WELTMACHT FUSSBALL

Der Krieg der Elefanten ELFENBEINKÜSTE: Politik, sagt man, sei das eine, Fußball das andere. Die Nationalelf aber glaubt, den Bürgerkrieg im Land beenden zu können. VON ULLRICH FICHTNER

s sind Flugzeuge über der Stadt, um den Schiedsrichter, ob überhaupt ein Zokora trägt die Nummer 5 der Natio- vierstrahlige Uno-Maschinen, sie Tor gefallen sei. Das Spielfeld endet nicht nalmannschaft von Côte d’Ivoire. Mit 17 Ezeigen ihre grauen Bäuche im Tro- an Linien, sondern dort, wo die Füße des schon, vor 8 Jahren, machte er sein erstes penhimmel, sie überfliegen Abobo im Publikums beginnen, und die Zuschauer Spiel für die Elefanten, es war ein 2:2 ge- Norden, seine erdigen Slums und Märkte, tragen Sonntagskleidung, frische Trikots, gen Tunesien, 1998 in . Zokora sie überfliegen die Prachtbauten der Rei- die doppelt hell leuchten im Ocker, im kam damals zur Halbzeit, und er wurde chen und Mächtigen von Cocody, das Umbra, im fahlen Braun westafrikanischer seitdem nicht mehr oft ausgewechselt. große Wasser der Lagune Ébrié, sie über- Luft: Juventus Turin. Paris St. Germain. Es gibt Mittelfeldspieler, die eigentlich fliegen Frankreichs Kasernenstadt Port- Arsenal . Bayern München. Ajax Stürmer sind, und solche, die besser Ver- Bouët im Süden, sie landen Schlag auf Amsterdam. FC Barcelona. teidiger wären. Zokora ist für die Mitte Schlag in Abidjan, und wenn gerade Sonn- Es ist weit nach Europa von Abidjan, geboren, er ist für das Kraftzentrum des tag ist, später Nachmittag, dann passieren weit nach Europa von Yopougon, das ist Fußballs gemacht, für das mittlere Drittel sie im Sinkflug grob geschätzt 2000, 3000 der westlichste Teil Abidjans, ein Viertel des Geschehens, wo sich ständig zehntau- zeitgleich laufende Fußballspiele. wie ein afrikanischer Bilderbogen voller send Optionen bieten, wo das Spiel keinen Kinder füllen die Straßen, Halbstarke Kleinstläden für Batterien oder Schwäm- Rand hat, wo die Mannschaft im Angriff sind auf den Plätzen, wenn aus der ausla- me oder Bonbons entlang den Straßen, in Splittersekunden die wesentlichen Ent- denden Vier-Millionen-Stadt an der zer- voller Märkte, auf denen sich faustgroße scheidungen zu fällen hat. fransten Atlantikküste langsam die größte Schnecken finden, Buschwild, Ananas, Zokora ist schnell, und er war es von Hitze weicht, dann beginnt das große Kokosnüsse wie haarige Tierschädel zu klein auf. In den Straßen um sein Eltern- Spiel, überall, in den Vierteln Adjamé und Bergen aufgetürmt. Auch hier spielen sie, haus finden sich Augenzeugen dafür in Attecoube, in Treichville und Vridi, in Pla- die Kinder, die Männer, sie spielen barfuß Scharen, Freunde von damals, gealterte teau und Rivera, sie spielen am Hafen, an oder mit Korodjos an den Füßen, das sind Talente, die mit ihm spielten im Staub der den Stränden, auf Parkplätzen, unter Pal- weiße Riemchenschuhe aus Plastik, das Straßen. Er war nicht nur ein schneller men, sie spielen auf zwei oder nur auf ein Paar zu 700 Franc, macht einen Euro, fünf Läufer, sondern schnell vor allem in den Tor, auf Hockeygehäuse, auf Kleiderhau- Cent. Hüften, in den Schultern, im Becken, er ist fen, sie schießen auf Tore, markiert von Frauen in grellem Tuch kreuzen die es geblieben bis heute, und das bringt ihm, Ästen, Mülltüten, Waschpulvertonnen. Spielfelder mit gewaltigen Kopflasten, Mann