GRÜN. GLOBAL. GERECHT.

Eckpunkte einer nachhaltigen Entwicklungspolitik

Autor*innenpapier von Dr. Frithjof Grün. Global. Gerecht. Eckpunkte einer nachhaltigen Entwicklungspolitik

In den letzten 25 Jahren gab es große Entwicklungsfortschritte. Im Jahr 2015 lebten eine Milliarde Menschen weniger in extre­ mer Armut als 1990, über zwei Milliarden Menschen mehr haben Zugang zu sanitärer Grundversorgung und zu sauberem Trink­ wasser.

Trotz enormer Fortschritte ist die Welt in den letzten Jahrzehnten aber auch ungerechter geworden. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, die soziale Spaltung der Gesellschaften schreitet voran – nicht nur in Entwicklungsländern. Die Globali­ sierungsgewinne sind einseitig: Der berühmte Trickle-Down-Ef­ fekt, wonach langfristig alle von einer vernetzten Weltwirtschaft gleichmäßig profitieren, ist widerlegt. Immer noch leben rund 800 Millionen Menschen in extremer Armut und leiden Hunger. Die ungleiche Wohlstandsverteilung zwischen Nord und Süd sowie innerhalb der Nationen ist gefährlich. Denn sie führt nicht zuletzt dazu, dass weite Teile der Bevölkerung von politischer Teilhabe faktisch ausgeschlossen sind, während finanzstarke Un­ ternehmen und Privatpersonen über ein Vielfaches an Ressour­ cen und somit Einfluss verfügen. Sie lenken und steuern globale Handelsströme und Investitionen, sie bestimmen verstärkt die gesellschaftlichen Entwicklungen ganzer Nationen. In vielen Entwicklungsländern führt dies zur Destabilisierung der gesell­ schaftlichen Strukturen und zu Konflikten. Zugleich arbeitet fast die Hälfte der Erwerbstätigen weltweit

2 noch immer unter menschenunwürdigen Bedingungen. In den Entwicklungsregionen ist die Müttersterblichkeitsrate 14-mal so hoch wie in den entwickelten Regionen. 61 Millionen Kinder im Grundschulalter besuchen keine Schule. Und über 67 Millionen Menschen sind auf der Flucht, immer mehr auch vor extremen Wetterereignissen und vor den Folgen des fortschreitenden Kli­ mawandels.

Die Agenda 2030 von New York und das Klima-Abkommen von Paris haben vor diesem Hintergrund einen Aufbruch mit klaren Zielen versprochen – und zwar für alle Länder, unabhängig von ihrem Entwicklungsstatus: Hunger und Armut weltweit abzu­ bauen, Wohlstand gerechter zu verteilen und so zu wirtschaften, dass unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Die Agenda 2030 und das Klima-Abkommen von Paris sind neben dem Men­ schenrechtskanon daher der zentrale Orientierungsrahmen für grüne Entwicklungspolitik und das Ziel einer sozial-ökologischen Transformation. Das aber setzt eine konsequente Umsetzung auch in und durch Deutschland voraus. Genau hier besteht massiver Aufholbedarf. Es braucht deshalb einen Paradigmen­ wechsel aller Politikfelder unter dem Leitbild der Agenda 2030, des Klima-Abkommens und der universellen Menschenrechte. Es braucht aber auch eine verstärkt kritisch-konstruktive Debatte mit der Zivilgesellschaft, den Gewerkschaften, den Unterneh­ mensverbänden und den Kirchen. Entwicklungspolitik ist im Sin­ ne der SDGs Gesamtregierungshandeln: Alle Politikfelder stehen in der Verantwortung ihren Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung zu leisten.

3 Global denken, lokal handeln

Im Gegensatz zu den Millennium Development Goals (MDGs) richten sich die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Agen­ da 2030 nicht nur an die Länder des Globalen Südens, sondern an alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. In diesem Sinne ist auch Deutschland ein Entwicklungsland, denn es steht wie alle Industriestaaten in der Pflicht, eine ambitionierte Umset­ zung der Agenda 2030 und der Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad voranzutreiben.

