gen zwischen Russland und der Ukraine. Es gibt erste alle NATO-Mitgliedstaaten der Europäischen Union. kleine Fortschritte jetzt in den letzten Wochen, seit Präsi- Gleichzeitig wollen wir einen eigenen Pfeiler der Vertei- dent Selenskyj im Amt ist, um die Minsker Vereinbarung digung mit der gemeinsamen Verteidigungspolitik im vielleicht voranzutreiben. Wir arbeiten auf ein Gipfeltref- Rahmen von PESCO aufbauen, indem wir gemeinsam fen im N4-Format in wenigen Wochen hin, um dann auch Rüstungsprojekte entwickeln und unsere Anstrengungen deutliche Fortschritte zu machen. bündeln. Meine Damen und Herren, in Libyen entwickelt sich Europa muss für eine Handelspolitik eintreten, die ei- eine Situation, die ähnliche Ausmaße annehmen kann, nen freien, regelbasierten und auf Standards setzenden wie wir das in Syrien gesehen haben, nämlich ein Stell- Handel unterstützt. Europa muss sich für die Reform vertreterkrieg. Es ist von entscheidender Bedeutung – der Welthandelsorganisation einsetzen. Europa muss in Deutschland wird hier auch seinen Beitrag leisten –, dass Zukunft nicht nur an einem Freihandelsabkommen mit wir alles daransetzen, diesen Konflikt in Libyen nicht zu Großbritannien arbeiten, sondern auch mit den Vereinig- einem solchen Stellvertreterkrieg eskalieren zu lassen, ten Staaten von Amerika. Wir müssen beim Investitions- sondern zu versuchen, wieder Staatlichkeit in Libyen her- schutzabkommen mit China endlich zum Abschluss kom- zustellen, so schwer das auch immer ist; denn die gesamte men, und Europa muss Vorreiter in der Klimapolitik und Region in Afrika wird destabilisiert, wenn Libyen nicht (B) Motor bei der Umsetzung des Pariser Abkommens sein. (D) stabilisiert wird. Und deshalb ist das unsere Aufgabe. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- legen, wir müssen vor allen Dingen technologisch wieder (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in allen Bereichen auf die Höhe der Zeit, auf das, was Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit habe ich ver- Weltmaßstab ist, kommen. sucht, den Rahmen aufzuzeigen, in dem unsere Haus- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei haltsdebatte stattfindet, in dem auch sichtbar wird, was Abgeordneten der SPD) die Erwartungen an uns sind. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa. Wir müssen für diese Europä- Wir sind das nicht mehr, wir müssen uns das eingestehen, ische Union einen wichtigen Beitrag leisten. Wir werden und wir müssen in diese Richtung arbeiten. Das bedeutet, im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres die Präsident- dass wir die Digitalisierung im Geiste der sozialen Markt- schaft in der Europäischen Union innehaben. Hier müs- wirtschaft gestalten. Das bedeutet, dass wir überall da, wo sen wir Beiträge leisten, um voranzukommen. Deshalb wir technologische Rückstände haben, durch Bündelung sage ich ganz deutlich: Deutschland wird sich dieser Ver- der europäischen Anstrengungen auch wirklich voran- antwortung stellen. So sagt es unser Koalitionsvertrag, kommen. Ob es die Herstellung von Chips ist, ob es die und so werden wir es auch tun. Plattformwirtschaft ist, ob es das Datenmanagement ist – Stichwort „Hyperscaler“ –, ob es Batteriezellenproduk- Ich hoffe nur eines – bei allen Aufgaben, die wir gern in tion ist: Überall muss Europa wieder Souveränität ent- der deutschen Präsidentschaft übernehmen –: dass die wickeln und auch in der Datenwirtschaft einen eigenen mittelfristige finanzielle Vorausschau, die Finanzplanung Weg gehen, den Weg der sozialen Marktwirtschaft mit der für die nächsten Jahre, vielleicht doch von den vorherigen Souveränität über die eigenen Daten. finnischen und kroatischen Präsidentschaften gelöst wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Es ist ja wichtig, dass Europa nicht erst auf den letzten Abgeordneten der SPD) Drücker Klarheit über die finanzielle Situation in den nächsten Jahren hat; denn sonst würden viele Programme Europa muss einen Fußabdruck, wie man heute viel- eine ganze Zeit lang nicht laufen können. Also: Wir wer- leicht sagt, hinterlassen bei der Konfliktlösung in der den alles tun, um Finnland und Kroatien zu unterstützen, Welt. Wir haben uns als Europäer – auch Großbritannien damit dieses Thema vor Beginn unserer Präsidentschaft verfolgt weiter diese Position – entschieden, weiter zu gelöst ist. dem Nuklearabkommen mit dem Iran zu stehen; das ist richtig. Wir werden Schritt für Schritt versuchen, auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei hier immer wieder mit dem Iran Lösungen zu finden, Abgeordneten der SPD) 13620 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel

(A) Ich glaube, trotz aller Schwierigkeiten, die wir sehen – Das ist unsere Verantwortung, weil wir sehr viel CO2 und (C) – Wir haben international Unsicherheit, durch den US- andere klimaschädliche Gase bereits emittiert haben. Wer amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt zum Bei- der Meinung ist, dass, weil wir nur 2 Prozent der Emissio- spiel, und das wirkt sich natürlich auf eine Exportnation nen verursachen, diejenigen Länder, die die übrigen wie Deutschland aus. Und der Grund dafür, dass be- 98 Prozent der Emissionen verursachen, sich darum küm- stimmte Exporte zurückgehen, liegt ganz wesentlich mern sollen, nicht darin, dass die deutschen Produkte nicht mehr gut sind, sondern liegt darin, dass Unsicherheit darüber da ist, (Zuruf von der AfD: Genau!) wie sich die Weltkonjunktur entwickeln wird. Deshalb ist der irrt meiner Meinung nach. es so wichtig, für die Abkommen zu kämpfen. Aber auch unser Haushalt gibt Antworten auf die Herausforderun- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie gen, vor denen wir stehen. Es zeigt sich, dass unsere Au- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ßen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik mit wach- GRÜNEN) senden Etats ausgestattet sind, Aber diese Grundentscheidung, ob wir diese Verantwor- (Christian Lindner [FDP]: Die Außenpolitik?) tung haben oder ob wir sie nicht haben, müssen wir mit- einander treffen. dass wir zu unseren internationalen Verpflichtungen ste- hen. Wir müssen auch die Grundentscheidung treffen, ob wir das Risiko eingehen wollen, zu sagen: „Der Klima- Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- wandel ist gar nicht menschengemacht, vielleicht vergeht legen, was Deutschland geleistet hat in den letzten Jahren, das alles“, oder ob wir der Meinung sind: Es gibt so viel war, internationale Konflikte immer in einem vernetzten Evidenz dafür, dass der Mensch mit dem Klimawandel Ansatz lösen zu wollen. Dazu gehört Entwicklungspoli- etwas zu tun hat, dass wir verpflichtet sind, mit Blick auf tik, dazu gehört Sicherheitspolitik, und dazu gehört, wenn die zukünftigen Generationen auch zu handeln. Das ist notwendig, auch die Bereitschaft zum militärischen Ein- die Herausforderung. satz. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Man kann die Dinge von daher nicht voneinander tren- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- nen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zu unseren inter- ordneten der FDP) nationalen Verpflichtungen stehen. Es wird von uns er- wartet, dass wir nicht nur eine wirtschaftlich starke Dabei setzen wir auf Innovation, auf Forschung, auf unser Nation sind, sondern dass wir auch für die Sicherheit Zutrauen, dass wir, wie wir es immer getan haben, gute (B) und für den Frieden auf der Welt unseren Beitrag leisten, technische Lösungen finden, und dabei setzen wir auf die (D) in allen Bereichen. Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Zurufe von der AfD: War ja klar! – Das gerade Abgeordneten der SPD) nicht!) Ich glaube, da ist die Koalition jetzt auch auf einem guten Wir haben vieles in Gang gebracht: Wir haben die Weg. Energiewende begonnen, wir haben im Industriebereich den Zertifikatehandel. Wir haben unsere Klimaziele 2010 Und dann gibt es die Aufgabe, so wie ich es für Europa eingehalten. Aber wir müssen sagen: Die selbstgesetzten dargestellt habe, natürlich auch für Deutschland die Zu- Ziele für 2020 werden wir nach menschlichem Ermessen kunftsfähigkeit zu sichern. Da, glaube ich, stehen wir vor nicht einhalten. Deshalb müssen wir Vorsorge treffen, zwei großen Herausforderungen, die im Übrigen auch mit dass wir verlässlich unsere Ziele für 2030 einhalten. der Schwerpunktsetzung von Ursula von der Leyen und der neuen Kommission übereinstimmen: Das ist auf der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) einen Seite die Bewältigung der Digitalisierung, die unser Was ist das Erfolgsrezept gewesen, um Innovation und Arbeiten, Leben völlig verändert, und das ist auf der an- menschliche Antriebskraft, menschliche Kreativität, deren Seite die große Herausforderung des Klimaschut- menschlichen Forschergeist zu inzentivieren? Das waren zes. immer die Mechanismen der sozialen Marktwirtschaft. Deshalb ist das Thema der Bepreisung nicht irgendeine Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt jetzt da- Auflage auf irgendetwas drauf, sondern ein Mechanis- rauf an, wie wir die Aufgabe des Klimaschutzes ein- mus, der mit größter Wahrscheinlichkeit Innovation und ordnen. Ich ordne sie so ein – und das tut auch die Bun- Forschung auch dort stattfinden lässt, wo wir als Politiker desregierung –, dass ich den Klimaschutz als eine uns das gar nicht ausdenken können. Menschheitsherausforderung begreife. Es geht darum, ob wir als Industriestaaten angesichts des Abdrucks an (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ressourcenverbrauch, den wir hinterlassen haben, bereit sind, an vorderer Front etwas dafür zu tun, damit wir Deshalb ist es ein richtiger Angang, über die Bepreisung diesen Fußabdruck überwinden und den Temperaturan- und die Mengensteuerung von CO2-Emissionen Lösun- stieg stoppen oder zurückdrehen. gen zu finden und gleichzeitig unterstützend tätig zu sein, um die Menschen in die Lage zu versetzen, den Umstieg (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zu schaffen. Das heißt nicht, dass der Staat Geld einneh- der SPD) men soll, sondern er soll dieses Geld den Bürgerinnen und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13621

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Bürgern so zurückgeben, dass sie diesen Umstieg mit uns Hierfür werden wir Vorschläge machen. (C) gemeinsam schaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der großen He- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei rausforderungen ist das Thema des Verkehrs. Unsere Au- Abgeordneten der SPD) tomobilindustrie hat in wirklich beeindruckender Weise immer effizientere Technologien entwickelt. Aber es hat Das ist ein gewaltiger Kraftakt, bei dem – das merke bislang keine Entkopplung der Verkehrsemissionen von ich – Teile der deutschen Wirtschaft zum Teil weiter sind dem Wirtschaftswachstum gegeben. Mit dem Wirt- als manche in diesem Hause. schaftswachstum hat die Menge an Verkehr zugenommen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der und alle Effizienzgewinne sozusagen wieder aufgefres- FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- sen, was dazu geführt hat, dass wir seit 1990 im Verkehrs- NEN) bereich keinerlei Reduktion der Emissionen haben. Unternehmen denken sehr wohl darüber nach, wie sie Deshalb müssen wir hier mit aller Kraft alternative An- triebe voranbringen. Und ja – das haben wir bei den er- CO2-frei produzieren können. Wenn ich mir den Ausbau- pfad für erneuerbare Energien anschaue und die Zahl der neuerbaren Energien gesehen –, das wird am Anfang si- Unternehmen, die ihre Zulieferer nur noch klimaneutral cherlich auch unterstützende Leistungen erfordern, zum zuliefern lassen wollen oder nur noch grünen Strom ver- Beispiel bei dem Aufbau der Ladeinfrastruktur. Aber, wenden wollen, dann frage ich mich, ob wir genug grünen liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich heute Strom haben werden, um überhaupt die Anforderungen in mal die Ausschreibeverfahren für die erneuerbaren Ener- diesem Bereich zu bestehen. gien an. Wir sind fast bei Kostendeckung; wir sind fast bei null Subventionen. Das heißt, wir haben als Industriena- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tion die Pflicht, Vorbild zu sein, um diesen Umstieg auch DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der in der Mobilität zu erreichen, und wir haben auch die CDU/CSU und der FDP) Pflicht, die Menschen in die Lage zu versetzen, daran Wir müssen – der Wirtschaftsminister tut das – den teilzunehmen und ihre individuelle Mobilität zu sichern. Ausbau der erneuerbaren Energien aber so machen, dass Das sind alles keine einfachen Aufgaben; aber ich er auch Akzeptanz bei der Bevölkerung findet. glaube, es lohnt sich, in diese Aufgaben zu investieren. Deshalb werden wir zu unseren Zielen stehen. Wir wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei den auch zu unserem Ausbauziel bei den erneuerbaren Abgeordneten der SPD und der FDP) Energien stehen; wir werden am 20. September Vorschlä- Deshalb vermute ich, dass der Ausbau der Offshorewind- ge machen. Deshalb hat der Bundesfinanzminister auch (B) energie eher zunehmen wird. Dann müssen aber auch alle noch keinen Vorschlag für den EKF, den Klimafonds, (D) bereit sein, sich für neue Leitungen einzusetzen, und wir gemacht; aber das wird zeitnah erfolgen. Es ist ja sinn- müssen auch bereit sein, Gerichtsverfahren und Einsprü- voll, die Klimabeschlüsse und die Besetzung des Energie- che zu verkürzen, um da wirklich voranzukommen. und Klimafonds gemeinsam zu behandeln. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- FDP – Dr. [FDP]: Tun Sie legen, wir haben im Augenblick ein besonderes Problem was!) im Wald. Der Wald kann uns nicht alleine die Klimapro- bleme lösen. Aber eine Zerstörung oder ein großer Wir müssen natürlich auch im Auge haben, dass die Schaden des Waldes würde uns beim Klimaschutz gerade Windkraftanlagen im Allgemeinen nicht in den Groß- in die falsche Richtung bringen. Deshalb unterstütze ich städten aufgebaut werden, sondern in den ländlichen Re- die Bundeslandwirtschaftsministerin bei ihren Bemühun- gionen. gen, gerade auch diejenigen, die nachhaltige Forstwirt- (Beifall des Abg. schaft betreiben, in die Lage zu versetzen, unseren Wald [FDP] – Zuruf von der AfD: Natürlich!) zu retten und so weiter auf einen guten Pfad zu bringen. Dem müssen wir uns verpflichtet fühlen. Wir müssen verhindern, dass es eine Art – ich sage es jetzt mal etwas mutig – Arroganz derjenigen, die in der Stadt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) leben, gegenüber denjenigen, die auf dem Land leben, Und natürlich – um das auch noch hinzuzufügen – soll- gibt. ten wir nicht den nationalen Klimaschutz gegen den inter- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der nationalen Klimaschutz ausspielen. Natürlich wird der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN Entwicklungsminister, wird das Außenministerium, wird und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das Umweltministerium, werden wir alles tun, um auch international Technologietransfer zu betreiben, Länder in Wir müssen ein neues Bündnis von Stadt und Land die Lage zu versetzen, Klimaschutz zu machen oder zu- schaffen und vor allen Dingen – erste Ansätze gibt es ja mindest die notwendigen Anpassungen an die Klimaver- jetzt – die Kommunen, in deren Nähe Windkraftanlagen änderung vorzunehmen. gebaut werden, auch an dem Gewinn, der daraus entsteht, beteiligen, um Anreize zu bieten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das erspart uns eben nicht die eigene häusliche Anstrengung. Das eine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie muss getan werden – und das andere auch. Eines muss bei Abgeordneten der LINKEN) man, wenn dann wieder die Kostenrechnungen gemacht 13622 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) werden, bei all dem noch bedenken: Wenn wir den Klima- Wir haben dazu eine Strategie entwickelt und werden (C) schutz vorantreiben, wird es Geld kosten, und dieses Geld auch international anerkannte Professoren nach Deutsch- ist gut eingesetzt. Wenn wir ihn ignorieren, wird es uns land einladen, hier bei uns zu arbeiten. nach meiner Überzeugung mehr Geld kosten, als wenn Was mir aber Sorgen macht und wo wir weiter dran- wir etwas tun. bleiben müssen – der Wirtschaftsminister tut das –, ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie dass die Wirtschaft, gerade der Mittelstand und die klei- bei Abgeordneten der LINKEN und des neren Unternehmen, die Herausforderungen der Zeit er- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kennen und das Datenmanagement verbessern. Das ist die Wahrheit. Nichtstun ist nicht die Alternative, (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Dann nehmt sondern Tatsache ist, dass wir dann mehr bezahlen wer- denen doch nicht die Investitionsmittel über den. den Soli weg!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen verstehen, dass die zukünftigen Produkte aus Ihr habt viele Jahre nichts gemacht!) Daten entstehen werden und dass die Produktion von Gütern nicht mehr der Hauptpunkt bei der Wertschöpfung Man möchte darauf antworten – die meisten werden es ist. Hier sind wir im Rückstand, und hier wird die Bun- nicht verstanden haben –; aber ich möchte dem Rufer desregierung unterstützend tätig sein, um Unternehmen nicht noch mehr Ehre geben, weil es einfach nicht stimm- das Cloud-Computing und Ähnliches auf europäischer te. Ebene sicher zu ermöglichen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Aber hierzu brauchen wir auch – das sage ich ganz CDU/CSU und der SPD – Lachen beim offen; die Wirtschaft sagt es uns ja auch – eine Anstren- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta gung des deutschen Mittelstandes. Hier gibt es angesichts Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der gut gefüllten Auftragsbücher der letzten Jahre – ich Er hatte recht!) sage es einmal so – vielleicht eine kleine Verzögerung. Da sich die konjunkturelle Lage verändert und es offensicht- Hatte er nicht, Frau Haßelmann. lich ist, dass wir wieder neuen Anlauf nehmen müssen, Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol- brauchen wir dieses Bündnis von Mittelstand und Bun- legen, die zweite große Herausforderung, vor der wir desregierung. Wir sind dazu bereit; denn wir wollen die stehen, ist die Frage, wie wir die Digitalisierung meistern. Digitalisierung auf europäische Art und Weise gestalten. Die Bundesregierung hat eine Umsetzungsstrategie Digi- Das heißt, dass die Daten weder den privaten Unterneh- (B) talisierung. Natürlich beginnt alles mit dem Ausbau der men noch dem Staat gehören, sondern dass wir uns für (D) Infrastruktur. Es ist sehr erfreulich, dass letzte Woche mit Lösungen einsetzen, die die Datensouveränität der Bür- den Mobilfunkunternehmen jetzt abschließend vereinbart gerinnen und Bürger sicherstellen, und das bedeutet, dass werden konnte – der Verkehrs- und Infrastrukturminister wir in Europa all diese Technologien haben müssen; denn hat das gemacht –, dass bis Ende 2020 mindestens 99 Pro- sonst werden wir in Abhängigkeit von Ländern geraten, zent der Haushalte mit Mobilfunk versorgt sind. Die Mo- wo man das genau anders sieht. bilfunkunternehmen sind hier in der Pflicht, die Auflagen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei und Vereinbarungen zu erfüllen, und wir haben auch bei Abgeordneten der SPD) der 5G-Versteigerung die Versorgungsauflagen sehr hart gefasst, um eben auch wirklich flächendeckend Mobil- Für mich ist das ein wesentlicher Teil der sozialen funk zu bekommen und 5G möglichst schnell auszurol- Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert. Die soziale Markt- len. wirtschaft hat uns stark gemacht. Ludwig Erhard hat sie eingeführt – gegen viele Widerstände. Aber sie bekommt Es ist auch gut und richtig, dass wir der Industrie eine heute, im 21. Jahrhundert, neue Dimensionen. Das, was Tranche der Frequenzen zur freien Verfügung gegeben ohne Digitalisierung galt, muss auf die Digitalisierung haben. Das wird unsere Wirtschaft in die Lage versetzen, jetzt umgestellt werden. Das ist eine neue Dimension. sehr schnell auch 5G-Technologien anzuwenden. Und wir Das, was den Ressourcenverbrauch noch nicht ausrei- müssen natürlich eine Strategie entwickeln, wie wir flä- chend im Blick hatte, muss auch in Richtung dieser chendeckend, also auch den Landwirten und vielen ande- Dimension umgestellt werden. Aber das System der so- ren, Zugang zum Mobilfunk ermöglichen. Das werden zialen Marktwirtschaft, die Herangehensweise, die Über- wir bis zum Jahresende tun. zeugung, dass der Mensch kreativ ist, dass der Staat Rah- Wir werden des Weiteren als Staat mit der Umsetzung menbedingungen schafft, aber nicht dirigiert, das muss des Onlinezugangsgesetzes 575 Leistungen bis 2022 di- bleiben, und das wird uns wieder stark machen, meine gitalisieren. Das ist eine große Herausforderung. Der Damen und Herren. Bundesinnenminister hat sich ihr gestellt, und ich denke, (Beifall bei der CDU/CSU) dass wir das auch hinbekommen. Und, meine Damen und Herren, wir müssen vor allen Dingen im Bereich der Ich habe jetzt so lange über die Fragen von Klima- künstlichen Intelligenz besser und schneller werden und schutz und Digitalisierung gesprochen, weil ich glaube, den Anschluss behalten. dass die Bewältigung dieser beiden Herausforderungen die entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass wir auch ( [AfD]: Sie müssen in Zukunft in Wohlstand und Prosperität leben können. machen!) Auch in der Gesellschaft der Zukunft wollen wir alles tun, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13623

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) um Menschen zu helfen, die in schwierigen Situationen Wir haben die Konzertierte Aktion Pflege abgeschlos- (C) sind, um soziale Absicherung zu leisten. All das werden sen. Wir entlasten Kinder von pflegebedürftigen Men- wir aber nur leisten können, wenn wir mit den Heraus- schen, die ein Jahreseinkommen von weniger als forderungen der Zukunft technologisch gut umgehen und 100 000 Euro haben. an der Weltspitze mit dabei sind. Deshalb ist die Frage, wie wir die richtigen Antworten bei der Digitalisierung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und dem Klimaschutz finden, die entscheidende Voraus- der SPD) setzung dafür, dass wir auch in Zukunft in Wohlstand leben. Auch das ist ein großer Beitrag zu mehr Sicherheit für viele junge Familien, die vor ganz anderen Aufgaben In unserem Land leben über 83 Millionen Menschen. stehen. Sie alle haben Hoffnungen, Vorstellungen, Sorgen, Pro- bleme. Die Bundesregierung hat in der Koalitionsverein- Aber richtig ist auch: Vor uns stehen weitere große barung versprochen, dass wir für Wohlstand und gutes Aufgaben. Wir müssen damit rechnen – angesichts der Leben sorgen wollen. Und wir haben in den letzten jetzigen konjunkturellen Lage –, dass gegenüber dem Fi- 18 Monaten vieles gemacht, was manchmal in Vergessen- nanzplan die Steuereinnahmen sinken könnten. Deshalb heit gerät: Die Familien sind um 10 Milliarden Euro ent- muss alles getan werden, um auch für die Zukunft die lastet worden, die kalte Progression ist ausgeglichen. Wir Weichen zu stellen. Da geht es vor allen Dingen um In- haben den Mindestlohn – – vestitionen. (Lachen bei Abgeordneten der AfD und der Bei den Investitionen – das ist gestern schon in der FDP) Rede des Bundesfinanzministers angeklungen – ist es Ja, das ist so. im Augenblick nicht der Mangel an Geld. Wir haben Hunderttausende geplante Wohnungen, die gebaut wer- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist den könnten. Wir haben Straßen, wir haben digitale Infra- unstreitig! – Christian Lindner [FDP]: Das ist struktur geplant. Der Investitionshaushalt hat einen Höhe- Verfassungsauftrag!) punkt erreicht. Aber wir haben nicht ausreichend Planungskapazität, wir haben nicht ausreichend Be- Das ist nun unstreitig. Selbst der Bund der Steuerzahler schleunigung. Deshalb müssen wir da ansetzen, dass erst hat das gestern gesagt, Herr Lindner; da waren Sie doch mal das Geld ausgegeben werden kann. Und obwohl wir dabei. Ich bitte Sie. Das ist wirklich komisch. schon Planungsbeschleunigungsgesetze gemacht haben, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und sollten wir als Koalition noch mal überlegen: Wo können (B) der SPD) wir weitergehen, wo können wir schneller werden? Und (D) wir sollten weiter Bürokratie abbauen, die die Unterneh- Sie sagen doch sonst nichts Gutes über uns; aber bei der men so sehr hindert. Auch dafür haben wir Pläne. kalten Progression waren Sie dabei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Alles andere Abgeordneten der SPD) wäre verfassungswidrig! Sind Sie schon stolz, dass Sie sich an Recht und Gesetz halten?) Meine Damen und Herren, wir sind jetzt etwa ein Jahr Der Mindestlohn konnte gesteigert werden, weil die nach dem Wohngipfel im vergangenen Jahr, und wir kön- Gesamtlöhne steigen. Wir haben bei der Krankenversi- nen sagen: Es ist viel passiert. Wir haben eine Bauland- cherung die Menschen entlastet. Wir haben den Abbau kommission gehabt. Das wird jetzt eingearbeitet. Dann des Solis jetzt im Kabinett beschlossen. Für 96,5 Prozent werden die Investitionsbedingungen hoffentlich noch der Steuerzahler wird es Entlastungen geben. Wir haben einmal verbessert. Wir haben den sozialen Wohnungsbau die Kitabetreuung verbessert. Die Bundesfamilienminis- fortgesetzt. Wir als Bund werden da auch weiter Verant- terin schließt jetzt mit den Ländern die entsprechenden wortung übernehmen. Abkommen. Wir haben die Stabilisierung und Stärkung der Rente mit den Haltelinien eingeführt. Die Verbesse- Wir haben glücklicherweise durch den Bundesrat die rung der Mütterrente und die Verbesserung der Erwerbs- Sonderabschreibung für mehr Wohnungsbau bekommen. minderungsrente sind zu nennen. Das alles sollten wir Das ist der Anreiz, den man braucht, um mehr Wohnun- mal nicht vergessen. gen zu bauen. Ich meine, wir haben Mietpreisbremsen und alles beschlossen, aber wenn zu wenige Wohnungen Das ist aber alles nur möglich, weil wir eine gute Wirt- da sind, müssen neue entstehen. Das ist die ganz einfache schaftslage haben, und das können wir aus dem Haushalt Weisheit. Daran wird uns keine Mietpreisbremse vorbei- leisten. Ich finde es nur wirklich abenteuerlich, wenn es führen, sondern das muss geschafft werden. hier in diesem Hause Menschen gibt, die behaupten, dass diese Ausgaben von Steuergeldern Ausgaben wären, die (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. an Verschwendung grenzen. Das sind Ausgaben für Men- Beatrix von Storch [AfD]) schen, die sich darüber freuen, die entlastet werden, die belohnt werden für ihre Leistung, die Sicherheit bekom- Wir haben eine Entwicklungsbremse hoffentlich ge- men. Und darauf sind wir stolz, meine Damen und Herren löst; das muss jetzt noch umgesetzt werden. Das ist die und liebe Kolleginnen und Kollegen. Verabschiedung – das ist historisch, will ich mal sagen – eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir wissen, dass wir Fachkräftemangel haben. 13624 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) ( [SPD]: Haben wir auch lange für geben wir da hinein? Und es ist auch mehr als die Frage: (C) gebraucht!) Wie viele Millionen gehen in die Demokratieförderung? – Denn es sagt etwas sehr Grundsätzliches aus. Wenn wir Und wir wissen auch – ich fand das neulich bei dem säch- hier debattieren, dann reden wir über das, was der Staat sischen Ministerpräsidenten sehr in- leisten muss. Und der Staat muss viel leisten. Aber der teressant, dass er es für die neuen Länder gesagt hat –, demokratische Rechtsstaat lebt von dem Willen, von der dass wir gerade in den neuen Ländern wahrscheinlich Haltung seiner Bürgerinnen und Bürger. Fachkräfte brauchen werden, weil wir dort eine ganz an- dere demografische Situation haben. Deshalb fühlt sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei die Bundesregierung verpflichtet – wir haben da auch Abgeordneten der SPD) unsere Pläne entwickelt –, dass wir dieses Fachkräfteein- wanderungsgesetz nicht nur auf dem Papier haben, son- Deshalb ist es so wichtig, dass wir deutlich machen, dass dern dass es dann auch operabel wird, dass wir wirklich wir diese Haltung, diesen Willen dahin gehend fördern vorankommen, es schnell umsetzen und Menschen als wollen, dass Bürgerinnen und Bürger dieses Landes sich entsprechende Fachkräfte nach Deutschland bringen. zum Grundgesetz bekennen. Meine Damen und Herren, ein letztes Projekt möchte Unser Grundgesetz ist 70 Jahre alt geworden. Unser ich zum Abschluss erwähnen, das vielleicht das überwöl- Grundgesetz hat sich bewährt, und es hat diesen wunder- bende Projekt für diese Koalition ist, was die Innenpolitik baren Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantast- anbelangt. bar.“ Das, was wir täglich erleben, Angriffe auf Juden, Angriffe auf Ausländer, Gewalt und auch verhasste Spra- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Machterhalt!) che, müssen wir bekämpfen. Das ist die Frage mit Blick auf die Kommission „Gleich- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, wertige Lebensverhältnisse“. Wir wissen, dass in der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Deutschland Menschen Sorgen haben, dass sich Men- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) schen abgehängt fühlen, dass die Entwicklungen völlig Denn wir können noch so viel an Steuermitteln in ver- unterschiedlich sind zwischen Stadt und Land. Die einen schiedene und wichtige Projekte verteilen: Wenn nicht können die Wohnungen nicht bezahlen, die anderen wis- klar ist, dass es in diesem Lande null Toleranz gegen sen nicht, wie sie ihr Haus verkaufen sollen. Darauf müs- Rassismus, Hass und Abneigung gegen andere Menschen sen wir Antworten finden. gibt, dann wird das Zusammenleben nicht gelingen. Und Der erste Punkt sind die Handlungsempfehlungen für deshalb fühlen wir uns dem genauso verpflichtet, und die Erzeugung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die wir dafür steht auch diese Ehrenamtsstiftung Pars pro Toto (B) im Kabinett im Juli verabschiedet haben. Natürlich trägt für vieles andere, was wir tun. (D) alles, was ich vorher gesagt habe, zum Beispiel die Frage Herzlichen Dank. des Breitbandausbaus oder die Frage der Pflegeallianz – die Frage der ärztlichen Versorgung habe ich jetzt nicht (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- erwähnt – zu gleichwertigen Lebensverhältnissen bei. fall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will drei Dinge aus den Handlungsempfehlungen nennen, die mir besonders wichtig erscheinen, für ein Projekt, das weit über diese Legislaturperiode hinausge- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: hen wird. Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Lindner. Das Erste ist die Umstellung der regionalen Wirt- schaftsförderung unter Berücksichtigung des Demogra- (Beifall bei der FDP) fiefaktors. Das ist ein Meilenstein, weil wir zum ersten Mal bei der regionalen Wirtschaftsförderung auch fragen: Christian Lindner (FDP): Wie sieht die Situation der Bevölkerung aus? Wenn wir Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau wissen, dass in Städten wie Hoyerswerda zum Beispiel Bundeskanzlerin, Sie haben mit der internationalen Lage das Durchschnittsalter ungefähr acht Jahre über dem Bun- Ihren Beitrag begonnen; das ist nachvollziehbar. Auf der desdurchschnitt liegt, dann ist das ein wichtiger Punkt. internationalen Bühne wird es mutmaßlich keine Füh- rungspersönlichkeit geben, die mehr als Sie bezeugen Das Zweite betrifft die Gemeinschaftsaufgabe Agrar, könnte, was sich in den vergangenen Jahren, im vergan- nämlich die neuen Methoden der Förderung der ländli- genen Jahrzehnt verändert hat. chen Räume über die einfache Agrar- und Küstenschutz- förderung hinaus. Hier werden wir uns noch viele Gedan- Sie waren in der Volksrepublik China mit einer großen ken machen müssen, wie wir das genau machen; es ist Delegation und haben dort Gespräche geführt. Sie haben aber richtig. China hier auch zum Thema gemacht. Die Volksrepublik China ist ein wichtiger Handelspartner Deutschlands, und Das Dritte ist vielleicht nur Pars pro Toto; aber es ist deshalb müssen wir auf unsere eigene Wettbewerbsfähig- mir sehr wichtig: die Stärkung des Ehrenamts. Wir haben keit und auf faire Regeln für den Handel achten. lange in der Koalition darum gerungen, in welcher Form wir das tun wollen. Wir haben uns zum Schluss für eine Die Volksrepublik China ist aber auch ein Wettbewer- bestimmte Form der Ehrenamtsstiftung entschieden. Und ber – und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, son- das ist viel mehr als nur die Frage: Wie viele Millionen dern auch hinsichtlich der Grundfragen unseres Zusam- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13625

Christian Lindner (A) menlebens, unserer liberalen Ordnung. Wir erleben, dass (Beifall bei der FDP) (C) es dort ein Überwachungssystem gibt. Die chinesische Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gerade auf den gest- Führung übt Druck aus auf private Unternehmen, deren rigen Abend und unseren gemeinsamen Besuch beim Mitarbeiter von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch ma- Bund der Steuerzahler hingewiesen. chen. Was heißt das eigentlich für die in Deutschland tätigen Unternehmen und die dort Beschäftigten? Hier (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Was droht uns also durch die Veränderungen in der Volksre- machen Sie denn da?) publik China unmittelbar auch eine Einschränkung von Freiheit und insbesondere der Meinungsfreiheit in Sie haben dort gesprochen. Das war auch aller Ehren Deutschland. Davon, Frau Bundeskanzlerin, dürfen wir wert. Dann sind Sie gegangen. Danach gab es eine Po- uns nicht einschüchtern lassen. Deshalb bedauere ich, diumsdiskussion. Bei der Podiumsdiskussion ging es um dass Sie bisher die Chance versäumt haben, den aus Staatsverschuldung, es ging um Steuergerechtigkeit, es Hongkong zu uns gekommenen Oppositionellen Joshua ging um Steuerverschwendung, es ging um die Verfas- Wong zu empfangen und mit ihm zu sprechen. sungswidrigkeit Ihres Modells, den Soli abzuschmelzen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb, Frau Bundeskanzlerin: Es war gut, dass Sie zum Bund der Steuerzahler gegangen sind und dass Sie dort Wir sind allerdings alle gefordert. Es ist nicht nur eine gesprochen haben. Meine Begeisterung würde aber heute Aufgabe der Politik, sondern beispielsweise auch eine keine Grenzen kennen, wenn Sie auch geblieben wären Aufgabe der deutschen Wirtschaft, klare Worte zu spre- und zugehört hätten, was dort gesagt worden ist. chen. Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe Kaeser, ist nie verlegen um ein scharfes Wort in Richtung (Beifall bei der FDP) der AfD, nie verlegen um Kritik beispielsweise an Donald Wir haben eine schwarze Null im Haushalt. Sie wird Trump. Sehr habe ich mich aber gewundert, dass Herr vielfach gerühmt. Diese schwarze Null, liebe Kollegin- Kaeser mit Blick auf die chinesische Regierung vor zu nen und Kollegen, hat für uns als Freie Demokraten zu- scharfer Kritik gewarnt hat. Liebe Kolleginnen, liebe nächst einmal eine hohe Symbolkraft in Europa. Wer bei Kollegen, gute Geschäfte in allen Ehren – für uns muss uns leichtfertig über die Rückkehr der Staatsverschul- aber klar sein: Wirtschaftliche Freiheit und gesellschaft- dung spricht, riskiert, dass das andere in Europa, zum liche Freiheit dürfen nie voneinander getrennt werden. Beispiel in Italien, als eine Einladung verstehen, wieder (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Politik auf Pump zu machen. (B) der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) (D) Die Welt ist im Wandel – Frau Merkel, Sie haben das Wer in Deutschland über neue Schulden spricht, der ris- angesprochen –; wer in der Welt unterwegs ist, erkennt kiert eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise in Europa. das. Stichwort Brexit: Da muss das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich auch bila- Die traurige Wahrheit ist, dass wir in Deutschland aus- teral auf eine neue Basis gestellt werden. Mit Blick auf schließlich auf dem Papier eine schwarze Null haben. die Vereinigten Staaten brauchen wir nicht nur den Dialog Bundesfinanzminister Olaf Scholz gibt ja längst wieder mit den politischen Offiziellen, sondern auch in die Zivil- mehr aus, als er Einnahmen erzielt. Der Haushaltsaus- gesellschaft hinein. Wir haben aufstrebende Länder wie gleich in Form der schwarzen Null wird ja nur erreicht, die ASEAN-Staaten. Ich war in Malaysia und musste er- indem 9 Milliarden Euro der Rücklage entnommen wer- fahren: Der letzte deutsche Bundesminister, der dort zu den. Irgendwann werden die Rücklagen aufgebraucht Gast war, hieß . Da vernachlässigen wir eine sein. Wir gehen wirtschaftlich schwierigen Zeiten entge- Wachstumsregion. gen – Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es angesprochen –, da werden Sozialausgaben steigen und Steuereinnahmen (Beifall bei der FDP) weiter sinken. Sie haben den Boom nicht genutzt, um Wie viele Referenten beschäftigen sich eigentlich im unser Land wettbewerbsfähig zu machen, um dafür zu Ministerium von Heiko Maas mit der Volksrepublik Chi- sorgen, dass der Staat auch dauerhaft seine Leistungen na? Eine Handvoll. Eine ASEAN-Abteilung wurde ge- finanzieren kann. Olaf Scholz hat aus der schwarzen Null gründet; aber nur eine Stelle für einen Abteilungsleiter in Wahrheit eine rote Null gemacht. Dieser Haushalt hält wurde geschaffen. Wie viele neue Goethe-Institute und nur noch für die Restlaufzeit Ihrer Regierung, Frau Generalkonsulate bekommen wir eigentlich in der Welt, Merkel. um unsere Präsenz zu verstärken? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wie ein Bumerang werden die in der Vergangenheit ge- troffenen Entscheidungen zurückkehren und diejenigen In der internationalen Politik – Frau Bundeskanzlerin, treffen, die in Zukunft Verantwortung tragen werden. jenseits Ihrer Person – boxt Deutschland schon heute strukturell unter seiner Gewichtsklasse. Es ist nicht ver- Manche wollen sogar noch mehr. Jetzt ist Rede von stehbar, warum im kommenden Bundeshaushalt ausge- einer grünen Null. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen will rechnet beim Auswärtigen Amt sogar noch weiter gekürzt über eine Aufweichung der Schuldenbremse diskutieren. werden soll – in Zeiten, in denen wir nicht weniger Dip- Wir hören von der CSU-Landesgruppe, es müsse eine lomatie, sondern mehr Diplomatie brauchen. Klimaanleihe geben. Der Bundeswirtschaftsminister 13626 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Christian Lindner (A) äußert sich ähnlich: 50 Milliarden Euro aus einer Stiftung baren Energien gar nicht schnell genug gehen kann, vor (C) für Klimafragen mit einem Garantiezins von 2 Prozent. Ort an der Spitze der Bürgerinitiativen stehen und gegen neue Stromtrassen protestieren. Das passt nicht zusam- (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE men. GRÜNEN]: Nur die FDP hat keinen Vor- schlag!) (Beifall bei der FDP) Das ist eine Zinssubvention auf Kosten der Steuerzahler Zweiter Punkt. Wir müssen Schwerpunkte im Haushalt und offensichtlich der Traum eines jeden Regierungspo- setzen und titelscharf fragen: Brauchen wir jede Subven- litikers, nämlich ohne die parlamentarische Kontrolle des tion? Brauchen wir jede Ausgabe? Ich habe mich über Deutschen Bundestages über Milliarden verfügen zu kön- den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus nen. Dazu kann und dazu darf es nicht kommen. gewundert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das bin ich!) der AfD) Am Tag der Generaldebatte im Deutschen Bundestag Daran glaubt doch keiner. Wir haben schon 2009 vom über den Entwurf eines Bundeshaushaltes sagt der Vor- damaligen sozialdemokratischen Finanzminister solches sitzende der regierungstragenden Unionsfraktion den gehört. Damals wurde ein Konjunkturpaket II beschlos- Zeitungen, dass man sich eigentlich jeden Titel ansehen sen im Umfang von, ich glaube, 16 Milliarden Euro, und müsste. Wörtlich: „Wir brauchen eine Generalrevision die Zusage war: Die Schulden für dieses Konjunkturpaket des Haushalts“. Wenn Sie von einer Generalrevision des II werden selbstverständlich später getilgt. Bundeshaushaltes reden – titelscharf –, dann ist das doch nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegenüber Olaf Olaf Scholz zitiert ja oft John Maynard Keynes: Wenn Scholz. Auf welcher Grundlage beraten wir hier denn die Wirtschaft nicht läuft, dann muss man investieren, dann? gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme von Defiziten. – Zehn Jahre nach der Auflegung des Konjunkturpakets II (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten durch die damalige Große Koalition stellen wir fest: Null der AfD) Euro davon sind getilgt. Olaf Scholz spricht oft über key- Wir haben auch Vorschläge, zum Beispiel das Baukin- nesianische Politik, aber er macht sie in der Regel nur zur dergeld. Wenn Sie davon so sehr überzeugt wären, wür- Hälfte. Die Schulden nimmt er gern in Kauf. Aber die den Sie das ja auch auf Dauer gewähren. Die Europäische Schulden später zu tilgen, das kommt Sozialdemokraten Kommission setzt Zweifel in dieses Vorhaben. Werden offenbar nicht in den Sinn. wir bald auch mit deutschem Steuergeld den Bau von Eigenheimen außerhalb Deutschlands finanzieren, weil (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D) die Beschäftigten hier zeitweilig gearbeitet haben? Also, der AfD) da können wir auch streichen. Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, Dritter Punkt: Investitionsoffensive, aber nicht auf es gibt nicht nur eine ökologische Verantwortung für Pump. Gehen wir da doch einmal unternehmerisch heran. kommende Generationen, sondern es gibt auch eine öko- Wie halten wir es mit den Aktien, die der Staat über die nomische Verantwortung für kommende Generationen, KfW an Telekom, an Post usw. hält? Die könnte man ihnen nämlich solide Staatsfinanzen zu hinterlassen. privatisieren, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – der AfD) Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wä- Eine Aufweichung der Schuldenbremse genügt diesem re ein FDP-Programm!) Ziel nicht. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen eigentlich und die Einnahmen sollten dann nicht in die klebrigen eine Verschärfung der Schuldenbremse. Finger von Olaf Scholz gelangen, sondern zielgerichtet (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach Gott!) in Zukunftsinfrastruktur investiert werden. Die ganzen Geschenke, die versicherungsfremden Leis- (Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: tungen, die aus den Sozialkassen finanziert werden, müs- Ganz tolle Idee! – [SPD]: Nicht sen aus Steuermitteln dargestellt werden. Deshalb brau- schon wieder!) chen wir zukünftig eine Schuldenbremse 2.0, die dafür Vierter Punkt: Priorität für Zukunftsaufgaben wie zum sorgt, dass nicht nur der Staatshaushalt generationenge- Beispiel die Digitalisierung. In Ihrem Koalitionsvertrag recht ist, sondern dass auch die Sozialversicherungen den ist vorgesehen: mindestens 12 Milliarden Euro für Digi- Interessen der Kinder und Enkel genügen. tales. Ergebnis: Es gibt schlappe 6 Milliarden Euro – etwa (Beifall bei der FDP) die Hälfte. Wenn wir Zukunft schaffen wollen, dann gibt es doch Sie sprechen immer von Zukunft durch Bildung – wun- Alternativen zu Schulden. derbar. Schauen wir uns den Haushalt der Bundesbil- dungsministerin an, stellen wir fest: minus 70 Millionen Erster Punkt. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben völlig Euro. Ausgerechnet bei der Zukunftsaufgabe Bildung zu Recht von Planungsbeschleunigung gesprochen. Da- kürzt diese Koalition. Sinnvoll wäre es, dort Mittel zu von brauchen wir dringend mehr. Es kann nicht sein, dass verstärken, etwa indem es zukünftig auch eine Exzellenz- diejenigen im Bundestag, denen der Ausbau der erneuer- initiative für die berufliche Bildung gibt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13627

Christian Lindner (A) (Beifall bei der FDP) ständnis dafür haben, dass der deutsche Mittelstand im (C) Also, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was wir brau- internationalen Wettbewerb Entlastung braucht, dass da- chen, das sind nicht neue Schulden. Was wir brauchen, ran Arbeitsplätze hängen, dass daran Tarifentwicklungen das ist neues Denken. hängen, dass die Unternehmen erfolgreich sind. Dass Sie das alles nicht sehen wollen: einverstanden. Das ist Ihr (Jan Korte [DIE LINKE]: Das hat bei Ihnen gutes Recht, und jeder sucht sich seine Unterstützung in schon mal nicht stattgefunden! Was für ein Un- der Bevölkerung auf die Art, wie er will. sinn!) Aber: Bestimmte Dinge gehen wirklich über die Ge- Mein letzter Punkt: Wir brauchen Vertrauen in die schmacksgrenzen hinaus. Da gibt es bei der SPD also den Menschen und in private Investitionstätigkeit. Die Wunsch nach einem Strafsteuer-Soli, und das Ganze wird Unionsfraktion fordert eine Unternehmensteuerreform, dann bebildert von der Sozialdemokratie, indem man und sie hat recht damit; denn wir sind international nicht Menschen in den Liegestuhl setzt, Longdrink schlürfend, mehr wettbewerbsfähig. während das Geld auf dem Fließband abgeliefert wird. Wenn das Ihr Bild von Leistungsträgern und von unserem (Beifall bei der FDP) Mittelstand ist, dann haben Sie sich vollständig von der Die Forderung ist hehr und unterstützenswert. Aber wie Lebenswirklichkeit in unserem Land entkoppelt. ist die tatsächliche Politik? Sie unterstützen, dass aus dem Solidaritätszuschlag eine Strafsteuer für Führungskräfte, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Leistungsträger und die deutsche Wirtschaft gemacht der CDU/CSU und der AfD – Carsten wird. Das unterstützen Sie, Schneider [Erfurt] [SPD]: Sie auch! Das merkt man!) (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei Im Übrigen – um auch das zu sagen –: Man kann ver- Abgeordneten der SPD) teilungspolitische Diskussionen führen. Einverstanden! und das, obwohl Sie ja selbst verfassungsrechtliche Da hätte auch ich Dinge anzumerken, zum Beispiel, wie Bedenken gegenüber dem Modell, das Sie beschließen wir es den Menschen erleichtern, zu Vermögen zu kom- wollen, geltend gemacht haben. , der men, nämlich indem wir sie nicht durch die neue Aktien- Bundeswirtschaftsminister – sogar ein Kabinettsmit- steuer bestrafen, wenn sie Wertpapiere kaufen. glied –, erklärt öffentlich, die nicht vollständige, nur teil- weise Abschaffung des Solidaritätszuschlages könnte (Beifall bei der FDP) verfassungswidrig sein. Damit sind große Haushaltsrisi- Wir können auch über die Grunderwerbsteuer sprechen. ken verbunden, und Sie nehmen das alles so hin. (B) Wir können gerne über Verteilungsfragen sprechen. Ich (D) Ich mache Ihnen ein Angebot. Wenn die Unionsfrak- habe viele Ideen, allerdings eine andere Perspektive als tion einen Gesetzentwurf zur vollständigen Abschaffung Sie. Aber eines muss man sagen: Diejenigen, die massiv des Solidaritätszuschlags hier einbringt, können Sie si- von ihrem privat erwirtschafteten Einkommen an den cher sein: Wir stimmen zu. Staat abgeben, verdienen am Ende auch ein klein wenig Respekt. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP) Wenn Sie das seriöserweise aufgrund der Rücksicht- Da darf man auch sagen: Danke; denn von eurer Leis- nahme auf Ihren Koalitionspartner SPD nicht im Bundes- tungsfähigkeit profitieren auch diejenigen, die gegenwär- tag als Gesetz beschließen können, dann habe ich hier als tig selbst nicht so viel Leistung erbringen können. Alternative ein milderes Mittel: Dann klagen Sie mit uns Ich komme zu meinem letzten Punkt, den ich nach Frau gegen das Gesetz in Karlsruhe, damit die Menschen Merkel ansprechen will, und das ist die Klimapolitik. Die Rechtssicherheit haben und eine verfassungswidrige CDU-Bundesvorsitzende hat einen Klimakonsens vorge- Strafsteuer nicht auf Dauer im Bundesgesetzblatt bleibt! schlagen. Wir sind zur Mitwirkung daran bereit. Mir ist (Beifall bei der FDP) noch ein wenig rätselhaft, wie das Verfahren sein wird; denn die Union selbst wird ihre Position erst vier Tage, Das ist im Übrigen ein Instrument, das bei rechtlicher bevor das Klimakabinett Position bezieht, festlegen, und Unsicherheit in der Vergangenheit in den 1990er-Jahren – dann soll das Ganze auch noch Gegenstand überparteili- ich erinnere an gewisse Auslandseinsätze, AWACS-Ein- cher Gespräche werden. Wir sind also gespannt, aber wir sätze – bereits angewandt worden ist, um Rechtssicher- haben auch Erwartungen. Unsere Erwartung ist, dass es heit zu schaffen. Das wäre nichts Neues. bitte nicht nur um Klein-Klein geht. Vielleicht sind wir Ich muss aber bei der Gelegenheit noch einen Satz an nicht alle einer Meinung, aber ich wage zu sagen: Ein den Bundesfinanzminister und seine Partei sagen: Ich anderer Mehrwertsteuersatz auf Wurstwaren in Deutsch- habe natürlich Verständnis für Profilierungsnotwendig- land wird das Weltklima nicht retten. keiten und dafür, dass man Dinge auch anders sehen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kann – natürlich. Wir sind ja in einer lebendigen parla- der CDU/CSU und der AfD) mentarischen Demokratie, in der auch Unterschiede deut- lich gemacht werden. Ich verstehe, dass Sie Leistungs- Eine Debatte über das Verbot von Inlandsflügen in träger – auch schon den Teamleiter am Band bei Deutschland wird uns auch nicht sehr helfen; ich glaube Daimler – zusätzlich belasten wollen, dass Sie kein Ver- ohnehin, dass das in Wahrheit die kreativste Form ist, 13628 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Christian Lindner (A) davon abzulenken, dass die Menschen vom Flughafen Viertens. Kein Verbot von Ölheizungen. Mit einem (C) Berlin-Brandenburg sowieso nicht fliegen können. Verbot bringt man die Leute doch auf die Palme. Die Leute denken doch, sie müssten jetzt Tausende von Euro (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten in ihrem Haus investieren. Statt eines Verbots von Ölhei- der AfD und des Abg. [CDU/ zungen, nutzen wir doch die Möglichkeit, treibhausgasf- CSU]) reundlichere Brennstoffe zu entwickeln. Das gilt übrigens Das wollen wir nicht. Wir möchten die Klimapolitik auch auch für die Autos. Frau Merkel, Ihre Regierung hat zu nicht zu einem Schauplatz von Kulturkämpfen machen. verantworten, dass das ganz normale Auto mit Verbren- Um es ganz klar zu sagen: Die einen sprechen über Mes- nungsmotor – deutsche Spitzentechnologie – in Deutsch- sermänner – das ist inakzeptabel –, aber dass man auf der land ein Auslaufmodell ist, weil synthetische Kraftstoffe anderen Seite SUVs pauschal zu Mordinstrumenten auf die Grenzwerte des CO2-Flottenverbrauchs in Brüssel macht angesichts eines tödlichen Unfalls in Berlin, ist nicht angerechnet werden. an Pietätlosigkeit ebenfalls nicht zu überbieten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie haben eine deutsche Spitzentechnologie geopfert. der CDU/CSU, der SPD und der AfD) Frau Merkel, Sie haben gesagt, wir brauchen Markt- Wir wollen über wirksame Maßnahmen sprechen. Ers- wirtschaft in der Energie- und Klimapolitik. Das ist rich- tens. Wie wäre es beispielsweise, wenn alle öffentlichen tig. Aber dass Sie das Thema Marktwirtschaft ausgerech- Gebäude Mitte des nächsten Jahrzehnts klimaneutral wer- net mit der Energie- und Klimapolitik verbunden haben, den ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte; denn weil wir keine marktwirtschaftliche Energiepolitik haben, (Beifall des Abg. [FDP]) wird alles teurer, ohne dass wir CO2 einsparen. und zugleich Möglichkeiten geschaffen werden, Zu- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten kunftsinfrastruktur im digitalen Bereich, also Antennen, der CDU/CSU) zu installieren? Machen wir das also anders. Ich glaube, dass darin auch Zweiter Punkt. Die energetische Gebäudesanierung ist eine globale Verantwortung Deutschlands liegt. der schlafende Riese der Klimaschutzpolitik. Warum gibt es hierfür nicht längst eine steuerliche Förderung? Manche wollen Klimaschutz machen mit Askese, Ver- bot, Verzicht, ohne Wachstum. Sie sagen: Der Lebens- (Beifall bei der FDP) standard des Jahres 1995 war auch nicht so schlecht. – (B) Das kann man alles wollen. Es gibt auch Unterstützung (D) Drittens: nicht nur Bestrafen und Bepreisen, wenn CO2 ausgestoßen wird. Wie wäre es, wenn wir eine Möglich- dafür. Auf dem Weg werden wir möglicherweise Moral- keit schaffen, dass man eine Prämie bekommt, wenn man weltmeister; aber niemand in der Welt wird uns folgen. CO2 speichert, zum Beispiel durch die Aufforstung von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wald? der CDU/CSU und der AfD und des Abg. [fraktionslos]) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Die können nicht auf Wohlstand verzichten, weil sie näm- lich keinen haben. Die wollen auch nicht verzichten, weil Das ist übrigens das Gegenteil von dem, was die Regie- es nicht viel gibt, auf das sie verzichten können. Die rung seit 2005 macht. Wie viele Hektar Wald aus öffent- wollen nicht einfach nur bescheiden sein, weil sie noch lichem Besitz sind den Naturschutzverbänden geschenkt ganz grundsätzliche Fragen hinsichtlich ihrer Lebens- worden, die diese jetzt renaturieren, also in Wahrheit sich chancen klären müssen. Man kann ja Moralweltmeister selbst überlassen? Sie werden zu Rückzugsorten des Bor- werden wollen – das ist aller Ehren wert –, unser An- kenkäfers, und spruch muss es aber sein, dass Deutschland durch Markt- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaft und Erfindergeist wieder Technologiewelt- meister wird; denn nur als Technologieweltmeister sind wir können die natürlichen Möglichkeiten der CO2-Spei- wir ein Vorbild für die Welt. cherung durch Forstwirtschaft nicht nutzen. Ändern wir das doch! (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie des Abg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Uwe Kamann [fraktionslos]) der CDU/CSU – Dr. [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts ver- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: standen von Ökologie!) Jetzt erteile ich das Wort dem Vorsitzenden der SPD- – Ja, doch. Sprechen Sie mal mit den BImA-Mitarbeitern, Fraktion, Dr. Rolf Mützenich. Herr Kollege Hofreiter. Das sind die mit Praxiserfahrung. Das sind die, die nicht im Bundestag sitzen, sondern im (Beifall bei der SPD) Wald stehen. Dr. Rolf Mützenich (SPD): (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD) Welt, in die meine Generation hineingeboren wurde, er- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13629

Dr. Rolf Mützenich (A) fährt einen tiefgreifenden Wandel, im Innern wie im Äu- Wenn uns das eint, bleibt dennoch die Frage, für wen (C) ßeren. Wir spüren, etwas Grundsätzliches verändert sich. wir regieren. Hierin unterscheiden wir uns. Es gibt dieje- Das betrifft uns alle, generationenübergreifend. Wo die nigen, die lediglich für eine fiktive Volksgemeinschaft Wetterextreme zunehmen, verändert sich das Klima. Wo einstehen und dabei übersehen, dass Ausgrenzen immer die Auseinandersetzungen rauer werden, reflektiert dies das Gegenteil von gutem Regieren bedeutet. ökonomische, soziale und kulturelle Spaltungen. Nie- mand weiß das besser zu beurteilen als die deutsche So- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zialdemokratie. der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Es gibt die, die Regieren mit einem Selbstvertretungsan- Seit unserer Gründung waren wir Zeugen und Reformer spruch verwechseln, und es gibt die, die es sich leisten rasanter Umbrüche. wollen, auf das Regieren ganz zu verzichten, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir haben uns niemals weggeduckt. Wir haben die sozia- weil andere Kräfte in der Gesellschaft genügend Mittel le Demokratie gestaltet und, wo nötig, verbessert. Für besitzen, um Interessen außerhalb der politischen und meine Fraktion heißt das: Gerecht zu regieren, ist die rechtsstaatlichen Institutionen durchzusetzen. Sie lassen Grundlage unseres Handelns. Und gerecht regiert zu wer- all diejenigen im Stich, die über diese Mittel nicht ver- den, ist heute wieder ein Wert für sich. fügen. Außerdem gibt es die, die sich auf urbane Eliten stützen und darauf vertrauen, dass Selbsthilfe und indivi- (Beifall bei der SPD) duelle Förderung zur Selbstbehauptung und Verwirkli- chung des Einzelnen genügen. Offensichtlich wächst der Glaube, dass demagogi- sches, ausgrenzendes und chauvinistisches Regieren die (Beifall bei der SPD) Antwort auf komplizierte Fragen sein könnte, selbst hier Das ist nicht das Verständnis von uns Sozialdemokra- in Europa. Das ist der falsche Weg. Demagogen haben die tinnen und Sozialdemokraten. Wir wollen konkrete Hilfe Menschen verführt und betrogen. anbieten und zugleich die Voraussetzungen für ein selbst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bestimmtes, solidarisches und besseres Leben schaffen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Arbeiterbewegung hat mit aller Stärke und Konse- quenz dafür gekämpft. Wir bleiben diesem Erbe verbun- Sie haben Kontinente ins Verderben gestürzt. Wir werden den. Dies ist unsere Antwort auf die Umbrüche unserer (B) uns ihnen mit aller Kraft entgegenstellen, und der beste Zeit. (D) Ort dafür ist dieses Parlament. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mehr denn je können Beschäftigte und ihre Familien, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- junge und alte Menschen nicht auf gerechtes Regieren NISSES 90/DIE GRÜNEN) verzichten. Die einen brauchen Transferleistungen oder Die Hoffnung auf gerechtes Regieren im europäischen Leistungen in unverschuldeten Lebenssituationen, die an- Kulturraum ist ein jahrhundertealtes Motiv. Eindrucks- deren erwarten eine gerechte Arbeitswelt und gute soziale voll begegnet uns das auf den Fresken im alten Rathaus Strukturen, in denen auch ihre Kinder eine Zukunft ha- von Siena. Sie zeigen, wie die Stadtgesellschaft unter ben. Es gibt viele Menschen, die den Zusammenhalt der einer guten Regierung auflebt und unter einer schlechten Gesellschaft wollen und wissen, dass ohne inneren und verdorrt. äußeren Frieden alles andere nichts ist. Für diese Men- schen wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo- (Dr. [AfD]: Halten Sie sich kraten Politik machen. mal daran!) Meine Damen und Herren, ein solider Haushalt ist die Einerseits geht es dort um das Wohl des Einzelnen und Voraussetzung für gerechtes Regieren. Er muss zugleich der Gemeinschaft, andererseits um die Frage, ob die libe- Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit ge- rale Staatsform in einem konfliktreichen und chaotischen ben. Ein guter Haushalt baut Wege in die Zukunft und Umfeld überleben kann. Die gleiche Frage stellt sich heu- ist nicht die Summe einzelner Projekte. te, lokal, national und international. Ich bin überzeugt: Der vorliegende Haushalt markiert die richtige Rich- Demokratisches, an Ausgleich, Rechtsstaatlichkeit und tung, und wir haben in diesen Tagen genügend Zeit, die Frieden ausgerichtetes Regieren ist in seiner Substanz Einzelpläne zu besprechen. Zugleich ist dieser Haushalt allen anderen Formen weit überlegen. der Anfang eines längeren Weges, auf dem wir die Ver- (Beifall bei der SPD) änderungen unserer Zeit gestalten wollen. Insofern reicht Regieren alleine eben nicht aus. Hierin, meine Damen und Herren, besteht der Zusam- menhalt aller überzeugten und gewissenhaften Demokra- Gerechtes Regieren kann nur dann Kraft vermitteln, ten. Diesen Zusammenhalt dürfen wir niemals infrage wenn wir gleichzeitig sagen, was wir in Zukunft über stellen. Er ist das Bollwerk gegen das Totale. die Jahrespläne des Haushaltes hinaus erreichen wollen. Dieses Verständnis möchte ich an drei Zukunftsthemen (Beifall bei der SPD) skizzieren, die zusammen gedacht und zusammen gelöst 13630 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Rolf Mützenich (A) werden müssen: Mir geht es darum, wie gerechte Politik steuerung kann das Solidarprinzip keine Zukunft haben. (C) die Digitalisierung der Arbeitswelt, die Zukunft unserer Weil die Mitbestimmung bei alledem gebraucht wird, Lebenswelt und den Frieden durch gemeinsame Sicher- müssen wir die Koalitions- und Mitwirkungsrechte der heit gestalten kann. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken, meine Damen und Herren. Die digitale Arbeitswelt bietet Chancen und natürlich auch Risiken. Ich gehöre nicht zu denen, die nur pessi- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- mistisch auf die kommenden Jahre blicken. Horrorszena- Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rien blockieren kreatives Denken. Die Mehrheit der NEN]) Beschäftigten steht den Veränderungen positiv und auf- geschlossen gegenüber. Gleichzeitig ahnen sie aber, dass Das sind nur einige Angebote, die wir in einer Arbeits- vieles nicht so bleiben wird, wie es ist. gesellschaft im digitalen Zeitalter machen wollen. So wie die Gewerkschaften und die SPD im Strukturwandel un- Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben verzichtbar waren, so sind wir heute unverzichtbar für recht: Wertschöpfung und Arbeit werden sich grundleg- die, die gute Arbeit brauchen und um die Zukunft ihrer ender und schneller wandeln als in allen wirtschaftlichen Kinder bangen. Revolutionszyklen zuvor. Deswegen und zugleich müs- sen wir beachten: Es droht ein Wirtschaftsabschwung, (Beifall bei der SPD) und der vorangegangene Strukturwandel ist noch längst nicht abgearbeitet. Umso größer werden die Herausforde- Die Aufgaben und Herausforderungen werden Jahre, rungen in der digitalen Arbeitswelt. wenn nicht gar Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Aber wir müssen und wollen heute daran mitwirken. Vor diesem Hintergrund wollen wir Sozialdemokratin- nen und Sozialdemokraten eine kluge, dem Gemeinwohl Meine Damen und Herren, wir wissen nicht erst seit verpflichtete Politik betreiben. heute, dass wir unsere Umwelt und unser Klima schützen müssen. Es war Willy Brandt, der im Bundestagswahl- (Beifall bei der SPD) kampf 1961 die Schattenseiten des Wirtschaftswunders Wir müssen versuchen, die Spaltungen, die unsere Wirt- klar erkannt und für den „blauen Himmel über dem Ruhr- schaftsordnung hervorbringt, so klein wie möglich zu gebiet“ geworben hat. Es gelang mit dem Zutun vieler, halten. Für uns stehen dabei die arbeitenden Menschen vor allem aber der Ruhrgebietsstädte, diese Vision zu im Fokus. Wir wollen verhindern, dass die Bürgerinnen verwirklichen. und Bürger auf die freie Ware Arbeitskraft und den blo- ßen Marktteilnehmer reduziert werden. Auch heute werden die sozialen und ökologischen Zie- (B) le ohne kommunale Anstrengungen nicht erreicht werden (D) Es ist offensichtlich, dass im alltäglichen Wirtschaften können. Dafür brauchen wir alle Städte. Wir brauchen und Arbeiten die Tarifpartner viele Fragen regulieren alle Gemeinden. Und alle diese Städte und Gemeinden müssen. Die Gewerkschaften versuchen mit großen An- brauchen den gleichen Spielraum; denn vor Ort entschei- strengungen, diese Jahrhundertaufgabe anzugehen. Es det sich sozial-ökologisches Umsteuern, etwa im Ver- gibt Dutzende, wenn nicht Hunderte von Betriebsverein- kehr, in der Energieversorgung oder im Gebäudebestand. barungen für mobiles Arbeiten. Dafür verdienen die Ta- Daher ist eine Altschuldenregelung auch eine Investition rifpartner unsere Anerkennung und uneingeschränkte in lokales, ökologisches Regieren. Wir werden versu- Unterstützung. chen, alle zu überzeugen, hier im Deutschen Bundestag für diese Altschuldenregelung einzutreten. (Beifall bei der SPD) Gleichzeitig brauchen wir konzertierte Aktionen, die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das beste Mittel für gemeinsame Anstrengungen sind. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hier wollen wir uns einbringen, etwa mit Meine Damen und Herren, wir müssen die Erderwär- Schutzvorschriften in prekären Arbeitsverhältnissen und mung auf 1,5 Grad begrenzen. Der Weg dorthin ist die für die Gesundheit der Beschäftigten. Arbeitszeitverkür- weitgehende Neutralität bei Treibhausgasen. Kurz ge- zungen und moderne Arbeitszeitmodelle müssen gesetz- sagt: Das schädliche CO muss weg. Auch hierbei geht lich abgesichert werden. Dabei ist klar: Geregelte Ar- 2 es nicht ohne das Zusammenwirken aller Gruppen. Der beitszeit ist Arbeitsschutz. Wir wollen eine menschliche Kohlekompromiss, der sich im vorliegenden Haushalt Arbeitswelt, in der nicht das Digitale den Takt vorgibt, und im Strukturstärkungsgesetz widerspiegelt, ist ein meine Damen und Herren. Beispiel, wie Klimaschutz, Digitalisierung und soziale (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Gerechtigkeit im Veränderungsprozess unserer Zeit zu- der LINKEN) sammengedacht und verwirklicht werden können. Es stellen sich neue Anforderungen an die Arbeitslo- Diese Integration in der Transformation hatte nur die senversicherung und bei der Kurzarbeit. Während wir das SPD im Sinn. Das haben wir durchgesetzt und dabei alle Recht auf Aus- und Weiterbildung weiter ausgestalten mitgenommen: Gewerkschaften, Umweltverbände, Re- wollen, brauchen wir ein Qualifizierungsgeld. Das und gionen, Länder und den Bund. Das war eine unverzicht- mehr wollen wir in Zukunft erreichen. Es geht um mehr. bare und anstrengende Leistung. Darauf sind wir stolz, Ebenfalls müssen wir erkennen, dass die Sozialversiche- meine Damen und Herren. rungssysteme in der digitalisierten Arbeitswelt weiter un- terhöhlt werden. Ohne eine korrekte und angepasste Be- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13631