gegen Mann, endlose Möglichkeiten Olympic Sport Abobo spielt, die Junio- Eselskarren ziehen durch die Tore, Zie- der Täuschung. ren in Gelb-Blau, sie treiben den Gegner genmärkte ufern aus in den Strafraum, es Zokora kann eine Bewegung seines von Etoile Sportive in die Enge auf einem weht Wäsche hinter jeder Szene, vor je- Körpers binnen eines Wimpernschlags Spielfeld aus welliger, senfbrauner Erde, dem Haus, und vor jedem fünften steht zurücknehmen und in die Gegenrichtung ein Schulhof eigentlich, in den die Regen- ein verwitterter, handbemalter Kicker- drehen, er gibt seinen Gegnern Rätsel auf, zeit tiefe Rinnen gegraben hat. Die Bälle tisch. Die Metzgerläden hier heißen über die sie noch grübeln, wenn er schon, springen so unkontrollierbar auf wie Rug- „Gottes Wille geschehe“, und Bäckerge- längst an ihnen vorbei, seine Mitspieler by-Eier, bei Pfostenschüssen wollen die schäfte nennen sich „Der Herr sei mein mit schnurgeraden Pässen bedient. morschen Tore stürzen, und es sind stän- Hirte“, hier, in einem verwinkelten Vier- Seine Karriere lässt sich auf viele Wei- dig, weil auch am Spielfeldrand überall tel aus einstöckigen, fensterlosen Beton- sen erzählen, die einfache Variante ist die Knäuel von Kindern ihre Turniere spielen, bauten, auf einem Platz von vielleicht 20 Geschichte vom Kind aus armer afrikani- zwei, drei Bälle auf dem Feld, aus Plastik, mal 30 Metern, zwischen Großmüttern, scher Vorstadt, das durch Talent und Fleiß aus Leder, aus verknoteten Lumpen. die Getreide stampften, und Tanten, die und Gottesglauben seine Ziele erreicht. Er Die Tout-Puissants aus Koumassi spie- die Wäsche walkten, trat , wurde entdeckt erst in seiner Straße, dann len, die „Allmächtigen“ in Rot-Weiß, sie den sie den „Maestro“ nennen, zum ers- in seinem Viertel, dann in Yopougon, dann waren schon einmal Meister der Fußball- ten Mal gegen einen Ball. kannte man ihn bald in ganz Abidjan. Er schulen von Abidjan, sie haben es mit Es- spielte für ASEC Mimosas, das ist das Bay- perance 2005 zu tun, im wütenden Kampf ern München Westafrikas, er wurde gezo- verschwindet der Ball in Wolken aus Die Zuschauer tragen gen für die Nationalmannschaft der Juni- Staub, der Platz ist so uneben wie ein um- oren, reiste mit ihr zu Turnieren, wurde gepflügter Kartoffelacker, umstanden von Sonntagskleidung – entdeckt, wurde gekauft, und jetzt findet räudigen Betonbauten, Omo-Plakatwän- um ihn, in diesen Wochen und Monaten den und Hütten, mit Wellblech gedeckt. Trikots von Juventus vor der WM 2006, ein Bietergefecht statt, Bei Torschüssen zischt der Ball durch Turin, Arsenal London, in dem es um Millionen geht. die löchrigen Netze, so dass nach jedem Es geht für Zokora, den im Moment

Treffer diskutiert werden muss, im Pulk FC Barcelona. noch unersetzlichen Regisseur des AS KAMBOU SIA / AFP

52 spiegel special 2/2006 Drogba und Co. auf Jubelparade nach dem Afrika-Cup DESMAZES / PICTURE ALLIANCE / DPA ALLIANCE DESMAZES / PICTURE Milizen im Norden des Landes, Training der „Allmächtigen“: Dunkle Vergleiche mit Ruanda vor den Massakern