Der SDG-Ansatz bekräftigt damit einen Grundpfeiler grüner Ent­ wicklungspolitik: Nachhaltige globale Entwicklung beginnt bei uns. Aufgrund unseres Konsumverhaltens nimmt der weltweite

CO2-Ausstoß immer weiter zu. Mit der deutschen und europäi­ schen Handels- und Agrarpolitik tragen wir zur Zerstörung loka­ ler Märkte in Afrika und anderswo bei. Mit Rüstungsexporten in Krisengebiete befeuern wir kriegerische Auseinandersetzungen. Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, Hungerlöhne in asiatischen Textilfabriken und Rohstoffe, die bewaffnete Konflikte finanzie­ ren, sind nur einige Beispiele für Menschenrechtsverletzungen in den globalen Lieferketten. Deutschland ist in der Weltspitze beim klimaschädlichen Fleischverzehr und bei der Kohleverstro­ mung. Nach wie vor tragen unser Export, Wachstum und Konsum anderswo zu Armut, Raubbau an der Natur und Zukunftslosigkeit bei.

Wir müssen deshalb zu allererst bei uns ansetzen, anstatt auf An­ dere zu zeigen. Wir müssen „global denken, lokal handeln“ - und folglich die grundliegenden Strukturen ändern.

4 Grüne entwicklungspolitische Leitprinzipien

Grüne Entwicklungspolitik ist deshalb immer auch globale Strukturpolitik. Gleichwohl bekennen wir uns zum Recht auf Entwicklung und folgen einem selbstbestimmten und emanzipa­ torischen Entwicklungsverständnis. Die Verwirklichung der Men­ schenrechte ist dabei eng mit einer nachhaltigen Entwicklung verknüpft und erfordert daher bei allem politischen Handeln eine verbindliche Menschenrechtsorientierung. Wir erkennen die Unterschiede zwischen den Ländern an und damit das Prin­ zip der gemeinsamen und differenzierten Verantwortung. Wir bekennen uns zum Multilateralismus. Denn ohne eine Stärkung der Vereinten Nationen sind die globalen Herausforderungen und die sozial-ökologische Transformation nicht zu bewältigen. Die Ergebnisse der Entwicklungskonferenzen für mehr Wirksam­ keit von Paris, Accra und Busan sind gleichzeitig ein wichtiger Bezugsrahmen in unserem Bestreben, mehr Wirksamkeit für Ent­ wicklung, Transparenz, gegenseitige Rechenschaftspflicht, Partne­ rorientierung, Ownership und globale Arbeitsteilung umzusetzen. Grüne Entwicklungspolitik versteht sich bei alledem als Anwältin der Ärmsten und will verstärkt die Gruppe der ärmsten und fragilsten Länder unterstützen. Wir erachten Demokratisierung und Teilhabe als befördernde Voraussetzungen für Entwicklung. Da Mädchen und Frauen in besonderem Maße von Ausgrenzung, Ausbeutung und Armut betroffen sind, ist für uns der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit integraler Bestandteil grüner Entwick­ lungspolitik.

5 Derweil ist der globale Demokratisierungstrend ins Stocken ge­ raten und erfährt in vielen Ländern weitreichende Rückschritte. Weltweit sehen sich Vertreterinnen und Vertreter von Zivilgesell­ schaft, Presse und Justiz mit Einschränkungen in ihrem Handeln, mit Kriminalisierung und Verfolgung konfrontiert. Es werden reihenweise repressive Gesetze erlassen, die ihre Handlungs­ freiheit einschränken. Darum gilt es, Organisationen, die sich für Demokratie, Frieden, Umwelt und eine gerechtere Globalisierung einsetzen, vermehrt zu fördern und den Schutz von Minderheiten zu verstärken – auch und gerade in Partnerländern der Entwick­ lungszusammenarbeit. Durch die kontinuierliche Unterstützung von Zivilgesellschaft und nationalen Parlamenten leisten wir zu­ dem einen wichtigen Beitrag zu mehr Rechenschaftspflicht sowie Korruptionsbekämpfung und Pluralität in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