Dr. Rolf Mützenich (A) Gleichzeitig war das für eine Demokratie lebensnot- keit weg! Herr Mützenich, das glauben Sie (C) wendig, die immer wieder versuchen muss, aus dem Wil- doch nicht ernsthaft!) len vieler am Ende den Willen des ganzen Volkes zu formen. Mitnahme, Beteiligung, Legitimation: Das ist Das alte Leitbild ist einfach zu gutgläubig, was die unser Verständnis von Demokratie, meine Damen und Effizienz der Märkte, und zu defensiv, was die Rolle Herren. des Staates in einer modernen Volkswirtschaft betrifft. Wenn der Staat aber unverzichtbar ist, um die revolutio- (Beifall bei der SPD) nären Umbrüche in den nächsten Jahrzehnten mitzuge- stalten und abzufedern, Wir wissen, dass wir zum Schutz unseres Klimas die Verstromung der klimaschädlichen Kohle beenden müs- ( [FDP]: Der Bürger ist es aber sen. Dazu müssen wir gleichzeitig in den Revieren neue auch!) und gleichwertige Wirtschaftsstrukturen entwickeln, da- mit die Menschen auch dort eine Zukunft haben. Unser dann brauchen wir einen effizienten und durchsetzungs- Ziel sind Investitionen in Bereiche, die uns bei der Ver- fähigen Staat mit einer gut ausgestalteten und attraktiven besserung des Klimas helfen und gleichzeitig neue Ar- Verwaltung und einem größeren finanziellen Fundament. beitsplätze schaffen. Nur wenn sich Wirtschaft und Staat Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen zu großen Anstrengungen bekennen, kann die Transfor- diese Mittel in öffentliche Gemeingüter umlenken, meine mation für Innovation und Beschäftigung auch gelingen. Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann [FDP]: Ja, holt euch die Kohle von den Bür- Meine Damen und Herren, das Klimakabinett muss am gern! Die Botschaft haben wir verstanden! Das 20. September die Weichen stellen, damit wir die Klima- war eine Drohung! Das haben wir schon ver- ziele 2030 erreichen. Bis zur dritten Lesung erwartet die standen!) SPD-Bundestagsfraktion daher noch wichtige fiskalische Entscheidungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht werden spätere Historikerinnen und Historiker wenige Tage im Alles das geht nur im Zusammenwirken mit den euro- August 2019 als den historischen Wendepunkt heranzie- päischen Ländern und der Europäischen Union. Deswe- hen, an dem das bipolare Gleichgewicht des Schreckens gen nehmen wir die neue Kommissionspräsidentin beim endgültig aufgehoben wurde. Mit dem Rückzug der USA Wort, und wir wollen helfen, das Modewort Green New endete am 2. August der INF-Vertrag über nukleare Ab- Deal auch richtig auszubuchstabieren. Das ist unsere Auf- rüstung. Obwohl der Vertrag eine ganze Kategorie von (B) gabe, aber es ist auch die Aufgabe der Mitglieder des Waffen verbot, atmete er noch den Geist des Kalten Krie- (D) Europäischen Parlaments. ges. Es bleibt richtig, für seine weltweite Gültigkeit ein- zutreten, wie es die Bundesregierung tut. Dennoch wer- (Beifall bei der SPD) den auch die USA das Ablegen der Vertragsfesseln Europa kann und muss dabei eine Vorreiterrolle ein- nutzen und Mittelstreckenraketen in Asien aufstellen. nehmen, nicht nur um seiner selbst willen, sondern auch Der Rüstungswettlauf ist bereits in vollem Gange. deshalb, weil europäisches Handeln in der Welt wahrge- Damit erhält eine neue weltpolitische Konstellation, nommen wird – im Guten wie im Schlechten. Deswegen, die sich im Gegenüber der USA und der Volksrepublik meine Damen und Herren, werden wir in den nächsten China ausbildet, mehr und mehr eine nukleare Kontur. Tagen alle Anstrengungen unternehmen, um diese Ziele Was genau daraus wird, werden wir heute mit Sicherheit zu verwirklichen. nicht sagen können. Dass wir aber nicht nur Zeugen der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Digitalisierung und der umweltschonenden Transforma- tion, sondern auch Zeugen einer neuen weltpolitischen Für all das braucht es nach Auffassung der SPD-Frak- Entwicklung sind, ist dagegen offenkundig. tion einen gestaltungswilligen und handlungsfähigen Staat. Das derzeit noch gängige Leitbild „So viel Markt Die Debatte, wie die europäischen Gesellschaften auf wie möglich, so viel Staat wie nötig“ ist nicht mehr zeit- diesen Zeitenwandel reagieren sollten, findet längst statt. gemäß. Sie ist fundamental, und es gibt immer häufiger Stimmen, die eine starke militärische Antwort geben wollen. Meine (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Marco Damen und Herren, ich kann davor nur warnen. Der Frie- Buschmann [FDP]: In Deutschland? Reden Sie den in Europa war nicht dann gesichert, wenn dem Konti- von Deutschland?) nent ein Übermaß an Militär und Rüstung zur Verfügung stand, sondern nur dann, wenn kluge, gemeinsame poli- Spätestens seit Ausbruch der jüngsten Finanz- und Wirt- tische Entscheidungen in einem von Regeln und Normen schaftskrise vor mehr als zehn Jahren und der Entwick- geprägten Umfeld getroffen wurden. lung der Wohnfrage zur neuen sozialen Frage ist es of- fensichtlich, dass dieses Motto grundlegend überdacht (Beifall bei der SPD) werden muss. Das war nach dem Wiener Kongress der Fall, und es war (Beifall bei der SPD – Dr. Marco Buschmann das Ergebnis einer Entspannungspolitik, die sich durch [FDP]: Sie reden von Berlin als Hort des Neoli- Rüstungskontrolle, Dialog und das Hineindenken in den beralismus! Sie sind so weit von der Wirklich- anderen auszeichnete. 13632 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Rolf Mützenich (A) Die Voraussetzungen sind heute andere, aber die In- (Beifall bei der LINKEN) (C) strumente sind aktueller und notwendiger denn je. Der Automatismus militärischer Drohungen und Gegendro- Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): hungen muss durchbrochen werden, und ich sehe dafür Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben keinen besseren Platz als in einer gemeinsamen europä- heute von allen Rednerinnen und Rednern gehört: Die ischen Friedensordnung, am besten unter Einschluss Weltlage ist vielfach beunruhigend: der Wirtschaftskrieg Russlands. zwischen den USA und China, das Brexit-Chaos, die Atomkrise mit dem Iran, weltweit über 80 Millionen (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Flüchtlinge, die schreiende soziale Ungerechtigkeit und, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE und, und. Eines aber kann man beim Blick in die Welt GRÜNEN) auch feststellen: Wenn Rechtspopulisten an die Macht Die heraufziehende nukleare Konfrontation zwischen den kommen, dann brennen sie erst mal alles nieder: USA und der Volksrepublik China findet im Schatten der 74. Wiederkehr des Atombombenabwurfs auf Hiroshima (Lachen des Abg. Jürgen Braun [AfD]) statt. Offensichtlich, meine Damen und Herren, sind Bolsonaro den Regenwald, Boris Johnson die Demokra- große Mächte nach wie vor nicht bereit, aus der Vergan- tie und Donald Trump die internationale Diplomatie. Das genheit zu lernen. Deswegen ist es richtig, dass sich ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. Deutschland mit ganzer Kraft für den Erhalt des Atom- waffensperrvertrages einsetzt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und (Beifall des Abg. Ulli Nissen [SPD]) der Abg. [SPD] – Jürgen Braun Dieser Vertrag, meine Damen und Herren, ist die beste [AfD]: Nie wieder Sozialismus, Herr Bartsch!) Rückversicherung gegen die Ausbreitung der Atomwaf- Auch die Wirtschaftslage in unserem Land ist proble- fen. Gleichwohl habe ich eine Bitte an die Bundesregie- matisch. Wir haben Ansätze einer Rezession. So schlech- rung: Bisher lehnt Deutschland einen Beitritt zum UN- te Quartalszahlen wie zuletzt hatten wir 2012 das letzte Vertrag für ein Atomwaffenverbot ab, immerhin auch Mal. Auch dazu ist viel gesagt worden. Angesichts dieser eine Initiative der Zivilgesellschaft, die im Jahr 2017 da- Situation einen Haushalt, der im Kern durch Ideenlosig- für den Friedensnobelpreis erhielt. Die Bundesregierung keit geprägt ist, vorzulegen, das ist unverantwortlich, befürchtet eine Schwächung des Atomwaffensperrvertra- meine Damen und Herren. ges, und in der Tat hat der Verbotsvertrag Mängel. Den- noch sei daran erinnert: In Zeiten der Entspannungspoli- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (B) tik waren Unzulänglichkeiten immer der Antriebsmotor, Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) um neue und alte Ideen zusammenzuführen. Ziel beider NEN]) Verträge ist die atomwaffenfreie Welt. Wenn zunehmend Frau Merkel, Sie sagen: Es ist eine neue Dimension des Bündnispartner nicht mehr politische Verbündete bei der Haushaltes. – Ich frage mich: Wo ist denn die neue Di- Denuklearisierung sind, dann kenne ich keinen besseren mension? Partner als engagierte Bürgerinnen und Bürger. Diese Kraft, meine Damen und Herren, müssen wir auch heute Lieber Rolf Mützenich, deine Rede von eben stimmt ja wieder nutzen. zuversichtlich; nur, sie korrespondiert auch nicht mit dem, was in diesem Haushalt vorgelegt wird. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig! GRÜNEN) Genau!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die SPD-Fraktion Dieser Haushalt ist so wenig visionär. Helmut Schmidt ist klar: Die drei genannten großen Herausforderungen würde den nicht mal zum Arzt schicken. bewältigen weder der Markt noch die Nation, weder neue (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie Technologien noch diffuse Befindlichkeiten allein. Die bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Politik muss die Antwort geben, wenn sie ihrem Auftrag GRÜNEN) für gerechtes Regieren nachkommen will. Wir Sozialde- mokratinnen und Sozialdemokraten wollen das. Wir wer- Meine Damen und Herren, Sie haben Ihren Koalitions- den uns an dieser Aufgabe aus tiefer Überzeugung betei- vertrag überschrieben: ligen, mit jener Überzeugung, die in unserer Geschichte Ein neuer Aufbruch für Europa immer Selbstverständlichkeit und Verpflichtung zugleich Eine neue Dynamik für Deutschland war. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land Vielen Dank. Voll einverstanden! Sie verabschieden jetzt wohlklingen- (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei de Gesetze: Gute-KiTa-Gesetz, Starke-Familien-Gesetz, Abgeordneten der CDU/CSU) Faire-Kassenwahl-Gesetz – alles super. Wenn Sie in Ih- rem konkreten Handeln nur halb so stark wären wie in den Formulierungen, dann würde es dem Land wirklich Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: besser gehen. Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Dr. Dietmar Bartsch. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13633

Dr. Dietmar Bartsch (A) Sie sind in der Substanz eine Ankündigungskoalition. keinen Bäcker, keine Gaststätten, keine Post und jetzt (C) Wenn man sich dann noch den Zustand anguckt: Kein auch kein Internet. Das ist doch eine Zumutung. Ja, an Mensch weiß, ob Sie im Januar überhaupt noch zusam- jeder Milchkanne müssen wir Internet haben. men sind. Das ist ein irrer Zustand. Sie müssen sich mal vorstellen, wie man das vom Ausland aus sieht. Niemand (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und weiß, ob diese Regierung im Januar oder Februar noch im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Amt ist. Wie war das noch, Herr Dobrindt, als Sie Minister wur- Ich will anhand von drei konkreten Beispielen zeigen, den? Sie haben gesagt: Wir wollen spitze sein. – Und wie dass Ihr Haushalt mit den Überschriften wirklich nichts ist heute die Netzabdeckung? Es gilt immer noch: zu tun hat. Deutschland einig Funklochland. Das ist die Realität nach all den Jahren, wo Sie regiert haben. Beginnen will ich natürlich mit dem Thema „Schulden- bremse/schwarze Null versus Investitionen“. Ich habe (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- schon gesagt: Deutschland steht an der Schwelle zu einer ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Rezession. Was haben Sie eigentlich in der letzten Krise, damals, 2008, gemacht? Ich erinnere mich ja daran: Kurz- Wir hatten im ersten Halbjahr 43,5 Milliarden Euro Über- arbeitergeld, Abwrackprämie, Konjunkturpakete, und schuss in Bund, Ländern und Kommunen. Warum neh- zwar Investitionen, die dann in den Kommunen ange- men Sie denn da nicht Geld in die Hand? Das wäre doch kommen sind. Das war doch zweifelsfrei richtig. Frau wirklich absolut angesagt in dieser Situation. Merkel, Sie haben unlängst in Stralsund gesagt: 50 Pro- zent in der Wirtschaft sind Psychologie. – Das mag ja (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sein; aber die anderen 50 Prozent dürfen doch nicht Still- Und dann sagen Sie immer: Na ja, Sie müssen noch stand sein, sondern es muss entschlossenes Handeln ge- mal sagen, wo wir verzichten wollen. – Damit bin ich bei ben. meinem zweiten Punkt, beim Militärhaushalt. Da wird (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- immer vom 2-Prozent-Ziel der NATO-Partner geredet, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und 2 Prozent, das klingt ja irgendwie wenig. Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses „2 Prozent“ ist Sand in die Augen Es ist ja sogar das DIW, das heute fordert, endlich ein der Menschen streuen; das ist eine systematische Irrefüh- milliardenschweres zusätzliches Investitionsprogramm rung. Schon heute entsprechen die Verteidigungsausga- aufzulegen. Das wäre dringend notwendig. Dabei darf ben nach NATO-Kriterien 14 Prozent des Haushalts; das man nicht nur in Schulen, Straßen, Autobahnen investie- ist die Realität. Wir haben heute nach NATO-Kriterien ren. Wir müssen damit eben auch die Binnennachfrage (B) über 50 Milliarden Euro Ausgaben für Militär. Was dann (D) stärken, um die Abhängigkeit vom Export etwas zu damit gemacht wird, das ist noch eine ganz andere Frage. dämpfen. Das geht dann an irgendwelche Berater, geht in ein De- (Beifall bei der LINKEN) saster nach dem anderen. Es ist eben falsch, dass „Mehr, mehr, mehr“ eine Strategie ist. Das ist es mit Sicherheit Frau Merkel, Sie sagen, Sie tun das, was notwendig ist. nicht. Gucken Sie sich doch nur mal Ihre komische Flug- Dieser Haushalt gibt die Antworten. Nein, wir dürfen bereitschaft an. Das ist doch international peinlich. nicht warten, bis sich die Rezession wirklich verfestigt. Deswegen ist ein anderes Maß an Investitionstätigkeit (Beifall bei der LINKEN) notwendig, und notwendig ist nicht, stolz darauf zu sein, dass wir mit 11,1 Prozent die höchste Quote haben. Das Da muss man doch vielleicht bei dieser Frage mal irgend- ist viel zu wenig. etwas tun. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Aber das Entscheidende ist, wenn Sie bei diesen Sum- Nehmen Sie doch nur mal das Beispiel „digitale Infra- men mal den Vergleich zum sozialen Wohnungsbau neh- struktur“. Deutschland ist weiterhin ein digitales Ent- men: 1,5 Milliarden Euro! Olaf Scholz hat gestern gesagt: wicklungsland. In über 4 600 Gemeinden in Deutschland Wir haben es geschafft, dass der soziale Wohnungsbau gibt es keine flächendeckende Versorgung mit LTE. Sie nicht endet. – Na, Donnerwetter! Ich denke, das ist die reden über 5G und Ähnliches. In nahezu keiner ostdeut- wichtigste soziale Frage. Dann muss man da doch mehr schen Kommune gibt es flächendeckend schnelles Inter- tun. Was für ein Offenbarungseid angesichts der Mieten- net. Na, wo leben wir denn? Die CSU macht neuerdings situation in unserem Land, Werbevideos: Rezo für Anfänger. Mensch, das können (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- die jungen Leute in bestimmten Regionen nur wacklig ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sehen. Schon aus Ihrem Interesse sollten Sie da endlich mal was tun. eine völlige Schieflage auf diesem Feld. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie Womit ich beim dritten Punkt bin: Thema Altersarmut. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Es gibt einen Posten, der jedes Jahr verlässlich steigt. Er GRÜNEN) hat den unauffälligen Namen „Erstattungen des Bundes Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heißt im Übri- für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminde- gen, die Menschen haben in vielen ländlichen Regionen rung“. Die Ausgaben in diesem Posten steigen jährlich und inzwischen übrigens auch in Städten keinen Bus, um circa 7,6 Prozent. 13634 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Dietmar Bartsch (A) Was bedeutet das eigentlich? Das bedeutet, dass immer dass wir einen Spitzensteuersatz haben, der immer noch (C) mehr Menschen Grundsicherung im Alter beantragen so früh einsetzt. Wir brauchen endlich wirklich eine Re- müssen, weil ihre Rente nicht reicht. form bei der Erbschaftsteuer. Das mit der Finanztransak- tionsteuer höre ich seit drei Legislaturperioden. Das stand (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: schon bei Herrn Schäuble und anderen immer im Koali- Bislang, glaube ich, 3 Prozent, oder?) tionsvertrag. In der Realität bis heute: Nichts! Das ist die Wenn es denn so bleibt, dass der Mindestlohn, auf den Sie Wahrheit! Da muss endlich wirklich etwas getan werden. stolz sind, unter 10 Euro ist, wird diese Zahl dramatisch – Denn was ist denn das Ergebnis dieser Politik? Die 500 dramatisch! – in den nächsten Jahren steigen. Die Zahlen reichsten Familien in unserem Land haben ein Vermögen werden explodieren. Deswegen ist das mit dem Mindest- von 700 Milliarden Euro. Das sind circa zwei Bundes- lohn nicht so eine Sache, auf die man stolz sein kann. haushalte. Die haben in den letzten Jahren jedes Jahr Dass es ihn gibt, ja, aber er muss eben deutlich erhöht zweistellige Zuwachsraten gehabt, meine Damen und werden. Herren. Auf der anderen Seite stehen 4,4 Millionen Kin- der, die arm sind oder von Armut bedroht sind. Das ist (Beifall bei der LINKEN) doch nicht hinnehmbar in unserem Land. Jetzt will ich mal zu dem Punkt kommen: Sie haben vor (Beifall bei der LINKEN) der Europawahl gesagt: Wir wollen eine Grundrente ein- führen. – Wir als Linke haben gesagt: Grundsätzlich rich- 4,4 Millionen Kinder, das ist das Berliner Olympiastadion tig; man kann über viele Details reden. – Aber bis heute 58-mal vollgestellt mit Kindern in Armut und mit Kin- ist real nichts passiert. Sie versprechen, Sie reden, aber dern, die von Armut bedroht sind. In keinem anderen Sie handeln nicht. Das ist doch unzumutbar, und gerade Land, meine Damen und Herren, gibt es so eine riesige für diese Menschen muss mehr getan werden, meine Da- Spaltung, und das müssen wir alle ganz dringlich verän- men und Herren. dern. (Beifall bei der LINKEN) Es geht um einen grundsätzlichen Perspektivwechsel, nicht nur in der Sozial- und in der Wirtschaftspolitik. Seit Im Haushalt, auch in der Perspektivplanung gibt es da 40 Jahren sind die grundlegenden Fakten über den Klima- überhaupt keinen Punkt. Dass wir eine generelle wandel bekannt. Der Plastikmüll in den Ozeanen kommt Rentenreform wollen, das will ich hier gar nicht noch bekanntermaßen nicht von den Delfinen, mal wiederholen. Ja, wir brauchen eine solidarische Min- destrente. Wir wollen, dass alle einzahlen usw. und dass (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Aber nicht aus am Ende eine lebensstandardsichernde Rente rauskommt. Deutschland, aus China!) (B) Zusammengefasst hat Ihr Haushalt folgende Prioritä- und der Regenwald am Amazonas wird auch nicht von (D) tensetzung: strenge Schuldenbremse statt notwendiger den Affen angezündet. Dass wir etwas tun müssen, ist Investitionen, Militär- statt Sozialausgaben erhöhen und zumindest in seriösen Kreisen klar. Aber wie, das ist na- massenhafte Kinder- und Altersarmut zulassen. Das ist türlich die interessante Frage. die Priorität in Ihrem Haushalt, meine Damen und Her- Da höre ich jetzt: Irgendwann wird das Klimakabinett ren. tagen. – Das ist doch symptomatisch für die Politik der letzten (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Nicht 15 Jahre. Das ist eine Politik, die das Land spaltet, die „irgendwann“!) Europa spaltet und die den Rechtspopulisten den Weg ebnet. Das ist die Realität. Donnerwetter! Im Haushalt null abgebildet! Mich würde mal interessieren, wenn es denn diesen breiten Konsens (Beifall bei der LINKEN) geben soll, was da real gemacht werden soll. Da müssen Lassen Sie mich noch mal zu dem Thema Schulden- wir doch wirklich dringend ran. Sie setzen offensichtlich bremse kommen, weil Sie ja immer sagen: Die Linke will darauf, dass darüber nicht in Ernsthaftigkeit geredet wird. uns irgendwie in den Schuldenstaat treiben. – Was für ein (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Quatsch!) horrender Blödsinn! Frau Merkel, Sie haben heute ein wunderbares Beispiel (Otto Fricke [FDP]: Klar!) angeführt: das Thema Elektromobilität. Ich will nur mal Entscheidend ist doch: Mit dieser Debatte lenken Sie da- feststellen: Sie waren es, die gesagt hat – nachlesbar –: Im von ab, dass wir ein zutiefst ungerechtes Steuersystem Jahr 2020 werden wir 1 Million Elektroautos haben. – haben. Wir haben das Steuersystem des vergangenen Das hat nicht Die Linke gesagt. Was ist die Realität? Jahrhunderts. Wir haben explodierende Vermögen auf (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Planwirtschaft der einen Seite, hat noch nie funktioniert! Das kennen Sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: 10 Pro- doch!) zent der Vermögenden zahlen 50 Prozent der Zum 1. Januar 2019 waren weniger als 90 000 zugelassen. Steuern!) Ja, was ist denn das? Was ist denn das für eine Glaubwür- und wir müssen dort endlich etwas tun. Es ist doch völlig digkeit? Elektromobilität kann sehr sinnvoll sein, aber inakzeptabel, wenn, dann müssen es doch Elektroautos sein, die bezahlbar sind. Das heißt, sie müssen unter 20 000 Euro (Beifall bei der LINKEN) kosten. Es muss ausreichend Ladestationen auch im länd- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13635

Dr. Dietmar Bartsch (A) lichen Raum geben; sonst sind die Menschen dort wieder und ein ökologisches Miteinander ermöglicht. Wenn dann (C) mal abgehängt. Es muss natürlich technologische Lösun- die Einnahmen nicht reichen, dann muss man entweder gen geben, in der Kobalt-, in der Lithium-, in der Ent- die Ausgaben senken, oder man muss darüber nachden- sorgungsfrage usw. Ja, Christian Lindner, es ist in Ord- ken, wo und wie man Einnahmen erhöhen kann. nung, Technologieweltmeister zu sein. Nur, wenn Sie das gegen Moral stellen, dann ist das nicht in Ordnung. Bei diesen Riesenvermögen gibt es da, jedenfalls von uns, gute Vorschläge. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wir müssen in der Moral spitze sein und in der Technolo- gie. Das ist die Aufgabe, die vor Deutschland steht. Steuern heißen „Steuern“, weil man ein Land damit steuert, meine Damen und Herren. Wenn es so ist, dass Aber so, wie die Regierung das bisher angedeutet hat, allein 630 000 Menschen in Deutschland ausschließlich würden beim Klimaschutz wieder mal vor allen Dingen von ihrem angehäuften Vermögen leben – die nichts mehr die unteren und mittleren Einkommen belastet werden. machen, die nur davon leben –, dann nenne ich das im Fakt ist doch, dass die reichsten 10 Prozent in Deutsch- Übrigen mal soziale Hängematte. Das ist die Realität, und land fast 50 Prozent des CO2-Ausstoßes zu verantworten da, finde ich, kann und muss man auch etwas abholen. haben; das ist eine schlichte Wahrheit. Und jetzt sollen es wieder die Pendler und die Geringverdiener und die länd- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lichen Räume bezahlen? Das ist im Übrigen nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. Wenn Sie wirklich einmal etwas gegen den Klimawan- Es kann doch nicht sein, dass in unserem reichen Land del tun wollen, dann stärken Sie doch die Bahn! Aber Sie alte Menschen Flaschen sammeln müssen, um die Rente haben seit 1990 6 467 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt. aufzubessern, dass die Zahl der Obdachlosen – heute ist Das ist doch der Wahnsinn! Ausbau von Strecken wäre Tag der Wohnungslosen – steigt, während auf der anderen notwendig und nicht Stilllegung von Strecken, meine Da- Seite Leute in Saus und Braus leben! Diese Ungerecht- men und Herren. igkeiten, meine Damen und Herren, die schlagen auch auf das zwischenmenschliche Klima durch. Das kann man (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- doch nicht wirklich wollen! Wer vor dieser Realität die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Augen verschließt, der hat in der Politik wirklich nichts Deshalb sind viele Menschen skeptisch bei Ihren An- zu suchen. kündigungen, und das ist auch logisch: Die Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass so etwas immer auf (Beifall bei der LINKEN) (B) ihre Kosten geht, während die Reichen reich bleiben und Frau Merkel, das ist Ihre letzte Legislaturperiode; Sie (D) sich alle Annehmlichkeiten weiter leisten können. „Wie- haben angekündigt, Sie wollen nicht wiedergewählt wer- so sollen nur die Mittelschicht und die Armen etwas für den. Ich finde, das ist eine gute Gelegenheit, noch einmal den Klimaschutz tun?“, das ist ein berechtigter Einwand, sehr mutig zu sein und wirklich Deutschland auf einen den viele haben. Das ist auch eine berechtigte Sorge; denn Weg zu bringen, dass wir zukunftsfest werden, dass wir in den letzten 20 Jahren ist es immer so gelaufen, dass sie gestalten und dass wir nicht verwalten. Zukunfts- und diese Lasten zu tragen hatten. zielorientierte Investitionen sind das Gebot der Stunde, Deswegen sollten wir doch mal über Dinge nachden- meine Damen und Herren. ken, die allen bekannt sind: Streichung der Energiesteuer- Ich habe Sorge, ob das alles mit der Union möglich ist. befreiung für Kerosin – würde 7 Milliarden Euro bringen, Ich habe nach der Rede von Rolf Mützenich die Hoff- (Beifall bei der LINKEN) nung, dass es vielleicht irgendwann einen Mitte-links- Aufbruch gibt. Streichung der Mehrwertsteuerbefreiung für internatio- nale Flüge – 4,7 Milliarden Euro, pauschale Besteuerung (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aha! – privat genutzter Dienstwagen – 3 Milliarden Euro usw., Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mitte- usw. links und Aufbruch schließen sich aus! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ganz- Am Ende müssen wir dahin kommen, meine Damen links! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: und Herren, dass die Bahn unschlagbar günstig wird. Also, Rot-Rot-Grün und Aufbruch – das passt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- ja nicht!) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wäre gut für unser Land, für Europa und für die Welt. Aber um 50 Prozent sind die Bahntickets in den letzten 20 Jahren teurer geworden! Das ist doch ein unhaltbarer Herzlichen Dank. Zustand. Da muss man doch etwas tun! Die Bahn ist im (Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Eigentum des Bundes. Wenn sie unschlagbar günstig wer- den soll, dann muss hier etwas getan werden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Es muss am Ende darum gehen, dass die mittleren und Jetzt erteile ich das Wort der Fraktionsvorsitzenden unteren Einkommensgruppen und die kleinen und mitt- von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt. leren Unternehmen entlastet werden. Es muss darum ge- hen, Infrastruktur zu schaffen, die wirklich ein soziales (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 13636 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

(A) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen: Jetzt anfangen! Sie müssen einen Plan zum (C) NEN): Kohleausstieg vorlegen und ihn an die Strukturhilfen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle koppeln. Es geht doch nicht, dass man das eine macht reden vom Klima, gestern, heute, stundenlang. und das andere lässt. Worauf alle warten, ist doch: Die dreckige Luft muss beseitigt werden. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie auch!) ( [AfD]: Wo ist denn die Ja, ich auch, ganz bestimmt; darauf können Sie sich dreckige Luft, außer bei Ihnen am Rednerpult?) verlassen. Ihre Aufgabe, Herr Altmaier, ist es, für sauberen Strom zu Was der Politik fehlt, was dem Haushalt fehlt, ist nicht sorgen und nicht nur einen Windgipfel abzuhalten, bei Erkenntnis, ist nicht Bekenntnis, ist auch, Frau Merkel, dem zwar Wind, aber keine Regelungen rauskommen. nicht Einordnung, sondern es ist: endlich Ergebnisse, endlich handeln; das ist, was fehlt. Hören Sie auf, immer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nur zu reden – tun Sie endlich was! Wir brauchen endlich: den Deckel weg bei den er- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neuerbaren Energien! Wir brauchen nämlich jedes Watt, wir brauchen jedes Grad Einsparung, und wir brauchen Der Zwischenruf von Jürgen Trittin – ich will es hier jeden Monat; deswegen ist es so dringlich, dass Sie end- noch einmal sagen – war: Wer hat denn 14 Jahre lang lich anfangen. nichts gemacht? – Das ist das eine. Über den Verkehrsminister habe ich noch nicht gere- Er hat nämlich recht: 14 Jahre lang Stillstand, insbeson- det. Wir hätten gerne mal einen, der will und kann oder dere beim Klimaschutz. kann und will, je nachdem. (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Wir hätten die (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was?) Klimaschutzziele erreicht, hat uns die Bundes- kanzlerin doch gesagt!) Ein Fünftel der CO2-Verschmutzung kommt aus dem Ver- Das andere ist aber: Sie haben hier gestanden und eine kehrsbereich. Was wir da haben, ist Dieselskandal, ist sehr dringliche Rede gehalten. Wenn ich Ihre Prognose, Mautskandal, ist aber kein Handeln. Wo ist denn die Ini- wenn ich Ihre Dringlichkeit, wenn ich Ihre Vorschläge tiative für die Bahn? Wo ist denn die Initiative für den sehe, aber gleichzeitig auch sehe, dass vielleicht nur fünf öffentlichen Nahverkehr? Leute in der Union geklatscht haben, dann mache ich mir ( [CDU/CSU]: Alles da!) wirklich Sorgen ums Klima, und dann mache ich mir auch (B) sehr viele Sorgen um Ihr Klimakabinett, meine Damen Wo sind die versprochenen Elektroautos? Alles das haben (D) und Herren. wir nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Haben wir natürlich!) Vielleicht zur Erinnerung. Das Jahr 2018 war schon ein 2-Grad-Jahr, genau so, wie wir es 2100 nicht überschrei- Und ein Verkehrsminister, der sich verstrickt hat, kriegt ten wollen. Es gab eine große Dürre, wir hatten Wald- noch nicht mal hin, für die Sicherheit in Deutschland brände hier, da schmolzen der Permafrostboden und die einen Abbiegeassistenten für Lkws festzulegen. Arktis. Dieses Jahr ist die Grundlage für das, was wir als Best Case erreichen wollen. Das, was Sie gerade ma- (Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Das ist nicht chen – besser: das, was Sie gerade nicht machen –, ist wahr, und Sie wissen das!) das Zusteuern auf den Worst Case. Das ist die große Be- Das ist doch ein Armutszeugnis sondergleichen. drohung, die wir haben, und sie geht eben leider auch direkt von hier aus, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sie wissen, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) es nicht wahr ist!) Jeder und jede weiß: Das Zeitfenster, in dem wir noch Frau Klöckner, Sie könnten auch mal so richtig was etwas tun können, wird immer kleiner. Ihr Kabinett er- machen, so richtig was für den gesunden Wald. Man leben wir gerade so: Der Energieminister „plädiert“, der könnte dort tatsächlich Millionen Tonnen CO2 binden. Verkehrsminister „fordert“, die Umweltministerin Dazu gehört eine Kleinigkeit: Sie sollten den Wald nicht „dringt“, die Landwirtschaftsministerin „klagt“ sogar nur als eine Ansammlung noch nicht gesägter Bretter be- „an“. trachten; das wäre das eine. (Stephan Brandner [AfD]: Die Grüne labert!) Was Sie zum anderen nicht machen sollten, Frau Ich will sehen, dass Sie „machen“. Dieser Haushalt, das, Klöckner: Sie sollten nicht auf Herrn Lindner hören. Herr was Sie hier vorgelegt haben und was dann irgendwie Lindner hat heute hier über den Borkenkäfer gesprochen. noch beraten werden soll, ist eine doppelte Null, nämlich Der Borkenkäfer, Herr Lindner – vielleicht unterhalten kein Plan und kein Geld. Das kann sich das Klima nicht Sie sich mal mit denen, die ein bisschen Ahnung haben –, leisten, meine Damen und Herren. ist ein Resultat auf der einen Seite von Holzplantagen und auf der anderen Seite von Dürre. Bei Ihrer Art von Wald- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) politik und Ihrer Kenntnis: Da fürchten sich ja Rotkäpp- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13637

Katrin Göring-Eckardt (A) chen und der Wolf gleichzeitig; das ist doch furchtbar, Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (C) was Sie hier geliefert haben. Frau Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hocker, FDP? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Da lade ich Sie zu Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einem öffentlichen Duell darüber ein, wer mehr NEN): Ahnung hat!) Aber sehr gerne. Bitte schön. Ja, das können wir gerne machen, Herr Lindner. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Christian Lindner [FDP]: Gern! Bitte sehr, Herr Kollege. Einverstanden!) Wir können gern über die Frage ins Duell gehen, was Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): eigentlich für den Wald notwendig ist. Vielen Dank, Frau Göring-Eckardt, dass Sie diese Zwi- schenfrage zulassen. – Sie haben eben ausgeführt, dass (Christian Lindner [FDP]: Jawohl! Sehr gut! – Landwirtschaft – so Ihre Aussage – die Landschaft in Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frau Deutschland zerstört. Ich möchte Sie fragen, ob Sie wirk- Kollegin, machen Sie den Jagdschein! Dann lich bei dieser Aussage bleiben wollen; können Sie mit ihm mithalten!) ( [CDU/CSU]: Unglaublich!) Aber ich bleibe noch mal bei Frau Klöckner, weil Frau denn ich bin der festen Überzeugung, dass es in Deutsch- Klöckner sich ja immer so gut gefällt als die erste Reprä- land keine besseren Landschaftsschützer gibt als unsere sentantin der Agrarlobby und weil Sie, Frau Klöckner, Landwirte. Möchten Sie tatsächlich bei dieser unerträgli- sich immer hinstellen und sagen: Gerade die Klimaschüt- chen Haltung bleiben? zer würden spalten. – Das Gegenteil ist der Fall. Was Sie machen, ist Spalterei. Fakt ist: Ihre Politik des „Immer Vielen Dank. mehr“ und „immer billiger“ zwingt die Bauern und Bäue- rinnen doch dazu, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der AfD) (Stephan Brandner [AfD]: Die Bäuerchen nicht vergessen!) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (B) die Landschaft zu zerstören, Arten zu vernichten, das (D) Was wir erleben – genau darum ging es mir –, ist, dass Wasser zu verseuchen oder sogar den Hof, wenn er nicht Landwirtinnen und Landwirte genau das wollen, dass sie groß genug ist, aufzugeben. Sorgen Sie endlich dafür, sich für Artenschutz einsetzen, dass sie Blühstreifen an- dass Land-wirt-schaft gemacht werden kann. Sorgen Sie legen. Das erleben wir in Deutschland. endlich dafür, dass Ökologie und Landwirtschaft mit ei- ner Zunge sprechen, und bringen Sie nicht immer alle (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das gegeneinander auf. haben Sie vergessen zu erwähnen!) Nein, es geht nicht um Stadt und Land gegeneinander, Und das sind nicht nur die Ökobauern, sondern gerade es geht darum, dass man eine gemeinsame Zukunft baut auch die konventionellen Bauern. mit anständiger Landwirtschaft, mit weniger Gift, ohne Was ich gesagt habe, ist: Wenn wir bei der alten Art der Nitrat im Grundwasser – das ist doch unsere Aufgabe; das Förderung von Landwirtschaft bleiben, müsste Ihre Aufgabe sein, Frau Klöckner, für die Men- schen und fürs Klima. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das haben Sie nicht gesagt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn wir eine Landwirtschaftsministerin haben, die ge- Diese Woche reden wir ja vor allen Dingen über Geld. rade nicht umsteuert, die nicht dafür sorgt, dass weniger Wir sind aber tief, wir sind verdammt tief im Dispo der Ackergift auf die Felder kommt, Natur. Und die Zukunft, Herr Scholz, die gibt es nicht (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das haben Sie zum Nulltarif. Hören Sie auf, diese Monstranz vor sich nicht gesagt!) herzutragen! Das ist vollkommen sinnlos. Wir brauchen doch endlich Klimabeschlüsse, die auch Investitionen be- die nichts dagegen tut, dass wir immer mehr Nitrat haben, inhalten, und diese Investitionen verheiraten die Ökono- mie und die Ökologie. Wir wissen alle: Wir sind gerade in (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben einer Situation, wo vielleicht noch keine Rezession be- alle Landwirte beschuldigt! Das war doch Ihre vorsteht, aber zumindest eine Eindunkelung der Wirt- Aussage!) schaft. – Wie klug wäre es da, zu sagen: „In genau diesem dann passiert genau das Gegenteil, und zwar nicht, weil Augenblick brauchen wir große Investitionen, brauchen die Bäuerinnen und Bauern es so wollen, sondern weil es wir viele Investitionen“! Dann machen Sie es doch ein- die falsche Politik ist. Darum geht es. Deswegen brau- fach, und tragen Sie nicht die schwarze Null vor sich her, chen wir eine andere Landwirtschaft mit den Bäuerinnen so wie dem Esel die Möhre vorgehalten wird. und Bauern; das ist doch klar. 13638 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Katrin Göring-Eckardt (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht baut. Gestern haben Sie sich hier gebrüstet, Sie (C) [CDU/CSU]: Sie haben keine würden doch etwas machen. Ja, aber doch nicht mit Ahnung! Keine Ahnung! Man sollte über nichts dem Nachdruck, nicht mit der Vehemenz, die tatsächlich reden, wovon man keine Ahnung hat!) notwendig ist. Meine Damen und Herren, die Investitionen sind in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tat dringend notwendig, wir müssen Spielräume nutzen. Wir haben Ihnen einen Vorschlag dazu gemacht, wie man Liebe Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn ich mir Ihr es schaffen kann, die Schuldenbremse – nicht aufzuge- Sonntagsinterview anschaue, frage ich mich wirklich: ben, aber sie zu reformieren und tatsächlich zu investie- Was hat Sie eigentlich geritten? Bei der Frage, was Sie ren. Um was es geht, ist hier oft gesagt worden: raus aus gegen die soziale Spaltung tun wollen, war Ihre Antwort, dem Korsett; in die Schiene, in Erneuerbare, Gebäude- man möge sich doch um Wohneigentum bemühen, nach sanierung, Forschung, Glasfaser investieren, übrigens dem Motto „Kümmert euch doch selber, und esst Ku- auch in so etwas Kleines wie mehr Stadtgrün, Bäume, chen“. Ich glaube, dass die meisten Menschen in Trinkbrunnen. Ganz Deutschland gießt gerade Stadtbäu- Deutschland, besonders diejenigen, die in Armut leben, me. Was machen Sie? Sie kürzen sogar beim Stadtgrün- das eher zynisch finden denn als Angebot von Ihrer Seite. Programm. Ich frage mich, wer an diesem Haushalt ei- gentlich gesessen hat und versucht hat, etwas Vernünft- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) iges hinzukriegen. Frau Merkel, Sie haben hier sehr ausführlich über die gleichwertigen Lebensverhältnisse gesprochen. Ja, das Die CDU-Parteivorsitzende möchte jetzt gerne eine steht im Grundgesetz; aber es ist nicht so. Es gibt diese Abwrackprämie für Ölheizungen. Gleichzeitig kriegt Orte, wo es keine Ärztinnen und Ärzte, keinen Bus und man immer noch 3 000 Euro Steuergeld pro Heizung. keinen Balken auf dem Handy gibt. Sie fühlen sich aber Das ist doch vollkommen gaga! Sie müssen sich mal ent- nicht abgehängt; sie sind ganz real abgehängt. Das wäre scheiden, was Sie wollen, und Sie müssen die Sache auch die erste Erkenntnis, die man braucht. Ich finde es sehr mal durchdringen! gut, sich um die Ehrenamtlichen, das bürgerschaftliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Engagement zu kümmern. Aber was diese Menschen brauchen, ist eine Garantie, eine Garantie für Gesund- Deswegen: Dieses Investieren, Herr Lindner, ist Aus- heitsversorgung, eine Garantie dafür, dass schnelles Inter- druck der Generationengerechtigkeit, über die wir heute net da ist, und eine Garantie für Mobilität, damit klar und reden müssen. Weil es zu einer Win-win-Situation führt, eindeutig ist: Jede und jeder, die bzw. der auf dem Land weil die Schulden, die wir heute machen, das ist, was wir lebt, weiß, dass der Bus kommt, dass die Ärztin kommt (B) in Zukunft an Schulden und noch höheren Kosten nicht und dass das schnelle Internet im Übrigen noch dafür (D) verursachen müssen. Das sagt Ihnen jeder Rückversiche- sorgt, dass man auch dort einen Job machen kann und rer. Vielleicht sollten Sie mal mit denen darüber sprechen, nicht in die Stadt pendeln muss. was es heute eigentlich bedeutet, zu investieren. Alle Wirtschaftsverbände sagen das ganz klar, und alle warten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darauf. Und worauf warten die noch? Sie warten nicht auf ein Klimakabinett, das irgendwelche Vorschläge macht; Was mich aber noch mehr umtreibt – ich hoffe sehr, sie warten darauf, dass es endlich klare Rahmenbedin- dass auch Sie das aufgeweckt hat –, ist, dass in Regionen, gungen gibt, dass es Verlässlichkeit gibt, dass es kein die besonders abgehängt sind, die demokratiefeindlichen Hin und Her mehr gibt, damit alle wissen: Wir strengen Einstellungen zugenommen haben, wie man bei den uns bei den Investitionen in den Klimaschutz jetzt alle Wahlen in Brandenburg und Sachsen sehen konnte. Wenn an. – Das ist doch die Perspektive. Menschen das Vertrauen in den Staat und seine Institutio- nen verlieren, ist das eine große Gefahr für unser Land. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber es ist keine Entschuldigung, rechtsradikal zu wäh- len, nur weil der Bus nicht fährt, meine Damen und Her- Meine Damen und Herren, man muss schon sagen: Sie ren. haben die Zeit in den letzten guten Jahren nicht genutzt, auch nicht für eine Kindergrundsicherung, die wirklich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen Armut hilft. Wir haben immer noch Alleinerzie- sowie bei Abgeordneten der SPD) hende in diesem Land, die nicht wissen, wie sie das Ende des Monats überstehen sollen oder wie die Klassenfahrt Frau Weidel, Sie haben hier heute Morgen wieder mit eigentlich zu bezahlen ist. Das hat mit Würde nichts zu Ihren Attacken auf die freien Medien, mit Ihrem Verdre- tun. Es hat auch nichts mit Würde zu tun, dass Sie wie in hen der Tatsachen, mit Ihrer Hetze, mit Ihrer Verachtung einem Pingpongspiel ständig über die Grundrente reden. für unser Land angefangen. Machen Sie doch endlich mal eine Garantierente! (Jürgen Braun [AfD]: Für freie Medien, Frau (Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD]) Göring!) Sorgen Sie dafür, dass Menschen keine Angst mehr vor All das ist das genaue Gegenteil dessen, wofür wir in Armut im Alter haben! Ostdeutschland vor 30 Jahren auf die Straße gegangen sind. Oder zum sozialen Wohnungsbau. Wir haben einen Heimatminister, der zulässt, dass Familien sich ihre Hei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mat nicht mehr leisten können, weil er als Bauminister sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13639

Katrin Göring-Eckardt (A) Es ist das genaue Gegenteil dessen, was ein westdeut- Sie die Rede mit Özdemir abgestimmt? Was (C) scher Geschichtslehrer behauptet. Damals ging es um sagt Cem Özdemir zu Ihrer Rede?) Freiheit und Demokratie. Ihnen geht es heute um nichts Ich will Ihnen am Schluss ein Angebot machen. Wenn anderes als Unterwandern und Zerstören. Die Mehrheit in Sie am 20. September hier etwas vorlegen, was wirklich diesem Land will und wählt Ihre Zwietracht nicht. Das ambitioniert ist, wenn Sie hier etwas vorlegen, was wirk- sollten Sie wissen; das sollten Sie ganz genau wissen, lich hilft, die Klimaziele einzuhalten, und wenn Sie sofort meine Damen und Herren. damit anfangen, dann sind wir bereit, mit Ihnen darüber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- zu verhandeln. wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh, wie KEN – Jürgen Braun [AfD]: Über 90 Prozent in großzügig!) Sachsen wählt Sie nicht!) Wir sind bereit, mit Ihnen nach guten Lösungen zu su- Dabei muss eines an alle Demokratinnen und Demo- chen; wir haben dafür sehr viele Vorschläge. Und Sie kraten gesagt werden: Wachsam sein im Alltag! Die Wahl wissen: Wir verhandeln verdammt hart. eines NPD-Manns zum Ortsvorsteher zeigt mir jeden- falls, wie dünn unsere demokratische Decke mancherorts (Stephan Brandner [AfD]: Mit Ihnen will kei- ist. ner verhandeln! Mit Ihnen will keiner regie- ren!) Wenn die AfD gemeinsame Sache mit der Union macht, inzwischen in mindestens 18 Orten der Republik, Wenn Sie möchten, dann reden wir hier im Parlament dann ist das hochgefährlich. darüber, genau hier, nicht in anderen Runden, auch nicht in irgendwelchen Konsensrunden. Genau hier könnten (Beatrix von Storch [AfD]: Das waren die an- wir eine Mehrheit für den Klimaschutz, für die Bewälti- deren! Das machten die CDU, die SPD und die gung der Klimakrise in diesem Land schaffen. FDP! Das ist jetzt wirklich flach! – Weitere Zurufe von der AfD) (Stephan Brandner [AfD]: Sie können gar nichts!) Diese Biedermänner vor Ort sind die Brandstifter unserer Demokratie. Ja, besonders Sie am rechten Rand hier sind Es ist an der Zeit: Handeln, jetzt! Das ist die Aufgabe, vor die Brandstifter. Deswegen werden wir auch alles dafür der wir alle stehen. tun, dass das nicht gelingt. Nein, Sie werden nicht die Vielen Dank. Demokratie unterwandern können. Nein, Sie werden die- ses Land nicht zerstören können. Dafür sorgen wir Demo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) kratinnen und Demokraten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Vizepräsident : wie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun Vielen Dank, Frau Kollegin Göring-Eckardt. – Als [AfD]: Schlimmer geht’s nimmer!) Nächster erhält das Wort der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der Kollege Ralph Brinkhaus. Meine Damen und Herren, ein Blick über den Teller- rand zeigt: Nicht nur wir sehen den Rückzug ins Natio- (Beifall bei der CDU/CSU) nale bis zum Leugnen der Klimakrise. Die Gefahr kommt genau von dort, von den Nationalen, von den Spaltern. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor rund (Stephan Brandner [AfD]: Frau Göring, Sie er- 70 Jahren hat der Deutsche Bundestag das erste Mal ge- zählen nur Unsinn! Wissen Sie das? Wann ist tagt; denn Ihre Redezeit endlich um?) (Stephan Brandner [AfD]: Sie erinnern sich Trump sperrt mexikanische Kinder ein. Bolsonaro zünd- noch, oder?) elt an der Lunge der Erde. Orban baut kompromisslos an seiner illiberalen Demokratie. Unsere europäischen darüber haben wir wenig geredet in den letzten Tagen. Nachbarn machen es inzwischen alleine, sowohl was Wenn man die Zeit Revue passieren lässt und sich über- die Klimaziele angeht als auch was den Iran oder das legt, vor welcher Herausforderung die Kolleginnen und Mercosur-Abkommen angeht. Kollegen damals gestanden haben – ein Land, das in phy- sischen und moralischen Trümmern gelegen hat, eine (Jürgen Braun [AfD]: In Wirklichkeit mag die große Unsicherheit –, dann kann man wirklich sagen: Grünen niemand! Wissen Sie das?) Ja, jede Generation hat ihre große Herausforderung. Es kann doch nicht sein, dass wir auch noch ein Handels- – Damals sind mutige Entscheidungen getroffen worden: abkommen unterzeichnen, das dafür sorgt, dass Bolsona- Westbindung, auch die Wiederbewaffnung, Herr ro, der den Regenwald anzündet, auch noch Unterstüt- Mützenich, der Weg zum gemeinsamen Europa, die so- zung bekommt, meine Damen und Herren. ziale Marktwirtschaft. Unsere Vorgänger haben sich da- mals enorm darum gestritten, teilweise auch sehr, sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- hart. Aber am Ende des Tages ist eines dabei herausge- wie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LIN- kommen, zumindest nach einigen Jahren: Das, was da- KE] – Beatrix von Storch [AfD]: Wo ist denn mals vereinbart worden ist, war gesamtgesellschaftlicher der Hofreiter? – Jürgen Braun [AfD]: Haben Konsens. 13640 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Ralph Brinkhaus (A) Blicken wir auf die letzten 70 Jahre. Ende der 60er- auch um Artenschutz, es geht um Kreislaufwirtschaft. Es (C) Jahre gab es eine Aufbruchbewegung, damals unter Willy geht um ganz viele Dinge, bei denen wir im Übrigen gar Brandt: Aufbruch in der Bildung, Aufbruch in der Ost- nicht so schlecht waren oder zumindest einiges auf den politik. Auch darum ist hart gerungen und hart gekämpft Weg gebracht haben. Aber es geht natürlich auch um das worden. Meine Fraktion war damals nicht der Meinung Thema Klima; das ist doch klar. der SPD. Und trotzdem war das, was nach dieser Aus- einandersetzung beschlossen worden ist, allgemeiner Während der Rede der Kanzlerin ist hier im Plenum die Konsens. 1990 hatten wir die Wiedervereinigung. Auch Frage nach der Urheberschaft aufgekommen, die Frage, da ist hart gerungen worden, und es waren sich nicht alle wer sich denn zuerst darum gekümmert hat. Ich könnte einig über den richtigen Weg. Und auch da hatten wir auch in diesen Chor einstimmen und fragen: Wer hat denn nach hartem Ringen in diesem Deutschen Bundestag, in das Pariser Klimaschutzabkommen gemacht? Wer hat die diesem Parlament einen gesamtgesellschaftlichen Kon- entsprechenden Vereinbarungen auf europäischer Ebene sens. getroffen? Wer hat das im Bundestag zur Ratifizierung gebracht? – Das waren unionsgeführte Bundesregierun- Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, dass gen. alle großen Auseinandersetzungen, die wir geführt haben, wenn wir sie so geführt haben, dass wir darauf aus waren, (Beifall bei der CDU/CSU) wirklich das Beste für das Land zu wollen, obwohl wir Aber Schwamm drüber! Nützt ja nichts. unterschiedlicher Meinung waren, dazu geführt haben, dass das Land nicht gespalten war, sondern dass das Land Wir haben im Übrigen viel erreicht. Wir sind im Be- einen Schritt weitergekommen ist, dass unsere Gesell- reich der regenerativen Energien gar nicht so schlecht. schaft ein Stück weitergekommen ist, dass wir besser ge- Wir haben auch in anderen Bereichen große Fortschritte worden sind. Meine Damen und Herren, es ist jetzt die erzielt. Aber da beißt die Maus keinen Faden ab: Wir große Chance im Hinblick auf die Herausforderungen werden ein Ziel nicht erreichen, nämlich die vereinbarte unserer Generation, wie zum Beispiel den Klimawandel, Reduktion der klimaschädlichen Gase bis 2020. Und dass wir, wenn wir es richtig machen, wenn wir hart rin- seien wir ehrlich: Wenn wir so weitermachen, werden gen, besser herauskommen, als wir hineingegangen sind, wir dieses Ziel auch bis 2030, 2040 und 2050 nicht er- mit einer besseren Gesellschaft, mit einer besseren Wirt- reichen. Deswegen ist es auch absolut richtig, wenn junge schaft, und dass wir viel erreichen. Menschen, aber auch andere auf die Straße gehen und sagen: Ihr habt das damals versprochen. Haltet es auch! – (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sie regieren seit Es ist auch mein Verständnis von konservativer Politik, 14 Jahren!) das, was man verspricht, auch zu halten. (B) (D) Das sollte doch der Anspruch sein bei allen Widersprü- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. chen, die wir hier haben. [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Insofern ist es richtig, dass wir uns momentan so intensiv Abgeordneten der SPD) mit diesem Thema beschäftigen, viel intensiver, als das in Ich habe gesagt: Jede Generation hat ihre Herausforde- der Vergangenheit der Fall war. rungen. Wir haben auch unsere Herausforderungen. Ich Es sind viele Lösungsvorschläge gemacht worden. Ich warne aber davor, diese jetzt nur, obwohl es unglaublich teile die Auffassung, dass am Ende des Tages eine markt- wichtig ist, auf das Thema „Umwelt und Klima“ zu redu- gerechte Bepreisung von CO2 der Königsmechanismus zieren. Wir müssen auch über andere Dinge sprechen. Wir ist, um diese Sache zu wuppen. Aber wir dürfen eines haben die Tendenz zum seriellen Alarmismus: Es gibt nicht vergessen: Am Anfang steht immer die Eigenver- immer ein Thema, das ganz besonders wichtig ist. Da antwortung eines jeden Einzelnen, etwas für den Klima- stürzt sich dann alles drauf, und dann vergessen wir viel- schutz zu machen. leicht das eine oder andere Thema. – Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass wir die Klimaziele nicht so im (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Auge gehabt haben, wie wir sie hätten haben müssen. Absolut!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deswegen müssen wir die Menschen für dieses Projekt gewinnen. Wir werden die Menschen für dieses Projekt Ich möchte heute über drei Herausforderungen spre- aber nicht gewinnen, wenn wir uns in unserer Diskussion chen, die wir vor der Brust haben und die in der Rede nur auf die Bepreisung von CO2 stürzen. Vielmehr müs- der Bundeskanzlerin, aber auch verteilt über die Fraktio- sen wir den Menschen, so wie es die Bundeskanzlerin nen in der einen oder anderen Rede angeklungen sind. gesagt hat, die Möglichkeit geben, ein klimaneutrales Le- Die erste betrifft natürlich das Thema Nachhaltigkeit. ben zu führen. Da sind wir als Staat gefordert. Dafür Ich sage ganz bewusst „Nachhaltigkeit“; denn Nachhal- müssen wir den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Dafür tigkeit ist mehr als Umwelt und mehr als Klima. Zur müssen wir Möglichkeiten für Elektromobilität schaffen. Nachhaltigkeit gehören auch finanzielle Solidität, Infra- struktur und viele andere Sachen. (Stephan Brandner [AfD]: Was ist denn ein klimaneutrales Leben, Herr Brinkhaus?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dafür müssen wir, auch wenn das immer kleingeredet Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltpolitik; Umweltpoli- wird, die Möglichkeit schaffen, dass die Menschen ihre tik ist im Übrigen auch mehr als Klimapolitik. Es geht Ölheizungen ersetzen, und zwar auch auf dem Land. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13641

Ralph Brinkhaus (A) (Stephan Brandner [AfD]: Um Gottes willen! und Kollegen viel unterwegs gewesen. Wenn ich mir an- (C) Was für ein Blödsinn!) gucke, welche Absurditäten wir mittlerweile bei den Pla- Das ist auch eine Frage von Stadt-Land-Gerechtigkeit. nungsverfahren in Deutschland haben, muss ich sagen: So kommen wir nicht weiter, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage noch einen Satz, der ganz wichtig ist: Indivi- Der Kollege Lindner hat gesagt – ich gehe einmal da- duelles Wohl und Gemeinwohl müssen immer in der Ba- von aus, dass er es nicht so gemeint hat –: Na ja, wenn das lance sein; das ist überhaupt keine Frage. Aber ich habe international nicht gemacht wird, dann habt ihr mit eurer momentan das Gefühl, dass das Gemeinwohl an Balance Moral zwar recht, aber ihr habt nichts erreicht. – Der verliert. Wenn wir mit den Planungsverfahren bzw. bei Kollege Bartsch hat das auch angesprochen. Meine Da- unserer Vorhabenplanung so weitermachen, dann werden men und Herren, ich möchte an dieser Stelle mal einen wir in diesem Land nicht weiterkommen. Niemand will Satz sagen: den Bürgern Beteiligungsrechte nehmen, niemand will den Bürgern Klagerechte nehmen, aber es kann nicht sein, (Stephan Brandner [AfD]: Aber nur einen!) dass große Projekte, die für dieses Land wichtig sind, Es gibt Situationen in der Politik, in denen es ganz egal kaputtgeklagt werden. ist, was die anderen machen, in denen man einfach das Richtige machen muss. Und im Klimabereich müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei jetzt das Richtige machen. Ich glaube auch, dass dann Abgeordneten der SPD und der FDP) genau das passieren wird, was der Kollege Lindner ange- Wenn wir über die Entfesselung der Wirtschaft spre- sprochen hat. chen, dann müssen wir auch darüber sprechen, dass wir – das sage ich ganz offen – mittlerweile ein absurdes Ver- (Stephan Brandner [AfD]: Wann hört der Satz gabe- und Ausschreibungsrecht haben. Wenn mir eine denn auf?) Bürgermeisterin, die eine europaweite Ausschreibung Wenn wir das Richtige machen und insbesondere auf machen muss, weil sie dazu gezwungen ist, erzählt, dass Innovation und Technologie setzen, dann können wir hier sie 50 000 Euro für Rechtsanwaltskosten aufwenden in Deutschland Lösungen anbieten, die auch der ganzen muss, dann muss ich sagen: Es läuft irgendetwas falsch Welt weiterhelfen können. in diesem Land. Damit bin ich gleich beim zweiten Thema, das eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- genauso große Herausforderung ist: Innovationen und neten der SPD und der FDP und des Abg. Technologien, die der Welt weiterhelfen können, Techno- Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]) logien und Innovationen, die unsere Wirtschaft in die (B) Und wenn es so ist, dass in Ausschreibungsverfahren die (D) nächsten Jahrzehnte tragen können; denn auch darum Interessen derjenigen, die an den Ausschreibungen teil- geht es. Es wird momentan gesagt – je nachdem, mit nehmen, wichtiger sind als die Tatsache, dass Projekte zu wem man spricht –, dass wir vor einer konjunkturellen einem Ende gebracht werden, dann läuft auch hier etwas Rezession bzw. einer technischen Delle stehen. Wir ha- falsch in diesem Land. ben in der Wirtschaft aber keine konjunkturelle Heraus- forderung zu bestehen, sondern eine strukturelle Heraus- Lassen Sie uns das Ganze weiterspinnen. Wir könnten forderung. viele andere Sachen nehmen, zum Beispiel den Daten- schutz. Auch da haben wir entsprechenden Nachholbe- (Christian Lindner [FDP]: Endlich sagt es mal darf. einer!) Die Wirtschaftsstrukturen, so wie wir sie kennen, werden Wir können die Wirtschaft entfesseln. Ja, Herr Lindner, in 10 oder 20 Jahren nicht mehr die gleichen sein. Das hat ein Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass wir ein mo- nichts damit zu tun, dass wir in der Automobilindustrie dernes Unternehmenssteuerrecht bekommen, aber nicht, andere Antriebsstränge entwickeln. Das hat etwas mit wie Sie es vielleicht meinen, indem wir Steuerdumping verändertem Verbraucherverhalten, mit autonomem Fah- machen, sondern indem wir wettbewerbsgerecht sind und ren und vielem anderen zu tun. Der Einzelhandel wird ein Steuerrecht haben, das im europäischen und weltwei- sich durch die Plattformökonomie verändern. ten Vergleich so gestaltet ist, dass unsere Unternehmen gerne bei uns arbeiten. (Jürgen Braun [AfD]: Das hat was mit Ihrer kaputten Politik zu tun!) (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Lindner [FDP]: Was soll denn so ein doofer Tiefschlag? Auch die Industrie und die Verwaltung werden sich ver- Das ist doch unter Niveau, uns Dumping zu ändern. Wir als Staat müssen die Rahmenbedingungen unterstellen! Wir haben das bei Apple in Irland schaffen, um genau das zu ermöglichen. Die Wirtschaft unterbunden! Frau Vestager!) muss die Veränderungen am Ende des Tages selbst voll- ziehen, aber wir müssen die Rahmenbedingungen dafür Es geht nicht nur um das Thema Wirtschaft, sondern schaffen. auch um das Thema Außen- und Sicherheitspolitik. Ich bin sehr froh, dass die Bundeskanzlerin und der Frak- Dabei ist mir eines wichtig: Wir müssen die Fesseln, tionsvorsitzende der SPD sich diesem Thema so ausführ- die wir der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten angelegt lich gewidmet haben. Ich glaube, wir wissen gar nicht, haben, wieder lockern. Wir brauchen ein Entfesselungs- wie es momentan in dieser Welt aussieht. Wir sind hier in gesetz. Ich bin im Sommer wie alle anderen Kolleginnen unserer bundesdeutschen Echokammer und diskutieren 13642 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Ralph Brinkhaus (A) viele Dinge, die wichtig sind, teilweise auch Dinge, die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) nicht so wichtig sind. Aber die Welt um uns herum hat Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. – Als nächster sich verändert. Ob das nun China ist, ob das die Verein- Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Alexander igten Staaten sind; es gibt noch viel mehr Konflikte. Aber Gauland, AfD-Fraktion. eines ist richtig, meine Damen und Herren, liebe Kolle- ginnen und Kollegen: Wenn wir als Europäer – ich sage (Beifall bei der AfD) ganz bewusst „Europäer“, weil wir als Europäer zusam- menarbeiten müssen – nicht aufpassen, dann werden wir Dr. Alexander Gauland (AfD): zwischen den Blöcken China und Vereinigte Staaten ein- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir glau- geklemmt. Deswegen tun wir gut daran, wenn wir mehr in ben, der gestrigen Haushaltsrede von Herrn Minister unsere Außenpolitik – und zur Außenpolitik gehört die Scholz entnehmen zu dürfen, dass ein Paradigmenwech- Sicherheitspolitik – investieren. Ich bin nachhaltig der sel in der Regierung stattgefunden hat. Der Bundesfi- Meinung, dass es eine Frage unserer internationalen Ver- nanzminister hat erklärt, warum es richtig ist, dass lässlichkeit und Glaubwürdigkeit ist, dass es eine Frage Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigt und des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten ist und mittelfristig dem Verbrennungsmotor Ade sagt, obwohl dass es eine Frage der Vertretung unserer eigenen Interes- anderswo massenweise das exakte Gegenteil passiert. sen ist, eine starke Bundeswehr zu haben, die gut ausge- „Weil wir es können“, hat Herr Scholz gesagt. Das ist stattet ist, und dafür auch das Geld aufzuwenden, das wir jetzt wahrscheinlich die neue offizielle Parole, nicht mehr versprochen haben. „Wir schaffen das“, sondern „Wir können das“.