St. Etienne, um den Durchbruch in die nem Traum. „Didier hat mir zum Ge- schallend. Sie macht eine große Armbe- Champions League, es geht um Namen burtstag ein Auto geschenkt“, sagt die wegung durch ihr Wohnzimmer und sagt: wie Chelsea. Wie Manchester. Wie Lyon. Mutter, „stellen Sie sich vor: einen BMW, „Aber sie sind doch alle hier!“ Dort, an Turin. Mailand. Es geht darum, dass sich mit einem Chauffeur.“ der Wand, lachen jetzt all die anderen Lebenskreise wunderbar schließen, dar- Danach spricht sie lange und liebevoll Frauen, die festlich gekleideten Gäste, es um, dass Zokora die Trikots, die er als von ihrem Kind, einem von sieben: Fünf sind die Mütter von Arouna Koné, PSV Kind in Abidjan an Sonntagen an jeder Brüder hat Zokora und eine Schwester. Eindhoven, von Bakari Kone, O.G.C. Ecke sah, in naher Zukunft selbst, auf ei- Die Mutter erinnert sich der Zeiten, als Nizza, von Emmanuel Eboue, Arsenal nem Fußballfeld, wird tragen dürfen. der Kleine verschwunden war tagelang, London, von , RC Lens, Seine Eltern wohnen jetzt in einem verstrickt in seine endlose Fußballspiele- von , RC Strasbourg, von großen Haus in Yopougon, das aussieht rei. Sie erzählt, wie sie seine Kleider ver- Jean-Jacques Tizié, Espérance Tunis. wie ein Bunker hinter hohen Mauern, ein steckte, um ihn am Spielen zu hindern, Es fehlen ein paar, die Mütter von Kolo Geschenk des erfolgreichen Sohns, be- und wie er sich trotzdem davonmachte, Touré, Arsenal London, von Bonaventure zahlt vom ersten Geld, das er als Profi in nur mit einem Tuch um die Lenden. Kalou, Paris St. Germain, sie haben sich Europa verdiente. Der Bau steht in einem entschuldigt, denn dies hier ist eine Ver- Zug besserer Straßen, dort parken schöne einssitzung, ein Treffen der Amef, und Autos vor Garagen, und kein Marktbe- Sie spielen barfuß oder Amef heißt so viel wie „Mütterclub der trieb stört die Ruhe der Tage. Elefanten“. Gewiss wäre auch Madame In der Mauer öffnet sich eine Metalltür mit weißen Riemen- Drogba dabei, die Mutter des Sturmwun- auf einen kleinen Hof, darin sitzt Zokoras schuhen aus Plastik, ders von Chelsea. Aber die Familie hat Vater Augustin wie ein Fürst, in knöchel- das Land verlassen, vor 20 Jahren schon, langem, besticktem Gewand. Im Schatten das Paar zu einem als ein 4-jähriges Kind war. lungern die Brüder. Vater Zokora ist ein Zokoras Elternhaus in Yopougon ist an der Diabetes kranker Mann, das Weiß Euro und fünf Cent. jetzt voller Geschichten bis in den Abend seiner Augen schimmert gelb. „Ich bin hinein, die Mütter schnattern durcheinan- nur noch am Leben,“ sagt er, „weil mir Di- Als die Familie noch zu neunt in engen der, Frauen aus dem Norden, Frauen aus dier die Operationen bezahlt hat.“ Räumen lebte, die Küche dort nur ein dem Süden, Frauen, die zu Allah halten, Alphonsine, die Mutter, eine Kinder- schwarzes, verrußtes Erdloch, lief die hal- und Frauen, die zur Mutter Maria beten, gärtnerin, die noch immer jeden Tag ar- be heutige Nationalmannschaft der Elfen- man muss das erwähnen, wenn es um die beiten geht für 170 Euro Lohn im beinküste durch die Wohnung der Zoko- Elfenbeinküste geht, denn es geht dabei Monat, bittet in den Salon, es ist Sonntag. ras, zehn-, elf-jährige Knaben damals, die vor allem um Zwietracht und Krieg. Der Weg führt vorbei an kleinen Schrei- nicht in die Schule wollten, nicht an den Es hätte aus Didier Zokora und den nen für die Heilige Mutter Gottes von Esstisch, nicht ins Bett, die immerfort die anderen Söhnen weit weniger und weit Lourdes, drinnen der große Raum ist ge- Welt vergaßen, sobald in der Nähe ir- weniger Vorzeigbares werden können, das richtet