SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

Gehen, spazieren und wandern - Musikalische Streifzüge (1)

Mit Susanne Herzog

Sendung: 28. August 2017 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2017

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SWR2 Musikstunde mit Susanne Herzog 28. August – 01. September 2017 Gehen, spazieren und wandern - Musikalische Streifzüge (1)

Signet

Mit Susanne Herzog. Gehen, spazieren und wandern - Musikalische Streifzüge: das ist das Thema diese Woche. Wir wandern mit Komponisten, mit Dichtern durch die Natur, klettern in den Bergen umher und spazieren durchs Grüne. Ganz im Sinne von Jean-Jacques Rousseau: „Wer ans Ziel kommen will, kann mit der Postkutsche fahren, aber wer richtig reisen will, soll zu Fuß gehen.“ Herzlich willkommen also zu einer bewegten Musikstundenwoche!

Titelmelodie

Johann Sebastian Bach legt in jungen Jahren weite Strecken zu Fuß zurück. Nicht weil ihm das so großen Spaß macht, sondern weil es ganz einfach billiger ist, als mit der Postkutsche zu fahren. Als Schüler der Michaelisschule in Lüneburg reist Bach mehrfach nach Hamburg: zu dem berühmten Organisten Johann Adam Reinken. Eine Anekdote berichtet, dass Bach einmal so lang in Hamburg bleibt, dass er bei seiner Wanderung zurück, kaum noch Geld in der Tasche hat: Von Hunger getrieben kehrt er dennoch in ein Wirtshaus ein, aber die wunderbaren Gerüche aus der Küche, lassen seinen Magen nur noch mehr knurren. Da bemerkt er, dass ein paar Heringsköpfe aus dem Fenster geworfen werden. Schon ist er da, um wenigstens diese Abfälle zu ergattern. Und was findet er? In jedem Heringskopf ist ein Geldstück versteckt! Daraufhin bestellt er sich gleich einen Braten und malt sich schon mal die nächste Reise zu Reinken aus…

MUSIK 1 Johann Adam Reinken Gigue aus Suite A-Dur Berliner Barock-Compagney Capriccio LC 08748, 67125 6119630106 1‘20

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Die Gigue aus der Suite in A-Dur von Johann Adam Reinken. Gespielt hat die Berliner Barock-Compagney.

„20.000 km auf der Spur des “ – so heißt ein kleines Büchlein von Hermann Kock. Da hat der Autor alle möglichen Reisen von Bach zusammen gestellt und die Kilometer, die Bach im Lauf seines Lebens vermutlich zurück gelegt hat, anhand von historischen Karten zusammengestellt. 20.000 Kilometer Pi mal Daumen: zumindest einen Teil davon - sicherlich besonders als junger Musiker - zu Fuß. Und gerade in jungen Jahren ist es der Bildungshunger, der Bach zu seinen Reisen treibt. Die rund 45 Kilometer von Lüneburg nach Hamburg: da lockt Bach die Orgelkunst von Reinken. Eine noch viel längere Reise unternimmt Bach schon mit knapp fünfzehn Jahren. Da lebt er noch im Haushalt seines älteren Bruders in Ohrdruf und er läuft über 300 Kilometer um Schüler an St. Michaelis in Lüneburg zu werden. In Ohrdruf hat Bach an der dortigen Schule seinen sogenannten „Freitisch“ - eine kostenlose Verpflegung – und vielleicht auch sein Stipendium verloren und muss deshalb seine Ausbildung abbrechen. Bach erfährt aber, dass die Michaelisschule in Lüneburg dringend gute Sänger sucht und außerdem Stipendien bietet. Und so machen sich der jugendliche Johann Sebastian Bach und sein drei Jahre älterer Schulkamerad Georg Erdmann auf die große Reise nach Lüneburg. Rund zwei Wochen sind sie unterwegs. Vermutlich ein Bündel mit ihrem Hab und Gut auf dem Rücken, ab und zu fahren sie vielleicht ein Stück mit einer Postkutsche auf schlechten Straßen oder laufen an anderen Tagen bei Regen oder sogar Schnee: einige Stunden pro Tag. In Lüneburg wird Bach zwei Jahre bleiben: bis zu seinem Schulabschluss. Dann muss er sich auch von seinem Mitschüler Georg Erdmann trennen. Zu diesem Abschied könnte Bachs „Capriccio auf die Abreise seines geliebten Bruders“ entstanden sein: ein Bruder im Geiste, „Herr Bruder“ so nennt Bach später Erdmann auch in einem Brief. Wenn Bach das Capriccio wirklich zu seiner Abreise geschrieben hat, dann ist Erdmann jedenfalls nicht zu Fuß davon gewandert, sondern hat die Postkutsche genommen: denn den Klang des Posthorns hört man am Ende ganz deutlich.

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Wir steigen in dieser auskomponierten Abschiedsszene an der Stelle ein, als die Freunde endgültig Abschied nehmen: der Versuch, den Reisenden aufzuhalten, ist nicht geglückt.

MUSIK 2 Johann Sebastian Bach Ausschnitt Capriccio Ab Adagiossimo bis Ende Martin Stadtfeld, Klavier Sony Classical, LC 06868, 8884 3097952 6191631105 3‘41

Das war ein Ausschnitt aus dem „Capriccio auf die Abreise seines geliebten Bruders“ Bachwerkeverzeichnis 992 von Johann Sebastian Bach. Martin Stadtfeld hat Klavier gespielt.

Ein „starker Trieb“ habe Bach bewogen, zu Fuß nach Lübeck zu laufen, um den „berühmten Organisten an der Marienkirche Dietrich Buxtehude zu behorchen“. So heißt es im Nekrolog. Die Motivation muss wirklich sehr stark gewesen sein, denn von Arnstadt, wo Bach damals Organist an der Neuen Kirche ist, nach Lübeck sind es um die 400 Kilometer. Die amerikanische Buxtehude Forscherin Kerala Snyder ist einen Teil des Weges sozusagen in den Fußstapfen von Bach nachgelaufen. Sie vermutet, dass Bach über Gotha, Mühlhausen, Braunschweig oder Hannover und Lüneburg nach Lübeck gewandert ist. Vier Wochen Urlaub werden Bach für diese Reise gewährt. Letztlich ist er vier Monate unterwegs und bekommt nach seiner Rückkehr in Arnstadt entsprechend Ärger. Vermutlich weiß er schon vorher, dass das mit den vier Wochen nicht gut gehen kann. Denn Snyder hat ausgerechnet, dass er für eine Strecke jeweils allein zwei Wochen gewandert ist: da wäre gar keine Zeit in Lübeck bei Buxtehude geblieben… Mitte Oktober 1705 läuft Bach vermutlich in Arnstadt los: so um die 30 Kilometer pro Tag, wenn er in zwei Wochen nach Lübeck kommen will. Zurück geht’s dann Ende Januar. Also zwei Wanderungen im Herbst bzw. im Winter. Da wird das Wetter manchmal ziemlich ungemütlich gewesen sein: dazu das Gepäck auf dem Rücken.

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Darin auf dem Rückweg sicherlich einige Kopien von Buxtehudes Orgelwerken. Und außerdem viel neu Gelerntes im Kopf. Denn in Lübeck erlebt Bach im Dezember zwei Abendmusiken von Buxtehude, spielt vielleicht sogar selbst mit. Das sind Oratorien artige Werke mit verschiedenen Vokal- und Instrumentalensembles. Und diese vokal-instrumentale Prachtentfaltung mit unterschiedlichen Klanggruppen setzt Bach dann in eigenen Werken um. Zum Beispiel in seiner Kantate „Gott ist mein König“. Hier ist der Schlusschor daraus mit , Kai Wessel, Guy de Mey und Klaus Mertens. Den Amsterdamer Barock Chor und das Amsterdam Barockorchester leitet . 2‘18

MUSIK 3 Johann Sebastian Bach Schlusschor aus: Gott ist mein König BWV 71 Barbara Schlick, Sopran Kai Wessel, Alt Guy de Mey, Tenor Klaus Mertens, Bass Amsterdamer Barock Chor Amsterdam Barockorchester Ton Koopman, Ltg. Erato, LC 00200, 4509-98536-2 6020315203 3‘32

Der Schlusschor aus Bachs früher Kantate „Gott ist mein König“ Bachwerkeverzeichnis 71. Gesungen haben Barbara Schlick, Kai Wessel, Guy de Mey und Klaus Mertens. Den Amsterdamer Barock Chor und das Amsterdam Barockorchester hat Ton Koopman geleitet.

Wandern zu Bildungszwecken: so könnte man das bei Bach zusammenfassen. Nicht anders ging und geht es Handwerksgesellen bis heute, wenn sie auf die Walz gehen. Voraussetzung ist: Sie dürfen nicht verheiratet und müssen jünger als dreißig Jahre alt sein. Man kann sie leicht erkennen an der typischen Kleidung: eine Hose mit weitem Schlag, eine Weste, Hut und ein Wanderstock, das Bündel auf dem Rücken.

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Und natürlich so viel wie möglich zu Fuß unterwegs. Heutzutage wird dieses Umherwandern oft als ein großes Abenteuer empfunden. Kein Wunder; denn inzwischen ist die Walz längst eine freiwillige Angelegenheit. In früherer Zeit dagegen gab es einen Wanderzwang für Gesellen. Die Müllerburschen mussten dann von Mühle zu Mühle ziehen: nicht immer waren sie willkommen. Oftmals gab’s zu viele Gesellen und dann hieß es weiterwandern! Das Wandern wird also nicht wirklich immer des „Müllers Lust“ gewesen sein… Doch Schuberts Müllerbursche wandert zumindest am Anfang noch voller Freude und Zuversicht.

MUSIK 4 Das Wandern ist des Müllers Lust aus: Die Schöne Müllerin Christoph Prégardien, Tenor Michael Gees, Klavier Privat CD 2‘27

„Herr Meister und Frau Meisterin, laßt mich in Frieden weiter ziehn, und wandern“ - Christoph Prégardien hat die Wanderlust des Müllerburschen besungen: Das erste aus Franz Schuberts „Die schöne Müllerin“. Michael Gees hat Klavier gespielt.

Die unglückliche Liebe zur schönen Müllertochter trübt das Wanderglück dann doch ganz entscheidend. Und letztlich ist das Bächlein der einzige Weggefährte, mit dem der Müllerbursche sich beim Wandern über seine Gefühle austauscht. Am Ende singt der Bach ein Wiegenlied für den todunglücklichen Wanderer. Die enttäuschte Liebe, die in den originalen Texten von Wilhelm Müller eine ironische Brechung erfährt, die nimmt Schubert ganz ernst. Niedergeschlagen ist auch das lyrische Ich in Schuberts Lied „Der Wanderer“: „Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall: Ich bin ein Fremdling überall.“ Da wird nicht das naturverbundene, erfüllende Wandern beschworen: sondern das hoffnungslose, einsame Wandern fern der Heimat.

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Schubert hat diese Zeile aus seinem Lied als Zitat im zweiten Satz seiner Wanderer Fantasie als Thema für Variationen benutzt. Und letztlich basiert das ganze Werk auf dieser „wandernden“ Keimzelle.

MUSIK 5 Franz Schubert Adagio aus: Wanderer Fantasie Olga Scheps, Klavier RCA, LC 00316, 88875108012 6193932103 7’52

Das Adagio aus Schuberts Wandererfantasie hat Olga Scheps gespielt. In diesem Satz zitiert Schubert sein Lied „Der Wanderer“, daher der Titel „Wanderer Fantasie“.

Auch in der „“ ist das lyrische Ich zu Fuß unterwegs. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh‘ ich wieder aus“ - so beginnt die Winterreise: eine enttäuschte Liebe ist der Grund für die Wanderung: raus aus der Stadt, weg von der Liebsten. Bei Mondschein geht es los, mitten im Winter durch Eis und Schnee. Abseits von Wegen irrt der Wanderer durch die Winternacht: dabei erinnert er sich immer wieder an ferne, glückliche Momente seiner Liebe. Das Jetzt dagegen ist geprägt von Schmerz und Todessehnsucht. Die Natur wird bei Wilhelm Müller zum Ausdruck der Seelenlandschaft des Wanderers. Seine innere Erstarrung zeigt sich in der Winterlandschaft, wenn es zum Beispiel heißt: „Die Blumen sind erstorben, Der Rasen sieht so blaß.“ Gleichzeitig toben die Gefühle im Inneren des Wanderers und die vergleicht Müller mit einem gefrorenen Fluss: „Ob's unter seiner Rinde wohl auch so reißend schwillt?“ Irrlichter, Täuschungen, Träume zeugen vom wahnhaften Geisteszustand dieses Wanderers. Sein Unbewusstes wählt verschlungene Wege: „Was vermeid' ich denn die Wege, Wo die ander'n Wand'rer geh'n, Suche mir versteckte Stege, Durch verschneite Felsenhöh'n ?“ – Es gibt Wegweiser zu Städten, doch der Wanderer geht einsam und ruhelos seiner Wege. Der einzige Wegweiser, dem er glaubt folgen zu müssen, ist der an der Straße, die ihm zum Friedhof führt. Doch seine Todessehnsucht wird nicht erfüllt: mit seinem Wanderstab macht er sich auf und läuft weiter.

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MUSIK 6 Franz Schubert Der Wegweiser aus: Winterreise Jonas Kaufmann, Tenor Helmut Deutsch, Klavier Sony Classical, LC 06868, 88883795652 6189878101 4‘01

„Der Wegweiser“ aus Schuberts „Winterreise“ gesungen von Jonas Kaufmann. Klavier hat Helmut Deutsch gespielt.

Durch tiefen Schnee ist auch Johann Wolfgang von Goethe unterwegs, als er im Dezember 1777 den Brocken im Harz besteigt, mit 1141 Metern der höchste Berg Norddeutschlands. Von einer Besteigung im Winter bei Schnee und Nebel raten Goethe damals alle ab. Auch der Förster, den er am Fuß des Berges im Torfhaus antrifft. Man könne ja noch nicht mal drei Schritte vorwärts sehen! Doch Goethe gelingt es, den Förster zu überzeugen und so stapfen die beiden durch tiefen Schnee und dichten Nebel los. Nach mehreren Stunden erreichen sie tatsächlich den Gipfel und Goethe ist begeistert: „Ich hab’s nicht geglaubt bis auf der obersten Klippe. Alle Nebel lagen unten und oben war herrliche Klarheit.“ schreibt er abends zurück im Torfhaus an Charlotte von Stein. „Nun, Liebste, tret‘ ich vor die Tür hinaus, da liegt der Brocken im hohen herrlichen Mondschein über den Fichten vor mir, und ich war oben heut und habe auf dem Teufelsaltar meinem Gott den liebsten Dank geopfert.“ Dank dafür, dass diese Wanderung trotz aller Warnungen gelungen ist. Die Teufelskanzel und der Hexenaltar sollten Goethe noch beschäftigen. Diese beiden Granitklippen, an denen sich in der Walpurgisnacht Teufel und Hexen treffen und ein wildes Fest feiern. 1799 schreibt Goethe seine Ballade „Die erste Walpurgisnacht“. Carl Friedrich Zelter soll sie vertonen, kommt aber mit dem Text nicht zurecht. Es ist sein Schüler Bartholdy, der dann später Musik zu Goethes „Erster Walpurgisnacht“ schreibt. Wir hören von Mendelssohn den ersten Teil seiner Ouvertüre.

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MUSIK 7 Felix Mendelssohn Bartholdy Ouvertüre (erster Teil) aus: Die erste Walpurgisnacht op. 60 Bayerisches Staatsorchester , Ltg. Farao Classics, 03740, B 108059 6182786101 7’01

Kent Nagano hat das Bayerische Staatsorchester dirigiert: beim ersten Teil von Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre zu „Die erste Walpurgisnacht“ op. 60. Dem Werk liegt eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe zu Grunde.

„Der Wanderer“ – so nennt man ihn schon zu Frankfurter Zeiten, berichtet Goethe in „Dichtung und Wahrheit“: „wegen meines Umherschweifens in der Gegend“. Beim Wandern findet er „Beruhigung für sein Gemüth“ - „unter freiem Himmel, in Thälern, auf Höhen“. „O dass doch mein Beruf wäre immer in Bewegung und freyer Luft zu sein.“ schreibt Goethe, „ich wollte gerne iede Beschweerlichkeit mit nehmen, die diese Lebensart auch ausdauern muss.“ Beim Wandern versucht Goethe auch, die Ärgernisse seiner Arbeit als Legationsrat hinter sich zu lassen. Als „Geheimer Legationsrat“ des Herzogs von Sachsen- Weimar-Eisenach hat Goethe in Ilmenau in Thüringen zu tun. „Um dem Wuste des Städgens, den Klagen, den Verlangen, der Unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen auszuweichen“ berichtet er an Charlotte von Stein, habe er „auf dem Gickelhahn dem höchsten Berg des Reviers“ übernachtet. In einer Jagdhütte: Da schreibt Goethe sein berühmtes Gedicht: „Über allen Wipfeln ist Ruh“ an die Wand. Über fünfzig Jahre später, mit 81 Jahren, wandert Goethe erneut zu dieser Jagdhütte. Sein Begleiter berichtet: „Goethe überlas die wenigen Verse und Tränen flossen über seine Wangen. Ganz langsam zog er sein schneeweißes Taschentuch aus seinem dunkelbraunen Tuchrock, trocknete sich die Tränen und sprach in sanftem, wehmütigen Ton: Ja, warte nur balde ruhest du auch.“ 1‘50

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Musik 8 Franz Liszt Über allen Gipfeln ist Ruh Gundula Janowitz, Sopran Irwin Gage, Klavier WDR Kompilation 6100996108 4‘03

„Ein gleiches“ oder auch „Wanderers Nachtlied II“ genannt: Franz Liszt hat dieses berühmte Gedicht von Goethe vertont. Gesungen hat Gundula Janowitz begleitet von Irwin Gage am Klavier.

„Spaziergang nach Syrakus“ nennt der Dichter Johann Gottfried Seume den Bericht über seine Reise nach Sizilien: „Spaziergang“ ist eine unglaubliche Untertreibung: „Extremwanderung“ müsste es schon eher heißen, was Seume da unternommen hat: Ende 1801 läuft er in Grimma bei Leipzig los und rund neun Monate später kehrt er im August 1802 wieder zurück. Auf seiner mehrmonatigen Wanderung überquert er bei Schnee die Alpen, trifft auf hungrige Wölfe, wird von Banditen überfallen und von Prostituierten in Venedig umgarnt, klettert auf den Ätna und vieles mehr. Ein abenteuerliches Unterfangen also. Die Kunstwerke Italiens interessieren Seume weniger. Vielmehr sei er nach Syrakus gelaufen, schreibt Seume, um „den Theokrit dort [zu] studieren“. Neben dem antiken griechischen Dichter, der vermutlich aus Syrakus stammt, wird bei Seume aber auf seiner Reise wohl auch der Weg selbst zum Ziel: und zwar ganz expliziert der Weg zu Fuß. „Wer geht, sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt. Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge. So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt. Man kann niemand mehr fest und rein ins Angesicht sehen. Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.“ schreibt Johann Gottfried Seume. Als er nach seinen über 5000 Kilometern zu Fuß wieder nach Hause zurückkehrt, da ist er dankbar und zwar vor allem einer Person, nämlich seinem Schuhmacher: „daß ich in den nehmlichen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzten zu lassen.“ berichtet Seume begeistert: kaum zu glauben!

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MUSIK 9 Andrea Falconieri Folia L’Arpeggiata Alpha, LC 00516, 512 6144414113 3‘45

Das Ensemble L’Arpeggiata mit Christina Pluhar hat von Andrea Falconieri eine Folia gespielt. Passend zur fast schon „verrückt“ langen Fußreise, die Seume nach Sizilien unternommen hat. Möglicherweise hat ihn übrigens Liebeskummer ins ferne Sizilien getrieben: man weiß es nicht genau. Aber bei Liebeskummer in die Berge und wandern: das ist ganz bestimmt eine gute Idee! Morgen wandern wir in der SWR 2 Musikstunde unter anderem mit dem jungen Felix Mendelssohn Bartholdy in den Alpen umher, wir begleiten Richard und Minna Wagner auf ihrer Tour auf die Rigi und beobachten Mark Twain, wie er Jodler dafür bezahlt, dass sie endlich aufhören zu Jodeln… Mein Name ist Susanne Herzog. Tschüss und ich freue mich, wenn Sie morgen wieder dabei sind.

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