(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Warum ist Napoleon nach Moskau marschiert? Weil er Wenn ich diese drei großen Herausforderungen zusam- es konnte. Warum hat Walter Ulbricht die Mauer gebaut? mennehme – Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit auf der ei- Weil er es konnte. Wir verstehen, lieber Herr Scholz. nen Seite, die Zukunft der Wirtschaft und vor allen Din- gen Technologie und Innovation auf der anderen Seite –, (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) und wenn wir als deutscher Staat wollen, dass wir in der Deutsch sein heißt bekanntlich: Eine Sache um ihrer Welt und in Europa einen Platz haben, dass man auf uns selbst willen tun. Herr Scholz hat das einmal mehr be- schaut –, dann kann ich nur sagen: Wir haben sehr viel vor stätigt. Denn was bedeutet seine Aussage anderes als: uns. „Wir würden auch dann aussteigen, wenn es nichts bringt“? Aber was soll es eigentlich bringen? Für das (B) Jetzt komme ich wieder zurück zu 1949, 1969 und Weltklima ist Deutschland keine besonders relevante (D) 1990. Ich denke, wir haben jetzt eine große Chance. Inso- Größe. Es geht hier offenbar um Symbolik. 1945 waren fern, Frau Göring-Eckardt, nehme ich Ihr Angebot und wir der Teufel der Welt. Heute wollen wir die Engel des das der anderen Parteien gerne an, weil wir ja zumindest Planeten sein, das leuchtende Vorbild. fast alle eine gewisse Übereinstimmung hinsichtlich des Ziels haben, wie wir mit genau diesen Herausforderungen (Beifall bei der AfD) umgehen wollen. Ich glaube, das ist unglaublich wichtig. Der Chef der Deutschen Energie-Agentur, dena, Denn wenn wir das nicht in einem gesamtgesellschaft- Stephan Kohler, erklärte einmal chinesischen Managern lichen Konsens machen, wenn wir über diese Herausfor- das Fördersystem für die erneuerbaren Energien. Unter derungen diese Gesellschaft spalten, wenn wir Gewinner anderem führte er aus, dass deutsche Windstromerzeuger und Verlierer haben, wenn wir Leute haben, die sagen: sogar Geld für Strom bekommen, der nie produziert wur- „Ich kann mit dieser Sache nichts mehr anfangen“, und de. Einer der Chinesen, so Kohler, sei in der Pause zu ihm andere, die sagen: „Es geht mir nicht schnell genug“, gekommen und habe gesagt: Interessant, aber kein Vor- dann werden wir nicht vorankommen. Wir können ange- bild. – Sie kennen alle den Spruch: Das interessiert mich sichts dieser Herausforderungen nur vorankommen, ungefähr so viel, als ob in China ein Sack Reis umfällt. – wenn wir alle Menschen mitnehmen, wenn wir das nicht Im Reich der Mitte könnte sich der komplementäre gegen die Menschen machen, sondern mit den Menschen. Spruch einbürgern: Das interessiert mich ungefähr so viel, als ob in Deutschland ein Kohlekraftwerk vom Netz Sie alle vertreten unterschiedliche Facetten dieses geht. Landes. Dementsprechend kann ich Sie nur aufrufen: Lassen Sie uns beim Klima anfangen und bei Wirtschaft (Heiterkeit und Beifall bei der AfD) und Außenpolitik weitermachen. Lassen Sie uns versu- Meine Damen und Herren, die erste Hälfte dieser Le- chen, diese Herausforderungen gemeinsam zu lösen, so gislaturperiode liegt hinter uns. An solchen Zeitschwellen wie das in den vergangenen 70 Jahren war. Das hat uns ist es üblich, Zwischenbilanz zu ziehen. Ich frage: Wo ist von vielen anderen Ländern dieser Welt unterschieden, Deutschland spitze und wo nicht? Unangefochten europä- das hat diese Bundesrepublik Deutschland stark gemacht. ische Spitze ist Deutschland beim Strompreis, und bei der Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch in Zukunft sein Höhe der Steuern sind wir immerhin Zweiter. Ganz weit werden. vorn ist Deutschland bei der Aufnahme von Migranten und absolute Weltspitze bei deren Alimentierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13643

Dr. Alexander Gauland (A) Allein das Land Hessen zahlt für jeden unbegleiteten einmal ganz deutlich gesagt. Nur, Frau Göring-Eckardt: (C) jugendlichen Flüchtling 8 469 Euro monatlich. Aufs Jahr Wir haben diesen Riss nicht verursacht, sondern bilden gerechnet waren das zuletzt 138 Millionen Euro. – Wir ihn ab. Er ist gesellschaftlich da. können das. (Beifall bei der AfD) Einen Spitzenplatz belegt Deutschland bei den Zugver- spätungen, bei den Studienabbrechern, und wir liegen Lassen Sie mich kurz auf die Wahlen im Osten ein- gehen. Wenn man die Zweitstimmen von Sachsen und auch beim CO2-Ausstoß pro Kopf deutlich vor Ländern wie Schweden und Frankreich, weil die mehr Atomstrom Brandenburg addiert, stellt man fest, dass die AfD mit produzieren. hauchdünnem Vorsprung stärkste Partei vor der CDU ist. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Spitze ist Deutschland bei den Steuereinnahmen. Über- Das heißt, das Gros der Wähler hat bürgerlich-konserva- all durften wir zuletzt lesen, der Staat habe Überschüsse tiv gewählt, aber sie werden künftig linker regiert als vor- erwirtschaftet. Meine Damen und Herren, hier muss ich her, liebe CDU. Einspruch erheben. Der Staat erwirtschaftet gar nichts. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie sind nicht (Beifall bei der AfD) bürgerlich!) Dieses Geld stammt von den ungefähr 15 Millionen meist Der Wahlkampf war ein Spaltungswahlkampf: alle ge- schon länger hier lebenden tatsächlichen Steuerzahlern. gen die AfD. 30 Jahre nach dem Ende der DDR ist die Die können das. Hat die Regierung die Überschüsse zum staatsfeindliche Hetze zurückgekehrt und Oppositions- Anlass genommen, den Bürgern mehr Netto vom Brutto kritik die erste Medienpflicht, wobei sich die Feinderklä- zu lassen und die Steuern zu senken? Die Koalition konn- rungen keineswegs nur an unsere Adresse richten. Frau te sich nicht einmal auf die komplette Abschaffung des Kramp-Karrenbauers Versuch, Herrn Maaßen aus der Soli einigen, obwohl die Rechtsgrundlage dafür entfallen CDU zu drängeln, muss hier als Beispiel genügen. ist. Das ist nämlich der eigentliche Punkt, weshalb der Soli ganz abgeschafft werden muss. (Beifall bei der AfD) Auf der anderen Seite gibt es wie damals Ergebenheits- (Beifall bei der AfD) adressen der Kulturschaffenden an die Regierung. Schon Dafür hat sie im ersten Halbjahr wieder mehr Schulden vor den Wahlen 2019 sind Haushaltsposten – wie der gemacht. Die Verschuldung stieg nach Angabe des Fi- Einzelplan 04, der Etat der Bundeskanzlerin – in aller- (B) nanzministeriums innerhalb von sechs Monaten um mehr letzter Minute aufgebläht worden. Zum Beispiel vervier- (D) als 11 Milliarden Euro. Wofür? Für Infrastruktur, für Bil- fachte sich der Etat des Bundesverbandes Freie Darstel- dung, für die Bundeswehr? Die Steigerung kommt unter lende Künste e. V. auf wundersame Weise. Die Führung anderem durch eine im Zusammenhang mit der Flücht- dieses Verbandes ist maßgeblich an der „Erklärung der lingskrise gebildete Rücklage zustande, meldete n-tv am Vielen“ beteiligt, 6. August. Die Migration kostet Bund und Länder zwei- stellige Milliardenbeträge. – Wir können das. (Zuruf der Abg. Simone Barrientos [DIE LIN- KE] – Gegenruf von der AfD: Halt doch mal Bleibt die Feststellung, wo wir nicht spitze sind. In der die Klappe!) Mobilfunkabdeckung – das ist heute schon gesagt wor- den – liegt Deutschland weltweit auf Rang 70, hinter einer bundesweiten Initiative vor allem staatlich geför- Albanien. derter Bühnen und Institutionen, die sich primär gegen die AfD richtet; dieses Beispiel hier nur als Pars pro Toto. (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) Die Bundesregierung finanziert die Spaltung der Gesell- schaft Beim internationalen Mathematik- und Naturwissen- schaftstest TIMSS sind wir binnen weniger Jahre von (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Sie lügen!) Platz 12 auf Rang 24 abgerutscht, was bedenklich ist mit einer Physikerin an der Spitze der Regierung. entlang ihrer willkürlich eingezogenen Linien. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz halten Chi- Die interessante Frage lautet: Darf sie das überhaupt? Ein na, die USA und Japan 75 Prozent aller Patente. Auf Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundes- Deutschland entfallen nicht einmal 3 Prozent. Das heißt, tages gibt eine klare Antwort: Dem Staat bleibe es zwar unsere Anteile an der künstlichen Intelligenz und am unbenommen, freiheitlich-demokratische Wertvorstel- CO2-Ausstoß gleichen sich allmählich an. lungen zu verbreiten, derartige Aktionen dürften sich aber nicht gezielt gegen bestimmte Parteien richten. Dies wäre (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) ein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht. – Wir Meine Damen und Herren, unser Land ist krank, und es werden darauf zurückkommen. ist tief gespalten: zwischen Ost und West, zwischen from- (Beifall bei der AfD) mer Regierungslinie und böser Opposition. Den Riss, der sich durch unsere Gesellschaft zieht, haben ja nun angeb- Meine Damen und Herren, Sie alle kennen sicherlich lich wir verursacht; Frau Göring-Eckardt hat das ja noch den Begriff „Reptilienfonds“, also aus dem Haushalt ab- 13644 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Alexander Gauland (A) gezweigte Mittel, die zur politischen Einflussnahme ver- (Beifall bei der AfD) (C) wendet werden. Meine Damen und Herren, ich kann nur wiederholen: (Zuruf von der LINKEN: Nur bei der AfD!) Sie werden akzeptieren müssen, dass wir den Riss nicht erzeugt haben; wir bilden ihn nur ab. Er stammt von Otto von Bismarck, der 1869 in einer Rede die im Dienst des entthronten hessischen Kurfürsten ar- Ich bedanke mich. beitenden Agenten „bösartige Reptilien“ nannte und de- (Beifall bei der AfD) ren Bekämpfung aus einer solchen Kasse finanzierte. Frau Bundeskanzlerin – nun ist sie nicht mehr da –, wir begrüßen es immer, wenn Sie von Bismarck lernen wol- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: len. Aber muss es ausgerechnet dieser Punkt sein? Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Achim Post, SPD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Wie Deutschland im Kleinen, so ist Europa im Großen gespalten, entlang derselben Bruchlinien zwischen Ost Achim Post (Minden) (SPD): und West, zwischen Globalisten und Partikularisten. Zu- Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und mindest für die europäische Politik ist die Migrationsfra- Kollegen! Herr Präsident! Ich hoffe, es ist erlaubt, in ge nach wie vor das entscheidende Thema. Es wird immer dieser Debatte mal über das Land zu reden, in dem ich deutlicher, dass die Verfestigung der supranationalen EU- lebe, und über den Haushalt, den der Bundesfinanzminis- Strukturen und die Förderung der Migration nach Europa ter vorgelegt hat. All das, was ich gerade gehört habe, zusammengehören. Es ist die Zange, in welche die Natio- dass sich Deutschland auflöst, dass Deutschland überall nen und Nationalstaaten so lange genommen werden sol- Letzter ist und dass wir kurz vor dem Untergang stehen, len, bis von den europäischen Demokratien nur noch Po- hat nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun. temkinsche Dörfer übrig sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU) Deswegen wird jeder Migrationskritiker verteufelt, des- Ich fange mal bei dem an, was Ralph Brinkhaus, der wegen werden Schlepperhelfer zu Helden stilisiert, und Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, gerade gesagt hat: deswegen wird der Öffentlichkeit suggeriert, man könnte Vor 70 Jahren haben sich Abgeordnete, Männer und die Migrationsrouten nicht schließen. Frauen, getroffen, vier Jahre nach Ende des Zweiten (B) ( [Heidelberg] [SPD]: Weltkrieges, vier Jahre nach Ende der Nazidiktatur, vier (D) Jahre nach Ende der Nazibarbarei. Die haben Probleme Humanität und Menschlichkeit!) gehabt. Sie wussten häufig nicht ein noch aus. Sie muss- Über die Verteilung der Migranten innerhalb der EU ten gucken, dass Millionen von Menschen wieder in Lohn sollte sich nach dem Willen der Bundeskanzlerin jedes und Brot kommen. Sie mussten gucken, dass die deutsche europäische Land der Massenzuwanderung öffnen. Ist Wirtschaft wieder nach oben kommt. Die standen vor der erst einmal die relative Homogenität der europäischen berechtigten Frage, ob die Mehrheit der Deutschen über- Völker aufgelöst, löst sich allmählich auch der nationale haupt eine parlamentarische Demokratie will. Und sie Zusammenhalt auf und der Nationalstaat kann durch eine mussten sich fragen und fragen lassen, ob es jemals wie- neue internationale, übernationale Struktur ersetzt wer- der einen Platz für Deutschland in der Völkergemein- den. Das wird ohne eine Umerziehung der nach wie vor schaft gibt. in ihren nationalen Klausuren lebenden, denkenden und fühlenden Völker nicht funktionieren. Diese Umerzie- Gemessen daran, liebe Kolleginnen und Kollegen, re- hung erleben wir täglich. Sie beginnt in den Schulen, den wir heute über ganz andere Dinge. Wir reden auch sie ergießt sich über die Werbung und endet abends in über Herausforderungen, über neue Herausforderungen, den „Tagesthemen“. – Wir können das. über neue Fragen. Diese können wir aber lösen, und wir werden sie lösen, liebe Kolleginnen und Kollegen; (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Freilich, die Briten spielen nicht länger mit, weil sie der CDU/CSU) kein Interesse daran haben, dass idealistische Deutsche denn wir leben in einer stabilen Demokratie, in einem über ihre Grenzen bzw. ihre Einwanderungspolitik ent- Land im Herzen Europas, als geachtetes Mitglied der scheiden. Die Polen und Ungarn wissen aus ihrer jüngsten Völkergemeinschaft, in einer erfolgreichen Volkswirt- Geschichte, dass es kein Vergnügen ist, von fernen Zent- schaft, in einem Land, das nicht perfekt ist, wahrlich ralen Diktate zu empfangen. Die Südosteuropäer haben nicht, in einem Land, in dem es eine Menge Probleme historische Erfahrungen mit dem Islam, die sie einwan- gibt. Diese Probleme gehen wir aber gemeinsam an. derungsskeptisch machen. Österreicher und Italiener ha- ben keine Lust mehr, den Transit zu organisieren. Deshalb Ich weiß – jeder von uns weiß das –, dass wir in einer wird der Brexit mit allen Mitteln boykottiert. Deshalb Zeit mit einem geradezu paradoxen Trend leben: Auf der werden die Osteuropäer vor die Wahl zwischen Zucker- einen Seite stehen wir vor Herausforderungen, vor Gene- brot und Peitsche – Bestechung oder Isolation – gestellt. rationenherausforderungen, vor Menschheitsherausfor- Und deshalb werden die Falschwähler in Ostdeutschland derungen – Klimawandel, Digitalisierung, Globalisie- mit Gift und Galle überkübelt. rung, Aufrüstung, Kriege –, und auf der anderen Seite Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13645

Achim Post (Minden) (A) haben wir Präsidenten, Regierungschefs, Parteien, die auf Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Ausgrenzung setzen, auf Nationalismus, die leugnen, Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin dass Menschen diesen Klimawandel gemacht haben, Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke. und die leugnen, dass man was dagegen tun muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht meine Herange- (Beifall bei der LINKEN) hensweise. Das ist nicht die Herangehensweise der SPD- Bundestagsfraktion. Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der SPD) legen! Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei der Digitali- Deshalb hat der Bundesfinanzminister einen Haushalt sierung in Deutschland weit auseinander, auch weil bei vorgelegt, für den es sich lohnt zu streiten, und wir strei- vielen blumigen Versprechen der Bundesregierung die ten darüber. Dieser Haushalt zeigt, dass diese Koalition notwendige Unterfütterung mit Ressourcen schlicht fehlt. ein Deutschland der Investitionen und der Innovationen So sprach Kanzlerin Merkel Anfang des Monats in ihrem will. In diesem Haushalt verzeichnen wir Rekordinvesti- Podcast über Open Government – ich zitiere –: tionen. ... deshalb erwarten Menschen zurecht, dass sie verste- (Christian Lindner [FDP]: Die Prozentquote hen, wie Regierungen arbeiten, dass sie sich frühzeitig an geht doch zurück!) den Gesetzentwürfen ... beteiligen können und dass sie einen Überblick darüber bekommen, wie unsere Steuer- Das wird auch bei den Haushalten der nächsten Jahre so gelder verwendet werden. sein. Wir kämpfen, diese Koalition kämpft für ein sozia- les Deutschland und ein Deutschland des Zusammen- Anlass für diese löblichen Worte war die Verabschie- halts. dung des Zweiten Nationalen Aktionsplanes zur Umset- zung der internationalen Open Government Partnership (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Christian in Deutschland. Mir liegt das Thema „Open Government“ Lindner [FDP]) sehr am Herzen. Seit vielen Jahren kämpfe ich für eine transparente Politik und auch für den Beitritt Deutsch- Genau, klatschen Sie ruhig. – Wir haben ein lands zur globalen Open Government Partnership. Des- Rentensystem, das nicht perfekt ist, aber wir stabilisieren halb habe ich mich gefreut, als das vor drei Jahren endlich es, und wir werden es weiter stabilisieren, und zwar mit passierte. der Grundrente für 3 Millionen Menschen. Darüber wer- den wir in den nächsten Wochen und Monaten debattie- Nun soll das Budget dafür aber von 1,1 Millionen Euro ren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir kämpfen für ein auf 0 Euro gekürzt werden. Aus schönen Worten werden (B) Deutschland, das gegen den Klimawandel und für einen leere Hülsen, weil ihnen die finanzielle Basis fehlt. (D) Strukturwandel ist. Wenn wir das richtig machen, wenn wir das richtig anpacken, wenn wir das gemeinsam an- (Beifall bei der LINKEN) packen, dann können Klimaschutz und Strukturwandel Dass es neben der Höhe eines Budgets aber auch auf Wachstumsmotoren für Innovationen und Investitionen seinen Einsatz ankommt, sieht man an den 96 Prozent der 20er-Jahre werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. nicht abgeflossener Mittel für den Breitbandausbau, aber auch bei der Verwaltungsdigitalisierung. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]) Der Koalitionsvertrag versprach noch eine E-Govern- ment-Agentur, die für alle föderalen Ebenen Standards Nicht zuletzt kämpft diese Koalition – die Frau Bun- und Pilotlösungen entwickeln und einen Inkubator für deskanzlerin hat es angesprochen – für ein europäisches innovative E-Government-Lösungen beinhalten sollte. Deutschland, das im nächsten Jahr die europäische Rat- Eine solche Agentur haben wir mit dem Digitalausschuss spräsidentschaft innehat. Für diese Ratspräsidentschaft im letzten Sommer in Dänemark besucht. Sie ist sehr haben wir uns schon viel vorgenommen und müssen erfolgreich und hat fast 300 Mitarbeiterinnen und Mit- wir uns noch viel vornehmen: Wir wollen einen europä- arbeiter. ischen Zukunftshaushalt, der auf Wachstum und Beschäf- tigung setzt. Wir wollen eine Sozialagenda, die nicht nur Im Nationalen Aktionsplan der Open Government auf dem Gipfel in Schweden beschlossen wurde, sondern Partnership wurde aus dieser E-Government-Agentur Schritt für Schritt auch umgesetzt wird. Wir wollen einen aber ein Digital Innovation Team, in dem fünf Beraterin- ambitionierten Klimaschutz, gerade auch auf der europä- nen und Berater für Innovationsprozesse arbeiten. Das ist ischen Ebene. ja wohl nicht die notwendige strukturelle Unterstützung für eine Verwaltungsdigitalisierung, die es Ottilie Nor- Zusammengefasst: Dieser Haushalt setzt auf Stetigkeit malbürgerin auch im Havelland ermöglichen würde, ihre und Verlässlichkeit. Dieser Haushalt setzt auf Innovatio- Behördengänge von zu Hause aus zu erledigen, und um nen und auf Investitionen. Dieser Haushalt, den der Bun- endlich unseren dramatischen Rückstand aufzuholen. desfinanzminister vorgelegt hat, kann sich sehen lassen. Wir unterstützen diesen Haushalt. Machen Sie das auch! (Beifall bei der LINKEN) Schönen Dank. Aus digitalpolitischer Sicht ist dieser visionslose Haus- haltsentwurf eine herbe Enttäuschung. Dass er zwar eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Rüstungsquote von über 14 Prozent enthält, aber keinen der CDU/CSU) Posten für Sozialinnovationen, ist geradezu ein Skandal. 13646 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Anke Domscheit-Berg (A) (Beifall bei der LINKEN) Denn erst wenn zum Beispiel – das ist ja die Entschei- (C) dung, die Sie im Klimakabinett zu treffen haben – CO Als Linksfraktion werden wir daher einen Antrag auf 2 einen fairen Preis bekommt und dieser langfristig steigt, Einrichtung eines Social Innovation Fonds in Höhe von wird Digitalisierung innovativ wirken können. Dann wird 50 Millionen Euro einbringen; denn viele Innovationen, sie Ressourcen einsparen. Dann werden wir die Mobilität die dem Gemeinwohl dienen, sind nun mal für private besser steuern und die Landwirtschaft besser machen Investoren uninteressant. Also muss der Staat Verantwor- können. Dann werden wir Daten erheben können, um tung übernehmen und dafür sorgen, dass sie trotzdem das Monitoring für die Klimakrise aufzuheben. Wir haben entstehen können und die Vorteile der Digitalisierung viele, viele Möglichkeiten. Wir können sie aber nur aus- für alle spürbar werden. schöpfen, wenn wir der Digitalisierung eine Richtung Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Informationen vorgeben. zu Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetz- Ganz entscheidend wird sein, dass wir uns der Mono- buch verloren haben. § 219a gehört abgeschafft. pole annehmen. Es kann nicht sein, dass ein Konzern wie Vielen Dank. Amazon in Deutschland die Märkte vertikal und horizon- tal beherrscht und der Einzelhandel keine Chance mehr (Beifall bei der LINKEN) hat. Wir müssen faire Märkte schaffen. Wo bleibt hier Ihr Mut zur Gestaltung? Wo bleibt Ihre Strategie für künst- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: liche Intelligenz in Richtung Klimaschutz, in Richtung mehr Nachdenklichkeit? Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hier müssen wir eine Innovationsinitiative schaffen. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich danke Ihnen. Die Bundeskanzlerin ist in ihrer Rede sehr ausführlich auf die Megatrends Digitalisierung und Klimaschutz ein- gegangen. Aber sie hat eines nicht gemacht: diese beiden Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Megatrends zusammenzudenken. Nur wenn wir die Di- Vielen Dank, Herr Kollege Janecek. – Als nächster gitalisierung nachhaltig gestalten, Redner erhält das Wort der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/CSU-Fraktion. (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das hat sie (B) sogar erklärt!) (Beifall bei der CDU/CSU) (D)

ihr einen klaren CO2-Preis geben, dann leistet sie einen Alexander Dobrindt (CDU/CSU): wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident! Ja, es ist in der Tat so: Die doppelte Herausforderung dieser (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nicht Zeit heißt: Klimawandel bekämpfen und Konjunktur und Ihre Vorsitzende korrigieren!) Wirtschaft stützen. Das ist das, was wir zusammenden- Wenn wir das nicht tun und alles so weiterlaufen lassen ken. Da meinen manche ja, das sei ein unauflösbarer wie bisher, dann wird sie ein Brandbeschleuniger der Gegensatz. – Nein, wir glauben, es ist sogar eine doppelte Klimakrise. Das müssen wir uns endlich vergegenwärti- Chance, wenn wir Klima und Konjunktur zu einem Zu- gen. kunftspaket für Deutschland mit dem klaren Ziel zusam- menführen: mehr wirtschaftliches Wachstum bei weniger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CO2. Dann haben wir die Herausforderung im Griff, um Wir erleben nämlich derzeit ein drastisches Wachstum die es sich in den nächsten Monaten dreht, meine Damen des Energieverbrauchs digitaler Anwendungen. Laut ei- und Herren. ner französischen Studie zur künstlichen Intelligenz (Beifall bei der CDU/CSU) könnte sich der Energieverbrauch durch die Digitalisie- rung bis 2030 verzehnfachen. Wir erleben eine Digitali- Es hat hier ja einige Beiträge gegeben, in denen eine sierung, die mit ihrem Ressourcenhunger für viele Men- sehr einfache Lösung dafür präsentiert wurde, wenn man schen im globalen Süden zu einem wachsenden Problem auf der einen Seite sehr viel in den Klimaschutz investie- wird. Wir erleben eine immer größere Marktmacht weni- ren und auf der anderen Seite Maßnahmen zur Stärkung ger Akteure, denen die Digitalisierung gigantische Ge- der Wirtschaft ergreifen wolle. Diese ganz einfache Lö- winne beschert. sung hieß Staatsverschuldung. Die einfache Antwort auf die Probleme unserer Zeit: Staatsverschuldung! Die Chancen der Digitalisierung für Klimaschutz und Innovation lassen sich aber nur realisieren, wenn wir faire Der Chefökonom von Verdi hat beispielsweise diese Woche verkündet, dass die 100-Euro-Scheine auf der Märkte haben und wenn wir einen CO2-Preis haben, der für Innovationen die Richtung vorgibt. Wir dürfen die Straße lägen und man sie nur aufheben müsse. – Meine Digitalisierung nicht als Selbstzweck begreifen. Wir müs- Damen und Herren, wer die Staatsverschuldung hoch- sen ihr eine Richtung geben: ökologisch und sozial. treibt, der sammelt kein Geld von der Straße, sondern der klaut es den nächsten Generationen. Das ist die Wahr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heit. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13647

Alexander Dobrindt (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich will in dem Zusammenhang auf das eingehen, was (C) neten der FDP und des Abg. Johannes Kahrs Sie vorhin angesprochen haben, Frau Göring-Eckardt. Sie [SPD]) haben sinngemäß gesagt: Landwirtschaft zerstört die Landschaft. Übrigens sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt: Das sind genau die Rezepte der Vergangenheit. Das sind die (Christian Lindner [FDP]: So ist es!) Rezepte, die uns in eine europäische Schuldenkrise hi- neingeführt haben. Also, die Landwirtschaft, die seit Jahrhunderten die Kul- turlandschaft in Deutschland erst ermöglicht und gepflegt (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: hat, zerstört Ihrer Meinung nach die Landschaft. Genau!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Damals waren die Zinsen niedrig und die Ausgabenwün- Christian Lindner [FDP]: Die Windräder!) sche der Politik riesengroß. Das Ergebnis ist doch be- Die Frau Bundeskanzlerin hat vorhin von der Arroganz kannt. Das lief nach dem Motto „heute billige Schulden gegenüber den ländlichen Räumen gesprochen. Sie haben machen, morgen teuer zurückzahlen“. – Das ist weder diese Arroganz hier im Deutschen Bundestag eindrucks- ökonomisch klug noch politisch verantwortungsvoll, voll zur Schau gestellt mit Ihrer Verunglimpfung eines meine Damen und Herren. ganzen Berufsstands. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das Schlimme dabei ist, dass manche aus der Euro- Entlastungen der Bürger, Investitionen in die Wirt- Schuldenkrise offensichtlich überhaupt nichts gelernt ha- schaft, die schwarze Null: Das alles ist kein Widerspruch; ben. Das zeigt ein Blick auf die Wortmeldungen dieser Woche: Der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hat (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Doch!) gesagt, er will pro Jahr 35 Milliarden Euro neue Schulden es ist eine Frage der politischen Schwerpunkte. Wir hal- in Deutschland machen und dafür sogar das Grundgesetz ten die schwarze Null. ändern. Liebe Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Sie haben das dann vorhin „Schuldenbremse reformieren“ genannt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Das Grundgesetz zu ändern, nennen Sie „Schuldenbrem- schwarze Null ist ökonomischer Unsinn!) se reformieren“. Wir entlasten die Menschen mit über 13 Milliarden Euro. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Wir investieren in Infrastruktur und vieles andere mehr. GRÜNEN]: Nein! – Britta Haßelmann Das ist alles im Sinne von Generationengerechtigkeit: (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hat sie Sicherheit, Klimaschutz, Infrastrukturinvestitionen, die (D) nicht! Da haben Sie nicht zugehört!) übrigens gerade von unseren Ministerien der CSU maß- geblich mit besetzt werden. Ich sage Ihnen, was Sie eigentlich wollen: Sie wollen unter dem Deckmantel der grünen Politik den Haushalt (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: „Investi- in rote Zahlen treiben. Das ist Ihr eigentliches Ziel. tionshochlauf“ müssen Sie jetzt noch sagen, Ihr Standardwort!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Lindner [FDP] – Britta Haßelmann Die Verkehrsinvestitionen von Andi Scheuer sind auf Re- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht verstan- kordniveau. Die innere Sicherheit wurde deutlich gestärkt den!) mit über 1 000 Stellen, auch bei der Bundespolizei. Der Entwicklungshilfeetat von Minister Müller wurde erst- Das werden wir übrigens nicht tun, weil wir genau für mals über die 10-Milliarden-Euro-Grenze gebracht. Politiker wie Sie mit solchen Ideen die Schuldenbremse ins Grundgesetz hineingeschrieben haben. Deswegen än- Ja, wir wollen auch mehr in die Verteidigung investie- dern wir sie an dieser Stelle nicht. ren. Dietmar Bartsch hat hier noch mal darauf hingewie- sen, dass die Bundesregierung viel zu viel für Verteidi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. gung ausgebe. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Recht hat er! – Weitere Zurufe von der LINKEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist richtig. Wir Herr Kollege Dobrindt, erlauben Sie eine Zwischen- sind in einem Bündnis eine Verpflichtung eingegangen, frage? haben Zusagen über die 2 Prozent gemacht und wollen ein Zwischenziel von 1,5 Prozent erreichen. Das werden wir in den Haushaltsberatungen auch weiterverfolgen, Alexander Dobrindt (CDU/CSU): damit dies möglich ist. Nein, ich erlaube keine. Ich sage Ihnen an dieser Stelle, meine Damen und Her- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ren von den Linken: Ja, wir wollen Verantwortung in der Das trauen Sie sich nicht! – Britta Haßelmann Welt übernehmen. Wer Verantwortung in der Welt über- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verstehe ich nehmen will, der muss erst einmal sagen, dass er seine nicht! Keine Zwischenfragen?) Soldaten unterstützen will. Dazu gehört, dass sie die best- 13648 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Alexander Dobrindt (A) mögliche Ausstattung von uns bekommen und hier nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (C) einfach so dargestellt werden, als würden sie Geld ver- Abgeordneten der FDP) schwenden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Abgeordneten der AfD) Vielen Dank, Herr Kollege Dobrindt. – Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, muss ich bedauerlicher- Ich habe die zwei großen Herausforderungen, die pa- weise eine geschäftsleitende Bemerkung machen. Sie ha- rallel existieren, mit „Klimawandel bekämpfen“ und ben gesehen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer, „Konjunktur und Wirtschaft stützen“ beschrieben. Es gibt die offensichtlich zwischenzeitlich aufgewacht waren, den einen oder anderen, der jetzt ruft: „Kümmert euch erst festgestellt haben, mal nur ums Klima und nicht so sehr um die Wirtschaft!“, und es gibt andere, die sagen: „Kümmert euch doch ein- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE fach mal um die Wirtschaft und die Konjunktur und ver- GRÜNEN]: Ich war die ganze Zeit wach!) gesst den Klimaschutz! Der ist ja ein Wirtschaftskiller.“ dass die Rednerliste nicht den ursprünglichen Überlegun- Liebe Frau Weidel, Sie haben gesagt, es handele sich gen entsprochen hat. um „Klimaschutzwahn“ in unseren Debatten und Beiträ- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die Liste gen hier. machen nicht wir!) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau!) Das hat zeitweise zu Verwirrung bei uns und dem Sit- zungsdienst des Bundestages beigetragen. Ich habe ent- Ich glaube, dass Sie damit sehr deutlich belegt haben, schieden, dass jetzt alles bleibt, wie es ist, weil die Liste dass Sie sich mit bürgerlich-konservativer Politik mehr vom Bundestagspräsidenten bereits genehmigt ist. als nur schwertun und damit in Wahrheit nichts anfangen können. Die Bewahrung der Schöpfung ist gerade der Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Marc Nukleus der bürgerlich-konservativen Politik und kein Jongen, AfD-Fraktion. Wahn. Deswegen schützen wir das Klima, meine Damen und Herren. (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Also nur zur Ergänzung: Wir fin- (Beifall bei der CDU/CSU) den das toll so!) Wenn wir es schaffen, jetzt auch in den Verhandlungen bis zum Klimakabinett am 20. September dafür zu sorgen, Dr. Marc Jongen (AfD): (B) (D) dass wir eine vernünftige Kombination von Konjunktur- Herr Präsident! Frau Staatsministerin Grütters! Werte maßnahmen, Maßnahmen für Wirtschaftsförderung und Abgeordnete! Der Bundeshaushalt für Kultur und Medien Klimaschutz zusammenbringen, dann haben wir mit die- 2020 umfasst rund 1,8 Milliarden Euro. Ein nicht gerin- sem Zukunftspaket auch eine echte Chance auf ein öko- ger Teil davon wird leider dazu missbraucht, die Men- logisches Wirtschaftswunder in unserem Land. schen in Deutschland ideologisch zu gängeln und zu To- leranz, Vielfalt und Weltoffenheit, den globalistischen Wir waren in der Vergangenheit auch immer die Markt- Kardinaltugenden, zu erziehen. Lauter schön klingende führer, wenn es um Green Technology ging. Wir waren Begriffe, nur wehe, man hat eine alternative Meinung auch immer die Marktführer, wenn es um neue Technolo- dazu, weil man ihren ideologischen Gehalt durchschaut gien im Bereich der Energie ging. Wir haben die Energie- oder weil man andere Vorstellungen von Kultur hat. Dann wende bewusst gestaltet. Wir sind heute so weit, dass wir ist es ganz schnell aus mit der Meinungsvielfalt, dann bei den erneuerbaren Energien unsere Ziele für 2020 ein- herrscht auch keine Toleranz mehr. Dann wird von gut deutig erfüllen, sogar übererfüllen. Das haben wir nicht dotierten Staatsposten herab gegen die Kritiker gehetzt, geschafft, indem wir ein Verbot für konventionellen sehr schnell auch die diffamierende Nazikeule geschwun- Strom ausgesprochen haben, sondern indem wir auf er- gen. neuerbare Energien und Innovationen gesetzt haben und sie gefördert haben. Wir sorgen für Innovation. Das ist der (Beifall bei der AfD) Fortschrittsmotor. Verbote sind nur Stillstand. Deswegen Ein Beispiel: Der Präsident der zu nahezu einhundert wählen wir den Fortschritt. Prozent staatsfinanzierten Kulturpolitischen Gesell- Da wollen wir die Menschen mitnehmen. Das geht schaft, Dr. Tobias Knoblich, schreibt in seinem hauseige- nen Blatt: nicht einfach mit einer CO2-Steuer, die alles nur ver- teuert. Wir wollen keine Entscheidungen treffen, die nur Das Kulturprogramm der AfD ... inszeniert ebensolche dazu führen, dass der Spritpreis an der Zapfsäule steigt. Echokammern, Wir wollen, dass die Menschen dabei sind, wenn es um Klimaschutz geht. Deswegen darf Klimaschutz nicht die – wie die „Politik der Nazis“ nämlich neue soziale Frage werden, sondern Klimaschutz muss die Innovationsfrage sein in diesem Land, bei der alle die einen reinen Kollektivkörper imaginieren und die Be- Menschen mitgenommen werden, meine Damen und ziehung zur Welt kappen, belastbare Handlungsansätze Herren. schuldig bleiben: Nation als kulturelle Einheit …, Be- wahrung kultureller Identität …, kulturelles Erbe … oder Herzlichen Dank. deutsche Leitkultur … Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13649

Dr. Marc Jongen (A) Das sind für Herrn Knoblich sämtlich gefährliche, ja über Linientreue gesprochen, über Künstler, die im (C) nazihafte Konzepte und deshalb, meint er, sei die Strate- Staatssold stehen. Ehrlicherweise muss man sagen: Das gie der aktiven Ausgrenzung gegen die AfD „hilfreich“. ist der Jargon, den man aus den 1930er-Jahren kennt. Das Auf keinen Fall dürften die Funktionäre der AfD „salon- ist so, als ob Sie von Systempresse und Altparteien rede- fähig“ gemacht werden, dafür aber gerne dem Psycho- ten. terror ausgesetzt, wie Björn Höcke, der von einer selbst- ernannten Künstlergruppe bis in seinen privaten (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Sind sie auch!) Wohnbereich hinein verfolgt und drangsaliert worden Wenn man sich das ankuckt, dann weiß man, aus welcher ist. Meine Damen und Herren, so spricht kein Demokrat, Ecke Sie kommen. Ihr Vokabular in der letzten Rede hat so spricht ein Ideologe im Staatssold, der offenbar weiß, gezeigt, dass Sie nicht verstehen, was eine offene und was er abzuliefern hat. eine plurale Gesellschaft ist. (Beifall bei der AfD) ( [AfD]: Und Sie sind der, der das Die Kulturpolitische Gesellschaft wird im aktuellen erklären kann?) Haushaltplan mit 955 000 Euro gefördert, 2013 waren Sie haben nicht verstanden, dass Kulturschaffende frei es noch 490 000 Euro, das ist eine Verdoppelung inner- von politischem Druck arbeiten und darbieten können halb von sieben Jahren. Linientreue macht sich bezahlt in sollen. In Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz ist die Kunst- Merkel-Deutschland. freiheit verankert. Das sollten Sie sich mal hinter die Ein anderes Beispiel, Alexander Gauland hat es ange- Löffel schreiben; sprochen: Die Mittel für den Bundesverband Freie Dar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stellende Künste sind im vergangenen Haushaltsjahr in der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE letzter Minute vervierfacht worden. Die Adresse des Bun- GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Braun desverbands ist identisch mit der Kontaktadresse des Ver- [AfD]) eins Die Vielen e. V., dessen einziger Daseinszweck die Propaganda und Hetze gegen die AfD ist. dann könnten Sie was lernen. In dieser Republik ist es so, dass die Künstler nicht im Staatssold stehen und linien- (Fabian Jacobi [AfD]: Pfui!) treu sein müssen, sondern wir haben die Freiheit der Man fragt sich angesichts solcher Finanzmanöver, mit Kunst, und das sollte man auch als rechtsradikale Frak- welchen Mitteln die großen Anti-AfD-Demos der Vielen tion zur Kenntnis nehmen. tatsächlich bezahlt wurden und noch bezahlt werden sol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der len. Wir werden jedenfalls ein genaues Auge darauf ha- LINKEN – Widerspruch bei der AfD) (B) ben. (D) Wenn man sich das nämlich in der Realität ankuckt und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wenn man sich ankuckt, was Sie so treiben, dann sieht fragen wir uns bei den AfD-Demos auch, wer man, dass Sie mit dem Grundgesetz regelrecht auf das bezahlt!) Kriegsfuß stehen. Mit Strafanzeigen, mit Störaktionen, Der Etat für Ihre Öffentlichkeitsarbeit, Frau Staatsmi- mit Protesten, mit parlamentarischen Anfragen wird von nisterin Grütters, ist von 45 000 Euro in 2019 auf 280 Ihnen doch seit Jahren Druck auf die Freiheit der Kunst 000 Euro in 2020 gestiegen, sage und schreibe eine Ver- gemacht. Im Juni 2017 hat sich der kulturpolitische Spre- sechsfachung. Wer so viel Dubioses fördert, muss das mit cher der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt, Herr hohem PR-Aufwand verschleiern und schönreden. Ei- Tillschneider, in einer Landtagsrede über die Bühnen in gentlich ist der Zusammenhang klar. Halle ausgelassen. Er forderte, den Operndirektor zu ent- lassen und die „Willkommenspropaganda“ aus dem (Beifall bei der AfD) Spielplan zu streichen. Die AfD-Fraktion lehnt diesen Kulturhaushalt ab und (Beifall bei Abgeordneten der AfD) vor allen Dingen diese Kulturpolitik, die gegen Deutsch- land gerichtet ist. Das kennen wir alles aus den 1930er-Jahren. So was brau- chen wir nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Als der Intendant des Friedrichstadtpalastes, Berndt Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Jongen. – Als nächster Schmidt, sich gegen rassistische Parolen der AfD aus- Redner hat das Wort der Kollege Johannes Kahrs, SPD- sprach, hat er Morddrohungen, Hassmails, Briefe und Fraktion. eine Bombendrohung gegen eine ausverkaufte Vorstel- lung erhalten. Ja, woher ist uns das denn bekannt? (Beifall bei der SPD) Die Wortmeldung, die Sie hier vorher gebracht haben, Johannes Kahrs (SPD): zeigt doch, wes Geistes Kind Sie sind und wo das, was Sie Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und hier – ich muss es ganz freundlich formulieren – schüren, Kollegen! Ich würde gerne auf das eingehen, was eben Ergebnisse hat, und das kann doch nicht angehen. Das von meinem Vorredner gesagt worden ist. Hier wurde Gleiche ist im Juni 2018 geschehen, als eine „Gala Glo- 13650 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Johannes Kahrs (A) bal“ am Deutschen Theater in Berlin stattfand. Da hat die Benjamin Franklin hat einmal gesagt: „Die Deutschen (C) Identitäre Bewegung randaliert, Flugblätter verteilt. Die sind Integrationsverweigerer“, weil sie sich in den Vorstellung musste abgebrochen werden. Das sind doch 1740er-Jahren in den USA nicht integrieren wollten. diejenigen, mit denen Sie zusammenarbeiten. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Damals gab es (Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD]) die USA noch gar nicht!) Deswegen hat die SPD gesagt: Wir müssen die Kultur- Das ist immer so, wenn Menschen irgendwo hinkommen. politik stärken. Wir müssen dafür sorgen, dass die Demo- Daran muss man arbeiten, gemeinsam. Da darf man nicht kraten in diesem Hause von links bis zur FDP, von CDU/ spalten, hetzen, eine Gesellschaft auseinandertreiben und CSU bis zu den Grünen dafür sorgen, dass die Kultur die Kultur dafür missbrauchen. Das ist unanständig. So ist unabhängig bleiben kann, das, wenn man rechtsradikal oder rechtsextremistisch ist. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Deswegen gehören Sie auch verboten. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vielen Dank. dass dem Grundgesetz Genüge getan wird, dass wir hier (Beifall bei der SPD – Dr. Alexander Gauland alle gemeinsam zusammenstehen gegen diese finstere [AfD]: Sie wissen nicht mal, wann die USA Barbarei, die wir schon mal hatten, die wir nicht wieder gegründet wurden! – Fabian Jacobi [AfD]: brauchen. Dem ist nichts peinlich! Nichts!) Kulturpolitik muss vielfältig und bunt sein; sie muss mir nicht in jedem Fall gefallen. Ich persönlich gehe auch Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lieber ins Ohnsorg-Theater als woandershin. Das muss Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächste Rednerin auch nicht jedermann gefallen. Aber es ist eben meine hat das Wort die Kollegin Simone Barrientos. Entscheidung, wo ich hingehe. Deswegen gehört es eben dazu, dass wir als SPD dafür sorgen, dass Kultur für alle (Beifall bei der LINKEN) zugänglich gemacht wird – nicht nur in der Großstadt, sondern auch im ländlichen Raum –, dass wir Teilhabe Simone Barrientos (DIE LINKE): propagieren und durchsetzen, dass das kulturelle Erbe Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und erhalten wird, dass die kulturelle Infrastruktur ausgebaut Kollegen! Ich habe in der vergangenen Woche das Bun- (B) wird und dass jedermann ein besserer Zugang ermöglicht desforum für Freie Darstellende Künste besucht. Da sagte (D) wird. die Schauspielerin und Regisseurin Monika Gintersdor- fer – ich zitiere –: Wir freien Gruppen verpuffen, weil wir (Jürgen Braun [AfD]: Sie reden wie die SED es müssen. – Genau da liegt das Problem. Mit jeder Bitte früher, Herr Kahrs!) um Finanzierung müssen sich freie Künstlerinnen und Künstler neu erfinden. Die Kulturförderung für die freie Ich danke insbesondere Frau Staatsministerin Grütters, Szene ist in der Regel Projektförderung. Nicht Stabilität die für diesen Bereich zuständig ist. und Kontinuität werden belohnt; man hangelt sich von Es geht mir darum, der kulturellen Barbarei meines Projekt zu Projekt. Die Kunst folgt also den Förderrichtli- Vorredners etwas entgegenzusetzen. Daher ist es eben nien. Die Kunst allerdings fördert das nicht; es engt sie auch wichtig, dass man zum Beispiel so etwas wie die ein. Gründung einer Stiftung Mitteldeutsche Schlösser und Festzustellen ist: Viele bestehende Förderinstrumente, Gärten stärkt, dass man Geld für Investitionen zur Ver- auch solche des Bundes, unterstützen kein nachhaltiges, fügung stellt, sodass möglichst viele Einrichtungen ein- kein langfristiges Schaffen. Als Linke setzen wir aber bezogen werden, damit ausgebaut wird, damit man vor auch auf Nachhaltigkeit in der Kulturpolitik, Ort und im ländlichen Raum einen Gegenpol schafft. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und das heißt: Zuallererst sind es die Künstlerinnen und Gleichzeitig ist es richtig, dass wir den Etat stärken, Künstler, die gestärkt werden müssen. Es ist nicht zu auch im Kulturbereich. Dazu sind wir immer bereit; das akzeptieren, dass bei der Vergabe von öffentlichen Gel- wollen wir gerne machen. Es gibt gute Initiativen. Zum dern im Rahmen von Projektförderungen die Selbstaus- Beispiel gibt es Auswanderermuseen. Wir wollen ein Ein- beutung von Künstlerinnen und Künstlern einkalkuliert wanderungsmuseum danebenstellen. Man kann schon se- ist. Wir fordern, dass die Verwendung öffentlicher Gelder hen, wie es war, als Menschen aus diesem Land ausge- an soziale Mindeststandards gekoppelt ist. Projekte müs- wandert sind, irgendwann in den 1900er-Jahren und sen sozialverträglich kalkuliert werden können. Wir brau- davor, als Wirtschaftsflüchtlinge oder politisch Verfolgte chen angemessene Vergütungen und Honorare. in die USA oder nach Kanada gegangen sind. Diese Ge- (Beifall bei der LINKEN) schichte können wir sehen. Wir wollen uns aber auch die Geschichte der Menschen ansehen, die in dieses Land Nachhaltig denken heißt vor allem, Strukturen so zu gekommen sind, der Einwanderer. Wir wollen also ein stärken, dass sie langfristig und unabhängig bestehen Einwanderungsmuseum danebenstellen. können – also: mehr Hilfe zur Selbsthilfe – , und das Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13651

Simone Barrientos (A) erreichen wir am besten mit der Stärkung der Interessen- bissen wird. Der Kulturhaushalt muss hier in seinen Bot- (C) verbände in der Kultur. schaften und in seiner Zielsetzung klar sein. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Wir begrüßen natürlich, dass die Beauftragte für Kultur wie der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) und Medien den Titel zur Förderung der Kultur- und Zunächst einmal sinkt der Etat. Das mag stellenweise Kreativwirtschaft um die Förderung von Nachhaltigkeit durch auslaufende Kulturprojektförderung begründet in Kultur und Medien ergänzt hat; allerdings ergänzt nur sein. Aber dass gerade die Zuschüsse in den Bereichen in der Textlänge, nicht in der Ausgabenhöhe. Während Musik, Literatur, Tanz und Theater um 14,6 Millionen der Text länger wurde, wurde der Ansatz bei dem Titel um Euro gekürzt werden, also gerade die Kulturförderung, mehr als die Hälfte gekürzt. Wie begründet man das? Das die in die Fläche geht, das ist der falsche Ansatz. ist doch vollkommen absurd. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt nicht die und nicht eine deutsche Kultur. Von ein paar Leuchtturmprojekten in Metropolen profitieren Dagegen sind bei einem umstrittenen Projekt wie dem nur wenige. Kultur ist kein elitäres Projekt. Neubau der Garnisonkirche vorerst 12 Millionen Euro Bundesmittel für den Turmbau vorgesehen; diese Mittel (Beifall bei der LINKEN) sollen jetzt um weitere 6 Millionen Euro erhöht werden, und das, obwohl die Stadt Potsdam derzeit keine einheit- Wer es ernst meint mit der Freiheit der Kunst, der muss liche Haltung zum Neubau der Garnisonkirche hat. Wir auch ernsthaft für die Freiheit der Künstlerinnen und Künstler sorgen, und dazu gehört auch die Befreiung lehnen den Einsatz von Bundesmitteln, um historisieren- de Kulissen zu produzieren, ab – noch dazu, wenn es sich von Armut. um nationalistische Identifikationsobjekte handelt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist die verdammte Aufgabe von Politik, die Freiheit der und bei der LINKEN) Kulturschaffenden zu schützen, damit sie unabhängig und nachhaltig arbeiten können. Ich fordere ein Moratorium für die vorgesehenen 12 Mil- lionen Euro, und ich fordere Sie auf, die zusätzlichen (Beifall bei Abgeordneten des 6 Millionen Euro zu stoppen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aus Erinnerung und Aufarbeitung, aus dem Wissen, Welchen Angriffen von rechts sie ausgesetzt sind, das wo wir geschichtlich herkommen, entsteht eine Erzäh- (B) haben wir gerade wieder erlebt. Wir haben die verdammte lung über unser Land. Kultur entsteht nicht abgeschottet (D) Pflicht und Schuldigkeit, diese Branche wirklich zu stär- innerhalb von nationalen Grenzen, wie es Herr Brinkhaus ken und zu schützen. in einem Interview kürzlich verlauten ließ. Wer von Leit- kultur spricht, meint nicht Kultur in ihrer Vielfalt. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten des (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wer von Leitkultur spricht, der meint das Futter für die Angsthasen, der meint Gängelung und Einfalt. Zu dieser Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Erhard Art von Kultur werden wir nie die Hand reichen. Grundl, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir stehen für Kultur für alle, Kultur in der Fläche, in den Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Regionen. ren! Vom „Kampffeld Kultur“ schrieb die „Süddeutsche Der Kulturhaushalt verschließt die Augen vor knapp Zeitung“ im August und führte auf zwei Seiten traurige 600 sanierungsbedürftigen soziokulturellen Zentren in Chronik darüber, wie Kultureinrichtungen in Deutsch- ganz Deutschland. Sie streichen Mittel für wichtige, in- land von Rechtsaußen unter Druck gesetzt werden. Die novative Festivals wie Pop-Kultur in Berlin, c/o pop Köln Palette reicht von Boykottaufrufen bis hin zu Morddro- oder jazzahead! in Bremen. Das hat nichts mit Zukunft zu hungen. Immer wieder maßt sich die ahnungslose, aber tun, das ist eine Bankrotterklärung. eingriffswillige Kulturpolitik der Rechtsextremen in den bundesdeutschen Parlamenten an, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Zuruf von der AfD: Niemand ist hier rechtsextrem!) Meine Damen und Herren, seit sechs Jahren verhandelt hier Urteile zu fällen; wir haben es gerade wieder erlebt. der Bund mit den Hohenzollern über Ausgleichszahlun- gen, unter anderem auf Grundlage des Ausgleichsleis- In einer freiheitlichen, offenen Gesellschaft heißt Kul- tungsgesetzes. Ziel der Verhandlungen ist nach Auskunft turpolitik in erster Linie, sich als die Hand zu verstehen, von Frau Grütters eine dauerhafte Gesamtlösung. Dieses die Kultur fördert ohne Gegenleistung, möglich macht Gesetz schließt eine Leistungsberechtigung dann aus, ohne Gängelung, die Hand, die im Zweifelsfall auch ge- wenn der grundsätzlich Berechtigte dem nationalsozialis- 13652 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Erhard Grundl (A) tischen System erheblich Vorschub geleistet hat. Dass das Trump, wenn es um Verteidigung geht. Das muss unsere (C) im Fall der Hohenzollern so war, ist vielfach belegt. Zielmarge sein, und das müssen wir vergleichen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zahlreiche Historikerinnen und Historiker beklagen sich Klima und Umwelt haben eben keine mächtige Lobby, zudem, dass das Hausarchiv der Hohenzollern der Ge- immer noch nicht. Deswegen glaube ich, dass ihr, liebe schichtsforschung nicht frei zugänglich ist. Der Vorwurf, Fridays, weiter auf die Straße gehen müsst; wir brauchen dass auf diese Weise Einfluss darauf genommen werden den Streik. So richtig begriffen hat es hier immer noch soll, wie deutsche Geschichte umgeschrieben werden keiner, zumindest keiner von der Regierung; daran müs- wird, ist nicht von der Hand zu weisen. sen wir arbeiten. So zieht es sich durch den ganzen Haushalt. Wir haben Vizepräsident Wolfgang Kubicki: 40 bis 60 Milliarden Euro – darüber redet keiner gerne – Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte. an gesundheits- und umweltschädlichen Subventionen, die wir jedes Jahr ausgeben. Da könnten wir herangehen; Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dort könnten wir Geld freischaufeln. Wir müssen, weil Es ist aus meiner Sicht höchste Zeit, dass der Bundes- wir die Klimaziele 2020 nicht einhalten, wahrscheinlich tag und die Parlamente in Berlin und Brandenburg offi- Strafgelder in Höhe von 30 bis 60 Milliarden Euro bezah- ziell über den Stand der jahrelang im Geheimen geführten len. Deswegen soll keiner erzählen, dass wir kein Geld für Verhandlungen informiert werden; das ist eine Angele- umwelt- und klimapolitische Maßnahmen hätten. Wir genheit von öffentlichem Interesse. hätten noch Geld für Bildung; das ist ja auch gekürzt worden – nur als Nebenbemerkung. Wir hätten Geld für Ich danke Ihnen. Infrastruktur. Wir hätten Geld für soziale Maßnahmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielleicht denken wir einmal ein bisschen revolutionär, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) versuchen, Dinge zusammenzubringen. Heute Morgen gab es die Meldung, dass der öffentliche Nahverkehr wie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der teurer wird. Auf den öffentlichen Nahverkehr sind Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der fraktions- viele Menschen in diesem Land angewiesen, gerade die, lose Abgeordnete Marco Bülow das Wort. die vielleicht nicht so viel Geld haben. Dort könnten wir investieren, dort könnte der Bund die Kommunen darin (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) unterstützen, dass der ÖPNV günstiger, vielleicht sogar (B) kostenlos wird. Hier würden wir Soziales und Klima zu- (D) Marco Bülow (fraktionslos): sammenbringen; das Geld dafür wäre auf jeden Fall da. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich rede hier noch zur Generaldebatte und zum Haushalt. Der (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Haushalt ist das eigentliche Königsrecht des Parlaments. Wenn wir uns den Lobbybereich anschauen, ist es auch Ich habe das Gefühl, dass er immer mehr beherrscht wird kein Wunder – auch das war eine Meldung der letzten von dem, was die Regierung vorgibt – und einige Lob- Woche –, dass sich diese Bundesregierung weiterhin ge- byisten. Das kann man an den Schwerpunktsetzungen gen ein Lobbyregister, weiterhin gegen Transparenz und sehen. Heute gab es viele Reden, viele Phrasen, viele weiterhin dagegen sträubt, Lobbyisteninteressen einzu- Titel. Aber am Ende zählen die Zahlen und die Fakten. grenzen. Es ist, finde ich, ein ziemlicher Skandal, dass Schauen wir uns doch zwei Haushaltsposten einmal ge- auf der Bundespressekonferenz auf die Frage nach dem nauer an: Der Haushalt für Umwelt liegt bei 2,6 Milliar- Lobbyregister – Tilo Jung hat dankenswerterweise die den Euro. Da ist Klimaschutz mit drin, da ist aber zum Frage gestellt – als Antwort kommt: Misstrauen ist unbe- Teil auch das drin, was wir bei Atom noch abwickeln rechtigt. – Na ja, wenn wir so weit sind, dann müssen wir müssen. Es gab in den letzten zwei Jahren eine Erhöhung alle Gesetze abschaffen, weil Misstrauen gegen Men- von 0,6 Milliarden Euro, immerhin. Vergleichen wir die- schen auch erst einmal unberechtigt ist. Wir brauchen sen Haushalt einmal mit dem Verteidigungsetat: 44,9 Mil- das Lobbyregister. Wir brauchen Regeln. Wir brauchen liarden Euro, eine Erhöhung in zwei Jahren um 6,4 Mil- den legislativen Fußabdruck im Parlament. Dafür werde liarden Euro. Dann setzen wir das einmal in Beziehung: ich mich auch weiterhin einsetzen, und ich hoffe, das wird eine Erhöhung von 0,6 Milliarden Euro bei Umwelt und auch die Bundesregierung endlich tun. Klima bei der Herausforderung und auf der anderen Seite eine Erhöhung um 6,4 Milliarden Euro. Da ist doch klar, (Beifall bei der LINKEN) worauf der Schwerpunkt gelegt wird. Er wird eben nicht Zum Schluss: Ich glaube, es ist altes Denken, was die auf die Herausforderungen Klima und Umwelt gelegt, Schuldenbremse und die schwarze Null angeht. Interes- sondern er wird auf Verteidigung gelegt. Deswegen hätte santerweise haben einige von der SPD, die damals die man sich viele Reden heute auch sparen können. Schuldbremse mit beschlossen hatte, in der Diskussion begriffen, dass man sich vielleicht davon lösen sollte. (Beifall bei der LINKEN) Ich glaube, wir müssen endlich zu den Investitionen kom- Wie rechtfertigen wir das denn? Wie rechtfertigen wir men. Interessanterweise spielte, obwohl wir über den das vor allen Dingen gegenüber den nächsten Generatio- Haushalt reden, die Meldung, dass wir Konjunktur- nen? Ich möchte die volle Anstrengung auf das 1,5-Grad- schwierigkeiten haben, heute keine Rolle. Dafür muss Ziel, und nicht auf das 2-Prozent-Ziel der NATO und von man kein Experte sein: Bei Konjunkturschwierigkeiten Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13653

Marco Bülow (A) investiert man. – Wir brauchen Investitionen, und zwar wird. Das ist das, was Sie unter zukunftsfähiger Politik (C) große Investitionen – meines Erachtens am ehesten in den versprechen. ökologischen und sozialen Umbau. Man kann das auch Green New Deal oder sonst wie nennen, aber genau darin (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: müssen wir investieren. Dann bringen wir den Haushalt Unglaublich!) auf eine gute Schiene, und dann wäre es auch wieder das Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht ja Königsrecht des Parlamentes. Dahin müssen wir wieder nicht nur um das nächste Jahr, sondern es geht darum, kommen. wie wir die nächsten 20, 30, 40 Jahre in diesem Land Vielen Dank. gestalten. Dazu gehören natürlich Investitionen in Sicher- heit und Verteidigung. Wir haben eine Parlamentsarmee. (Beifall bei der LINKEN) Wir schicken die Soldatinnen und Soldaten nicht nur in den Einsatz, sondern wir sind auch dafür verantwortlich, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dass sie gut ausgestattet sind. Es geht darum, dass wir eine Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Unternehmensteuerreform auf den Weg bringen, die un- Kollege Paul Ziemiak, CDU/CSU-Fraktion. sere Unternehmen wettbewerbsfähig macht. Es geht um Klimaschutz und darum, Emissionen zu senken und rich- tige Anreize zu geben, um Innovationen zu fördern; denn Paul Ziemiak (CDU/CSU): wir haben nicht nur als Vorbild eine Verantwortung in der Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Welt, sondern wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass Wir haben es gerade noch einmal gehört, aber nicht nur andere es uns nachmachen. Zudem brauchen wir schnell- heute in dieser Debatte, sondern auch in den Wochen da- ere Planungsverfahren und ein radikales Umdenken, so vor: immer wieder die Forderung nach mehr Geld und vor wie Ralph Brinkhaus es in seiner Rede gesagt hat. allem nach neuen Schulden. Bei dieser Forderung wird immer wieder vergessen: Was war eigentlich die Frage? Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die Situa- Die Frage ist, wie wir wettbewerbsfähig bleiben und wie tion in Berlin und die linke, grüne Politik und zum Teil wir unseren Wohlstand in Deutschland erhalten. Wenn leider auch Politik der SPD dort an. Ich habe mir einmal Sie sich das anschauen: Wir sprechen jetzt über 360 Mil- die „Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung liarden Euro. Das sind 100 Milliarden Euro mehr als noch über die Förderung von Frauen und die Vereinbarkeit im Haushalt 2010. Und die Antwort soll sein „mehr Geld von Beruf und Familie bei der Vergabe öffentlicher Auf- und mehr Schulden“? Meine Damen und Herren, das ist träge“ angeschaut. ein Ausdruck von Ideenlosigkeit und Gedankenfaulheit (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE (B) bei der Frage, wie wir unser Land zukunftsfähig aufstel- (D) len. GRÜNEN]: Da können Sie noch was lernen!) (Otto Fricke [FDP]: Der Wirtschaftsminister Damit verfolgt man zwar ein hehres Ziel, aber drei Viertel toppt das noch!) der Bauunternehmen in Berlin sagen, sie bewerben sich nicht mehr für öffentliche Aufträge, weil sie, wenn sie Wir haben die Schuldenbremse im Grundgesetz veran- sich beteiligen und bewerben wollen, kert und damit die schwarze Null, weil wir generationen- gerechte Politik über Jahre hinweg gestalten wollen, üb- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: rigens – auch mit Blick nach links – aus Sorge vor Kommen Sie mal nach Sachsen-Anhalt und gu- Politikerinnen und Politikern wie Ihnen, cken sich das da an!) (Lachen bei der LINKEN) unter anderem die „Umsetzung eines qualifizierten Frauenförderplans“ und „verbindliche Zielvorgaben zur die sich zwar immer wieder versuchen zu schmücken mit Erhöhung des Frauenanteils an den Beschäftigten in allen Wörtern wie „Nachhaltigkeit“ und „solide Finanzen“, Funktionsebenen“ im Bau anstreben müssen. aber bei der ersten intellektuellen Anstrengung, über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands nachzudenken, nur eine Meine Damen und Herren, das ist ja ein hehres Ziel, Antwort haben: mehr Schulden und Abschaffung der Schuldenbremse. (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Völlig bekloppt, das Ziel!) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bleiben aber erklären Sie in Berlin bitte einmal einer jungen Fa- Sie mal auf dem Teppich!) milie, die Beruf und Familie zusammenbringen will und einen Kitaplatz braucht, dass die Kita nicht gebaut wird, Diese ist aber zu Recht in unserer Verfassung verankert. weil der Bautrupp den Frauenförderplan noch nicht vor- Aber wofür wollen Sie das Geld denn ausgeben? Sie gelegt hat. sprechen von Investitionen. Das hört sich am Anfang ja (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der gut an, aber wenn man genauer hinschaut, dann weiß LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- man, woran man bei Ihnen ist. Ich schaue zum Beispiel NEN) zu den Grünen. Ihr Vorsitzender Habeck fordert den Um- bau des Hartz-IV-Systems, er fordert Sozialleistungen, Das Ziel ist ja richtig. Aber wenn wir den Menschen hier die jedem gewährt werden sollen, ohne jegliche Sanktio- versprechen, dass wir Projekte und Investitionen auf den nen. Er sagt selbst, dass das 30 Milliarden Euro kosten Weg bringen, dann dürfen wir uns nicht zu Tode planen. 13654 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Paul Ziemiak (A) Es geht um die Zukunft Deutschlands, und die wollen der einen oder anderen Stelle im Kleinen recht wirksam (C) wir redlich gestalten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sein können. Ich hoffe, dass beispielsweise – das ist ein wird ihren Beitrag dazu leisten. Im Gegensatz zu man- großes Projekt – unser Projekt „350-Euro-Jahrestickets chen anderen kann man sich bei uns darauf verlassen. für den öffentlichen Personennahverkehr“ dazugehört. Danke. (Otto Fricke [FDP]: Ich dachte, das wäre 365 und nicht 350!) (Beifall bei der CDU/CSU) Ich jedenfalls bin in Anbetracht der Fachkompetenz Vizepräsident Wolfgang Kubicki: der einzelnen Häuser und der Ministerinnen und der Mi- nister, aber auch in Anbetracht der Bedeutung, die das Als nächste Rednerin hat die Kollegin Sonja Amalie Thema Klimaschutz – und zwar internationaler und na- Steffen, SPD-Fraktion, das Wort. tionaler Klimaschutz – für uns alle hat, sehr zuversicht- (Beifall bei der SPD) lich, dass wir rechtzeitig vor dem Abschluss des parla- mentarischen Haushaltsverfahrens zu guten Ergebnissen Sonja Amalie Steffen (SPD): kommen werden, die dann selbstverständlich auch im Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Haushalt 2020 Eingang finden werden. nen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Der Bun- Unser Wunsch in der SPD-Fraktion ist natürlich, dass deshaushalt 2020 ist in der Tat erneut ein Rekordetat. Vor auch die Grundrente noch Eingang in den Haushalt 2020 uns liegt in den nächsten Wochen eine Menge Arbeit; finden wird. Da hoffen wir, dass die Kollegen und Kolle- denn nicht weniger als 360 Milliarden Euro sind verant- ginnen der Koalition, also aus der Union, sich hier endlich wortungsvoll zu verteilen. Das sind genau 3,4 Milliarden auf uns zubewegen werden. Euro mehr als im letzten Jahr. Noch nie gab es einen höheren Bundesetat. Eines ist jetzt schon sicher: Der drit- Und ja, wir nutzen zum Ausgleich des Haushalts einen te Bundeshaushalt, der mit einem sozialdemokratischen Teil der vorhandenen Rücklage. Aber dies ist auch richtig Finanzminister erlassen wird, kann sich sehen lassen. so; denn wozu hat man denn die Rücklage? Darüber hinaus ist festzustellen, dass sehr viele Vor- (Karsten Klein [FDP]: Für schlechte Zeiten!) haben, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, mit dem Haushalt 2020 finanziert sind und zum Teil sogar Und ja, wir profitieren von geringeren Zinsausgaben, um schon umgesetzt wurden, und das, meine Damen und diese Vorhaben zu verwirklichen. Aber auch hier ist fest- Herren, ohne neue Schulden. zustellen, dass dies ein völlig zulässiges Mittel für die Haushaltsplanung ist. (B) (Beifall des Abg. Michael Groß [SPD]) (D) Nicht richtig ist übrigens, dass der Haushalt 2020 keine Es geht um Maßnahmen im sozialen Wohnungsbau, im oder wenige Investitionen beinhaltet. Wir haben es schon Gute-Kita-Gesetz, in der Konzertierten Aktion Pflege, mehrmals gehört: 40 Milliarden Euro unseres Haushalts – beim Baukindergeld, bei der Parität in der Krankenver- das sind mehr als 10 Prozent – nutzen wir für Investitio- sicherung, dem Digitalpakt. Übrigens sind die Themen, nen. die ich gerade genannt habe, fast alle sozialdemokratische Themen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Weitere Investitionen wären natürlich wünschenswert. Aber die sind nur dann zu verwirklichen, wenn das Geld Mit diesen Maßnahmen schaffen wir nicht nur mehr so- wirklich umgesetzt werden kann. Es fehlt in der Tat an ziale Gerechtigkeit, sondern wir werden aller Voraussicht Fachkräften. Wir sind übrigens sehr froh, dass das Fach- nach auch das Bruttosozialprodukt um bis zu 0,8 Prozent kräftezuwanderungsgesetz bereits beschlossen wurde. erhöhen. Hier müssen wir einfach nur schauen, dass es jetzt wirk- Und ja, es ist richtig, dass der Haushaltsentwurf 2020 lich in die Gänge kommt. Es mag auch Nachholbedarf in eine Besonderheit aufweist: Er ist in der Tat gegenwärtig Bezug auf die Planungsbeschleunigung geben. Das ist unvollendet – so wird er von der einen oder anderen Stelle alles richtig, aber: Investitionen können nur dann erfol- bezeichnet –; denn es fehlt noch die Einpreisung des Kli- gen, wenn sie wirklich umgesetzt werden können. magesetzes. Es ist aber nicht so, dass dafür das Geld fehlt; Allein aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kol- denn das erforderliche Geld für den Klimaschutz kommt legen, haben wir von der SPD-Fraktion große Bedenken aus dem Sondervermögen des EKF, des Energie- und gegen eine Erhöhung des Verteidigungsetats. Denn ge- Klimafonds. Der ist gegenwärtig schon mit immerhin rade im Bereich der Verteidigungspolitik müssen wir fest- 6,1 Milliarden Euro gefüllt. stellen, dass jede Menge Geld auf Halde liegt, weil es Wir alle wissen, dass im Laufe der Haushaltsberatun- schlichtweg in der Vergangenheit nicht ausgegeben wer- gen, nämlich schon in den nächsten Tagen, am 20. Sep- den konnte oder in fragwürdigen Beraterverträgen lande- tember dieses Jahres, das Klimakabinett zusammentreten te. wird. Wir sind alle sehr gespannt, wie sich die einzelnen (Beifall bei der SPD) Häuser bezüglich der Vorhaben und der zu setzenden Prioritäten einigen werden. Wir haben heute schon eine Schließlich ist es unsere Verantwortung, mit dem vie- Menge dieser Vorhaben gehört. Man braucht natürlich len Geld, das uns der Steuerzahler und die Steuerzahlerin große Projekte, aber man braucht auch Projekte, die an zur Verfügung gestellt haben, verantwortungsvoll umzu- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13655

Sonja Amalie Steffen (A) gehen. Ich sagte es bereits: 360 Milliarden Euro wollen mindest hier im Hause einig sind, einmal mehr in dieser (C) verteilt werden. Klarheit zur herausragenden Bedeutung von Kultur und Medien beizutragen. In den nächsten Wochen liegt viel Arbeit vor uns. Ich freue mich darauf. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Verständigung miteinander setzt nämlich zuerst einmal und erfolgreiche Haushaltsverhandlungen. einander verstehen voraus: den Ausblick über den eige- nen Tellerrand, den Überblick über die Grautöne zwi- (Beifall bei der SPD) schen Schwarz und Weiß, auch den Einblick in andere Lebenswelten als die eigene. Über das Engagement in der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Filmförderung – die das leisten kann, und deshalb fördern Vielen Dank, Frau Kollegin Steffen. – Nun spricht zu wir Filme ausdrücklich – hinaus erhöhen wir diesmal zum uns die dafür zuständige Staatsministerin, Frau Professor Beispiel den Etat der Deutschen Welle als Botschafterin Monika Grütters. und Vermittlerin unserer demokratischen Werte im Aus- land. Außerdem verdoppeln wir unsere Ausgaben zur (Beifall bei der CDU/CSU) Stärkung der Medienkompetenz. Hier geht es auch um den Schutz und die strukturelle Stärkung journalistischer Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundeskanz- Arbeit und die Unabhängigkeit der Medien. Wir akzep- lerin: tieren nicht, dass mit Diffamierung und ideologischen Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kol- Kampfbegriffen Misstrauen geschürt wird gegen unab- legen! Zurück zur Kultur. Herr Jongen, zwei Zahlen zum hängige Berichterstattung. Einstieg. Erstens. Mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut aktuellem Deutschlandtrend (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft. Zweitens. Seit KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinem Amtsantritt ist der Kulturetat um mehr als 50 Pro- sowie des Abg. [FDP]) zent gestiegen, und er wächst weiter. 2020 wollen wir in der Tat 1,82 Milliarden Euro für Kultur und Medien aus- Die Bereitschaft zur Verständigung erwächst auch aus geben; so sieht es der Regierungsentwurf vor – auch, Herr den Lehren aus unserer Geschichte, liebe Kolleginnen Jongen, und gerade als Antwort auf die von zu vielen und Kollegen. Die Erinnerung an Leid und Schrecken Menschen in Deutschland befürchtete Spaltung unserer des 20. Jahrhunderts enthält viele Lektionen des Wider- Gesellschaft. stands gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und totalitäre Ideen. Unser neues Förderprogramm „Ju- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gend erinnert“ beispielsweise unterstützt NS-Gedenkstät- (B) der SPD) ten dabei, innovative Bildungsformate zu entwickeln. Die (D) Denn die Herausforderungen, die diese Angst nähren, Mittel dafür werden im kommenden Jahr auf 5 Millionen sind jedenfalls allein mit den Mitteln der Sozialpolitik Euro aufgestockt. Außerdem wollen wir zum ersten Mal und der Innenpolitik nicht zu bewältigen. Das Erstarken gezielt etwas für die Orte der Demokratiegeschichte tun von Extremismus, Rassismus, Antisemitismus und Natio- und damit auch die Wertschätzung für demokratische Er- nalismus, die diffamierende Abwertung anderer Sicht- rungenschaften explizit in den Mittelpunkt stellen. und Lebensweisen als der eigenen, die Verrohung des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und öffentlichen Diskurses und, ja, auch die schwindende Be- der SPD) reitschaft, den anderen in seinem Anderssein zu ertragen, sind besorgniserregende und schlimme Entwicklungen. Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, setzt Verstän- digung Raum für Begegnung und Austausch voraus. Kul- (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sagen gerade tur holt Menschen nämlich aus ihren Echokammern he- Sie! Ihr Umgang mit der AfD!) raus. Kulturelle Einrichtungen wie Kinos, Theater, Sie bedrohen den Kern unserer Demokratie, und das ist Bibliotheken sind deshalb genauso wichtig wie Schulen der konstruktive Streit, die Suche nach Kompromissen. und Einkaufsmöglichkeiten; das gilt natürlich für das ganze Land. Selbst wenn manchmal die Hauptstadtbe- Kultur und Medien können dagegen Kräfte entfalten – richterstattung mit Humboldt Forum und Einheitsdenk- das hat Johannes Kahrs gerade auch ausgeführt –, und sie mal die Medien beherrscht: Wir tun sehr viel für die Bun- gängeln, Herr Jongen, niemanden zu Toleranz und Welt- deskulturförderung im ländlichen Raum; Herr Grundl, offenheit. Das ist schon eine verwegene Deutung. Sie wir haben da gar nichts gekürzt. 10 Millionen Euro stehen lassen vielmehr gedeihen, was unserer Gesellschaft of- auch 2020 im Rahmen des Programms „Kultur in länd- fensichtlich abhandenzukommen droht: lichen Räumen“ zur Verfügung. Hinzu kommen 15 Mil- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der lionen Euro aus meinem Etat für das „Zukunftsprogramm SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Kino“, das ausdrücklich für den ländlichen Raum gedacht NEN) ist. Verstehen, Verständnis, Verständigung über die Grenzen Mit all diesen Maßnahmen, verehrte Kolleginnen und zwischen sehr unterschiedlichen Lebenswelten hinweg. Kollegen, stärken wir die Kräfte der Kultur und Medien, fördern wir Verstehen, Verständnis, Verständigung und (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Eben!) damit natürlich den Zusammenhalt, nicht die Spaltung Deshalb wollen wir die Ausgaben dafür weiter erhöhen. unserer Gesellschaft, die Einladung, nicht die Gängelung Ich danke dem Bundesfinanzminister, dass wir uns zu- zu Weltoffenheit und Toleranz. Zuversicht halte ich je- 13656 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin Monika Grütters (A) denfalls für angebracht, und zwar nicht trotz, sondern Ob ich da an ein Versehen glaube, weiß ich nicht. Auf (C) wegen der Konflikte; es gibt sie ja überall. jeden Fall gehört das verändert. Ich finde, das ist echt eine Sauerei – um das deutlich zu sagen. So argumentiert – das muss ich zum Schluss noch sa- gen – der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani, Sohn (Otto Fricke [FDP]: Das war doch Ihr syrischer Einwanderer, in einem wirklich extrem lese- Finanzminister!) nswerten Buch mit dem Titel: „Das Integrationsparadox“ Erst einmal ist das ein Haushalt der BKM, und wie das folgendermaßen: Da, wo umso mehr Menschen zuziehen, in der Regierung abgeklärt worden ist, ist etwas anderes. gibt es natürlich mehr Konflikte, mehr Streit. Aber er sagt: Streitkultur ist die beste Leitkultur. (Otto Fricke [FDP]: Ja, da sollten Sie dafür sorgen, dass das abgeklärt wird!) Investieren wir also in unsere Streitkultur, verehrte Kolleginnen und Kollegen, indem wir Kultur und Medien Schöne Worte sind jedenfalls nicht ausreichend. Vielmehr stärken. In diesem Sinne bitte ich sehr darum, den Haus- ist es wichtig, dass auch entsprechende Mittel im Haus- haltsentwurf für Kultur im Jahr 2020 zu unterstützen, halt vorgesehen sind. auch in den parlamentarischen Beratungen. Der Bereich Kultur und Medien hat ja zu Recht seinen Platz in der Generaldebatte; denn man muss sagen: Kunst Vielen Dank. und Kultur, das Wissen, woher wir kommen, wo wir heute (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sind, wie wir unsere Umgebung gestalten, die Auseinan- dersetzung mit der Vergangenheit, mit der Gegenwart und mit der Zukunft und auch das Lernen daraus, das Ver- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ständnis und die Vielfalt der Menschen finden in unseren Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Als nächste Red- Regionen statt und prägen Menschen und Gesellschaft. nerin spricht zu uns die Kollegin Katrin Budde, SPD- Kunst und Kultur sind wesentliche Lebenselixiere für uns Fraktion. Menschen und die gesamte Gesellschaft. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. [FDP]) Katrin Budde (SPD): Wenn wir uns dessen bewusst sind, folgt daraus eigent- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unbestrit- lich die nächste Frage: Für wen machen wir denn Kunst ten: Der Kulturetat wächst, und es ist auf den ersten Blick und Kultur? Für die Menschen, die in den Zentren leben, (B) auch ein wirklich solider Entwurf – mit Aufwuchs eben. (D) für die Touristen, die herkommen, weil sie von den kul- Das ist gut so. Geht man dann ins Detail, werden wir ihn turellen Zentren angezogen werden? Ja klar, das ist cool, wahrscheinlich unterschiedlich beurteilen. das ist toll. Es braucht diese Leuchttürme der Kultur und Neben vielen guten Verstetigungen – Sie haben sie eine Vielfalt der Stadtkultur – aber eben nicht nur. Viel- selber aufgeführt –, neben der Umsetzung von Vereinba- mehr braucht es jetzt und in der Zukunft eben auch in der rungen aus dem Koalitionsvertrag wie dem Förderpro- Kultur ein Selbstverständnis wie im Sport, bei dem wir gramm „Jugend erinnert“, neben der vereinbarten Aus- selbstverständlich sagen, dass es den Spitzen- und den weitung von Geldern in West und Ost, der gesamten Breitensport geben muss. Wir brauchen Kunst und Kultur Republik, einem Aufwuchs von 20 Millionen Euro, den auch in der Fläche. Verbesserungen für die Deutsche Welle und dem „Zu- (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ kunftsprogramm Kino“ fällt aber eben auch etwas ande- CSU]) res ins Auge, und das halte ich für sehr problematisch. Ich will die Frage ganz offen stellen, die ja unter der Ich will daran erinnern, dass am Montag dieser Woche Hand von vielen diskutiert wird: Brauchen wir ein zusätz- vor 30 Jahren die Menschen in Leipzig zum ersten Mal liches neues Museum der Moderne? Es wäre cool, es wäre aus der Kirche heraus und auf die Straße gegangen sind. toll, wenn wir es hätten. Aber wenn das zulasten von allen Es hat dann vier Wochen gedauert, bis die friedliche Re- anderen Projekten geht, dann möchte ich die Regierung volution am 9. Oktober im Grunde überall in der DDR wirklich bitten, zu überlegen, ob man da nicht Begren- Fahrt aufgenommen hat. Ich muss sagen, es ist sehr un- zungen der Ausgaben einführt, verständlich für mich, dass ich in dem Haushaltsentwurf lesen muss, dass die Mittel für die Bundesstiftung Auf- (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ arbeitung, eine Bundesstiftung, um 1 Million Euro ge- CSU] und Hartmut Ebbing [FDP]) kürzt werden sollen. Wir hatten in den letzten Haushalts- und dann darüber nachzudenken, wie das in die Fläche beratungen etwas anderes vereinbart. Wir hatten gegeben werden kann; denn wir sind ein Land, das seit vereinbart, zumindest für die beiden Jubiläumsjahre je- Jahrhunderten und Jahrtausenden Kunst und Kultur, weils 1 Million Euro draufzulegen und darüber zu reden, große und bedeutsame nationale Orte und Bewegungen wie die Bundesstiftung fortentwickelt werden kann. Nun in der Fläche pflegt. Das Geld dafür reicht schon lange fehlt das Geld hier im Etat. nicht mehr. (Otto Fricke [FDP]: Das wollte doch Ihr (Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Finanzminister nicht!) CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13657

