750 Jahre Stadt Stühlingen – mit wechselvoller Geschichte selbstbewusst in die Zukunft Dr. Günter Kurth 750 Jahre Stadt Stühlingen Dr. Günter Kurth

Eine geschichtsträchtige Landschaft ist es, in das Stühlinger Schloss auf dem Sockel eines Stühlingen) bezeichnet wird sowie 1131 ein Liu- Stadtgründung Eder die Stadt Stühlingen liegt, überragt und römischen Signalturms stehe, sind zwar inter- told von Stuelingen. Dass die Edlen von Stühlin- Die Stühlinger Burg, 1251 urkundlich erstmals gekrönt von ihrem Wahrzeichen, dem Schloss essant; eindeutige Beweise hierfür liegen indes gen damals in ihrem Wappen einen umgekehr- erwähnt, dürfte wohl schon wesentlich älter Hohenlupfen. nicht vor. Gleichwohl fi nden sich Spuren römi- ten mit Pfauenfedern besetzten Stuhl (Sche- sein, denn bereits anfangs des 12. Jahrhunderts scher Kultur in Stühlingen: So wurde hier z. B. mel) führten, weist möglicherweise auch auf war Stühlingen Grafensitz. Die Herren von Lup- »Von hohem Berg ein stolzes Schloss grüsst 1848 im Keller eines alten Hauses ein römischer die Bedeutung der damals schon bestehenden fen (1251-1582) gaben der Burg den Namen und weit hinaus ins Land; zu Füssen ihm gebreitet Mosaikfussboden freigelegt. Im benachbarten Burg als dem Ort hin, an dem die Herren Ge- dem Ort das Stadt- und Marktrecht. liegt der grüner Strand…« schweizerischen Schleitheim hingegen erin- richt hielten (Gerichtssitz). nern viele reiche Funde an die römische Zeit: die Eine Gründungsurkunde liegt zwar nicht vor, umfassenden Ausgrabungen von Juliomagus, Ab 1120 ist Stühlingen Hauptort der Land- jedoch ein Vertrag zwischen Eberhard und sei- einer römischen Kleinstadt (»Oppidum«), die grafschaft Stühlingen, die das Gebiet östlich nem Bruder Heinrich aus dem Jahre 1262 in der 21. Legion als Stützpunkt diente. von Schlücht und Schwarza bis hin zur Wutach dem es heißt »… und setzen zuo der burck und dem Randen umfasst und im Süden an den unser stat zu Stuelingen« und »… dass wir Um 300 n.Chr. waren es dann die später von grenzt; die nördliche Grenze ist unklar. sont riten in die stat zuo Stuelingen«. Dieses den Franken (Merowinger, Karolinger) be- Erster Graf dieser Landgrafschaft war Rudolf Datum der erstmaligen urkundlichen Erwäh- herrschten Alemannen, die die Römer verdräng- von Lenzburg. Nach dem Aussterben der Lenz- nung des Ortes als Stadt wird daher als das Jahr ten. Noch heute erinnert an sie die von ihnen burger Linie fi el Stühlingen 1172 auf dem Erb- der Verleihung des Stadtrechts angenommen. hier eingeführte Dreifelderwirtschaft, vor allem weg an die Freiherren von Küssenberg, deren aber ihre Mundart, die »enne und denne« der Stammburg die Küssaburg war. Der letzte die- Wutach gesprochen wird. (»Bi üs chammer ses Adelsgeschlechts, Heinrich I. von Küssen- alemannisch schwätze«). berg-Stühlingen, starb 1250. Nach heftigen Erb- Frühgeschichtliche Zeit streitigkeiten fi el Stühlingen an die Grafen von Ausgrabungsfunde belegen eine jahrtausen- Lupfen (1251-1582). Anschließend (ab 1603) wa- de alte Besiedlung der Raumschaft: Schon vor ren es dann die Erbmarschälle von Pappenheim, ca. 4.000 Jahren, während der späten Jung- die Stühlingen als Reichslehen erhielten, da- steinzeit also, lebten hier die so genannten nach (ab 1639) die Grafen (später Fürsten) von »Glockenbecherleute«: Ursprünglich aus Spa- Fürstenberg. Sie bestimmten die Geschicke der nien kommend, breiteten sie sich über weite Landgrafschaft bis zum Jahre 1806, als Stühlin-