Leere Versprechen: Minister Müllers Lippenbekenntnisse

Den zahlreichen aktuellen Herausforderungen hat Entwicklungs­ minister Gerd Müller in den vergangenen vier Jahren vor allem Lippenbekenntnisse entgegengesetzt. Das jüngste Beispiel ist sein sogenannter „Marshallplan mit Afrika“, der nicht einmal dem eigenen Anspruch, geschweige denn den entwicklungspoliti­ schen Aufgaben unserer Zeit auch nur ansatzweise gerecht wird. Müllers Strategie, in erster Linie privates Kapitel zu mobilisieren, greift zu kurz. Private Investitionen wirken nicht per se im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Im Gegenteil hat die Vergan­ genheit gezeigt: Nur mit verbindlichen Menschenrechts- und

6 Nachhaltigkeitskriterien sowie Transparenz und ausreichenden Kontrollmechanismen, können private Investitionen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Darüber hinaus schafft es Minister Müller nicht, die wichtigsten Stakeholder ins Boot zu holen: Weder seine Kabinettskollegen noch die afrikanischen Partner wurden eingebunden. Inhaltlich ist das Papier eine Auf­ listung von Worthülsen entwicklungspolitischer Selbstverständ­ lichkeiten.

Die von Minister Müller selbst in den Himmel gelobte Zukunft­ scharta ist derweil längst zur Randnotiz verkommen. Seine Grü­ nen Innovationszentren – einst Leuchtturmprojekt des Ministers – waren von Beginn an alter Wein in neuen Schläuchen, und mit der schwindenden medialen Aufmerksamkeit scheint auch der Minister das Interesse an ihnen zu verlieren. Kurzum: Konkrete Ergebnisse im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gibt es von Minister Müller keine. Das ist umso bedauerlicher, als er durchaus Einfluss hätte nehmen können. Er hätte sich auf der Konferenz von Addis Abeba für eine faire internationale Besteuerung von multinationalen Unternehmen einsetzen und in Brüssel für eine nachhaltige und faire Neuordnung der gemeinsamen EU-Agrar­ politik streiten können. Statt die Agrarindustrie mit vermeintlich Grünen Zentren zu subventionieren, hätte er eine agrarökolo­ gische und kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern können. Er hätte im Bundessicherheitsrat gegen Rüstungsexporte in Krisen­ gebiete oder Länder mit problematischer Menschenrechtsbilanz stimmen und verbindliche Standards für die Lieferketten deut­ scher Unternehmen gesetzlich verankern können. Natürlich hätte er als federführender Minister für gerechteren Handel eintreten können, statt die entwicklungsschädlichen Wirtschaftspartner­

7 schaftsabkommen der EU mit afrikanischen Staaten voranzutrei­ ben. Stattdessen bleibt nach vier Jahren unter Minister Müller vor allem eines: Öffentlichkeitswirksame Hochglanzbroschüren.

Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen

Entwicklungszusammenarbeit darf nicht zur Flüchtlingsabwehr instrumentalisiert werden. Statt der einst mit Afrika angestrebten Partnerschaft auf Augenhöhe, rücken die EU-Mitgliedstaaten die Fluchtabwehr in den Mittelpunkt ihrer Außen- und Nach­ barschaftspolitik. Abschottung und innenpolitische Interessen drohen dabei vermehrt die Menschenrechtsorientierung zu verdrängen ebenso wie das entwicklungspolitische Ziel der Überwindung von Armut und Ungleichheit.