Katrin Budde (A) Kulturpolitik ist Länderpolitik. Ja, aber das gilt eigent- Kultur in der Hauptstadt als ein weltweites Aushänge- (C) lich schon lange nicht mehr. Wir haben kulturelle Schätze schild fördern. en gros. Es sind ganz viele; das ist das Tolle. Aber un- Was für Berlin gilt, gilt ebenso für andere Metropolen freundlich formuliert: Es wächst den Regionen, den Dör- in unserem Land. Sie strahlen wie Magnete in ihr Umland fern, den Städten, den Kommunen und den Ländern über hinein und erfüllen so eine wichtige Funktion. Aber, Kol- den Kopf. Das heißt, wir müssen das in der Bundeskultur- leginnen und Kollegen – da möchte ich das unterstützen, politik mit abbilden. was bisher gesagt wurde –, Kultur findet eben nicht nur Wir haben schon viel getan. Ich nenne als Beispiele den auf der ganz großen Bühne vor den Kameras der Welt Fonds für Soziokultur, den Deutschen Literaturfonds und statt. Es gibt unzählige Bürgerinnen und Bürger, Kunst- den Deutschen Übersetzerfonds. Sie sind gut, gehören schaffende, Vereine und Verbände im ganzen Land, und aber weiter gestärkt; denn sie arbeiten in der Fläche. Auch auch diese wollen und dürfen wir nicht außer Acht lassen. TRAFO ist ein tolles Modell, um kulturelle Bewegungen Sie verdienen mindestens unsere gleichberechtigte Auf- aufzunehmen, Regionen zu verändern, die Menschen mit- merksamkeit. zunehmen und ihnen nichts überzustülpen, aber eigent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lich brauchen wir dafür auch mehr Geld. Es gibt mehr der SPD) Anträge, als wir überhaupt bewilligen können. Sie schaffen Identität, ganz konkret vor Ort. Es ist de- Es gibt also ganz viel, was wir unterstützen können, um ren Kreativität, die ihrer Region erst zur Bedeutung ver- die Kultur zu stärken und die Gesellschaft zu entwickeln. hilft. Vor allem ermöglichen sie eine Fülle aktiver Teil- Ich finde, es ist auch eine Gerechtigkeitsfrage, dass der habe, und gerade dort oft im Ehrenamt. Wer Kulturpolitik Zugang zu Kunst und Kultur immer vorhanden ist. Des- hier im Hause wie geschehen als linientreu infrage stellt, halb: Lassen Sie uns diese Gerechtigkeitsfrage im Haus- der hat damit das Wesen, den Aufbau der Kultur unseres halt der BKM stärken. Das würde der Staatsministerin Landes schlicht nicht verstanden. gefallen und uns auch, glaube ich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vielen Dank. der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dort, im ländlichen Raum, finden wir im Übrigen auch der CDU/CSU) ein großartiges bauliches Erbe in unserem Land, das im Gegensatz zu den meisten anderen Nationen über Jahr- hunderte zersplittert war und uns gerade deshalb eine Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unglaubliche Vielfalt hinterlassen hat. Allein in 2019 (B) Vielen Dank, Frau Kollegin Budde. – Als Nächstes konnten wir hier mit einem eigenen Programm über 230 (D) spricht zu uns die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU- Einzelprojekte zeitnah unterstützen. Fraktion. Kolleginnen und Kollegen, eines ist aber dennoch im- (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs mer wieder zu betonen – jetzt hebe ich den Zeigefinger –: [SPD]: Großartige Kollegin! – Sonja Amalie Zuvörderst bleibt Kultur eine Angelegenheit der Länder, Steffen [SPD]: Jetzt muss aber was kommen!) in der Folge auch der Kommunen. Das legt schon unsere Verfassung fest. Darauf legen sie im Allgemeinen selbst allzumal gern wieder Wert. Doch immer öfter muss man Patricia Lips (CDU/CSU): im konkreten Fall daran erinnern. Der Bund hat hingegen Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Kultur be- die Aufgabe, gezielt Projekte von besonderer Bedeutung zeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch ge- in den Metropolen wie in der Fläche zu unterstützen. staltend hervorbringt. Sie lebt vom Mitmachen. Sie ragt Unser Ziel ist damit aber nicht nur der Erhalt, die Bewah- als Solitär heraus in einer Zeit, in welcher zu den ver- rung des Status quo, sondern vor allem auch, Prioritäten schiedensten Themen mehr und mehr die Frage gestellt zu setzen, um gemeinsam mit den Bundesländern einen wird: Was habe ich davon? Was kostet das? Brauchen wir echten Mehrwert in diesem Land zu schaffen. das? Brauche ich das? Die Antwort ist übergreifend und eindeutig: Ja, wir brauchen die Kultur und auch ihre För- Kolleginnen und Kollegen, es bleibt auf diesem Wege derung. festzuhalten: Mit diesem Haushalt gibt es heute so viel Kulturförderung des Bundes wie nie zuvor, und dieser (Beifall bei der CDU/CSU) Anteil ist nicht mehr wegzudenken. Auch von meiner Seite aus ein Dank an Monika Grütters und ihr ganzes Kultur – wir haben es jetzt mehrfach gehört – hält Team! unsere Gesellschaft zusammen. Sie ist in ihrer Vielfalt Teil unserer Identität. Den Begriff „Kulturlandschaft“ Lassen Sie mich zum Abschluss noch eines anmerken: gibt es nicht von ungefähr, und doch können wir nicht Wir befinden uns im Bauhaus-Jahr. Unzählige Projekte alles auf Heller und Pfennig für den Einzelnen bewerten. hat der Bund in dessen Vorbereitung unterstützt. In den Sie zahlt nicht auf ein konkretes Konto ein, aber sie zieht letzten Wochen konnte ich selbst die neuen Einrichtungen die Menschen an und erfüllt ihr Bedürfnis, auch selbst in Weimar und Dessau besuchen. Das Bauhaus hat uns kreativ zu sein. Allein die Vielfalt der Hauptstadtkultur aber nicht nur schöne Kaffeekannen, Architektur und beeindruckt Besucherinnen und Besucher aus aller Welt. Einrichtungsgegenstände wie die Sessel in der Halle des Wir sind stolz auf diese Spitzenleistungen und Angebote, Paul-Löbe-Hauses beschert. Es bedeutet vielmehr einen und selbstverständlich wird der Bund auch weiterhin die Ausdruck von Freiheit in der Gestaltung, Freude am Ex- 13658 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Patricia Lips (A) periment. Aber vor allem hat es die Ideen der Moderne dass wir dort aktiv handeln. Wenn ich dann höre, meine (C) aus Deutschland in die ganze Welt getragen, als sie im Damen und Herren, im Haushalt von wür- Ursprungsland bereits verpönt oder gar unterdrückt wa- de das Geld zum Fenster rausgeschmissen werden, dann ren. Dies mahnt uns, dass Kultur und Freiheit, Moderne ist das nicht falsch genug zu problematisieren. und Toleranz immer zusammengehören, ja, zusammen- gehören müssen. Sie kommen aus der Gesellschaft, und (Heiterkeit bei der AfD und der FDP sowie bei dafür sind wir dankbar. Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf – Da können Sie lachen, meine Kollegen von der FDP. engagierte Beratungen im Ausschuss, wo wir sicher noch Aber an dieser Stelle den digitalen Strukturwandel zu Akzente setzen werden, und danke für die Aufmerksam- gestalten, das ist eine Mammutaufgabe. Und um die Men- keit. schen, die Angst haben, ihren Job durch die Digitalisie- rung zu verlieren, um die müssen wir uns genauso küm- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei mern wie um die Menschen, die Angst haben, durch den Abgeordneten der SPD) Kohleausstieg ihren Job zu verlieren. Wenn wir uns aber nicht um sie kümmern und so verächtlich lachen, wie Sie Vizepräsident Wolfgang Kubicki: es gerade getan haben, dann sind das die Nächsten, die die Extremisten wählen werden, meine Damen und Herren. Vielen Dank, Frau Kollegin Lips. – Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat das Wort der Kollege Dr. Jens (Beifall bei der SPD – Alexander Graf Zimmermann, SPD-Fraktion. Lambsdorff [FDP]: Das war nicht verächtlich! Das war ein lustiger Versprecher!) (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Bester Mann!) Es ist außerdem notwendig, dass wir die Märkte or- dentlichen Regeln unterwerfen. Diese Woche gab es Dr. Jens Zimmermann (SPD): zum ersten Mal eine Überweisung über 1 Milliarde Euro Das sind Sie doch. in Blockchain, und niemand weiß, wie viele Bitcoins da eigentlich überwiesen wurden und von wem an wen. Das (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – ist ein Thema, wo wir ganz klar sagen: Wir brauchen Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt mach mal zu!) Regeln. – Wir haben ein Kartell rund um das Unterneh- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- men Facebook, das eine neue Währung auf den Markt ren! Der Bundeshaushalt trägt die Überschrift „Investitio- bringen will. Wir sagen ganz klar: Das gehört in staatliche nen und Chancen im Wandel“. Schauen wir uns einmal Hand. (B) an, was in der Digitalpolitik in diesem Herbst alles pas- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto siert: Allein in dieser Woche ist der Bericht der Wettbe- Fricke [FDP]: Jetzt wollen Sie die Bitcoins be- werbskommission 4.0 vorgelegt worden. Das steuern?) Digitalkabinett tagt. Der Digitalgipfel wird stattfinden. Wir haben eine Konferenz der Vereinten Nationen, das Denn dieses Kartell wird am Ende vor allen Dingen in die Internet Governance Forum, hier in Berlin. Die Block- eigene Tasche wirtschaften wollen und nicht im Interesse chain-Strategie der Bundesregierung wird vorgestellt, der Menschen. und auch die Datenethikkommission präsentiert ihre Er- gebnisse. Man kann deshalb mit Fug und Recht sagen: Wir müssen uns natürlich auch, liebe Kolleginnen und Die Digitalisierung bestimmt die Tagesordnung. Kollegen, bei der Digitalisierung die Einnahmeseite des Haushalts anschauen. Wir sehen ganz klar: Die Möglich- Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol- keiten der Digitalisierung sorgen auch dafür, dass Unter- len den digitalen Wandel gestalten; denn wir brauchen nehmen, dass Konzerne zunehmend neue Möglichkeiten Sicherheit im digitalen Wandel. haben, Steuern zu vermeiden, Steuern zu hinterziehen. Deswegen danke ich an dieser Stelle dem Bundesfinanz- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) minister dafür, dass er auf internationaler Ebene an den Wir wollen den digitalen Raum nicht den Googles, Ama- Themen Mindestbesteuerung und Digitalsteuer dran ist. zons und Facebooks dieser Welt überlassen, und deshalb Beim letzten G-7-Gipfel in Japan haben wir ganz klar brauchen wir klare Regeln. Wir brauchen klare Regeln gesehen, dass wir eine Lösung hinbekommen. Das muss auf dem Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft und auch beim in unserem Interesse sein; denn den digitalen Wandel, den Thema Besteuerung. Deshalb ist es gut, dass wir mit wir in Deutschland gestalten müssen, müssen wir entspre- Hubertus Heil einen sozialdemokratischen Arbeitsminis- chend finanziell unterlegen, meine Damen und Herren. ter haben, der an dieser Stelle auch liefert. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Dieser Haushalt beinhaltet Rekordinvestitionen in Hö- Wir haben die Nationale Weiterbildungsstrategie. Wir he von fast 40 Milliarden Euro. Wir investieren in den haben das Qualifizierungschancengesetz. Wir haben die Ausbau von Infrastruktur, von Bildung und auch von Di- Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft, und wir haben gitalisierung. Deswegen ist es wichtig, dass unsere Minis- auch das Arbeit-von-morgen-Gesetz. Es ist wichtig, die- terinnen und Minister, dass Olaf Scholz, dass Hubertus sen digitalen Strukturwandel aktiv zu gestalten; denn die Heil Sicherheit im digitalen Wandel organisieren. Wir Beschäftigten haben zu Recht an einigen Stellen auch brauchen die Digitalsteuer. Wir brauchen ein modernes Bedenken, wie es weitergeht. Deswegen ist es wichtig, Wettbewerbs- und Kartellrecht. Wir müssen dafür sorgen, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13659

Dr. Jens Zimmermann (A) dass auch auf digitalen Plattformen gute Arbeitsbedin- und China ist sowohl wirtschaftlich als auch militärisch (C) gungen organisiert werden. Und wir müssen natürlich in auf dem Weg, die nächste Supermacht zu werden. An- die Infrastruktur investieren; das ist klar. gesichts dieser Großmächtekonkurrenz stellen wir fest, dass es sich bei all den Konflikten, mit denen wir es zu Aber die historische Aufgabe, die wir Sozialdemokra- tun haben – Afghanistan, Libyen, Syrien, Jemen, der Iran tinnen und Sozialdemokraten angenommen haben, näm- oder in unserer mittleren Nachbarschaft die Ukraine – lich Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit zusammen- oftmals um Stellvertreterkonflikte handelt und die neue zubringen, gilt auch, wenn es darum geht, Sicherheit im Großmächtekonkurrenz die Konfliktlösung immer digitalen Wandel zu organisieren. Nur wenn wir beides schwieriger macht. hinbekommen, werden wir die Gesellschaft in unserem Land zusammenhalten. Deshalb ist das Ziel der SPD in Aber das ist noch nicht alles. Hinzu kommt, dass wir es diesen Haushaltsberatungen, einen Haushalt vorzulegen, im Moment mit vier großen globalen Herausforderungen der sozial, digital und klimaneutral ist. zu tun haben: die wirtschaftliche Globalisierung, der Kli- mawandel, die Digitalisierung und die Migration, alles an Herzlichen Dank. sich sehr unterschiedliche, komplexe Dossiers. Aber sie (Beifall bei der SPD) haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind ausgerichtet auf die Überwindung von Grenzen, und es sind grenzenlose Herausforderungen. Deshalb, meine sehr verehrten Da- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: men und Herren, kann es eigentlich gar keine Frage sein, Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmermann. Viel- ob man rechts oder links in der Politik steht, sondern leicht darf ich darauf hinweisen, dass die während Ihrer eigentlich ist es eine Frage der Logik und des gesunden Rede ausgebrochene kurzfristige Heiterkeit nicht dem Menschenverstandes, dass, wenn die großen Herausfor- Inhalt Ihrer Rede galt, sondern Ihrer herausragenden derungen alle grenzenlos geworden sind, man dafür Formulierungskunst. grenzüberschreitende Lösungen braucht. Die internatio- (Heiterkeit – Beifall bei der FDP – Dr. Jens nale Handlungsunfähigkeit, die wir zurzeit an der einen Zimmermann [SPD]: Das habe ich schon ge- oder anderen Stelle beobachten, führt schnell zum natio- merkt!) nalen Kontrollverlust. Wer das nicht kapiert, der riskiert national wie international weniger Freiheit, weniger De- Diese Heiterkeit erfasste auch Teile Ihrer Fraktion, wenn mokratie, weniger Frieden und weniger Wohlstand, und ich das anmerken darf. dagegen muss die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik Damit kann ich feststellen, dass weitere Wortmeldun- etwas tun, meine sehr verehrten Damen und Herren. gen zu diesem Einzelplan nicht vorliegen. (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (D) Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Aus- Die Herausforderungen bestehen darin, die Kontrolle wärtigen Amtes, Einzelplan 05. zu behalten in einer Welt des drohenden Kontrollverlus- Das Wort hat zunächst für die Bundesregierung der tes. Dabei dürfen wir es uns nicht einfach machen, und Bundesminister Heiko Maas. wir machen es uns nicht einfach. Es gibt viele, die bei all diesen Diskussionen sagen: Es ist besser, sich herauszu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten halten, dann hat man weniger Schwierigkeiten. Aber wer der CDU/CSU) heute in der Welt, in der wir leben, die international so vernetzt ist, noch nicht verstanden hat, dass die Voraus- Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: setzung für die Lösung nationaler Probleme oftmals die Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Lösung internationaler Probleme ist, der hat tatsächlich ren Abgeordnete! Heute auf den Tag vor 18 Jahren nicht verstanden, worum es in den nächsten Jahren geht. wurden in den USA, in New York und Washington, die Ich will auf jeden Fall sagen: Nichtstun ist keine Alter- Terroranschläge des 11. September verübt. Diese Terror- native, meine Damen und Herren. anschläge sind für die internationale Politik und auch für die Außen- und Sicherheitspolitik eine Zäsur gewesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Viele der geostrategischen Veränderungen, über die heute der CDU/CSU) diskutiert wird – die Welt im Umbruch, die Welt aus den Deshalb haben wir auch international viel Verantwortung Fugen –, hat damit und mit dem, was danach geschehen zu tragen. ist, deutlich mehr zu tun als etwa mit der Wahl von Do- nald Trump zum amerikanischen Präsidenten. Der inter- Wir versuchen, die Dinge auch strukturell zu verän- nationale Terrorismus hat seit dieser Zeit dazu beigetra- dern. Wir sind seit Anfang des Jahres Mitglied im Sicher- heitsrat der Vereinten Nationen. In dieser Zeit haben wir gen, dass wir es bei Kriegen und Konflikten immer häufiger mit Formen von entstaatlichter Gewalt zu tun die Erfahrung gemacht, dass die meisten Mitglieder des haben. Das macht die Lösung von Konflikten an sich Sicherheitsrates wünschen – das gilt vor allen Dingen für schon schwieriger. diejenigen, die dort permanent sitzen –, dass Themen erst dann in den Sicherheitsrat eingebracht werden, wenn ir- Was in den letzten Jahren dazugekommen ist – es ist gendwo geschossen wird, wenn Bomben geworfen wer- nicht neu entstanden, es hat sich aber verschärft –, ist eine den und wenn es schon Tote gegeben hat. Ich finde, das ist Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, Russland der völlig falsche Ansatz. Wir müssen den Sicherheitsrat und China. Die USA gelten wirtschaftlich und militärisch der Vereinten Nationen vielmehr, wenn er seine Bedeu- als eine Supermacht, Russland allenfalls noch militärisch, tung behalten will, zu einem präventiven Sicherheitsrat 13660 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Bundesminister Heiko Maas (A) machen. Deshalb hat Deutschland gleich im Januar bean- (Beifall bei der SPD) (C) tragt – das war unser erster Antrag –, das Thema „Klima und Sicherheit“ auf die Tagesordnung zu setzen. Wir alle Zweites Beispiel: die Ukraine. In der letzten Zeit, vor wissen, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwi- allen Dingen in den letzten beiden Jahren, ist der Minsker schen Klima und Sicherheit gibt. Wer Fluchtursachen be- Prozess – um das in aller Offenheit zu sagen – total zum kämpfen will, der muss den Klimawandel bekämpfen. Erliegen gekommen, weil keine der Seiten, weder die Und wer verhindern will, dass es in Zukunft Kriege gibt, Ukraine noch Russland, bereit gewesen ist, auf den ande- die etwas mit dem Klimawandel zu tun haben, der muss ren auch nur einen Schritt zuzugehen. Das hat sich mit der heute den Klimawandel bekämpfen. Daher setzen wir uns Wahl von Präsident Selenskyj, dem Zusammentritt der im Sicherheitsrat auch dafür ein, dass dort mehr präventiv Rada und klaren Mehrheiten und dem, was in den letzten gearbeitet wird und man nicht erst handelt, wenn es zu Wochen vereinbart worden ist – Entflechtungsmaßnah- spät ist. men, ein Waffenstillstand, der auf jeden Fall besser hält als jeder zuvor, und der Gefangenenaustausch am letzten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wochenende, über den lange diskutiert worden ist – ge- der CDU/CSU) ändert. Dieses Momentum wollen wir nutzen. Wir wollen Das tun wir auch in Europa. Ein Posten in diesem in den nächsten Wochen zusammen mit unseren französi- Haushalt ist die Schaffung eines Krisenpräventionszent- schen Partnern unsere Rolle im sogenannten Normandie- rums in Berlin. Wir wollen im Auftrag der Europäischen Format nutzen, damit es zu einer Zusammenkunft zwi- Union, also auch für unsere Partner, dafür sorgen, dass schen den Beteiligten kommt. Wir führen dazu Gespräche Deutschland Dreh- und Angelpunkt wird, wenn es darum mit der russischen Seite und der ukrainischen Seite. Ich geht, die Krisenprävention zu optimieren bzw. sie über- bin zuversichtlich, dass es angesichts der aktuellen Ver- haupt erst auf den Weg zu bringen. Denn einer der großen änderungen eine Möglichkeit gibt, den Minsker Prozess Vorteile der Europäischen Union ist, dass sie bei allen wiederzubeleben. Deutschland und Frankreich werden Mandaten, in denen sie sicherheitspolitisch und militä- sich an führender Stelle dafür engagieren. Auch das ist risch vor Ort präsent ist, auch zivile Hilfen leistet. Wir eine Rolle, die uns gut zu Gesicht steht. verbinden beides und nennen das den vernetzten Ansatz. Mit dem in diesem Haushalt ausgewiesenen Zentrum set- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Roderich zen wir uns an die Spitze dieser Bewegung. Ich finde, Kiesewetter [CDU/CSU] und damit nehmen wir einen guten Platz ein. [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD) Ich will – drittens – etwas zu Afghanistan sagen, weil die Nachrichten der letzten Tage alles andere als erfreu- (B) Meine Damen und Herren, wir kümmern uns auch kon- lich gewesen sind. Dass die Gespräche mit den Taliban (D) kret um die Beilegung von Konflikten, so schwierig das beendet worden sind – wir hoffen, dass das nur vorerst der auch ist. Ich will nur drei Beispiele nennen: Fall gewesen ist –, ist sicherlich ein Rückschlag in den Das erste Beispiel ist der Iran. Es wird ja viel über die Bemühungen, die es dort gegeben hat. Wir setzen darauf, Uneinigkeit innerhalb der Europäischen Union geschrie- dass das, was bisher erreicht wurde, nicht ganz verloren ben. Aber ein großer Erfolg der Europäischen Union ist, ist. Aber auch hier will ich noch einmal sagen: Wenn es zu dass wir beim Einsatz für den Erhalt des Nuklearabkom- einem Agreement mit den Taliban kommt, dann ist vor- mens mit dem Iran vom ersten bis zum heutigen Tag gesehen, dass Friedensgespräche eingeleitet werden. Wir immer sehr geschlossen aufgetreten sind. Wir sind der sind gebeten worden, diese Friedensgespräche zwischen Auffassung, es ist besser, ein Abkommen zu haben, das den Taliban und der afghanischen Regierung zusammen man an der einen oder anderen Stelle optimieren kann, als mit unseren norwegischen Kollegen zu organisieren. Das kein Abkommen zu haben. Damit würde nämlich dem werden wir auch tun. Deshalb hoffen wir, dass das bei den Iran die Möglichkeit genommen, sich auf das, was in Gesprächen mit den Taliban nicht das letzte Wort gewe- diesem Vertrag steht, berufen zu müssen. Wir wollen sen ist. Wenn es dann also doch noch zu einem Abschluss nicht, dass der Iran in den Besitz von Nuklearwaffen kommt – und darauf setzen wir –, dann werden wir zu- kommt. Das wird durch diesen Vertrag erst einmal aus- sammen mit Norwegen bereitstehen, um Friedensgesprä- geschlossen. Deshalb wollen wir ihn erhalten. che bzw. eine Friedenskonferenz zu organisieren, wie wir es in Bonn vor vielen Jahren schon einmal getan haben. Wir wollen die neue Dynamik, die auf dem G-7-Gipfel in Biarritz ausgelöst worden ist, nutzen. Wir wissen, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es eine Initiative gibt, nach der dem Iran Ölverkäufe er- der CDU/CSU und der FDP) möglicht werden sollen, wenn er eine entsprechende Ge- genleistung erbringt und sich alle Beteiligten darauf ver- Meine Damen und Herren, die große Herausforderung ständigen, in neue Gespräche über die Verlängerung des in Europa, der wir uns gegenübersehen, hat etwas damit Atomabkommens, über die Rolle des Iran in der Region, zu tun, dass wir in dieser Großmächtekonkurrenz auch etwa in Syrien oder im Jemen, sowie über das Programm Europa positionieren müssen. Dafür brauchen wir mehr des Iran zu ballistischen Raketen einzusteigen. Wenn das Gemeinsamkeit und mehr Geschlossenheit. Wir brauchen gelingt, dann kommen wir in diesem Konflikt einen Veränderungen im Verfahren, wir brauchen mehr Mehr- Schritt weiter. Vielleicht sind die aktuellen Personalent- heitsentscheidungen in den Gremien der Europäischen scheidungen in Washington ein guter Hinweis darauf, Union, das Krisenmanagement muss gestärkt werden, dass wir an dieser Stelle weiter kommen können, als und wir müssen besser gegen die Einflussnahme von au- das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. ßen aufgestellt sein. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13661

Bundesminister Heiko Maas (A) diesen Weg mit den vielen Kolleginnen und Kollegen in In der Ukraine-Frage haben wir die einzige Bewegung (C) der neuen Kommission einschlagen können. gesehen, als sich Herr Macron mit Herrn Putin getroffen hat. Auch da war Frau Merkel – Sie sowieso nicht – gar Wir müssen das auch tun, um für den Brexit gewappnet nicht dabei. Da wurden Dinge ohne unsere Mitsprache zu sein. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass eine festgelegt bzw. festgemacht. Und dass der Gefangenen- Möglichkeit besteht, einen ungeregelten Brexit zu ver- austausch endlich geklappt hat, ist den guten Verhandlun- hindern, aber der Brexit wird kommen. Wir mögen ihn gen zwischen Russen und Ukrainern geschuldet. Wir ha- zwar nicht, aber wir haben auch keine Angst davor, weil ben doch kein Jota dazu beigetragen. wir uns schon lange darauf vorbereitet haben – auch für den Fall des ungeregelten Brexits –, nämlich mit einer (Beifall bei der AfD) Vielzahl von Gesetzgebungsvorhaben, die wir auf den Dass wir jetzt den Abbruch der Gespräche mit den Weg gebracht haben. Taliban befürworten, ist richtig. Nach den Anschlägen (Beifall bei der SPD) erklärt sich das von selbst. Aber auch hier haben wir Deutsche höchstens eine Zaungastfunktion. Erzählen Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Rat- Sie den Deutschen bitte nicht, dass wir maßgeblich in spräsidentschaft, die im nächsten Jahr bevorsteht, wird der Afghanistan-Politik mitwirken. Das macht der Trump uns deshalb außerordentlich beschäftigen. Ich glaube, alleine. Wenn er die Taliban treffen will, dann trifft er sie. sie ist eine gute Möglichkeit für uns, nicht nur unsere Ob Sie dem zustimmen oder nicht, ist Herrn Trump – Interessen, sondern auch die Aufstellung Europas in die- Entschuldigung! – schnurzpiepegal. ser neuen Großmächtekonkurrenz nach vorne zu bringen. Über eines müssen wir uns klar sein: Wir können nur (Beifall bei der AfD) geschlossen als Europäer auf die globalen Herausforde- Interessant ist auch, dass der deutsche Außenminister rungen, auf die Großmächtekonkurrenz, die es gibt, aber nicht einen einzigen Ton zu dem sagt, was wir hier heute auch auf die Verschiebungen, die es in der internationalen besprechen, nämlich seinen Haushalt. Ich ahne aber auch, Sicherheitspolitik gibt, antworten. Auch als Deutschland warum Sie das nicht machen. Ihnen hat ja unlängst der sind wir zu klein, um in diesem Zusammenhang Antwor- Bundesrechnungshof wieder einmal ins Stammbuch ge- ten auf diese Herausforderungen zu geben. schrieben, dass Sie in geradezu fahrlässigster Weise – Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr internationale wenn das überhaupt noch der Ausdruck ist, den man ver- Zusammenarbeit brauchen, aber genauso brauchen wir wenden darf – mit den Ihnen anvertrauten Geldern um- mehr Europa – auch damit wir in Deutschland eine Per- gehen. Ein Milliardenhaushalt, davon 2 Milliarden Euro spektive haben, die bestehenden Probleme und Heraus- für humanitäre Zwecke, für Krisenprävention; und dieser (B) forderungen vernünftig anzugehen und einer Lösung zu- Haushaltsansatz ist von 2011 bis heute von 163 Millionen (D) zuführen. Euro um das Zwölffache auf 2 Milliarden Euro ange- wachsen. Um das Zwölffache! Und dann sagt Ihnen der Herzlichen Dank. Bundesrechnungshof: Sie sind unfähig, diese Mittel sinn- voll und rechtskonform auszugeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie müssen jetzt ein Bundesamt für auswärtige Angele- genheiten gründen, weil Ihr eigenes Haus nicht in der Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Lage ist, die Verteilung der Finanzmittel noch weiterhin ordentlich und nach Recht und Gesetz zu kontrollieren. Vielen Dank, Herr Minister Maas. – Als nächster Sie unterstützen Organisationen, von denen Sie selber Redner hat das Wort der Kollege Armin-Paulus Hampel, nicht wissen: Wer hat denn weitere Subkontraktoren, AfD-Fraktion. Subunternehmer für welche Ziele beauftragt? Was ist aus- (Beifall bei der AfD) gegeben worden? Welche Ziele wurden erreicht? Die ganz normalen Prüfungskriterien einer gesunden Buch- Armin-Paulus Hampel (AfD): haltung werden bei Ihnen nicht angewandt: Das sagen Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehr- nicht wir, das sagt Ihnen der Bundesrechnungshof, Herr ten Damen und Herren! Liebe Besucher im Deutschen Außenminister. Bundestag! Liebe Zuhörer und Zuschauer draußen an (Beifall bei der AfD) den Bildschirmen! Herr Maas, das war eindrucksvoll. Ein deutscher Außenminister lobt die großen Erfolge in Sie haben beispielsweise 0,5 Millionen Euro an den der Außenpolitik, die blöderweise nicht er selber, sondern Arbeiter-Samariter-Bund für ein Projekt zur humanitären alle anderen eingefahren haben – wenn es überhaupt Er- Versorgung von Flüchtlingen in Griechenland ausgege- folge waren. ben. Da sagt Ihnen der Bundesrechnungshof: Der Arbei- ter-Samariter-Bund verfügt überhaupt nicht über die not- Die Verhandlungen mit dem Iran gründeten nicht auf wendigen Genehmigungen vor Ort. – Die ganze Sache deutsche Initiativen, sondern der Macron hat Ihnen in musste eingestampft werden. Das Ergebnis ist: 0,5 Millio- Biarritz vorgemacht, wie es geht, indem er kurz den Ira- nen Euro wurden mal kurz in den Sand gesetzt. Nicht ner eingeladen hat. Sie saßen nicht mal am Katzentisch einmal Mindeststandards werden bei der Antragsprüfung dabei und loben das jetzt hoch als deutsche Initiative. Das noch abgecheckt. ist schon mutig. Auf Anfragen zu solchen Fehlgriffen antwortet Ihr (Beifall bei der AfD) Haus uns zumindest immer, erbetene Angaben würden 13662 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Armin-Paulus Hampel (A) detaillierte Einblicke in die Kostenstruktur des Zuwen- Merkel in China. Warum haben Sie Herrn Wong nicht in (C) dungsempfängers gewähren. – Ja was denn sonst? Dieses Hongkong getroffen? Warum haben Sie ihn jetzt publi- Haus hat Ihren Haushalt zu kontrollieren und darüber zu kumswirksam über die „Bild“-Zeitung getroffen? entscheiden, ob Sie Ihr Geld richtig ausgeben. Wer, wenn nicht wir, ist auf Antworten nicht nur angewiesen, son- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dern kann sie auch verlangen? Sie aber geben uns keine Antworten, Herr Maas. Herr Kollege, es war ernst gemeint mit dem Ende der Redezeit. (Beifall bei der AfD – [CDU/ CSU]: Ekstase bei der AfD!) Armin-Paulus Hampel (AfD): Wir nennen das schon fast eine Komplizenschaft mit de- Jawohl, ich komme zu meinem Schlusssatz. – Das nen, die an Ihren Geldern interessiert sind, Herr Maas. nenne ich die Karawane der Heuchler, die in Peking auf- geschlagen sind. Hier haben Sie den Mut, etwas gegen die Wir haben den Fall, dass für die Stellung eines Anwalts Chinesen zu sagen. Und die haben Ihnen ja gerade ins für eine IS-Terroristin im Irak 30 000 Euro aufgewendet Stammbuch geschrieben, was sie von Ihrer Politik halten. wurden, obwohl diese Terroristin das Recht auf einen Pflichtverteidiger gehabt hat. Wir haben Sie gefragt: Wa- rum wird trotz eines kostenlosen Pflichtverteidigers noch Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: 30 000 Euro für einen Topanwalt gezahlt? Ihre Antwort Herr Kollege! war: Armin-Paulus Hampel (AfD): Mit Blick auf den Schutz elementarer Grundrechte der Herr Maas, Sie wären vielleicht bei der Arbeiterwohl- Betroffenen kann die Bundesregierung zum konkreten fahrt ein guter Geschäftsführer, aber Sie sind kein guter Einzelfall keine Angaben machen. deutscher Außenminister. Das sind die Antworten, die wir von Ihnen bekommen, Danke schön. wenn Sie eine Ausgabe tätigen, die nicht im deutschen Interesse ist. Der Pflichtanwalt hätte für die Dame aus- (Beifall bei der AfD) gereicht. Dafür brauchen Sie nicht deutsche Steuergelder aufzuwenden. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie machen mit der Gutmenschenpolitik vor allen Din- Der nächste Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, gen dadurch, wen Sie finanziell fördern, gemeinsame Sa- CDU/CSU-Fraktion. (B) che. Die NGOs, die über Millionen- und Milliardenein- (D) nahmen verfügen, kontrollieren Sie nicht. Sie fragen (Beifall bei der CDU/CSU) nicht: Was ist erreicht worden? Die Mindeststandards werden bei den bewilligten Geldern, wie gesagt, nicht Jürgen Hardt (CDU/CSU): eingehalten. Wegen der geschachtelten Auftragsbewilli- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gungen kommen Subkontraktoren zum Zuge. Das Geld Kollegen! Jeder von uns weiß, wo er heute vor 18 Jahren kommt bei den Menschen, Herr Außenminister, nicht an. genau zu dieser Stunde gewesen ist. Denn das, was um die Ihre Gutmenschenorganisationen machen sich mit Arbeit Mittagszeit nach deutscher Zeit am 11. September 2001 nicht die Hände schmutzig. Das machen dann die passierte, hat uns alle geschockt und uns vor Augen ge- Subkontraktoren, die Unterauftragnehmer. führt, wie verletzlich unsere liberale, freiheitliche und offene Gesellschaftsordnung ist, wenn entschlossene Ter- Wir nennen das eine Verschwendung von Steuergel- roristen sie angreifen und gefährden. dern in größtem Maße. Ein Topf von an die 2 Milliarden Euro ist kein Pappenstiel, sondern erfordert eine klare Der Außenminister hat zu Recht darauf hingewiesen, Aktenlage. Da passen Sie. Das schreiben nicht wir Ihnen dass das bis heute nachwirkt und auch Auswirkungen auf ins Stammbuch, sondern das schreibt Ihnen der Bundes- die deutsche Außenpolitik hat. Wir haben uns gerade am rechnungshof ins Stammbuch. Wochenende mit den gescheiterten Gesprächen zwischen der US-Regierung und den Taliban in Afghanistan aus- Kommen wir zu der politischen Bewertung. Wir haben einandergesetzt. Unser Ziel in Afghanistan ist immer ge- Ihnen gerade eben gesagt, was Sie in der deutschen Au- wesen, sicherzustellen, dass dieses Land niemals mehr ßenpolitik bezüglich der Verhandlungen mit der Ukraine ein sicherer Hafen für Terroristen wird, die dann gewalt- und dem Iran nicht erreicht haben. – Herr Präsident, Sie tätig gegen andere Staaten vorgehen. machen mich gerade darauf aufmerksam, dass ich zum Ende kommen muss. (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Das haben Sie aber gut hinbekommen!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das haben wir in den letzten 18 Jahren gottlob sicher- Bitte. stellen können, und es ist richtig und wichtig, dass wir das auch in einen Prozess überführen, in dem die afgha- nische Regierung das aus eigener Kraft kann. Armin-Paulus Hampel (AfD): Eines sehe ich aber noch in diesem Zusammenhang, Ich glaube deshalb, dass jeder Zeitdruck, der künstlich nämlich das, was Sie in diesen Tagen mit den Chinesen aufgebaut wird – durch amerikanische Wahltermine oder aus Hongkong geliefert haben. Sie waren doch mit Frau andere Vorgaben –, letztlich nur den Taliban in die Hände Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13663

Jürgen Hardt (A) spielt. Wir müssen trotz aller Schwierigkeiten mit der der die Region auf Dauer instabil hält. Ich glaube, dass es (C) entsprechenden Langmut an die Sache herangehen und gut wäre, wenn die deutsche Bundesregierung gemein- dann unsere Abzugsentscheidungen treffen, wenn wir es sam mit den Europäern die Initiative zu einer internatio- wirklich verantworten können, nämlich dann, wenn der nalen Konferenz ergreift, damit man im Libyen-Friedens- Prozess unumkehrbar ist. prozess – wenn man überhaupt zum jetzigen Zeitpunkt von einem Friedensprozess reden kann – weiter voran- (Beifall bei der CDU/CSU) kommt. Ich glaube, dass uns auch das im Deutschen Bun- Der Bundeshaushalt drückt in den Bereichen, die au- destag in den nächsten Monaten beschäftigen wird. ßenpolitisch relevant sind, die gestiegenen Anforderun- gen und Erwartungen an Deutschland aus. Leider ent- Eine weitere wichtige Entscheidung, die vor allem die spricht die mittelfristige Finanzplanung weder beim Bundesregierung treffen muss, ist die, wie sie mit Blick Entwicklungshilfeministerium noch beim Außenministe- auf die Rüstungsexportpolitik bei der gemeinsamen Ent- rium noch beim Verteidigungsministerium den Notwen- wicklung von Ausrüstung für die Streitkräfte mit anderen digkeiten, die das Haus hier sieht. Deswegen bin ich der Europäern vorgeht. Ich glaube, es ist dringend notwendig, Bundeskanzlerin dankbar, dass sie darauf hingewiesen dass wir Deutsche kooperationsfähig bleiben. Dafür müs- hat, dass wir auch in den kommenden Jahren, wie wir sen wir auch mit unseren Partnern, etwa mit Frankreich, es in den vergangenen Jahren auch durchgesetzt haben, Regeln vereinbaren, wie wir mit dem Export der gemein- entsprechende Ausgabensteigerungen in den Ressorts sam erstellten Rüstungsgüter umgehen. Auch dort erwar- brauchen. Aber damit werden wir uns in den Ausschuss- te ich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten die beratungen auseinandersetzen. notwendigen Entscheidungen treffen. Wenn das nicht passieren würde, würden diese Projekte im Sande verlau- Wir haben jetzt einen Herbst der Entscheidungen in der fen. Das wäre von großem Nachteil für die deutsche Bun- Außenpolitik vor uns, der auch den Deutschen Bundestag deswehr und den deutschen Steuerzahler. wesentlich erfassen wird. Wir werden schon in wenigen Wochen darüber beraten, ob wir das Anti-Daesh-Mandat – (Peter Beyer [CDU/CSU]: Und die der deutsche Einsatz bzw. die Ausbildungshilfe im Irak Arbeitsplätze nicht zu vergessen!) und die Luftaufklärung und -betankung für die Allianz – fortsetzen. Ich bin froh, dass es in den letzten Wochen Es gibt einen weiteren wichtigen Punkt, bei dem im gelungen ist, auf allen Seiten ein Stück weit ein Aufei- Herbst Entscheidungen auf deutscher und europäischer nanderzugehen zu erreichen, und bin zuversichtlich, dass Ebene anstehen. Das ist die Handelspolitik der Europä- wir so, wie es die irakische Regierung und unsere Partner ischen Union, die mit der Handelsvereinbarung mit Mer- erwarten, doch zu der Entscheidung kommen, dass wir cosur, die in der Schlussphase ist, ein weiteres neues Ka- (B) diesen Einsatz in allen seinen Elementen fortsetzen, weil pitel Richtung Lateinamerika aufgeschlagen hat. Ich (D) der IS nicht besiegt ist, weil noch nicht die Stabilität im wünsche mir, dass die Bundesregierung das Ziel der Han- Irak erreicht ist, die wir erwarten, und weil wir einen delspolitik der Europäischen Union, den Handel weltweit sinnvollen Beitrag in dieser Mission sehen. Das wird eine zu erleichtern, massiv unterstützt – nicht nur, weil es gut der Entscheidungen sein, die wir zu treffen haben. ist für deutsche Arbeitsplätze, sondern auch, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass Nationen, die im Handel Es wird weitere Entscheidungen geben, die wir hier miteinander verbunden sind, immer einen Weg finden, treffen müssen. Ich glaube und hoffe, dass mit der neuen auch andere Konflikte und widerstreitende Sichtweisen italienischen Regierung auch ein neues Fenster geöffnet miteinander auf friedliche Weise zu lösen. In der Han- ist, um darüber zu reden, wie wir mit der humanitär be- delspolitik erwarte ich insbesondere, dass die deutsche drückenden Situation im Mittelmeer umgehen. Ich glau- Bundesregierung massiv die Europäische Union ermu- be, dass es auch eine staatliche Komponente der Flücht- tigt, dieses Mercosur-Handelsabkommen zu finalisieren. lingshilfe und der Seenotrettung in dieser Region geben muss, so wie wir es mit EUNAVFOR MED Sophia gehabt Ich erwarte nicht zuletzt, dass die neue Europäische und geleistet haben. Es ist letztlich an dem Rechtspopu- Kommission unter Leitung unserer früheren Verteidi- listen Salvini gescheitert, dass dieses Projekt weiter- gungsministerin Ursula von der Leyen einen besonderen entwickelt und weitergeführt wurde. Schwerpunkt auf die Weiterentwicklung der europä- (Beifall des Abg. [AfD]) ischen Außen- und Sicherheitspolitik setzt. Ich glaube, dass das Personal, das für dieses Feld in der Kommission Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung einen vorgesehen ist, auch dafür steht, dass wir dort Fortschritte entsprechenden Anlauf unternimmt, zu prüfen, ob mit der erreichen. Ich glaube im Übrigen, dass das hohe Ansehen neuen italienischen Regierung die Dinge wieder entspre- Ursula von der Leyens in der Europäischen Union, was chend fortgesetzt werden können. letztlich dazu geführt hat, dass sie Präsidentin der Kom- mission geworden ist, wesentlich darauf zurückgeht, dass (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sie eine der Motoren bei der Entwicklung der PESCO, der der SPD) Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Verteidi- Ich glaube, wir müssen uns auch dem Thema Libyen gungsbereich, gewesen ist. Ich gehe davon aus, dass auch mit neuer Aufmerksamkeit zuwenden. Es gibt klare Hin- aus Brüssel in den nächsten Monaten die eine oder andere weise darauf, dass Terroristen, die jetzt in Syrien vertrie- Anfrage an Deutschland gerichtet wird, wie wir uns sinn- ben werden, Richtung Libyen unterwegs sind und das voll einbringen können. Land weiter destabilisieren. Es gibt Hinweise darauf, dass sich in Libyen eine Art Stellvertreterkrieg manifestiert, Herzlichen Dank. 13664 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Jürgen Hardt (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Die EU-Ratspräsidentschaft steht vor der Tür. Wo blei- (C) Abgeordneten der SPD) ben eigentlich die überfälligen Initiativen der deutschen Europapolitik nicht nur in Worten, sondern auch in Taten, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: um die EU in ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken? Stich- wort „mehr Mehrheitsabstimmungen in der Außenpoli- Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner: für tik“, Stichwort „Stärkung des Hohen Vertreters; hin zu die Fraktion der FDP der Kollege Michael Link. einem echten EU-Außenminister“, (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Stichwort – da ist Ihr Haus sogar federführend – „Initia- Michael Georg Link (FDP): tive für einen neuen EU-Haushalt, der weniger Subven- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst tionsverteilungsmaschine à la 80er-Jahre und mehr Ant- vor wenigen Tagen gedachten wir des Beginns des Zwei- wort auf die Aufgaben von heute ist“. ten Weltkrieges. Aus dieser fast vollständigen Zerstörung hatte Deutschland, hatte Europa, hatte die Welt gelernt (Beifall bei der FDP) und über Jahrzehnte ein System des menschenrechtsba- Im Kern, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen sierten und regelgebundenen Multilateralismus aufge- und Kollegen, wird bei diesem Haushalt Folgendes klar: baut. Einerseits ist die Mittelausstattung des AA angesichts der Was haben Organisationen wie die Vereinten Nationen, gesamten globalen Herausforderungen zu gering. Ande- die OSZE, der Europarat, die WTO, aber auch und gerade rerseits aber hat das AA gar nicht die Kapazitäten, all die unsere Europäische Union gemeinsam? Sie alle haben zu Aufgaben und Mittel umzusetzen. Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa und der (Zuruf von der FDP: Sehr wahr!) Welt beigetragen. Sie alle wurden konzeptionell vom Auswärtigen Amt mit- und strategisch weiterentwickelt. Das AA erhielt infolge der Flüchtlingskrise 2014 bis Und sie alle stehen heute unter massivem Druck von in- 2017 Milliarden Euro an neuen Mitteln – zu Recht –; aber nen und von außen. seine Strukturen wuchsen nicht entsprechend mit. Das heißt, der Mangel im AA besteht nicht nur in der Mittel- Was ist nun die Antwort der Bundesregierung auf diese ausstattung, den man 2020 gerade noch mit aufgestauten internationalen Herausforderungen? Während weit mehr Haushaltsresten abfedern kann. Vielmehr mangelt es dem als 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind Auswärtigen Amt seit Jahren an einer politischen Lei- und Hunderttausende Menschen in Venezuela, Moskau, tung, die die bestehenden Managementprobleme endlich (B) Hongkong und anderswo für Menschenrechte und Demo- in den Griff bekommt. (D) kratie demonstrieren, sinkt der Haushaltsentwurf für das Auswärtige Amt für 2020 in nominalen und relativen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zahlen. In den Folgejahren sieht es noch schlimmer der AfD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- aus; denn ab 2021 soll der Haushalt für das AA noch NEN) deutlicher abgesenkt werden. Dieser Haushalt, Herr Mi- Höchste Zeit für ein neues Denken, höchste Zeit zum nister Maas, sollte Ihnen den Schlaf rauben. Beispiel dafür, dass sich das Auswärtige Amt von allen nichtministeriellen Aufgaben trennt; denn es braucht eine (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gebündelte Auslandskompetenz, zum Beispiel im Zu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wendungsbereich, beim Auslandsbauwesen, im Bereich Er verschläft die umfassende Reaktion auf die rasant der deutschen Auslandsschulen und vor allem bei der wachsenden globalen Herausforderungen. Was für ein Visumsvergabe. Die Rotation von Beamten und General- Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit! istentum haben ihre Berechtigung in der klassischen Dip- lomatie; aber für die oben genannten Bereiche bedarf es (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Ekin der Spezialisierung und der Fachexpertise. Deshalb ist die Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Idee, ein Bundesamt für Auswärtiges zu schaffen, gut, sofern dessen Stellen per Umschichtung geschaffen wer- Mit den meisten in diesem Haus sind wir uns einig: Wir den und soweit dadurch tatsächlich mehr Effizienz ent- wollen und müssen den Multilateralismus stärken. Ja, wir steht. geben Ihnen recht, wir müssen ihn stärken; aber eine mutige, wirksame und reaktionsschnelle Außenpolitik (Beifall bei der FDP) braucht mehr als Symbole und Tweets, sie braucht Sub- Akut benötigen wir mehr Personal besonders bei den stanz. Und Substanz geht beim Personal los. Wir brau- Pass- und Visastellen, um die Fachkräftegewinnung er- chen viele gute Diplomatinnen und Diplomaten, einen folgreich umsetzen zu können. Vor allem, liebe Kollegin- hochprofessionellen Auswärtigen Dienst mit endlich di- nen und Kollegen, brauchen wir endlich die Digitalisie- gitalen Arbeitsbedingungen, die geeignet sind, auf dem rung bei der Visumsvergabe statt vorsintflutliche umkämpften Arbeitsmarkt wieder die Besten zu gewin- Verfahren bei Arbeitsvisa mit epischen Wartezeiten von nen und die vielen unbesetzten Stellen im Auswärtigen zwei bis drei Jahren allein für die Terminvergabe. Amt endlich aufzufüllen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Herr Minister, „den Multilateralismus stärken“, das sa- Und natürlich auch Substanz in der Sache. gen Sie zu Recht. Aber wo bleibt dann das deutliche Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13665

Michael Georg Link (A) Signal des UN-Sicherheitsratsmitglieds Deutschland zur der politischen Agenda. Damals gab es noch nicht die (C) Stärkung derjenigen Organisationen, die am dringendsten Zerwürfnisse, den Putsch in der Türkei, und es gab auch auf mehr Unterstützung angewiesen wären, wie zum Bei- nicht schreckliche Terroranschläge wie den in Nizza, den spiel das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen? in Brüssel, den in Paris, den in Berlin; um nur die An- schläge in Europa zu nennen. All das kam später. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Damals – das meine ich jetzt nicht als Witz – waren die Umfragewerte für die Koalition noch bei zwei Drittel: Anspruch und Wirklichkeit fallen hier leider auseinander, 40 Prozent Union, SPD 25 Prozent. Es gab damals auch genau wie bei der überfälligen Stärkung der Menschen- immer noch positive Meldungen in den folgenden Mona- rechtsbeauftragten der Bundesregierung. ten. Es wurde das Pariser Klimaabkommen beschlossen. Kolleginnen und Kollegen, ich komme langsam zum Es wurde das Atomabkommen mit dem Iran beschlossen. Schluss. Wir wissen als Freie Demokraten: Mit einfach Das ging sogar einher mit einem Gefangenenaustausch nur mehr Geld ist es nicht getan. Wir brauchen neben zwischen den USA und Iran – unvorstellbar heute. Es gab mehr Mitteln vor allem deutlich mehr Effizienz. Ein ver- auch – das möchte ich hierzu erwähnen – das Friedens- netzter Ansatz in der Außen-, Entwicklungs- und Vertei- abkommen in Kolumbien. Rückblickend aus unserer heu- digungspolitik ist nötiger denn je. Wir Freie Demokraten tigen Sicht war es sozusagen eine fast schöne Zeit, eine greifen deshalb den von der Fachwelt seit Langem ge- fast schöne Welt, und trotzdem hat Steinmeier damals forderten vernetzten Ansatz für Deutschlands internatio- gesagt: Die Welt scheint aus den Fugen geraten. nales Handeln gerne auf. Aber stattdessen laborieren heu- te die Etats von außen, Entwicklung und Verteidigung Heute ist das alles vorbei. Die Konflikte von damals immer noch nebeneinanderher. Höchste Zeit für bessere existieren immer noch. Sie sind nicht gelöst. Es sind neue Abstimmung! dazugekommen. Die Verträge werden angegriffen, wer- den gebrochen, nicht eingehalten. Europa ist nicht wirk- (Beifall bei der FDP) lich in der besten Verfassung. Das sieht man, wenn man nach Österreich schaut. Italien hat gerade noch mal die Die Welt draußen richtet sich nicht nach den Einzel- Kurve bekommen. In Großbritannien ist ein völliges plänen unseres Haushalts. Stattdessen müsste sich unser Chaos ausgebrochen, und im Weißen Haus sitzt eben Haushalt nach den Herausforderungen dieser Welt rich- nicht mehr Obama, sondern – man kann es nicht anders ten. In diesem Sinne freuen wir uns auf die Haushaltsbe- sagen – ein Verrückter, der auf globaler Ebene keine Pro- ratungen für den Bundeshaushalt 2020. bleme löst, sondern immer wieder neue Probleme anzet- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. telt – wie aktuell den Handelskrieg mit China. (B) (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. [FDP]) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Dann kommt der Haushalt vom Auswärtigen Amt. Der nächste Redner: für die Fraktion Die Linke der Wenn man den liest, denkt man: Es ist nichts passiert; Kollege Michael Leutert. in der Welt ist nichts geschehen. – Der Haushalt, der uns hier vorgelegt wurde, stagniert. Wenn man in die (Beifall bei der LINKEN) mittelfristige Finanzplanung hineinschaut, wird es noch schlimmer: Es gibt im Jahr 2021 eine massive Kürzung Michael Leutert (DIE LINKE): um fast 800 Millionen Euro. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Begonnen mit der Kanzlerin haben heute viele (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Absurd!) Rednerinnen und Redner deutlich gemacht, vor welchen Liebe Kolleginnen und Kollegen, so leisten wir keinen Herausforderungen wir international stehen. Der Haus- Beitrag zur Problemlösung auf internationaler Ebene. haltsentwurf, der uns hier heute vorgelegt wird, wird – das kann man so sagen – dieser internationalen Situation (Beifall bei der LINKEN) nicht gerecht. Im aktuellen Entwurf wird gestrichen. Es wird mit (Beifall bei der LINKEN) Cent-Beträgen gerechnet. Man bekommt im Übrigen Man kann sich da nur verwundert die Augen reiben. Ich den Eindruck, dass man das Haushaltsbuch einer WG möchte hier noch einmal darauf hinweisen – ich habe es liest, und nicht den Haushalt des Auswärtigen Amtes. letztes Jahr schon getan –: Vor exakt fünf Jahren, 2014, (Beifall bei der LINKEN) stand der damalige Außenminister und heutige Bundes- präsident Frank-Walter Steinmeier hier und hat den Satz Nur mal ein paar Beispiele. Kapitel „Sicherung von Frie- gesagt: „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“ Er hat die- den und Stabilität“: minus 100 Millionen Euro. Titel sen Satz damals gesagt vor dem Hintergrund des Syrien- „Maßnahmen der regionalen Zusammenarbeit“: minus Krieges, des Zerfalls von Libyen, der Krim-Annexion. 161 000 Euro. Um mal etwas Positives zu nennen: Deut- sche Gesellschaft für Osteuropakunde: plus 7 000 Euro. Aber damals gab es auch noch andere Sachen, die im- Noch etwas Positives: Gesellschaft für Außenpolitik: 1 mer ein wenig aus dem Blickwinkel verschwinden. Da- 000 Euro mehr. mals hieß nämlich der Präsident der USA noch Barack Obama. Damals war der Brexit noch überhaupt nicht auf (Zuruf von der LINKEN: Hey!) 13666 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Michael Leutert (A) Herzlichen Glückwunsch! Zuwendungen an Auslands- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) schulen: minus 410 000 Euro. Förderung des Schüleraus- sowie bei Abgeordneten der FDP) tausches: minus 858 000 Euro. Gerade Schüleraustausch! Das sind so kleine Sachen, wo Begegnungen stattfinden, Ich will das an zwei Beispielen konkretisieren. Sie ha- wo Eindrücke gesammelt werden. Dort, wo es richtig ben hier und auch in der Berichterstattersitzung über Ihr wehtut, werden kleine Beträge gestrichen. Das ist absurd. Engagement im Zuge der Klimakrise und gegen den Klimawandel geredet und auch darüber, was Sie im Si- (Beifall bei der LINKEN sowie bei cherheitsrat der UN angestoßen haben. Das ist richtig. Abgeordneten der FDP) Das ist auch wichtig. Die Wälder brennen. Die Gletscher schmelzen. Hungersnöte führen zu Armut und zu Krieg. Das alles wird vorgelegt von einem SPD-Finanzminis- Aber warum bilden Sie das nicht in Ihrem Etat ab? Wa- ter, der demnächst SPD-Chef werden will, und einem rum behandeln Sie die Klimaaußenpolitik mit so einem so SPD-Außenminister. kleinen Volumen von 7 Millionen Euro, so stiefmütter- (Beifall bei der LINKEN) lich? Warum verlangen Sie von anderen Staaten, dass sie sich engagiert für den Klimaschutz einsetzen, streben sel- Ich verstehe es nicht. An diesem Punkt hätte man doch ber aber noch nicht mal danach, im Klimakabinett zu mal Profil zeigen können, liebe Genossinnen und Genos- sitzen? sen. Im Koalitionsvertrag steht, man wolle die „Mittel für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhöhen“. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gegenteil ist der Fall. Dann: „Das Netzwerk deutscher sowie bei Abgeordneten der FDP) Auslandsschulen … soll ausgebaut und gestärkt werden.“ Das Gegenteil ist der Fall. Es steht weiter im Koalitions- Warum bleiben Sie da so passiv? Es verleiht Ihnen doch vertrag: „Wir brauchen eine entschlossene und subs- mehr Glaubwürdigkeit, wenn Sie über Klimaschutz nicht tanzielle Außen- …politik … Wir wollen die … Mittel nur reden, sondern auch handeln, wenn Sie Klimaschutz deutlich stärken, um die immensen internationalen He- nicht nur von den anderen einfordern, sondern auch na- rausforderungen zu bewältigen.“ – Das ist bis jetzt – es tional etwas verändern. Das bildet Ihr Etat jedoch nicht ist Halbzeit – nicht passiert. Ich kann Ihnen nur sagen, ab. liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Linke will, dass der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Koalitionsvertrag in diesen Punkten eingehalten wird, sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP]) (Beifall bei der LINKEN) Oder das zweite Beispiel. Sie reden – wir alle reden – und dafür werden wir in den nächsten Wochen streiten von Shrinking Spaces. Wir wissen, was es bedeutet, wenn (B) und uns konstruktiv einbringen. Populismus zunimmt, (D) Recht herzlichen Dank. (Lachen bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der LINKEN) wenn Nationalismus zunimmt, wir wissen, was das für die NGOs bedeutet, für die Kommunikationskultur, für Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das Leben und Gestalten von Demokratie. Wir sind in unserer Verfassung auch dazu verpflichtet, genau das zu Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin: verteidigen. Und was machen Sie? Sie kürzen genau bei für Bündnis 90/Grüne die Kollegin Ekin Deligöz. denen, die in vielen Staaten die letzten Räume schaffen , (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wo noch Demokratie gelebt werden kann, nämlich bei unseren Stiftungen und bei unseren Kultureinrichtungen Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): im Ausland, wie zum Beispiel beim Goethe-Institut. Dort Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kürzen Sie die Mittel und damit schließen Sie diese Räu- glaube, es gibt einen Grundkonsens, den wir in der Halb- me. Die Konsequenz ist, dass genau die Menschen, die für zeit der Debatte festhalten können: Die Außenpolitik wird das kämpfen, wofür wir einstehen sollten, nicht nur unter komplexer. Die Herausforderungen werden größer. Und Diffamierungskampagnen leiden, sondern am Ende mit Sie, Herr Minister, haben im kommenden Jahr einiges vor Inhaftierung und Gewalt konfrontiert werden. Das ist die sich, und zwar nicht nur die Ratspräsidentschaft, sondern Konsequenz, wenn Sie da kürzen. Das hat auch etwas mit auch viele Momente und Möglichkeiten der Gestaltung weltweiter Verantwortung zu tun. Zeigen Sie sich hier der Weltentwicklung. verantwortlich und stärken Sie diese Instrumente, statt sie zu schwächen. Dann wundert es mich aber, dass Sie in dieser ganzen Debatte mit keinem einzigen Satz Ihren Etat verteidigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Kollegen, Herr Link und auch Herr Leutert, haben sowie bei Abgeordneten der FDP) Ihnen gesagt, wie in der Finanzplanung Ihre Mittel sin- ken. Das ist das eine. Das andere ist: Gerade Ihr Etat muss An dieser Stelle: Ich weiß nicht, liebe Kollegen, ob eine exorbitant hohe globale Minderausgabe aus den lau- Ihnen das aufgefallen ist; aber mich hat es persönlich fenden Posten erbringen. Das schwächt Sie. Das nimmt mitgenommen, was hier von der AfD gekommen ist. Ihnen Luft zum Atmen. Das gibt Ihnen keinen Raum zur Sie instrumentalisieren hier den Bundesrechnungshof Gestaltung. Wenn Sie da nicht schnell etwas ändern, wer- für Ihre Zwecke und das darf nicht sein. den Sie nicht mal die Hälfte der Vorhaben umsetzen kön- nen, die Sie uns heute vorgetragen haben. (Zurufe von der AfD: Oh!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13667