Teile Europas aus. Sie besiedelten das Gebiet Aussagekräftiges Fundstück aus der gen großherzoglich badisch wurde. (Schon 1724 zwischen Schwarzwald und Jura, so auch das Merowingerzeit (6.-8. Jh. n. Chr.): indes war die F. F. Residenz von Stühlingen nach Strategische und wirtschaftliche Überlegun- Für ein Kind bestimmter Steinsarkophag Land an der Wutach, der »wütenden Aach«. Donaueschingen verlegt worden). gen waren es, die zu mittelalterlichen Stadt- Ein freigelegtes »Glockenbechergrab« auf dem gründungen führten. Stühlingen muss daher in Stühlinger Schlossberg im Gewann Muhrle Urbane Anfänge direktem Zusammenhang mit der Burg gese- zeugt hiervon. Da Namen von Ortsgründungen aus der Ale- hen werden. Stadt und Burg/ Schloss bilden mannenzeit mit dem angehängten Wortbil- ein Ensemble, das sich in den Grundzügen bis Etwa ab dem 6. Jh. v. Chr. waren es dann die dungselement »-ingen« enden, hat wohl auch heute erhalten hat – und das ist recht selten, Kelten, die hier Eisenerz schürften und dieses der Ortsname Stühlingen hier seinen Ursprung. weil die den mittelalterlichen Stadtgründungen für die Herstellung ihrer hochwertigen Metall- Unklar ist dabei allerdings, ob das »Stühl…« zugehörigen Burgen und Schlösser im Dreißig- arbeiten nutzten. vom Namen »Stilicho« herrührt oder von den jährigen Krieg (1618-1648) oftmals zerstört »Tulingern« stammt, einem Keltenstamm, der wurden. Ihnen folgten schließlich die Römer: Als Tibe- zwischen 450 v. Chr. und 50 n. Chr. im südlichen rius und Drusus im Jahre 10 n. Chr. die Grenze Schwarzwald und nachweislich auch im Wut- Stadtentwicklung: Mauer, Markt und Magistrat des Römischen Reiches gegen die Germanen achtal siedelte. Funde im Stühlinger Weilertal Hoch über dem Wutachtal, auf einem Berg- sicherten, besetzten sie auch unsere Raum- im Gewann »Schönboden« erinnern hieran. sporn gelegen, erhebt sich der nach habsburgi- schaft, blieben aber zunächst jenseits der Wut- schem Muster angelegte befestigte Ort (ovaler ach, auf der heute schweizerischen Seite. Erst Als erste Ortsedle von Stühlingen namentlich Grundriss, Mauer mit zwei Stadttoren). Stadt- im Jahre 72 n. Chr. drängten römische Truppen genannt werden 1084 ein Gerung, der etwas mauer und Grabenbereich sind heute noch in auf Stühlinger Gebiet vor. Spekulationen, dass später als »comes de Stuelingen« (= Graf von Resten vorhanden, die Stadttore freilich sind 750 Jahre Stadt Stühlingen Dr. Günter Kurth verschwunden: 1828 stürzte das Untere oder Stühlingen staatsrechtlich zum Großherzog- troffen macht und Hoffnung stiftet«. Betroffen Niedere Tor im Zusammenhang mit dem Brand tum Baden kam. Danach gab es nur noch einen macht in der Tat, was die Stühlinger über Jahr- des Gasthauses »Zum Schwarzen Adler« ein, Bürgermeister, was vom zunehmend gelingen- hunderte hinweg immer wieder ertragen muss- 1846 wurde das Obere Tor abgebrochen. Turm- den Zusammenwachsen von »Städtle« und ten. Nicht nur kollektive Erinnerungen, sondern uhr und Glocke mit der Jahreszahl 1524 und den »Dorf« zeugt. Beweis hierfür ist auch, dass die auch Chroniken berichten von »mörderischen Namen des Grafen Sigismund von Hohenlupfen Schule 1836 (die Fürstenberger hatten schon Seuchen bei Mensch und Tier« (1611/ 1612), »Be- und seiner Gemahlin kamen fortan ins Rathaus. 