Die Verlagerung der europäischen Außengrenzen durch Migra­ tionspartnerschaften mit Staaten, in denen Menschen- und Flüchtlingsrechte nicht gewahrt werden, lehnen wir Grüne ebenso ab, wie die Umwidmung entwicklungspolitischer Gelder zugunsten von menschenrechtlich fragwürdigen Grenzschutz­ projekten. Auch Rückübernahmeabkommen mit unsicheren Herkunftsstaaten, wie sie derzeit von den EU-Mitgliedstaaten verhandelt werden, entsprechen nicht unserer Vorstellung einer verantwortungsvollen Außen- und Flüchtlingspolitik. Den Versuch, Entwicklungsgelder als Druckmittel zu nutzen – nach dem Motto: wer nicht kooperiert, muss mit Kürzungen der Mittel und dem Verlust von Handelspräferenzen rechnen – halten wir

8 für falsch, denn die Koppelung von Entwicklungsgeldern an die Rücknahme von Flüchtlingen widerspricht den Grundsätzen einer menschenrechtsbasierten sozial-ökologischen Entwick­ lungszusammenarbeit.

Wir wehren uns zugleich gegen die Zweckentfremdung ziviler Entwicklungsgelder für militärische Ziele, etwa mit Blick auf das Instrument für Stabilität und Frieden der EU. Nicht nur, weil derartige Umwidmungen die europäischen Verträge untergra­ ben: Die Mittel fehlen auch an anderer Stelle, beispielsweise im Kampf gegen Armut und Hunger, den Klimawandel und soziale Ungleichheit. Wir kritisieren besonders die neue Strategie von EU-Kommission und Mitgliedstaaten, die immer weniger auf Me­ diation und Aussöhnung setzt und stattdessen die Priorität viel stärker auf die Finanzierung von Ausrüstung und Ausbildung für Streitkräfte in Drittstaaten legt. Schon jetzt werden neun Prozent der Gelder aus dem Europäischen Entwicklungsfonds für militä­ rische Zwecke eingesetzt. Das ist nicht hinnehmbar – umso mehr, als das Europäische Parlament bei all diesen Entscheidungen außen vor blieb.

Fluchtursachenbekämpfung heißt nicht, Menschen an ihrer Flucht zu hindern. Fluchtursachenbekämpfung bedeutet Entwick­ lungen zu vermeiden, die Menschen dazu zwingen ihre bisherige Heimat zu verlassen – zugleich aber eine selbstbestimmte, immer häufiger zeitlich begrenze Migration auch als Chance für Herkunfts- und Aufnahmestaat anzuerkennen. Fluchtursachenbe­ kämpfung bedeutet, eine Politik zu betreiben, die daran arbeitet, die strukturellen Ursachen der Zerstörung von Lebensgrundlagen langfristig zu beheben und globale Strukturen im Sinne einer

9 nachhaltigen Entwicklung zu gestalten. Und dazu braucht es eine Neuausrichtung aller Politikfelder, die dem Auftrag der Agenda 2030 sowie dem Ziel einer sozial-ökologischen Transformation Rechnung trägt.

Grüne Prioritäten für eine entwicklungspolitische Neuausrichtung

Für eine entwicklungspolitische Neuausrichtung im Sinne der Agenda 2030 und des Klimaabkommens von Paris bedarf es ei­ nes Paradigmenwechsels. Dafür setzen wir in fünf Bereichen auf folgende Projekte.

1. Schutz globaler Güter: Klima- und Entwicklungsziele umsetzen

0,7 Prozent für Entwicklung und Klima Das Versprechen, 0,7 Prozent unserer Wirtschaftsleistung im Kampf gegen die weltweite Armut und Ungleichheit bereitzu­ stellen, müssen wir endlich dauerhaft einlösen. Wir werden einen ODA-Aufholplan umsetzen, der jährlich 1,2 Mrd. Euro zusätzlich für die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe umfasst. Wir wollen jährlich 800 Mio. Euro zusätzlich für den Klimaschutz und den Erhalt der Biodiversität investieren, damit Deutschland im Jahr 2020 den fairen Anteil von acht Mrd. Euro am Kopenha­ gen-Versprechen erreicht. Denn der Klimawandel ist spürbarer denn je, vor allem für die Ärmsten in den Ländern des Globalen

10 Südens. In Somalia herrscht die schwerste Dürre seit mehr als 60 Jahren, die Kiribati-Inseln drohen im Meer zu versinken, wir erleben immer mehr unberechenbarere Wirbelstürme. Die Gelder sollen deshalb besonders Anpassungsmaßnahmen an den Klima­ wandel in den ärmsten Ländern finanzieren. Mit jährlich zwei Mrd. Euro zusätzlichen Geldern für Entwicklung und Klima erreichen wir im Jahr 2020 eine ODA-Quote von 0,7 Prozent. Dabei steht für uns die Qualität der ODA-Mittel im Vordergrund: Flüchtlingskosten im Inland sowie Ausgaben für Militär wollen wir nicht auf die ODA-Quote anrechnen. Doppel­ buchungen von Klimageldern lehnen wir ab. Mittelfristig wollen wir 50 Prozent der ODA-Gelder für die ärmsten Länder zur Verfü­ gung stellen und die multilaterale Zusammenarbeit ausbauen.

Globale Energiewende: Erneuerbare statt Kohleförderung Der Schutz des Klimas, der Biodiversität und unserer Meere muss eine zentrale Rolle in der internationalen Zusammenarbeit einnehmen. Dabei gilt es, die Rechte lokaler Bevölkerungen zu wahren und Entwicklungsakteure wie Entwicklungsbanken dazu zu verpflichten, keine Investitionen in fossile Energien zu tätigen oder zu fördern. Darüber hinaus wollen wir das Abziehen von bestehenden Finanzanlagen in Kohle-, Öl- und Gasunternehmen aus fossilen Energien (Divestment) aktiv vorantreiben. Neue öffentliche und öffentlich-private Investitionen sowie Inves­ titionsgarantien im Energiesektor wollen wir auf erneuerbare Energieformen ausrichten. Die globale Energiewende soll unter Berücksichtigung von Kriterien für umwelt- und sozialverträgli­ che Investitionen durch die verstärkte Förderung Erneuerbarer Energien im Globalen Süden voranschreiten. Dazu wollen wir die Unterstützung für Programme Erneuerbarer Energien insbeson­

11 dere durch lokale und dezentrale Ansätze stark ausbauen, denn kein oder nur unzureichender Zugang zu Energie ist noch immer ein wichtiger Faktor für Armut.

SDG-TÜV: Folgeabschätzung für Nachhaltigkeit und Menschenrechte Wir fordern eine Folgeabschätzung für Nachhaltigkeit und Menschen­rechte auf Regierungsebene. Dafür wollen wir den derzeitigen Staatssekretärsausschuss zu einem Kabinettsaus­ schuss – dem Rat für Nachhaltigkeit und Menschenrechte – unter Federführung des Kanzleramtes aufwerten. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBNE) sowie die Ausschüsse des Bundestages sollen den Kabinettsausschuss beauftragen können, einzelne Regierungsvorhaben oder Gesetzentwürfe auf ihre Konsequenzen für Nachhaltigkeit und Menschenrechte hin zu überprüfen, bevor sie vom Kabinett beschlossen werden. Das Ergebnis dieser Folgeabschätzung machen wir öffentlich. Gleichzeitig wollen wir den PBNE in der Geschäftsordnung des Bundestages verankern. Den Rat für nachhaltige Entwicklung bauen wir zu einem genuinen Beratergremium aus Forschung und Zivilgesellschaft um. Dessen Mitglieder werden dann von den Mitgliedsorganisationen entsandt und nicht mehr vom Kanz­ leramt benannt.