Ekin Deligöz (A) Ich will Ihnen auch sagen, warum. Das eigentliche Ziel Konstellation auch dazu führt, dass wir für Kriege wie (C) der AfD ist doch Folgendes: Sie wollen doch alles kürzen, zum Beispiel in Syrien und im Jemen kaum Lösungsmög- was mit der UN zu tun hat; Sie wollen alle Titel kürzen, lichkeiten haben. Im Gegensatz zu dem, was gerade eben die im Bereich der Menschenrechte sind; Sie wollen alle aus der Opposition kam: Die auswärtige Politik, das Aus- Titel kürzen, die im Bereich der humanitären Hilfe sind. wärtige Amt haben auf diese Entwicklungen reagiert. Jetzt instrumentalisieren Sie den Bundesrechnungshof. Übrigens: Würden Sie die Berichte des Bundesrech- (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE nungshofes lesen, wüssten Sie, dass darin gar nicht das GRÜNEN]: Gekürzt!) steht, was Sie hier behaupten. Das tun Sie aber nicht; das Ich will noch mal die Haushaltszahlen deutlich machen: würde Ihnen ja nicht in den Plan passen. 2015 betrug der Haushalt des Auswärtigen Amtes 3,7 Mil- Dann reden Sie hier von Gutmenschentum! Wenn es liarden Euro. Er wird im nächsten Jahr 5,7 Milliarden Gutmenschentum ist, sich für Menschenrechte einzuset- Euro betragen. Das ist eine Steigerung um 60 Prozent. zen, wenn es Gutmenschentum ist, sich für humanitäre (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roderich Hilfe einzusetzen und für das, was in unserer Verfassung Kiesewetter [CDU/CSU]) steht, wenn das Gutmenschentum ist, dann bin ich ein Gutmensch, und ich bin richtig stolz darauf, das sein zu Das heißt, die deutsche Außenpolitik hat hier sehr klar können. und sehr deutlich auf neue Herausforderungen reagiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Eines will ich aber auch noch mal klarmachen: Außen- wie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- politik steht immer in der Balance zwischen kurzfristi- KEN) gem, effektivem Krisenmanagement und langfristig an- Herr Minister, Sie haben einige Baustellen. Das Geld gelegten strategischen Initiativen. In den letzten Jahren ist zum Beispiel für die Opfer der Colonia Dignidad ist, ein Großteil der Steigerung des Haushalts in das kurz- obwohl es einen Bundestagsbeschluss gibt, in Ihrem Etat fristige Krisenmanagement geflossen; das konnte auch noch immer nicht eingestellt. Sie reden über Menschen- gar nicht anders sein. Humanitäre Hilfe aufstocken heißt rechte. Aber die Menschenrechtsbeauftragte ist immer Krisenprävention aufstocken. noch nicht so ausgestattet, dass sie auch wirklich ihre Es wird aber in einer Welt, die sich bewegt, angesichts Arbeit erledigen kann. der Konfrontation der großen Machtblöcke notwendig (Michael Georg Link [FDP]: Richtig! Genau!) sein, dass wir in den kommenden Jahren das Augenmerk auch wieder auf die langfristigen strategischen Initiativen Sie reden davon, dass wir neue Strukturen im Haus brau- lenken. Das wird aber nicht im Alleingang möglich sein; (B) (D) chen. Aber wenn es um die Personalreserve geht, um die das geht nur mit einer starken und einigen Europäischen neue Personalplanung, wird im Moment nichts getan. Union. Deshalb müssen wir die neue Legislaturperiode Hier ist übrigens auch das Finanzministerium gefordert: des Europäischen Parlaments – die Kommission wurde Hören Sie endlich auf, dieses Amt als Gedöns abzuhan- gerade vorgestellt – und auch die deutsche Ratspräsident- deln! Das Auswärtige Amt verdient mehr, und es liegt schaft im nächsten Jahr nutzen, um in der Europäischen auch in unserer Verantwortung, die Rahmenbedingungen Union neu durchzustarten. Der Haushalt 2020 muss die zu schaffen, damit das Amt ordentlich arbeiten kann. Ressourcen dafür zur Verfügung stellen. Denn die sind derzeit noch nicht vorhanden. Das ist die Lage. (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. Werte Kolleginnen und Kollegen, eine starke und handlungsfähige EU ist und bleibt die Aufgabe Nummer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eins für die deutsche Außenpolitik. Denn nur mit einer starken und handlungsfähigen EU werden wir im globa- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: len Wettbewerb, aber auch bei der Bewältigung der glo- Der nächste Redner für die SPD-Fraktion: der Kollege balen Probleme handlungsfähig sein und Weltpolitik Christoph Matschie. wirklich mitgestalten können. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]) Christoph Matschie (SPD): Es gibt aber auch Gestaltungsaufgaben, die heute noch Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die nicht so sehr im Fokus stehen; auch die will ich kurz Debatte heute hat es auch wieder gezeigt: Die Außenpo- streifen. Unser Nachbarkontinent Afrika verändert sich litik ist in den letzten Jahren stärker ins Zentrum der in einem rasanten Tempo, ein Kontinent im Aufbruch, öffentlichen Aufmerksamkeit geraten. Das hat aber keine ein Kontinent, der rasant wächst. Wir brauchen auch hier guten Gründe; es hat vielmehr damit zu tun, dass der noch bessere außenpolitische Antworten; denn die Ent- Großmachtwettbewerb zurück ist in der Weltpolitik. wicklungen von Europa und Afrika sind enger miteinan- Der aktuelle Streit um die Handelspolitik zwischen den der verbunden, als wir das oft wahrhaben wollen. Auch USA und China ist ja nur ein prominenter Ausdruck da- hier braucht es in Zukunft neue strategische Initiativen. für. Es hat auch damit zu tun, dass unser Verhältnis zu unserem größten Nachbarn in Europa, Russland, deutlich (Beifall des Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/ gestört ist. Und es hat damit zu tun, dass diese neue CSU]) 13668 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Christoph Matschie (A) Last, but not least geht es in der Diplomatie immer (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) darum, miteinander und nicht übereinander zu reden. NEN]: An Ihnen ist überhaupt nichts echt außer Deshalb komme ich noch mal zur Auswärtigen Kultur- Ihrer Gesinnung!) und Bildungspolitik. Die Vermittlung der deutschen Spra- die ihrer Bezeichnung als Oppositionspartei wirklich che und Kultur im Ausland, die Zusammenarbeit der Wis- gerecht wird. senschaft, das alles ist nicht das Sahnehäubchen der Au- ßenpolitik, sondern es ist eine zentrale Säule. (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Michael Brand [] [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU] und Ganz davon abgesehen, dass natürlich die CDU/CSU [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und die SPD als Regierung selbstverständlich auch auf die Rügen des Bundesrechnungshofs hin hätten tätig wer- Hier entstehen Netzwerke, hier entsteht ein gemeinsames den müssen, anstatt das Geld der Steuerzahler weiter Verständnis von Problemen, und hier entsteht ein wichti- planlos und unkontrolliert weltweit zu verschleudern. ger Baustein für die Zukunft unseres Landes, aber auch Nein, im Gegenteil: Sie haben sich noch bis zuletzt mit die Zukunft des Planeten. Deshalb war es richtig, diesen den hohen Steigerungen der letzten Jahre gerühmt, die Bereich der Außenpolitik in den letzten Jahren deutlich vorgeblich für humanitäre Hilfe ausgegeben wurden. zu stärken. Ich hoffe und wünsche mir, dass das auch in den kommenden Jahren gelingt. Wir, die AfD, haben mit dem Bundesrechnungshof auf- grund dieser skandalösen Zustände sogleich dazu gera- Herzlichen Dank. ten, dass sich das Auswärtige Amt konsequent von der nichtministeriellen Aufgabe der Bearbeitung der Zuwen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dungen trennt und eine ordnungsgemäße Prüfung sicher- der CDU/CSU) stellt. Nun, es hat sich etwas getan: Das Auswärtige Amt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: beabsichtigt jetzt, im Jahre 2021 eine selbstständige Bun- Für die AfD-Fraktion hat das Wort die Kollegin desoberbehörde zu gründen, die die Aufgabe der Zuwen- Dr. Birgit Malsack-Winkemann. dungsbearbeitung übernehmen soll. Wir stellen also fest: (Beifall bei der AfD) AfD als Oppositionspartei wirkt, (Beifall bei der AfD) Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): und das ist vor allem ein Erfolg für alle Bürger unseres (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Das Landes, die anständig und ehrlich ihre Arbeit verrichten. (D) Auswärtige Amt vergibt seit Jahren explosiv steigende Zuwendungen. Seit 2006 wuchsen sie von 500 Millionen (Beifall bei Abgeordneten der AfD) auf 2,9 Milliarden Euro in 2018. Hierbei stiegen die Mit- Aber warum eine Bundesoberbehörde erst 2021? Gibt tel für humanitäre Hilfe und Krisenprävention von 70 Mil- es derzeit im Auswärtigen Amt keine für die Zuwen- lionen auf 1,8 Milliarden Euro, also um 2 500 Prozent. dungsbearbeitung qualifizierten Fachkräfte? Und wie er- Stand Ende 2018 war das Auswärtige Amt den Anfor- folgt die Erledigung bis 2021? Werden die Milliarden bis derungen an eine ordnungsgemäße Gewährung von Zu- dahin weiter unkontrolliert und planlos weltweit ver- wendungen nicht mehr gewachsen. Die Verteilung von schleudert? Aufgaben und Verantwortlichkeiten war unklar geregelt, (Zuruf von der AfD: Natürlich!) dazu fehlte der Gesamtüberblick über alle aus dem eige- nen Einzelplan finanzierten Zuwendungen. Es hatte keine Zwischenzeitlich jedenfalls wurde dem Haushaltsaus- Kenntnis über den Bearbeitungsstand seiner Zuwen- schuss unter dem 6. Mai 2019 ein, wie das Auswärtige dungsverfahren, und Verwendungsnachweise über rund Amt formuliert, sogenannter titelscharfer Bericht über 2,46 Milliarden Euro hat es weder selbst ausreichend ge- seine Mittelverwendung in 2018 vorgelegt. Wie oft in prüft noch hinreichend prüfen lassen. diesem Bericht als Durchführungsorganisation „diverse“ oder als Empfängerland „global“ genannt wurde, spottet (Beifall bei Abgeordneten der AfD) jeder Beschreibung. Das Auswärtige Amt konnte also nicht sicherstellen, (Beifall bei der AfD) dass die Mittel wie geplant verwendet werden. Es ist symptomatisch dafür, was das Auswärtige Amt Das war der Stand zur Zeit meiner letzten Rede im unter einem sogenannten titelscharfen Bericht über seine November 2018, mit der ich auf diesen Skandal hier an Mittelverwendung gegenüber dem Parlament versteht, dieser Stelle als Einzige öffentlich hingewiesen habe, ob- und das, obgleich der gesamte Bericht unter „Verschluss- gleich auch Sie, die Sie hier alle sitzen, Kenntnis hiervon sache – Nur für den Dienstgebrauch“ gestellt wurde und hatten. Sie alle haben diese langjährigen Zustände öffent- es mir als Abgeordneter ohnehin verboten ist, Ihnen als lich mit keinem Wort erwähnt! Bürgern hierüber im Einzelnen zu berichten. Deshalb nur so viel: Würden manche der als Empfän- (Beifall bei der AfD) gerländer aufgeführten Länder hier in Deutschland ihre Und genau daran erkennt jeder, dass die AfD die ein- staatlichen Gelder – wie von Deutschland aus umge- zige echte Oppositionspartei in diesem Hohen Hause ist, kehrt – bei Organisationen, die bei uns seitens unserer Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13669

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) Regierung unbeliebt sind, investieren, gäbe es hier in (Beifall bei der AfD) (C) Deutschland einen handfesten, in der Presse wochenlang hoch- und runtergejagten Skandal, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort die Kollegin GRÜNEN]: Diese böse Presse!) Dr. Katja Leikert. in etwa dem Skandal vergleichbar, als dem amerikani- (Beifall bei der CDU/CSU) schen Präsidenten Donald Trump – übrigens unberech- tigt – vorgeworfen wurde, sein Wahlkampf sei von Russ- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): land finanziert worden. Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Kollegen! Nachdem gerade Präsident Trump und auch Putins Russland bedauert wurden, kommen wir jetzt wie- Aber kommen wir auf die Niederungen Deutschlands der zur Außenpolitik. Dazu gehört ressortmäßig auch die zurück und plaudern aus dem Nähkästchen, wofür das Europapolitik. Und wenn es um die Europäische Union Auswärtige Amt im Inland Steuergelder vergibt. Da gibt geht, dann erwarten die Menschen zu Recht viel von uns. es zum Beispiel das Reeperbahn Festival in Hamburg, vergleichbar dem Oktoberfest in München oder dem Äp- Gerade nach der Europawahl kann man sagen, dass pelwoifest in Frankfurt. Europa an einer Wegmarke steht. Wir haben ein neues Europaparlament gewählt, das sich Anfang Juli konsti- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Nein! tuiert hat. Wir haben eine großartige neue Kommissions- Schlechter Vergleich! – Weitere Zurufe von präsidentin, unsere Kollegin Ursula von der Leyen, der der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE wir von dieser Stelle aus noch mal herzlich zu dem neuen GRÜNEN) Amt gratulieren möchten. Im Gegensatz zu Letzteren erfreut sich das Reeperbahn (Beifall bei der CDU/CSU) Festival besonderer Unterstützung durch den Haushalts- ausschuss und das Auswärtige Amt. Denn ausweislich Und wir haben eine neue Kommission, die sich in diesen des Bundes der Steuerzahler wurden die Steuerzuschüsse Tagen formiert hat und in den nächsten Wochen in den bereits 2017 auf 2 Millionen Euro angehoben, aus dem Ausschüssen des Europäischen Parlaments auf Herz und Auswärtigen Amt fließen 200 000 Euro. Nun sollen in Nieren geprüft wird. Im November wird die neue Kom- den nächsten fünf Jahren weitere 28 Millionen Euro zu- mission ihre Arbeit aufnehmen. Auch dafür wünschen sätzlich fließen, selbstverständlich auch weiterhin die 200 wir viel Erfolg. (B) 000 Euro vom Auswärtigen Amt. Lassen Sie mich zu den Entwicklungen der letzten Wo- (D) Wo kämen wir hin, wenn auch das Oktoberfest in Mün- chen noch zwei Sätze sagen, weil wir hier ja alle dem chen oder das Äppelwoifest in Frankfurt, die sich ja auch demokratischen Prinzip verpflichtet sind. Die Wahlen regen internationalen Zuspruchs erfreuen, im selben Um- zum Europaparlament hat auch in diesem Jahr die Par- fang subventioniert würden? Was hat das Auswärtige teienfamilie der Europäischen Volkspartei gewonnen, Amt überhaupt mit dem Reeperbahn Festival zu tun? und zwar deutlich; manchen mag das gefallen, anderen nicht so sehr. Deshalb ist es richtig und selbstverständ- Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, verges- lich, dass die EVP die Kommissionspräsidentin stellt. sen immer wieder, dass Sie fremdes Geld, nämlich hart Alles andere wäre an dieser Stelle eine Verdrehung des erarbeitetes Steuergeld deutscher Bürger, treuhänderisch Wahlergebnisses gewesen. verwalten Jetzt bin ich die Letzte, die viel von Fußball versteht; (Beifall bei der AfD) aber es ist einfach ein bisschen wie beim Fußball – ich und von Gesetzes wegen dazu verpflichtet sind, wirt- erkläre es euch gerne –: Mit großer Regelmäßigkeit ge- schaftlich und sparsam mit unserem Steuergeld umzuge- winnt der FC Bayern München den deutschen Meistertitel hen. bei den Herren. (Zuruf der Abg. Helin Evrim Sommer [DIE (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- LINKE]) NEN]: Keine gute Nachricht! Nichts ist daran gut!) Und genau dafür stehen wir, die AfD. Ein weltweit un- kontrolliertes Verschleudern - Das finden einige gut und andere nicht so gut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: [CDU/CSU]: Wo sie recht hat, Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. hat sie recht!) Und trotzdem käme selbst der eingefleischteste Dort- Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): mund-Fan nicht auf die Idee, die Meisterschale für den gleich – unserer Steuergelder hat mit uns, der AfD, Zweitplatzierten zu beanspruchen mit der Begründung, ein Ende. Und das wird uns der Wähler mit guten Wahler- man sei nun eben auch mal dran. gebnissen auch in Zukunft quittieren. Aber wir wollen ja nicht zurückblicken, sondern nach Danke schön. vorne blicken. Und da gibt es sehr viel Erfreuliches. 13670 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Katja Leikert (A) Erstens. Ursula von der Leyen tritt mit einem Arbeits- Zweitens. Der Binnenmarkt bleibt zentral, weil der (C) programm an, das deutlich macht: Sie will zusammen- Binnenmarkt nun mal die Grundlage von Wohlstand ist. führen und nicht spalten. Wir alle wissen, dass Ursula Auch das ist ein Thema, das man hier immer wieder vor von der Leyen gerade in Mittel- und Osteuropa höchsten den Verteilungsfragen erklären muss. Wir wollen eine Respekt genießt. Das bietet die Chance, die Trennung in Europäische Union, die sich im Wettbewerb auch zukünf- Europa zu überwinden. Das ist auch uns in der CDU/ tig behaupten kann. Deshalb wollen wir die Innovations- CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ein großes An- kraft und die Wachstumskraft Europas stärken. Ursula liegen. Wir werden ihr dabei ein verlässlicher Partner sein von der Leyen hat auch hierzu in ihrer Agenda die rich- und sie nach besten Kräften unterstützen. tigen Impulse gesetzt. Dazu gehören die Schaffung einer Kapitalmarktunion, eine ambitionierte Digitalstrategie (Beifall bei der CDU/CSU) und natürlich Investitionen in künstliche Intelligenz. Bei Zweitens. Auch das ist uns wichtig: Die neue Kommis- allem Reformwillen, bei aller nach vorne gerichteten kon- sionspräsidentin schlägt eine Kommission vor, die ausge- struktiven Agenda bleibt für uns als CDU/CSU-Fraktion wogen besetzt ist und zur Hälfte aus Frauen bestehen wichtig: Wir wollen eine solide Haushaltsführung in den wird. Auch das ist begrüßenswert. Mitgliedstaaten. Das bleibt unser zentrales Anliegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. der FDP) Michael Georg Link [FDP]) Drittens. Sie hat eine Agenda für eine Europäische Und drittens – auch das haben uns die Menschen bei Union aufgestellt, übertitelt mit „Eine Union die mehr der letzten Europawahl mit auf den Weg gegeben; das erreichen will“ – von der Klimapolitik bis zur Sicher- wurde heute Morgen schon ausführlich im Rahmen der heitspolitik. Ich ermuntere alle hier, auch unseren Koali- Haushaltsdebatte diskutiert –: Wir brauchen mehr Europa tionspartner und alle demokratischen Kräfte im Bundes- beim Klimaschutz. Denn wir wissen, dass nationale und tag – von Ihnen auf der rechten Seite erwarten wir das letztendlich auch europäische Maßnahmen allein nie aus- nicht –: Machen Sie mit! Seien Sie konstruktiv, und brin- reichen werden. Wir brauchen hier natürlich einen Mix gen Sie Europa weiter nach vorne! bis hin zur internationalen Ebene. Deshalb unterstützen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wir Ursula von der Leyen darin, das EU-Ziel umzusetzen, [SPD]) bis 2050 klimaneutral zu sein. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Das bedeutet, dass wir auch national ambitionierter Wenn wir uns in Europa umschauen, dann ist es offen- sein müssen, um unsere beschlossenen Reduktionsziele sichtlich: Die Europäische Union kann Stabilität gut ge- zu erreichen. Es ist richtig, wenn sich die Europäische (B) brauchen. In so manchem Mitgliedstaat sieht es unruhig Union hier an die Spitze der Bewegung stellt. Das ist auch (D) aus – wir sind ganz froh, dass sich in Italien die Situation die richtige Motivation, die unsere Unternehmen brau- gerade ein bisschen beruhigt hat –: in Rumänien, Spanien chen, um ihre Innovationskraft am Ende wirklich auszu- und natürlich in Großbritannien, wo das ganz große spielen. Chaos ausgebrochen ist. Unser Ziel ist und bleibt ein star- kes Europa. Dafür arbeiten und kämpfen wir. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sind alle herzlich eingeladen, uns bei dieser ambitionierten Agenda zu un- Europa zu stärken ist für uns eine Selbstverständlich- terstützen. Packen wir es gemeinsam an! keit und kein Selbstzweck. Europa soll die Aufgaben übernehmen, wo die Mitgliedstaaten alleine an ihre Gren- Herzlichen Dank. zen stoßen. Deshalb möchten wir Europa da stärken, wo es richtig ist. Es gibt viele Bereiche, von der Sicherheits- (Beifall bei der CDU/CSU) bis zur Klimapolitik, wo es eine ganz klare Agenda gibt. Erstens. Ich fange mal mit der Sicherheitspolitik an: Es Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bleibt unser Ziel, die Außengrenzen zu sichern. Wir wol- Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für len die Grenzpolizei Frontex stärken mit eigener Ausrüs- die FDP-Fraktion: der Kollege Bijan Djir-Sarai. tung und exekutiven Befugnissen. Weiterhin müssen wir unsere militärischen Fähigkeiten stärker bündeln, und (Beifall bei der FDP) deswegen forcieren wir eine Zusammenarbeit in der Rüs- tungsbeschaffung und streben eine gemeinsame Armee an. Aber Sicherheitspolitik ist natürlich mehr als militär- Bijan Djir-Sarai (FDP): ische Verteidigung. Es geht um eine intelligente Vernet- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir zung von Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit, heute über den Haushalt des Auswärtigen Amts diskutie- aber auch Abrüstung. Und am Ende muss das Ziel sein, ren, dann diskutieren wir gleichermaßen über den aktuel- dass die Europäische Union nach außen mit einer Stimme len Kurs der deutschen Außenpolitik. Eine Haushalts- sprechen kann. Das ist schon lange das Ziel, bisher ist es debatte ist mehr als das einfache Vortragen von nie erreicht worden. Jetzt ist es an der Zeit. Wir wollen Haushaltspositionen. Diese Debatte ist eine umfassende eine sichere, starke und handlungsfähige Europäische Betrachtung der gesamten deutschen Außenpolitik. Zwei Union. Fragen sind dabei besonders wichtig: Sind wir auf die derzeitigen weltweiten Herausforderungen vorbereitet? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Und was genau ist die Antwort oder Strategie auf diese Abgeordneten der FDP) Herausforderungen? Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13671

Bijan Djir-Sarai (A) Wir leben in einer Zeit, in der die außen- und sicher- Beim Blick in den Haushaltsentwurf will man Antwor- (C) heitspolitische Lage weltweit so unsicher ist wie lange ten finden. Man kann diese aber leider nicht immer fin- nicht mehr, in der neue Krisen entstehen und Konflikte den. Wenn wir nicht sehr aufpassen, wird die deutsche immer komplexer werden. Nicht erst seit gestern wissen Außenpolitik ins Abseits rücken. Wenn ich den aktuellen wir, dass die Herausforderungen nicht weniger werden, Kurs der deutschen Außenpolitik betrachte, stelle ich fest, sondern mehr. Handelskriege werden Realität, sicher geg- dass es nicht nur an Antworten und Strategien fehlt, son- laubte Bündnisse brechen weg, und auch unsere Sicher- dern auch an Visionen und dem Willen, Verantwortung zu heitsarchitektur verändert sich. Dabei hat die deutsche übernehmen. Auch wenn der zunehmende Populismus Außenpolitik immer noch kein Konzept für den Nahen versucht, uns etwas anderes zu erzählen: Globale Proble- und Mittleren Osten, noch immer keine China-Strategie, me können wir nur gemeinsam und global lösen. „Ge- noch immer kein Konzept für Afrika und auch keine Ant- meinsam“ heißt in der Außenpolitik durch Multilateralis- wort, wie man mit Russland umgehen muss. mus und Kooperation. Beim Konflikt in der Straße von Hormus beispielswei- (Beifall bei der FDP) se hat niemand verstanden, was die eigentliche Position Den Rückzug der USA aus der Diplomatie bedauern der Bundesregierung ist. wir außerordentlich. Wir Europäer sollten aber nicht (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Richtig!) jammern. Vor allem sollten wir die Herausforderungen der Zeit begreifen und eine Vorreiterrolle in der interna- Und beim Anti-IS-Einsatz ist der Außenminister mehr tionalen Diplomatie übernehmen. Dafür brauchen wir ein oder weniger mit der eigenen Fraktion beschäftigt als modernes Auswärtiges Amt, das sowohl technisch als mit dem eigentlichen Sachverhalt. auch personell gut aufgestellt ist. Gleiches gilt für unseren Auswärtigen Dienst. Hier müssen personelle Defizite (Beifall bei der FDP) endlich gezielt behoben und Prozesse erneuert werden. Im Zusammenhang mit diesem Thema habe ich nicht ver- Diese Anforderungen berücksichtigt der aktuelle Haus- standen, wer eigentlich der Außenminister ist: Ist Heiko haltsplan noch nicht. Der Haushalt darf nicht hinter den Maas der deutsche Außenminister oder Rolf Mützenich? realen Bedürfnissen zurückbleiben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Auch eine Frage, die man gelegentlich beantworten soll- Nächstes Jahr – das ist auch von meinem Kollegen te. Michael Link angesprochen worden – übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Das ist, denke (B) Herr Minister, um die Schärfe herauszunehmen, will ich ich, die Chance, wieder eine proaktive Rolle in der Au- (D) hier auch etwas Freundliches sagen. Ich will erwähnen, ßenpolitik zu übernehmen, das heißt, nicht nur Ideen, dass das, was Sie über Afghanistan gesagt haben, richtig sondern eine mögliche Strategie zu entwickeln, wie ist und dass ich Ihre Auffassung teile. Es ist erfreulich, man die Herausforderungen der Zeit europäischer anpa- wenn Sie hier ankündigen, dass Deutschland und Norwe- cken kann. Es wäre schön, wenn Europa endlich mehr gen demnächst gemeinsam eine Friedensinitiative starten Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen wollen. Ich glaube, das ist zielführend. Mehr Realismus könnte und – vor allem – wenn Europa endlich mit einer mit Blick auf Afghanistan würde uns guttun. In dem Zu- Stimme sprechen würde. sammenhang weise ich noch mal darauf hin, dass wir – ich glaube, das ist auch die Position der gesamten Op- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. position gewesen – nach wie vor auf eine militärische und (Beifall bei der FDP) politische Gesamtevaluation des Afghanistan-Einsatzes warten, meine Damen und Herren. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin für Wir brauchen Antworten. die Fraktion Die Linke: die Kollegin Heike Hänsel. Deutschland und Europa können nicht weiter tatenlos (Beifall bei der LINKEN) zusehen – weder bei den Konflikten vor der eigenen Haustür noch bei Konflikten, die entfernter ausgetragen Heike Hänsel (DIE LINKE): werden. Was Hongkong betrifft: Auch die Bundeskanz- Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin- lerin sollte sich mit Joshua Wong treffen und glasklare nen! Gemessen an dem eigenen Anspruch, dass deutsche Worte zur Lage in Hongkong finden. Außenpolitik Friedenspolitik sein soll, hat diese Bundes- regierung völlig versagt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutschland darf nicht nur Zuschauer eines wichtigen Sie, Herr Maas, wollten ja die Prävention in den inter- Kampfes für Freiheit und Demokratie sein. Freiheit und nationalen Beziehungen stärken. Auch davon sieht man Demokratie, für die die Menschen in Hongkong demonst- nichts, erst recht nicht in diesem Haushalt; denn dieser rieren, sind auch unsere Werte, meine Damen und Herren. Haushalt ist ein Rüstungshaushalt mit einer neuen Re- kordmarke von 50 Milliarden Euro für Militär nach (Beifall bei der FDP) NATO-Kriterien, während die Mittel für Ihr Ministerium, 13672 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Heike Hänsel (A) für Diplomatie, stagnieren und mittelfristig sogar gekürzt unterstützen, sich dem nun endlich widersetzen müssen. (C) werden sollen. Das ist keine Grundlage für Friedenspoli- Aber wo ist die Reaktion der Bundesregierung, wo sind tik. Wir weisen diesen Haushaltsentwurf zurück. Ihre Konsequenzen, und wo ist Ihr Rüstungsexportstopp in diese Region? Da ist nur Fehlanzeige. (Beifall bei der LINKEN) Wie sieht die Bilanz Ihrer Außenpolitik eigentlich aus? (Beifall bei der LINKEN) Heute ist der 11. September. Seit 18 Jahren ist die Bun- Die Iran-Krise, das Zündeln der USA am Persischen deswehr in Afghanistan. Damals wurde sie von Rot-Grün Golf, die Aufkündigung des INF-Vertrags: Wo sind Ihre in diesen sinnlosen Krieg geschickt. Die Sicherheitslage Friedensinitiativen, die ernst zu nehmen sind, zum Bei- ist katastrophal, Tausende Zivilisten sterben, und trotz- spiel auch im UN-Sicherheitsrat? Dabei wäre es ein wich- dem wird das Mandat auch unter der neuen Regierung tiges Zeichen, die Unterzeichnung des Atomwaffenver- Jahr um Jahr verlängert. Jetzt kündigen Sie eine Friedens- botsvertrags endlich durchzuführen, den übrigens initiative mit Norwegen an. Das ist ja schön und gut. mittlerweile immer mehr Kommunen in Deutschland un- Entscheidend aber ist: Ziehen Sie endlich die Bundes- terschreiben. Das wäre ein Beispiel, an dem Sie sich wehr aus Afghanistan ab, orientieren könnten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) und setzen Sie sich dann dafür ein, dass Friedensverhand- Jeder siebte Euro in diesem Haushalt geht mittlerweile lungen stattfinden, die übrigens auch unter Einbeziehung ins Militär, währenddessen die Investitionen in die Le- der afghanischen Zivilgesellschaft stattfinden sollten! Es bensbedingungen der Menschen stagnieren. Das ist wirk- dürfen keine Deals über die Köpfe der Menschen hinweg lich ein Armutszeugnis. Beim Klimaschutz steht noch gar gemacht werden. nichts – eine Leerstelle. Dabei steht doch fest: Krieg ist die größte Bedrohung für das Klima. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir uns Syrien an: Obwohl der türkische Prä- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sident Erdogan Syrien überfällt, die kurdische Region Alleine das US-Militär verschmutzt die Umwelt stärker Afrin nun seit anderthalb Jahre besetzt hält, weiterhin als 140 Länder zusammen, hat eine Studie der Universität islamistische Terrormilizen, zum Beispiel in der Provinz Durham errechnet, – Idlib, unterstützt und im Innern die demokratische Op- position terrorisiert, versorgen Sie Herrn Erdogan weiter- hin mit Waffen und Geld. Was ist daran bitte schön Frie- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. (B) denspolitik? (D) (Beifall bei der LINKEN) Heike Hänsel (DIE LINKE): Diese Rüstungsexportpraxis muss endlich beendet – und verursacht damit so viel CO2-Ausstoß wie die werden. Das trifft auch auf das EU-Türkei-Abkommen gesamte Schweiz. Deshalb kann es nur heißen: Abrüstung zu, das zu unmenschlichen Bedingungen auf den griechi- ist der beste Beitrag zum Klimaschutz. schen Inseln geführt hat und dazu, dass die EU von Erdo- gan auch noch erpressbar ist. Das ist unhaltbar. Beenden (Beifall bei der LINKEN) Sie endlich dieses Abkommen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der LINKEN) Der nächste Redner: für Bündnis 90/Die Grünen der Schauen wir uns die Golfstaaten an. Saudi-Arabien und Kollege Omid Nouripour. die Vereinigten Arabischen Emirate, allen voran der sau- dische Kronprinz Bin Salman, führen seit Jahren einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) blutigen Krieg in ihrem Nachbarland Jemen. Das hat zur größten humanitären Katastrophe unserer Zeit geführt. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung setzt weiterhin auf eine enge Part- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine nerschaft mit diesen Schlächtern. Die Bundespolizei soll ganz kleine Vorbemerkung zur Kollegin von der AfD: Es ja jetzt auch wieder die saudische Polizei ausbilden, und gibt in Frankfurt nicht das eine Äppelwoifest, es gibt Rüstungsexporte gehen weiter. Ein Jahr nach Khashoggi viele. Es gibt ein Festival, es gibt eine Börse, es gibt eine ist also business as usual angesagt. Das ist wirklich be- Ausstellung, es gibt den Wäldchestag. Wenn man von schämend und kriminell, was Sie hier treiben. heimatlicher Hochkultur keine Ahnung hat, sollte man lieber dazu schweigen. (Beifall bei der LINKEN) Schauen wir uns die Nahostpolitik an. Während Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Israel mittlerweile ganz oben auf die Empfängerliste wie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD deutscher Waffen gesetzt haben, verkündet der israelische und der FDP) Premier Netanjahu, nun auch noch Teile des Jordantals Meine Damen und Herren, heute ist der 18. Jahrestag annektieren zu wollen. Das ist der Tod jeglicher Zwei- der schrecklichen Anschläge vom 11. September. Beina- staatenlösung. Das hat Bernie Sanders, US-Präsident- he 3 000 Menschen sind ums Leben gekommen. Das war schaftskandidat, kritisiert und gefordert, dass all diejeni- nicht nur ein Angriff auf die USA, sondern einer auf alle gen, die den israelisch-palästinensischen Friedensprozess offenen Gesellschaften. Wir müssen nach 18 Jahren Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13673

Omid Nouripour (A) draufschauen, was da passiert ist. Wir müssen feststellen, le untereinander gekämpft. Deutschland hätte dieses The- (C) dass der damals ausgerufene War on Terror an vielen ma im Sicherheitsrat aufsetzen müssen. Wo ist da bitte die Ecken und Enden dieses Planeten schlicht gescheitert Schwerpunktsetzung? Es sind alles immer nur Ankündi- ist. Er ist gescheitert, weil es eine massive Unwucht des gungen, und das ist einfach alles ungenügend. Militärischen gegeben hat und eine massive Vernachläs- sigung der Bekämpfung der Wurzeln der Radikalisierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das sieht man in diesen Tagen an einem Ort auf eine Beispiel Rüstungsexporte. Jetzt reden wir wieder über sehr dramatische Art und Weise, an dem dieser Krieg eine dreimonatige Verlängerung des Stopps von Rüs- begonnen hat, nämlich in Afghanistan. Das liegt nicht tungsexporten nach Saudi-Arabien. Das ist nicht ausrei- nur daran, dass die Art und Weise der Verhandlungen chend, weil sich die Lage in Jemen auch in drei Monaten der Amerikaner die Autorität der afghanischen Regierung nicht verbessert haben wird und weil die Menschen- massiv unterminiert hat, sondern auch daran, dass die rechtslage in Saudi-Arabien weiterhin so verheerend ist. Sicherheitslage sich verschlechtert hat und die Zahl der Noch ein Beispiel: das Atomabkommen mit dem Iran. Anschläge massiv zunimmt. Die Bundesregierung hat Wir haben gedrängt, bis Sie in den Iran geflogen sind. dieser Tage gesagt, dass die verdiente, fantastische Arbeit Danke! Aber im Gepäck hätte man eine Sache dringend der Bundespolizei dort nicht mehr fortgesetzt werden gebraucht, und das ist Mut. Man braucht nämlich Mut, kann wegen der Sicherheitslage. Gleichzeitig sagt diesel- wenn man eine falsche amerikanische Politik eindämmen be Bundesregierung: Man kann weiterhin dahin abschie- will, und das muss man in dem Fall. Aber es ist nichts ben. – Tut mir leid: Das ist reinster Zynismus, den wir hier passiert. Was Sie heute, Herr Minister, zum Iran gesagt gerade erleben. haben, das ist so ziemlich exakt dasselbe, was Sie vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15 Monaten gesagt haben. Es ist seitdem aber nichts pas- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) siert, und deshalb geht uns langsam die Hoffnung aus, dass nach diesen Ankündigungen etwas passiert. Kolleginnen und Kollegen, die internationale Ordnung erodiert. Das ist an vielen Orten sichtbar. Deshalb braucht Wir hatten einmal einen Außenminister Steinmeier, der es auch mehr deutsche Verantwortung, die sich sicher gesagt hat, die deutsche Außenpolitik müsse schneller, nicht in erster Linie im Militärischen abbilden sollte. entschiedener und substanzieller werden. Wir haben es Wir hatten einmal Außenminister wie Genscher, Fischer zurzeit zu tun mit lasch, lustlos und lavierend. Das reicht und Steinmeier, die sich nicht gescheut haben, dorthin zu schlicht nicht. gehen, wo es wehtut – im Nahostkonflikt etwa, über den Eisernen Vorhang hinweg oder eben auch in der Ukrai- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) ne –, weil sie wussten: Es kann sein, dass ich bei dieser (D) einen Mission scheitere, aber ich will es versuchen, weil Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: es das Schlimmste verhindern soll. Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die SPD-Frak- tion der Kollege Frank Schwabe. Wir haben jetzt einen Außenminister, der viel Gutes ankündigt. Ein Beispiel ist die Allianz für den Multilate- (Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE LIN- ralismus. Schauen wir uns den Haushalt aber einmal an. KE]: Herr Maas, es wäre gut, Sie würden mal Ich weiß bis heute nicht, wo ich diesen einen Satz genau der Opposition zuhören, Herr Außenminister! – finden soll. Und das geht nicht nur mir so. Das geht auch Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Wenn er schon vielen Kolleginnen und Kollegen so, auch in anderen nichts tut, dann kann er wenigstens zuhören!) Staaten, in unseren Partnerstaaten. Wir wissen nicht, wo- für das stehen soll. Es ist nicht unterfüttert. Frank Schwabe (SPD): Wenn beispielsweise Kanada sagt: „Wir sind genauso Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Deutsche Multilateralisten und brauchen Unterstützung in einer Außenpolitik dient dazu, das friedliche Miteinander der Auseinandersetzung mit Saudi-Arabien, weil die Men- Staaten zu ermöglichen. Sie dient aber eben auch dazu, schenrechtslage dort so frappierend ist, dass wir das kri- wertebasiert zu arbeiten. Der zentrale Wert ist das Thema tisieren mussten“, dann gibt es einfach nur noch einen der Menschenrechte. Deswegen ist es im Übrigen richtig, Donnerhall an Schweigen aus dem Auswärtigen Amt. in aller Souveränität und Gelassenheit Menschen zu tref- fen, die sich den Menschenrechten verschrieben haben. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Was quatscht Deswegen haben so Leute wie ich Joshua Wong getroffen der Maas eigentlich die ganze Zeit?) und andere entsprechend auch. Ein weiteres Beispiel: Wenn Aktivistinnen und Aktivi- Wenn man mit ihm redet, dann merkt man: Es geht sten aus Hongkong, die jetzt in dieser Minute gerade in eben nicht um Separatismus – das wird ihm ja vorgewor- dieser Stadt sind, sich darum bemühen, fünf Minuten Zeit fen –, sondern es geht um Demokratie und Menschen- und Gehör des Außenministers zu bekommen, dann rechte. Es geht darum, dass Sicherheitskräfte in Hong- kommt keine Antwort. kong verhältnismäßig handeln, dass Polizeigewalt Noch ein Beispiel: Der Außenminister sagt – das haben unabhängig untersucht wird und dass es eine demokrati- Sie angekündigt –, Jemen wird Schwerpunkt der UN-Si- sche Verfasstheit Hongkongs gibt, wie es zugesichert ist. cherheitsratsmitgliedschaft Deutschlands sein. Wir erle- Der Einsatz für Menschenrechte und für die Freiheit von ben jetzt eine massive Eskalation der Gewalt in Jemen. Menschen ist eben keine Einmischung in die inneren An- Unter bisher verbündeten Parteien wird sogar mittlerwei- gelegenheiten, sondern die Pflicht jedes Erdenbürgers. 13674 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Frank Schwabe (A) Ähnlich ist es im Umgang mit anderen Staaten. Auch Vielen herzlichen Dank. (C) dort müssen wir, glaube ich, Klartext reden. Ich persön- lich bin wirklich sehr betroffen darüber – ich bin Vor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sitzender eines Vereins, der eine Städtepartnerschaft mit der CDU/CSU) einer türkischen Stadt hat –, wie sich die Lage in der Türkei entwickelt. Es gab viele Hoffnungen, dass sich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: vielleicht ein neues Fenster hin zu Demokratie, hin zum Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich erteile das Wort un- Eindämmen von bestimmten Konflikten öffnet. Das ist serem heutigen Geburtstagskind, Roderich Kiesewetter, leider nicht der Fall. Wir haben an der Absetzung von CDU/CSU-Fraktion. drei Bürgermeistern in der Türkei gesehen, dass ein ande- rer Weg eingeschlagen wird. Wir haben eine Situation – (Beifall) Meldungen darüber gehen bei mir geradezu täglich ein –, dass Menschen, auch mit deutscher Staatsbürgerschaft, in Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): der Türkei festgenommen werden oder das Land nicht Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Herr mehr verlassen können. Das ist absolut inakzeptabel, Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mei- und das belastet das Verhältnis Deutschlands zur Türkei. nen Geburtstag habe ich seinerzeit 2001 tatsächlich in den USA verbracht und nicht so gute Erinnerungen daran. Ich persönlich habe die Patenschaft übernommen für Danke, dass ich meinen Geburtstag heute in der Runde Hozan Cane, die in der Türkei zu sechs Jahren und drei von Kolleginnen und Kollegen begehen darf. Monaten Haft verurteilt wurde. Jetzt ist auch ihre Tochter verhaftet worden. Ich fordere die türkische Regierung Viele von Ihnen haben heute die Besorgnis kundgetan, von hier aus auf – auch aus humanitären Gründen –: Las- dass die internationale regelbasierte Ordnung unter Druck sen Sie Hozan Cane und ihre Tochter frei und entspre- steht. Diese Besorgnis sollten wir wenden und es als un- chend nach Deutschland in ihre Heimat, die es heute ist, sere Aufgabe verstehen, als Aufgabe Deutschlands in ausreisen! Europa, als Aufgabe der Europäischen Union, uns sehr stark für den Erhalt und die Wiederherstellung der regel- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem basierten internationalen Ordnung einzusetzen – für Men- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- schenrechte, Rechtsstaatlichkeit, freien Welthandel, aber ordneten der CDU/CSU und der FDP) auch für koordinierte Entwicklungszusammenarbeit –, und wir sollten unsere Kraft dafür einsetzen, dass die, Zwei Punkte will ich im Hinblick auf uns selbst benen- die in den letzten Jahren davon abgewichen sind, auf nen. Das eine ist das Thema der Verpflichtung deutscher den Pfad der regelbasierten Ordnung zurückgeführt wer- Unternehmen. Wenn wir wollen, dass auf der Welt Men- (B) den. (D) schenrechte durchgesetzt werden, dann ist es die erste Pflicht, dafür zu sorgen, dass nicht das Gegenteil passiert, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wenn deutsche Unternehmen im Ausland tätig sind. Des- wegen ermuntere ich unseren Koalitionspartner, mit uns Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte das am gesetzliche Regelungen zu finden, mit denen wir alle Beispiel Russlands deutlich machen. Putin hat im Juli deutschen Unternehmen dazu bringen, im Sinne des glei- 2018 in London kurz vor dem G-20-Gipfel sehr deutlich chen Wettbewerbs dafür zu sorgen, dass Menschenrechte gesagt, der Liberalismus sei abgenutzt. Lassen Sie uns im unternehmerischen Bereich durchgesetzt werden. Die das als Ermahnung begreifen. Aber er ist nicht abgenutzt; Zivilgesellschaft hat gestern gefordert, dass ein Liefer- vielmehr müssen wir uns neu sortieren. Lassen Sie mich kettengesetzentwurf vorgelegt wird. Lassen Sie uns das drei Herausforderungen ansprechen, mit denen uns Russ- angehen. land konfrontiert und über deren Umgang auch in diesem Hause keine Einigkeit erzielt werden kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die erste der drei Herausforderungen ist aus meiner Lassen Sie uns endlich auch das Zusatzprotokoll zum Sicht der Mythos, dass Russland in einer Opferrolle sei, UN-Sozialpakt und die ILO-Konvention Nummer 169 weil ost- und mitteleuropäische Staaten sich für NATO zum Schutz der indigenen Bevölkerung ratifizieren. Dies und EU entschieden haben. Dem sollten wir – und das ist wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, und ich fordere die feste Auffassung der Union – gegenhalten. Es gibt die nichts anderes als dessen Umsetzung. Charta von Paris, der sich auch Russland angeschlossen hat, und in der es heißt: freie Bündniswahl und territoriale Ein letzter Satz zum Thema Seenotrettung – ich bedan- Unversehrtheit. Das ist unsere Position gegen dieses Nar- ke mich dafür, was Herr Hardt gesagt hat –: Was immer rativ. uns politisch trennt, welche politisch unterschiedlichen Einschätzungen wir auch haben, wir dürfen Menschen (Beifall bei der CDU/CSU) nicht ertrinken lassen, niemals. Das Zweite: Wir sollten uns sehr sorgfältig die russi- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Darum geht es sche Sicherheitsdoktrin anschauen. Die russische Sicher- heitsdoktrin definiert Sicherheit so: Die Stärkung Russ- doch gar nicht!) lands geschieht dann, wenn die Sicherheit der Nachbarn Deswegen sollten wir, die die Regierung tragenden Frak- geschwächt ist. Das ist nicht unsere Auffassung von tionen, gemeinsam mit der Bundesregierung eine Initia- kooperativer Sicherheit. Kooperative Sicherheit heißt tive starten, damit es eine staatliche europäische Seenot- gleiche Rechte und gleiche Pflichten, und das sollten rettung gibt. wir von Russland wieder einfordern. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13675

Roderich Kiesewetter (A) Der dritte Punkt berührt die gesamte Frage der Sank- Ukraine. – So können wir nicht mit Russland zusammen- (C) tionen. Hier gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen. arbeiten. Wir sollten aber eines klarmachen: Die Sanktionen sind die Folgen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei und der Destabilisierung der Ostukraine. Wir müssen aber Abgeordneten der SPD und der FDP) auch daran appellieren, dass die Ukraine das Minsker Abkommen einhält; denn auch dort ist Korruption zu Liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Lösungen halte bekämpfen und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Aber ich für sehr sinnvoll: das darf nicht Anlass für Russland sein, nichts zu tun und den Minsker Prozess zum Erlahmen zu bringen. Erstens. Neben unseren Beiträgen innerhalb der NATO und der Europäischen Union müssen wir in der Lage sein, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vorschläge, die von Russland kamen, aufzugreifen, um einen gemeinsamen Raum transatlantischer Sicherheit zu Deshalb: nicht die Sanktionen aussetzen und Russland schaffen. Voraussetzung dafür ist aber wechselseitiges damit belohnen, dass sie beharrlich dagegen gekämpft Vertrauen und die Bereitschaft, gegenseitig für Transpa- haben, sondern die Sanktionen koppeln an den Minsker renz zu sorgen. Wir wollen also einen transatlantischen Prozess. Raum der Sicherheit – mit NATO und EU –, der lang- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. fristig aber auch Russland offenstehen sollte, wenn es Michael Georg Link [FDP]) sich bewegt. Ich will natürlich auch Lösungsvorschläge unterbrei- Zweitens. Wir dürfen die russische Politik des Null- ten. Wir müssen die drei Herausforderungen bewältigen, summenspiels nicht mitmachen. „Nullsummenspiel“ aber bisher besteht keine Einigung im Hause darüber, wie heißt: Des einen Freud ist des anderen Leid, des einen das geschehen soll. Unsere Position habe ich eben darge- Stärke ist des anderen Schwäche. – Herr Dr. Neu, das zu stellt. Ihrer Erinnerung. – Wenn wir dieses Nullsummenspiel aufgeben wollen, dann müssen wir ganz klar sagen: Wir Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: stehen für territoriale Unversehrtheit und für die freie Bündniswahl. Dann können wir auch diesem russischen Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Narrativ etwas entgegenhalten. Fraktion Die Linke? Drittens. Es wird immer wieder darüber gesprochen, Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): dass Russland isoliert sei. Ja, Russland hat sich selbst (B) Ja, gerne. isoliert. Wir sollten in unserer Russland-Politik jedoch (D) aufpassen, nicht etwas zu fördern, was zu einer geopoliti- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: schen und geoökonomischen Allianz zwischen Russland und China führen kann. Eine solche Allianz wäre ein Herr Kollege Neu. Riesenfehler, weil sie erstens nicht die russischen Proble- me lösen würde und sie zweitens die Spaltung der Welt- Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): gemeinschaft verstärken würde. Die russischen Probleme Herr Kollege Kiesewetter, Sie haben gerade mal wie- lösen wir nicht durch Aufhebung der Sanktionen. Diese der den Minsker Prozess hervorgehoben und gesagt, dass Probleme kann Russland nur selbst lösen: durch Korrup- Russland den nächsten Schritt blockieren würde. Es gibt tionsbekämpfung, Beendigung der Staatsoligarchie, da ja eine genaue Chronologie. Und gemäß dieser Chro- Durchsetzung von Menschenrechten und Wirtschaftsre- nologie wäre Kiew an der Reihe. Gibt es eigentlich Sank- formen. tionen Ihrerseits gegen Kiew, weil Kiew den Minsker Prozess blockiert? In diesem Sinne glaube ich, dass die Bundesrepublik, die im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres die EU-Prä- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Russland ist sidentschaft übernimmt, eine ganze Reihe von Punkten an der Reihe!) auf die europäische Agenda setzen kann. Wir als Bundes- tag sollten das unterstützen. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Lieber Herr Dr. Neu, ich gebe Ihnen dahin gehend Herzlichen Dank. recht, dass beide Seiten gefordert sind. Wir erleben aber, dass in der Ukraine 2 Millionen Menschen binnenvertrie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei ben sind, ihre Heimat verloren haben, dass über 10 000 Abgeordneten der SPD) Menschen ums Leben gekommen sind, dass 35 000 Men- schen verletzt wurden und dass es ständig, immer wieder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei zu Provokationen kommt, ja, beider Seiten; aber nachge- Abgeordneten der SPD) wiesenermaßen kam es zu einem Abschuss eines zivilen Verkehrsflugzeugs durch Russland, und Russland wirkt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: an der Aufklärung nicht mit. Russland schiebt die Verant- Nächster Redner: der Kollege Manfred Grund, CDU/ wortung Richtung Ukraine, statt selbst für Transparenz zu CSU-Fraktion. sorgen. Das ist ein Beispiel für das, was ich angeführt habe: Sicherheit bedeutet für Russland Schwächung der (Beifall bei der CDU/CSU) 13676 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

(A) Manfred Grund (CDU/CSU): sische Produkte entlang der Landverbindungen durch (C) Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zentralasien sowie der Seewege durch den Indischen Vor 30 Jahren, am 9. November 1989, ist mit der Berliner Ozean erschlossen werden. China baut damit seine trans- Mauer nicht nur die innerdeutsche Grenze gefallen, son- regionale Führungsrolle aus und wird damit auch zu ei- dern es ist das Ende des Ostblockes, das Ende der Block- nem Global Player. teilung in Europa und weltweit eingeläutet worden. Viele von uns werden sich noch an die Euphorie zu Beginn der Als Bundesrepublik und auch als Europäische Union 90er-Jahre erinnern. Das Alte, das Trennende war weg, fassen wir diese Seidenstraßeninitiative immer noch mit hoffnungsvoll Neues war in Sicht. Vom Ende der Ge- spitzen Fingern an. Wir verweisen auf Risiken, Über- schichte wurde geschrieben. Demokratie und Wohlstand schuldungen und Abhängigkeiten, haben dem aber nur für die ganze Welt waren die Verheißung. Unsere Nach- wenig Konkretes entgegenzusetzen. barn in Ost- und Mitteleuropa schlossen zu uns auf, schlossen sich der Europäischen Union und dem System Die neue Zentralasienstrategie der Europäischen kollektiver Sicherheit, der NATO, an. Bisherige Republi- Union enthält einige Instrumente wie den partnerschaft- ken innerhalb der Sowjetunion erkämpften ihre Unabhän- lichen Ausbau der Infrastruktur und die Förderung der gigkeit und begannen den Prozess der Staatenwerdung. Konnektivität zwischen Europa und Asien, allerdings kaum Finanzierungen, und es ist noch kein strategischer Doch war die Welt nach 1989 nicht friedlicher, nicht Ansatz. Es braucht aber eine europäische Strategie zum gerechter geworden. Sie war unübersichtlicher geworden. Dialog mit China über den Raum dieser neuen Seiden- Anstelle der überwundenen Blockkonfrontation kam es straße. Bilaterale Abkommen zwischen einzelnen EU- zum Clash of Cultures, dem Aufeinanderprallen verschie- Staaten und China können nicht im gesamteuropäischen dener Kulturen. Hiermit sind die politischen Kulturen, Interesse sein – auch nicht das Format „16 plus 1“ bzw. auch die politischen Unkulturen gemeint: Staatenzerfall, „17 plus 1“. Vertreibungen, ethnische Säuberungen wie in Ex-Jugos- lawien, Genozide wie 1994 in Ruanda, religiös grundier- Eine gemeinsame Strategie kann zur Verbesserung der ter Terrorismus in Afghanistan und in Teilen Afrikas, regionalen Stabilität, Sicherheit und Zusammenarbeit Hass auf westliche Werte und Institutionen wie am beitragen, gerade auch unter Einbeziehung der seit fünf 11. September in New York, heute vor 18 Jahren. Jahren bestehenden Eurasischen Wirtschaftsunion. Auch Dies alles und vieles mehr überschattet das Leben vie- diese Eurasische Wirtschaftsunion fassen wir noch mit ler Millionen Menschen bis heute. Die Welt ist immer spitzen Fingern an, aber sie hat als Wirtschaftsunion, noch auf der Suche nach neuer Ordnung, neuer Stabilität, die neben Kasachstan und Kirgistan auch Russland, (B) nach Sicherheit im Wandel. Als Bundesrepublik sind wir Weißrussland und Armenien umfasst, ein wirtschaftliches (D) nicht nur Teil des Prozesses, sondern wir können diesen Erweiterungspotenzial, und sie kann insbesondere die Prozess ganz wesentlich mitgestalten. Dieser Prozess hat kleineren Staaten aus ihrer Isolation und aus ihren Ab- neue Akteure, aber auch alte Bekannte. Ich will hier die hängigkeiten herausführen. Als Europäische Union soll- Volksrepublik China, die Länder Zentralasiens und Russ- ten wir den Dialog mit dieser Eurasischen Wirtschafts- land in den Blick nehmen. union suchen und stärken – und das auf gleicher Augenhöhe. Die Volksrepublik China hat wieder ökonomisch, poli- tisch und auch militärisch dahin aufgeschlossen, wo das Damit bin ich bei Russland. Russlands alleiniger Ein- Reich der Mitte bis vor 200 Jahren gewesen ist: größte fluss im Kaukasus und in Zentralasien ist nach dem Fall Volkswirtschaft, Innovationstreiber und gerade für die der Sowjetunion zurückgegangen. Moskau hat wesentlich Nachbarn nicht immer einfach im Umgang. Angesichts an Bedeutung für die fünf zentralasiatischen Staaten ver- der Bedeutung dieses Landes und des damit verbundenen loren, aber es ist nicht bedeutungslos geworden. Genau Gestaltungsanspruches ist es einmal mehr richtig, dass deshalb ist es klug, Russland einzubeziehen. die Bundeskanzlerin China letzte Woche mit einer Wirt- schaftsdelegation bereiste. China gewinnt sowohl ökono- Der Gedanke einer großen Freihandelszone von Lissa- misch als auch geopolitisch rasant an Einfluss. Bei den bon bis Wladiwostok und Schanghai mag heute unrealis- Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz, Block- tisch sein und belächelt werden. Es ist aber eine Vision für chain, Internet der Dinge, 5G und Elektromobilität ist eine Welt, die nach den Zusammenbrüchen und Disrup- China bereits heute die führende Industrienation. tionen der letzten Jahrzehnte auf der Suche nach Stabilität China gewinnt auch als Handelspartner für die Europä- und Ordnung ist. ische Union immer mehr an Bedeutung. In 2018 betrug der gegenseitige Warenaustausch mehr als 600 Milliarden Ich hatte mit den Demonstrationen im Herbst 1989 Euro. Der Warenaustausch mit der Bundesrepublik be- begonnen. Einer der Sprechchöre damals war: „Visafrei läuft sich auf etwas mehr als 200 Milliarden Euro. bis Schanghai“. Wir können dies heute als Aufforderung dafür nehmen, China, Zentralasien, Russland und EU- Wie stark Chinas Wirtschaft und Selbstbewusstsein ge- Europa als Zusammengehörendes in den Blick zu neh- wachsen sind, zeigt sich auch in der Seidenstraßeninitia- men. tive und der Schaffung neuer Finanzinstitutionen wie der Asiatischen Infrastrukturbank und der BRICS Develop- Vielen Dank. ment Bank. Hier verbinden sich ökonomische und poli- tische Strategien. Es sollen neue Absatzmärkte für chine- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13677

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Beschäftigungsraten, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe (C) Vielen Dank, Kollege Grund. – Der letzte Redner zum Steuereinnahmen. Sie gehen nicht heuer im Vergleich Einzelplan 05: der Kollege Alois Karl, CDU/CSU-Frak- zum letzten Jahr zurück. Sie gehen auch nicht im Jahr tion. 2020 im Vergleich zum Jahr 2019 zurück. Damit, sehr geehrter Herr Bundesaußenminister, können wir auch (Beifall bei der CDU/CSU) die Aufgaben unserer auf Langfristigkeit angelegten Au- ßenpolitik durchaus finanzieren: in einer friedlichen Welt, Alois Karl (CDU/CSU): in einer gesicherten Umwelt und auch in einem zukunfts- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- fähigen Land. nen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Dank an die Parlamentarischen Geschäftsführer begin- Meine Damen und Herren, unser Bundeshaushalt ist nen, die es so weise eingerichtet haben, dass zuerst die ein Rekordhaushalt; das haben Sie gestern von Herrn Fachpolitiker zu diesem Einzelplan sprechen und die Scholz gehört. Auch der Haushalt unseres Auswärtigen Haushälter zum Schluss das letzte Wort haben, Amtes ist ein Rekordhaushalt, was die operativen Mittel anbelangt. Wir zahlen deutlich weniger an die Vereinten (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Nationen, als das bisher der Fall war. der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) Das Hauptaugenmerk richtet sich bei uns auf das Kapi- tel für den Frieden und die Stabilität. Wir wenden für die und ich hoffe, dass wir den Wünschen gerecht werden. humanitäre Hilfe 1,6 Milliarden Euro auf; ein sehr hoher Wir haben in den letzten anderthalb Stunden doch manch Betrag, den Herr Hampel und andere angesprochen ha- gute Argumente von der Opposition gehört und sehr viele ben. Sie haben dabei kritisiert, dass das Geld nicht unbe- gute Argumente von der Koalition. Alle drehen sich um dingt sachgemäß ausgegeben werden konnte. Eines muss das Gleiche: Alle wollen ans Geld. ich Ihnen sagen, lieber Herr Hampel: Sie müssten einmal in solche Länder wie Jordanien und den Libanon fahren, (Heiterkeit) Es waren die Sumerer, die das Geld erfunden haben, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Da war ich!) meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn irgend- in das Lager Saatari oder in die Bekaa-Ebene, wo Hun- etwas nicht Aufnahme in unseren Haushalt findet, dann derttausende Menschen in Zelten ausharren. Da kann man ist nicht der Finanzminister Olaf Scholz schuld und auch keinen Buchhalter gebrauchen, der zunächst abgleicht, ob nicht die Mitglieder des Haushaltsausschusses. Schuld er die Not lindern darf oder nicht. Da sind zackige Leute sind die Sumerer, die zwar das Geld erfunden haben, aber gefragt, die in der Tat schnell reagieren und die Not, die (B) einen Fehler gemacht haben: Sie haben zu wenig Geld wir weltweit sehen, lindern können. – Herr Hampel hat (D) erfunden. eine Nachfrage, die er gerne stellen möchte. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: So müssen wir mit knappen Mitteln auskommen. Wenn Sie die gestatten?

Das bedeutet Wirtschaften, eingebunden in den Haus- Alois Karl (CDU/CSU): halt des Bundes, der besagt, dass wir ausgeglichene Haus- Bitte. halte haben, dass wir keine neuen Schulden aufnehmen und dass wir keine Steuern erhöhen wollen. Wir haben das jetzt sieben Jahre hintereinander geschafft und wollen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: das so fortsetzen. Bitte schön, Herr Hampel. Die Zahl Sieben ist, wie die kundigen Thebaner wis- (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE sen, eine biblische Zahl. GRÜNEN]: Jetzt mindestens ein Adenauer-Zi- tat!) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sieben fetten Jahre!) Armin-Paulus Hampel (AfD): Das Alte Testament spricht von den sieben fetten Jahren Lieber Herr Kollege Karl, nur zu Ihrer Information: In und von den sieben mageren Jahren, also die sieben guten den Ländern, die Sie angesprochen haben, war ich, unter und die sieben schlechten Jahre. Seit 2014 haben wir jetzt anderem übrigens mit der Bundeskanzlerin. Wir haben da sieben gute Jahre, also ausgeglichene Haushalte und null eines gelernt – mein Kollege Friesen, der unlängst eben- Neuverschuldung. So werden wir das auch die nächsten falls da war, bringt die Nachricht auch mit –: In diesen Jahre machen. Wir möchten das Alte Testament übertref- Ländern zahlen Sie für einen Flüchtling, um ihn in einem fen, meine Damen und Herren, Lager halbwegs gut zu versorgen, monatlich weniger als eine Bruttoarbeitslohnstunde eines Sozialarbeiters in (Heiterkeit) Deutschland, nämlich 32 Dollar. Die Flüchtlinge sagen: also den sieben guten Jahren noch weitere Jahre – 7 mal Das reicht gerade aus. Das geht. 70 ist die andere Zahl im Alten Testament – hinzufügen. Sind Sie nicht mit uns auch der Meinung, dass es sehr Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Disziplin viel sinnvoller wäre, die Milliarden von Herrn Maas – in unseren Haushalten hat uns viel Gutes gebracht: hohe vielleicht in einer abgespeckten Form – zu nutzen, um 13678 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Armin-Paulus Hampel (A) Flüchtlinge vor Ort zu versorgen und sie nicht bei uns im Ich selbst konnte die deutschen Auslandsschulen in (C) Land mit Milliarden finanzieren zu müssen? New York und Mexiko besuchen: hervorragende Zeug- nisse unserer Kulturarbeit, die wir dort leisten. Gerade die (Zurufe von der CDU/CSU und dem Schüler dieser Gymnasien – es beginnt mit dem Kinder- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hort und der Grundschule und geht schließlich hinauf bis zum Gymnasium – sind auch gewillt, nach Deutschland Alois Karl (CDU/CSU): zu kommen, hier zu studieren und den Fachkräftemangel mitzubeheben. Insbesondere merken sie auch, dass es bei Es ist ja aus Kirche und Schule bekannt, dass wir mit uns in Deutschland keine Schulgebühren und keine unserer Außenpolitik selbstverständlich dazu beitragen, Studiengebühren gibt. Das ist etwas anderes, als 50 dass Flüchtlinge – wegen Naturkatastrophen, Bürgerkrie- 000 Dollar in Amerika zu bezahlen. gen oder sonstigen Konflikten – in ihrer Heimat oder in der Nähe ihrer Heimat bleiben können und wir nach Mög- lichkeit versuchen, sie dort humanitär unterzubringen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Daher wenden wir dieses viele Geld auf. Da sind wir, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. meine ich, gar nicht so weit auseinander. Ich habe es vor- hin nur in den falschen Hals bekommen, dass Sie das (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ach! Wir kritisiert haben. Nein, wir erledigen unsere Aufgaben ge- können aber noch ein bisschen weiter zuhören!) rade auf diesem Gebiet hervorragend, glaube ich, und so machen wir das auch weiterhin. Alois Karl (CDU/CSU): Nein, ich habe noch 41 Sekunden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Armin-Paulus Hampel [AfD]: Danke!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das glaube ich nicht. Meine Damen und Herren, wir haben auf dem Gebiet der humanitären Hilfe – um das noch ein bisschen auszu- Alois Karl (CDU/CSU): führen – in der Tat in unseren Haushaltsplänen Groß- artiges gemacht. Im Jahr 2012 hatten wir dafür 105 Mil- Hier steht: 41. lionen Euro eingestellt. Heute ist es das 15-Fache. Vor 13 Jahren – 2006 – hatten wir für die humanitäre Hilfe Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: noch 70 Millionen Euro angesetzt. Heute sind es 1,6 Mil- Aber minus. liarden Euro; das ist das 25-Fache. (B) (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der (D) Wenn Sie einen flüchtigen Blick in den Haushalt wer- FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fen, sehen Sie: Es gibt keine Position, die einen ähnlichen Aufwuchs erfahren hat wie die humanitäre Hilfe, die wir Letzter Satz, Herr Kollege. hier beschließen, und ich bitte Sie, sie auch in der Zukunft (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Der Letzte auf dem gleichen hohen Niveau zu halten, weil wir damit macht die Tür zu!) auch im Sinne unserer Humanität das Leid und die Not in der Welt bekämpfen und minimieren, soweit das über- Alois Karl (CDU/CSU): haupt geht. Gerade jetzt würde das Spannende kommen, Herr Prä- (Beifall bei der CDU/CSU und dem sident. Ich fasse es in einem letzten Schachtelsatz zusam- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men. – Ich möchte Ihnen, lieber Herr Außenminister, für die stetige Einsatzbereitschaft in unserer Außenpolitik Meine Damen und Herren, es bereitet uns keine Freu- danken. de, den Haushalt für die Nothilfe so hoch anzusetzen, weil wir wissen, dass weltweit große Konflikte herrschen, die (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Jetzt redet er unsere Aufmerksamkeit und unser Geld erfordern. Wir noch zwei Minuten!) hoffen und sind sehr zuversichtlich, dass wir aus diesen Wir haben viele Aufgaben auf der Welt, ich weiß. Sie sind vielen Konflikten bald herauskommen. nicht der Maas aller Dinge in der Welt, aber wir bemühen Ein anderer Schwerpunkt in unserem Haushalt ist die uns alle: wir, Sie in der aktuellen Politik und wir in un- Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, sehr geehrter serem Haushalt. Herr Außenminister, Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Präsident. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Der hört nicht zu, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der redet nur! Das haben wir auch schon fest- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- gestellt!) SES 90/DIE GRÜNEN) die wir über unsere Kulturmittler, die Alexander-von- Humboldt-Stiftung, DAAD und Goethe-Institut, hervor- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ragend betreiben. Ich denke nur an das Deutschland-Jahr Sehr schön. – Das war jetzt die letzte Wortmeldung zu in Amerika im letzten Jahr, als wir dort mehr als 1 000 diesem Einzelplan. – Es liegen keine weiteren Wortmel- Veranstaltungen mit 250 Partnern durchgeführt haben. dungen vor, sodass ich die Aussprache schließen kann. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13679

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Wir kommen zu dem Geschäftsbereich des Bundes- glaube, hier spreche ich für alle: Wir alle waren tief be- (C) ministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. eindruckt von unseren Soldatinnen und Soldaten vor Ort, ihrer Professionalität, ihrer Leistungsbereitschaft. Es ist Ich erteile das Wort zunächst der Bundesministerin der mir noch einmal sehr bewusst geworden, dass es in die- Verteidigung, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer. – Frau sem Kampf, in diesem Einsatz im Kern um den Kampf Ministerin. gegen den menschenverachtenden Terrorismus des „Isla- (Beifall bei der CDU/CSU) mischen Staates“ geht. Das sollte uns gerade heute, dem Tag, an dem vor 18 Jahren Tausende Menschen in New Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin der York und anderen Stellen in den Vereinigten Staaten ei- Verteidigung: nem solchen Terror zum Opfer gefallen sind, bewusst Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete des Deut- sein. schen Bundestages! Die Bundeskanzlerin beschrieb heute Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe im Morgen die Situation in der Welt, und sie hat zu Recht Irak Opfer dieses Terrors getroffen: Jesidinnen; Frauen, über den deutschen Beitrag zu den großen politischen deren Familie vor ihren Augen abgeschlachtet wurde; Fragen gesprochen. Frauen, die versklavt, die verschleppt, die vergewaltigt Wir sind eine der größten Volkswirtschaften der Welt, worden sind; Frauen, die sich für ihre Heimat sehnlich eine der führenden Kräfte in Europa. Wir müssen und wir das wünschen, was für uns hier selbstverständlich ist: können durch überzeugende Politik Antworten geben sicher zu leben, ihre Familie ernähren zu können, einen zum Klimaschutz, zur globalen Migration, zur Digitali- Arzt und eine Schule für ihre Kinder zu haben. Auch für sierung. Deutschland kann und darf sich aus der Mitge- diese Frauen sind die Soldatinnen und Soldaten der Bun- staltung der Welt nicht zurückziehen und sich dann viel- deswehr dort im Einsatz. Dafür bin ich von Herzen dank- leicht sogar noch darüber beschweren, dass über unsere bar. Köpfe hinweg und gegen unsere Interessen Entscheidun- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie gen getroffen werden. bei Abgeordneten der FDP) Das gilt sicherlich auch für die Außen- und Sicher- Unsere Bundeswehr tut damit Gutes. Sie dient unserer heitspolitik. In Syrien werden weiterhin Städte bombar- Sicherheit, und sie tut dies mit den aktiven Soldatinnen diert, in Afghanistan verüben Taliban neue Anschläge, und Soldaten, aber auch mit den Reservisten und den Russland hat nach wie vor völkerrechtswidrig die Krim Veteranen. Sie tut dies mit höchstem Engagement, indem annektiert, China weitet seinen Einflussbereich aus, und sie unsere Partner unterstützt – aktuell zum Beispiel in der Iran beeinträchtigt die freien Seewege. Mali –, indem sie unser Bündnisgebiet schützt – zum (B) (D) (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Das ist jetzt ein Beispiel in Litauen –, und sie tut dies hier in Deutschland, bisschen abenteuerlich!) in unserer Heimat. Sie tut dies, indem sie rasch und un- kompliziert hilft, sei es bei Schneechaos in Bayern oder Multilateralismus, Demokratie, Freiheit, die Achtung der aktuell beim Schutz des Waldes in Deutschland oder auch Menschenrechte, friedlicher Handel zum gemeinsamen jetzt im humanitären Sinne nach dem großen Sturm auf Nutzen – all das ist in Gefahr. Und das geht uns in den Bahamas, zusammen mit Kameradinnen und Kame- Deutschland etwas an. Wir können nicht achselzuckend raden aus den Niederlanden und aus Frankreich. wegschauen. Wir können nicht nur darauf hoffen, dass andere dafür sorgen, dass wir in Deutschland sicher und (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Können wir mal gut leben können. zum Thema kommen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Bundesfinanzminister hat gestern in einem ande- ren Zusammenhang gesagt: „Weil wir es können.“ Was Deutschland braucht eine rechtmäßige internationale die Bundeswehr kann, kann sie aufgrund unserer Solda- Ordnung, braucht freien, regeltreuen internationalen tinnen und Soldaten. Sie dienen Deutschland. Handel, braucht ein stabiles, sicheres Europa. Das ist un- ser Interesse. Deswegen bringen wir uns ein – diploma- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Das wissen wir tisch, aber auch, ja, mit dem Mittel und dem Einsatz un- jetzt!) serer Bundeswehr. Deswegen gestalten wir die Welt Es liegt an uns, ihnen die richtigen Rahmenbedingungen gemeinsam mit unseren Partnern mit einem klaren Kom- für ihr Können zu geben. Deswegen ist es eine gute Nach- pass – in der EU, in der NATO und derzeit auch als Mit- richt – und dafür bedanke ich mich –, dass der Verteidi- glied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. gungshaushalt steigt, nach dem vorliegenden Entwurf im Meine sehr geehrten Damen und Herren, vor drei Wo- Jahr 2020 auf rund 45 Milliarden Euro. Das sind 1,7 Mil- chen war ich im Irak und in Jordanien. Ich freue mich, liarden Euro mehr als in diesem Jahr – gut investiertes dass ich an der Stelle auf der Pressetribüne Soldaten vom Geld für unser aller Sicherheit. Einsatzführungskommando in Potsdam willkommen hei- ßen darf. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Viel zu viel!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Nein, es ist nicht zu viel. Das kann nur jemand sagen, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der den Luxus hat, in Sicherheit und in Frieden und Frei- Einige Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus waren heit hier leben zu können. Das muss jeden Tag verteidigt dankenswerterweise bei der Einsatzreise mit dabei. Ich werden, und das kostet Geld. 13680 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ausgeben ist (C) neten der FDP und des Abg. Dr. Fritz einfach!) Felgentreu [SPD]) Trotzdem wollen und müssen wir gerade bei der Be- Wir setzen, meine sehr geehrten Damen und Herren, schaffung noch besser werden, so wie es der Expertenrat den Trend fort, und wir können damit auch die Stärkung und die Taskforce gemeinsam mit Vertretern aus den Per- unserer Bundeswehr fortsetzen. Der schwere Transpor- sonalvertretungen aufgezeigt haben, thubschrauber, das Mehrzweckkampfschiff 180, die Tranche 4 des Eurofighters, diese wichtigen Projekte kön- (Thomas Hitschler [SPD]: Gute Experten!) nen wir jetzt angehen. übrigens unter engagierter und fachkundiger Mitwirkung von Mitgliedern dieses Hauses. Herr Dr. Brandl, Herr Aber klar ist auch: Dieser Anstieg in 2020 alleine ge- Gädechens, Herr Hitschler, Herr Rohde, Frau Wiesmann, nügt nicht. Wir müssen ihn mittelfristig verstetigen. Denn vielen Dank dafür! Das waren wertvolle Beiträge. wenn es bei den jetzigen Planungen bleibt, sind wesent- liche Projekte gefährdet, Projekte wie etwa die Nachfolge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Tornados, die ja auch und zu Recht der Wehrbeauf- der SPD) tragte dringend angemahnt hat, Projekte wie die U-Boot- Kooperation mit Norwegen, um deren Bedeutung alle Jetzt, meine sehr geehrten Damen und Herren, vermei- Fachpolitiker wissen, unabhängig vom Parteibuch, und den wir eine erneute, groß angekündigte große Reform, auch die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und lähmende Umbauten. Aber die Vorschläge, auch aus die- Soldaten. Zum Beispiel wäre die umfassende Versorgung sem Haus, zeigen, wie man an wichtigen Stellschrauben mit Nachtsichtbrillen bei der jetzt vorgesehenen Planung klug drehen kann, um den Prozess zu beschleunigen. nicht umzusetzen. Ich glaube, wir müssen deshalb noch Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben einmal darüber reden. Denn wer für unser Land den Kopf Vertrauen in unsere Soldatinnen und Soldaten, und unsere hinhält und wer von diesem Parlament, von Ihnen, in Soldatinnen und Soldaten müssen uns vertrauen und sich einen Einsatz geschickt wird, der hat auch einen An- auf uns verlassen können. Dafür brauchen sie die best- spruch darauf, dass er die vollständige und beste Ausstat- mögliche Ausrüstung, Ausbildung und entsprechende tung bekommt. Einsatzbedingungen. Das ist auch eine Frage der Wert- schätzung des Dienstes, den unsere Soldatinnen und Sol- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie daten leisten, so wie es Wertschätzung ist, dass sie ab bei Abgeordneten der FDP) 1. Januar des nächsten Jahres in Uniform kostenlos mit Das hat etwas mit Sicherheit zu tun. Deswegen ist der der Bahn fahren können, (B) Anteil von 1,5 Prozent in den nächsten Jahren und auf (D) lange Sicht von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wir brauchen, nicht vom Himmel gefallen, und er ist auch des Abg. Martin Hohmann [AfD] – Tobias nicht herbeigetwittert worden, sondern wir haben uns Pflüger [DIE LINKE]: Da ist nix kostenlos! – selbst dazu verpflichtet auf der Grundlage sorgfältiger Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) militärischer Planungen, die Sie ja eng begleitet haben, so wie es Wertschätzung ist, dass wir am 12. November und mit der Verankerung in unserem nationalen Fähig- dieses Jahres, dem Geburtstag der Bundeswehr, nach acht keitsprofil. Diese Planung fügt sich nahtlos in den NATO- Jahren endlich wieder hier vor dem Reichstag ein feier- Planungsprozess ein. liches Gelöbnis erleben können. Ich lade Sie, werte Ab- geordnete des Deutschen Bundestages, dazu schon jetzt Dahinter steht die Idee, dass jeder nach seinen Kräften recht herzlich ein. zur gemeinsamen Sicherheit beiträgt, damit am Ende alle haben, was wir gemeinsam brauchen. So wie Polen Pan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zer bereitstellt, Estland exzellente Cyberfähigkeiten ein- neten der FDP und der Abg. Siemtje Möller bringt, Frankreich und Italien auch künftig modernste [SPD]) Fregatten bereitstellen, so müssen auch wir unseren Bei- trag leisten. Wenn wir das nicht tun, dann verlieren nicht Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen, ein Zei- nur wir, sondern alle im Bündnis diese Fähigkeiten, und chen dafür, dass wir den Dienst wertschätzen, den unsere damit gefährden wir unsere Sicherheit; denn es ist die Soldatinnen und Soldaten tagtäglich hier in Deutschland konkrete Solidarität von der Planung bis zum Einsatz, und überall für unsere Sicherheit leisten! die auch den Menschen in Deutschland nützt. Das setzt (Zurufe von der LINKEN) voraus, dass das, was gebraucht wird, schneller, einfa- cher, zielgenauer bei den Soldatinnen und Soldaten an- Es sind Männer und Frauen, es sind Staatsbürger in Uni- kommt. form aus der Mitte der Gesellschaft, sie sind Teil der Ge- sellschaft, sie gehören zu uns, und wir alle können stolz Ich habe hohen Respekt vor dem, was die Mitarbeiter- auf sie sein; innen und Mitarbeiter in dem zuständigen Amt, aber auch quer durch die Bundeswehr leisten. Immerhin ist es trotz (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Auf die Personalknappheit und Lieferverzögerungen der Indust- rechtsextremen Netzwerke?) rie in den vergangenen fünf Jahren gelungen, das bewil- ich zumindest bin es. ligte Geld vollständig und auch verantwortungsbewusst auszugeben. Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13681