1746 die Schulpflicht eingeführt, noch bevor drohung und Schäden durch Wölfe« (1628/ Als dieses 1904 abbrannte wurde beides zer- 1783 die Leibeigenschaft aufgehoben wurde!) in 1642), von »Notjahren mit Mangel an Lebens- stört. der Mauer gelegen großen Garten; Flurname der Mitte zwischen »Städtle« und »Dorf« ge- mitteln« (1627/ 1628), von »Pesterkrankungen, noch heute: »Balbachscher Garten«). Die Zahl baut wurde. Sie verblieb dort bis 1966, als im Blattern und ansteckendem Fieber« (1627/ 1723/ der Jahrmärkte hat stark abgenommen: Gab Tal ein Schulneubau entstand (GHS, ab 1972 1810/ 1871) und von vielen Opfern durch die es Mitte des 19. Jh. noch mehr als ein Dutzend GHS+RS), der 1997 um ein eigenes Realschulge- Ruhr (1850). Krämer- und Viehmärkte pro Jahr, so existieren bäude erweitert wurde. heute nur noch der Martini- und Weihnachts- Kriegerische Ereignisse brachten immer wie- markt. Der 1856 eingeführte wöchentliche Harte Zeiten, Wirren und Kriege der Leid und Not mit sich: So die »Schweizer- »Frucht- und Viktualienmarkt« bestand nur Das Wappen der Stadt zeigt, wie auch ein kriege« 1499 (von den Schweizern »Schwaben- für kurze Zeit. Und der heutige Wochenmarkt Stadtsiegel aus dem Jahr 1496, einen Mann mit kriege« genannt), während derer Schloss und mit neuem Standort in der Unterstadt kann Hut aber ohne Arme und Beine, das so genann- Stadt belagert, geplündert und angezündet mit seinen nur wenigen Ständen eigentlich te »Stühlinger Männle«. Der Sage nach soll es wurden, sowie der Bauernkrieg (1524/ 1525), der kaum noch als Markt bezeichnet werden. Dafür während einer Hungersnot als Einziger über- in Stühlingen durch das Aufbegehren der Bau- haben sich jedoch neue Formen des Handels lebt haben. Zwar ohne Arme und Beine gebo- ern gegen die Ungerechtigkeiten der Schloss- entwickelt, wie an anderer Stelle noch zu zeigen sein wird. Der Markt als weiteres prägendes Element der Stadt hat sein Gesicht verändert: Zwar gibt Der Magistrat, von den Bürgern frei gewählt, es noch immer den alten Marktplatz mit Brun- trug lange Zeit der besonderen Situation der nen vor dem mit Staffelgiebel versehenen Rat- Stadt Stühlingen Rechnung: Der Aufteilung in haus, umgeben von einem eng bebauten spät- »Städtle« (auf terrassiertem Gelände unterhalb mittelalterlichen bzw. barocken Gebäudebe- der Burg gelegen) und dem »Dorf« auf der Tal- stand an einer mittigen Hauptstraße (»Mittlere sohle. Oben im »Städtle« lebten und arbeiteten Gasse«, heute Schlossstraße) und zwei davon damals in eng aneinander stehenden Häusern abzweigenden parallelen Seitenstraßen (»Ger- die in Zünften gegliederten Handwerker und berstraße«, früher Judengasse sowie »Herren- Kaufleute (Landwirtschaft wurde hier in der