12 2. Ökologische Agrarwende statt Gift und Gentechnik

Bäuerliche Landwirtschaft fördern – hier und weltweit Nach wie vor fördert die Entwicklungszusammenarbeit agrarin­ dustrielle Landwirtschaft. Für uns steht dagegen die Förderung einer nachhaltigen, standortangepassten, bäuerlichen Land­ wirtschaft im Zentrum, die Ressourcen schützt, Biodiversität fördert, Perspektiven für Bäuerinnen und Bauern schafft, mehr Wertschöpfung vor Ort bringt und der Umsetzung des Rechts auf Nahrung dient. Dazu wollen wir Produktions- und Nachern­ teverluste reduzieren, die Selbstorganisation der bäuerlichen Landwirtschaft vor Ort stärken und weiterverarbeitende Betriebe und Industrie fördern. Wir fordern zudem eine Neuausrichtung der EU-Agrarsubventionen. Denn schädliche Subventionen be­ hindern die ökologische Landwirtschaft, während die Exporte der europäischen Agrarindustrie – insbesondere die von Fleisch und Milch – die Märkte in Entwicklungsländern bedrohen.

Saatgut für alle statt globaler Monopole Agrarkonzerne wie Monsanto und Syngenta kontrollieren bereits jetzt große Teile des weltweiten Saatgut-, Düngemittel- und Pestizidmarktes. Das schafft riskante Abhängigkeiten und zerstört die Artenvielfalt. Wir wollen die Rechte der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Entwicklungsländern auf freien Austausch und kostenlose Wiederaussaat von Saatgut sichern. Entwicklungs­ länder zu Regelungen zu zwingen, die das Recht auf Nahrung bedrohen, lehnen wir ab. Darüber hinaus wollen wir den Auf- und Ausbau lokaler Saatgutbanken fördern, damit traditionelles Wis­

13 sen und die biologische Vielfalt erhalten und zugänglich bleiben. Sortenvielfalt ist ein wichtiger Baustein, um das Recht auf Nah­ rung zu verwirklichen und die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels zu machen.

Zugang zu Land sichern Der Zugang zu Land als zentrale Ressource gerät unter Druck – sowohl durch die Palmölplantagen transnationaler Konzerne als auch durch die Machenschaften korrupter Eliten. Im Rahmen von Investitionsgarantien, Investitionsschutz und Investitionsförde­ rung sowie der öffentlichen Mobilisierung privaten Geldes für Investitionen fordern wir die verbindliche Umsetzung der Frei- willigen Leitlinien zur verantwortungsvollen Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern.

3. Kampf gegen soziale Ungleichheit

Soziale Sicherung weltweit stärken: WHO-Empfehlung umsetzen Weltweit leben gut drei Viertel aller Menschen ohne jegliche Ab­ sicherung für Krankheit, Arbeitslosigkeit, Unfall und Alter. Dabei ist die Absicherung dieser Risiken ein grundlegender Baustein, um sozialer Ungleichheit zu begegnen. Der Aufbau von Gesund­ heits- sowie sozialen Sicherungssystemen muss daher stärker in den Fokus der Entwicklungszusammenarbeit gerückt werden. Wir wollen deshalb 0,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich zur Verfügung stellen.

14 Bildung für alle: Förderung ausbauen Auch der Zugang zu Bildung ist ein zentraler Baustein im Kampf gegen soziale Ungleichheit. Wir wollen deshalb verstärkt dem finanziellen Bedarf und der Förderung frühkindlicher Bildung und Grundbildung nachkommen. Dafür wollen wir die deutschen Beiträge für UNICEF, für die Global Partnership For Education und den Fonds Education Cannot Wait deutlich erhöhen. Auch im Rahmen der regulären Entwicklungszusammenarbeit sowie in der Übergangshilfe und der zivilen Krisenprävention wollen wir verstärkt Bildungsprojekte ausbauen.