wie für ein Fest, Schüsseln mit Es- gendwo das schmatzende Geräusch eines betrifft eine andere Möglichkeit, die Ge- sen stehen auf breiten Tischen, Frauen sit- aufspringenden Balles zu hören war. schichte Zokoras zu erzählen. Denn als zen die Wand entlang in üppigen Gewän- Hat sie noch Kontakt zu den anderen er reif wurde, vor sechs Jahren, für die dern, Kreuze um den Hals oder Schleier Müttern? Alphonsine Zokora macht ein europäischen Ligen, als sich für ihn die um den Kopf, es ist eine Szene wie aus ei- leeres Gesicht, dann lacht sie laut und kühnen Hoffnungen erfüllten, zerfiel in

„Stadium“-Bar mit dem Porträt des Spielers Zokora (l.), Platz in Attecoube: Der Bürgerkrieg ist manchmal nur ein fernes Rauschen SCOTT NELSON / WPN / AGENTUR FOCUS / WPN AGENTUR (O.R./L./R.) NELSON SCOTT PHILIPPE MASSEGUIN PHILIPPE Feierabendkick, Zokora in seiner Heimatstadt Abidjan: Schock in der Fremde seinem Rücken die Heimat, Stück für von Auxerre, von Straßburg und Nantes. nationale Reisebüros, französische Schu- Stück. Für seine Heimat handelte Frankreich, bis len, oppositionelle Zeitungen, ein Mob zog Als er 1999 bei einem Junioren-Turnier 1960 Kolonialherr der Elfenbeinküste, die durch die Stadt und ließ alle Weißen, und in Toulon von den Spähern des belgischen Bildung einer Regierung „der nationalen die Franzosen zumal, Spießruten laufen. Erstligisten KRC Genk entdeckt wurde, Versöhnung“ aus, man gelobte die Ent- Frankreich verstärkte seine Militärope- putschte sich daheim der General Robert waffnung der verfeindeten Parteien, aber ration „Licorne“ auf 6000 Mann, es wur- Gueï mit Teilen der Armee an die Macht deren Mühe währte nicht lang. de mit dem Schlimmsten gerechnet, es und beendete eine Epoche von 39 Jahren Ein Jahr später, als Zokora 2004 seinen wurden 6000 Ausländer über eine drama- ruhiger, postkolonialer Geschichte. Fünf-Jahresvertrag bei AS St. Etienne un- tisch inszenierte Luftbrücke evakuiert, der Ein Jahr später wagte Zokora wirklich terschrieb, zerbrach in Yamoussoukro, der Uno-Sicherheitsrat tagte, sanktionierte, den Sprung nach Genk. Und trotz Frem- kleinen künstlichen Hauptstadt der Côte die EU appellierte, und in Leitartikeln fan- de und Kälte gelang es ihm, sich in den d’Ivoire, die Einheitsregierung, man hör- den sich Vergleiche mit der Lage in Ruan- ersten Spielen als zentraler Mittelfeld- te von rassistischen Mordtaten, und seit da vor den Massakern. Die Elfenbeinküste spieler zu etablieren. Zurück in der Hei- April standen über 6000 Uno-Blauhelme war nicht mehr das Land, in dem Zokora mat ließ sich Laurent Gbagbo im Zuge fri- im Land, um die verfeindeten Landestei- Kind war. Sie war jetzt ein hässliches Bild sierter Wahlen zum Präsidenten wählen. le durch eine Pufferzone zu trennen. in den Fernsehnachrichten. Die neue Führung ging daran, den Reich- Mit der Nationalmannschaft spielte Zo- Das hörte nicht auf im Jahr 2005. Zo- tum des Landes für die eigenen Clans kora um die Qualifikation für die WM in koras Spielkunst weckte das Interesse von nutzbar zu machen, vor allem die Gewin- Deutschland. Sie spielten, bis auf den Tor- Monaco, Lyon und Marseille. Das Natio- ne aus der weltgrößten Kakaoproduktion, hüter alle europäische Exilanten, mit ban- nalteam kämpfte in der Rückrunde der und sie diktierte dem Volk eine Debatte gem Herzen für ihr Land, in dem die meis- Qualifikation um die erste WM-Teilnahme darüber, wer eigentlich Ivorer sei und wer ten von ihnen Kinder waren, Kinder des des Landes, im März gegen Benin, im Juni nicht, ein giftiger Gedanke in einem Land, Nordens, Kinder des Südens. Bis heute ist gegen Libyen und Ägypten. Im Oktober in dem bis dahin 60 Ethnien geräuschlos die Equipe eine Melange der Ethnien und fanden die von den Uno geforderten Neu- miteinander gelebt hatten. Religionen kreuz und quer zu den Bürger- wahlen nicht statt, weil sich Amtsinhaber Zokora wurde belgischer Fußball-Meis- kriegsfronten, niemand stört sich daran bei Gbagbo, ein korrupter kleiner König, das ter mit Genk 2002. In der Champions Siegesfeiern, und im Team hätte keiner sich Mandat per Dekret verlängerte. League schieden sie sieglos nach der Vor- je die Frage gestellt, ob er ein „richtiger“ Es half ihm sehr, dass sich im Oktober, runde aus, unter anderem von Real Ma- oder ein nur „zugewanderter“ Ivorer sei. am 8. des Monats, das „Wunder von Om- drid mit 6:0 nach Hause geschickt. In der Sie spielten Fußball. Gegen Libyen und durman“ ereignete: Die Elfenbeinküste Elfenbeinküste brach jetzt der Krieg aus. Ägypten im Juni 2004, gegen Kamerun im qualifizierte sich mit einem 3:1-Sieg ge- Das Land zerfiel in Nord und Süd, Teile Juli, gegen Sudan im September, gegen gen Sudan doch noch für die verloren ge- der Armee desertierten und formierten Benin im Oktober, sie spielten gut, sie wur- glaubte WM-Teilnahme, weil Kamerun in sich im Norden neu als Rebellenbewe- den, in den Kampfpausen zu Hause, wie der Nachspielzeit gegen Ägypten den ent- gung. Es wurde entlang willkürlichen eth- Götter gefeiert. Aber im Lauf der Monate scheidenden Elfmeter verschoss und den nischen und religiösen Linien gekämpft, es heizte sich die Lage im Land weiter auf. Im Gruppensieg verschenkte. wurde geschossen, gebombt, gestorben. November 2004 flog die Luftwaffe Angrif- Die Elefanten wurden eingeflogen zum Im Jahr darauf sah sich Zokora erst- fe auf Ziele im Norden, in Abidjan ver- Triumphzug, in einer vom Präsidenten ge- mals umworben, von Lille damals noch, wüsteten präsidententreue Milizen inter- stellten Maschine, die Massen in Abidjan

Mittagspause, Videoschulung in der ASEC-Akademie: Leben und Lernen beim Bayern München Westafrikas SCOTT NELSON / WPN / AGENTUR FOCUS / WPN AGENTUR (O.L./L./R.) NELSON SCOTT SCOTT NELSON / WPN / AGENTUR FOCUS / WPN AGENTUR NELSON SCOTT Mütterclub der Nationalmannschaft: Stolze Eintracht kreuz und quer zu den Fronten des Bürgerkriegs umlagerten den Flughafen Félix Hou- Stimmung, als hätten sie keine Lust, über denken, wenn sie beim Anpfiff stehen. Er phouët-Boigny schon Stunden vor der Fußball zu reden, wo es so viel Wichtige- predigt ihnen, dass Fußball die eine Sache Landung, dann fuhren die Helden, in of- res, Existentielleres zu besprechen gab. sei und Politik eine andere. Dass Schüsse fenen Wagen, Soldaten mit Kalaschnikows , der französische Trainer auf dem Spielfeld mit Schüssen aus Ge- an der Seite, in stundenlanger Kriechtour der Elefanten, Kettenraucher und ein Ge- wehren nichts zu tun haben. Aber die zum Präsidentenpalast, wurden fürstlich nie seines Fachs, Pastis-Trinker schon mit- prekäre Lage in der Heimat läuft immer bewirtet, wurden von Gbagbo zu „Rittern tags, der mit Frankreich als Spieler und als mit aufs Feld, als zwölfter Mann, wenn des Verdienstordens“ geschlagen und mit Trainer zu Weltmeisterschaften fuhr, der die Elefanten kommen. Sie fühlen sich dem Versprechen verabschiedet, jeder von 1994 Kamerun zur WM in die USA zum Siegen moralisch verpflichtet, weil ihnen werde für die WM-Qualifikation coachte, 1998 Marokko zur WM in Frank- Siege die Nerven beruhigen. Niederlagen eine Villa in Abidjan im Wert von Millio- reich, jetzt die Elfenbeinküste, er machte, aber verschärfen die Wut. Sie wollen, in nen als Geschenk erhalten. im Garten des Mövenpick mehrmals hin- der Gefahr, das Rettende sein. Dass Sport und Politik miteinander Es ist deshalb doppelt schwer, ein ivo- nichts zu tun hätten, das ist kaum irgend- rischer Nationalspieler zu sein in diesen wo eine so leere Behauptung wie im Lan- „Didier hat mir ein Zeiten. Auf Titelseiten von Sportmagazi- de Côte d’Ivoire. Die Unruhe in der Hei- nen werden Drogba und Co. als hartge- mat überträgt sich auf die Nationalmann- Auto geschenkt“, sagt sottene Söldner gefeiert, als furchterre- schaft der Fußballer und auf ihr Spiel, das die Mutter, „stellen gende schwarze Fußballmacht, aber wenn war nirgends deutlicher zu spüren als sich die Tür schließt hinter ihnen, und sie während des Afrika-Cups im Januar und Sie sich vor: einen auf ihren Zimmern Trainingspause haben, Februar dieses Jahres. produzieren sie unglaubliche Telefon- Im Mannschaftshotel weit draußen am BMW, mit Chauffeur.“ rechnungen bei ängstlichen Gesprächen Kairoer Airport herrschte gedämpfte mit ihren Müttern, Brüdern, Schwestern. Stimmung selbst nach den schönen Siegen tereinander eine Bewegung, als müsste er Sie haben, sagt man im Sport, den Kopf gegen Kamerun und Nigeria. Junge Spie- einen tonnenschweren Rucksack schultern. nicht frei. Sie spielen nicht. Sie befinden ler kamen bedrückt die Treppe vom Spei- „Das ist die Lage meiner Leute“, sagte er. sich auf einer Friedensmission. sesaal herunter, und wer sie nach dem „Sie laufen mit viel Gepäck auf. Sie glau- Didier Zokora federt die Treppe her- Grund fragte , bekam zur Antwort, dass es ben, der Frieden hängt von ihnen ab.“ Er unter in die Kairoer Hotellobby während zu Hause schlechte Nachrichten gebe, und sagte das ohne Ironie. des Afrika-Cups. Er ist ein mittelgroßer das hatte selten mit ihren Familien zu tun, Einer wie er, abgebrüht durch jahrelan- drahtiger Mann, 25 Jahre, 1,79 Meter groß, sondern mit der Politik, mit neuen Schar- ge Erfahrungen mit Afrika, durch die Welt 72 Kilogramm schwer, er wirkt größer mützeln, mit dem Krieg. gekommen, kann sich mokieren darüber, auf dem Feld, massiver auch. Er macht Didier Drogba, Chelseas Star, brach Ge- wenn in Abidjan von Zeit zu Zeit „Men- für die Mannschaft oft den Spaßvogel, spräche ab, mit dem italienischen Fernse- schen meiner Hautfarbe nicht so gern ge- er tanzt, wenn die anderen muffig im Bus hen einmal, wenn er merkte, dass seine sehen werden“. Aber um seine Leute ist sitzen, er singt, wenn die anderen schlafen Gegenüber nichts von der Lage in der El- es ihm bang. Sie sind jung, sie sind naiv, wollen. Er trägt Ringe in beiden Ohren, fenbeinküste wussten. Bei allen Begeg- sie nehmen die Dinge persönlich. Er be- Gold um den Hals, er ist einer, der leicht- nungen mit den Spielern herrschte eine kniet sie zwar, an nichts als an Fußball zu sinnig wirkt zuerst, unbelastet, frei.