Re- gasse«), die beide auf den Marktplatz münden. gel, wenn überhaupt, nur für den Eigenbedarf Das Stühlinger Männle über dem Rathauseingang Elmar Zimmermann: »Bauernlager« Der ehemalige Name »Judengasse« erinnert betrieben). Unten im »Dorf« hingegen wohnten daran, dass die Stühlinger Juden vom frühen 17. zumeist die Bauern in ihren einzeln stehenden ren, gelang es ihm doch, sich in einen Keller zu herren seinen Anfang nahm und mit der völli- bis Mitte des 18. Jh. eine der bedeutendsten Ju- Höfen. Hier stand auch die alte Pfarrkirche, die wälzen, wo es sich von Schweizerkäse und Wein gen Niederlage der Aufständischen endete. dengemeinden in Südbaden bildeten. Der wohl 1787 durch einen Neubau, die heutige Kirche ernährte, indem es von einem Käselaib abbiss Truppendurchzüge und Einquartierungen wäh- bekannteste der hier geborenen Juden war »Heilig Kreuz«, ersetzt wurde. und den Zapfhahn des Weinfasses mit dem rend der Napoleonischen Kriege (1792-1806), Natanael Weil (1687-1769), der spätere badische Mund öffnete und schloss. Später kam dann die Besetzung der Stadt als Folge der Beteili- Oberrabiner. Um den Bewohnern von »oben« und »unten« von Außerhalb eine Frau hinzu, die das Männ- gung von Stühlinger Freiheitskämpfern an der gerecht zu werden, bestand die Stadtverwal- le heiratete. Aus dieser Verbindung sollen alle Badischen Revolution (1849-1851), die Opfer des Sozialtopographisch interessant ist, dass frü- tung ab 1633 außer dem Schultheißen, als dem Stühlinger stammen. Ersten (1914-1918) und Zweiten Weltkrieges her an der Südseite zumeist die einfacheren Vollzugsbeamten des Grafen, aus zwei Bürger- (1939-1945): All das erinnert an Krisenzeiten – Handwerkerhäuser standen (z. B. die der Gerber meistern und den Ratsherren, wobei strikt da- Wolfgang Hug schreibt in diesem Zusam- aber auch an deren Überwindung! und Färber), an der Nordseite hingegen die vor- rauf geachtet wurde, dass immer einer aus dem menhang: »So ein Wappenmotiv verdichtet nehmeren Häuser reicher Bürger (so das Haus »Städtle« und einer aus dem »Dorf« kam. Diese historische Erinnerung an Hungerkrisen und der Familie Balbach mit dem dahinter nördlich Gepflogenheit wurde beibehalten bis 1806, als ihre Überwindung im Mythos, der zugleich be- 750 Jahre Stadt Stühlingen Dr. Günter Kurth

Stühlingen im Wandel zahlreicher neuer Betriebe führte. der Gesamtstadt) soll auch nicht verschwiegen Nichts hat die Stadt so sehr verändert wie die werden, dass das Zusammenwachsen von 11 verkehrstechnische Entwicklung und die hiermit Initiiert vom 1987 gegründeten Handels- und unterschiedlichen Teilgemeinden mit ihren je verbundene Industrialisierung: 1875 wurde Stüh- Gewerbeverein (HGV) entstanden 1989 der eigenen monetären Ausgangssituationen, lingen z. B. an das Eisenbahnnetz angeschlossen, »Stühlinger Frühling« und 2009 der »Stühlin- Bedürfnissen und Vorstellungen nicht unprob- 1905 eine zentrale Wasserversorgung aufgebaut, ger Herbst« – eine jeweils attraktive Leistungs- lematisch und konfliktfrei war. Das im Kernort 1909 ein elektrisches Stromnetz errichtet. In der schau für lokale und regionale Anbieter (Fach- seit 1975 jährlich durchgeführte »Städtlefest« Folge entstanden zahlreiche neue Betriebe aus geschäfte und Direktvermarkter). Diese Platt- mit seinem bunten Programm und einladenden Handel, Handwerk und Gewerbe. All diese Werk- form für Gewerbetreibende aus Stühlingen und Buden, bei dem sich die Bewohner aller Orts- stätten und Kleinindustrien (u. a. Zwirnerei, Kalk- Umgebung mit Flaniermeile, Informationsmög- teile in geselliger Runde treffen, war und ist ein und Gipswerk, Schraubenfabrik) aber auch Arzt- Einweihung der Rappenhaldensiedlung 1950 lichkeiten und Unterhaltung kommt mit ihren gelungener Beitrag zur Integration der Teilorte praxen, Apotheke, Banken sowie Gaststätten Angeboten bei Alt und Jung gut an und ersetzt und ihrer Bewohner. und Geschäfte aller Art veränderten vor allem Aus dem Tief der Zeit nach dem verlorenen die früheren Jahrmärkte. das Gesicht der Unterstadt. »Städtle« und Zweiten Weltkrieg z. B. erwuchsen Wille und Eine Bereicherung für alle Beteiligten stellt »Dorf« (als »Grenze« zwischen beiden galt die Kraft zum Neuanfang: 1950 entstanden die sicherlich auch das breite Spektrum von Verei- etwa in der Mitte errichtete Nepomukstatue) ersten Häuser der Rappenhaldesiedlung, eines nen aller Art dar (101 sind es in der Gesamt- wuchsen immer weiter zusammen. Während Neubaugebiets, das vielen Einheimischen und stadt): eine bunte Palette kultureller Vielfalt sich aber die verkehrsgünstig gelegene Unter- den zugezogenen Heimatvertriebenen ein neu- und sinnvoller sportlicher und musischer Frei- stadt hierdurch in ihrem Erscheinungsbild stark es Zuhause bot. zeitmöglichkeiten, die Sozialkontakte fördert – veränderte, behielt die Oberstadt mit Sebasti- auch über Grenzen hinweg! anskapelle (1667), Loretokapelle (1681) und Ka- 1957 wurde die Landwirtschaftschule gebaut, puzinerkloster (1743) größtenteils ihren »alten« 1959 der Kindergarten. Schwimmbadbau (1960), Städtepartnerschaft und nachbarschaftliches Charakter. Einen Beitrag hierzu leistete ab 1959 Bau der Leichenhalle (1962), Schulhausneubau Miteinander zweifellos auch die Umgehungsstraße B 314 (1966), Erstellung eines neuen Feuerwehrge- »Grenzen zu überwinden, darum wir uns (weiterer Ausbau 1997), die die enge Stühlinger rätehauses (1969, Erweiterung 2000), der Bau bemühn. Vernunft fang an zu spriessen und Ortsdurchfahrt vom Durchgangsverkehr entlas- einer Mehrzweckhalle mit integrierter Stadtbü- Hoffnung an zu blühn. Aus der Begegnung tete. cherei (1978/ 1980), die Inbetriebnahme einer Mit der Stadtsanierung (2007-2010) gelang lernen, in Achtung sich verstehn, gemeinsam neuen Kläranlage (1984) sowie der Neubau des u. a. durch die Neugestaltung der Hauptstraße Zukunft bauen und fest zusammen stehn …« Dieser positiven Entwicklung standen aber Hochbehälters Riese (1991) und der Realschule und des Kirchvorplatzes eine Verschönerung Diese Zeilen der Stühlinger Partnerschaftshym- auch immer wieder Rückschläge entgegen, so (1997) waren ebenso Stationen einer erfolgrei- des Ortsbildes, wozu auch das Offene Bürgerfo- ne verweisen auf die Ziele der 1980 eingegan- z. B. der Abzug einer ganzen Reihe öffentlicher chen Stadt- und prosperierenden Wirtschaft- rum (OBS) und der