Frauen und Mädchen in den Fokus Strukturelle Ursachen wie der Mangel an Rechten und Selbstbe­ stimmung, unzureichender Zugang zu Bildung und Ressourcen sowie fehlende politische Partizipation verhindern weltweit eine geschlechtergerechte Gesellschaft. Vor allem Armut ist nicht geschlechtsneutral, denn Frauen und Mädchen sind überpropor­ tional davon betroffen. Aber auch auf der Flucht oder infolge von Naturkatastrophen sind Frauen und Mädchen besonderen Gefah­ ren ausgesetzt. Wir setzen uns deshalb für die gezielte Förderung von Frauen und Mädchen ein. Wir führen die Gender-Zielgröße im Entwicklungsministerium wieder ein; setzen auf Gender-Bud­ geting, um Geschlechtergerechtigkeit konkret und transparent abzubilden; und schaffen ein effektives Monitoring für den Genderaktionsplan. Zudem wollen wir eine verstärkte Förderung im Bereich der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmungs­ rechte und der Gesundheit von Frauen und Mädchen.

15 4. Für eine gerechte Wirtschafts- und Handelspolitik

Gute Arbeit weltweit: Unternehmensverantwortung ins Gesetz In den internationalen Lieferketten wollen wir die Ausbeutung beenden. Auch Unternehmen sind verantwortlich für die gesell­ schaftlichen Folgen ihres Handelns und müssen Umwelt- und Sozialstandards einhalten. Es braucht deshalb gesetzlich veran­ kerte menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen und umfassende Transparenz. Zudem muss den Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen Zugang zu zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten gesichert werden, zugleich müssen die verantwortlichen Unternehmen sanktioniert werden.

Fairer Handel: Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Afrika stoppen und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung neu verhandeln Eine gerechte Handels- und Investitionspolitik ist zentraler Baustein für eine nachhaltige Entwicklung. Die ausgehandelten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit Afrika drohen eine eigenständige, breitenwirksame und nachhaltige Entwick­ lung in den Partnerländern zu verhindern. Deshalb wollen wir die EPAs mit Afrika stoppen und neu verhandeln. Wir setzen auf asymmetrische Marktöffnung und die Möglichkeit für Ent­ wicklungsländer mit gezielten handelspolitischen Maßnahmen – etwa Exportsteuern oder dem umfangreichen Schutz junger Industrien – eine selbstbestimmte Entwicklung auf Grundlage einer diversifizierten Industrie und Wertschöpfung vor Ort zu gestalten. Dabei legen wir großen Wert darauf, dass neben den

16 völkerrechtlich verbrieften Menschenrechten auch Umweltstan­ dards eingehalten und zu diesem Zweck sanktionsbewährt in den Abkommen verankert werden.

Globale Investitionen nachhaltig gestalten Investitionen in Entwicklungsländern sollen nachhaltig sein, Wissen und Technologie transportieren sowie Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Ohne angemessene Steuerung fließen aber öffentlich mobilisierte Privatgelder häufig an den international vereinbarten Zielen und den Interessen der Entwicklungsländer vorbei. Die bilateralen Investitionsschutz- und Förderverträge verschaffen ausländischen Investoren zudem Klageprivilegien, aber keine Pflichten. Wir wollen deshalb die Klauseln zu privaten Schiedsgerichten in allen bilateralen Investitionsschutz- und Förderverträgen aufkündigen. Wir wehren uns dagegen, dass Gewinne aus öffentlich mobilisierten Investitionen überwiegend privatisiert werden, während die Verluste vor allem die Allge­ meinheit tragen muss. Darum sind verbindliche Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien sowie Transparenz und ausreichen­ de Kontrollmechanismen in diesem Bereich unerlässlich – bei der Vergabe ebenso wie bei der Umsetzung von Investitionen in Entwicklungsländern.

17 5. Globale Steuer- und Finanzmarktarchitektur gerecht gestalten

Staaten-Insolvenzverfahren: Schuldenkrisen geordnet begegnen Die globale Steuer- und Finanzmarktarchitektur muss auf ihre eigentlichen Aufgaben reduziert werden und dem Gemeinwohl dienen. Über 100 Länder des Globalen Südens sind von einer Über­schuldung und damit der Staatspleite bedroht. Diese prekä­ re Situation gefährdet eine nachhaltige Entwicklung und zerstört wichtige Fortschritte der letzten Jahre. Die Argentinienkrise 2001/2002 hat deutlich gemacht, dass Staaten pleitegehen können und welche sozialen Folgen das für die Bevölkerung hat. Dennoch wurde dahingehend bis heute kein geregelter Mecha­ nismus geschaffen. Wir setzen uns deshalb ein für die Entwick­ lung eines bei den Vereinten Nationen angesiedelten Staaten-In­ solvenzverfahrens sowie wirksame gesetzliche Regelungen zur Kontrolle von sogenannten Geier-Fonds.

Steuerkommission unter dem Dach der Vereinten Nationen Wir fordern eine Steuerkommission auf Ebene der Vereinten Nationen, die die globale Steuerarchitektur an die Erfordernis­ se einer global gerechten Entwicklung anpasst. Sie muss die Kompetenz haben, unter gleichberechtigter Beteiligung der Länder des Globalen Südens ambitionierte Standards für die internationale Steuerpolitik zu setzen – unter anderem, indem sie entwicklungsorientierte Musterabkommen in Bereichen wie Doppelbesteuerung, länderbezogener Offenlegungspflichten oder dem automatischen Austausch von Steuerinformationen entwickelt.

18 Steuervermeidung beenden und Wertschöpfung vor Ort besteuern Entwicklungsländern entgehen hunderte Milliarden an Steuer­ einahmen durch Steuervermeidungstricks von Unternehmen. Wir setzen uns für den steuerpolitischen Grundsatz ein, Wertschöp­ fung in dem Land zu besteuern, in dem sie entstanden ist. Steu­ ersümpfe gehören ausgetrocknet. Transnationale Unternehmen müssen grundsätzlich als eine wirtschaftliche Einheit besteuert werden – Stichwort: unitary taxation –, denn nur so lässt sich Steuervermeidung bekämpfen. Auch fordern wir umfassende länderbezogene Offenlegungspflichten für transnationale Unter­ nehmen und öffentliche Transparenzregister für wirtschaftlich Berechtigte zur Schaffung weitreichender Transparenz in Steuerfragen. Die von Deutschland abgeschlossenen Doppelbe­ steuerungsabkommen führen darüber hinaus häufig dazu, dass Entwicklungsländern wichtige Steuereinnahmen entgehen. Wir wollen, dass bestehende entwicklungsschädliche Doppelbesteu­ erungsabkommen zeitnah ersetzt werden. Stattdessen wollen wir doppelte Nichtbesteuerung als auch den Abbau von Quellensteu­ ern weltweit verhindern. Schließlich wollen wir uns für effiziente Steuerverwaltungen und faire Steuersysteme im Globalen Süden stark machen, denn eine nachhaltige Entwicklung braucht dauer­ hafte und verlässliche Steuereinnahmen.

19 KONTAKTE:

Deutscher Platz der Republik 1 11011 Berlin

Uwe Kekeritz MdB (V. i.S.d.P.) 030-227-77346 [email protected] www.uwe-kekeritz.de

Claudia Roth MdB 030-227-72027 [email protected] www.claudia-roth.de

Dr. MdB 030-227-71712 [email protected] www.frithjof-schmidt.de

Anja Hajduk MdB 030-227-79091 [email protected] www.anja-hajduk.de

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