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nicht in den Kasernen. Die israelischen Streitkräfte gelten (C) als die schlagkräftigsten im gesamten Nahen Osten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zurufe von der LINKEN) Vielen Dank, Frau Ministerin. – Der nächste Redner: für die AfD-Fraktion der Kollege Rüdiger Lucassen. Das müssen sie auch sein; denn die Existenz des Staates hängt davon ab. Der Verteidigungsetat Israels hingegen (Beifall bei der AfD) liegt bei 14,5 Milliarden Euro. Das ist gerade mal ein Drittel vom deutschen. Die Frage lautet also: Wie schafft Rüdiger Lucassen (AfD): es diese Bundesregierung, dreimal so viel Geld auszuge- Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! 44,9 Mil- ben wie das kleine Israel und damit ein so beschämendes liarden Euro – so viel Geld für Verteidigung wie noch nie! Zeugnis der deutschen Verteidigungspolitik vorzulegen? Und jetzt: Die CDU nimmt diese Summe als Beleg, dass sie die Bundeswehr wieder einsatzbereit machen will. (Beifall bei der AfD – Thomas Hitschler [SPD]: 44,9 Milliarden Euro – diese Zahl zeigt vor allem eines: Sie finden die Bundeswehr also beschämend, Sie zeigt, wie groß der Schaden ist, den Union und SPD Herr Lucassen? Habe ich das richtig verstan- der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten zugefügt ha- den?) ben; Nein, das haben Sie nicht richtig verstanden. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist doch (Thomas Hitschler [SPD]: Dann korrigieren Quatsch!) Sie es doch mal, weil genau das haben Sie ge- denn trotz dieses hohen Betrages hat Deutschland eine sagt! – Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Diese Armee, die ihren Auftrag, die Landes- und Bündnisver- Bundeswehrbeschimpfung ist furchtbar!) teidigung, nicht erfüllen kann. Die Bundesregierung geht außerordentlich schlecht (Beifall bei der AfD) mit dem Verteidigungsetat um. In der heutigen Ausgabe der „Welt“ konnten wir wieder lesen, wie schlecht. Die Meine Damen und Herren von der CDU, wer ist aus bundeseigene BW Bekleidungsmanagement GmbH hat Ihrer Sicht für diesen Schaden verantwortlich? Die offenbar einen satten Millionenbetrag in den Sand ge- Soldaten sicherlich nicht; da werden Sie mir zustimmen. setzt, weil sie ein IT-Konzept bestellt hat, ohne zu wissen, Sie dienen treu und folgen ihrem Eid. Der Kommandeur wofür – Steuergeld, eines Panzergrenadierbataillons kann nur dann einen schlagkräftigen Verband führen, wenn er alle Schützen- (Zuruf von der AfD: Das kennen wir ja!) (B) panzer hat, die ihm gemäß Soll zustehen. Das ist in kei- nicht ihr Geld, das Geld der Bürger unseres Landes. Die (D) nem Bataillon der Bundeswehr der Fall. CDU/CSU-Fraktion will ausgerechnet mit dieser unfähi- Trägt die wehrtechnische Industrie Schuld am desola- gen Staats-GmbH neue Ausgehuniformen beschaffen, ten Zustand der Truppe? Nein; denn wenn ein Panzer- entworfen von Designern und Historikern. Ehrlich ge- bauer eine rechtzeitige Auftragserteilung und ausreichen- sagt, mir graut es vor dem Ergebnis. de Exportgarantien hat, also Planungssicherheit, dann (Beifall bei der AfD) baut er Panzer. Aber noch wesentlich schlimmer ist: Mitten in der In ihrer Erklärungsnot schieben einige von Ihnen gern schwersten Krise, die die Bundeswehr je durchlebt hat, die Schuld auf Ex-Minister: Jung, Guttenberg, de beschäftigt sich die Union mit Ausgehbekleidung – im Maizière. Und einer, ich glaube, jemand von der SPD, CDU-geführten BMVg geht es zu wie im Tollhaus. nannte auch den Namen von der Leyen, um das Desaster zu erklären. Aber, meine Damen und Herren, Sie alle – (Beifall bei der AfD) Sie alle! – hängen da mit drin, und Sie haben zu jeder Zeit und unter jedem Ihrer Minister all das mitgetragen und so Meine Damen und Herren, die Regierung hat das Fun- die Bundeswehr zerstört. dament der Bundeswehr zerstört: Das Großgerät ist weitgehend verbraucht, die Ersatzteillager wurden ge- (Beifall bei der AfD) plündert. Liegenschaften wurden zu Spottpreisen ver- Ich will Ihnen die Dimension Ihres Versagens einmal schleudert, Kernbereiche des Militärs privatisiert und verdeutlichen. Die israelischen Streitkräfte haben 170 dann teuer wieder zurückgekauft. Die Munitionsdepots 000 Soldaten – ungefähr so viel wie die Bundeswehr. wurden leergeschossen, keiner hat sie wieder aufgefüllt. Die Anzahl der Schiffe, U-Boote und Flugzeuge ist auch Und die großen Beschaffungsvorhaben wurden so lange ungefähr gleich. Bei der Zahl der Kampf- und Schützen- verzögert, dass heute riesige Fähigkeitslücken drohen panzer liegt Israel sogar deutlich vorn. oder sogar schon vorhanden sind. – Das ist die Bilanz der schwarz-roten Verteidigungspolitik. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ist das jetzt ein Vorbild?) (Beifall bei der AfD) Israel hat 2 760, Deutschland gerade einmal 900, jeden- Deswegen brauchen wir heute große Steigerungsraten falls auf dem Papier, beim Verteidigungsetat: nicht wegen der 2-Prozent-Ver- einbarung, sondern um den enormen Schaden zu reparie- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Auf dem ren, den die Regierung angerichtet hat. Das ist Reparatur- Papier!) geld, um den Motorschaden zu beheben, weil Sie die 13682 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Rüdiger Lucassen (A) letzten Jahrzehnte keine Inspektionen durchgeführt ha- Es ist ein in unserer Geschichte einmaliges Glück, dass (C) ben. wir Deutschen seit nunmehr fast 75 Jahren in Frieden leben. Es sollte uns mit Staunen erfüllen, dass wir über- Meine Damen und Herren, wir brauchen eine sicher- zeugt sind, wir können diesen Frieden mit einer Armee heitspolitische Strategie für Deutschland, wir brauchen bewahren, die aus nicht einmal 200 000 Soldatinnen und einen militärpolitischen Aufbauplan für die Bundeswehr, Soldaten besteht. zum Beispiel - Dieses Glück ist nicht vom Himmel gefallen. Es ist das Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ergebnis harter kontinuierlicher Arbeit. Wir verdanken es zum einen der Europäischen Union. Durch sie ist es ge- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. lungen, den alten Grundsatz der Geopolitik zu überwin- den, der lautet: Mein Nachbar ist mein Feind; der Nachbar Rüdiger Lucassen (AfD): meines Nachbarn ist mein Verbündeter. – Das Misstrau- kurze, kürzere Innovationszyklen und damit kürzere en, das sich in diesem Grundsatz ausdrückt, hat sich in Nutzungszeiten von Großgerät, einen Führungsanspruch Vertrauen auf gute Nachbarschaft gewandelt. Und wir bei internationalen Projekten und eine realistische Ana- verdanken es zum anderen der NATO: Durch sie können lyse der demografischen Gegebenheiten. Diesem An- die Länder Europas, obwohl sie alle nur kleine Armeen spruch wird Ihr Haushalt in keiner Weise gerecht. unterhalten, dennoch ihre Wehrhaftigkeit nach außen ga- rantieren. Die NATO ist das erfolgreichste Verteidigungs- Danke. bündnis, das es je gegeben hat. (Beifall bei der AfD) (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Oje!)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Kein anderer Staat greift ein NATO-Land an. In einer Der nächste Redner: für die SPD-Fraktion der Kollege Welt, in der militärische Gewalt ein Mittel der Politik Dr. Fritz Felgentreu. geblieben ist, ist die Fähigkeit zu glaubwürdiger Abschre- ckung ein Wert an sich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber weder die NATO noch die Europäische Union sind unerschütterlich. Was sie leisten, muss verteidigt, Dr. Fritz Felgentreu (SPD): debattiert, erklärt und weiterentwickelt werden. Ihr Er- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Semper folg ist kein Naturgesetz. Das Ausscheiden Groß- talis, das Motto des Wachbataillons, passt auch zu dem (B) britanniens aus der Europäischen Union steht unmittelbar (D) Regierungsentwurf für den Verteidigungshaushalt: Wir bevor; das wird sie schwächen. Die gegenwärtige ameri- folgen damit zuverlässig den Linien, die seit der Rück- kanische Regierung stellt den Zusammenhalt der NATO kehr der SPD in die Regierung für die Sicherheits- und infrage. Umso wichtiger ist es, dass wir Europäer uns Verteidigungspolitik maßgeblich sind. entschieden haben, unsere Zusammenarbeit auch auf Zum sechsten Mal in Folge wird der Bundestag mehr dem Gebiet von Sicherheit, Rüstung und Verteidigung Geld bereitstellen, damit die Bundeswehr ihre Aufgaben zu vertiefen. Fortschritt hin zu einer gemeinsam getrage- bei Einsätzen und in der Bündnis- und Landesverteidi- nen europäischen Sicherheit ist nicht nur möglich. Wir gung erfüllen kann – und damit sie auf zukünftige He- gestalten ihn – nicht um die NATO zu ersetzen, sondern rausforderungen gut vorbereitet ist. Nachdem wir im lau- um sie zu ergänzen. fenden Haushaltsjahr den Verteidigungshaushalt mit einer so noch nie dagewesenen Anstrengung um 4,7 Mil- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten liarden Euro erhöht haben, werden wir im kommenden der CDU/CSU) Jahr eine weitere Steigerung um 1,7 Milliarden Euro er- Deshalb, meine Damen und Herren, muss die Bundes- reichen. Die Koalition stellt sich mit großer Ernsthaftig- wehr in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag in vollem keit und Stetigkeit der Herausforderung, die Einsatzbe- Umfang zu erfüllen. Dazu gehören die Auslandseinsätze, reitschaft der Bundeswehr in der gesamten Breite ihres die dieses Haus immer wieder mandatiert. Dazu gehören Auftrags wiederherzustellen. die Verpflichtungen im Rahmen der NATO, zum Beispiel Dass das auch notwendig ist, bedarf immer wieder der das NATO-Bataillon in Litauen, das neue Logistikkom- Begründung. Ich verstehe alle, denen es keinen Spaß mando in Ulm oder die NATO-Speerspitze, eine Brigade, macht, mehr Geld für Panzer, Kriegsschiffe und Raketen die binnen fünf Tagen an jeden Brennpunkt in Europa auszugeben – jeder Euro, der in Verteidigung fließt, steht verlegbar sein muss. Und dazu gehören in wachsendem für Bildung, Umwelt oder Sozialstaatsaufgaben eben Umfang die gemeinsamen Projekte der Europäischen nicht zur Verfügung. Union. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: So was All das kostet Geld. Für die SPD ist deshalb klar: Wenn aus Ihrem Munde! Interessant!) wir unsere Sicherheit auf eine so kleine Armee stützen, dann muss diese kleine Armee wenigstens voll ausgestat- Aber, meine Damen und Herren, wir leben in einer Welt, tet sein. in der schon immer militärische Gewalt eingesetzt wor- den ist, um politische Interessen durchzusetzen, auch heu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten te geschieht das, auch auf unserem Kontinent. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13683

Dr. Fritz Felgentreu (A) Wir haben ein 100-Prozent-Ziel bei Personal, Waffen Eingemachte. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nut- (C) und Ausrüstung. Gute Ausrüstung, die in ausreichenden zen, um Ihnen eine gute Zusammenarbeit anzubieten, si- Mengen zur Verfügung steht, ist auch entscheidend dafür, cher eine konstruktiv-kritische – das ist für uns Liberale ja dass Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst als sinnvoll ein roter Faden –, aber vor allem eine unvoreingenomme- erleben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, von die- ne. Wir werden Sie nicht daran messen, was jetzt viele sem Ziel sind wir auch im siebten Jahr der großen Koali- geschrieben haben, sondern daran, in welcher Art und tion immer noch zu weit entfernt. Weise Sie diese Zusammenarbeit führen werden, und vor allem an Ihren Taten. Denn ergebnisoffen stellen (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja!) wir uns diese Zusammenarbeit natürlich nicht vor. Wir Hinzu kommt: An vielen Standorten ist die Infrastruk- haben klare Erwartungen an Sie als Verteidigungsminis- tur marode. Auf meiner Sommerreise habe ich – übrigens terin. ausschließlich in den alten Bundesländern – Kasernen Die erste Erwartung – da werfe ich einen Blick auf die gesehen, deren Bausubstanz seit über 50 Jahren nicht mehr grundsaniert worden ist. Unabweisbar notwendige Einnahmeseite – betrifft natürlich die NATO-Quote. Die Baumaßnahmen verzögern sich, unter anderem, weil per- Kanzlerin – sie hat es heute noch mal wiederholt –, Ihre Vorgängerin, aber auch Sie selbst haben den Partnern ver- sonell unterbesetzte Landesbauämter andere Prioritäten haben als die Bedürfnisse der Bundeswehr. Der Deutsche sprochen, dass wir 1,5 Prozent unserer Wirtschaftsleis- Bundestag hat seine Hausaufgaben gemacht. Jetzt erwar- tung für Verteidigung ausgeben. Für uns Freie Demokra- ten ist klar: Der Zustand der Bundeswehr, aber vor allem ten wir auch Ergebnisse. unsere Sicherheit machen es zwingend erforderlich, dass Die Bundeswehr muss ihre Infrastruktur weiter moder- wir kontinuierlich einen Aufwuchs bei den Verteidi- nisieren, und zwar schnell und effektiv. Ausrüstung und gungsausgaben vollziehen. Waffen müssen schneller beschafft werden. Im Koali- tionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir schneller wer- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Henning den wollen, indem wir auf langwierige Ausschreibungen Otte [CDU/CSU]) verzichten, wo es das europäische Recht zulässt. Liebe Aber, Frau Ministerin, Sie müssen Ihren Ankündigun- Frau Ministerin, bitte machen Sie Druck auf Ihren Kol- gen auch endlich Taten folgen lassen. Wenn man sich die legen Peter Altmaier, damit das Wirtschaftsministerium aktuelle Situation, die Realität, anschaut, dann stellt man dazu endlich etwas vorlegt. fest, dass es leider andersherum ist: Zwar steigen die Aus- Im Unterschied zur AfD – wie wir eben gehört haben – gaben im Haushalt 2020 auf 1,39 Prozent des BIPs; aber schämen wir uns nicht für die Bundeswehr. in der mittelfristigen Finanzplanung, bis zum Ende des Zeithorizonts, fällt diese Quote eben auf 1,25 Prozent ab. (B) (Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir schämen uns Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie den Bürger- (D) nicht für die Bundeswehr, sondern für die Po- innen und Bürgern, den Soldatinnen und Soldaten, aber litik!) vor allem auch unseren Partnern bei der NATO verspro- Wir sind stolz auf sie und auf das, was die Soldatinnen chen haben. und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter leisten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wenn man das Ganze in Zahlen ausdrückt, reden wir, je Aber sie alle brauchen sichtbaren Fortschritt. nach Wirtschaftsleistung, die man zugrunde legt, von ei- ner Differenz von bis zu 10 Milliarden Euro. Das sind ja Eine letzte Anmerkung. Mit dem Haushalt 2020 steigt keine kleinen Beträge. Da hilft es wenig, wenn die Kanz- die sogenannte NATO-Quote auf 1,37 Prozent der Wirt- lerin den Eindruck erwecken möchte, dass die mittelfris- schaftsleistung. Auch hier sind wir auf einem guten Weg. tige Finanzplanung nicht so ernst zu nehmen sei. Ihr Haus Worauf es aber ankommt, ist die Vollausstattung der Bun- zeigt, dass die Wahrheit eine andere ist: Gerade die groß- deswehr, und die erreichen wir nur, wenn wir auch in en Rüstungsprojekte brauchen eine langfristige, solide, Zukunft den Wachstumskurs fortsetzen. nachhaltige Finanzierung. Deshalb brauchen wir eine Ich danke Ihnen. nachhaltige Planung, und wir erwarten von Ihnen auch, Frau Ministerin, dass Sie die Wende bei der Mittelaus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stattung im Bereich des Verteidigungsministeriums ein- der CDU/CSU) leiten, und zwar nachhaltig. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Vielen Dank, Herr Kollege. – Der nächste Redner ist Aber – damit komme ich zur zweiten Erwartungshal- für die FDP-Fraktion der Kollege Karsten Klein. tung –: Diese Mittelausstattung an sich ist ja kein Selbst- zweck, sondern sie hilft nur, wenn die Mittel oder – besser (Beifall bei der FDP) noch – das Material nachher auch bei der Truppe, bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt. Deshalb ist die zwei- Karsten Klein (FDP): te Erwartung ganz klar: Wir möchten, dass Sie das Be- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schaffungswesen der Bundeswehr wieder auf Zack brin- Kollegen! Vor allem: Sehr geehrte Frau Bundesverteidi- gen. Fregatte 125: über Jahre verspätet; ferner ist kein gungsministerin! Heute startet ja Ihr Job so richtig mit der Ausbildungszentrum vorhanden; der Puma kann nur bei Einbringung des Etats. Jetzt geht es also wirklich ans der Ausbildung, aber nicht sonst eingesetzt werden; von 13684 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Karsten Klein (A) unseren 53 Tiger-Hubschraubern waren im letzten Jahr meisten Ihrer Vorgänger endete die politische Karriere (C) im Durchschnitt nur 11,6 einsatzbereit. Allein diese kurze auf diesem Stuhl, bei vielen durch Rücktritt, bei anderen Aufzählung, die ich noch lange fortführen könnte, zeigt, einfach, indem danach nicht mehr viel passiert ist. Es gibt welchen großen Problemen und Herausforderungen Sie eigentlich nur drei Verteidigungsminister in der Ge- auch im Bereich des Beschaffungswesens gegenüberste- schichte der Bundesrepublik Deutschland, die dann noch hen. aufgestiegen sind. Der eine war Manfred Wörner – er ist danach NATO-Generalsekretär geworden –, der andere (Beifall bei der FDP) Helmut Schmidt – er ist Kanzler geworden –, und der Die Reaktionen aus Ihrem Haus sind bisher leider in dritte war Franz Josef Strauß, der dann Ministerpräsident die falsche Richtung gegangen. Ab diesem Jahr wird im in Bayern geworden ist; ihn nenne ich, weil das ja ähnlich Rüstungsbericht keine Auskunft mehr über die Einsatz- einer Kanzlerschaft ist. bereitschaft der Waffensysteme gegeben. Das ist die fal- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – sche Botschaft, um mit so einem Problem umzugehen. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und Ursula von Frau Ministerin, was wir als Freie Demokraten auf gar der Leyen?) keinen Fall akzeptieren werden, sind Einschränkungen – Ursula von der Leyen war gemessen an den Kriterien der parlamentarischen Kontrollrechte. Das Problem des „Amtszeit und Aufstieg“ die erfolgreichste Verteidi- Beschaffungswesens der Bundeswehr liegt nicht in die- gungsministerin, zumindest in der Ära Merkel. Aber sie sem Haus, sondern in Ihrem Haus, und dort ist es auch zu befindet sich da in ganz guter Gesellschaft. lösen. Sie, Frau Ministerin, wollen ja in kurzer Zeit ein ähn- Die dritte Erwartung, die ich ansprechen möchte, be- liches Kunststück vollbringen. Ich bin sehr gespannt, wie trifft Cyber. Sie sind darauf kurz eingegangen. Unsere das ausgeht. Jetzt müssen Sie hier allerdings erst einmal Partnernationen Frankreich, Großbritannien und die Ver- einen Haushalt verantworten, der noch die Handschrift einigten Staaten von Amerika haben schon frühzeitig um- Ihrer Vorgängerin trägt. Global kann man Folgendes fest- fangreiche Mittel zur Verfügung gestellt, um sich dieser stellen: Ihr Haus bekommt im nächsten Jahr 1,7 Milliar- neuen Herausforderung entgegenstellen zu können. Wir den Euro mehr. Es sind dann insgesamt 45 Milliarden müssen da deutlich mehr machen; wir müssen in diesem Euro, die Sie zu verantworten haben. Wenn die Koalition Bereich nachziehen, vor allem mit Blick auf Nationen noch bis 2021 hält und sich an dem Finanzplan orientiert, dieser Welt, die uns nicht so freundschaftlich gesinnt sind. bedeutet das, dass die Bundeswehr in dieser Legislatur- Deshalb, Frau Ministerin, fordern wir Sie auf: Schließen periode, gemessen an 2017, 23 Milliarden Euro mehr zur Sie diese nationale Sicherheitslücke, und zwar möglichst Verfügung gestellt bekommen hat. Das ist schon ein groß- (B) zeitnah! er Schluck aus der Pulle. Wir müssen aber feststellen – (D) (Beifall bei der FDP) der Kollege Klein hat es gerade detailliert beschrieben –, dass die Probleme trotzdem nicht gelöst worden sind. Wir Ein letzter Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die haben immer noch das Problem, dass die Gerätschaft Art und Weise, wie in Ihrem Haus Entscheidungsprozesse nicht fliegt, nicht schwimmt oder nicht fährt. Das heißt und vor allem Kontrollsysteme funktionieren. Ich möchte also, es gibt ein strukturelles Problem in Ihrem Haus. Und jetzt nicht weiter auf die „Gorch Fock“ eingehen, aber dieses strukturelle Problem wird eben nicht gelöst, indem vielleicht schauen Sie sich das noch einmal näher an. man immer mehr Geld obendrauf gibt. Es muss anders Ein anderes Beispiel ist die aktuelle Berichterstattung gelöst werden. Wenn ich einmal darauf hinweisen darf: im Bereich des Bekleidungswesens. Das alles zusammen- Wir hatten gerade die Debatte zum Haushalt des Auswär- gefasst macht deutlich: Es herrscht durchaus ein Kontroll- tigen Amtes. Da wird um jeden Cent gefeilscht. Wenn wir verlust in Ihrem Ministerium. Wir erwarten, dass Sie die nur ein Drittel Ihres Mittelaufwuchses in die Auswärtige Kontrolle wieder ins Haus zurückholen. Das wird eine der Kultur- und Bildungspolitik stecken würden, könnten wir härtesten Aufgaben. Uns haben Sie bei dieser Sache an einen wesentlich besseren und größeren außenpolitischen Ihrer Seite. Aber Sie müssen liefern. Effekt erzielen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Hier, in diesem Saal, wird darüber entschieden, in welche Auslandseinsätze sie geschickt Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wird. Deshalb haben die Abgeordneten eine ganz beson- Vielen Dank, Herr Kollege Klein. – Der nächste dere Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Sol- Redner: für die Fraktion Die Linke der Kollege Michael daten. Leutert. In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Punkte an- (Beifall bei der LINKEN) sprechen, die uns überhaupt nicht viel Geld kosten wür- den. Das Erste sind die Militärseelsorger. Seit Langem Michael Leutert (DIE LINKE): drängen wir darauf, dass es in der Bundeswehr auch Seel- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau sorger für nichtchristliche Soldatinnen und Soldaten ge- Ministerin, zuallererst möchte ich Ihnen ganz persönlich ben muss. Ich habe mich gefreut, dass Ihre Vorgängerin viel Glück für das neue Amt wünschen. Sie wissen, dass im April dieses Jahres schriftlich mitgeteilt hat, dass es ab Sie sich hier auf schwierigem Gelände bewegen. Für die sofort auch Militärrabbiner und muslimische Seelsorger Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13685

Michael Leutert (A) in der Bundeswehr geben wird. Dafür benötigen wir aller- (Martin Hohmann [AfD]: Die sind in der AfD (C) dings eine finanzielle Absicherung. Das ist aber nicht tätig! – Fabian Jacobi [AfD]: Schämen Sie erkennbar im Haushalt; der Titel stagniert bei 1,8 Millio- sich!) nen Euro, und in den Erklärungen sind lediglich die evan- Mich würde einmal interessieren, was Sie diesen Men- gelischen und katholischen Militärseelsorger benannt. schen sagen, wenn Sie jemanden wie den Kalbitz aufstel- Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist etwas len, damit er gewählt werden kann. – Ja, nichts. Ich habe schwieriger. Die Bundeswehr ist Teil unserer Gesell- mir schon gedacht, dass Sie denen nichts sagen können. schaft; sie existiert nicht im luftleeren Raum. Und dass (Beifall bei der LINKEN) wir in unserer Gesellschaft seit geraumer Zeit ein mass- ives Problem mit Rechtsextremismus haben, wissen wir Wer schweigt, stimmt zu. spätestens seit den Landtagswahlen in Brandenburg und (Fabian Jacobi [AfD]: Ich sage nichts, um Sachsen. Ihnen nicht zuzustimmen!) ( [AfD]: Wir haben ein Prob- Ich sage den Menschen: Bleibt hier! Wir schaffen ge- lem mit Linksextremismus! Das ist schon viel meinsam, dass sie wieder in der Versenkung verschwin- länger bekannt! Das steht da vorne! – Gegen- den. rufe der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist ein Tabubruch, dass in Brandenburg offen agieren- de Neonazis, Faschisten, in das Landesparlament gewählt worden sind. Ich spreche nur den Fraktionsvorsitzenden Vizepräsident : der AfD in Brandenburg, Herrn Kalbitz, an. Dessen Vita Sie müssen jetzt zum Schluss kommen, Herr Kollege. ist so gruselig; schauen Sie sich die einmal an. Er ist mit (Fabian Jacobi [AfD]: Das wäre sehr gut!) NPD-Funktionären in Griechenland gewesen. Dort wurde die Hakenkreuzflagge gehisst. Er hat an Camps der Hei- Michael Leutert (DIE LINKE): mattreuen Jugend, abgekürzt HJ, teilgenommen. Und im Der Staatssekretär Hoofe hat einen Brief geschrieben, Übrigen ist er auch von 1994 bis 2005 in der Bundeswehr in dem die Zustände beschrieben sind. Im Parlamentari- aktiv gewesen. schen Kontrollgremium wird darüber diskutiert. Wir (Martin Reichardt [AfD]: Weil er dort müssen hier dringend und schnell handeln und insbeson- beschäftigt war!) dere den Soldatinnen und Soldaten Schutz gewähren, die (B) sich dagegen wehren. Das ist das Wichtigste; (D) In dieser Zeit ist in seiner Abteilung der sogenannte Füh- rergeburtstag gefeiert worden mit Reichskriegsflagge und (Beifall bei der LINKEN) NS-Musik. denn es kann niemand Interesse daran haben, dass Bun- deswehrsoldaten mit rechtsextremen Einstellungen das (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- Bild Deutschlands im Ausland prägen. lich! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Sol- che Leute haben die!) (Beifall bei der LINKEN) Der Kommandeur ist dann entlassen worden. Der Nach- folger wollte der Sache auf den Grund gehen; er hat Vizepräsident Thomas Oppermann: Morddrohungen erhalten. Das sind zum Teil die Zustände Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege in der Bundeswehr, über die wir hier reden. Dr. Tobias Lindner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Kommandeur ist 1997 entlassen worden. Für mich stellt sich die Frage, warum eigentlich der Herr Kalbitz Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): noch bis 2005 in der Bundeswehr dienen konnte. Das ist Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und für mich eine große Frage. Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer dieser Debatte bisher aufmerksam gefolgt ist, dem ist (Beifall bei der LINKEN – Martin Hohmann nicht nur klar, dass wir eine neue Verteidigungsministerin [AfD]: Wahrscheinlich waren die Fakten ganz haben, dem ist nicht nur klar, dass wir über einen neuen anders!) Haushaltsentwurf sprechen, sondern dem fällt auch auf: – Die Fakten sind so gewesen. Wir reden hier über die alten Baustellen. Die Probleme, Frau Kramp-Karrenbauer, die Sie zu bewältigen haben, Ich sage Ihnen: Es gibt seit der letzten Landtagswahl sind die alten, über die wir hier seit Jahren reden, obwohl viele Menschen jüdischen Glaubens, der Verteidigungsetat überproportional gestiegen ist. (Martin Hohmann [AfD]: Die in der AfD tätig (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE sind!) GRÜNEN]: Das sind alles CDUler gewesen!) die derzeit Angst haben und überlegen, ob sie unserem Der Klarstand der Systeme der Bundeswehr ist immer Land den Rücken kehren. noch auf einem erschreckend niedrigen Niveau. Man 13686 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Tobias Lindner (A) kann nicht von gut angelegtem Steuergeld sprechen, stellt man fest, dass diese an vielen Stellen nicht konsis- (C) wenn man sich wie Ihre Vorgängerin Frau von der Leyen tent sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sie haben davon darüber freut, dass fast wöchentlich ein neuer Schützen- gesprochen, was alles fehlt und wo es Probleme mit der panzer geliefert wird, mir Soldatinnen und Soldaten aber Finanzierung gibt. Auch wir Grüne verstehen, dass man erzählen, dass das Teil in vielen Fällen nach zwei Wochen 40 Jahre alte Transporthubschrauber ersetzen muss. aus der Nutzung geht, in die Instandhaltung muss und dann die Ersatzteile fehlen. Das ist kein gutes Manage- ( [CDU/CSU]: Echt?) ment angesichts der Summen, über die wir hier diskutie- Das ist gar nicht das Thema. Gleichzeitig wollen Sie aber ren. ein taktisches Luftverteidigungssystem beschaffen. Das ist eine Maßnahme, die wir noch unter Rot-Grün mit ries- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) igem Zähneknirschen mitbeschlossen haben; das ist mehr Wenn wir uns das Beschaffungswesen anschauen, dann als 20 Jahre her. Es sind schon Milliarden dafür geflossen, sehen wir: Da wurde in den letzten Jahren viel getan. Wir und uns ist Jahr für Jahr erzählt worden: Das System ist haben eine Menge zusätzlicher Berichte erhalten. Man marktreif und kommt nächstes Jahr. – Jetzt erfahren wir in könnte auch sagen: Die Diagnose wurde durchaus ge- diesem Frühjahr beiläufig, dass sich die Kosten für dieses stellt. Der Beschaffungsprozess wurde verändert, er wird Projekt von 4 auf 8 Milliarden Euro verdoppeln sollen. weiter verändert. Die ehemalige Staatssekretärin Suder Der Nutzen – das sage ich Ihnen ganz ehrlich – ist frag- hat mehrere Hundert kleine Änderungen in der Beschaf- würdig, und jetzt verspätet es sich auch noch. Jetzt be- fungsbehörde BAAINBw vorgenommen. Und unabhän- stünde die Möglichkeit, zu sagen: Wir stoppen dieses gig davon, wie man über einzelne Projekte denkt, erhiel- Projekt. Wir streichen das Geld dafür und nutzen es lieber ten wir gestern Mittag aus Ihrem Haus eine neue für sinnvolle Dinge wie die persönliche Ausstattung und Übersicht, mit welchen Beschaffungsvorhaben der Haus- sparen vielleicht auch noch einen Teil ein, statt irgend- haltsausschuss im kommenden halben Jahr noch befasst einem Projekt hinterherzurennen, von dem man genau werden soll. Wieder merkt man: Es sind viele Projekte, weiß, dass es das nächste Rüstungsdesaster der Zukunft die Sie in die Zukunft schieben müssen, weil Ihr Beschaf- werden wird. fungsapparat diese nicht realisieren kann. Wenn Sie in einer solchen Situation, wenn die Prozesse immer noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht im Griff sind, über mehr Geld für Rüstung reden, Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Was ist die zeigt das: Das ist alles andere als „gut investiertes Geld“, Antwort auf die Raketenbedrohung?) um Sie zu zitieren, Frau Ministerin. Herr Kollege Brandl, Sie fragen: „Was ist die Antwort auf die Raketenbedrohung?“ Wir reden von diesem Pult (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) aus ja immer gerne über Europäisierung. Ja, dann gucken (D) Sie haben ein personelles Problem. Ich glaube, da sind wir doch einmal nach links und rechts und schauen, was Sie nicht ehrlich zu sich selbst, nicht ehrlich zu Ihrem unsere europäischen Verbündeten machen. Die nehmen Haus, nicht ehrlich zu den Soldatinnen und Soldaten die bestehenden Systeme, die wir auch haben, moderni- der Bundeswehr. Sie übernehmen eine Planung, die vor- sieren sie Schritt für Schritt und besorgen Ersatzteile, sieht, dass die Truppe auf über 200 000 Soldatinnen und gehen aber risikoarm vor. Es geht uns doch jetzt hier Soldaten aufwachsen soll. Darüber kann man diskutieren; gar nicht darum, ideologisch zu sagen: Wir müssen uns Sie leiten das von den Aufgaben und anderen Dingen ab. gegen Raketen verteidigen können. – Aber ich frage Sie: Aber schaut man sich die Zahlen an, wie viele Soldatin- Ist es eine kluge Antwort – ich weiß, das Unternehmen nen und Soldaten derzeit ihren Dienst leisten, dann sitzt in Ihrem Wahlkreis –, einem Projekt, das sich ver- kommt man Pi mal Daumen auf 179 000, 180 000 Solda- zögert hat, für das wir schon Milliarden ausgegeben ha- tinnen und Soldaten – bei einer Struktur von 185 000. Ich ben und bei dem wir wissen, dass die Kostensteigerung sage Ihnen: Angesichts des demografischen Wandels, des mindestens bei 100 Prozent liegt, stur hinterherzurennen? Übergangs zu einer Berufsarmee, des Aufwuchses bei Das nützt den Soldatinnen und Soldaten in der Truppe, den Länderpolizeien und der Bundespolizei sollten Sie die auf ihre Schutzwesten und ihre persönliche Ausrüs- doch lieber die Priorität darauf setzen, eine Truppe in tung warten, die in Liegenschaften untergebracht sind, einem Umfang von 180 000 Soldatinnen und Soldaten über die der Kollege Felgentreu entsetzt ist, die ihren zu haben, die vernünftig ausgestattet ist und vernünftig Dienst für unser Land verrichten, nämlich gar nichts. bezahlt wird und für die Sie ausreichend Bewerberinnen und Bewerber bekommen, statt den Laden auf 200 000 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aufblähen zu wollen mit dem Ergebnis, dass Sie dann eine Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben gesagt: Deutsch- Struktur haben, die alle in der Bundeswehr am Ende des land kann nicht an der Seitenlinie stehen. Wir müssen uns Tages überfordert, und Sie Versprechungen machen, die engagieren. Wir müssen etwas tun. – Da widerspreche ich Sie nicht halten können. Auch das ist kein guter Umgang Ihnen ja gar nicht. Aber die Antwort dieser Bundesregie- mit Steuergeld, meine Damen und Herren. rung muss doch einer Gesamtstrategie folgen. Man kann sich doch nicht an dieses Pult stellen, die Lage der Welt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) analysieren und sagen, wo es überall Baustellen gibt, und Sie werden in den kommenden Monaten – die Einar- dann, ohne abzubiegen, zum Wehretat kommen und sa- beitungszeit haben Sie ja jetzt hinter sich – handeln müs- gen: Ja, unsere Antwort ist, dass es 1,7 Milliarden Euro sen. Sie werden Entscheidungen treffen müssen, was Sie mehr gibt. – Wenn wir wirklich Verantwortung in der priorisieren wollen. Wenn man sich die Planungen, die Welt übernehmen wollen – wir haben ja gerade über Ihnen Frau von der Leyen hinterlassen hat, anschaut, den Etat des Auswärtigen Amtes diskutiert –, dann Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13687

Dr. Tobias Lindner (A) bräuchte diese Bundesregierung endlich eine Strategie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) wie man mit dem Iran und dem Ausstieg aus dem Nuk- learabkommen richtig umgeht. Es reicht eben nicht, hier Vizepräsident Thomas Oppermann: Phantomdebatten über Schiffe in der Straße von Hormus Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion zu führen. Dann muss man als Außenminister Heiko der CDU/CSU der Kollege Henning Otte. Maas, ehrlich gesagt, früher nach Teheran fliegen und überlegen, was man machen kann, und früher mit europä- (Beifall bei der CDU/CSU) ischen Verbündeten reden. Eine Antwort, die sich allein auf das Militärische kapriziert und so tut, als sei die Bun- deswehr die Lösung aller Probleme, wird den Soldatinnen Henning Otte (CDU/CSU): und Soldaten nicht gerecht. Das ist auch keine kluge Au- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ßenpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen. ren! Wir besprechen den Haushalt 2020. Ich danke Ihnen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sehr geehrte Frau Verteidigungsministerin, dass Sie gleich am Anfang sehr deutlich gemacht haben, welche Ich will zu einem letzten Punkt kommen, der hier schon Wertschätzung Sie gegenüber der Bundeswehr empfin- angesprochen wurde. Wir danken ja gerne und oft – ich den. Sie haben sehr deutlich gemacht, dass Sie ganz klar würde sagen, auch zu Recht – den Soldatinnen und Sol- hinter der Truppe stehen, dass Sie sich einsetzen, nicht daten der Bundeswehr von diesem Pult aus für ihren nur in Rede, sondern auch in Tat. Wir danken Ihnen als Dienst und ihren Einsatz. Wir versichern sie – das finde CDU/CSU-Bundestagsfraktion dafür, dass Sie eine An- ich bei einer Parlamentsarmee auch richtig – unseres erkennung in Form der kostenlosen Bahnfahrten ermög- Rückhalts und unserer Unterstützung. Ich will aber licht haben, aber auch sehr deutlich gemacht haben: Ein gleichwohl sagen: Genauso erwarten wir von allen Gelöbnis gehört vor das Reichstagsgebäude, in die Mitte Frauen und Männern, die in Uniform Dienst für unser der Gesellschaft, am 12. November. Herzlichen Dank Land tun, dass sie das auf dem Boden unseres Grundge- dafür! setzes, auf dem Boden unserer freiheitlich-demokrati- schen Grundordnung tun. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meinem Vorredner von den Grünen kann ich nur zu- Wenn wir, wie in den letzten zwölf Monaten, immer wie- rufen: Nicht nur den regenerativen Blick haben für Ein- der von Einzelfällen – hier ein Einzelfall, da ein Einzel- zelsachen, sondern auch den 360-Grad-Blick! fall, dort ein Einzelfall und noch ein weiterer Einzelfall – (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE (B) rechtsextremistischer Einstellungen bis hin zu mutmaß- (D) lichen Verbrechen hören und man im wahrsten Sinne des GRÜNEN]: Sie haben den? Das ist mir klar!) Wortes den Wald vor lauter Bäumen, das Netzwerk vor Dazu gehört auch eine funktionierende Raketenabwehr, lauter Einzelfällen nicht mehr sieht oder sehen will, dann um deutlich zu machen: Wir müssen unser Land ist das eine große Gefahr für die Soldatinnen und Solda- schützen, indem wir Land, Luft, See und Cyber im Blick ten, die ihren Dienst ordentlich tun, aber natürlich auch haben. Wenn Sie etwas Gutes tun wollen für die Sicher- eine Gefahr für die Sicherheit in diesem Land. Deswegen heit unseres Landes, dann stimmen Sie diesem Haushalts- sage ich ganz klar: Handeln Sie an dieser Stelle! Zeigen entwurf zu. Sie an dieser Stelle, dass Rechtsextremismus nichts in unseren Streitkräften verloren hat. Werden Sie hier tätig, Aber ich muss auch etwas zu einem Vorredner von der und ziehen Sie daraus Konsequenzen, Frau Kramp-Kar- AfD sagen, der die Bundeswehr in ein ganz schiefes Licht renbauer. gerückt hat und die historische Einordnung offensichtlich auch nicht verstanden hat. Wir hatten 1990 die deutsche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wiedervereinigung, der Glücksfall in der Geschichte, und sowie bei Abgeordneten der SPD) wir hatten Entspannung in Europa. Natürlich ist darauf Wir Grüne werden in den anstehenden Haushaltsbera- reagiert worden, indem die Streitkräfte in ganz Europa tungen eine Menge an Vorschlägen machen, die der Trup- dezimiert worden sind. Wir haben damit gleichzeitig ei- pe zugutekommen, zum Beispiel, wie man die Ausrüs- nen Beitrag zum Abbau der Verschuldung geleistet. Dann tung verbessern kann, die notwendig ist, um den Auftrag kamen mit den Anschlägen vom 11. September 2001 die der Bundeswehr zu erfüllen. Wir werden aber auch auf- erhöhten Anforderungen an Auslandseinsätze, an Krisen- zeigen, wo Geld sinnlos ausgegeben wird, wo es in die- prävention. Dann kamen die Besetzung der Krim und das sem Etat Einspar- und Umschichtungspotenziale gibt, aggressive Vorgehen Russlands. Wir haben auch einen und wir werden den Finger immer dort in die Wunde Generationenwechsel bei den Systemen der Bundeswehr. legen, wo man den Eindruck hat, dass man die Prozesse Deswegen müssen wir deutlich sagen: Sie reden die Trup- bis heute nicht richtig im Griff hat und eher die Bilanz von pe schlecht, indem Sie sich über abstürzende Eurofighter- Beratungsfirmen gefüttert wird, als dass es wirklich um Piloten lustig machen, indem Sie einerseits zum Aufstand die Sicherheit unseres Landes und unserer Verbündeten der Generale aufrufen, andererseits vom unerbittlichen geht. Kampf sprechen, aber gleichzeitig zusammen mit den Linken die Beendigung der Auslandsmandate fordern In diesem Sinne: Gehen wir die Beratung dieses Haus- und eine national beschränkte Politik machen. Ihre Politik halts an. Ich freue mich auf den Austausch. ist eine Gefährdung für Frieden und Freiheit in Deutsch- Herzlichen Dank. land und in Europa, meine Damen und Herren. 13688 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Henning Otte (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich will noch einmal deutlich machen, dass wir nicht (C) neten der FDP – Martin Hohmann [AfD]: Ge- alleine sind, sondern uns in Bündnissen befinden, im nauer hinschauen!) NATO-Bündnis und in der Europäischen Union, und die Partner um uns herum erwarten, dass wir unsere Verläss- Wir haben bei unserer Politik den Soldaten und die lichkeit zeigen, nicht nur indem wir das 2-Prozent-Ziel Soldatin in den Mittelpunkt gestellt. In dieser Legislatur- einhalten, sondern auch indem wir Verantwortung über- periode haben wir schon viel erreicht. Wir haben das nehmen und uns als Anlehnungspartner anbieten, wenn es Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz darum geht, eine gemeinsame Sicherheitspolitik für Eu- geändert, um die Leistungen für die Soldaten und Beam- ropa zu gestalten. Dieser Verantwortung wollen und müs- ten weiter zu verbessern. Wir haben das Versichertenent- sen wir auch gerecht werden. Das ist Nachhaltigkeit. Das lastungsgesetz verabschiedet, sodass der Zugang zur ge- ist sicherheitspolitische Nachhaltigkeit, weil wir auch un- setzlichen Krankenversicherung geregelt ist. Wir haben seren zukünftigen Generationen ermöglichen wollen, in mit dem Gesetz zur nachhaltigen Stärkung der perso- Frieden und Freiheit zu leben. nellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr deutlich gemacht, dass wir die Bundeswehr als Arbeitgeber attrak- Wir müssen in die Ausrüstung investieren, um Frieden, tiver gestalten wollen. Wir wollen auch die Einsatz- Freiheit und auch Wohlstand zu erhalten. versorgung verbessern. In Kürze werden wir das Be- (Johannes Kahrs [SPD]: Dann machen Sie das soldungsstrukturmodernisierungsgesetz beraten, um auch!) deutlich zu machen, dass Personalbindung durch Wert- schätzung und Anerkennung, durch eine Erhöhung des Es ist notwendig, dass wir Verantwortung in den Einsät- Auslandsverwendungszuschlags und durch Personalge- zen in Afghanistan und in Mali übernehmen. Es ist aber winnung für uns im Mittelpunkt stehen. auch notwendig, dass wir den Anti-IS-Kampf weiter füh- ren. Frau Verteidigungsministerin, Sie haben deutlich ge- Im Mittelpunkt steht aber auch die Ausrüstung. Wir macht, welche Verletzungen Menschen, auch Frauen, zu- müssen die Einsatzbereitschaft unserer Streitkräfte ver- gefügt worden sind, dass Menschen vom IS gekillt bessern. Wir müssen schnellere Entscheidungen treffen – worden sind, weil sie andersgläubig sind. Der IS ist noch so haben Sie es gesagt, Frau Verteidigungsministerin – nicht besiegt. Er schafft sich Brückenköpfe, um Europa und erreichen, dass das Gerät auch schneller bei der Trup- zu gefährden. Da müssen wir gegenhalten. Wir müssen pe ankommt; denn unsere Soldatinnen und Soldaten brau- von Jordanien aus weiter unseren Beitrag zum Anti-IS- chen das Gerät, von uns finanziert und gestellt, zur Er- Kampf leisten und die Ausbildungsmission im Irak wei- füllung ihrer Aufgaben für unser Land. Und dabei haben terführen. Denn es geht um Frieden und Freiheit, und dies sie unsere volle Unterstützung. ist zu gewährleisten durch den tollen Einsatz unserer Sol- (B) datinnen und Soldaten. Sie stehen ein für Einigkeit und (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Recht und Freiheit. Sie sind der Garant für den Frieden Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) bei uns. Sie haben unsere volle Unterstützung verdient und auch die finanzielle Ausstattung. Das ist nicht nur gesagt, sondern auch entschieden. Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, das Haushalts- Herzlichen Dank. recht zu flexibilisieren, um überjährige Planungsphasen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. und Finanzierungssicherheit zu bekommen. Wir haben Dr. Fritz Felgentreu [SPD]) außerdem das Vergaberecht effizienter gestaltet, um das Gerät schneller beschaffen zu können. Mit der Experten- kommission haben wir den gesamten Beschaffungs- Vizepräsident Thomas Oppermann: prozess ins Visier genommen, zusammen mit der Perso- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin nalvertretung. An diesen Aufgaben wollen wir Hohmann für die Fraktion der AfD. weiterarbeiten. (Beifall bei der AfD) Das alles hat etwas mit Geld zu tun. Der Verteidigungs- etat hat mit einem Haushaltsansatz von 44,9 Milliarden Martin Hohmann (AfD): Euro eine Steigerung erfahren. Aber wir müssen noch Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! stärker betonen, dass dies der Sicherheit unseres Landes Sehr geehrte Frau Ministerin, am 17. Juli 2019 wurden dient; denn die Planungskurve fällt ab 2023 wieder ab. Sie zur Verteidigungsministerin ernannt. Sie haben damit Deutsch-französische Kooperationen und deutsch-nor- etwas mehr als die Hälfte Ihrer ersten 100 Tage hinter wegische Kooperationen wären gefährdet, wenn wir kei- sich. nen kontinuierlichen Anstieg hätten. Wir wollen ihn und (Thomas Hitschler [SPD]: Zehn Sekunden wir fordern ihn, nicht wegen der Vereinigten Staaten, ohne Fake News!) sondern weil es um die Sicherheit unseres Landes geht. Wir benötigen einen 360-Grad-Blick, und dafür brauchen Sie genießen noch die sogenannte Schonfrist der 100 Ta- wir die finanzielle Ausstattung. Deswegen fordern wir ge, und ich darf Ihnen versichern: Wir werden auch darü- auch auf, diesem Haushalt zuzustimmen, meine Damen ber hinaus fair mit Ihnen umgehen. Wir versprechen und Herren. Ihnen fairen Umgang, wir erwarten aber auch fairen Um- gang. Wir werden Sie nicht für etwas hinhängen, was in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei die Verantwortung Ihrer Vorgänger oder Ihrer Vorgänge- Abgeordneten der SPD) rin fällt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13689

Martin Hohmann (A) Sie haben Truppenbesuche gemacht, wie etwa im ira- Auch ich war damals häufig Gastspringer bei dieser ex- (C) kischen Erbil, wie etwa im jordanischen al-Asrak. Das zellenten Truppe. Mein Lohn: das goldene Springerab- finde ich gut, weil Sie sich Kenntnisse vor Ort, sozusagen zeichen für 50 Sprünge. im Einsatzraum, verschaffen. Sie zeigen damit Solidarität mit den Soldaten, mit unseren deutschen Soldaten. – Er- (Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem lauben Sie mir den Einschub: Ich gebrauche das generi- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! Oh! – sche Maskulinum. Die weiblichen Soldaten, die Soldatin- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: nen, Haben Sie die Springerstiefel noch im Schrank?) (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Das kann nicht jeder von sich sagen. Verzichten gerne darauf, dass Sie das sagen!) sind also mitumfasst und mitgemeint. Mit diesem Exkurs, Frau Ministerin, möchte ich vor allem um eines bitten: Sehen Sie Ihre neue Aufgabe nicht (Beifall bei Abgeordneten der AfD) als Karriereschritt, nicht als eine Herausforderung an Ihr Organisationstalent. Wenden Sie sich den Soldaten so zu, Ich lehne es ab, die männliche, die weibliche und viel- dass diese spüren: Unserer neuen Ministerin sind wir als leicht auch noch die diverse Form zu gebrauchen, nur um Menschen wichtig. Sie kümmert sich um uns und unsere mich vorsorglich von dem Verdacht zu reinigen, ein Belange. Sie hat das Zeug, so wie Georg Leber einmal als männlicher Chauvinist zu sein. „Vater der Soldaten“ bezeichnet wurde, als „Mutter der Soldaten“ in die Annalen einzugehen. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie geistreich! – Thomas Hitschler Mein Kamerad und Kollege Rüdiger Lucassen hat [SPD]: Gut, dass das alles Redezeit kostet! Er- Wegweisendes zum Verteidigungshaushalt gesagt; das klären Sie uns noch ein bisschen mehr dazu!) möchte ich nicht wiederholen. Er hat klar herausgestellt, Wir sollten diese Form der Zeit- und Ressourcenvergeu- dass die Soldaten vorzüglich sind und dass es die Aus- dung grundsätzlich unterlassen. rüstung ist – das vermischen Sie immer –, woran es man- gelt. (Beifall bei der AfD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lachen ja (Henning Otte [CDU/CSU]: Dafür haben Sie selber! Das ist lächerlich!) aber keinen Applaus bekommen! Da klatscht keiner!) Ich bin immer ein fröhlicher Mensch. – Im Übrigen – Ich möchte herausstellen: Wir als AfD-Fraktion mit (B) glauben Sie mir bitte –: Ich schätze Frauen über alles. (D) den relativ meisten Ex-Soldaten warnen eindringlich (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: vor Auslandseinsätzen – da komme ich noch einmal auf Oh Gott! – Zurufe von der CDU/CSU und der Sie zurück –, die nicht dem deutschen Interesse dienen. SPD) (Beifall bei der AfD) Und mir ist vollkommen klar: Ohne Frauen ist alles Der bereits seit 2002 laufende Afghanistan-Einsatz mit nichts. seinen gefallenen deutschen Soldaten und seinen Milliar- Frau Kramp-Karrenbauer, als Saarländerin ist Ihnen denkosten gehört dazu. Wenn die US-Soldaten abziehen, eine natürliche und unbelastete Beziehung zu den Solda- bleibt auch für die Bundeswehr nur eines: ein zügiger, ten der Bundeswehr sozusagen in die Wiege gelegt. geordneter Rückzug. Ich verweise auf unseren AfD-An- trag vom Februar 2019. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sagen Sie mal was zu den Fallschirmjä- (Henning Otte [CDU/CSU]: Der ist doch gern!) abgelehnt worden!) Kommt. – Die Luftlandebrigade 26 hatte den Sitz ihres Leider. Kommandos und mehrerer Untergliederungen in Saar- Frau Ministerin, Sie haben herausgestellt, das 2-Pro- louis. zent-Versprechen gegenüber der NATO dürfe keine Leer- (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Bravo!) formel sein. Weiter haben Sie das Ziel gesetzt, unsere Bundeswehr sichtbarer zu machen. Bei beidem haben Das liegt ganz in der Nähe Ihres Heimatortes Püttlingen. Sie unsere Unterstützung. Mein Vorschlag geht in diese Richtung: Fast alle Staaten dieser Welt feiern ihren Na- (Henning Otte [CDU/CSU]: Was Sie alles tionalfeiertag mit einer Militärparade. wissen!) (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und Dort haben Sie oft das sonore Brummen der Bundeswehr- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Transall-Flugzeuge gehört, die Fallschirmjäger zu ihren Absetzplätzen in Düren und Ballern gebracht haben – Für mich ist eine solche Militärparade ein Normalitäts- „Ballern“ nicht als Tätigkeit, sondern als Ortsbezeich- gradmesser. nung. (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Jetzt kommen (Zuruf von der SPD: Donnerwetter!) wir zum Punkt!) 13690 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Martin Hohmann (A) Die Vorbehalte aus der deutschen Geschichte haben wir Wenn in den Zeugenvernehmungen im Untersu- (C) durch 70 Jahre gelebte Demokratie überwunden. Gerade chungsausschuss immer dieselben Antworten kommen, wenn die Bundeswehr sich nach dem neuesten Tradi- die da lauten: „Ich bin dafür nicht zuständig“, „Ich weiß tionserlass nicht als geschichtlicher Erbe von Vorgänge- nicht, wer dafür zuständig ist“, oder wenn Person A sagt: rarmeen sieht, hat sie allen Grund für einen unbelasteten „Person B ist zuständig“, und Person B sagt: „Person A ist Umgang mit dieser feierlichen militärischen Tradition. zuständig“, dann stimmt etwas im System nicht, dann Ich freue mich auf die erste Parade der Bundeswehr in funktioniert etwas nicht, dann ist das Ausdruck eines Or- der Hauptstadt Berlin. ganisationsmangels. Frau Ministerin, es wird Ihre Auf- gabe sein, diesen Organisationsmangel in Zukunft abzu- (Beifall bei der AfD) stellen.

Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der SPD) Vielen Dank. – Für die Fraktion der SPD spricht als Ich finde, die Erkenntnisse, die wir im Untersuchungs- Nächster der Kollege Dennis Rohde. ausschuss erlangt haben, sind relevant für die Debatte, die wir hier führen. Frau Ministerin, Sie haben im ersten (Beifall bei der SPD) Interview gleich mehr Geld für die Bundeswehr gefor- dert. Ich sage: Ich hätte mir eine andere Schwerpunkt- Dennis Rohde (SPD): setzung gewünscht. Denn die Wahrheit ist doch: Ihrem Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Ministerium steht so viel Geld zur Verfügung wie nie und Kollegen! Kommen wir zurück auf die Sachebene. zuvor. Die Hauptprobleme liegen doch nicht bei den Fi- nanzressourcen, sondern die Herausforderung besteht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) doch darin, dieses Geld verausgabt zu bekommen. Frau Ministerin, das ist der erste Haushalt, den Sie im (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Hört! Hört!) neuen Amt begleiten. Das ist ein Amt, das Ihnen viel Energie abverlangen wird, ein Amt, von dem wir hoffen, Ich will betonen: 45 Milliarden Euro sind verdammt dass Sie es mit aller Kraft ausführen werden. Ihre Vor- viel Geld. Das ist Geld, das wir als Parlament zur Ver- gängerin hat Ihnen nämlich viele Baustellen überlassen, fügung stellen, um die Soldatinnen und Soldaten, über über die wir im Rahmen der Haushaltsverhandlungen si- deren Auslandseinsätze, über deren Aufgaben wir hier cherlich gemeinsam diskutieren werden. Wir als SPD- entscheiden, angemessen auszustatten. Denn an einem Fraktion freuen uns auf eine gute und konstruktive Zu- darf es keinen Zweifel geben: Unsere Truppe verdient sammenarbeit in den nächsten Monaten. die bestmögliche Ausstattung, insbesondere in Auslands- (B) einsätzen. Das ist unsere Verantwortung. Das ist die Ver- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der antwortung eines Parlaments gegenüber einer Parla- CDU/CSU) mentsarmee, und dieser Verantwortung müssen wir Ich möchte zunächst auf das Thema eingehen, das uns gerecht werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. in den letzten Wochen und Monaten viel beschäftigt hat, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo die sogenannte Berateraffäre. Wir hätten uns eine allum- Gädechens [CDU/CSU]) fassende Aufklärung seitens des Bundesministeriums der Verteidigung gewünscht, weil wir der festen Überzeu- Aber: Wer viel Geld zur Verfügung gestellt bekommt, der gung sind: Eine solche Aufklärung sind wir der Truppe bekommt eben auch viel Verantwortung übertragen. Die und den Beamtinnen und Beamten schuldig. Es darf kein Berateraffäre hat nun einmal offenbart, dass es beim Um- Anschein zurückbleiben, dass gewisse Unternehmen be- gang mit Steuergeldern teilweise erhebliche Defizite im vorzugt behandelt wurden und dass das toleriert oder res- Haus gibt. Daher würden wir bevorzugen, dass Sie, bevor pektiert wurde. Sie mehr Geld fordern, Frau Ministerin, zunächst einmal diese Probleme angehen. (Beifall bei der SPD) Eines möchte ich aber ganz deutlich auch in Abgren- Ich will es noch deutlicher machen: Wir finden, der viel- zung sagen – das habe ich in der letzten Debatte schon fache Bruch des europäischen Vergaberechts darf nicht betont –: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Be- ohne Konsequenzen bleiben. Das wäre vollkommen in- schaffungsamt leisten in einer schwierigen Lage teils he- diskutabel. Aber die Aufklärungen, die wir uns ge- rausragende Arbeit. Auch wenn Einzelne entscheidende wünscht hätten, haben so nicht stattgefunden. Die durch- Fehler gemacht haben sollten: Das gilt nicht für das Kol- geführten Verwaltungsermittlungen waren hochgradig lektiv. Die Mitarbeitenden in den Beschaffungsstrukturen lückenhaft, entscheidende Fragen wurden nicht gestellt, leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Großartiges. Konsequenzen bis heute nicht gezogen, Antworten nicht gegeben. Frau Ministerin, wir bieten Ihnen unsere Zu- Wenn aber dauerhaft große Teile der Personalstellen sammenarbeit an, um diese Verwaltungsermittlungen nicht besetzt sind und man gleichzeitig mit jeder Milliar- nachzuholen, um hier nachzuarbeiten – im Interesse der de mehr im Einzelplan auch mehr Aufgaben ins Amt Steuerzahlenden in diesem Land. Ich finde, es kann nicht bringt, dann bringt man ein System an den Rand des allein Aufgabe des Parlaments sein, das aufzuarbeiten. Kollapses. Daher müssen wir das Beschaffungsamt end- Das ist zuvorderst Ihre Aufgabe. Ihre ersten Signale, die lich nachhaltig stärken, und wir müssen es optimieren. Sie dazu an den Untersuchungsausschuss gesendet haben, Unsere Vorschläge, die wir gemeinsam auch im Exper- nehmen wir sehr positiv auf. tenrat mit erarbeitet haben, liegen auf dem Tisch. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13691

Dennis Rohde (A) Ich wiederhole erneut die letzte Debatte: Frau Minis- null, zero, alle weg! Die Mittel für neue Boote standen (C) terin, wenn Sie das System stärken und nicht zerschlagen schon im letzten Haushalt. Im BAAINBw ist blöderweise wollen, dann haben Sie die volle Unterstützung der SPD- nur keiner da, der die Ausschreibung in die Hand nimmt. Bundestagsfraktion. Kollege Gädechens, Sie waren ja zusammen mit Ihrem (Beifall bei der SPD) Fraktionsvorsitzenden, der heute Morgen vor allen Din- gen durch seine große phrasenreiche Rede auffiel, vor Ort Was wir daneben ausdrücklich begrüßen würden, wäre und kennen das Problem. Ich frage mich, warum da nicht das Ende der Privatisierungs- und Ausgliederungsinitiati- ein bisschen Schwung reinkommt; ven im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums. Die Versuche – und da sind wir ehrlich –, die fraktions- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir sind der übergreifend in den letzten Jahrzehnten unternommen Lösung auf der Spur!) wurden, auf diese Art zu optimieren, sind weitestgehend gescheitert. Sie waren auch ein Fehler. Wir reden hier denn ich gehe davon aus, dass auch die CDU die Feuer- über hochbrisante und für unsere Sicherheit relevante wehren in ihren Wahlkreisen nicht ohne Schläuche los- Sachverhalte. schickt. Insofern wäre es schön, wenn auch Sie auf Ihrer Seite Druck machen würden. (Henning Otte [CDU/CSU]: Scharping hat das gemacht!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Selbstverständlich!) Ich habe gesagt: „fraktionsübergreifend“. – Unser Grundgesetz sieht für derlei Aufgaben ausdrücklich Be- Liebe Frau Ministerin, Ihre Vorgängerin hat bei der amtinnen und Beamte mit ihrem besonderen Eid auf die Übergabe von 100 Nachtsichtgeräten an die Truppe ge- Verfassung und die darin verankerte freiheitlich-demo- radezu ein Übergabe-Happening veranstaltet, um auch kratische Grundordnung vor. Wir finden, dass die Mütter mal einen vermeintlichen Erfolg öffentlich zu zelebrie- und Väter des Grundgesetzes hier klug abgewogen haben. ren. Es wäre aber in der Tat hilfreicher, weniger mediales Lassen Sie uns das nicht aus den Augen verlieren. Sicher- Trallala zu machen und dafür ganz konkrete Maßnahmen heitspolitik und Sicherheitsstrukturen gehören in unmit- durchzuführen, die die Truppe auch erreichen. telbare Staatshand und nirgendwo anders hin. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Der Finanzminister hat gestern hier an dieser Stelle Ich möchte abschließend betonen: Vor uns liegen die erzählt, dass er als Regierender Bürgermeister von Ham- Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2020. Das Budget- burg gelernt hat, dass man bei Projekten der öffentlichen (B) recht liegt einzig und allein beim Deutschen Bundestag. Hand immer viel Zeit braucht. Ich weiß nicht, ob das eine (D) Wir führen unsere Verhandlungen mit Blick auf die Sol- Entschuldigung oder eine Bankrotterklärung war. Die datinnen und Soldaten und die Beamtinnen und Beamten Fraktion der Freien Demokraten wird diesen Zustand im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums. Wir nicht entschuldigen, geschweige denn akzeptieren. als Sozialdemokraten diskutieren nicht über Quoten und nicht über Verlautbarungen von US-Präsidenten. Wir (Beifall bei der FDP) wollen keinen Rüstungswettlauf. Wir diskutieren über Die Bundeswehr braucht Planungssicherheit – aber die Ausstattung und die Aufgaben unserer Bundeswehr nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Partner in als Parlamentsarmee. der NATO und in der EU müssen wissen, woran sie bei uns sind. Frau Ministerin, das Amt der Verteidigungsmi- Vielen Dank. nisterin ist mehr als ein Gleitschirm ins Kanzleramt. (Beifall bei der SPD) Ein richtiger Schritt – das möchte ich heute auch sa- gen – ist zum Beispiel, dass die Kommandeure einer Bri- Vizepräsident Thomas Oppermann: gade die Möglichkeit bekommen, über ein sogenanntes Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Handgeld zu verfügen, um kleinere Dinge unbürokratisch der FDP die Kollegin Dr. Marie-Agnes Strack- anzuschaffen. Die Betonung und große Hoffnung – sie Zimmermann. stirbt bekanntlich zuletzt – liegt auf „unbürokratisch“. (Beifall bei der FDP) Frau Ministerin, sollten Sie, wie angekündigt, gegen Rechtsextremisten vorgehen wollen, um die Truppe vor Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Unterwanderung zu schützen, sollten Sie dafür Sorge tra- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau gen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Ministerin, es gibt mehr Mittel für die Bundeswehr; das Haus wieder Verantwortung übernehmen dürfen. Das ist schön. Solange das Verteidigungsministerium aber heißt auch, Fehler zuzulassen. Sollten Sie die Truppe nicht in der Lage ist, diese Mittel zielgerichtet einzuset- von der Last der Bürokratie befreien, damit die Soldatin- zen und dafür zu sorgen, dass das Material auch bei der nen und Soldaten ihren originären Aufgaben nachgehen Truppe ankommt, ist die Freude überschaubar. können, die sowohl dem Grundsatz „Führen mit Auftrag“ als auch dem Bild einer modernen und handlungsschnel- Ich bringe ein konkretes Beispiel: Die Soldaten des len Streitkraft entsprechen, dann haben Sie die Freien Kommandos Spezialkräfte der Marine – Kampfschwim- Demokraten an Ihrer Seite. mer – haben derzeit nicht ein einziges der vier sogenann- ten Festrumpfschlauchboote. Sie sind alle in der Tonne – (Beifall bei der FDP) 13692 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) Wir erwarten aber auch, dass die unappetitliche Nähe Russland bedroht uns, mittlerweile auch China. Da haben (C) mancher Berater zu manchen Mitarbeiterinnen und Mit- wir uns die Frage gestellt: Ist das tatsächlich so? Wird arbeitern in Ihren Häusern schlagartig und umgehend be- Deutschland, wird die EU, wird die NATO von Russland endet wird und dass der Verteidigungshaushalt den Auf- oder China bedroht? gaben entsprechend kontinuierlich weiter wächst – wir sehen ja, dass dies für das nächste Jahr nicht vorgesehen Wir haben diese Frage an die Bundesregierung weiter- ist –, damit Soldatinnen und Soldaten ohne Abstriche gereicht. Die Bundesregierung hat geantwortet – Zitat –: ausgerüstet und somit natürlich auch ausgebildet werden Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse können. Wo nichts ist, kann auch nicht ausgebildet wer- vor. – Also, mit anderen Worten: Die Bundesregierung den. Das ist natürlich einer modernen Truppe nicht wür- verfügt über keinerlei Erkenntnisse, dass Russland einen dig. Wenn etwas nicht fliegt, kann man damit auch nicht Angriff auf die NATO-Staaten samt Baltikum oder Polen fliegen lernen. Dazu gibt es viele Beispiele. Gerade wenn plant oder überhaupt die Absicht hat. man vor Ort ist, sieht man auch, wie junge Menschen, die Warum auch sollte Russland das tun? wir ja brauchen und die wir auch anwerben wollen, nicht zur Bundeswehr kommen, weil sie sagen: Ich sitze da ja (Henning Otte [CDU/CSU]: Warum sollte es im Trockenen. Ich werde also nicht das lernen, was ich die Krim annektieren?) lernen möchte. Warum auch sollte China den Westen bedrohen oder an- Ich werde auch nicht müde, zu wiederholen: Jede Sol- greifen? Hierfür kenne ich keine überzeugenden Argu- datin, jeder Soldat ist Garant für uns alle, in Frieden und mente, auch nicht von den Aufrüstungsfetischisten in die- Freiheit zu leben. Es gebietet allein der Respekt vor die- sem Hause. Warum auch sollten China oder Russland den sen Männern und Frauen, dass wir uns um sie kümmern Westen angreifen? Das wäre irrational. und den Worten Taten folgen lassen. (Beifall bei der LINKEN) Daher ist es auch schön, um mit etwas Nettem zu en- den, dass Deutschland gemeinsam mit meiner Heimat- Das wäre deshalb irrational, weil es unvermeidlich in stadt Düsseldorf sich als Austragungsort für die Invictus einem Nuklearkrieg enden würde, bei dem auch China Games 2022 beworben hat. Wir hoffen natürlich sehr, oder Russland vernichtet werden würden. Im Gegensatz nicht nur in unserer Stadt, dass diese Bewerbung erfolg- zu manchen Irren in Washington, wo die Führbarkeit von reich sein wird. Auch das, meine Damen und Herren, begrenzten Nuklearkriegen ernsthaft diskutiert wird, Kolleginnen und Kollegen, zeigt den Respekt für alle kenne ich solche Aussagen aus Moskau oder Peking die Soldatinnen und Soldaten, die versehrt sind, weil sie nicht, meine Damen und Herren. für uns im Einsatz waren. (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Vielen Dank. Selbst wenn Russland die Absicht hätte: Ihm fehlten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die finanziellen und ökonomischen Ressourcen und die der CDU/CSU) militärischen Fähigkeiten. Die NATO ist Russland im militärischen Bereich um ein Vielfaches überlegen. Die Studie des Internationalen Instituts für Strategische Stu- Vizepräsident Thomas Oppermann: dien in London – NATO-nah – kommt immer wieder zu Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die dem Ergebnis: Die NATO ist Russland massiv überlegen. Linke der Kollege Dr. . (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist das eine alte (Beifall bei der LINKEN) Rede? Mir kommt es so vor, als hätte ich das alles schon mal gehört!) Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bei den aktiven Soldaten ist das Verhältnis 4 : 1 zugunsten Präsident! Dieser Haushaltsentwurf steht für die Fortset- der NATO. zung der Aufrüstung Deutschlands. Es geht um 45 Mil- Die Militärausgaben der NATO-Staaten betrugen im Jahr liarden Euro im Einzelplan 14 plus weitere 5 Milliarden 2018 980 Milliarden Dollar, die Russlands 63 Milliarden Euro versteckt in anderen Einzelplänen, also um insge- Dollar. Das ist ein Verhältnis 15 : 1, also die NATO-Staa- samt über 50 Milliarden Euro. Das ist ein sattes Plus von ten gaben für das Militär 15-mal mehr aus als Russland. 40 Prozent seit 2014. Damit belegt Deutschland Platz neun in der Liste der Länder mit den weltweit höchsten (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist eine alte Ausgaben für das Militär. Das heißt, von 192 Staaten liegt Rede!) Deutschland auf Platz neun. Beim BIP kamen die USA und die Europäische Union Diese Entwicklung soll aber so weitergehen. Bis 2024 2018 zusammen auf 36 Billionen Dollar; Russland lag bei sollen sich die Ausgaben auf 1,5 Prozent des BIP erhö- 1,6 Billionen Dollar. Ein wirklich gefährlicher Feind! hen, danach bis auf 2 Prozent. Das hieße dann 85 Milliar- den Euro oder mehr pro Jahr für die Bundeswehr. Sehr geehrte Damen und Herren, beenden Sie endlich diese große Lebenslüge von der Bedrohung aus dem Os- Gut, Deutschland soll verteidigt werden. Das ist legi- ten. tim. Man muss sich aber fragen: Gegen wen? Was bedroht unser Territorium? Wer bedroht uns? Da heißt es dann: (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13693

Dr. Alexander S. Neu (A) Wir, Die Linke, fordern: Investieren Sie die Steuergelder fung des IS und für die Ausbildungsmission auch weiter- (C) in den wirklich sehr wichtigen Kampf gegen die Klima- hin verlängern. katastrophe! Wenn man die Begrenzung des Temperatur- anstiegs auf 1,5 bis 2 Grad wirklich schaffen möchte, Frau Ministerin, was mir beim Besuch vor Ort beson- dann kann man nicht die Militärausgaben von 1,5 auf ders aufgefallen ist, ist die Art und Weise, wie Sie auf die 2 Prozent des BIP erhöhen. Denn militärische Groß- Soldatinnen und Soldaten zugegangen sind: offen und waffensysteme – und nicht nur SUVs – sind in Produktion ehrlich, zuhörend und verstehend. Dann kann man all und Verwendung wahre CO -Schleudern. die Argumente aufnehmen und auch vernünftig in politi- 2 sches Handeln umsetzen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Mannomann!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir, Die Linke, fordern Investitionen in die zivile Inf- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erwartungen an rastruktur wie Bildung, Schulen, Pflege, Verkehr und Ge- uns bzw. an die Ministerin sind hoch. Ihre Vorgängerin im sundheit, statt Milliarden von Steuergeldern Beratern und Amt hat nachweislich viele positive Dinge bewegt und Rüstungskonzernen in den Rachen zu schmeißen. erreichen können. Sie und wir werden darauf aufbauen und immer wieder neue wichtige Akzente setzen. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben bei Ihrer Vereidigung vollkommen zu Recht Die Rüstungskonzerne können bei einem solchen Militär- auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass wir die Einhei- haushalt, der uns hier vorgestellt wird, ihr Glück doch gar ten der Bundeswehr voll ausstatten und sowohl die Plan- nicht fassen. stellen besetzen als auch die Gerätschaft in Vollausstat- tung ummünzen müssen. Sie haben sich zu Recht zum 2- Frau Kramp-Karrenbauer, wir, Die Linke, fordern in Prozent-Ziel der NATO bekannt, nicht weil irgendein der Tat: keinen weiteren Euro mehr für die Knarrenbauer. amerikanischer Präsident das einfordert, Stoppen Sie das! (Dr. [DIE LINKE]: Nein!) (Beifall bei der LINKEN) sondern weil die aktuelle sicherheitspolitische Lage dies Vizepräsident Thomas Oppermann: erfordert. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ingo (Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE Gädechens für die Fraktion der CDU/CSU. LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU) Das können Sie nicht. – Wer ein realistisches Bild der (B) sicherheitspolitischen Lage in der Welt zeichnet, der muss (D) Ingo Gädechens (CDU/CSU): automatisch zu der Erkenntnis kommen, dass wir ein Herr Präsident, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und wehrhaftes Land im Bündnis sein müssen. Kollegen! Nach insgesamt 40 Minuten Reden der Oppo- Meine Damen und Herren, es geht wahrlich nicht um sition – Zerrbild der Bundeswehr und was weiß ich nicht Aufrüstung, alles – muss man wieder mal daran erinnern: Wir beraten in erster Lesung den Verteidigungshaushalt, der nicht nur (Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Ach, die alte aufgrund seines Volumens, sondern aufgrund der Leier!) schwierigen sicherheitspolitischen Lage in der Welt mehr es geht um Ausrüstung und geeignetes Personal. Es geht und mehr an Bedeutung gewonnen hat. um das Schließen von Fähigkeits- und Materiallücken. Es Bevor ich auf Einzelheiten dieses Haushaltsentwurfs geht um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr und die eingehe, möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, und damit internationale Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik uns allen jeden nur denkbaren Erfolg für die Verteidi- Deutschland. gungspolitik unseres Landes wünschen. Sie haben sich Wir haben seit 2014 umfangreiche Trendwenden auf in kürzester Zeit mit dem riesigen Aufgabenspektrum den Weg gebracht, um die Bundeswehr dahin zu bringen, der Bundeswehr vertraut gemacht, und Sie haben er- wo sie als moderne Armee hingehört. Auf eine dieser wähnt, dass wir vor Kurzem gemeinsam unsere Einsatz- Trendwenden möchte ich besonders eingehen, nicht nur, kontingente in Jordanien, im Irak und in der autonomen weil sie ein besonders großes Investitionsvolumen im Region Kurdistan besucht haben und uns ein umfassendes Einzelplan 14 einnimmt, sondern weil sie auch häufig Bild von der Einsatzrealität machen konnten. in der Kritik steht. Das ist die Trendwende Material, die Die Motivation der Soldatinnen und Soldaten, die unter schon von einigen Kolleginnen und Kollegen angespro- fordernden klimatischen Bedingungen, in einer ange- chen wurde. Ja, wir müssen den Beschaffungsvorgang spannten Sicherheitslage hochprofessionell ihren Auftrag beschleunigen. Ja, wir müssen Verantwortlichkeiten kla- erfüllen, sieht man, wenn man in die Gesichter der dort rer zuordnen. Und ja, wir müssen insbesondere die Agen- diensttuenden Soldaten guckt. Ich denke, all das hat Sie – da Tempo, die vom Wehrbeauftragten ins Spiel gebracht Sie haben es auch erwähnt – genauso tief beeindruckt wie wurde, mit Blick auf den zeitlichen Ablauf der Beschaf- mich. fungsprozesse einbringen. In den Gesprächen wurde deutlich, dass die Kräfte vor Aber unabhängig von diesen Problemen ist doch un- Ort nicht am Sinn und Zweck ihrer Mission zweifeln. strittig, dass die Bundeswehr das beste Material benötigt, Daher ist es richtig, dass wir die Mandate zur Bekämp- um unsere Soldatinnen und Soldaten bestmöglich zu 13694 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Ingo Gädechens (A) schützen. Wir haben langfristig geplante Beschaffungs- scheidungen umzusetzen, kostet Geld, militärische Be- (C) projekte: der schwere Transporthubschrauber, das Mehr- schaffung kostet Geld, Versorgung und Bezahlung von zweckkampfschiff MKS 180 und die erwähnte deutsch- Soldatinnen und Soldaten kosten Geld. norwegische U-Boot-Kooperation. All diese Vorhaben müssen finanziell hinterlegt werden. Die aktuelle mittel- Als Parlamentarier sind wir in einer privilegierten Po- fristige Finanzplanung gibt das im Moment leider nicht sition: Wir entscheiden darüber, wo wir Schwerpunkte her; mehr noch, sie entzieht den Großprojekten den fi- setzen und wie wir Probleme lösen. nanziellen Boden. Haushaltspolitik auf Sicht mag ein Gleichzeitig ist die Beratung des Haushaltsentwurfs im- Mittel des Finanzministers sein. Das Parlament hat den mer eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Deshalb Auftrag, in den Beratungen der kommenden Wochen vorab herzlichen Dank an unsere Haushälter, allen voran (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt kritisiere nicht natürlich an Dennis Rohde. Ich bin mir ganz sicher, ihr deine Kanzlerin!) werdet alle unsere Vorschläge, die wir hier eingebracht haben, umsetzen, und wir werden sie im Haushaltsent- lieber Johannes Kahrs, wir haben den Auftrag – dieser wurf tatsächlich bald wiederfinden. Haushaltsplanung auf Sicht Klarheit zu verschaffen und eine freie Sicht auf die kommenden Jahre zu bekommen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kolleginnen und Kollegen, wir alle kennen die Schlagzeilen über unsere angeblich heruntergewirtschaf- Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich tete Truppe; wir haben auch heute wieder ganz viel dazu den Bundesfinanzminister daran erinnern, dass wir bei gehört. Wir wissen aus Standortbesuchen und Gesprä- der Beschaffung von dringend benötigtem Material vor chen auf allen Ebenen aber auch, wie engagiert die An- erheblichen Problemen stehen, wenn die Haushaltslinie gehörigen der Bundeswehr sind. Die Männer und Frauen, der mittelfristigen Finanzplanung nicht angepasst wird. die in der Truppe ihren Dienst tun, verdienen keinen (Johannes Kahrs [SPD]: Das Problem liegt eher Spott. Sie verdienen Anerkennung, sie verdienen Res- im Ministerium, und zwar im Verteidigungsmi- pekt, und sie verdienen es, dass wir uns um ihre Probleme nisterium!) kümmern. Hannes, das machen wir, wir passen die Linie an, sodass (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) das am Ende insgesamt alles passt. Niemand hier leugnet, dass es bei der Bundeswehr Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen Probleme gab, Probleme gibt und auf absehbare Zeit si- die Investitionen im Einzelplan 14 verstetigen. Ich wie- cher auch weiter geben wird. Aber schauen wir doch ein- (B) derhole das, was hier auch schon richtigerweise gesagt mal zurück, was wir in den letzten Jahren erreicht haben. (D) wurde: Es ist gut investiertes Geld in die äußere Sicher- Vor der Sommerpause haben wir das Bundeswehr-Ein- heit unseres Landes und die Glaubwürdigkeit eines ver- satzbereitschaftsstärkungsgesetz verabschiedet. Wir sor- lässlichen Bündnispartners. gen darin unter anderem für einen erweiterten Versor- gungsschutz, für bessere Karriereperspektiven der Herzlichen Dank. Soldatinnen und Soldaten, für einen attraktiven Reserve- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei dienst, und wir stärken den Berufsförderungsdienst. Das Abgeordneten der SPD und der FDP) sind alles Verbesserungen, von denen die Truppe konkret etwas hat. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion der der CDU/CSU) SPD der Kollege Thomas Hitschler. Natürlich braucht es auch künftig weitere Anstrengun- (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: gen, mit denen wir den Arbeitgeber Bundeswehr attrakti- Ein bisschen Sachverstand muss her!) ver machen. Ich bin überzeugt davon: Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern; denn Thomas Hitschler (SPD): entgegen dem, was von manchem an dieser Stelle gern Hochgeschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen behauptet wird, besteht die Bundeswehr nicht aus Ram- und Kollegen! Bei Reden bietet es sich an, mit einem bos, deren Lebensinhalt einzig und allein der Kampf ist. Zitat einzusteigen. Oscar Wilde ist dafür immer eine Sie besteht aus Menschen, aus Müttern und Vätern, denen dankbare Quelle. Es hat mich überrascht, aber er ent- wichtig ist, wie ihre Kinder versorgt sind, und was denn täuscht auch beim Thema Einzelplan 14 des Bundeshaus- ist, wenn ihnen im Einsatz mal was passiert. Das mindert halts 2020 nicht. deren Einsatz in keiner Weise. Im Gegenteil, das wertet deren Einsatzbereitschaft auf. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der Mann war bestimmt im Haushalts- (Beifall bei der SPD) ausschuss!) Außerdem haben wir aktuell das Besoldungsstruktu- Wilde hat sehr treffend gesagt, dass er als junger Mann renmodernisierungsgesetz in der parlamentarischen Be- geglaubt habe, dass Geld das Wichtigste im Leben sei und ratung. Dadurch wollen wir Verbesserungen für das Be- er es als alter Mann nun definitiv wisse. – Das mag zu- standspersonal erreichen – sehr, sehr wichtig –, etwa im nächst einmal hart klingen, trifft aber zu. Politische Ent- Zulagewesen durch Anhebung der Auslandsverwen- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13695

Thomas Hitschler (A) dungszuschläge und durch Verbesserung bei Reisebeihil- die sollten künftig eher gestärkt als geschwächt werden, (C) fen und Trennungsgeld. Frau Ministerin. Kolleginnen und Kollegen, mit dem Erreichten sind (Beifall bei der SPD) uns die Baustellen aber selbstverständlich noch nicht aus- Vielleicht noch einen kleinen Ratschlag. Bevor Sie gegangen. Der Frauenanteil in der Bundeswehr, Frau Mi- künftig auf die Big Four zurückgreifen, beziehen Sie doch nisterin, muss deutlich erhöht werden. Bei 180 000 mili- mal die Big Two in Hamburg und in München mehr ein. tärischen Dienstposten gibt es nur etwa 22 000 Frauen. Die beiden Universitäten der Bundeswehr sind ausge- (Beatrix von Storch [AfD]: Das dritte zeichnet aufgestellt und liefern sicherlich gern Expertise Geschlecht nicht vergessen!) zu allen Fachfragen. Ein wissenschaftlicher Beirat stün- de, so meine ich, jeder Ministerin und jedem Minister Das ist deutlich zu wenig. Wir brauchen, Frau Ministerin, gerade im Verteidigungsministerium sehr, sehr gut zu Ge- eine konkrete Ansprache dieser Zielgruppe. Wir brauchen sicht. passende Werbemaßnahmen. Wir brauchen passende An- gebote. Das wäre ein Anfang. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir müssen aber auch den Binnenarbeitsmarkt der Kolleginnen und Kollegen, ist mit dem Erreichten alles Bundeswehr stärken und vorhandene Potenziale nutzen, perfekt? Nein! Sind damit für immer alle Probleme ge- etwa durch individuelle Personalführung und durch mehr löst? Auch nicht! Ist es besser als vorher? Ja, ausdrück- Stellen bei den Personalbearbeitern. So können wir eine lich! Das ist es, worum es hier auch geht. Wir sehen langfristige Bindung an den Arbeitgeber Bundeswehr er- Probleme, wir finden Lösungen, und wir setzen diese um. reichen. Wir wollen außerdem, dass das militärische Füh- rungspersonal in der Bundeswehr mehr Zeit hat, um wirk- Unser irischer Poet hat einmal beklagt, dass die Men- lich militärisch führen zu können. Dazu gehört, dass wir schen vor allem den Preis, aber von nichts den Wert ken- dieses Personal von ausufernder Bürokratie entlasten. Die nen würden. Meine Damen und Herren, wir, die wir über dadurch gewonnene Zeit muss in gute Führung investiert den Bundeshaushalt beraten, sind in der privilegierten werden; Position, beides zu kennen. Lassen Sie uns entsprechend handeln! (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) Vielen Dank. denn in jeder Uniform steckt ein Mensch mit individuel- ler Lebensplanung, mit individuellen Sorgen und indivi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten duellen Nöten. Vorgesetzte müssen wieder in die Lage der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Strack- (B) (D) versetzt werden, mit dem ihnen anvertrauen Personal Zimmermann [FDP]: Dann machen Sie mal! ins Gespräch zu kommen und all diese Herausforderun- Die Soldatinnen und Soldaten warten darauf!) gen zu bewältigen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Vizepräsident Thomas Oppermann: Gädechens [CDU/CSU]) Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist für die Fraktion der CDU/CSU der Kollege Dr. Reinhard Brandl. Es ist auch gut, dass es jetzt ein Handgeld von 25 000 Euro im Jahr für Kommandeure gibt. Damit können (Beifall bei der CDU/CSU) notwendige Beschaffungen in kleinerem Umfang sehr unkompliziert vor Ort getätigt werden. Wir stärken damit Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): die Position und auch die Handlungsfreiheit der Kom- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! mandeure vor Ort. Das ist ein kleiner Anfang, aber ein „In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier wichtiges Signal. Es wird begrüßt, in der Bundeswehr sehr schwer.“ Dieser Satz stammt nicht von mir, sondern Verantwortung zu übernehmen, und das ist auch gut so. von Ihrem geschätzten Kollegen Sigmar Gabriel. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Henning (Martin Reichardt [AfD]: Ist aber kein ausge- Otte [CDU/CSU]) wiesener Vegetarier gewesen, glaube ich!) Meine Damen und Herren, nach 25 Jahren der Einspa- Er hat ihn als Außenminister einmal in einem Interview rungen haben wir die Bundeswehr auf eine stabile finanz- gesagt, und er hat damit die Welt beschrieben, wie sie ielle Basis gestellt. Darauf bauen wir nun weiter auf und wirklich ist, nämlich ein Ort, an dem staatliche und investieren – nicht, um irgendwelche Quoten zu erfüllen, nichtstaatliche Akteure mit harten Bandagen ihre Interes- sondern um Probleme zu lösen. sen durchsetzen. Ich darf ein anderes Zitat hinzufügen, und zwar eines Liebe Frau Kramp-Karrenbauer, wenn ich Ihnen einen von Donald Trump: „Die Welt ist keine Gemeinschaft, Tipp geben darf, speziell im Hinblick darauf, wo gespart sondern eine Arena.“ Er führte dann weiter aus, dass dies werden kann: Ihre Vorgängerin hat sehr viel teure externe für ihn die elementare Natur internationaler Beziehungen Beratung ins Ministerium geholt. Wir als SPD glauben, sei und er dies auch befürworte. dass es besser wäre, hoheitliche Aufgaben selbst zu erle- digen. Bauen Sie doch auf die zivilen Strukturen, die es Das mag uns jetzt gefallen oder nicht – mir gefällt es gibt. Dort sitzen fantastische Kolleginnen und Kollegen, nicht. Es ist nicht unser Verständnis von Außenpolitik, die die echt was draufhaben. Denen kann man vertrauen, und für uns geprägt ist von internationaler Gemeinschaft und 13696 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Reinhard Brandl (A) Zusammenarbeit. Wir setzen uns ein für Frieden und Si- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (C) cherheit in der Welt. Wir engagieren uns für Demokratie, Das sind Ihre Verteidigungsminister!) Menschenrechte, Freiheit. Meine Damen und Herren, das ist das Problem. Und das (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: ist natürlich eine Summe. Wir haben im Moment unge- Rüstungsexporte!) fähr 90 Tornados. Aber wir müssen auch feststellen, dass es in dieser Welt (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: andere Akteure gibt, die ihre Interessen mit anderen Mit- Sie reden hier nicht im luftleeren Raum!) teln durchsetzen, für die wir in einer Arena Gegner sind Wir brauchen wahrscheinlich 80 neue Flugzeuge. Jetzt und die keine Rücksicht nehmen auf deutsche oder euro- rechnen wir einmal 150 Millionen Euro pro Stück – das päische Schwächen. ist eigentlich unabhängig vom Hersteller -, Meine Damen und Herren, ich sage das am Beginn der Haushaltsverhandlungen für den Verteidigungshaushalt. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wenn ich nachher mehr Geld für die Bundeswehr fordere, Hallo? Das sind Ihre Verteidigungsminister!) dann fordere ich das nicht als Selbstzweck oder aus Mi- dann sind das ungefähr 12 Milliarden Euro. Das heißt, litarismus, sondern in dem Bewusstsein, dass wir in einer über zehn Jahre müsste der Verteidigungshaushalt um unsicheren Welt leben und dass wir in Europa, in etwa 1,2 Milliarden Euro angehoben werden. Das wird Deutschland und in der NATO in der Lage sein müssen, er aber nicht, weil es uns nicht gelingt, das mit dem Fi- unsere Art, in Freiheit und Sicherheit zu leben, im Ernst- nanzministerium in der mittelfristigen Finanzplanung zu fall auch zu verteidigen. verankern. Da müssen wir dringend heran, um die Zu- kunftsfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten. Wir sind Gott sei Dank nicht mehr herausgefordert an unseren eigenen Grenzen. Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei. Wir sind aber herausgefordert an den Außengren- Vizepräsident Thomas Oppermann: zen von EU und NATO im Süden und im Osten. Herr Brandl, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hä?) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Wir sind herausgefordert in weit entfernten Regionen der Natürlich, Frau Strack-Zimmermann, ich kläre gerne Welt. Die Ministerin hat vorhin als Beispiel den Kampf auf. gegen den IS in Syrien und im Irak angesprochen. Natür- lich, wenn es dem IS gelingt, sich dort neu zu organisie- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): ren, ist das eine Bedrohung für unsere Sicherheit in (B) Herr Kollege, Sie locken mich. Sie sind ja Teil der (D) Deutschland. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass Bundesregierung als Mitglied der CDU/CSU-Bundes- wir das Mandat zur Bekämpfung des IS in den nächsten tagsfraktion, – Wochen wieder beschließen. Meine Damen und Herren, wenn ich mir jetzt die Si- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): tuation dort ansehe und mir vor Augen führe, welchen Ich bin Teil des Parlaments. Beitrag wir leisten, muss ich sagen: Es sind hauptsächlich Tornados, Flugzeuge, die jeden Tag im Einsatz sind, üb- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): rigens mit einer überragenden Einsatzbereitschaft. Sie – sind Teil des Parlamentes. Ich glaube, wir sind hier können fast alle Aufträge, die sie bekommen, erfüllen. im Deutschen Bundestag; sagen Sie mir, wenn ich woan- Sie machen Fotos und Videos und beobachten, klären ders bin. auf, wie der IS seine Waffen und sein Gerät verschiebt. Diese Tornados sind Material aus den 80er-Jahren. Wir Sie sprechen gerade davon, was seit 2009 ist. Vielleicht haben die Situation, dass sie in spätestens zehn Jahren beantworten Sie mir die Frage, wer seit 2009 das Ver- nicht mehr fliegen werden. Die Masse wird wahrschein- teidigungsministerium führt; vielleicht um einzuordnen, lich schon in sechs oder sieben Jahren am Boden sein, dass Sie gerade Ihre eigenen Verteidigungsminister an- aufgrund dessen, dass die Ersatzteilversorgung dann nicht klagen. mehr gewährleistet ist. Die Ministerin hat vorhin ange- sprochen, dass die Nachfolge der Tornados noch nicht im (Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, das stimmt!) Haushalt verankert ist. Genau das ist ein Beispiel dafür, welche Probleme auch wir mit dem Haushalt im Moment Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): haben. Frau Strack-Zimmermann, seit 2009 haben wir ver- schiedene Regierungskonstellationen gehabt. Für das Jahr 2020 ist der Haushalt einigermaßen aus- kömmlich finanziert. Es fehlt ihm aber die Perspektive in (Zuruf von der SPD: Ha!) der mittelfristigen Finanzplanung, die es zum Beispiel Die erste Konstellation war übrigens mit der FDP, ermöglicht, so etwas wie die Nachfolge für die Tornados zu regeln. Ich bin seit 2009 im Deutschen Bundestag. (Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Seitdem reden wir über die Nachfolge für die Tornados; mit der haben wir 2009 regiert. sie wird jedes Jahr verschoben, immer mit der Aussage: Dieses Jahr ist kein Geld da, wir probieren es im nächsten (Johannes Kahrs [SPD]: Eine schlechte Zeit für Jahr. die Bundeswehr!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13697

Dr. Reinhard Brandl (A) Es stimmt natürlich, dass wir in dieser Zeit es nicht Lindner hat vorhin das Thema Raketenabwehr angespro- (C) geschafft haben, die Bundeswehr auf den Stand zu brin- chen. gen, wie wir ihn bräuchten. Nichtsdestotrotz können wir uns doch jetzt nicht zurücklehnen und sagen: Wir haben (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE es in der Vergangenheit nicht in dem Maße geschafft, wir GRÜNEN]: Ja!) probieren es für die Zukunft nicht mehr. – Das wäre doch Wir haben eine weltweite Zunahme der Verbreitung von falsch. modernen Langstreckenraketen, zum Teil bei Ländern, Es ist auch etwas passiert. Schauen Sie sich den Ver- die uns nicht wohlgesonnen sind. Auch darauf müssen teidigungshaushalt 2014 an; da waren wir bei 32 bis wir eine wirkungsvolle Antwort finden. 33 Milliarden Euro. Wir sind heute bei 45 Milliarden Meine Damen und Herren, allen diesen drei Bereichen Euro. Da ist richtig etwas passiert in dieser Zeit. ist gemeinsam, dass die Bedrohung schneller wächst als Aber ich begründe jetzt, warum das Geld immer noch die Verteidigungskapazitäten der Bundeswehr. Ich habe nicht reicht. Auch das wird uns ja manchmal vorgewor- vorhin von einer Arena gesprochen. In einer Arena muss fen: Ihr habt erhöht; aber warum braucht ihr denn immer man damit rechnen, dass Schwächen, die man hat, auch noch mehr Geld? – Ja, wir brauchen mehr Geld, weil wir einmal ausgenutzt werden. Wir können nicht damit rech- den Investitionsstau, der sich bei der Bundeswehr in den nen, dass sich diese Arena in den nächsten Jahren zu einer letzten Jahrzehnten aufgebaut hat, endlich auflösen wol- Komfortzone entwickeln wird. len. Viel Material ist in den 70er-, 80er-Jahren ange- Ich hätte für die Haushaltsverhandlungen, die jetzt an- schafft worden, zu Zeiten des Kalten Krieges. Das läuft stehen, eigentlich nur eine Bitte: Reden wir über Fähig- jetzt alles aus der Nutzung heraus. Das müssen wir jetzt keiten der Bundeswehr! Reden wir über das, was die nach und nach ersetzen, und dafür brauchen wir mehr Bundeswehr an Ausrüstung und an Material braucht, Geld. um ihren Auftrag zu erfüllen! Das muss die Grundlage (Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann sein, und nicht die Frage, wie viel Prozent BIP hin oder [FDP] will wieder Platz nehmen) her; das ist nebensächlich. Ich beantworte noch die Frage; sonst läuft meine Rede- (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ach ja?) zeit weiter. Unsere Aufgabe ist es, die Bundeswehr für ihren Auf- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – trag, den sie von diesem Parlament bekommt, entspre- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: chend auszurüsten, und dafür arbeiten wir. Ich bitte um Es war unklar, ob es beantwortet ist!) eine gute Zusammenarbeit. (B) (D) Ich habe versucht, an dem Beispiel Tornado klarzuma- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. chen, wie teuer manche Rüstungsinvestitionen sind und (Beifall bei der CDU/CSU) wie notwendig manche Rüstungsinvestitionen sind. Das war mein Wunsch, und ich hoffe, Sie haben es jetzt ver- standen. Jetzt dürfen Sie sich setzen; herzlichen Dank für Vizepräsident Thomas Oppermann: die Frage. Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zum Einzel- plan Verteidigung liegen nicht vor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wir kommen deshalb zum Geschäftsbereich des Bun- Jetzt darf ich mich setzen!) desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. Meine Damen und Herren, bei dem Thema Tornado geht es um eine bestehende Fähigkeit, die wir ausbauen Bevor ich das Wort erteile, bitte ich diejenigen, die an und modernisieren möchten. Es gibt aber auch neue He- der Debatte nicht teilnehmen wollen, den Saal zu verlas- rausforderungen für die Sicherheit unserer Bürger, denen sen, bzw. diejenigen, die neu dazugekommen sind, sich wir begegnen müssen. Ich will ganz kurz noch drei Stich- einen Platz zu suchen. worte nennen. Ich rufe als ersten Redner den Bundesminister für wirt- Erstes Stichwort: Cyber. Wir erleben jeden Tag, dass es schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Angriffe auf kritische Infrastrukturen mittels Cyberme- Müller, auf. thoden gibt. Wir haben das Glück, dass die Angriffe bisher noch auf einem Niveau sind, dass die Betreiber (Beifall bei der CDU/CSU) der kritischen Infrastrukturen sie weitgehend selber ab- wehren können. Aber wir müssen uns auch in diesem Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zu- Bereich massiv verstärken. sammenarbeit und Entwicklung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ge- Zweites Beispiel: Weltraum. Jeder von uns nutzt jeden hen die Verteidigungspolitiker. Es wäre durchaus sinn- Tag bewusst oder unbewusst Satellitenverbindungen, sei voll, wenn auch sie einmal hören würden, was Entwick- es über das Handy, sei es über das Navi, sei es über das lung für einen Beitrag leistet. Fernsehen. Unsere Wirtschaft ist abhängig von einer funktionierenden Satelliteninfrastruktur. Die Satelliten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der schwirren aber weitgehend ungeschützt im All herum. SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- Darauf haben wir noch keine Antwort. Der Kollege NIS 90/DIE GRÜNEN) 13698 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Entwicklung, Sicherheit, Außenpolitik: Deutschland möchte Ihnen nach sechs Jahren sechs Schwerpunkte (C) trägt internationale Verantwortung; das haben wir die nennen. letzten zwei Runden gehört. Die Haushaltsdebatte darf aber nicht nur eine nationale Nabelschau sein. In der Kli- Erstens. Im Klima- und Umweltschutz gehen wir, geht madebatte wird dies am klarsten. Der Klimaschutz ist die Deutschland weltweit voran. Deutschland ist der Techno- Überlebensfrage der Menschheit. Wir müssen in logie- und Ausbildungspartner für über 50 Länder mit Deutschland ehrgeizige Klimaschutzgesetze umsetzen dem Ziel einer globalen Energiewende. Was hier erreicht und das Pariser Abkommen einhalten. Aber die Rettung wird, wäre ein eigenes Thema. des Klimas schaffen wir nur durch effektive Zusammen- Zweitens. Wir investieren in eine Welt ohne Hunger, arbeit mit den Entwicklungs- und Schwellenländern. und eine Welt ohne Hunger ist möglich. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei (Beifall der Abg. [DIE LINKE]) Abgeordneten der SPD) – Ja. – Ich habe es schon mehrfach gesagt: Es ist Mord, Da sage ich Ihnen: Afrika kann und muss der Kontinent wenn wir die Ereignisse um uns herum geschehen lassen. der grünen, der erneuerbaren Energien werden. 600 Mil- Es ist auch bedenklich – das sage ich nach der Verteidi- lionen Afrikaner haben noch keinen Zugang zum Strom: gungsdebatte –, dass weltweit die Mittel für Entwick- Wenn jeder Haushalt – Indien nehme ich noch dazu –, lungszusammenarbeit in diesem Jahr sinken, während- jeder dieser Menschen nur Zugang zu einer Steckdose dessen die Rüstungsausgaben massiv steigen. So haben bekommt – das wird passieren –, so bedeutet das, wenn wir heute die Situation, dass weltweit für Rüstung zehn- wir die Entwicklung auf der Basis von Kohle nicht ver- mal mehr, nämlich 1 700 Milliarden US-Dollar, ausge- ändern, 1 000 Kohlekraftwerke; wir haben das einmal geben wird als für Entwicklungszusammenarbeit, Frie- durchgerechnet. 950 davon sind bereits in Planung und densarbeit und Prävention. Auch hier sehe ich: Die im Bau. Das ist die Situation. Rüstungskonzerne haben die bessere Lobby; das ist voll- Der Amazonas brennt. Die Lunge des Planeten erzeugt kommen klar. Wir müssen Kriege verhindern, wir müssen auch für uns in Berlin den Sauerstoff zum Überleben. Ich Prävention betreiben und Frieden schaffen. war vor sechs Wochen in Manaus. Viele reden ja über den (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN Regenwald, aber waren noch nie dort. Deshalb sage ich sowie bei Abgeordneten der SPD) hier noch einmal: Wir werden unser Engagement nicht beenden, sondern verändern und verstärken. Ich treffe Zweitens. Ich möchte zwei Anmerkungen zum natio- demnächst wieder den brasilianischen Umweltminister, nalen Haushalt machen, die auch an die eigenen Reihen um diese Maßnahmen zu koordinieren. – Beifall bleibt gerichtet sind. Nicht jeder hört es gerne, aber die Koali- (B) aus … tionsvereinbarung ist einfach unsere Grundlage. Die Mit- (D) tel für das BMVg und das BMZ „sollen im Verhältnis 1:1“ (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. steigen; so steht es drin. Diese Zusage wird nicht einge- Dagmar Ziegler [SPD]) halten. – Der Amazonas ist ja auch weit weg, und die Bilder (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht flimmern im Augenblick nicht mehr über den Fernseh- umgesetzt! Genau!) schirm, also ist das Thema wieder weit weg. Die Mittel für das BMZ steigen nach Vorlage des Haus- Ich freue mich über die Zusage der Kanzlerin, die inter- halts in diesem Jahr um 128 Millionen Euro, die Mittel für nationalen Klimamittel von 2015 bis 2020 auf 4 Milliar- das BMVg, wie wir eben gehört haben, um 1,7 Milliarden den Euro zu verdoppeln. Wir sind in der Haushaltsdebat- Euro. Ich verurteile weder das eine noch das andere; aber te, und ich sage Ihnen: 14 Tage vor dem New-York-Gipfel wir haben ein Verhältnis von eins zu eins vereinbart, und fehlen 500 Millionen Euro, um dieses Versprechen ein- ich erwarte zumindest die Einhaltung der Klimazusage. zuhalten. Der Finanzminister hat mir zugesagt, die Finan- Entwicklung und Sicherheit – beides ist gleichwertig. zierung einzulösen. Das muss jetzt geschehen – vor dem Klimagipfel in New York. Das Zeichen dazu muss diese (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Haushaltsdebatte geben. bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich akzeptiere, Herr Finanzminister, auch nicht die An- rechnung von Krisentiteln des BMZ auf die NATO-Quo- Wie würden wir, meine Damen und Herren, denn in der te. in Deutschland und international geführten Debatte da- stehen? Mir ist es schon ein Stück weit peinlich, für Dritter Punkt. Wir stabilisieren die Krisenregionen der 500 Millionen Euro immer mit dem Klingelbeutel bei Welt; das habe ich die letzten Jahre zum Schwerpunkt den Debatten herumzugehen, um diese Zusage einzulö- gemacht, Bekämpfung von Fluchtursachen. Auf einmal sen. Wir erzielen einen vielfach größeren Effekt, wenn sieht man keine Bilder mehr, und man meint, die Themen wir in den Schutz des Amazonas und anderer Regenwäl- seien weg. Nein, meine Damen und Herren, 12 Millionen der in den Entwicklungs- und Schwellenländern investie- Menschen leben in den Flüchtlingscamps um uns herum, ren. allein 6 Millionen im Krisenbogen um Syrien. Wir geben Milliarden für Flüchtlingsintegrationsleistungen in (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland aus. Das ist wichtig, aber es wäre genauso Entwicklungspolitik ist heute als Querschnittsthema wichtig und sinnvoll, noch mehr vor Ort auszugeben, im Zentrum der Politik, und wir haben viel erreicht. Ich damit die Menschen eine Chance auf Überleben haben. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13699

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) (Beifall bei der CDU/CSU, LINKEN und dem den, globaler Standard, und soziale, ökologische Grund- (C) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lagen schaffen. Der vierte Punkt. Wir, das BMZ, haben große Erfolge (Beifall bei der CDU/CSU) im Gesundheitsbereich erzielt. Wir bekämpfen Aids, Tu- berkulose und Malaria. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, weil Herr Präsident, ich bin gleich am Schluss. – Wir brau- ja zu Recht gefragt wird, was dieser Einsatz bringt. 1990 – chen eine neue globale Verantwortungsethik: weltweite ich war noch in der Grundschule mit zwei Mädchen, die Standards, faire Produktion. Wir haben Maßnahmen um- Polio hatten – hatten wir weltweit 350 000 Poliofälle. Wir gesetzt; ich habe sechs Punkte genannt. Wir haben wei- haben durch Impfung über GAVI und GFATM im letzten tere Ziele. Der Prozess BMZ 2030/EZ 2030 reformiert die Jahr weltweit die Zahl der Fälle auf 38, vornehmlich in deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Höhere Wirk- Pakistan, reduziert. Von 350 000 auf 38! Ich halte es des- samkeit ist das Ziel, aber auch die Überarbeitung der halb für richtig – die Kanzlerin hat es zugesagt –, die Länderliste und die Digitalisierung. Ausstattung des GFATM von 800 Millionen auf 1 Mil- Ich habe ein starkes Haus, eine großartige Aufgabe, ein liarde Euro zu erhöhen. Das wird alles aus BMZ-Mitteln starkes Team, auch mit meinen Staatssekretären, denen finanziert. Wir retten damit Millionen von Menschenle- ich sehr herzlich danke. ben, insbesondere das Leben von Kindern. Vielen Dank für Ihre Unterstützung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und der Abg. Kathrin Vogler [DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) LINKE]) Vizepräsident Thomas Oppermann: Fünftens. Der Marshallplan mit Afrika wird umgesetzt; Reformpartnerschaften sind erfolgreich auf dem Weg; der Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner in der Entwicklungsinvestitionsfonds greift; die Sonderinitiati- Debatte ist der Kollege Volker Münz von der AfD. ve „Ausbildung und Beschäftigung“ ist erfolgreich; (Beifall bei der AfD) „Grüne Bürgerenergie für Afrika“ sorgt für die Versor- gung afrikanischer Länder mit Energie. Die Allianz für Volker Münz (AfD): Entwicklung und Klima wird jetzt nach sechs Monaten Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Müller! von 350 deutschen Unternehmen umgesetzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Budget des Ent- Partnerschaft mit Afrika ist wichtiger als je zuvor. Des- wicklungsministeriums für das kommende Jahr soll um halb freue ich mich, dass die finnische Kollegin, Frau 1,2 Prozent auf nun 10,4 Milliarden Euro steigen. Das ist eine Steigerung um 60 Prozent innerhalb von fünf Jahren. (B) Urpilainen, im sogenannten Mission Letter von der Kom- (D) missionspräsidentin jetzt damit betraut wurde, auf die (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Das ist toll!) großen Herausforderungen Afrikas mit einem neuen stra- tegischen Ansatz zu antworten – ich habe mir das genau Deutschland ist in absoluten Zahlen weltweit der zweit- angeschaut – und ein ehrgeiziges neues EU-Afrika-Ab- größte Geldgeber für Entwicklungshilfe nach den USA. kommen auszuarbeiten. Damit ist Frau Urpilainen die (Sonja Amalie Steffen [SPD]: Ja, wunderbar! neue Afrika-Kommissarin, auch wenn sie sich nicht so Da kann man ja mal klatschen!) nennen darf. Wir werden gemeinsam bis zur deutschen Ratspräsidentschaft in einem Jahr eine ehrgeizige EU- Doch Minister Müller ist mit dem Volumen noch nicht Afrika-Strategie erarbeiten; zufrieden, wie er ja vorhin gesagt hat. Er möchte 500 Mil- lionen Euro mehr. Lieber Herr Minister, dem kann meine (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Schon wieder Fraktion in den jetzt beginnenden Haushaltsberatungen eine neue?) nicht zustimmen; denn die Annahme „Viel hilft viel“ ist denn Europas Zukunft entscheidet sich ganz maßgeblich nicht richtig, meine Damen und Herren. in Afrika. (Beifall bei der AfD – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sechstens. Wir kämpfen für Humanität und Gerechtig- Das sieht man auch bei Ihnen im Parlament!) keit in einer globalen Welt, meine Damen und Herren. Die deutsche Entwicklungspolitik verzettelt sich näm- Dazu gehört es, die Ausbeutung von Mensch und Natur lich nach wie vor. Die Mittel werden an Hunderte von in globalen Lieferketten endlich zu beenden. Trägern für Tausende Projekte in rund hundert Ländern ausgeschüttet. Etliche dieser vielen Maßnahmen sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – nicht zielführend. Die Wirksamkeit und Effizienz der Zuruf von der AfD: Hört! Hört!) Maßnahmen muss besser überprüft werden, meine Da- Der Grüne Knopf ist da – der Grüne Knopf als staatliches men und Herren. Meine Fraktion fordert deswegen eine Metasiegel für ökologisch, sozial fair produzierte Texti- Stärkung des Deutschen Evaluierungsinstituts. lien. Das Zeichen des Grünen Knopfes richtet sich, meine Ein Schritt in die völlig falsche Richtung hingegen ist Damen und Herren, an den NAP und alle anderen Liefer- die im Haushaltsausschuss gegen die Stimmen der AfD ketten. Allen, die zu mir gekommen sind und gesagt ha- beschlossene deutliche Reduzierung des Berichtswe- ben: „Das geht nicht; wir können nicht von Bangladesch sens – entgegen dem Votum des Rechnungshofes. Das bis nach Berlin zertifizieren“, sage ich: Es geht. – Und es ist skandalös, meine Damen und Herren. gehen tolle Firmen voraus. Es geht auch in den anderen Lieferketten. Es muss in allen Lieferketten Standard wer- (Beifall bei der AfD) 13700 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Volker Münz (A) Was wir vor allem brauchen, ist eine Konzentration auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) gezielte Projekte in Schlüsselländern, keine globale Gieß- der CDU/CSU) kannenpolitik. Schwerpunkt sollten afrikanische Länder sein, und zwar die Bekämpfung der Fluchtursachen. Hier Sonja Amalie Steffen (SPD): könnte mit den richtigen Projekten viel erreicht werden, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und um den Menschen vor Ort zu helfen, anstatt sie mit dem Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Zunächst einmal Anreiz hoher Sozialleistungen nach Deutschland zu lo- die guten Nachrichten: Deutschland übernimmt auch cken. 2020 große Verantwortung in der Welt. Im kommenden Jahr wird Deutschland die Ausgaben für die Entwick- Unverständlich ist, dass sich Deutschland weit außer- lungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe weiter halb des eigenen Einflussbereiches in Südamerika oder steigern. Herr Minister Müller, Sie wissen und viele an- Asien engagiert und selbst Schwellenländer wie Brasilien dere hier im Haus auch, dass es letztendlich doch sehr oder Indien weiterhin Entwicklungshilfe in signifikanter dem Einsatz der SPD-Bundestagsfraktion zu verdanken Höhe erhalten. Die Bundesregierung sagte allein Indien ist, dass wir im letzten Jahr noch einmal 500 Millionen im Jahr 2018 765 Millionen Euro zu, einem Land, das Euro mehr zur Verfügung hatten und dass auch der Haus- Atommacht ist und ein eigenes Mondlandeprogramm be- halt für 2020 steigen wird. treibt. Das Land kann sich selber helfen. Die ODA-Quote liegt im Augenblick – wir wollen da- (Beifall bei der AfD) für sorgen, dass sie nicht sinkt – bei 0,51 Prozent. Das Haushaltsmittel werden auch durch Parallelstrukturen sind nicht 0,7 Prozent; aber ich denke, wir müssen sowie- und Ineffizienz vergeudet. Die Abgrenzung zwischen so auf längere Sicht einmal darüber nachdenken, inwie- dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungsministe- weit Quoten überhaupt noch irgendeinen haushalteri- rium bei der humanitären Hilfe ist nicht hinreichend schen Sinn machen. deutlich. Auch das Wirtschaftsministerium verfolgt neu- (Beifall des Abg. Carsten Körber [CDU/CSU]) erdings eine eigene Afrika-Strategie. Diese Doppelstruk- turen, die auch der Bundesrechnungshof deutlich kriti- Ich sage das jetzt einmal so; denn ich finde es auf die siert, müssen beseitigt werden, meine Damen und Herren. Dauer schwierig, diese Eins-zu-eins-Verknüpfung von Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung – das ha- (Beifall bei der AfD) ben Sie gesagt – durchzuziehen. Das ist einmal in den Koalitionsvereinbarungen aufgenommen worden, das Statt einfacher wird es in Zukunft aber schwerer, den wissen wir alle; aber ich finde es äußerst schwierig, diese Erfolg der Entwicklungshilfeausgaben zu bewerten; denn beiden Häuser miteinander zu verknüpfen, weil es wirk- nun will auch das BMZ verstärkt in die weltweite Be- (B) lich völlig unterschiedliche Bereiche sind. (D) kämpfung des Klimawandels einsteigen. Herr Minister, Sie sagten vor wenigen Wochen in der Presse, dass na- Zurück zum Haushalt der Entwicklungszusammenar- tionale Maßnahmen zur Klimarettung nur ein Tropfen auf beit. Ich möchte daran erinnern: 2017 sind wir noch da- den heißen Stein seien, weil unser Land nur 2 Prozent des von ausgegangen, dass 2020 lediglich 8,7 Milliarden Eu- weltweiten CO2-Ausstoßes verursache. Richtig, Herr Mi- ro für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung nister! Aber jetzt soll unser Land das Weltklima durch stehen. Inzwischen sind es – wir haben die Zahl schon Engagement in den Entwicklungs- und Schwellenländern gehört – über 10 Milliarden Euro, nämlich genau retten. 10,373 Milliarden Euro. Damit sieht der Entwurf des Haushalts des BMZ zum fünften Mal in Folge den höch- ( [DIE LINKE]: Einen Beitrag sten Etat in der Geschichte des Bundesministeriums vor. leisten!) Das kann sich sehen lassen, finde ich. Es soll massiv – das sagten Sie – in die globale Energie- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wende investiert werden. Damit übernehmen wir uns, meine Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist es so, dass humanitäre Krisen, Kriege und gesundheitliche Katastro- (Beifall bei der AfD – Dagmar Ziegler [SPD]: phen gerade in den ärmsten Ländern uns immer wieder Nein!) aufs Neue vor besondere Herausforderungen stellen. Ge- rade erleben wir eine Hungerkatastrophe im Jemen, die Für meine Fraktion gilt: Qualität vor Quantität, und das wirklich unfassbar ist. heißt Nachhaltigkeit, Wirksamkeit und Effizienz, meine Damen und Herren. Wir erleben einen Ebolaausbruch in Nigeria und im Kongo. Wir haben die Verbreitung von Polio zwar (Beifall bei der AfD – Dagmar Ziegler [SPD]: weitestgehend eingedämmt – das haben Sie, Herr Minis- Oh, schon Schluss? – Gegenruf der Abg. ter, schon gesagt; das ist hervorragend –, aber die Krank- Dr. Alice Weidel [AfD]: Ach Gott, sind Sie heit ist noch nicht ganz ausgerottet. Ich finde es sehr albern!) wichtig, dass Deutschland – hören Sie gut zu, Herr Minis- ter! – die zweitgrößte Gebernation der UN bleibt. Vizepräsident Thomas Oppermann: Vielen Dank. – Die nächste Rednerin in der Debatte ist (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) für die Fraktion der SPD die Kollegin Sonja Amalie Ich bin stolz, dass Deutschland hier eine besondere Ver- Steffen. antwortung übernimmt. Wir tun dies nicht nur, weil wir es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13701

Sonja Amalie Steffen (A) können – wie unser Finanzminister sagt –, sondern weil es (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (C) sich auch so gehört. FDP) Ganz aktuell freuen wir uns besonders – Sie haben es Ich möchte auch die ONE-Jugendvertreter grüßen, so- schon erwähnt –, dass wir für die nächsten drei Jahre fern sie schon hier sind. Ich weiß, dass sie heute die 1 Milliarde Euro für die Bekämpfung von Aids, Malaria Parlamentarier besuchen. Das ist sehr schön. Wir danken und Tuberkulose zusagen können. Wir alle wissen: für ihre Arbeit. Krankheiten machen an den Grenzen nicht halt. Deshalb Wir müssen aber auch daran denken, dass es gerade ist es unsere Pflicht und unsere besondere Verantwortung, hier in Deutschland ganz kleine Vereine gibt. Ich selber bei Krisen und bei der Bekämpfung von Epidemien wie bin Mitglied eines solchen Vereins, der sich rein ehren- Ebola, Aids und Polio mitzuhelfen. amtlich mit Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt, Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch der Klimawan- Projekte bewirbt, vor Ort ist und sich kümmert. An dieser del ist ein globales Thema. Nationaler und internationaler Stelle geht ein herzliches Dankeschön auch an diese Ver- Klimaschutz ist gefragt. Deshalb erhöhen wir die Betei- eine und ihre Mitglieder. ligungen beim multilateralen Klimaschutz auf 434 Millio- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der nen Euro. Herr Minister, wenn Sie erlauben: Anders als FDP) Sie es vorhin dargestellt haben, ist es ja nicht so, dass die Kanzlerin beim Gipfel in New York komplett im Regen Ich freue mich auf die bevorstehenden Beratungen und stehen wird; sie geht immerhin mit einer Zusage Deutsch- denke, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen wer- lands von 434 Millionen Euro für den Klimaschutz in den den. Ring. Das ist eben nicht nichts. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ich will aber auch sagen: Wir von der SPD-Fraktion [AfD]: Oh, schon fertig!) werden uns nicht sperren, wenn es darum geht, dass die Entwicklungszusammenarbeit mit mehr Geld ausgestat- Vizepräsident Thomas Oppermann: tet wird; aber man muss auch immer schauen, ob alle Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der Maßnahmen, die wir ergreifen, die wir im Haushalt ver- Kollege Michael Georg Link für die Fraktion der FDP. ankern, tatsächlich so sinnvoll sind, wie es wünschens- wert wäre. (Beifall bei der FDP)

Der Minister hat vorhin schon darauf hingewiesen: Es Michael Georg Link (FDP): gibt den Amazonienfonds. Er ist von Deutschland nicht (B) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (D) so besonders reich bestückt. Aber wenn man die Zahl Kollegen! Kollegin Steffen, vielen Dank! Ich fand es ge- hört, denkt man: Immerhin. Gerade die Gäste auf der rade sehr schön, dass Sie den Haupt- und Ehrenamtlichen Tribüne werden denken: Das ist ganz schön viel. – Es im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gedankt sind immerhin 55 Millionen Euro, mit denen sich haben. Das ist ein sehr schönes Zeichen, das wir setzen Deutschland an diesem Fonds beteiligt, während der bra- sollten; denn wir brauchen dieses Engagement der Haupt- silianische Regenwald quasi nach dem Willen der brasi- amtlichen, aber auch besonders der Ehrenamtlichen in lianischen Regierung momentan zerstört wird. Da muss diesem Bereich. Diesen wichtigen ehrenamtlichen Be- man schon genau hinschauen. Wir sind wie Sie, Herr reich müssen wir noch deutlich mehr unterstützen. Minister, nicht dafür, diese Gelder zu stoppen. Ich bin aber froh, dass Sie das erwähnt haben und sagen: Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wollen uns darum kümmern, dass das Geld wirklich sinn- der SPD und des Abg. voll eingesetzt wird. [CDU/CSU]) Wir von der SPD-Fraktion machen auch keinen Hehl Herr Minister, Sie haben gerade Ihre Initiative zum daraus, dass wir nach wie vor in Bezug auf die Sonder- Grünen Knopf vorgestellt. Ich finde, sie ist ein gutes Bei- initiativen skeptisch sind. Das wissen Sie auch. Wir haben spiel für Ihre Arbeit als Entwicklungsminister. Bei vielen diese schon eine ganze Weile im Haushaltsplan. Zumin- Themen stimmt auf den ersten Blick der Grundgedanke. dest die Haushälterinnen und Haushälter sind da immer Sie surfen immer auf einer Welle öffentlich beliebter The- ein bisschen skeptisch. Es geht nicht darum, dass wir kein men, aber bei der eigentlichen Umsetzung hakt es. Vertrauen haben. Auch wir wissen, dass die Schwerpunk- (Beifall bei der FDP) te, die Sie setzen, wirklich wichtig sind. Es fehlt nur an der einen oder anderen Stelle an der Transparenz. Ich Welches europäische Partnerland, frage ich Sie, macht weiß, dass viele NGOs mitunter sagen, dass es sehr denn mit beim Grünen Knopf? Welches ist mit an Bord? schwierig ist, sich an diesen Sonderinitiativen zu beteili- Kein einziges. Ähnlich ist es auch bei den völlig intran- gen. sparenten, von Ihnen erfundenen sogenannten Sonderini- tiativen. Da gibt es gute Slogans, zum Beispiel „EINE- An dieser Stelle will ich den vielen Entwicklungshel- WELT ohne Hunger“. Ja, es stimmt – Kollegin Steffen hat ferinnen und Entwicklungshelfern, die weltweit für uns darauf hingewiesen –, es ist nicht so, dass wir allem miss- und für andere Länder unterwegs sind und oftmals ihr trauen. Aber 10 Prozent der Gelder – 10 Prozent; man Leben aufs Spiel setzen, einmal ein herzliches Danke- überlege sich mal für einen anderen Einzelplan, was es schön sagen. Das ist, denke ich, im Sinne aller hier Anwe- bedeutet, dass ein Minister 10 Prozent mehr oder weniger senden. freihändig vergeben kann – im BMZ gehen in diesen Topf 13702 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Michael Georg Link (A) der vier Sonderinitiativen, über die Sie an den normalen Afrika-Politik, aber keinen personalisierten Afrika-Kom- (C) Regeln der Entwicklungszusammenarbeit vorbei verfü- missar. Sie haben Frau Urpilainen erwähnt. Warten wir gen können. Das geht einfach nicht. Das passt einfach einmal ab, was alles im Dossier ist. Aber wir bräuchten nicht. vor allem einen deutschen Minister, der sich mit seinen Kollegen in Europa mehr abstimmt. Der Grüne Knopf (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anja wäre eine solche Chance gewesen. Sie haben sich ent- Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schieden zu wenig mit Ihren Kollegen in den Entwick- Der Bundesrechnungshof hat wiederholt auf dieses äu- lungsressorts der anderen EU-Staaten abgestimmt. ßerst merkwürdige Verfahren hingewiesen. Die Sonder- initiativen begründen Sie damit, dass Sie manchmal (Beifall bei der FDP) schnell reagieren müssen. Ja, schnell reagieren ist wich- Dabei hapert es schon an den regierungsinternen Ge- tig – also so eine Art BMZ-Feuerwehr –, aber, Herr Mi- sprächskanälen. Nicht weniger als 15 Ressorts engagie- nister, Sie sind nicht für die akute Erstreaktion und hu- ren sich in der Entwicklungszusammenarbeit. Aber könn- manitäre Hilfe zuständig. Das BMZ ist für andere Dinge ten Sie mir auf Knopfdruck eine Liste aller Projekte zuständig. Schaut man sich die Projektliste bei den Son- vorlegen, die die Ressorts zum Beispiel in Ghana ma- derinitiativen an, dann stellt man fest, dass das oft gar chen? Nein, denn das können Sie noch nicht einmal inner- nichts mit schneller Reaktion zu tun hat. Nachhaltiges halb des BMZ auf Knopfdruck. Facility-Management an öffentlichen Schulen im Liba- non ist ein schönes Beispiel. Das ist beim besten Willen (Beifall bei der FDP) keine akute Herausforderung. Wozu brauchen Sie dann All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, führt zu einer Sonderinitiativen am normalen Haushaltsverfahren vor- Ineffizienz, bei der nicht nur Steuergelder verschwendet bei? werden. Das bedeutet vor allem, dass wir vor Ort nicht so (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten helfen können, wie wir es eigentlich könnten und sollten; des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) denn Hilfe, Unterstützung, Zusammenarbeit, das ist doch unser Ziel. Nachhaltigkeit vor Menge, das ist uns wichtig, ganz besonders, weil das BMZ im nächsten Jahr einen Rekord- (Beifall bei der FDP) etat von 10,37 Milliarden Euro bekommt. Dass der Etat Wir werden deshalb in den Haushaltsverhandlungen steigt, ist im Prinzip richtig; denn der internationale Be- konkrete Vorschläge vorlegen, wie wir deutsche Entwick- darf wird größer: 70 Millionen Menschen, die auf der lungszusammenarbeit wirksamer machen können: Stär- Flucht sind; Waldbrände, viele andere Probleme, die er- kung der Multilateralität – ob im Bereich Waldschutz, (B) wähnt worden sind. Wir könnten die Gesundheitsproble- ob bei der Bildung, ob bei der Familienplanung. Wir ste- (D) me hinzufügen. Dass der Etat steigt, ist also im Prinzip hen als Opposition sehr gerne bereit, konstruktiv in den richtig. Aber was ist Ihre Strategie für den von der Bun- Haushaltsverhandlungen daran zu arbeiten. Für uns ist desregierung zu Recht immer wieder beschworenen Mul- aber eines als Grundgedanke klar: Dieser nominelle Re- tilateralismus? Wie stimmen Sie die Hilfe mit anderen kordhaushalt muss besser werden. Menge genügt nicht. ab? Da machen Sie jetzt zwar punktuell ein bisschen Wir brauchen weniger Slogans und mehr Qualität. mehr – wir haben es gerade gehört – im Bereich Multi- lateralismus, aber es fehlt der koordinierte Fahrplan, zum (Beifall bei der FDP) Beispiel mit den Partnern in der EU in der Entwicklungs- politik. Oder was ist Ihre Vision, die deutsche Vision, der Vizepräsident Thomas Oppermann: Weltbank von morgen? Vielleicht dürfte ich Sie gar nicht Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege fragen, Herr Minister; denn Sie schicken in aller Regel Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. Ihren Staatssekretär nach Washington und gehen gar nicht selber hin. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Michael Leutert (DIE LINKE): Sie schaffen stattdessen immer neue Stellen im Lei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein- tungsbereich des BMZ und – jetzt kommt es – auch im gangs ganz kurz noch etwas zu dem, was hier von der Bereich der bilateralen Zusammenarbeit. Aber auch in AfD-Fraktion bezüglich des Klimawandels immer der bilateralen Zusammenarbeit hakt es. Denn was ge- kommt – Leugnung und dass wir hier nichts machen schieht dort? Auf jeden Euro, den die KfW für ein Darle- müssten, weil wir nur so einen geringen Beitrag leisten hen ausgibt, kommen mittlerweile 6 Euro, die sie für Zu- würden, und dass das gar keinen Effekt hätte –: schüsse ausgibt. Das ist süßes Gift. Das verstärkt die Abhängigkeit von Entwicklungsgeldern. Die Europä- (Markus Frohnmaier [AfD]: Ja! Das sollte man ische Investitionsbank zum Beispiel als EU-Institution unter Strafe stellen!) geht in ihren Projekten gerade den umgekehrten Weg – Das kommt mir, ehrlich gesagt, immer vor wie ein paar weg von Zuschüssen und hin zu mehr Darlehen. Das wäre Jahrhunderte früher, als darüber diskutiert wurde, ob die der richtige Weg. Erde eine Scheibe oder eine Kugel ist. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordne- Apropos Europa, Herr Minister: Wir wünschen uns ten der CDU/CSU, der SPD und des BÜND- auch da mehr von Ihnen. Wir brauchen eine neue EU- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13703

Michael Leutert (A) Ich kriege es nicht in meinen Kopf rein, wie man so etwas che auskömmlich zu finanzieren und dafür an anderer (C) so leugnen kann. Und dann kommen Sie mit dem Argu- Stelle etwas wegzunehmen, das ist der falsche Weg. ment, die anderen seien alle dumm, also blieben wir auch dumm, es bringe ja eh nichts. Da müssen Sie sich wirklich (Beifall bei der LINKEN) mal an den Kopf greifen – ernsthaft. Es muss genau umgekehrt laufen. Wir müssen auskömm- lich finanzieren, die anderen Bereiche so belassen, und (Beifall bei der LINKEN – Uwe Kekeritz das heißt letztendlich, dass der Etat angehoben werden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Erde ist muss. halt eine Scheibe!) Trotzdem sage auch ich: Auch wenn wir mehr Geld Herr Minister, im Koalitionsvertrag steht, dass zur hätten, auch wenn wir die 23,5 Milliarden Euro hätten, Hälfte der Legislaturperiode eine Bestandsaufnahme also die 0,7 Prozent, würde es nicht reichen, um alle stattfinden soll, und das können wir anhand Ihres Haus- Probleme der Welt zu lösen; das ist völlig klar. Deshalb halts hier einmal machen. Im Koalitionsvertrag steht: halte ich es für richtig und wichtig, dass man sich weiter Wir werden auch unsere Ausgaben in den Bereichen Ent- Gedanken darüber macht, wie man zu einer regionalen wicklungszusammenarbeit, Humanitäre Hilfe und zivile und thematischen Fokussierung kommt. Das Instrument Krisenprävention deutlich erhöhen. Die Erreichung der der Reformfinanzierung – Äthiopien und Ghana sind hier ODA-Quote von 0,7 Prozent ist unser Ziel. angesprochen worden – ist, denke ich, eventuell ein Weg, den man gehen kann. Ich halte das für richtig. Ich hoffe Dieses Ziel werden Sie nicht erreichen. Gemessen am nur, dass wir in den nächsten Jahren dort auch positive derzeitigen Bruttoinlandsprodukt müssten wir – Pi mal und nachhaltige Ergebnisse registrieren können. Daumen – 23,5 Milliarden Euro für Entwicklungszusam- menarbeit ausgeben, damit wir das Ziel erreichen. Ihr Alles in allem, Herr Minister, muss man Folgendes Ministerium verfügt aber lediglich über 10,3 Milliarden feststellen: Sie engagieren sich – das hat man heute hier Euro. wieder gesehen – für die Entwicklungszusammenarbeit, und zwar glaubwürdig. Das Finanzministerium engagiert Wenn die Finanzplanung so eingehalten wird: Im Jahr sich für die Entwicklungszusammenarbeit nicht – das al- 2021 gibt es noch einmal eine kräftige Absenkung um fast lerdings auch glaubwürdig. 1 Milliarde Euro. Man kann also jetzt schon konstatieren: Das Ziel kann überhaupt nicht mehr erreicht werden. Im (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Übrigen wurde vorhin während der Debatte zum Vertei- Im Koalitionsvertrag stehen allerdings bestimmte Dinge, digungshaushalt darüber gesprochen, dass man nur auf und ich bin immer davon ausgegangen, dass der Koali- Sicht fährt. Sie fahren nicht auf Sicht. Sie fahren in der (B) tionsvertrag eine Arbeitsgrundlage für alle Ministerien (D) Dunkelheit, und zwar ohne Beleuchtung. sein muss. Darüber müssen wir in den nächsten Wochen (Beifall bei der LINKEN) noch diskutieren, darum müssen wir hart ringen. Wir Linke wollen gerne, dass die Punkte aus dem Koalitions- Denn all die Verpflichtungsermächtigungen, die hier vertrag im vorliegenden Haushaltsplan umgesetzt wer- hinterlegt werden, sind überhaupt nicht gedeckt. Das sind den. alles ungedeckte Schecks, und das muss natürlich jetzt noch korrigiert werden. Gemessen an den existenziellen (Beifall bei der LINKEN) globalen Problemen – wir sind uns da fast alle einig hier im Haus –, ist es natürlich eine bittere Pille, die wir hier Vizepräsident Thomas Oppermann: vorgelegt bekommen. Das ist so nicht akzeptabel. Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion Im Koalitionsvertrag steht auch – Sie haben das ange- Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Uwe Kekeritz. sprochen –, dass der Aufwuchs beim Verteidigungsminis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) terium sich eins zu eins in der ODA-Quote spiegeln muss. Wenn man sich das jetzt anschaut für den nächsten Haus- Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): halt, sieht man: Das Verteidigungsministerium bekommt 1,7 Milliarden Euro mehr, das BMZ 127 Millionen Euro. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Den Beim Auswärtigen Amt – da gibt es auch ODA-Mittel – mageren Aufwuchs des Entwicklungsetats zu beklagen, sind es minus 88 Millionen Euro. Das heißt: BMZ und erspare ich mir. Ich spreche jetzt auch nicht die 0,7 Pro- Auswärtiges Amt zusammen bekommen unter dem Strich zent an; das ist schon geschehen. Das Wesentliche für nichts. Das ist natürlich nicht die Umsetzung des Koali- mich ist, dass der Entwurf in vielen Bereichen viel zu tionsvertrages. kurz springt. Neben den bisher kaum wirksamen inflatio- nären Investitionsinitiativen – External Investment Plan, Das hat auch für Ihren Haushalt Folgen. Wenn Sie Compact with Africa, Marshallplan und weitere Initiati- nämlich bestimmte Bereiche, die Ihnen wichtig sind, aus- ven – kommt nun der Entwicklungsinvestitionsfonds hin- kömmlich finanzieren wollen, müssen Sie logischerweise zu. Angekündigt sind 1 Milliarde Euro, im Entwurf ste- an anderer Stelle streichen, und das machen Sie auch. Die hen 125 Millionen Euro. Das ist deutlich weniger als bilaterale finanzielle Zusammenarbeit geht zurück. Ins- angekündigt. Aber begreifen Sie das nicht als Kritik, Herr besondere in dem Bereich, der hier immer als wichtig Müller, ich finde das so in Ordnung; denn das Konzept, unterstrichen wird – internationaler Klima- und Umwelt- das hinter diesem Plan steht, ist noch sehr unausgegoren. schutz –, verzeichnen wir ein Minus. Die Schuldenum- Belassen Sie es bei diesem Betrag. Entwickeln Sie dieses wandlung ist ganz gestrichen worden. Bestimmte Berei- Instrument erst weiter. 13704 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Uwe Kekeritz (A) Zu den Investitionsinitiativen gehören auch PPP-Pro- Kommen wir zum Grünen Knopf, Herr Müller. Nie- (C) gramme. Leider haben die Evaluierungen verheerende mand behauptet, dass dieser schadet. Das vermutlich 41. Ergebnisse erzielt. Die zentrale Botschaft lautet: Es gibt Siegel im deutschen Textilbereich, das erste weltweite keinen entwicklungspolitischen Mehrwert, dafür aber Staatssiegel, wird über einen überschaubaren Zeitraum deutliche Mitnahmeeffekte. Allerdings zeigt sich, dass aber keinerlei Auswirkungen auf die realen Produktions- Sie aus den wirklich unzähligen deutschen, internationa- bedingungen vor Ort haben, und nur darauf käme es an. len, IWF- und Weltbankanalysen zum Thema PPP keine Ausgerechnet das zentrale Thema der menschenwürdigen Konsequenzen ziehen wollen. Die PPP-Vorhaben, so wie Entlohnung spielt beim Grünen Knopf überhaupt keine Sie sie konzipiert haben, müssen entsorgt werden; denn Rolle. Mit diesem Knopf lenken Sie nur davon ab, dass sie schaden den Entwicklungsländern. das Textilbündnis am Ende ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- und bei der LINKEN) wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wir brauchen In- Abg. Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) vestitionen. Diese müssen aber nachhaltige Entwicklun- Das von Ihnen, Herr Müller, propagierte Prinzip der Frei- gen im sozialen, im ökologischen und im menschenrecht- willigkeit ist am Ende, es hat ausgedient. Es geht um lichen Bereich befördern. Menschenrechte, es geht um Umweltzerstörung, Destabi- lisierung von Gesellschaften durch die Textilindustrie. Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kann nicht Ziel deutscher Politik sein, diese zentralen Ansonsten befördern wir zukünftig, wie in der Vergan- Themen der Freiwilligkeit zu unterwerfen. genheit auch, Menschenrechtsverletzungen, Umweltver- nichtung und tragen sogar zur Destabilisierung von ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sellschaftlichen Systemen bei. Bis heute, Herr Müller, Herr Müller, eine Bitte habe ich noch an Sie: Hören Sie sind wir leider eher Teil des Problems, und das kann nicht endlich auf, sich hinter den Verbraucherinnen und Ver- unser entwicklungspolitischer Anspruch sein. brauchern zu verstecken und ihnen die Verantwortung für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN faire Lieferketten anzudichten. Übernehmen Sie endlich sowie bei Abgeordneten der LINKEN) selbst die Verantwortung. Wir sind auch kein unbedeutender Teil des Problems, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wenn es um die Frage des Klimawandels geht; auf Argu- SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) mente wie die der AfD brauchen wir wirklich nicht mehr Hören Sie wenigstens einmal zu. Sie müssen ja nicht mir einzugehen. Der Klimawandel ist nun einmal zur wich- (B) zuhören, aber hören Sie den Vertretern der Zivilgesell- (D) tigsten Menschheitsfrage geworden. Und was macht die schaft zu, die gestern die Initiative Lieferkettengesetz Bundesregierung? Selbst die ambitionslosen Versprechen ins Leben gerufen haben. Da wird Ihnen sicherlich gerne der Kanzlerin werden gebrochen. Trotz Rechentricks geholfen. klafft eine Lücke von mindestens 500 Millionen Euro. Ich begrüße es, Herr Müller, wenn Sie fordern, dass diese Ich danke. 500 Millionen Euro noch nachgeliefert werden. Sie sag- ten auch, der Finanzminister werde sie finanzieren. Meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Informationen gehen dahin, dass der Finanzminister sowie bei Abgeordneten der LINKEN) plant, Ihren Haushalt umzugestalten, sodass Sie die 500 Millionen Euro letztlich selber zahlen werden. Er Vizepräsident Thomas Oppermann: wird auch auf das Umweltministerium zugreifen und Be- Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege träge aus diesem Etat herausholen. So stelle ich mir das Volkmar Klein für die Fraktion der CDU/CSU. nicht vor. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Volkmar Klein (CDU/CSU): Der vorliegende Etat springt qualitativ zu kurz, zum Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Beispiel beim Thema Gleichberechtigung und Genderpo- ren! Die Haushaltszahlen wurden schon angesprochen. litik. Nicht einmal 1 Prozent der ODA-Quote wird gezielt Es wurde teilweise von einem zwar geringen, aber erfreu- in die Förderung einer gleichberechtigten Gesellschaft lichen Aufwuchs gesprochen. Doch wenn man weiß, gesteckt. Das halte ich für skandalös. Traurige Realität welch gewaltigen Aufwuchs der Haushalt des BMZ in ist nach wie vor, dass Armut weiblich ist. 70 Prozent der diesem Jahr gegenüber dem vergangenen Jahr erlebt hat – in Armut lebenden Menschen sind Frauen. Wir wissen von 9,4 auf 10,2 Milliarden Euro –, und berücksichtigt, alle, dass gerade Frauen die Trägerinnen der Entwicklung dass es laut vorliegendem Haushaltsentwurf im komm- sind. Was liegt da näher, als diese Personengruppe massiv enden Jahr einen weiteren Aufwuchs auf fast 10,4 Milliar- zu fördern? den Euro geben wird, dann muss man sagen: Das ist aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließlich eine richtig gute Nachricht, über die wir uns sowie bei Abgeordneten der LINKEN) freuen sollten. Das geschieht aber kaum. Vor diesem Hintergrund ist der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Entwicklungsetat ein frauenpolitischer Offenbarungseid. Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13705

Volkmar Klein (A) Ich würde die Zahlen aber gar nicht überbewerten; Der Wald ist hier auch ein wichtiges Thema. Als Frak- (C) denn das schiere Ausgeben von Geld ist noch längst kein tion wollen wir noch mehr Wert darauf legen, zum Bei- Erfolg. Es muss uns viel mehr um die Ergebnisse gehen. spiel durch eine internationale Waldinitiative. Klar, wir Was erreichen wir? Wo können wir wirklich die Perspek- reden gerade viel über das Amazonasgebiet, es geht aber tiven für die Menschen, gerade für junge Menschen, ver- auch um Aufforstungen – gerade in Subsahara-Afrika und bessern? Das kann man an vielen Stellen durchaus erle- in der Sahelzone. Gerade in dieser Woche war Tony Ri- ben. Vor einigen Wochen war ich mit einigen Kolleginnen naudo, ein australischer Mitarbeiter von World Vision, und Kollegen verschiedener Fraktionen in einer Schule erneut hier in Berlin. Viele – nicht nur ich – haben mit im Süden von Tadschikistan. Dort gehen Jungen und ihm gesprochen. Mit seiner Methode und einem ganz ge- Mädchen in eine von Deutschland finanzierte Schule – ringen Aufwand bringt er alte Wurzelstöcke in der Sahel- begeisterte Kinder, richtig selbstbewusste Mädchen –, zone dazu, wieder auszuschlagen, und es kommt zur Be- und das ganz nah an der Grenze zu Afghanistan. Wir grünung. Damit wird Aufforstung betrieben. Auch viele helfen mit diesem Geld, Kindern eine Chance zu geben. andere Projekte – sie alle sind sehr wenig kapitalintensiv – Wir helfen aber eigentlich nicht nur diesen Kindern, son- müssen wir sicherlich viel mehr unterstützen, damit wir dern wir helfen auch dabei, dass die gesamte Gesellschaft etwas bewegen. weniger vulnerabel ist. Alles andere wäre am Ende auch für uns in Deutschland schlecht. Das gilt gerade für dieses Drittens: Jobs. Es geht um eine nachhaltige Perspek- Gebiet in Zentralasien, aber eben auch für Gebiete in tive. Ganz lieb helfen reicht nicht. Deswegen sind die Afrika und viele andere Teile dieser Welt. Reformpartnerschaften und der Entwicklungsinvesti- tionsfonds wichtig, damit in den Ländern, in denen Good Uns muss es darum gehen, nachhaltige Perspektiven zu Governance wirklich gelebt wird, mehr ankommt und bieten, gerade für Mädchen, gerade für Kinder, gerade Jobs sowie Chancen entstehen können. Das läuft über drei auch in Afrika. Das hat ganz viele Aspekte. Das bietet Jahre. Wenn man das inklusive der Verpflichtungser- nachhaltige Perspektiven. Über Bildung – wir waren in mächtigungen sieht, dann erkennt man: Das ist schon einer Schule – brauchen wir an dieser Stelle gar nicht ganz vernünftig finanziert. mehr zu reden. Ich will zwei, drei Punkte nennen. Abschließend will ich eines festhalten: Dieser jetzt vor- Erstens: Gesundheit. Ohne Gesundheit – das wurde liegende Entwurf des Haushaltsplanes 2020 ist eine her- schon erwähnt – werden sich keine Kinder, wird sich aber vorragende Grundlage dafür, die ausgezeichnete Arbeit auch keine Gesellschaft entwickeln können. Das ist wich- des Ministeriums und der Bundesregierung in diesem Be- tig für diese Menschen, am Ende aber auch für uns hier in reich fortzusetzen, und das sollten wir alle gemeinsam Deutschland. Polio, andere Krankheiten und auch ver- unterstützen. (B) nachlässigte Tropenkrankheiten wurden schon genannt. Herzlichen Dank. (D) Die Mobilität ist größer geworden. Wir können uns ge- genüber diesen Krankheiten nicht abschotten. Wir müs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei sen helfen, dass sie dort, wo es sie jetzt noch gibt – das gilt Abgeordneten der SPD) eben auch für Polio und für viele der vernachlässigten Tropenkrankheiten –, bekämpft werden. Das ist auch in Vizepräsident Thomas Oppermann: unserem Interesse. Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Markus Frohnmaier für die Fraktion der AfD. der SPD) (Beifall bei der AfD) Zweitens: Das Thema „Schöpfung und Klima“ wurde schon erwähnt. Da leistet die Entwicklungszusammenar- Markus Frohnmaier (AfD): beit eine ganze Menge. Ich habe jetzt in einer Statistik Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- gelesen: 250 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß durch deut- ren! Wenn man heute hier zuhört, dann könnte man mei- sche Entwicklungszusammenarbeit gespart. – Ein ande- nen, die Linken regieren schon mit. Kein anderes Minis- res Zahlenpaar finde ich auch besonders faszinierend, terium steht stellvertretend so sehr für die fatale weil uns das eine gewisse Leitlinie gibt: Es kostet in der Mischung linker Ideologie und staatlicher Selbstbedie- Entwicklungszusammenarbeit ungefähr 30 Euro, eine nungsmentalität. Tonne CO2 einzusparen. In Deutschland kostet es 300 Eu- ro, eine Tonne CO einzusparen. (Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Das 2 müssen Sie gerade sagen!) (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Warum?) 2014 umfasste der Etat des Ministeriums 6,4 Milliarden Wenn man sich diese Zahlen anschaut, dann sieht man, Euro, dieses Jahr verausgabt das Ministerium dicke dass schon einiges dafür spricht, dass der Finanzminister – 10,2 Milliarden Euro. Das sind 60 Prozent mehr Geld, viele Grüße an ihn – vielleicht doch überlegen sollte, die und Sie feiern das heute, als hätten Sie diesen Überschuss im Raum stehenden 500 Millionen Euro zur Bewirtschaf- erwirtschaftet. Dabei machen Sie den deutschen Steuer- tung in das BMZ zu übergeben; denn wir wollen mit zahler einfach nur zur Melkkuh. diesem Geld im Interesse unserer Steuerzahler richtig viel (Beifall bei der AfD) erreichen. Die Entwicklungsleistungen sind geradezu explodiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 2014 verteilte die Regierung noch 12,5 Milliarden Euro 13706 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Markus Frohnmaier (A) quer durch die Welt, 2017 waren es schon 22 Milliarden lungsländer. 70 der 84 deutschen Partner gelten als hoch- (C) Euro. Damit sind wir pro Kopf der größte Geber von gradig korrupt. Die Bundesregierung belohnt sie für ihre Entwicklungshilfe weltweit. Inkompetenz, Faulheit und Verantwortungslosigkeit. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Wer andere Menschen oder Staaten lange genug ali- Das ist auch gut so!) mentiert, beraubt sie ihrer Eigenständigkeit. Sie mögen das offiziell Altruismus nennen. Ich nenne das linkes Als die UN 2015 den Fahrplan für die Transformation Herrenmenschentum. unserer Welt, die Agenda 2030, verabschiedete, schossen die Kosten durch die Decke. Der Finanzierungsbedarf (Beifall bei der AfD – Uwe Kekeritz [BÜND- wird auf insgesamt 5 bis 7 Billionen US-Dollar geschätzt. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Rassismus ist das! – Für dieses Geld könnte man übrigens dem deutschen Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Menschenver- Bürger für acht Jahre alle Steuern erlassen. achtend! – Zurufe von der LINKEN) (Beifall bei der AfD – Dr. Marie-Agnes Strack- Als AfD-Fraktion stehen wir für die Beendigung dieser Zimmermann [FDP]: Ach! – Michael Leutert Politik. Wir wollen die Rückabwicklung der Agenda [DIE LINKE]: Was willst du denn?) 2030. Linke Ideologieprojekte wie gendersensible Män- nerarbeit in Nicaragua oder erneuerbare Energien für Mo- Im Rahmen dieser sozialistischen Eine-Welt-Ideologie scheen in Marokko werden wir streichen. wollen Sie unser Geld in den globalen Süden transferie- ren. Dabei machen Sie sich das kollektive Trauma der (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie werden Merkel’schen Grenzöffnung von 2015 zunutze. niemals die Gelegenheit haben!) (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Lächerlich!) Kinderlose, gepiercte Frauen in den 40ern, Malte Torbens, die Indiana Jones spielen wollen, kurzum: My- Vertreter Ihrer Regierung drohen ganz offen: Wenn der thomanen, die dabei helfen, ökologische Landwirtschaft deutsche Steuerzahler nicht für die Bildung, die Gesund- ins usbekische Hochgebirge zu bringen, werden sich ein heit und neuerdings sogar die Arbeitsplätze in Afrika auf- anderes Betätigungsfeld suchen müssen. kommt, dann kommt Afrika zu uns. (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: So ist es! – Das kommt für Sie auch bald!) Michael Leutert [DIE LINKE]: Es zahlen auch Nichtdeutsche Steuern!) Was diese Regierung für den Dieselmotor ist, werden wir für die linke Helferindustrie sein. Das ist die Logik eines Schutzgelderpressers. Meine Da- (B) men und Herren, in Berlin wüten zwei Stämme: die Ara- (D) berclans und die GroKo. Vizepräsidentin : Herr Frohnmaier, Sie müssen bitte zum Schluss kom- (Beifall bei der AfD – Uwe Kekeritz [BÜND- men. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Rede aus dem Jahr 1932 halten Sie hier! – Niema Movassat Markus Frohnmaier (AfD): [DIE LINKE]: Was für ein Unsinn! Fake News! Fake News! Fake News! – Weitere Zurufe von Wir werden sie abschaffen. der LINKEN) Vielen Dank. – Kommen Sie mal runter, und hören Sie zu. Sie verste- (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- hen ja sonst gar nichts. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Elende Hetzerei! Wi- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Es ist uner- derliche Hetzerei! – Niema Movassat [DIE träglich, Ihnen zuzuhören! – Uwe Kekeritz LINKE]: Was für ein Demokratiebild! – Wei- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1932!) tere Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Profitieren von Ihrem Größenwahn wirklich die Ärms- ten, die Hungernden, die Schwachen? Entstehen nachhal- tige Strukturen durch diese Hilfe? Nein. Madagaskar hat Vizepräsidentin Petra Pau: drei Jahrzehnte lang internationale Hilfe erhalten. Trotz- Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler für die dem ist die Armut gestiegen, die Umwelt verschmutzt, SPD-Fraktion. die Bevölkerung explodiert. Die katastrophalen hygieni- (Beifall bei der SPD) schen Zustände führten 2017 und 2018 sogar zum Aus- bruch der Pest. Dagmar Ziegler (SPD): Wer profitiert also? Die wirklichen Profiteure sitzen in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und der linken Entwicklungshelferindustrie. Die Profiteure Kollegen! Mir ist noch ganz schlecht von gerade eben. heißen Soros, Bedford-Strohm und SPD-Aussteiger Thorsten Schäfer-Gümbel. Die Profiteure, das sind Poli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der tiker und Prominente, über die niemand mehr spricht, bis CDU/CSU) sie sich in eine Traube fröhlicher afrikanischer Kinder Der Haushalt des Deutschen Bundestages ist eben kein begeben und dort fotografieren lassen. Die Profiteure, Selbstzweck. Das Parlament setzt die Prioritäten, gibt den das sind die hochkorrupten Regierungen der Entwick- Ministerien die Richtung vor und untersetzt dies mit fi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13707

Dagmar Ziegler (A) nanziellen Mitteln. Ich sage ausdrücklich: der Deutsche unterhalt beitragen müssen und die Schule besuchen kön- (C) Bundestag, wir, die wir hier sitzen. Entwicklungszusam- nen. menarbeit, früher Entwicklungshilfe genannt, hat mit deutlich über 10 Milliarden Euro einen guten Anteil da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ran. Ich finde, diese Mittel sind kein Feigenblatt, um uns der CDU/CSU) von früheren, manchmal vielleicht auch heutigen Fehlern Es braucht zweitens einen sozialen Basisschutz, damit freizukaufen oder sie zu entschuldigen – jedenfalls aber ein Arztbesuch nicht den finanziellen Ruin der Familie in dem Bewusstsein für Verantwortung, die Sie nicht ken- bedeutet. nen: Verantwortung, die wir tragen, wenn wir billige T- Shirts kaufen, Handys in der Hand halten oder ohne Ende Und es braucht drittens bessere Kontrollmechanismen Wasser verbrauchen. Verantwortung, wenn wir viel zu gegen ausbeuterische Kinderarbeit, damit eben Kinder viele Rinder halten und nicht wissen, wohin mit der Gül- nicht in den Steinbrüchen Pakistans für unsere Pflaster- le. Verantwortung, wenn wir Obst und Gemüse aus weiter und Grabsteine ihr Leben riskieren. Hier braucht es auch Ferne genießen, wohl wissend, dass dafür ganze Land- eine wirklich unabhängige und vertrauenswürdige Zerti- striche abgeholzt werden und Monokultur gefördert wird. fizierung. Wir kennen die Ursachen für diese weltweiten Ent- Lieber Herr Minister, um solche Zertifizierungen ef- wicklungen, die die Lebensgrundlagen von Millionen fektiv und vertrauenswürdig zu gestalten, schlagen wir von Menschen zerstören und Natur unwiederbringlich als SPD-Fraktion vor, zukünftig eine wissenschaftliche vernichten, und wir genießen trotzdem. Wir genießen die- Begleitung aller Initiativen im Bereich der globalen Lie- sen unseren vermeintlichen Wohlstand. Und unsere rech- ferketten zu etablieren. Dies gilt insbesondere für den te Fraktion ignoriert all das, spricht von „Größenwahn“ diese Woche anlaufenden Grünen Knopf für fair herge- angesichts unserer Hilfe und Unterstützung. Ich sage: Der stellte Kleidung, aber auch für das bereits laufende Textil- Größenwahn sitzt rechts von uns. bündnis. Das heißt, dass der wissenschaftliche Beirat des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Grünen Knopfs ausschließlich und hoffentlich mit fach- der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des kundigen und unabhängigen Personen besetzt wird und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch ein Veto- und ein Mitspracherecht haben muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Verant- Und: Die finanziellen Aufwendungen wissenschaftli- wortung zu tragen. Der Bedarf an Entwicklungszusam- cher Untersuchungen müssen in dem entsprechenden menarbeit wird nicht weniger. Um nur ein paar Heraus- Haushaltstitel zusätzlich eingestellt werden. Die zusätz- forderungen zu nennen: Immer noch ist jeder neunte liche Finanzierung betrifft auch die überaus begrüßens- (B) Mensch unterernährt. Alle zehn Sekunden stirbt ein Kind werte Ankündigung unserer Kanzlerin, den Beitrag (D) an Hunger; dabei könnten wir 12 Milliarden Menschen Deutschlands für den Globalen Fonds zur Bekämpfung ernähren. Immer noch sterben pro Tag 15 000 Kinder von Aids, Tuberkulose und Malaria um rund 18 Prozent unter fünf Jahren mangels angemessener Gesundheitsver- auf 1 Milliarde Euro in den nächsten drei Jahren aufzus- sorgung. Immer noch haben über 1,8 Milliarden Men- tocken. Zusätzliche finanzielle Versprechen dürfen nicht schen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und die bestehende Finanzierung gut laufender Programme 4,5 Milliarden zu sanitären Einrichtungen. Immer noch gefährden. haben weltweit 260 Millionen Kinder – vor allem Mäd- chen – keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen, und (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) 50 Prozent dieser Kinder leben in Kriegs- und Konflikt- Das gilt auch hinsichtlich der versprochenen und notwen- gebieten. Deshalb bleibt eine Menge zu tun. digen Mittel für die internationale Klimafinanzierung. Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht es uns, Ver- besserungen herbeizuführen, aber auch Verschlechterun- (Beifall bei der SPD) gen vorzubeugen. Dass das auch im Einklang mit deut- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir begreifen, schen geopolitischen und strategischen Interessen steht, dass wir mit den Mitteln der wirtschaftlichen Zusammen- ist klar. Für die Umsetzung bedarf es aber einer ausreich- arbeit auch einen Beitrag für Frieden, für Klimaschutz, enden finanziellen Basis, auch, weil sich Partner wie die für Bildung und Gesundheit leisten, dann begreifen wir USA zunehmend auf sich selbst konzentrieren und sich hoffentlich auch, dass dieses Geld gut angelegt ist – für aus der Finanzierung der internationalen Organisationen die Menschen, die jetzt darauf angewiesen sind, aber eben zurückziehen, und auch, weil andere Länder Entwick- auch für unsere zukünftigen Generationen. lungspolitik für die Erweiterung ihrer machtpolitischen Einflusssphären nutzen. Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, um den entwick- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lungspolitischen Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ wei- der CDU/CSU) terzuschreiben, treten jedenfalls wir Sozialdemokra- tinnen und Sozialdemokraten dafür ein, verstärkt Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Bildung Vizepräsidentin Petra Pau: zu fördern. Für die FDP-Fraktion hat nun Dr. Christoph Hoffmann das Wort. Es braucht deshalb erstens existenzsichernde Löhne für Mütter und Väter, damit Kinder eben nicht zum Lebens- (Beifall bei der FDP) 13708 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

(A) Dr. Christoph Hoffmann (FDP): wenn er aufforstet, statt Soja zu nehmen oder Viehzucht (C) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und zu betreiben, wo er einen sofortigen Return hat. Herren Kollegen! Die Welt ändert sich, der Haushaltsent- wurf des Einzelplans 23 zeichnet aber die dringend not- (Beifall bei der FDP) wendigen großen Weichstellungen in dieser veränderten Wir können die investiven Jahre der Waldwirtschaft mit Welt nicht nach. Der Minister verzettelt sich in nationalen direkten digitalen Zahlungen aus CO -Kompensations- Alleingängen, versieht sich selbst mit einem Heili- 2 zahlungen überbrücken. Ich glaube, das wäre der große genschein, um unangreifbar zu sein. Er macht Wurf, den wir wirklich brauchen. Bei den Direktzahlun- Schaufensterinitiativen – vom Grünen Knopf haben wir gen an die Waldbauern dieser Welt kann keine Regierung gerade gehört –, die uns und die Welt nicht wirklich wei- dazwischenfunken. Das ist möglich durch Digitalisie- terbringen. Wir brauchen statt Klein-Klein große Würfe. rung. Ein solches dynamisches Element brauchen wir (Beifall bei der FDP) jetzt weltweit für den schnellen Waldwiederaufbau. Die Entscheidung über das Weltklima fällt, wie der (Beifall bei der FDP) Minister richtig sagt, in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Schauen wir uns mal das Problem Wir brauchen neuen Wald in einer Größenordnung von an: Das Problem sind die fossilen Brennstoffe. Da gibt 350 Millionen Hektar. Das kostet ungefähr 1,7 Billionen Euro. Wir sehen also, wir bewegen uns hier in ganz ande- es zwei Säulen. Die eine Säule ist die CO2-Bindung. Wir ren Dimensionen. Das geht nur, wenn alle mitmachen, müssen CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen. Die andere Säule ist, dass wir Emissionen verhindern weil es hier um alles für alle geht. müssen. (Beifall bei der FDP) Brasilien hat bereits über 600 Millionen Euro Steuer- geld für den Erhalt des Regenwaldes aus Deutschland Wo sind dazu die Mittel in Ihrem Haushalt, Herr Müller? erhalten. Und jetzt brennt der Amazonas wegen eines Die großen Würfe fehlen. despotischen Präsidenten. Er hat den Amazonas zum Ab- Kommen wir zu der zweiten Säule des Klimaschutzes: schuss freigegeben. Und was plant die Bundesregierung? Emissionen. Wir brauchen einen viel größeren Ansatz im Weiter bezahlen. Das ist doch irre. Das können wir doch Haushalt für die notwendige umweltgerechte Elektrifizie- nicht machen. 2019 wurde im Amazonas die doppelte rung der Entwicklungsländer. Wenn wir nicht zusammen Waldfläche wie im Vorjahr zerstört. Diese Waldzerstö- mit anderen Industriestaaten und der Privatwirtschaft da- rung ist ein Angriff auf die Menschheit. zu kommen, Wasserkraftwerke, Solarkraftwerke, viel- (B) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Sonja leicht auch noch vorübergehend Gaskraftwerke in den (D) Amalie Steffen [SPD]) armen Staaten dieser Welt mitzufinanzieren, werden wir mindestens 600 weitere Kohlekraftwerke in den nächsten Das Weltklima kann keine weiteren Waldverluste hinneh- fünf Jahren sehen; der Minister sprach von 1 000 Kohle- men. Wir Freien Demokraten fordern deshalb als eine kraftwerken. Das verträgt das Weltklima nun einmal nicht Konsequenz die Einstellung der EZ mit Brasilien zumin- mehr. dest im Bereich Waldschutz. Auf einen groben Klotz ge- hört nun mal auch ein grober Keil. Also: Waldschutz, Aufforstung, umweltverträgliche Stromversorgung in Entwicklungsländern haben viel zu (Beifall bei der FDP) wenig Stellenwert in diesem Haushalt. Deshalb werden Grundsätzlich sollten wir die Zusammenarbeit mit in- wir Sie auch unterstützen, wenn Sie mehr Geld für diesen zwischen starken Schwellenländern wie Brasilien, China Bereich haben wollen. und Indien überdenken. Wir sollten sie nicht mehr mit EZ-Mitteln oder KfW-Mitteln unterstützen. Es gibt Wich- (Beifall bei der FDP) tigeres im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Noch mehr läuft falsch. Grundsätzlich muss die CDU- Aber wir dürfen unseren Einfluss in Brasilien nicht auf- CSU-SPD-Koalition damit aufhören, Despoten autokrati- geben. Wir müssen hier das Gegenteil tun. Wir müssen scher Regierungen mit Geld zu unterstützen. In Kamerun die Waldbauern dieser Welt dabei unterstützen, wieder bezahlen wir aktuell knapp 10 Millionen Euro für eine aufforsten zu können. Das geht multilateral und weltweit. Beratung zum Thema der gesetzlich verankerten Dezent- Es gibt kluge Lösungen dafür. Nicht nur in Brasilien ralisierung. Aber der Präsident will keine Dezentralisie- brennen die Wälder, sondern auch in Indonesien, Boli- rung. Im Gegenteil: Er führt einen Bürgerkrieg mit seinen vien, im Kongo. Überall werden Wälder im großen Maß- eigenen Leuten. Wieso gibt es immer noch deutsche stab vernichtet. Wir sehen, dass wir in diesem Jahr etwa Steuergelder für eine solche Regierung in Kamerun? 10 Millionen Hektar Wald verlieren werden. Das ist die Das ist doch völlig unplausibel und unnütz. Größe des Gesamtwaldes in Deutschland. Diesen verlie- ren wir in einem Jahr. Diese Entwicklung müssen wir (Beifall bei der FDP) aufhalten, und wir können sie aufhalten. Es gibt kluge neue Lösungen dafür. Diese Lösungen sind digital, und Stellen Sie, Herr Minister, endlich die großen Weichen. sie sind wirtschaftlich. Handeln Sie europäisch, und beenden Sie die Despoten- hilfe! Wir müssen dem Kleinbauern die Wahl ermöglichen und dafür sorgen, dass er wirtschaftlich besser handelt, (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13709

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Feind der afrikanischen Mädchen und Frauen, die auf ein (C) Das Wort hat die Kollegin Evrim Sommer für die Frak- anderes Leben hoffen. Stocken wir die Gelder für die tion Die Linke. reproduktiven Rechte auf, und nehmen wir die Frauen- rechte ernst, und vielleicht gibt es dann zum 50-jährigen (Beifall bei der LINKEN) Jubiläum der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz etwas zu feiern. Helin Evrim Sommer (DIE LINKE): Die Sektkorken brauchen nicht zu knallen, obwohl wir In diesem Sinne vielen Dank. ein 25-jähriges Jubiläum feiern können. Im September (Beifall bei der LINKEN) 1994 fand in Kairo die erste Weltbevölkerungskonferenz statt. Aber die Ziele, die man sich damals gesetzt hatte, wurden bislang leider verfehlt. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Anja Hajduk für die Frak- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tion Bündnis 90/Die Grünen. Verehrte Gäste! Das Bevölkerungswachstum hat sich dra- matisch verstärkt. Jedes Jahr kommt einmal Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dazu, das heißt jährlich 80 Millionen Menschen zusätz- lich, die vor allen Dingen in den niedrig entwickelten Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ländern unter erbärmlichsten Bedingungen auf die Welt Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und kommen. Man kann sich natürlich an dieser Stelle fragen: Herren! Herr Minister, Sie haben es selber schon gesagt: Was hat das eigentlich mit Deutschland zu tun? Eine Dieser Gesetzentwurf zum Haushalt bringt eine enorme Menge, kann ich Ihnen sagen. Lücke in Ihrem Etat mit sich. Sie sprechen von mindes- Lieber Entwicklungsminister Müller, Ihr Etat umfasst tens 500 Millionen Euro; vielleicht seien es mehr als gut 10 Milliarden Euro. Aber Ihre Ausgaben für das 600 Millionen Euro. Ich muss Ihnen hier schon sehr deut- dringlichste Problem der wenig entwickelten Länder sind lich sagen: Wer mit am Kabinettstisch sitzt, der sollte sich beschämend: Nur ein winziger Bruchteil von diesen eigentlich dort durchsetzen. 10 Milliarden Euro fließt in die Familienplanung – mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unglaublichen Folgen. Südlich der Sahara kann jede und bei der FDP) vierte Frau nicht verhüten, obwohl sie es will. Weltweit führt das jährlich zu 74 Millionen ungewollten Insofern spricht Ihr Etatentwurf nicht für Sie und auch Schwangerschaften. Wir müssen junge Frauen unterstüt- nicht für diese Regierung. zen, damit sie eine selbstbestimmte Entscheidung über (B) Es bleibt aber auch festzuhalten, dass es nicht beim (D) ihre Sexualität, Gesundheit und Verhütung treffen kön- Thema Haushaltszahlen erkennbar ist, dass Sie sich nicht nen. durchsetzen, sondern dass das auch für andere Themen (Beifall bei der LINKEN) gilt. Ich beziehe mich im Folgenden ganz klar auf Sie, Herr Müller. Sie haben im Deutschlandfunk in einem Das ist ihr eigenes reproduktives Recht, und das ist auch Interview im Mai dieses Jahres deutlich ausgeführt – im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Familienplanung ich zitiere –: und berufliche Bildung müssen miteinander vereinbar sein. Nur Frauen, die selbst über ihre Sexualität entschei- Appelle der Politik sind das eine, Freiwilligkeit in einem den können, sind auch in der Lage, selbst Geld zu ver- Markt, der grenzenlos global heute wirkt, führt nicht mehr dienen und langfristig zur Volkswirtschaft beizutragen. zum Ziel. Der weltweite globale Markt braucht klare Re- Nur so können wir ein wichtiges Ziel der globalen Nach- geln zum Schutz von Mensch, Natur und Tier. haltigkeitsagenda erreichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Da wir jetzt schon mal bei Zahlen sind: Wir müssen sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) mindestens 0,2 Prozent unseres Bruttonationaleinkom- mens für die wenig entwickelten Länder aufwenden. Herr Müller, das sind gute Sätze. Aber genau wegen dieser Argumentation brauchen wir doch ein mutiges (Beifall bei der LINKEN) Gesetz – Sie nennen das Nachhaltiges Wertschöpfungs- kettengesetz –, das Sorgfaltspflichten einschließt, das al- Bislang geben wir nur die Hälfte aus. Dabei bleibt dann so die Unternehmen gesetzlich zu Sorgfalt verpflichtet. die Unterstützung armer Länder beim Aufbau des Ge- sundheits- und Bildungssystems auf der Strecke. An der (Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) UN-Messlatte – das wurde hier schon erwähnt –, 0,7 Pro- zent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungszusammen- Ja, und dann kündigen Sie das an. Wir sitzen hier im arbeit einzusetzen, scheitern wir weiterhin, und das seit Herbst – Sie haben das ja zum Herbst angekündigt –, mehr als 40 Jahren. und nichts liegt auf dem Tisch. Die Antwort ist dann: Das Wirtschaftsministerium prüft, und es kommt nichts. Hören Sie endlich auf, sich um das Thema „reproduk- tive Rechte der Frauen“ zu drücken. Es steht sowieso bei (Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Herbst 2020!) jeder Diskussion über Entwicklungszusammenarbeit im So geht das nicht, Herr Müller. Raum wie ein unsichtbarer Elefant. Wer meint, Afrika helfen zu wollen, ohne über Familienplanung zu spre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen, der ist kein Freund Afrikas, der ist mindestens ein sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) 13710 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Anja Hajduk (A) Da müssen Sie nicht nur reden, sondern da brauchen wir lichen Mittel 4 Milliarden Euro sind und private Mittel (C) auch Taten. nachhaltig, wie der Kollege Kekeritz gesagt hat, von der Wirtschaft kommen. Um diese Antwort drücken Sie sich Taten statt Worte brauchen wir auch bei der Stärkung seit Jahren herum, - des Multilateralismus. Es ist so, dass wir in den letzten Jahren tatsächlich einen Aufwuchs im Entwicklungsetat hatten. Die multilateralen Mittel, das waren 2014 30 Pro- Vizepräsidentin Petra Pau: zent von den deutschen ODA-Leistungen. 2017 – dafür Setzen Sie jetzt den Punkt. haben wir die offiziellen Zahlen zu den ODA-Leistun- gen – sind die multilateralen Mittel auf 20 Prozent ge- Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sunken – in Ihrer Ministerzeit! –, obwohl wir einen deut- lich wachsenden Etat haben. Das geht doch in die falsche und da werden wir Sie bis zur zweiten Lesung lö- Richtung. chern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Für 2020 erkenne ich im Haushalt auch keine Stärkung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der multilateralen Arbeit. Hier kann man also auch nur sagen: Eine multilaterale Zukunft gibt es nicht zum Null- Vizepräsidentin Petra Pau: tarif. Da müssen Sie sich bekennen, und das können Sie Das Wort hat der Kollege Volker Kauder für die CDU/ ganz allein innerhalb Ihres Etats verändern. CSU-Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) und bei der FDP)

Ich komme zu der dritten großen Aufgabe, dem inter- Volker Kauder (CDU/CSU): nationalen Klimaschutz. Kanzlerin Merkel hat sich heute Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Morgen in ihrer Rede sehr deutlich dazu bekannt. Sie Der Haushaltsansatz für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben uns selber vorgerechnet, was die deutschen Ver- und Entwicklung wird auf hohem Niveau fortgeschrie- sprechen für den internationalen Klimaschutz bedeuten, ben. Das wurde allgemein hier auch bestätigt und aner- nämlich unsere Haushaltsmittel für den internationalen kannt, und das ist zunächst einmal eine sehr gute Bot- Klimaschutz auf 4 Milliarden Euro zu verdoppeln, wenn schaft. Aber wir haben auch gehört, dass es ein paar wir als Basis 2014 nehmen. 2014 hatte die internationale Aufgaben gibt, die noch nicht ausreichend in diesem Gemeinschaft inklusive der deutschen Kanzlerin das zu- (B) Haushalt abgebildet sind. (D) gesagt. Für die Einlösung dieses Versprechens fehlen uns 500 Millionen Euro – Stand heute. Jetzt muss ich mal sagen, Frau Kollegin Hajduk: Dass Frau Merkel will demnächst nach New York fahren. sich ein Minister am Kabinettstisch mit seinen Forderun- Was wird also passieren? Da wird es dieses Klimakabinett gen nicht durchsetzen kann, das gibt es mal – Sie als am 20. September geben. Dem Parlament wird das alles Grüne haben in der rot-grünen Koalition mehrfach erlebt, erst mal vorenthalten, obwohl wir schon die erste Lesung dass Sie sich bei Schröder nicht durchsetzen konnten –, des Haushalts haben. Ich gehe mal davon aus, dass die aber ich finde es bemerkenswert, dass der Minister sich Kanzlerin nach dem Klimakabinett die 500 Millionen Eu- dann hier hinstellt und sagt: An diesem und jenem Punkt ro zusätzlich für den internationalen Klimaschutz in der habe ich noch etwas, was umgesetzt werden kann. Tasche hat, dass das dann nachgereicht wird – hoffentlich, Jetzt sage ich als überzeugter Parlamentarier: Mir ist es denn sonst blamieren wir uns. Dass das nicht schon im zunächst einmal egal, was die Bundesregierung im Ent- Sommer entschieden wurde, ist anscheinend eine billige wurf für den Haushalt beschlossen hat. Wenn wir der Marketingstrategie. Überzeugung sind, es muss sich an dem ein oder anderen (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE Punkt etwas ändern, damit der Haushalt so wird, wie wir GRÜNEN]: Ja!) ihn uns vorstellen, dann können wir das erreichen. Aber ich sage Ihnen: So kommen Sie da nicht durch. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stimmen Sie unseren Anträgen zu!) 4 Milliarden Euro von Deutschland für den internatio- nalen Klimaschutz wären gut, aber Sie selber haben 2014 Deswegen sage ich: Stellen Sie sich doch nicht hier hin auch beschlossen: Der faire Anteil Deutschlands beträgt und jammern Sie hier nicht, sondern – Sie sind im Haus- eigentlich 8 Milliarden Euro - haltsausschuss – helfen Sie mit, (Beifall der Abg. Sonja Amalie Steffen [SPD]) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Hajduk, auch heute gilt die vereinbarte Rede- dass die Anliegen, die wir noch umsetzen wollen, auch zeit. umgesetzt werden können. Wenn die SPD mitmacht, ha- ben wir eine breite Mehrheit, und schon ist das Ding passiert; so einfach ist doch die Sache. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ich komme zum Schluss –, ist also doppelt so groß. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Deswegen müssen Sie auch nachweisen, dass die öffent- Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13711

Volker Kauder (A) Frau Hajduk, ich komme auf Sie zu und auf die SPD Deswegen finde ich es großartig, dass dieses Ministe- (C) auch. Wir werden Anträge stellen; dann wollen wir mal rium einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, sehen. dass verfolgte Jesiden und verfolgte Christen von Kurdis- tan aus wieder in die Ninive-Ebene im Irak zurückkehren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und können, indem dort Häuser gebaut werden, indem Ar- der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE beitsmöglichkeiten geschaffen werden, indem kleine Ge- GRÜNEN]: Jetzt sind wir aber gespannt, was sundheitszentren aufgebaut werden, in denen die Christen dabei herauskommt!) allen in dieser Region helfen und damit auch ein Angebot Die FDP will ja auch mitmachen, Herr Kollege Link. machen, die Konflikte zu überwinden. Also haben wir doch schon eine breite Mehrheit. Da kann Da kann ich nur sagen: Wenn ein Ministerium – und ich ich nur sagen: Als Parlamentarier bin ich selbstbewusst kenne kein Ministerium, das in dieser Weise aktiv ist – genug, um nicht das hinzunehmen, was die Regierung uns einen Beitrag dazu leistet, dass wegen ihrer Religion Ver- vorlegt, sondern das zu verfolgen, was wir machen wol- folgten – und das sind in dieser Welt nun einmal vor allem len. die Christen – geholfen wird, ist dies ein entscheidender Beitrag für eine friedliche Entwicklung in unserer Welt. (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Latte richtig hochgelegt! – Anja Hajduk (Beifall bei der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen einen gemeinsamen Antrag mit Ihnen!) Dafür, lieber Gerd Müller, sage ich einen herzlichen Dank. Aber jetzt noch ein anderer Hinweis. Der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Jetzt wollte ich nur noch darum bitten, dass wir uns in Müller, hat in seiner Zeit als Minister deutlich gemacht, den Haushaltsplanberatungen bei den Projekten, die ge- dass dieses Ministerium mehr umfasst als die klassischen nannt worden sind, mächtig auf den Weg machen, damit Aufgaben, die bisher abgebildet worden sind. Er hat näm- wir helfen können, Klima, Zusammenarbeit und andere lich deutlich gemacht, dass die ganz großen Themen wie Punkte, die uns in der Entwicklungshilfe wichtig sind, die Entwicklung unseres Planeten und auch der Gesell- voranzubringen. Ich kann nur sagen: Das Parlament soll schaft in diesem Ministerium angesiedelt sind. Wir haben mehr Mut haben, seine Vorstellungen auch in einem jetzt viel über das Thema Umwelt bzw. Schöpfung ge- Haushaltsplan umzusetzen. sprochen. Wir haben auch viel davon gesprochen, was notwendig ist, um Menschen ein lebenswertes Leben zu (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Uwe ermöglichen. Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine (B) Forderung an die CDU!) (D) Einen Punkt, den Gerd Müller immer wieder anspricht, haben wir aber noch gar nicht richtig angesprochen: Das Vizepräsidentin Petra Pau: friedliche Zusammenleben unserer weltweiten Gesell- Das Wort hat der Abgeordnete Ulrich Oehme für die schaft AfD-Fraktion. (Zuruf von der LINKEN: Ja, sehr gut!) (Beifall bei der AfD) hängt sehr davon ab, dass wir Menschen Perspektive ge- ben. Und das ist ein zentrales Thema dieses Ministeriums: Ulrich Oehme (AfD): Menschen Perspektive zu geben. Dafür werden wir uns Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen auch einsetzen. und Herren Abgeordnete! Wir als AfD möchten unsere (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Haushaltsvorstellung mit nur drei Worten umreißen: We- Dagmar Ziegler [SPD] – Zurufe der Abg. Heike niger ist mehr. Wir möchten, dass das Ministerium end- Hänsel [DIE LINKE]) lich die Entwicklungshilfe verschlankt. Zwischen 2012 und 2017 bezahlten deutsche Steuerzahler weltweit neben Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen eine Per- 20 Milliarden Euro bilateraler Entwicklungszusammen- spektive zu geben, heißt zunächst einmal, sehr genau arbeit weitere 7 603 Projekte – 7 603 Projekte sogenann- hinzuschauen: Wo liegen die Probleme? ter zivilgesellschaftlicher Träger mit einem Gesamtvolu- men von 4,1 Milliarden Euro. Wie behalten Sie bei der Da gibt es ein Thema, das mehr und mehr ins Bewusst- Vielzahl dieser Projekte, Minister Müller, den Überblick, sein kommt und das auch in diesem Ministerium ange- geschweige denn, wie können Sie Ihrer Kontrollfunktion siedelt ist: Das sind die weltweiten Konflikte der Religio- nachkommen? Diese Geschenke wären in der Wirtschaft nen. Welche Bedeutung haben bzw. welche Rolle spielen und der Forschung wesentlich besser aufgehoben. Religion und die Konflikte um Religion für die Entwick- lung der Menschen? Der Beauftragte der Bundesregie- Die Förderung von Wirtschaftsprojekten in wenigen rung für weltweite Religionsfreiheit, der Kollege Markus Ländern könnte etwas bewirken, und zwar in Ländern, Grübel, wird dazu demnächst in seinem Bericht auch et- die es wirklich möchten. Diese Länder haben jedoch auch was sagen. Gerd Müller weist auch immer wieder darauf eine Mitwirkungspflicht. Ihre vielen kleinen Projekte, hin, dass es bei den Konflikten einen Zusammenhang gibt Herr Müller, verbessern die Situation nur für wenige zwischen religiösen Prägungen und dem, was man aus Menschen kurzfristig. Wir wollen aber die Situation für dem Leben machen kann. viele langfristig verbessern, also: Weniger ist mehr. 13712 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Ulrich Oehme (A) Die Ressourcen Deutschlands waren einmal Wissen, Danke. (C) Kreativität, Ingenieurskunst und Unternehmergeist. All dies scheint vergessen und verloren zu sein, auch hierfür (Beifall bei der AfD) gibt es Beweise. Der letzte Beweis ist das Urteil des Deut- schen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammen- Vizepräsidentin Petra Pau: arbeit, DEval, zum Projekt Abwassermanagement in Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Wolfgang Vietnam. Das Projekt läuft seit 2004 und liegt sage und Stefinger das Wort. schreibe elf Jahre hinter dem Zeitplan. Bemängelt wurde: Die Anlagen sind unrentabel und überdimensioniert. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Geschäftsmodell ist nicht attraktiv, die Berichte der Sonja Amalie Steffen [SPD]) Durchführungsorganisation GIZ haben kaum Informatio- nen oder Handlungsempfehlungen, und statt der Beseiti- Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): gung von Umweltschäden sind neue entstanden. – Die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Kollegen! Wir haben in den vergangenen Jahren sehr Was für ein Bild gibt Deutschland in der Welt ab? Wir viele Krisen, Kriege und Katastrophen auf unserer Erde können weder Großprojekte im eigenen Land – beispiels- erlebt und erleben sie auch heute noch. Ihre Auswirkun- weise BER – noch im Ausland umsetzen. Manchmal be- gen zeigen uns tagtäglich, dass wir eine Welt sind – eine fürchte ich, dass Projekte noch während ihrer Bauzeit Welt, von der auch die Entwicklungspolitik immer unter Denkmalschutz gestellt werden müssen. spricht. Das heißt für uns, dass wir auch Verantwortung haben: Verantwortung für die Menschen, Verantwortung (Beifall bei der AfD – Niema Movassat [DIE für unseren Planeten. Die Unionsfraktion gründet diese LINKE]: Was für ein Kalauer!) Verantwortung auch auf das christliche Menschenbild, und so gestalten wir unsere Politik. Deshalb „Qualität vor Quantität“ oder „Weniger ist mehr“. Aus dieser Verantwortung heraus – es ist vorhin, auch vom Minister, schon angesprochen worden – muss uns Auch der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird inflationär ge- natürlich das Thema Lieferketten am Herzen liegen. Wir braucht. Übrigens: Geprägt wurde er im 17. Jahrhundert müssen uns fragen, ob der Kaffeebauer von seiner Hände vom Chemnitzer kurfürstlich-sächsischen Bergrat Carl Arbeit leben kann. Wir müssen uns fragen, ob in den von Carlowitz. Er verstand jedoch Nachhaltigkeit anders: Batterien, die wir verwenden, Rohstoffe enthalten sind, Bei ihm stand die „Hebung von Handel und Wandel“ und die aus Minen kommen, in denen Kinderarbeit stattfindet. der pflegliche Umgang mit Ressourcen generationsüber- Und wir müssen uns auch fragen, ob – um ein Beispiel aus (B) greifend im Vordergrund. Nachhaltig ist nicht, wenn der dem Bereich der Textilindustrie zu nennen – T-Shirts (D) nigrische Bauer „der Mond“ oder „die Möndin“ sagt, auf wirklich nur 1 Euro kosten müssen, ob das von der Wer- seinen solarbetriebenen Fernseher schaut und die Inklu- bung vorgegebene „Geiz ist geil“ am Ende des Tages sionstoilette benutzt. wirklich so geil ist. Das ist es nämlich nicht! (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen bin ich dankbar dafür – und ich denke, dass NEN]: Das hätte ich jetzt nicht gedacht! Das es durchaus auch ein Tag der Freude ist –, dass das Textil- sind ja Erkenntnisse!) siegel endlich auf dem Weg ist; denn dieses Siegel zeigt, Ob er sich wirklich ernähren kann, ist für ihn existentiell. dass es funktioniert. Wir Deutschen sind so stolz auf unser Recyclingsys- Heute kam von der Opposition die Kritik, dass man das tem. Was wir jedoch verschweigen, ist unser jährlicher ja europaweit hätte einführen können, sollen, müssen. Ja, Export von 1,2 Millionen Tonnen unverwertbarer Kunst- durchaus, das hätte man natürlich machen können. Aber stoffe in Länder ohne ein Aufbereitungssystem. Wer wenn wir im Bereich Textilindustrie so denken, dann schon einmal diese Länder bereist hat, weiß, wie es dort müssen wir beispielsweise auch beim Thema Energiever- aussieht: Plastikmüll auf den Straßen, Feldern und in Bä- sorgung so denken. Wir hätten nie einen Atomausstieg chen. Wir sollten technische Angebote machen, damit beschließen dürfen, wenn wir gesagt hätten: Das darf diese Rohstoffe – ja, Rohstoffe, nicht Müll – nicht in nur europaweit funktionieren. – Das Wichtige ist, dass die Meere und später in unsere Körper gelangen. wir damit anfangen, und das tun wir beim Textilsiegel. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Siegel ein großer (Beifall bei der AfD) Erfolg wird. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, zum Bei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei spiel mehr in die Forschung und Marktreife der Plastik- Abgeordneten der SPD) pyrolyse zu investieren. Mit diesem Verfahren können immerhin 80 Prozent des Plastiks in Öl umgewandelt Im Übrigen – Gerd Müller hat die EU-Ratspräsident- werden. Eine kleine, kompakte und leicht zu bedienende schaft im nächsten Jahr angesprochen –: Es wird eine EU- Anlage wäre eine konkrete Lösung für ein konkretes Afrika-Strategie geben. Es finden entsprechende Gesprä- Problem. Das schafft Arbeitsplätze, beseitigt Umwelt- che im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft statt, in de- schäden und sichert langfristige Nutzbarkeit der Meere. nen es natürlich auch um solche Dinge gehen muss. Vor In Neudeutsch: eine Win-win-win-Situation. Oder mit allem muss es auch um das Thema der finanziellen Aus- den Worten des Sachsen von Carlowitz: „nachhaltend“. stattung der Entwicklungszusammenarbeit auf europä- Denn: Weniger ist mehr. ischer Ebene gehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13713

Dr. Wolfgang Stefinger (A) Es ist gesagt worden: Ja, Deutschland leistet viel, mei- deutlich größer ist; das wurde auch von vielen gesagt. In (C) ne sehr geehrten Damen und Herren. Ohne uns, ohne die den letzten Jahren ist der Haushalt noch mal kräftig ge- Bundesrepublik Deutschland, würde es in 70 Ländern steigert worden. Als ich anfing, hatten wir eine ODA- keine Bildung geben, würde es in 26 Ländern keine Ge- Quote von 0,27 Prozent. Jetzt haben wir eine ODA-Quote sundheitsversorgung geben, würde es in 19 Ländern kein von 0,51 Prozent. Man könnte natürlich sagen: Mit funktionierendes Trinkwassersystem geben. In über 50 127 Millionen Euro mehr im Haushalt 2020 ist schon Ländern sind wir im Bereich Energie unterwegs, ebenso alles gut. im Bereich Landwirtschaft. Auch der Bereich Demokra- Ich sage aber ganz klar: Es ist nicht alles gut. Ich war tie ist ein wichtiger Punkt. Hier möchte ich auch einmal im Juli mit einigen Kolleginnen und Kollegen bei der den politischen Stiftungen ganz herzlich für ihre Arbeit Vorbereitungskonferenz für den Gipfel, der jetzt im Sep- und ihren Einsatz für Demokratie, Meinungsfreiheit und tember zur Überprüfung unserer nachhaltigen Entwick- Menschenrechte in den Ländern danken. lungsziele stattfindet. Die ersten beiden Ziele, die sich die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2030 gesetzt hat, sind die bei Abgeordneten der FDP) Überwindung von Hunger und extremer Armut. Die Zahl der Hungernden steigt seit drei Jahren wieder. Wir woll- Ja, wir müssen weltweit ein Bewusstsein schaffen für ten die Zahl Jahr für Jahr drastisch reduzieren. Ich frage den ganzen Bereich „Umwelt und Klima“, gerade in den mich: Wo ist da der Aufschrei? Haben wir uns schon so Entwicklungs- und Schwellenländern; der Minister hat es daran gewöhnt, dass Kinder in Afrika sterben? angesprochen. Hier stellt sich die Frage: Kohlestrom oder Strom aus erneuerbaren Energien? Es geht in den Ent- Ich erinnere mich, wie ich zur Entwicklungspolitik ge- wicklungsländern auch um die Frage der Mobilität und kommen bin. Ich hatte 1984 gesehen, wie furchtbar die angesichts der steigenden Weltbevölkerung um den Be- Hungerkatastrophe in Äthiopien war. Das ist jetzt 35 Jahre reich der Lebensmittelproduktion. her. Schon damals fand ich: Wie kann es sein, dass wir als zivilisierte Gesellschaft zulassen, dass so viele Kinder Dies alles kann aber nur in Zusammenarbeit mit den und Menschen hungern und sterben, weil sie nicht genug Menschen vor Ort erfolgen. Da möchte ich noch einen Kalorien zu sich nehmen können? Es reicht nicht, das wichtigen Bereich ansprechen. Es bedarf neuer Techno- Erreichen einer ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir logien und natürlich auch Bildung – Bildungsinitiativen schon seit den 80er-Jahren versprochen haben, immer wurden vom Entwicklungsministerium aufgesetzt, aber weiter zu verschieben und sie irgendwann mal – 2030 – auch die Afrika-Strategie des Bildungsministeriums ist zu erreichen. Denn einer Mutter, die in dieser Sekunde zu nennen – sowie Forschungskooperationen, um bei- irgendwo in Afrika zusehen muss, dass ihr Kind etwas zu spielsweise im Gesundheitsbereich oder auch in der essen hat, die mit ansehen muss, dass ihr Kind wegen (B) Landwirtschaft voranzukommen. (D) einer einfachen Durchfallerkrankung oder Malaria stirbt, Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen am weil sie keinen Arzt in der Nähe hat, weil sie da nicht Beginn der Haushaltsberatungen. hinkommt, können wir nicht sagen: Wir warten mal ab und gucken weiter zu. Vizepräsidentin Petra Pau: Deswegen sage ich: Wir haben eine Verpflichtung, die- Kollege Stefinger, ich muss Sie darauf aufmerksam sen Haushalt bis November noch einmal zu verbessern, machen, dass Sie demnächst auf Kosten Ihres Kollegen etwas draufzulegen, damit wir nicht länger zuschauen, sprechen. wie Kinder in Afrika und anderswo sterben. Das ist un- sere moralische Verpflichtung, und da bitte ich Sie um Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): Unterstützung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ja. – Also, wir stehen am Beginn der Haushaltsbera- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael tungen und haben uns noch einiges vorgenommen. Ich Leutert) freue mich auf die kommenden Wochen. Es wurde auch schon gesagt, dass wir bei der Prioritä- Herzlichen Dank. tensetzung, Herr Minister, mehr für die sogenannten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Least Developed Countries tun müssen, für die Ärmsten. Abgeordneten der SPD und der FDP) Wir haben im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung ge- troffen. Wir als Sozialdemokraten wollen, dass dort mehr Geld hinfließt. Denn so wichtig es auch ist, in Middle- Vizepräsidentin Petra Pau: Income- und Schwellenländer zu investieren, bleibt fest- Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Sascha zustellen, dass gerade in den Least Developed Countries Raabe das Wort. die Zahl der Hungernden am größten ist; da müssen wir wirklich ganz viel tun. Da haben wir noch eine große (Beifall bei der SPD) Aufgabe vor uns. Ich bin der Meinung, dass wir das nur Dr. Sascha Raabe (SPD): dann schaffen können, wenn wir auch unsere Handels- politik verändern, wenn wir Unternehmensverantwortung Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- nicht freiwillig, sondern gesetzlich verpflichtend machen. legen! Wenn wir den Haushalt für das nächste Jahr be- trachten, stellen wir fest, dass wir mit 10,3 Milliarden Zurzeit brennt der Amazonas. Man kann sagen: Es Euro eine Summe haben, die verglichen mit den 3,7 Mil- brennt damit die Lunge der Welt. Das hat natürlich auch liarden Euro zu der Zeit, als ich hier 2002 anfing, schon ganz viel mit uns zu tun; denn dort werden Bäume gerodet 13714 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019

Dr. Sascha Raabe (A) und Flächen geschaffen für Fleischexporte, die nach Eu- Lieferkettengesetz. Da bin ich Ihnen, Herr Minister, und (C) ropa gehen, für den Anbau von Soja, das als Futtermittel auch Hubertus Heil dankbar, dass Sie, was diese Themen zu unseren Landwirten nach Deutschland kommt. Wenn angeht, noch etwas Großes vorhaben und da an einem wir jetzt mit Brasilien und den Mercosur-Staaten ein Frei- Strang ziehen. handelsabkommen abschließen, wodurch die Fleisch- und die Sojaexporte zollfrei ins Land kommen, dann ist (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: das für die Agrarlobby dort und für diesen rechtsgerich- Kommt denn da was?) teten Präsidenten Bolsonaro noch mal Wasser auf die Das sind die Dinge, die wir brauchen; denn nur dann, Mühlen. Das wird noch mehr dazu beitragen, dass der wenn wir auch Unternehmen gesetzlich dazu verpflich- Wald zerstört wird. ten, Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Umwelt- schutzrichtlinien einzuhalten, können wir unsere Welt (Zuruf von der AfD) insgesamt retten und den Menschen auch ein selbstbes- Die Europäische Union hat in dem Abkommen, das timmtes Leben ermöglichen. Übrigens gibt es auch viele Frau Kanzlerin Merkel schon vorschnell als Riesenwurf Unternehmen, die das wollen, die verantwortungsvoll abgefeiert hat, dem man jetzt schnell zustimmen müsste, sind, die gleiche Wettbewerbsbedingungen haben wollen ein Nachhaltigkeitskapitel eingearbeitet, in dem zu den und nicht wollen, dass schwarze Schafe sich mit Kinder- Themen „Menschenrechte“, „Arbeitnehmerrechte“, „Pa- arbeit Wettbewerbsvorteile verschaffen. Deswegen: riser Klimaschutzabkommen“ und „Umweltschutzbe- Mehr Geld für diesen Haushalt, um Hunger und Armut stimmungen“ zwar schöne Worte stehen, wo aber bei Ver- zu bekämpfen, mehr tun beim internationalen Klima- stößen dagegen leider keinerlei Sanktionsmöglichkeiten schutz, um Menschen Zugang zu Energie zu ermöglichen, genannt werden. und fairer statt freier Handel. Das ist es, wofür wir kämp- fen müssen. Wir sehen bereits jetzt, was dieser Präsident schon macht und was dort unten passiert. Wir hatten gerade diese Woche – meine Kollegin war dabei – ein Vizepräsidentin Petra Pau: Gespräch mit drei Gästen aus Brasilien, die uns erzählt Kollege Raabe. haben, dass die indigene Bevölkerung zurzeit noch mehr drangsaliert wird, Umweltschützer zum Teil ermordet, Dr. Sascha Raabe (SPD): bedroht werden und Gewerkschafter, die sich wehren, Wir müssen schnell handeln; wir müssen mehr tun. gefoltert werden. Da muss man doch sagen: Wir können uns nicht darauf verlassen, dass so eine Absichtserklä- Vielen Dank. rung in einem Handelskapitel am Ende dazu führt, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) sich hier etwas verbessert. (D) der CDU/CSU) Wir würden ja auch in Deutschland nicht auf die Idee kommen, unser Strafgesetzbuch so wie das Freihandels- Vizepräsidentin Petra Pau: abkommen zu machen und zu sagen: Ihr dürft keine Bank Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege überfallen; aber wenn ihr es macht, passiert euch nichts, Carsten Körber für die CDU/CSU-Fraktion. dann reden wir mal nett darüber. – Dann gäbe es wahr- scheinlich kein Geld mehr auf irgendeiner Bank. Wir kä- (Beifall bei der CDU/CSU) men auch nicht auf die Idee, den Bußgeldkatalog abzu- schaffen und zu sagen: Ihr dürft nicht zu schnell fahren; Carsten Körber (CDU/CSU): aber wenn ihr es tut, bekommt ihr kein Bußgeld. – So sind Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zurzeit die Nachhaltigkeitskapitel in diesem Freihandels- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lie- abkommen angelegt. Deswegen muss das Kabinett auch ber Minister Müller! Dieser Bundesetat 2020 ist bereits den Mut haben – ich weiß ja, Herr Minister, dass Sie da an der siebte Etat, in dem wir die schwarze Null erreichen. meiner Seite sind und das auch so wollen –, zu sagen: Wir Das ist ein immenser Erfolg. Ein Erfolg ist aber auch der beschließen das jetzt nicht in Brüssel, sondern wir be- von Minister Müller vorgelegte Entwurf des BMZ-Etats. schließen es erst dann, wenn dieses Kapitel entsprechend Wir leben in bewegten Zeiten. Und immer öfter kann man nachverhandelt wird. den Eindruck bekommen: Egoismus und ein auf den ei- Ich bin unserer Fraktionsspitze sehr dankbar. Rolf genen Vorteil ausgerichtetes Handeln werden zunehmend Mützenich und auch die zuständigen Stellvertreter Sören zur Richtschnur politischen Handelns in der Welt. Bartol, haben sich für die SPD-Fraktion In diesen Zeiten nimmt Deutschland seine Verantwor- eindeutig positioniert. Wir sagen: Dieses Abkommen mit tung in der Welt ernst und setzt auf internationale Zusam- den Mercosur-Staaten darf im Kabinett nicht beschlossen menarbeit. Das zeigt etwa auch der Entwurf des BMZ- werden, bevor es diese Nachbesserungen mit den ent- Etats, der im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr – das sprechenden Sanktionsmöglichkeiten gibt. wurde verschiedentlich schon erwähnt – um 127 Millio- nen Euro auf nunmehr 10,37 Milliarden Euro anwächst. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dies ist der größte BMZ-Etat aller Zeiten. Der Etat steigt der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE aber nicht nur absolut, auch sein Anteil am Gesamthaus- GRÜNEN) halt wächst, und zwar auf 2,88 Prozent. Das mag viel- Wir wollen auch, dass der Nationale Aktionsplan für leicht auf den ersten Blick wenig klingen. Ich finde, das Menschenrechte verbindlich wird. Wir wollen auch ein ist nicht wenig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13715

Carsten Körber (A) An dieser Stelle möchte ich auch mal Danke sagen. Ich genwaldgebiete in Süd- und Nordamerika, in Afrika und (C) danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im BMZ, Asien absolut prioritär. Genau deshalb hat die CDU/CSU- insbesondere denjenigen, die mit dem Haushaltsaufstel- Bundestagsfraktion erst in der vergangenen Woche einen lungsverfahren beschäftigt waren und dort mit viel Fleiß Beschluss für eine internationale Waldinitiative gefasst. und Nerven und Detailarbeit diesen Entwurf mit erarbei- tet haben. Vielen Dank für Ihre Arbeit! Aber – es freut mich, das sagen zu können – auch andere handeln: Äthiopien hat an einem Tag über 350 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lionen neue Bäume gepflanzt. Bis zum Jahresende sollen Diese Vorlage werden wir uns jetzt im parlamentarischen es 4 Milliarden werden. Mehr noch: 20 afrikanische Staa- Verfahren sehr genau anschauen und als Koalition viel- ten haben beschlossen, 100 Millionen Hektar Wald leicht weitere Themen betonen oder auch, Herr Kollege wiederaufzuforsten. Wälder helfen dem Klima. Deshalb Kauder, kraftvoll weitere Akzente setzen. unterstützen wir die Wiederaufforstungskampagne natür- lich. Wir unterstützen sie mit Geld. Wir unterstützen sie Der Schwerpunkt unserer EZ-Politik wird auch im mit Fachwissen und natürlich mit unseren international nächsten Jahr natürlich wieder auf Afrika liegen. Es geht geschätzten und anerkannten Experten. Es geht dabei darum, unsere Beziehungen zu unseren Partnern dort zu schließlich nicht allein um den Umweltschutz, es geht vertiefen und weiter zu intensivieren; denn ich bin der um mehr. Ein gesunder Wald hilft nicht nur der Natur, festen Überzeugung: Nur wenn sich Afrika gut entwi- er schafft auch Arbeit und Lebensperspektiven für die ckelt, hat auch die Welt insgesamt eine Chance auf eine lokale Bevölkerung. gute Entwicklung. Sie sehen, meine Damen und Herren, wir haben viel zu Eines der wichtigsten Themen im Rahmen der Ent- tun in den nächsten Wochen und Monaten. Packen wir es wicklungszusammenarbeit wird auch der Klimaschutz an! sein. So hat die Bundeskanzlerin neulich beim G-7-Gipfel im französischen Biarritz 1 Milliarde Euro für internatio- Vielen Dank. nale Klimamaßnahmen zugesagt. Die Situation der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) brennenden Regelwälder im brasilianischen Amazonas- gebiet hat uns doch gezeigt, wie wichtig das Thema ist. Kürzlich hat eine Studie aus der Schweiz für Aufsehen Vizepräsidentin Petra Pau: gesorgt; denn sie zeigt, dass die Wiederaufforstung der Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen Wälder einen fundamentalen Beitrag zur Stabilisierung mir nicht vor. des Klimas leisten könnte. Auch andere Untersuchungen stützen diese These. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord- (B) nung. (D) Doch noch wichtiger ist natürlich, CO2 erst gar nicht in die Atmosphäre entweichen zu lassen und Wälder nicht Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- zu roden, sondern zu schützen. Deshalb hat sich Agrar- tages auf morgen, Donnerstag, den 12. September 2019, ministerin Klöckner vor wenigen Wochen mit den Län- 9 Uhr, ein. dern in der sogenannten Moritzburger Erklärung auf um- Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute. Die Sitzung ist fangreiche nationale Schutzmaßnahmen für unseren Wald geschlossen. geeinigt. Aber eben nicht nur bei uns, sondern auch inter- national ist der Schutz der Wälder, insbesondere der Re- (Schluss: 17.52 Uhr)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. September 2019 13717

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage

Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r)

Akbulut, Gökay DIE LINKE Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bär, Dorothee CDU/CSU Dassler, Britta Katharina FDP Esken, Saskia SPD Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Gabriel, Sigmar SPD Gerdes, Michael SPD Hagl-Kehl, Rita SPD Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Hirte, Dr. Heribert CDU/CSU Holtz, Ottmar von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Houben, Reinhard FDP Jensen, Gyde* FDP Klingbeil, Lars SPD Lauterbach, Dr. Karl SPD Lechte, Ulrich FDP Maizière, Dr. Thomas de CDU/CSU Meyer, Christoph FDP Nahles, Andrea SPD (B) Nolte, Jan Ralf AfD (D) Petry, Dr. Frauke fraktionslos Pohl, Jürgen AfD Rabanus, Martin SPD Rupprecht, Albert CDU/CSU Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Schiefner, Udo SPD Schüle, Dr. Manja SPD Schulz, Jimmy FDP Verlinden, Dr. Julia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Weber, Gabi SPD Weiler, Albert H. CDU/CSU Werner, Katrin DIE LINKE

*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ISSN 0722-8333