56 spiegel special 2/2006 ISSOUF SANOGO / AFPISSOUF SANOGO Torjubel der Elefanten: Sie fühlen sich zum Siegen moralisch verpflichtet

Aber Zokoras Gesicht, aus der Nähe, Zokora hat selbst Kinder, zwei kleine York, Brüssel und Paris seit Jahresbeginn das ist ein seltsam erschüttertes Gesicht. Töchter, Sarah und Nadja, und er hat in den Frieden suchen. In der Lobby dort Es hellt sich auf, wenn er von seiner Zeit seinem Leben schon ein Kind verloren, streichen Bodyguards der Präsidenten- als Internatszögling in der Fußball-Aka- seinen geliebten kleinen Bruder Arman- familie um die Tische und versprechen In- demie des ASEC Mimosas erzählt, dem do, zwei Jahre jünge als er, ebenso be- terview-Termine, es laufen Offizielle mit einzigen Trainingszentrum in Abidjan gabt, ebenfalls in der ASEC-Akademie. Aktenmappen von links nach rechts und nach europäischen Maßstäben, mit fla- Aber der Junge starb, am 18. Oktober zurück, vielleicht ist das die Ruhe, wie chen, gepflegten Rasenplätzen, präzis ge- 1997, er ertrank beim Baden im Meer, er man sagt, im Auge des Orkans. kalkten Linien, Duschräumen, Umklei- war erst 15, und Didier lief hilflos am Aber wer sich nicht für Krieg, sondern den. Dort lebte und lernte Zokora, dort Strand herum, zu weit weg, ihn zu retten, für den Fußball interessiert, muss einmal lebte und lernte die Hälfte des heutigen er sah ihn untergehen im Wasser, Arman- hinausfahren vor die Tore Abidjans, wo Nationalkaders der Elfenbeinküste. do, dem er damals seine Karriere widme- das Waisenhaus von Bingerville liegt. Es Zokora erzählt von seiner Ankunft in te und dessen Namen er sich auf den rech- war einmal die Regierungszentrale der El- Belgien, er erzählt vom Schock des da- ten Unterarm, in schwarzen Lettern, täto- fenbeinküste, der Palast des französischen mals 19-Jährigen darüber, wie anders Eu- wieren ließ. Kolonialverwalters. Das Haus ist eine ropa war als in den Kinderträumen, wie Wer Zokoras Heimat in den Wochen große, verspielte Villa mit breiten Veran- kalt die Winter, wie versalzen das Essen. nach dem Afrika-Cup besucht, Abidjan, den, die Fassade aus Tropenhölzern ge- Er wusste nicht, dass die Menschen in Bel- nimmt vom Bürgerkrieg nur ein fernes schnitzt, die Fenster schauen hinunter, gien Flämisch, aber oft kein Französisch Rauschen wahr. Es sind viele Uniformen weit, auf flirrende Inseln, dahinter zieht sprechen, und fast wäre er wieder abge- zu sehen, viele Straßensperren zu passie- der Atlantik seinen Strich am Horizont. reist, als er davon erfuhr. Dass sie im Sta- ren, und es sind auf den Hauptstraßen Die Beete des Vorgartens formen sich dion Affenrufe machten, wenn er am Ball viele Militärtransporte unterwegs. Aber kunstvoll zu einem Elefantenkopf, und am war, darüber lacht er heute, aber dieses es wird nicht geschossen, es wird selten Nachmittag, wenn die größte Hitze Lachen hat einen bitteren Kern. mit Waffen gefuchtelt, es wird nicht ge- weicht, füllt sich der Garten mit Kindern. Was ihn wirklich umtreibt, das ist der plündert oder sonst Gewalt inszeniert. Es sind Kinder, die ihre Eltern verloren Krieg. Die Krise daheim vergällt ihm die Der Betrieb der Stadt fühlt sich normal haben durch Unfälle, durch Mordtaten, Freude über jeden Erfolg. Der Krieg an, Menschen gehen essen in Restaurants, durch die Tumulte des Bürgerkriegs. macht den Fußball klein und neben- sie sitzen in Bars und trinken Bier aus Sie tragen Schuluniformen in Grau, sächlich, er entwertet die Karrieren der wuchtigen Ein-Liter-Flaschen, die sie fünf-, sechsjährige Jungen, sie vergessen Spieler. Sie alle sitzen in der Fremde „Drogba“ nennen, sie sehen sich die Spie- bald die Villa, die Hitze, ihre Verluste. wie Urlauber mit schlechten Nachrichten le europäischer Ligen an, auf offener Denn sie bilden jetzt einen lärmenden von zu Hause. „Die Elfenbeinküste“, sagt Straße, 20 Leute um einen Fernseher. Pulk um einen Ball, sie lachen und krei- Zokora, „war ein Vorbild, ein Leucht- Der Krieg ist in Abidjan, wenn nicht schen und werfen die Köpfe und Arme, turm in Westafrika, verstehst du? Jetzt gerade die „Jungen Patrioten“ Krawall und der Ball ist nichts als eine Plastiktüte, ist das Land wie ein krankes Kind, und es schlagen, eine Fernsehnachricht aus den rund gestopft mit Blättern und Gras. Das ist unser Kind, und deshalb wollen wir nördlichen Landesteilen, ein Zeitungsbe- ist es. Fußball. Glück des Augenblicks. Se- alles tun, alles, damit es wieder gesund richt über die Friedensverhandlungen im kunden des Friedens. Genau darum geht wird.“ Golf-Hotel, wo die Unterhändler aus New es, wenn die Elefanten spielen. ™ spiegel special 2/2006 57