Verein »Streetsart« durch die genen »Jumelage« mit der französischen Stadt Einrichtungen und Dienststellen – und dies bis entwicklung wie der Neubau des Bauhofes Installation von Kunstwerken im öffentlichen Bellême. Sie ist nach wie vor eine lebendige, von heute: So wurde 1857 das Bezirksamt Stühlingen (2001) und der 2006 erfolgte Gasanschluss. Raum ihren Beitrag leisteten. Vereinen, Schulen und Privatleuten getragene aufgehoben, 1922 das Hauptsteueramt, 1923 das 2008 entstand ein Pflegeheim (»Brunnenwie- Verschwisterung (keine Honoratioren- oder Notariat. 1935 verlor Stühlingen das Stadtrecht sen«). Seit 2011 wird an einer neuen Kinder- Die Gemeindereform und ihre Auswirkungen Funktionärspartnerschaft), zu deren kultureller (das es erst 1950 wieder erhielt), 1970 wurde das tagesstätte gebaut, die unmittelbar an das Durch die Gemeindereform wurde Stühlin- Belebung die Vereine beider Städte einen maß- 1929 gebaute Krankenhaus an den Landkreis Schulzentrum anschließt (GHRS), das infolge gen in den Jahren 1973 bis 1975 um 10 bislang geblichen Beitrag leisten. Dass sich durch die übergeben (von dem es 2004 an das Hegau- abnehmender Schülerzahlen einem strukturel- selbständige Ortschaften bereichert: Bettma- Narrenvereine aller Stühlinger Ortsteile im Lau- Bodensee-Hochrhein-Klinikum überging), 1975 len Umbruch entgegensieht. ringen, Blumegg, Eberfingen, Grimmelshofen, fe der Jahre ein Stück alemannischer Fastnacht wurde der Bahnhof stillgelegt, 2004 der Polizei- Lausheim, Mauchen, Oberwangen, Schwanin- in der französischen Partnerstadt etabliert hat posten und die Post geschlossen. Wegen erhöhten Wohnraumbedarfs wurde gen, Unterwangen und Weizen. Sie alle sind zu und sich dort dadurch in abgewandelter Form zwischen 1967 und 2009 eine Reihe von Neu- Stühlinger Stadtteilen geworden. Trotz des Flä- ein lebendiger »Carnaval de Bellême« entwi- Aber: Wirtschaftliche, bevölkerungspolitische baugebieten erschlossen. Auch neue Gewerbe- chenzuwachses von 1.777 auf 9.923 ha, darunter ckeln konnte, ist eines von vielen erfreulichen und kulturelle Entwicklungen verlaufen in Wel- flächen entstanden (Sulzfeld I, 1972 und Sulzfeld 3.758 ha Wald (Stühlingen ist damit die größte Beispielen gelebter Städtepartnerschaft. Auch len. Manches verschwindet, Neues bricht auf. II, 1998), desgleichen Gewerbegebiete im Ge- Flächengemeinde im Kreis ), der Erhö- die 2006 in Stühlingen eingeweihte »Bellêmer Immer wieder gelingt es den Stühlingern, Ge- wann Scheuebuch auf dem ehemaligen Heim- hung der Bevölkerungszahl auf heute 5.129 Ein- Straße« (in Bellême gibt es eine »Avenue de genwarts- und Zukunftsaufgaben erfolgreich zu burgerareal (2005), sowie zwischen Bahndamm wohner und finanzieller Aspekte (so steht z. B. Stühlingen«) erinnert an die partnerschaftliche bewältigen. und B314 (2007/ 2008), was zur Etablierung in Weizen die Sto AG, der größte Arbeitgeber Verbundenheit beider Städte. Was die Partner- 750 Jahre Stadt Stühlingen

Epilog 2011 haben die Fürstenberger Schloss Hohen- lupfen und die es umgebenden Ländereien ver- kauft: an einen Schweizer! Die 372 Jahre alte Verbindung des Geschlechts der Fürstenberger mit der Hohenlupfenstadt ist hiermit zu Ende. Kuriosum und Ironie des Schicksals, dass nun ausgerechnet ein Schleitheimer Bauer (übri- Ein Export besonderer Art: Alemannische Fasnet in der Perche gens mit »schwäbischen Wurzeln!«) der neue Besitzer des Schlosses ist, von dem der Bauern- schaftshymne ausdrückt (»Grenzen zu über- krieg einst seinen Ausgang nahm. winden, darum wir uns bemühn …«), das war, als sie seinerzeit geschrieben wurde, zunächst Aber ob mit oder ohne Schweizerfahne auf einmal nur eine Vision, ein Wunschtraum. dem Schlossturm – Stühlingen als Mittelpunkt Heute nun, mehr als drei Jahrzehnte später, des oberen Wutachtales bleibt, was ein Frem- ist dieser »Traum« Wirklichkeit geworden: die denverkehrsprospekt wie folgt beschreibt: »Die Grenzen sind überwunden! Stadt Stühlingen (Luftkurort seit 1971) bietet das Flair einer romantischen und doch moder- Und nicht nur die Landesgrenzen, sondern nen Kleinstadt, verbunden mit einer malerisch vor allem auch die Grenzen und Begrenztheiten schönen Lage am Rande des Südschwarzwal- in den Köpfen und Herzen der Menschen. Dies des. Umrahmt von Wutachflühen und Wutach- gilt auch, was das Verhältnis zu unseren Nach- tal liegt Stühlingen idyllisch zu Füßen des barn im schweizerischen Schleitheim anbe- Schlosses Hohenlupfen in direkter Grenzlage langt. Unvergessen ist deren Hilfsbereitschaft zur Schweiz.« während und nach dem Zweiten Weltkrieg: Flüchtlingshilfe, Unterstützung der Bevölkerung Ja, Stühlingen präsentiert sich mit reicher durch Lebensmittel während der Nachkriegs- Vergangenheit, modern, attraktiv und sympa- jahre, Schülerspeisung … Mit den Jahren verfes- thisch, feiert in Erinnerung an die örtliche Kul- tigten sich die nachbarschaftlichen Beziehun- tur und das lokale Brauchtum sein 750jähriges gen: Wohnen »enne« und Arbeiten »denne« Stadtjubiläum mit einem bunten und interes- gehören zu einer inzwischen guten Nachbar- santen Festprogramm und blickt dabei selbst- schaft. Gleichwohl lassen sich Konflikte gele- bewusst und voll Vertrauen in die Zukunft. gentlich nicht vermeiden (Fluglärmproblematik; Landkauf durch Schweizer Landwirte auf Stüh- Dr. phil. Günter Kurth lebt seit 1972 in Stühlingen und ist seit 31 Jahren Ortschronist. linger Gebiet sowie im Hinterland der Grenz- region, auch »Schweizer Landnahme« oder »2. Quellen: G.Häusler: Stühlingen – Vergangenheit und Gegenwart, 1966 Bauernkrieg« genannt). An ihrer Überwindung W. Hug: Land und Leute in Stühlingen und drum herum, 2009 ist zu arbeiten – in einem gut nachbarschaftli- P. Wichmann: Stadt Stühlingen, Beschreibung aus Sicht der chen Miteinander, wie es auf kultureller Ebene Landesdenkmalpflege, 2004 erfolgreich praktiziert wird, wovon u. a. auch die Mitgliedschaft von Schweizern in Stühlin- ger Vereinen zeugt (und umgekehrt). Und dass Schweizer z. B. im Stühlinger Schwarzwaldver- ein nicht nur Mitglieder, sondern auch im Vor- stand tätig sind, weist ebenso auf ein geglück- tes Miteinander hin wie die Tatsache, dass der Dirigent der Stühlinger Stadtmusik derzeit aus

Schleitheim kommt. Helmut Heimburger | Gestaltung: Zimmermann Winterhalder, Heimburger, Binner-Schwarz, Belloche, Abbildungen: