VDie Senatsaristokratie zwischen Heermeister und Kaiserhof

Die erste Hälftedes 5. Jhs ist wenigerdie Zeit der römischen Kaiser als die des vir inlustris comes et magister utriusquemilitiae et patricius¹. Denn an diesen knüpften sich die Geschicke des Westens maßgeblich. So tritt der Kaiser in den Schatten seiner Heermeister.Die aufuns gekommenen literarischenQuellen tragen dem insofern Rechnung,als sie an der Person des stets größeres Interesse hatten als an der des Kaisers. Bis ins 19.Jh. fanddies seine Entsprechung in Kunst und Li- teratur. Hier sei nur an Felix Dahns oder Verdis Ezio zu denken. Das voran- gegangene Kapitel mag dies ein wenigrelativiert haben, doch solltedies nicht zu einer Verkehrungder Tatsachen führen. Während der Kaiser nach wie vordie Herrschaft innehatte, ‚usurpierten‘ die Heermeister die Regierungsgewalt,sodass unter den Nachfolgern des ‚großen‘ Theodosius ein persönliches Regime des Kaisers, welches Regierung und Herrschaft vereinen konnte, nicht mehr existent war. Fl.Stilicho(495 – 408), Fl.Constantius (411–421) und Fl.Aëtius(430 – 454) gelang es über Jahre und Jahrzehnte,die Position des ‚starkenManns‘ hinter – oder besser – neben demKaiser² zu behaupten. Einen fast schonunübersichtlichen Umfang hatdie Forschungsliteraturmittlerweileangenommen, wobeivor allemmit Lütkenhaus (1998) undStickler(2002) vorbildliche Arbeiten zu denHeermeisternConstantius undAëtius vorliegen. Dennochist es gerade fürdie hier vorliegendeDarstellung notwendig, abermals denBlick aufdie Heermeisterzulenken. Alsbedeutendster machtpolitisch relevanterAkteurstellte der magister militum die entscheidendeZentralgestalt auch für diestadtrömische Senatsaristokratiedar.Als virinlustris fand dieser Aufnahme in den ordo senatorius. Damitwar er auch verpflichtet, denErwartungender senatorischen Standesgenossenzuentsprechen.SosollimFolgenden derBlick aufdas Verhältnis zwischen dem magistermilitum undder stadtrömischen Senatsaristokratiegerichtet werden unddanachgefragt werden,inwiefern derSenat unddie senatorischenHäuser Roms mitdiesemzusammenarbeitetenund sich fürdie Pläneder Heermeisterpolitisch einspannen ließen.

5.1 Stilicho unddie politische ‚Renaissance‘ des Senats

Die erste ausführliche Behandlung erfuhr Stilicho durch Mazzarino und Nischer- Falkenhof, in dessenWerk einleitend zu lesen ist: „Ausallen diesen kleinen Geistern ragt turmhoch die wuchtigeGestaltdes magister militum – des Heermeisters – Stili-

 Dievollständige Titulaturtritt erst beiFl. Constantiusund Aëtius auf(Fast.Merseb. s. a. 435und vollständig Nov.Val. 17 a. 445); Stilicho hingegen führte nurden Titel comesetmagisterutriusquemilitiae praesentalis. Vgl. ENSSLIN(1930)306– 325und ders. (1931) 467–502.  So dietreffende Bezeichnung nach STICKLER (2002)64; ferner KUHOFF (2012) 39– 80,hier65.

OpenAccess. ©2021 Hendrik A. Wagner, publiziertvon De Gruyter. DiesesWerk ist lizenziertunter der CreativeCommons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110727630-005 120 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

cho, dem seine Zeitkeinen ebenbürtigen Gegenspielerentgegenzustellen hatte.“³.Und in der Tatist kaum zu leugnen, dass Stilicho für den Zeitraumvon 394 bis 408 die Zentralgestalt der weströmischen Geschichte darstellt. Das Regimedes Stilicho war aber nicht unangefochten. Nichtnur in Konstantinopel, sondern auch am westlichen Hof, im Heer und unter der stadtrömischen Senatsaristokratieerhoben sich Stimmen, die gegendie Person und die beanspruchte Machtstellungdes Heermeisters gerichtet waren.⁴ Anlass hierzu bot vorallem, dass StilichosMachtfülle⁵ in keiner Relation zu den Befugnissen seines offiziellen Amts stand und sich ebenso wenig durch die bis dato erlangten Würden⁶ rechtfertigenließ. So lässt sich an zahlreichen Stellen in den Werken Claudians das Bemühen erkennen, die extraordinärePosition Stilichos durch ein rechtlich wiemoralischunanfechtbares Fundament zu stützen. Dies wurde für Claudianzueiner fast zehn Jahre währenden Obsession, die ihn im Bewusstsein der Nachweltzum unermüdlichen Sprachrohr der stilichonischenPropaganda⁷ werden ließ. Dasschiefe Bild,den spätantiken ‚Generalissimus‘ mitden modernen Vertretern dieser Branchezuvergleichen,⁸ hatdazugeführt,das Regime desStilichoals eine mit derZivilverwaltung,und damitauchder Senatsaristokratie,konkurrierendeMilitär- junta⁹ aufzufassen. DieAnnahme einerstrengdichotomenAdministrationbzw. Reichselite,gespalten in einenzivilen und einenmilitärischen Sektor,¹⁰ stellt jedoch eine zu drastische Simplifizierungdar,die dendochumeiniges komplexerenVerhält-

 NISCHER-FALKENHOF(1947)19.  Dies legt vorallemdie fortwährende Verteidigungder Stellung desStilichodurch nahe.Vgl. SCHINDLER(2015)19–42,bes.34–41.Zuden späteren KritikernzählenHieronymus undaus demKreis derSenatsaristokratieRutiliusNamatianus. Vgl. Kap. 6.2.  Hierzuvgl.u.a.BÖRM(2013)45–48;ANDERS (2010) 62 f.; STICKLER(2002)17f.u.308;LÜTKENHAUS (1998) 7f.u.13f.oderGIZEWSKI(1997)113–150,bes.131f. Entscheidend wardie Kontrolleüberden Kaiser undden Zugang zu ihm, diedurch einbesonderesVertrauensverhältnisaufrechterhaltenwurde.Der informelle Titeldes parensprincipum bezeugtöffentlichdas besondereverwandtschaftlicheund nahe Verhältnis zumKaiserund dertheodosianischenDynastie.Vgl. ANDERS (2010) 130f.; MACGEORGE(2002) 200und ausführlichSTRAUB(ND 1972a)220 –239;zur informellenMacht vgl. auch SCHLINKERT (1996a) 254f.  So hatteStilichobis 400nicht einmal dasKonsulatbekleidet undwar damitinder Rangfolgeformal denamtierendenund gewesenenKonsuln nachgeordnet; so auch demFl. Rufinus, derbereits 392das Konsulat innehatte. Gerade dies mochte es auch erzwungenhaben,das Konsulat desEutropius 399nicht anzuerkennen,dadieserdamit dauerhaftaufgrundder früher erlangtenWürde (Amtsalter) unddes Patriziustitels(seit 398) in derRangfolge vorStilichogestelltwordenwäre. Erst 405überragteStilichomit derzweifachenKonsulwürde alle übrigenAmts-und Würdenträger desReichs.  Vgl. u. a. COOMBE (2018) 30–32;WARE(2012); GRUZELIER(1990)299–318; SCHMIDT (1976) undi.B. CAMERON(1970); ferner auch CHRISTIANSEN (1969).  Vgl. ZIMMERMANN (1997) 165–173, bes. 165–169.  So u. a. WOLFRAM(1979)1–28,hier13; nachfolgendders. (1990) 286. DieKonkurrenzzwischenSe- natsaristokratieund Militärunterstreicht auch DEMANDT(2013a) 52– 84 [1980]. Gegenein zu schema- tischesBildtratzuletzt auch REBENICH(2008)161 ein.  Vgl. KREUTZ (2008) 194;DEMANDT ²(2007)292 f.;MARTIN ²(1990) 181; ausführlicherJONES (1964) 43 – 46 oder BAYNES (1925) 195–208. 5.1 Stilicho 121

Abb. 3: DiptychonimDomschatzvon Monza. nissen nurunzureichendgerecht wird.Der exzellente Sprachstil unddie hohe Gelehr- samkeit, dieder claudianischen Dichtung inhärent sind,belegen,dassdie Worte, die Stilicho in höchsten Tönenpriesen,inersterLinie aufdas Wohlgefallen undden Zu- spruch derhochgebildetenFührungseliten, unterwelchen diestadtrömische Senats- aristokratieeinen besonderenPlatz einnahm, abzielten.Mit derStimmeClaudians versuchteStilichodie stadtrömischeSenatsaristokratie für sich zu vereinnahmen.Sti- lichowar hierbeibestrebt, in seiner Person die militärischenund zivilenElitenzu- sammenzuführen. 122 VZwischen Heermeister undKaiserhof

DasberühmteDiptychon vonMonza (Abb. 3)¹¹,welches immerwiedermit dem NamenStilichos,dessenGemahlinSerenaund desSohns EucheriusinVerbindung gebracht wurde,¹² veranschaulichtsehrgut dieVerortung desHeermeisteramtszwi- schender zivilenund dermilitärischen Elite.¹³ So finden beideSphären ihre Entspre- chungjeweils aufeiner derbeidenElfenbeintafeln desDiptychons, welche zusammen ein „idealtypisches Familienbild“¹⁴ wiedergeben. Dielinke Tafel(3.1) zeigteinen hohen militärischenAmtsträger, derentwederals magistermilitum oder comesdomesticorum¹⁵ zu benennen ist. In einerreich ornamentierten chlamys,die voneiner kostbaren Zwiebelknopffibel¹⁶ an derrechten Schulter über einergleichermaßen kunstvollver- zierten, mit cingulum militare, bracae und campagimilitares kombinierten langärmligen tunica zusammengehalten wird,präsentiertsichein hoherMilitär.Mit derhocherho- benenRechten umfassterden Speer, währendseine Linkeauf demangelehnten Schild, aufwelchem in einemkleinen Medaillondie Büsten der Augusti¹⁷ abgebildet sind,ruht. Sein Antlitzgibtmit derschmalenGesichtsform, derkantigenWangenpartie, den Stirnfaltenund demkurzen, aber fülligen „Soldatenbart“ einenMannvon fortge- schrittenenLebensjahrenzuerkennen. Diemit einerleichtenWelle in dieStirn ge- kämmte Haartrachtentsprichtdem Zeitgeschmack derersten Hälftedes 5. Jhs. und findet sich so auch aufdem HalberstädterDiptychon¹⁸ wieder.Inallen Belangen prä-

 AbbildungnachKINNEY(2008)Fig.5.Katalogisiert in DELBRUECK(1929)Nr. 63,Taf. 63 undVOL- BACH ²(1952) Nr.63, Taf. 19.  So u. a. MEISCHNER(1996)389 –432, hier 398f.; KIILERICH/TORP (1989) 319; CONTI (1983) Nr.6; VOLBACH ²(1952) 42;DELBRUECK(1929)242– 248; zurückgehend bisauf JULLIAN(1882)5–35.Das Diptychonvon Monzafirmiertsoauchunter derBezeichnung „Stilicho-Diptychon“.Vgl.aktuell CHRIST (2015) 173– 190; denälterenForschungsstand referieren CAMERON (2016a) 514–516und VONRUMMEL (2007)208f.  BereitsVON RUMMEL (2007) 212spricht voneinem „dualistischenKontrastzur Ausrüstung der zivilen Eliten“ (i.B.die toga). Vgl. auch ROLLÉ DITZLER (2020) 343: domi et militiae,was aber keineswegsso singulär ist,wie hier ROLLÉ DITZLER meint; vgl. WARLAND(1994)175 – 202.  Vgl. DECKERS (1996) 137–184, hier 164f.kritischgegenüber WARLAND(1994)175 – 202mit derDis- kussionzahlreicher Vergleichsstücke (u.a.Grabkammervon SilivriKapı in Istanbul undGlasschnittnach Cod. Vat.9136fol.217a);nachfolgend WARLAND (2009)98.  MitdiesemAmt lässt sich insbesondere derSchildmit derAbbildung derzwei Augusti verbinden, der so auch in der Not. Dig.or. 15 und occ. 18 den comesdomesticorum ausweist. Vgl. WARLAND(1994)175 – 202, hier.183.Diesstelltabernur eine vage Vermutung darund schließt keinesfallsdas Amtdes magister militum aus, wiediesWARLAND meint.  TypKeller6=KELLER(1971)52.Vgl. THEUNE-GROSSKOPF(1995)96f.; DEPPERT-LIPPITZ (1995) 116f.; KIILERICH/TORP (1989) 330 – 338. Eine solche FibelbefandsichsoauchimGrabdes Frankenkönig Childerich in Tournai. Entgegen derälteren Forschungsmeinung, dievor allemdie zahlreichenBelegeim Kontext ‚germanischer‘ Grablegenvor Augenhatte,wirdessichbei derZwiebelknopffibel TypKeller6um eine römische Fabrikation handelnund demzufolgeals römischund nicht ‚barbarisch‘ anzusehensein. Vgl. VONRUMMEL(2007)210f. undHARDT (2004)80f.  Vgl. KILLERICH/TORP (1989) 353–357.  KatalogisiertDELBRUECK (1929) Nr.2undVOLBACH ²(1952) Nr.35. Vgl. Kap. 5.2. 5.1 Stilicho 123

sentiert sich hier einhoher römischerOffizier, derdurchausStilicho¹⁹ darstellen könnte. Barbarismen,wie sieimmer wieder im Hinblick aufdie Tracht unddie Bewaffnung unterstelltwurden, suchtman hier wohl vergebens.²⁰ Entsprechend gibt sich aufder rechtenTafel (3.2)²¹ einhocharistokratischer Hausstandzuerkennen, welchemder Offizier angehörte. EineedleDameingegürteter tunica undlangärmliger dalmatica,überwelchelockerumschwungen eine palla ge- tragenwird, präsentiertsichinanmutiger Pose.EineDoppelperlenketteund kostbare Ohrringe zeigen denWohlstandihres Hauses.Die graziöserhobenerechte Hand hält eine Rose²² empor, welche Anmutund Fruchtbarkeitsymbolisiert. DieLinke hält ein Tuch,das wiedie Blüteein häufig anzutreffendes Attribut derhochgestelltenFrauen darstellt.²³ Mitder rundlich gedrungenenKopfformund demüberproportionallangen Hals ähnelt dasAntlitz derDamedem derauf derRothschild-Kameo²⁴ abgebildeten Tochterdes Stilicho.²⁵ Deutlich ausgeprägter zeigtsichbei derDameauf demDiptychon vonMonza diewulstigeStirntour.Die Ohrenbleiben hier frei,während diehintere Haarpartie voneinem Haarnetz,welches wohl in Gold zu denken ist, zusammenge- halten wird.²⁶ DieHaartracht und derHaarschmuck sprechen füreineDamedes Kai-

 Da eine Beschriftung fehlt, wird dieZuweisung an Stilicho letztlich aber immernur hypothetisch erfolgen können;sou.a.auchVON RUMMEL (2007) 209f.; WARLAND(1994)oderSHELTON (1982).  Vgl. VONRUMMEL(2007)210 f.  DieAnordnung derbeidenTafeln wird immerwiedervertauscht; so auch vonCHRIST(2015)173– 188, Fig. 12.1;VON RUMMEL (2007)207 oder VOLBACH ²(1952) Nr.63, Taf. 19;bereits DELBRUECK(1929)243 hatteanhandder konvexen Biegung derLängsseiten erkannt, dass dieAnordnung derPersonenim aufgeklappten ZustandOffizier (Taf. 1.) – Knabe – Dame(Taf. 2) entsprechen müsste;besonders WAR- LAND (2009) 98 undders. (1994) 177betonte wiederholt,dassesfür dieBeurteilung desDiptychons entscheidend ist, dieursprünglicheAnordnung derTafeln zu berücksichtigen; dementsprichtKIIL- ERICH/TORP (1989) 321. In derLeserichtungvon linksnachrechtshat derOffizierden Vorrangvor dem Knaben undder Dame (nachwestlicher Tradition);jedochimzugeklappten Zustandbefindetersichauf derRückseite.WARLAND(1994)183 hatdurchausrecht,wennervermerkt: „Nichts verpflichtet noch den Knaben als Hauptperson desMonzadiptychons anzusehen.“;zur Anordnung,nachwelcher im Westen derlinkenSeite derVorrang eingeräumt wird,vgl.ENGEMANN(1999)158–168, bes. 159f.; ausführlich ders.(1998)109 – 130und DELBRUECK (1929) 16.  Dieses Attribut istsoz.B.auchder Dame aufdem Dominus-Julius-Mosaik(unteresRegister) undder Domina in derGrabmalereivon Silistra beigefügt; fürweitere Beispiele, auch hinsichtlich derVenus- Konnotation,vgl.WARLAND (1994) 184u.190.KIILERICH/TORP(1989)363 bringendiesexpliziert mit Claud. Nupt.Hon.247 in Verbindung,wonachSerenaund ihre TochterMaria als „zweiRosen vonPestum an einem Stiel“ gerühmtwerden; zu Mariaund derEheverbindung mitHonoriusvgl.jetzt auch DOYLE (2019) 124–128.  So z. B. auch aufdem Glasschnittnach Cod. Vat. 9136 fol. 217a.Vgl.WARLAND (1994) 179f.mit Abb. 2.  Sammlung Rothschild,VilledeParis;katalogisiert DELBRUECK(1933)206f. mitAbb.70, Taf. 105und ders.(1929)Nr. 66.  Vgl. MEISCHNER(1993)613–619.  Das Haarnetz mitGold- undPerlenbesatz bzw. diegeschlosseneKappe wird voralleminder zweiten Hälftedes 5. Jhs. undim6.Jh. zu einemfestenBestandteil derStaatsfrisurkaiserlicherDamen.Vgl. DELBRUECK(1933)52. Das Haarnetz wurdesoauch, wiediesdie Münzbilderzuerkennen geben, von AeliaFlaccilla († 386),Aelia Eudoxia(†404),Aelia Galla († 450),Aelia Pulcheria(†453),Aelia EudociaAthenaïs(†460) undLicinia Eudoxia(†462) getragen.NochKaiserinAelia Ariadne(†515), 124 VZwischen Heermeister undKaiserhof

serhauses. DerVergleich mitder Rothschild-Kameo stützt dieAnnahme,hierSerenazu erkennen.Der Dame zur Rechtenbeigeordnet stehtder Sohn, welcherangeglichenan dasmilitärischeAmtskleid seines Vaters chlamys und tunica kombiniert mit bracae und campagi trägt.²⁷ Auch hier hält eine Zwiebelknopffibelden langen über dieBrust ge- führtenÜberwurfzusammen.Jedochpräsentiertsichder Sohn nichtals Militär, sondern alsziviler Amtsträger.Die zum Redegestus erhobene rechte Hand unddas in derLinken geführte Schreibtäfelchen kennzeichnenden Knaben wohl als tribunus et notarius.²⁸ Somitpräsentiertdie Rückseite desDiptychonsdie senatorische Werte, welche dem standesgemäßen aristokratischenLebensstilund demzivilen öffentlichen Dienst ver- pflichtetsind. Demgegenübergestellt trittauf derVorderseite einhoher militärischer Amtsträger in Erscheinung, derüberseinenfamiliärenAnhangregelrechtzueinem ‚Mann zweier Welten‘ wird.Esist eben jene außerordentliche Stellung,die maßgeblich vonStilicho dergestaltgeprägt wurde, dass der magistermilitum alsMittler zwischen militärischem undzivil-senatorischemSektordie fürden Zusammenhalt desReichsund die Bünde- lung seiner Kräfte entscheidendeSchlüsselpositioneinnahm.Hierbei ‚usurpierte‘ Sti- lichoals magistermilitum diezentralePosition, dievormalseinzigder Kaiserinnehat- te.²⁹ UndsoschilderteauchClaudianseinenStilichoals einen Mann vonzweiNaturen: „sonstimmer geschieden,einen sich in dir desJünglings Kräfteund dieWürde des Greises“³⁰,was diesen mitall seinen militärischenund senatorischenTugenden³¹ zum „trefflichsten derFeldherrn undbeglücktesten derVäter“³² erhob. Dasclaudiansche

welche vermutlich aufden Diptychontafeln im MuseoNazionaledel Bargello in Florenzund im Kunst- historischen Museum in Wien dargestelltist, trägteineperlenbesetzteKappe.Falls hier Serena dargestellt sein sollte, stellt dasNichtvorhandenseinkaiserlicherAttribute keinen stichhaltigenBeweisgegen die Benennungdar.Vgl.SHELTON (1982) 132–171. Vgl. dazu auch CHRIST (2015) 176.  ZurAngleichung desSohns an denVater vgl. WARLAND (1994) 182; vergleichbar mitdem Missorium desAspar in Florenz, welchesVaterund Sohn in gleicher konsularischer Tracht (toga contabulata und mappa)zeigt.  Da dies als Einstiegsamt denSöhnenaus aristokratischem Hauseoffenstand; Eucherius1bekleidete dieseStellung396 (PLRE2,404.Vgl.Zos.5,34,7).Zum tribunus et notarius vgl. WARLAND(1994)181f.  Vgl. KREUZ(2008)219f. wobeihierdie Rolledes Militärs zu starkbetontwird; zurUsurpationder zentralenSchlüsselstellung vgl. jetzt auch KUHOFF (2012). Ferner vgl. MCEVOY (2013a)153 – 186; JANS- SEN(2002)27–39 u. 104–124und SCHARF (1990) 461–474.  Claud. Nupt.Hon. 319ff.: ‚hicest,hic Stilicho!‘ […] hoc donatnaturatibi. […] cumsorte remota contingat seniogravitasviresqueiuventae, […]. Hierbeikann gravitas als „Bedeutsamkeit“ bzw. „Einfluss“ im Kreis derSenatsaristokratieverstandenwerden, wo gerade dieWürde deshohen Alters besondereAchtung genoss; dagegen viresiuventae aufmilitärisch-agonale Tüchtigkeit verweist.Vgl.DÖPP(1980)131.  Claud. Nupt.Hon. 319ff.: ‚hicest,hic Stilicho!‘ führtsoauf: , gravitas und cura/providentia; Claud. Cos. Stil. 2,6–99: fides und clementia;2,100–109a: iustitia, patientia, temperies, prudentia, con- stantia;2,109b–172: ohne dieLaster avaritia, ambitio, luxuria und superbia. Vgl. aktuell zurAnwendung des aufStilichoinder Panegyrikdes Claudian WARE (2012) 220 –230; zum mos maiorum vgl. SCHOLZ (2011) bes. 89 – 215.  Claud. Nupt. Hon. 334: […] optime ductorum, fortunatissimus patrum. Gewiss wird hier zunächst an den Braut-VaterStilichozudenkensein; jedoch,wennerohnenähereSpezifizierung zum fortunatissime 5.1 Stilicho 125

Bild,wonachsichinStilichozweiwiderstrebendeNaturenvereint habensollen, stehtin Korrelationzudem ‚Mann zweier Welten‘ aufdem Monza-Diptychon. Im Gegensatzzum Kaiser, dessen ‚heilige‘ Person prinzipiellden Niederungender Eifersüchteleien, Intrigen undMachtkämpfe derFührungsgruppen enthoben war, musste sich der magistermilitum in ihrZentrum stellen, um vondortaus dieKontrollezu erlangen.Von größterWichtigkeit wardabei dieWahrung desKräftegleichgewichts. KeinePartei, ob nunimHeer, am Hof, in derReichsverwaltungoderimSenat, durfte zu starkübervorteiltwerden, denn dies würdedie Akzeptanzzerstören undzwangsläufig oppositionelle Kreise generieren.Für Stilicho,wie auch fürseine Nachfolger,war es daherüberauswichtig, nicht nur als ‚Warlord‘ oder ‚Generalissimus‘³³ in Erscheinung zu treten.Stilichowar darauf angewiesen,inseinerPersonmilitärischeTüchtigkeit, administrative Kompetenzund senatsaristokratischeNoblessezuvereinen. DerSenat unddie stadtrömischeSenatsaristokratiespieltenfür diePolitik des Stilicho eine mindestens ebenso wichtige Rollewie dasHeerund derHof.Mit Stilicho setztinder TateineRenaissance desSenatsein,die diesen so politisch aktivzeigt wie seit Jahrhundertennicht mehr.Auchdie stadtrömischeSenatsaristokratie musste die zwingendeNotwendigkeiterkennen, dass dieBewältigung dergewaltigenProbleme, die sich vorRom und demWestenauftürmten, eines ‚starkenMannes‘ im Amtdes Heer- meisters bedurfte.Nicht zuletzt ging es auch um dieSicherung ihrerGüterund Reich- tümer. Hinzutratdie Verteidigung derAnsprücheRoms, desSenatsund derstadtrö- mischen Senatsaristokratiegegenüber Konstantinopel.Der Konflikt zwischen Ostund West,der im Ostenmit denNamen vonRufinus undEutropius³⁴ und im Westen mit StilichosNamen zu verbindenist,wurde sicherlich auch vonzahlreichen Senatorenin beiden Reichshälften mitgetragen. DieEhrwürdigkeit Roms undseinesSenatsstellte daselementarepolitischeKapital dar, mitwelchem Stilicho dieVorrangstellungdes Westensvor Konstantinopel mitFug undRecht vertretenkonnte. Im Gegensatzzuder ‚Vormundschaft‘,die keinerechtliche Grundlagebesaß,³⁵ wardas caputmundi unddie pars melior humani generis,die die stadtrömischeSenatsaristokratie verkörperte, einernstzunehmendes politischesArgu- ment.Sosinddie WerkeClaudians voll der laudes Romae.³⁶ Natürlichist Stilicho nach

patrum erklärt wird,schließtdiesgleichermaßen auch die patres conscripti ein, denenStilichoebenso, wieallenanderen Feldherren,vorangestellt wird.  „Warlord“ u. a. WIJNENDAELE(2015)17f.; LIEBESCHUETZ (2011)481– 494,bes.482f.; MACGEORGE (2002)7–9.;MACKAY(2004). „Generalissimus“ u. a. HEATHER(2014)181;DEMANDT ²(2007) 181; bes. O’FLYNN(1983); biszurückauf SCHULZE (1809). In Folgeist dermilitärischeCharakter desstilichoni- schenRegimes immerwiederunverhältnismäßig starkbetontworden.  PLRE 1, 778–781(Rufinus18) undPLRE2,440 – 444(Eutropius1); diewichtigste – nichtobjektive – Quelle zumKonfliktstelltClaudians In RufinumI–III und In Eutropium I–II (Claud. Ruf.)dar.Vgl.u.a. DÖPP(2000)73–94.  Vgl. Kap. 3.1.  Vgl. RIEDL(1995)537– 555;KLEIN (1986) 119–144oderCHRISTIANSEN(1971)670 – 674. 126 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

Claudian ihrstarker „Rächer“ und „Retter“³⁷ und hilftRomaund ihrenSenatoren aus unwürdigerNot auf. Doch schmälertdiesnicht ihre Bedeutung oder unterstelltsie dem Heermeister. TatsächlichstelltsichStilichoinden Dienst Roms unddes Senats und wird damit – zumindest in derPanegyrik – zum treuen Diener,³⁸ dersichanGrößenwie Lucius Iunius Brutus undCamillus³⁹ maß. In derGildo-Krise 397/398verhalf Stilicho demSenat zu einerbedeutenden politi- schenFunktion. DieentscheidendenÄußerungenhierzufindensichbei Claudian in seinen Werken De belloGildonico und De laudibusStilichonis liberIII. AlsgrößteLeis- tung Stilichoswirdhierbei dieWiedereinsetzungRomsund seines Senats in dieihnen angestammten herrschaftlichen Rechte aufgefasst.⁴⁰ Anachronistischmutetesan, dass sich Kaiser und Heermeistertrotz ihrerbeachtlichenMachtfülleder Stimme desSenats bedienen musstenund nichtfreinacheigenemErmesseneineStrafexpeditiongegen denrebellischen comesAfricae verhängten.Bereits Müller bemerkte,dassmit dem Hinweisauf diese Leistung Stilichos, welche in derWiedererweckungRomszum Machtzentrum desReiches begründetliegt, einHöhepunktdes Stilicho-Lobs⁴¹ erreicht wird.Das senatusconsultum warnicht nur einüberaus geschickterpolitischer Schachzug,der sich mitder Stimme Claudianstrefflich verkaufenließ, sondern auch der bestmögliche Ausweg ausdem politischenDilemma,inwelches sich Ostund West hineinmanövriert hatten.ImGrundewiesenimWinter397 alle Zeichenauf einen Bruderkrieghin.⁴² Indemaberder Senatüberden Krieg entschiedund Gildoals hostis publicus⁴³ ächtete, warHonoriusvon derVerantwortung entbunden. DerKonflikt ließ

 Gerade in Claud. Eutr. 2,141f.wirdStilichosogar zum „Rächer desMars“ gegenden Eunuchen Eu- tropiusund sein schmachvollesKonsulaterhoben.Als „Retter desReiches“ wird Stilicho besonders deutlich im sog. SoldatenlobinClaud. Nupt.Hon. 300–341stilisiert; ebenso als „Retter derMenschheit“ in Claud. Cos. Stil. 1,142f.oderClaud. Get.36–49.Vgl.SCHINDLER (2009) 140f.Zur Auseinandersetzung zwischenOst undWestvgl.BAYLESS (1972) 9–39.  Vgl. MÜLLER (2011) 223–256, hier 239.  ZurDiskussionder relevanten Textstellenvgl.FELMY (2001) 88–159.  Claud. Cos. Stil. 3,81–86:[…]te duce Romanatandemsevindicatira.ipsaiubet signis bellaturoque togatusimperat et spectantaquilae decreta senatus. Vgl. MÜLLER (2011) 238.  MÜLLER (2011) 238f.  Claud. Gild. 390; Oros.7,36,4f.; Zos. 5,11,1f.und Iord. Rom.320;zur Ereignisgeschichteund den Hintergründenvgl.JANSSEN (2002)82–88:hierauchmit eineralternativenDeutung, „daß es Gildos Furcht vorden HofkabalenseinesBruders war, dieihn widerWillenzum Aufstand trieb, […]“.Gerademit Blickauf Konstantinopel unddie Illyrien-Frage vgl. HAGL (1999) 43 – 45;vergleicheaktuell auch MCEVOY (2013a) 156–159mit Stellungnahme zurälterenForschungsmeinung.  Symm. ep.4,5; Claud. Cos. Stil. 1,325– 332u.3,89f.; Claud. Gild. 16:[…]quem veniens indixithiems,ver perculit hostem […]; ferner CTh.7,8,7 (a.400): Praediaexgildonishostispublici et satellitumeiusbonis sociatadomui nostraenetranseuntes hospitii gratiaintrent,decernimus,[…]und CIL9,4051(ILS795); zur Datierung in denWinter397 vgl. LEHNER (1984) 12;DÖPP(1980)113,CAMERON(1970)105 undallgemein DIESNER (1962) 178 – 186. AllgemeinzudieserKompetenz desSenats vgl. jetzt auch ROLLÉ DITZLER (2020) 110f. 5.1 Stilicho 127

sich so aufeinen regionalen „Stellvertreterkrieg“⁴⁴ begrenzthalten. Die hostis-Erklärung warhierbei dasgeeignete politische Mittel,umdie nahendeAuseinandersetzungals interneStrafaktiongegen einenrebellischen FeindRomszudeklarieren.Konstantinopel musste sich daraufhinvon Gildodistanzieren. Umstritten bleibt,wanngenau derPSC seinerseitsden Senatvon Kon- stantinopelanhielt,Stilichozum hostis publicus⁴⁵ zu erklären.⁴⁶ Auch derOsten spielte die ‚Senats-Karte‘ aus, jedoch erwies sich diesals deutlich ineffektiver.Während das senatusconsultum unddie hostis-Erklärung desweströmischen Senats seineWirkung nichtverfehlte,blieb dieÄchtung StilichosimWestennahezuwirkungslos.⁴⁷ Stattdes- senehrtendie SenatorenRomsihren Retter, „nachdem Africa durchseine Einsicht und Fürsorge befreitwar“⁴⁸,mit einerStatue⁴⁹ aufdem ForumRomanum. QuintusAurelius Symmachuserwiesder civilitas desStilicho, dernicht wieein Feldherr gebot, sondern wieein guterBürgerRomssichdem Hoheitsrecht desSenatsunterstellte, in den höchsten Tönenseine Reverenz.⁵⁰ MitSymmachus hatteStilichoeinen starkenFürsprecher im Senat, derihm zugleich dieheidnischeSenatsaristokratie zuführte.⁵¹ Doch noch weitere Namensindanzufüh- ren, dieals Unterstützer desHeermeistersinfrage kommen.Sowird dies aufFl. Mallius

 JANSSEN(2002)88; dies noch durchden Zustandverstärkt,dassals Befehlshaber gegenGildo dessen Bruder Mascezel eingesetzt wurde.  Zos. 5,11,2;zur hostis-Erklärung desoströmischenSenats vgl. MCEVOY (2013a)156– 159; WARE (2004) 96–103; MATTHEWS(1975)272;CAMERON (1970) 173 – 176; DEMOUGEOT(1951)172 f. ZumAusmaßdes KonfliktszwischenOst undWestvgl.CASTELLO(1979)155–196.  Vgl. HAGL (1999) 44;PASCHOUD(1986)113– 115 mitAnm.22.;SEECK (1913) 285f.mit Suppl. Bd.5 (1921) 555.  Im Ostenhingegenwurdendie BesitztümerStilichos eingezogen;die erhoffte Abfallbewegungvon Stilicho bliebimWestenjedochaus.CAMERON (1970) 102–123 betont hingegen diepolitisch missliche Situationdes Stilicho.Dassdiesernicht denFeldzug gegenGildo persönlich befehligte undauchnicht für das Jahr 399das Konsulat beanspruchte,mochtezwar die hostis-Erklärung erzwungen haben; doch die Stellung desStilichoblieb im Westen auch weiterhinunangefochten.  CIL6,1730(ILS1277):[…]AFRICACONSILIIS EIVS ET PROVISIONE LIBERATA, EX S(enatus)C(ons- ulto); zurkompletten Inschriftmit Übersetzung vgl. NISCHER-FALKENHOF1947, 79 f.  CIL6,1730(ILS1277):[…]MAGISTROEQVITVM PEDITVMQVE,COMITIDOMESTICORVM, TRIBVNO PRAETORIANO ET AB INEVNTE AETATE PER GRADVS CLARISSIMAEMILITIAEADCOLVMEN GLORIAE SEMPITERNAEETREGIAEADFINITATISEVECTO […].  Symm. ep.4,5 (ad Stiliconem): […] bonorummotuserupit, consultiigiturinsenatumoremaiorum – nequeenimsinelegitimoordine iudiciiauctoritas starepotuisset –,ingenti causae devotissententiis sa- tisfecimus. Vgl. KLEIN ²(1986) 59;WYTZES(1977)104–106oderNISCHER-FALKENHOF (1947) 72 f. Vgl. hierzu auch Claud. Cos. Stil. 1,325ff. u. 3,86;dazuFELGENTREU(1999)138 f. Weitere13Briefe, diean Stilicho adressiert sind,verdeutlichen dieAchtung unddas Vertrauen, welche Symmachusihm entge- genbrachte;zum Verhältnis zwischenSymmachusund Stilicho im Spiegelder Briefe vgl. EVERSCHOR (2007)140–149; ferner LÜTKENHAUS (1998) 15 undNÄF (1995) 64.Vgl.auchClaud. Cos. Stil. 2,166–172; hierzu DÖPP (1980) 179. AlsbesondereLeistung weistClaud. Cos. Stil. 1,325 –332die Befragungdes Senats aus.  Vgl. HEINZBERGER(1976)40. 128 VZwischen Heermeister undKaiserhof

Theodorus⁵² undFl. MacrobiusLonginianus⁵³ mithoher Wahrscheinlichkeit zutreffen. AlsProtegé desStilichoist desWeiterender CSL Patroinus⁵⁴ bekannt. DieProzess-und Enteignungswelle nach demSturz desStilichoverdeutlicht, dass dessen Anhänger- schaft in Romnochumeiniges größer war.⁵⁵ AlsKonsul desJahres400 standStilicho gewiss nichtisoliertimKreis derstadtrömischenSenatsaristokratie. Es wird nicht ausschließlich eine haltlose Schmeichelei sein,wennClaudianverkündet,Stilichosei der, „dendu[Roma]riefstimJubel desVolks,auf Bitten desAdels,“⁵⁶ unddiesenzu einemneuen Scipio,der „unterdas Joch derRömer diePunierwieder beugte“⁵⁷,stili- sierte.SoerinnertClaudianandie Befragung desSenatsinder -Kriseund stellt es alsgegebenen Normalzustandhin,dassfortander SenatüberKrieg und Frieden ge- biete.⁵⁸ Doch Claudian weiß noch um mehr.Soberichtet er davon, dass Stilicho dem Senatdie rechtsprechendeGewaltund dasRecht derBegnadigung zurückgegeben habensollund die Beamtenzur Rechenschaftgegenüber demGremium verpflichtet habe.⁵⁹ Am ehestenist hier an dieStandesgerichtsbarkeitunter dem iudicium quin- quevirale zu denken, diejedocherstinden Gesetzen desJahres423 neugeregeltwur- de.⁶⁰ DieRechenschaftspflichtfindetdagegen tatsächlichihreEntsprechungineinem Erlass vom13. September 398(CTh. 1,7, 3).⁶¹ Doch wird dieBesetzung der principesofficii und numerarii – in diesemFallimofficium des comesAfricae – gemäßden übrigen officia der comites und duces demBürodes magistermilitum unterstellt.Vermutlich bediente sich Stilicho hierbeider Unterstützung desSenatsund gestandihm im Ge-

 PLRE 1, 900 –902(Theodorus 27);PPO 397–399und Cos. 399; zurLaufbahnvgl.OLSZANIEC (2013) 419 – 424. Dass Claudian dessen Konsulat besang,spricht dafür,dass Theodorusein engerGefolgsmann desStilichowar.  PLRE 2, 686f.; PVR400/402 undPPO 406–408; beim Massakervon Ticinum408 zähltdieserzuden vomHeergelynchtenAnhängern desStilichos (Zos.5,32,6).  PLRE 2, 843f.; Symm. ep.7,109 (EinflussamHof); Symm. ep.7,116 (zur Melania-Affärevgl.Kap.3.2); in einemweiterenBrief empfiehltSymm. ep.7,124 einenAngehörigender scrinia litterarum als Klient für Patroinus. AlsamtierenderCSL kamPatroinus408 währenddes Massakersvon Ticinumums Leben (Zos.5,32,6).  Zos. 5,34,5 undOros. 7, 38,6.; zumPatronatdes Stilicho vgl. KRAUSE (1987) 12f.  Claud. Cos. Stil. 3,1: Quem populiplausu, procerum quem voce petebas,aspice, Roma,virum.Vgl. auch Claud. Cos. Stil. 3,49 f.: laetatureques plauditquesenator,Votaquepatriciocertant,plebeia favori.Ofelix, servata vocat quem Roma parentem! Der equester ordo existierte in derZeitClaudians nichtmehr; dies soll lediglichverdeutlichen,dasswirklichalle demHeermeister Beifall zollten, ganz im Gegensatz zu Marius oder Pompeius Magnus, denenentwederdie plebsoderder ordo senatorius zujubelten;den Vergleich eröffnet vorher Claud. Cos. Stil. 3,39f. Vgl. FELMY(2001)238 f.; PORTMANN (1988) 88 undCAMERON (1970) 152f.  Claud. Cos. Stil.Praef. und Stil. 3,8: […] subiugaquaePoenos iterum Romana redegit […].  Claud. Cos. Stil. 3,81– 86;hierzuauchLÜTKENHAUS(1998)15.  Claud. Cos. Stil. 3,99–115.  Im Jahr 423wirdeineganze ReiheanGesetzenerlassen, diesichmit derStandesgesetzgebung be- fassen unddie Position desSenatsstärken: CTh.1,6,11; CTh.2,1,12; CTh.4,10,2und CTh.9,6,4.Vgl.NÄF (2013)102;LÜTKENHAUS(1998)173;GIGLIO(1990)202– 206und VINCENTI (1992) 67– 76.  CTh.1,7,3.Vgl.hierzuSCHARF(2005)101f.; O’FLYNN(1983)oderCLEMENTE (1968) 175– 179. 5.1 Stilicho 129

genzug dasRecht zu,von denBeamten nach abgeleistetemDienstRechenschaftein- zufordern.⁶² In denJahren401/402 und406 wardas Regime Stilichosmit derAbwehrAlarichs undRadagais’ vorweitgrößere Probleme gestellt.⁶³ Am Ende stehen nach derDop- pelschlachtvon Pollentiaund Verona unddem Sieg beiFiesole zwar abermalszwei Ehrenmonumente⁶⁴ fürden siegreichenHeermeister aufdem ForumRomanum,auch kann dieser 405nocheinmaldas Konsulat bekleiden, dochdie Stimmung unterder Senatsaristokratie und im Senatwar im Begriffzukippen. DieSiege desStilichoer- wiesen sich als ‚Pyrrhussiege‘,deren Preis zu hochwar.Die Schädensindzwarkaum genauzuermessen, doch diezeitnahen Quellenvermittelneinen aussagekräftigen Eindruck davon. Die Vita Melaniae,Palladiusund Orosiuswärendiesbezüglich zu konsultieren.⁶⁵ Sieschildern Verwüstungen apokalyptischen Ausmaßes,ein in Schre- cken erstarrtesVolk⁶⁶ undeineanden Rand desRuins getriebene Senatsaristokratie, dessen weltlicheReichtümerden marodierenden ‚Barbarenhorden‘ zum Opferfielen. Derdurch Raub und Verwüstung entstandeneSchaden an densenatorischen Liegen- schaften und ihrerbeweglichen Habe,der zugegebenermaßen nichtdie Senatsaristo- kratieinihrer Gesamtheit sogleich in denvölligenRuinstürzte,jedochsicherlicheine langfristige Beeinträchtigungihrer Einkünfte bedeutete, forderte nach einem ‚Sünden- bock‘.Stilichoselbsthatte sich zuralles überragenden Person im Staataufgeschwungen undsoist es nurallzu nachvollziehbar, wenn ihnnun dieganze Last derVerantwortung traf, dieinfrüherenZeitender Kaiser getragen hätte.

 Vgl. PORTMANN (1988) 88 undDÖPP(1980)189;auchStilichowirdimJahr408 auseigenenStücken Rechenschaft vordem Senatablegen;ebensoHonoriusanlässlichseinesKonsulats 404(vgl. Kap. 3.2).  Zu denVorgängen vgl. JANSSEN(2004)187– 196; HEATHER ²(2003) 51– 63;ROSEN (2002)61f.; WOLFRAM(1990)175 f.;LIPPOLD (1972) 149 – 165; DEMOUGEOT(1951)356f.;NISCHER-FALKENHOF (1947) 122–132; MAZZARINO(1942)75f.Die Mehrheit derForschersetzt denZug desRadagaisusfür die Jahre405/406 an;dagegen argumentiert BAYNES (1922) 207–220,bes.218f. fürdas Jahr 404.  CIL6,31987 (ILS 799) undCIL 6, 1731(ILS1278; nahe der rostra)für denSiegüberAlarich und Radagaisus.Vgl.WITSCHEL(2012)361 f.; NIQUET (2000)52; BAUER(1996)21; BERGMANN (1990) 41– 43 undfür Text undÜbersetzung JANSSEN(2002)197 undNISCHER-FALKENHOF (1947) 130.  Vgl. Vit. Mel. 14;18; 19;Pall. Laus. 54.FernerOros. 7, 37,4 – 10.Diesernimmt aber mitseinerspezifischen Intention, dienicht aufasketischeLebensidealeoderdas nahende ‚Weltende‘ abzielt, sondern,wieesder Titelverkündet,eine Historiaeadversum Paganos vorlegen wollte,eineSonderstellungein.Die Über- siedlungdes Hofes nach Rom in den Jahren 403–405 und 407/408 deutetauch aufdie schwierige VersorgungslageinOberitalien (Italia annonaria)hin.  Dies schildert auch Claud. Get.213–266 u. 296–315, wonach sogardie Senatsaristokratie beabsichtigt habensollaus Italien zu fliehen; dientdieshiereinem anderenZweck alsbei denchristlichen Autoren, dievor allem die ‚Weltflucht‘ hinzueinem frommenasketischen LebenimSinnbzw.auchdas nahende ‚Weltende‘ vorAugen hatten.Claudiansteigerthierdurch letztlich noch dieBedeutung Stilichosals Be- schützer derVerängstigten.Vgl. aktuellHARICH-SCHWARZBAUER (2013) 37–52,bes.47ff. Dieaus Furcht populärgewordenen Prodigien-Gläubigkeit undder grassierende Aberglaube werden vonClaud. Get.235 f. u. 262f.und Oros. 7, 37,6 gleichermaßen verurteilt;zur Zeitmentalitätvgl.JANSSEN (2002)149 – 153mit Diskussion weiterer Quellen. ZurFurchtimZusammenhangmit demZug desRadagaisusvgl.auch Zos. 26,4 – 7. 130 VZwischen Heermeister undKaiserhof

Claudian und Symmachuswaren nicht mehr imstande,für Stilicho einzutreten. Entweder durchihr Ablebenoderdurch denRückzug ausder Öffentlichkeit verlieren sich nach 402bzw.404 ihre Spuren ausder Geschichte.⁶⁷ Auch Fl.Mallius Theodorus trittnachseinemKonsulat 399nicht mehr in einemöffentlichenAmt in Erscheinung.⁶⁸ DamitgingenStilichobis spätestens 405seine wichtigstenBefürworter in senatsari- stokratischen Kreisenverloren. Hierbeiist zu berücksichtigen, dass mitdem Abbrechen derclaudianischenPanegyrik uns nunkeine positive Wertungmehrfür Stilichosvor- liegt. In derheidnischen,aberauchchristlichenBetrachtung, dievor allemdie Plün- derung Roms 410erklärbar machen will,ist Stilicho derHauptschuldige, der ‚Verräter‘ und ‚Barbarenfreund‘.⁶⁹ AlsReaktion aufdie finanzielleSchieflage desStaatsist auch eine TatStilichos zu sehen, diefälschlichvon zahlreichenGelehrten als „antiheidnische“ Maßnahme⁷⁰ missverstanden wurde. Zosimos⁷¹ berichtetdavon,dassStilichodie Goldbeschlägeder Türendes Jupitertempels aufdem Kapitolentfernen ließ.Der terminus technicus hierfür lautet allerdings ‚Kriegsanleihe‘⁷² undnicht Frevel und wareineNotmaßnahme,die von Römern undGriecheninKrisenzeitenimmer schon praktiziert wurde.⁷³ Eine Weiter- entwicklungmit eindeutig antiheidnischemCharakter findet sich erst in CTh. 16,10,19 vom15. November 407. ⁷⁴ Da aber dasGesetz an erster Stelle dieöffentliche Finanzierung derTempelund derArmee thematisiert, warenhierneben demWillenzur Bekämpfung desHeidentums offensichtlichebensofiskalische Interessen inbegriffen.Zuoft wird hierbeivergessen,dassdurch die Konfiskation vonTempeln,einschließlichihrer Ein-

 Zu Claudian stehen zurDiskussionsowohlein krankheitsbedingterTod als auch,dassdieserin Ungnade gefallen sein könnte undaufgrundseinerNähezum Heidentumabgeurteilt wurde. Vgl. u. a. CAMERON(1970)227 u. 472. Hinsichtlich desSymmachus informiert Symm. ep.4,13; 4,56 und5,96über eine Erkrankung,welchesichdiesernachseinemBesuchamKaiserhof in MailandimWinter402 zu- gezogenhatte. Vgl. MCEVOY (2013a)172;CAMERON(2011)339 oder WYTZES (1977) 107.  Theodorus9(PLRE2,1086) derEnde408 bisAnfang409 als PPOamtierte, kann womöglichals dessen Sohn identifiziertwerden; da dieser abernachdem SturzStilichos unterOlympiusindas Amt kam, wird vorausgesetzt werden müssen,dassdieserkeinParteigängerdes gestürzten Heermeisters war; womöglichhatte sich auch sein Vaternach399 vonStilichodistanziertund warindas Lagerder Gegner gewechselt.Vgl.FLETCHER(2004)197;JANSSEN (2002)254 mitAnm.80, dersichaberfür eine Gleich- setzungausspricht;MATTHEWS(1975)279 u. 285.  Vgl. Oros.7,37,1 – 3und 7, 38,1– 6; Hieron. ep.123,16und Rut. Nam. 2,41– 60.Hierzuvgl.auchKap.6.2.  BONAMENTE(2011)82.  Zos. 5,38,10 – 12.  In diesen Kontextgehörtwohlauchdie „Halsbandaffäre“ um Serena,die sich einerkostbarenKette vomKultbildder Rhea bemächtigthaben soll.Vgl.Zos.5,38,5 – 9.  Vgl. Thyk.1,143:hiereineAnleihe an denTempelschätzen vonOlympia undDelphidurch dieSpar- tanerimPeloponnesischenKrieg; Bell.Afric. 97,1 ff.: Julius CaesarsKonfiskationen in Africa;Cass. Dio. 42,50,2ff.:CaesarimBürgerkrieg;fernerLuc. Bell.Civ.3,141– 169: zur „Plünderung“ des Saturn- tempelsinRom durchCaesar; deutlich negativkonnotiert: „tristi spoliantur templa rapina“;ebenso negativHerod.7,3:Maximinus Thraxbemächtigtsichder TempelschätzeRoms. Solche ‚Kriegsanleihen‘ warendurchauseinegängige Praxis, warenabernicht wenigder Kritik ausgesetzt.  Zu CTh.16,10,19: templorum detrahanturannonae et remannonariamiuventexpensisdevotissimorum militumprofuturae […]. Vgl. hierzuBONAMENTE (2011) 81f. 5.1 Stilicho 131

künfte,ihres Grundbesitzesund ihrerKultgeräte, unterdem Deckmantel einerfrommen christlichen Religionspolitik sich fürdie Staatsgewalt eine Möglichkeitauftat, mittel- fristigauf akzeptable WeisewiederanGeldzukommen.⁷⁵ In diesem Sinn werden in dem hier angeführtenGesetzfolglichauchdie Gelder zumUnterhalt desHeeresbestimmt. Bemerkenswert isthierbei derpolitischeRichtungswechselStilichos.War dieservormals noch bemüht gewesen, heidnische undchristlicheSenatoren gleichermaßenansichzu binden,⁷⁶ so positionierte sich derHeermeister nununmissverständlichauf derSeite der Christen gegendas Heidentum.⁷⁷ Es scheintfür dieschwierigeLage,inwelcher sich Stilicho nach 402befand, symptomatischzusein, dass er nichtmehrden Handlungs- spielraum besaß, durchbehutsamespolitisches Manövrierendie christlicheund heid- nische Senatsaristokratie in Konsens mitihm zu halten. AlsStilichoAnfang408 alsBittstellervor denSenat treten musste,umsichdie verhältnismäßig moderateSumme von4.000 PfundGold⁷⁸ bewilligen zu lassen,zeigte sich deutlich diegeschwächte Position desHeermeisters. Dies wardie Vergütung,die Alarichfür seinen Wartestand in Epirus einforderte. MitWiderwortenund offengeäu- ßertem Protestkonfrontiertzuseinwar fürden vermeintlich mächtigstenMannim

 BereitsAmm. 12,4,3 berichtet, wieConstantius II.seine Höflinge mitTempelgüternüberschüttethabe; auch einGesetzJovians vom4.Febr. 364(CTh.10,1,8) verfügt, dass Tempel-Grundstücke zumVerkauf dem patrimonium desKaisers zuzuführen seien; ferner wird in CTh.16,10,20vom 30.Aug.415 noch einmal beschlossen, dass alle fundi, Einkommenvon Immobilien (omnia loca)und Zuwendungender resprivata zugeführtwerdensollen. Insofern darf auch für CTh.16,10,19, obgleich keineAngaben gemacht werden, wasmit denzuentfernendenTempelschätzengeschehen sollte,vorausgesetzt werden,dassdiese fürden Fiskus liquidiert wurden.Vgl.auchBONAMENTE (2011) 81f.; JANSSEN(2002)200.  AusführlichCASTELLO(1983)65–96 undDEGIOVANNI(1980)144–147und MAZZARINO (1937/1938) 235–262, bes. 245f.  Dies sollte Stilicho möglicherweise wieder in einenKonsens mitdem christlichenKaiserund demHof bringen,die gerade nach demEinfall desAlarichund Radagaisus wohl restriktivereMaßnahmen gegen dasHeidentum forderten. Vgl. JANSSEN(2002)143 – 153, 163–165u.197– 201.Die kompromisslose Hal- tung desKaisers unddes HofesinReligionsfragen wird bereitsinder „Melania-Affäre“ deutlich;auch Claudian (u.a.Claud. Get.249 – 266: „Wolfsprodigium“;vgl.GNILKA(1973)145 – 166) tadelt denheid- nischenAberglauben unddie ausufernde Wahrsagerei(gemäßOros. 7, 37,6 f. undZos.5,41,1–3).Indiesen Zusammenhangist wohl auch dieVerbrennung derSibyllinischenBücherdurch Stilicho einzuordnen; Rut. Nam. 2,51– 56: Nec tantum Geticis grassatus proditor armis; ante Sibyllinae fata cremavit opis […]. ZurwachsendenSpannungzwischen ‚Heiden‘ undChristenAnfangdes 5. Jhs.,insbesondere in Retro- spektive aufdie Plünderung Roms 410vgl. Aug. Serm. 105,13oderOros. 7, 37,7;hierzuHEINZBERGER(1976) 101f.und LIPPOLD(1972)160 f.;kritischJANSSEN (2002) 198f.  DieSumme entspricht in etwa 288.000Solidi; nach JANSSEN(2002)219:12Solidi proMannund Jahr fürzweiJahre miteiner Mannschaftsstärke von12.000Bewaffneten,nachSCHULZ(1993)30Solidi pro Mann fürein Jahr miteiner Mannschaftsstärke vonetwas wenigerals 10.000 Bewaffneten; zumVergleich konnte sich dasJahreseinkommen nureines Senators,wie z. B. Pinian (Vit. Mel. 15), auf120.000 Solidi belaufen;Probus(vermutlich Sohn desAnicius HermogenianusOlybrius) sollen dieSumme von1.200Pf. Gold fürdie prätorischen Spiele aufgewandt haben, Symmachus2.000 Pf.Goldund einMaximus (wohl Maximus) 4.000Pf. Gold (Olymp. fr.41,2(Blockley)).Die geforderte Summewar demnach zumutbar.Vgl.zum senatorischenBesitzauchknapp CAMERON (1994) 139f. 132 VZwischen Heermeister undKaiserhof

Westen gewiss eine ungewohnte undnicht zuletzt auch alarmierende Entwicklungder Dinge. Über dieVorgänge in derSenatssitzung informiert Zosimos:

DerSenat versammeltesichimPalast, undals dieFrage vorgelegtwurde,obman Kriegführensolle, oder nicht, votiertendie meistenfür denKrieg.Stilichoaber, undwenige, dieaus Furcht ihmbei- stimmten,waren entgegengesetzterMeinung undplädiertenauf Friedenmit Alarich.⁷⁹

Erst als Stilicho die Sachlagemit etwas mehr Nachdruck darlegte, gabdie Mehrheit der Senatoren nach.⁸⁰ Nurein Senatornamens Lampadius⁸¹ erhob gegenStilicho die Stimme und fügte hinzu: „Das ist nicht Frieden, sondern eine Übereinkunft der Knechtschaft“ (Non est ista pax, sed pactio servitutis), worauf sich dieser sogleich vor dem Zorn des Heermeisters in eine Kirche geflüchtet haben soll.⁸² Für die Senatoren Roms ging es hierbei wohl weniger um die zu zahlende Summe, sondern um die Aversion einerPolitik gegenüber,die sie kaum noch mittragen konnten, geschweige denn weiter subventionieren wollten.⁸³ Interessanterweise stehen die vonZosimos wiedergegebenen Worte des Lampadius, die vonder „Knechtschaft“ (servitus)spre- chen, genaudiametral zu dem claudianischenStilicho-Lob, in welchemder libertas senatus⁸⁴ eine zentrale Bedeutung beigemessen wurde. Stilicho brachte dem Senat nicht mehr die Freiheit,sondern die Knechtschaft und brach mit seinem vonClaudian propagierten Idealbild. Auffällig ist hierbei, dass es dem Senatoffensichtlich nicht mehr nur genügte, durch Stilicho hofiert zu werden und sein votum ganz nach dem Willen des Heermeisters feierlich abzugeben. Der Heermeister selbst hatte dem Senat ab 398 diesesSelbstbewusstsein eingeflößt. An dieser Stelle seinocheinmaldie Aufmerksamkeit aufden wortgewandten Se- nator, denZosimos mitdem NamenLampadiusüberliefert, zu lenken.Zubemerkenist

 Zos. 5,29,9 f.: συνελθούσηςδὲτῆςγερουσίας εἰςτὰβασίλεια καὶ βουλῆςπερὶ τοῦ πολεμεῖν ἢ μὴ προτεθείσης, ἡ μὲντῶνπλειόνωνεἰςτὸπολεμεῖν ἐφέρετο γνώμη, μόνοςδὲΣτελίχωνσὺνὀλίγοις, ὅσοι φόβῳ συγκατετίθεντο, τὴν ἐναντίαν ἐχώρουν, εἰρήνην πρὸς ᾿Aλάριχονποιεῖσθαι ψηφιζόμενοι.; wohl nach Olymp. fr.7,2 (Blockley).Hierzuvgl.MCEVOY (2013a) 178– 180; FLETCHER (2004)34f.; JANSSEN(2002) 225f.;MATTHEWS(1975)279 undders. (1970a)81f.u.86. Eine Besonderheit stellt hierbeiauchdie Ein- berufung desSenatsimKaiserpalast(wohl aufdem Palatin) darsowie dieAnwesenheit Stilichosund sicherlich auch desKaisers,was dieWichtigkeit dieser Angelegenheit unterstreicht.  Zos. 5,29,11– 13.Vgl.hierzuauchebd.5,29,5 – 8.  PLRE 2, 655(Lampadius2).  Zos. 5,29,15: […] ὥστε ἀμέλειΛαμπάδιος γένους καὶἀξιώματοςεὖἔχων, τῇ πατρίῳ φωνῇ τοῦτο ὑποφθεγξάμενος nonest ista pax sedpactioservitutis […]. Damiterreichte Stilicho sein ursprüngliches Ziel nichtinallerDeutlichkeit, denn sicherlich sollte einklares votum des Senats – ganz im SinneStilichos – ,der vermutlich in derAlarich-Frage eher eine ablehnende Haltungeinnahm,zum Einlenken bewegen. Vgl. auch NÄF(2013)96.  Hier entgegen JANSSEN(2002)226,der in erster Liniedie „finanziellen Bedenken“ der Senatoren anführt.  Vgl. WARE (2012)100 f., 111–118; PORTMANN (1988) 42 ff.; speziell zurBegrifflichkeit als Bestandteil dersenatorischen Herrscherideologie seit derfrühenKaiserzeitvgl.NERI (1997) 71 f. undWIRSZUBSKI (1950) 160–166. Vgl. hierzu auch Kap. 5.3. 5.1 Stilicho 133

zunächst, dass Lampadiuszwarals „einMann, dersowohl durchGeburt alsauch Würdeausgezeichnetist“⁸⁵,vorgestellt wird,man jedoch über seineAmtspositionnichts erfährt. AlsWortführerimSenat wäre zunächst die Stellung desPVR in Betracht zu ziehen.Inder Tatkämesoauf demerstenBlick Postumius Lampadius⁸⁶ am ehesten infrage, derzwischen403 und 408die Stadtpräfekturinnehatte,wennsichdiesernicht nachfolgenddem Attalusund Alarichals PPOzur Verfügunggestellthätte⁸⁷.Ein weiterer Lampadius,⁸⁸ derbereits 398die Stadtpräfekturbekleidet hatte, und überdieswohl der jüngereBruderdes MalliusTheodorus war, istdagegen eindeutlichaussichtsreicherer Kandidat füreineIdentifizierung.⁸⁹ Sollte dies zutreffen,sowäre derimSenat gegen Stilicho auftretendeSenator gleich seinem Bruder und Neffen⁹⁰ zu denGegnern des Heermeisters übergelaufen. Eine gewisseSignalwirkung,die denGegnern StilichoszusätzlichAuftriebgab,wird derSenatssitzung im Frühjahr 408 nichtabzusprechensein. Immerhinstelltsie im Geschichtswerk desZosimos denAuftakt zum SturzStilichosdar.Als exekutives In- strument diente demOlympius⁹¹ und denübrigen Verschwörern jedoch dasHeer. Am 13.August408⁹² fielen dieinTicinum stationiertenTruppen,welchedurch Olympius aufgewiegelt worden sein sollen,⁹³ über dievon Stilicho eingesetzten Beamten her.

 Zos. 5,29,15.  PLRE 2, 656(PostumiusLampadius7). Vgl. Kap. 4.1.  DemLampadius 2(PLRE 2, 655),der entschiedengegen dieErfüllungder ForderungenAlarichs aufgetretenist, wird einsolcher Richtungswechsel,der ihnzueinem Freund undUnterstützerAlarichs unddes Attaluswerdenließ, nichtzugetraut;sodasserfür gewöhnlich nichtmit demPPO desAttalus (PLRE2,656 (Postumius Lampadius7)) gleichgesetzt wird;sobereits PLRE 2, 655: „He is probably distinct from PostumiusLampadius 7, whowas PPOunder Attalus andtherefore presumably friendly to Alaric, ….“;ebensoVON HAEHLING (1978) 315f.Solltesichaberder Protestdes Lampadiusvor allem gegen Stilicho undseine Politikgerichtet habenund nichtprimärgegen Alarich, so kann eine spätere Zu- sammenarbeitmit Attalusund Alarichnicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.  PLRE 2, 654f.(Lampadius1)und PLRE 1, 493(Lampadius3).  PLRE 2, 655(Lampadius2;„butmay be identicalwithLampadius 1“); so auch MACHADO(2013)55; OLSZANIEC(2013)422;CAMERON(2011)733;MATTHEWS(1975)279 oder CHASTAGNOL (1962) 249f.  EinTheodorus (PLRE2,1086(Theodorus9)) wird nach demSturz desStilichos alsPPO eingesetzt; dieser muss dahereherals Stilicho-GegneroderSympathisantdes Olympius gelten.Umstrittenist hierbei, ob es sich noch um Mallius TheodorusselbstoderumseinenSohnhandelt,die vermutlich beidevon den Befürwortern StilichoszudessenGegnern überliefen;zur Diskussion vgl. KUHOFF (1983) 395und MATTHEWS(1975)262,279 u. 285die sich gegeneineGleichsetzung mitMallius Theodorusaussprechen; dafürVON HAEHLING (1978) 437; MAZZARINO(1942)374.  PLRE 2, 801f.(Olympius 2) undCLAUSS(1980)174 f.  DasgenaueDatumüberliefert Cons.Ital. s. a. 408(Chron. min. I. 300).  Zos. 5,32,1– 3; auch derKaisersollgegen Stilicho vonOlympiusvereinnahmt worden sein;die An- schuldigung, Stilicho planeeinen Putschgegen Honorius mitHilfe Alarichs oder wollesichdie Herrschaft über denOsten fürseinenSohnsichern,wurdeninUmlauf gebracht.Vgl.Zos.5,32,2;Philost.12,1; Soz. 9,4; Oros.7,38,1– 3; Marcell. Com. s. a. 408(Chron. min. II.69). 134 VZwischen Heermeister undKaiserhof

Damitbereitetendie meuternden Soldatender administrativen Gewalt desHeermeisters einblutigesEnde.⁹⁴ Im Zusammenhang mitden Vorgängendes Sommers408 lässtsichnichtsübereine direkteBeteiligung derstadtrömischenSenatsaristokratieinErfahrung bringen. Nam- haftePersonen, diedieserangehörten oder zumindestnahestanden,erscheinenledig- lich aufder Listeder Opfer. So nenntZosimos denPräfektenItaliensLonginianus,den magisterofficiorum Naemorius, denCSL Patroinusund denQSP Salvius.⁹⁵ Selbst wenn diesedurch Simonie⁹⁶ und Willfährigkeit gegenüberdem HeermeisterinAmt und Würden gehobenwurden, warensie dennochAngehörigedes ordo senatorius,die nun ermordet waren. Dies konnte nichtimInteresse derSenatsaristokratie liegen.Schon deshalbwirdvon einer Mittäterschaftstadtrömisch-senatorischerKreiseandieser Bluttatehernicht auszugehen sein.Der Senatwurde vorvollendeteTatsachen gestellt undhatte nurnochdie damnatio memoriae über Stilicho zu verhängenund denpoli- tischen ‚Kollateralschaden‘,der auch ihre eigenenReihenschwertraf, nachträglichzu sanktionieren.⁹⁷ DersichanschließendenProzess- undEnteignungswelle⁹⁸,die in erster LiniewohleineschnelleLösungdarstellte,die Staatsfinanzenzusanierenund die Forderungender Soldatenzuerfüllen, standdie stadtrömischeSenatsaristokratie ab-

 DieVorgängeund Verstrickungeninihren Einzelheiten bleibenweitgehendimDunkeln,zumal die Überlieferunghierselbstsehrwirrerscheint.ZuOlympiusund demMassakerzuTicinum am ausführ- lichsten Zos. 5,32;fernerknapp Olymp. fr.8(Blockley);Soz.9,4,7;Oros. 7, 38,5 f. und Cons.Ital. s. a. 408 (Chron.min.I.300). Vgl. hierzu MCEVOY (2013a) 183–185; BÖRM (2013)50f.; HEATHER ²(2010)262 f.; ausführlichJANSSEN (2002)241– 251; ferner MATTHEWS(1975)280–282.  Zos. 5,32,6 – 11;Flavius MacrobiusLonginianus (PLRE2,686 f.: Longinianus2), Naemorius(PLRE 2, 770),Patroinus(PLRE 2, 843f.),Salvius 2(PLRE 2, 974).Die Zugehörigkeit zurstadtrömischenSenats- aristokratie istnur im Fall desFlavius MacrobiusLonginianus sicher belegt;dieserwar bereits401/402 Stadtpräfekt undwirdinder Bauinschrift desBaptisteriums vonS.Anastasia in Velabro(CIL6,41379)als Stiftergenannt;auchdie stadtrömischeGrabinschrift (CLE 311),die mitihm in Verbindung gebrachtwird, scheintseine Abstammung ausder stadtrömischen Senatsaristokratiezubestätigen.Vgl. NIQUET (2000) 124, Anm. 83 u. 184. Patroinushatte zumindestguteKontakte zurstadtrömischenSenatsaristokratie,wie dies diezahlreichen Briefe desSymmachusanihn oder seinen Bruder Petroniusbezeugen(Symm. ep.7,102 – 128).Vgl.hierzuFLETCHER(2004)166.  Vgl. Zos. 5,1,2– 5und Eunap. fr. 62 (Blockley).Hierzuvgl.KRAUSE(1987)12. Claud. Cos. Stil. 2,46ff. und 2,157ff. rühmtdie fides desStilichogegenüber seinen Klienten.  Vgl. CTh.7,16,1(10.12.408).Die Hinrichtungdes Stilicho unddie ErmordungseinerGefolgsleutewar zunächst einGewaltakt, demeinerechtlicheGrundlage fehlte unddessenRechtmäßigkeit mehrals zweifelhafterscheinenmusste. So war Olympius noch im Nachgang bemüht, durchVerhöre undFolter belastendeAussagen, dieden Verrat Stilichosbeweisensollten,herbeizuführen(Zos. 5,35,2–4u.5,44,4f.). Die hostis-Erklärung unddie erfolgte damnatio memorae – heutenochersichtlich an derRadierung des Namens in denepigraphischen Zeugnissen(CIL6,31987 und3868=31988=41381) – bestätigteoffiziell dieRechtmäßigkeit dieser Bluttat.  Zos. 5,35,2–4und 5,45,5 – 7; Anordnungenzur Konfiskation:u.a.CTh.9,42,20 (29.09.408)und CTh.9,42,21 (25.10.408) an Theodosius PPOgerichtet.Weitere an TheodorusgerichteteErlasse schließen Rückgabepetitionen aus: CTh.7,21,4; 9,40,2 u. 9,42,22(22.11.408);diese verdeutlichen, wievehementder Protestgegen dieKonfiskation senatorischenBesitzeswar.Vgl.hierzuauchFLETCHER(2004)190 – 192 undJANSSEN (2002) 255. 5.1 Stilicho 135

lehnend gegenüberund hintertrieb ihreAusführung. Deshalblässt sich wohl geradein denJahren408/409 eine ausgesprochenhohepersonelleFluktuationimAmt desPPO undder beiden Schatzämterfeststellen.⁹⁹ Trotzdes gemeinsamenInteressesaneinem politischenKurswechsel,der dieAb- lösung Stilichosnatürlich voraussetzte,lehntedie stadtrömischeSenatsaristokratie offenbar dasneuevon Olympius geführte Regime entschiedenab. Eben ausdieser Ablehnungund mangelnden Zusammenarbeit resultierend,war es nichtmehrmöglich, nachdemdas stilichonische Regimezerschlagen war, wieder eine funktionierendeAd- ministrationzuetablieren. Durchden Widerstand dersenatorischen Amtsträgerge- genüberden Prozessenund Konfiskationen wurdeebenfalls dieSanierung derStaats- finanzen verhindert,wodurch dieZahlungenandie Soldatenausbliebenund diese abermals mitMeuterei, Raub undMord¹⁰⁰ antworteten. Wenn dasVerhältniszwischen demHeermeister Stilicho und demSenat undder stadtrömischen Senatsaristokratie beurteiltwerdensoll, so warenvor allemzwei Maßnahme richtungsweisend.Zum einendefinierteStilichodie Stellung des vir inlustris comesetmagisterutriusque militiae alsalles überragendeZentralstellungder militäri- schenund zivilenFührung neuund suchte als ‚Mann zweier Welten‘ demonstrativ eine enge Anbindungandie stadtrömischeSenatsaristokratie. Zumanderengab Stilicho demSenat eine politischeFunktionund gestandihm Befugnissezu, dieden Senatoren Roms noch einmal einerstaunliches Selbstbewusstseineinflößte.Solangdie Interessen einigermaßen deckungsgleich waren, fand Stilicho im Senatund derstadtrömischen Senatsaristokratie einenützliche Machtstütze, die Handlungsoptionenschuf und die Entscheidungen desHeermeisterslegitimierenkonnte. MitZunahme derProbleme, die nichtmehrschnell und zufriedenstellendgelöstwerdenkonnten,schwand jedochdie Akzeptanz. InfolgedessenmussteStilichoverstärkt Aufmerksamkeit undpolitische Machtaufwenden,umsichden Senatals Machbasisweiterzuerhalten. Dies aber kosteteZeitund Kräfte,die Stilicho am Ende fehlten, um denHof unddas Heer unter Kontrollezuhalten.

 Theodorus 9(Fl. Mallius Theodorus? PLRE 2, 1086)PPO vom13.09.408 (CTh.6,28,4) bis15.01.409 (Const. Sirm. 14); vgl. SEECK(1919)314 u. 316. Caecilianus 1(PLRE 2, 244– 246) PPO vom21.01.(CTh.9,2,5) bis 01.02.409 (CTh.9,16,12); vgl. SEECK(1919)316f.Volusianus 1(RufiusAntonius Agrypnius Volusianus? PLRE 2, 1182 f.) CRP am 29.11.408(CTh.5,16,31), abgelöst vonHeliocrates1(PLRE2,530). ZumWiderstand gegendie Enteignungswelle vgl. auch Zos. 5,45,5 – 7.  Zos. 5,47;die eingesetzten Befehlshaber Turpilio undVigilantius verlierenhierbei ihrLeben,Jovius als PPOstieg gleichzeitig zurführenden Person am Hofauf.InAnbetrachtdes anhaltendenKontroll- verlusts über dieoberitalischenTuppenlässt sich anzweifeln,obdie Ausschreitungengegen die ‚bar- barischen‘ foederati undihreAngehörigen (Zos.5,35,8) tatsächlich aufBefehldes Hofes – insbesondere desOlympius – geschahen. Wiesichbereits zu Ticinumgezeigt hat, plünderten römische Truppenaus Versorgungs- undBesoldungsdefiziten römischeStädte(Zos. 5,35,5). EinethnischerGrund,wie derin ältererLiteraturangeführte „Anti-Germanismus“,war allenfallsnachgeordneter Natur. Vgl. JANSSEN (2002)253f. gegenBAYLESS (1976) 70 – 76,bes.76; PASCHOUD (1986) 246mit Anm. 81;DEMOUGEOT (1951) 431; allgemein WAAS ²(1971) 37– 41. 136 VZwischen Heermeisterund Kaiserhof

5.2Constantius unddie Restauration derrömischen Herrschaft

Nach dem Sturz des Stilicho und der PlünderungRoms erfolgte der Aufstieg des Fl. Constantius. Die Erfolge gegendie Usurpatoren in Gallien und Spanien¹⁰¹ ver- schafften Constantius das nötigepolitische Kapital, um mit den Großen am Hof er- folgreich konkurrieren zu können. Der magister officiorum Olympius, der 408 die MachtstellungStilichos an sich gerissen hatte,soll vonConstantius brutalbeseitigt worden sein.¹⁰² In diesem Zusammenhang ist vonInteresse, welche Haltungder Senat und die stadtrömische Senatsaristokratie gegenüber Fl. Constantius und dem politi- schen Umsturz am Hof einnahm.Grundsätzlich darf angenommenwerden, dass die senatorischen HäuserRoms nur wenigSympathie für Olympius hegten. Insbesondere nach der Usurpation des Attalus und der Plünderung Roms dürfte das Vertrauen der Senatorenschaft Roms in den ravennatischen Hof und die höfisch-zivilen Entschei- dungsträger stark erschüttert gewesen sein.Fl. Constantius, der für die fatalenEr- eignisse der Jahre 408 bis 410keine Verantwortungtrug,¹⁰³ konntevor der stadtrö- mischen Senatsaristokratie regelrecht als ‚unbefleckte Lichtgestalt‘ in Erscheinung treten. Nirgendswirddiessodeutlichwie in denWerkendes Rutilius Claudius Namatianus unddes . Obwohl beide AutorenihreWerke ausder Rückschauverfassten¹⁰⁴ und damitbereits dieüberragende Machtstellungdes Constantiusklarvor Augen hatten, klingt hier eine Hoffnung an,die sich seit 411mit derPersondes siegreichenFeldherrn

 Vgl. u. a. BÖRM (2013) 58–60;MCEVOY (2013a) 197–201und bes.LÜTKENHAUS(1998) 38–72. Die frühe Laufbahn des Fl. Constantiusbleibt weitestgehend im Dunkeln; in den Quellen tritt er erstmals im Kampf gegenKonstantin III. in Erscheinung. Eine militärische Laufbahn noch unterSti- licho wirdzumeist aber angenommen.Vgl. ferner BÖRM(2013) 58;MCEVOY (2013a) 197; HEATHER ²(2010) 278und OOST (1966) 238.  Olymp. fr.8,2 (Blockley) und Philost,12,1: Hiernach wurden Olympius die Ohrenabgeschnitten und er wurde zu Tode geprügelt.Vgl. FLETCHER (2004) 45;LÜTKENHAUS(1998) 62– 67 und OOST (1968) 238f.Dies,wie auch die Rückkehr des Olympius,ist nicht ganz unumstritten und lässt sich nur an der hier angeführten Stelle in den Fragmenten des Olympiodor belegen. Der nachfolgende Konflikt mit Heraclianus, der aller Wahrscheinlichkeit nach Gefolgsmanndes Olympius war,stützt dies jedoch; so u. a. BÖRM (2013) 58 u. 60 und HEATHER ²(2010) 278. Der zeitliche Ablauf ist nicht klar; während BÖRM (2013) 58 die Beseitigung des Olympius mit 410äußerst früh ansetzt,plädiert LÜTKENHAUS (1998) 62 ff. eher für 411/412.  Die Stellung des Fl. Constantius am Hofvor 411ist nicht leicht zu beurteilen. Orosius,der in der Retrospektive von417 sein Werk verfasste, weist Constantiuseine führende Rolle bereits vordem Gallien-Feldzugvon 411zu(Oros. 7,42,1 ff.); andereQuellen verzichten garauf die Nennungdes Fl. Constantiusund sprechen nur vonden „Feldherren des Honorius“ (so Hyd. Lem.46(s. a. 411); Greg. Tur. Franc. 1,57,2f. oder Soz.9,14,1f.),was wiederum nahelegt,dass Constantius noch nicht die führende Rolle am Hofinnehatte, wie dies Orosius annahm. Die Teilungdes Oberkommandos mit Ulfila (PLRE 2, 1180; )spricht ebenfalls dafür,dass die Machtstellungdes Constantius Beschrän- kungen unterlag.Vgl.BÖRM (2013) 58;MCEVOY (2013a) 197f.; LÜTKENHAUS (1998) 62– 64 mit Anm. 41; MATTHEWS(1975)302 und STEIN (1959)262.  ZurAbfassungszeit vgl. ALONSO-NÚÑEZ (1993) 197–213, bes.198;ausführlich GOETZ (1980a) 9–12. 5.2Constantius 137

verbindenließ. Besonders insGewicht fälltdas Urteil desgallo-römischen Senators Rutilius Claudius Namatianus,der in De reditu suo denneuen Konsul alsBezwinger der ‚Barbaren‘ undGründer eineswiedererstarkendenRoms¹⁰⁵ feierte. So seiConstantius „dieeinzige Errettung fürLatiums Namen“¹⁰⁶.Wie auch Orosius¹⁰⁷ hält Rutilius Namatianusdas strahlendeBild, welchesConstantius abgibt, dervermeintlichenNie- derträchtigkeit unddem Verrat desStilichoineiner hasserfülltenInvektive¹⁰⁸ entgegen. OrosiusgibtganzindiesemSinne zu bemerken:

Damals schließlich begann der Staat zu spüren,welchen Nutzen er voneinem Feldherrn hatte, der endlich einmal ein Römer war,und welche Schädigung er bis dahin erlitten hatte, als er lange hindurch barbarischen Heerführern preisgegeben war.¹⁰⁹

Natürlich ist die Romanitas des Fl. Constantius, der ausdem von ‚barbarischen‘ foe- derati seit langem beherrschtenMilitärmilieu in Moesien stammte,¹¹⁰ nicht überzu- strapazieren. Entscheidendbleibt das durchweg makellos-positive Gegenbild zum ‚Semibarbaren‘ Stilicho. Constantius stand als magister utriusque militiae¹¹¹ aber so eindeutig in der politischen Nachfolge Stilichos, dass die Forschung nicht müde wird, dies immer wieder zu betonen.¹¹² Den Zeitgenossen, insbesondere den senatorischen Kreisen Roms, kann nur schwerentgangen sein, dass sie ihre ganze Hoffnungauf einen ‚zweiten Stilicho‘ richteten. Dem stellten sich Orosius und Rutilius Namatianus entschieden entgegen, indem sie beide Heermeister in einemstrengen Schwarz-Weiß- Antagonismus präsentierten. Nurmit diesem Denken, dass Constantius der ‚Anti- Stilicho‘ sei,war es für die stadtrömische Senatsaristokratie akzeptabel, sich erneut einem machtvollen Heermeister zu unterstellen. Nichtalleine diemilitärischen ErfolgeinGallien und Spanien,¹¹³ sondernauchdie Fortsetzungder bereitsvon Stilicho vertretenensenatsfreundlichenPolitik sicherte Constantiusdie Unterstützungder stadtrömischen Senatsaristokratie. Einwichtiges Anliegen desHeermeisterswar es,als unentbehrlicherGarantdes wiederhergestellten consensusuniversorum zu gelten.Den Bruch, dendie Usurpation desAttalus und

 Rut. Nam. 1,47– 66 Vgl. hierzu Kap. 6.1.  Rut. Nam. fr.B,6 – 10: Conditor ips]enovae consul Constantius ur[bis civibus auspi]cium consili- umque dedit, dum post belli]gerumtrabeis thoraca secu[ndis effulget] Latii nominis una salus. ZumText vgl. BARTALUCCI (1975)3–26;CECCHINI (1974)401–404 und FERRARI (1973)15–30;zur renovatio unterFl. Constantius und dem Lobdes Rutilius Namatianus vgl. aktuell BLECKMANN (2007) 106f. und VERBAAL (2006) 157–171bes.171.  Oros.7,38,1f.  Rut. Nam. 2,41– 60.  Oros.7,42,2: Sensit tunc demum respublica et quam utilitatem in Romano tandem duce receperit et quam eatenus perniciem per longa temporabarbaris comitibus subiecta tolerarit.  Dies trifft spätersoauch aufFl. Aëtius und seinen VaterGaudentius zu.Vgl. STICKLER (2002) 21.  Erstmalsbelegt in CTh.7,18,17 vom29. Februar 412. Vgl. MATTHEWS(1975)354.  U. a. SALISBURY(2015) 88;BÖRM (2013) 63;KUHOFF 2012,64; HEATHER ²(2010) 278; O’FLYNN (1983) 70.  Rut. Nam. 1,47– 66. 138 VZwischen Heermeister undKaiserhof

KonstantinIII.sowohl zwischen demSenat unddem Hofals auch zwischen dergalli- schenund deritalischenSenatsaristokratieentstehen ließen,galteszubeheben.Die am 12.Juni 411erlassene Amnestie¹¹⁴ gegenüber denAnhängern desAttalus warein wichtigerSchritt derVersöhnung, dermöglicherweisebereitsvon Constantiusveran- lasstwurde.Die Berufungvon Johannes,¹¹⁵ demehemaligen magisterofficiorum des Attalus, zumPPO für412/413 setzte zweifellos dasrichtige Zeichen, dass sich Con- stantius fürdie politische Rehabilitierungder stadtrömischen Senatsaristokratiever- bürgenwürde.Dieswie auch dieVergabe derStadtpräfektur an die ‚altgläubigen‘ Se- natorenRutiliusClaudiusNamatianus414,der zuvorschon 412 magisterofficiorum war, undRufiusAntonius AgrypniusVolusianus417/418 warengeeignete Maßnahmen, die gallischeund diestadtrömische SenatsaristokratieinGefolgschaftzuhalten. Constan- tius,dessenChristseinnicht anzuzweifelnist,führtedamit im GegensatzzuOlympius¹¹⁶ dentolerantenKursStilichos fort. Kampflos erfolgte derMachtwechselamKaiserhof aberkeineswegs. Olympius mochte zwar spätestens Ende 412¹¹⁷ beseitigtwordensein, doch der comesAfricae He- raclianus,einer seiner wichtigstenGefolgsleute,¹¹⁸ derüberdiesals Henker desStilicho zweifelhafte Berühmtheit erlangthatte,kontrollierte nach wievor die Kornkammer Africa. Im Jahr 412wurde dieser sogarnochzum Konsul fürdas Folgejahrdesigniert.¹¹⁹ Vermutlich wurdeHeraclianusbewusstals Gegengewicht zu Constantiusaufgebaut.Es istkaumanderszuerklären, alsdass Olympius oder sogarder Kaiser selbst, dessen Existenz hierbeizuoft nivelliert wird,Heraclianus zu Hilferief.¹²⁰ Als tyrannus¹²¹ wird

 CTh.9,38,11 (12.2.410?); die Datierungwirdvon DELMAIREauf den 12. Juni 411korrigiert vgl. DELMAIRE(1997) 111–126, hier 125und DELMAIRE(1987) 827–840,hier 838f.  PLRE 2, 594 (Ioannes 4) und PLRE 1, 459(Ioannes 2)?Vgl.LÜTKENHAUS (1998) 65 f. und MATT- HEWS(1975)288.  Unter dem Einfluss des Olympius kam es in den Jahren nach 408 zu verschärften Maßnahmen gegen ‚Heiden‘ und ‚Häretiker‘;i.B.der Ausschluss vomStaatsdienst u. a. in CTh.16,2,31 (= Const. Sirm. 14)und CTh.16,5,43 (= Const. Sirm. 12).Vgl. hierzu auch Zos.5,46,3; überdies stand Olympius in Kontakt mit Augustinus (Aug. ep.97), der ein scharfes Eingreifen gegendie Donatisten in Nordafrikaforderte. Vgl. hierzu HOGREFE (2009) 41– 43 u. 47 f.; MRATSCHEK (2001) 224–232und LÜTKENHAUS(1998) 29f.; OVERBECK (1973)50–52.  Für den 7. Dezember412 ist Rutilius Claudius Namatianus im Amt des magister officiorum fassbar (Rut.Nam. 1,561 f.).  Vgl. JANSSEN (2002) 249f., der zu Recht darauf hinweist,dass Heraclianus die wichtige Stellung als comes Africae gewiss nicht nur seiner Dienstbarkeit als Henker des Stilicho verdankte,sondern diese Stellung aufgrund seiner Beteiligung am Sturz des Stilicho und damit als Unterstützer des Olympius und treuer Diener des Kaisers,als welcher er sich präsentierte, erhielt.  CTh.15,14,13(3.8.413); Oros. 7,42,10; Prosp. Tiro 1250 (s. a. 413).  Zu den Ereignissen und zum Italien-Feldzugdes Heraclianus vgl. Oros.7,42,12–17;Olymp. fr.23 (Blockley);Prosp. Tiro1249(s. a. 412) und Marcell. Com. s. a. 413. Hierin einenPräventivschlag gegen einenbefürchteten ‚Racheakt‘ desConstantius fürdie Ermordung desStilichozusehen,trifftdie Sache wohl nicht. So vorallem die Erklärung nach OOST (1966) 236–242; nachfolgend auch immer wieder in jüngerenPublikationen zu lesen, so z. B. BÖRM (2013) 60: „[…]als Mörder Stilichos zweifellos ein Todfeind des Constantius […].“ 5.2Constantius 139

Heraclianus zwar tituliert – so beispielsweise vonHydatius, Olympiodor undOrosius¹²² – jedoch wurdeauchseine Loyalität¹²³ gegenüberHonoriusund dertheodosianischen Dynastie stetsbetont. Damitwerdendie Fronten, diesichAnfang413 auftaten,umei- nigesklarer. Aufder Seite desConstantius werden beträchtlicheTeile derstadtrömi- schenund gallischen Senatsaristokratieund desOffizierkorps gestandenhaben.Die Mehrheit in derstadtrömischenSenatsaristokratieund im Senat standdem comes Africae seit derUsurpationdes Attalussicherlichverhalten,wennnicht sogarfeindlich gegenüber.¹²⁴ DieHoffnungendes Hofs – insbesondere jenerKreiseumOlympius, welche dieKontrolleüberden Kaiser im Machtkampf mitConstantiusbehaupten wollten – richtetensichhingegenauf Heraclianus.Solltedieszutreffen,sowürde sich dieRollenverteilung, welchedie Quellenwiedergeben,ins Gegenteilverkehren.Con- stantius wäre derRebell, dersichals siegreicherHeerführergewaltsam an dieMacht putschte,und Heraclianusder demKaiserund Hoftreuergebene comes.¹²⁵ MitConstantiussiegt letztenEndes auch diestadtrömische Senatsaristokrartieüber ihre Feinde.Olympius, demdas Blutbadvon Ticinum,die Prozess- und Enteignungs- welleebensowie dierestriktive Haltungdes Hofs gegenüberdem Heidentumangelastet

 So auch PLRE 2, 539f.; ferner immer wieder in Fachaufsätzenund Gesamtdarstellungen zur Spätantikezulesen: z. B. KUHOFF (2012)64; HEATHER ²(2010) 300 (wennauch zurückhaltender); KAMPERS (2008) 105;DEMANDT ²(2007) 181;JANSSEN (2002) 250; SCHMITT(2001) 540f.; LÜTKEN- HAUS (1998) 5(wobeinachfolgend S. 69 ff. deutlich differenzierter); besonders DIESNER (1968) 89–117, hier 105f.; ders.(1964) 30.Vollkommen abwegig erscheint vorallem die Annahme SIRAGOs,wonach Heraclianus angestrebt haben soll, sich durch den Senat vonRom zum Kaiser ausrufen zu lassen; vgl. SIRAGO (1961) 188, Anm. 4. Gegen die Bezeichnungals Usurpator vgl. SZIDAT (2010) 26–29 und SEIBEL (2006) 128f.  Hyd. Lem.51(s. a. 412): Iovinus et Sebastianus frates intraGalliam et in Africa Heraclianus pari tyrannidis inflantur insania […]. Ferner Olymp. fr.23(Blockley).Imsog.Tyrannen-Katalogdes Orosius (Oros. 7,42,10) wirdHeraclianus zwar aufgeführt,jedoch zusammenmit Gerontius und Alarich, die keineswegsals Usurpatoren zu verstehen sind; wobei die Unterscheidung zwischen Usurpatorenund abtrünnigenFeldherren sehr wohl gemacht wird.Vgl. Oros. 7,42,15: Hunc omnem catalogum, ut dixi, vel manifestorumtyrannorum velinoboedientium ducum […]. Indirekt wurde so auch Stilicho zu einem tyrannus stilisiert,der für seinen Sohn Eucherius die Herrschaft über den Osten erlangenwollte (Oros. 7, 38,1); ferner auch Gainas (Marcell. Com. s. a. 400); zum verändertenGebrauch der Begrifflichkeit vgl. SEIBEL (2006) 28f. u. 33.  Soz.9,8,7 f. und Zos.6,11; 6,12,1: hier im Konflikt mit dem Usurpator Attalus 409/410;soauch HEATHER ²(2010) 300;SEIBEL (2006) 34;JANSSEN (2002) 250; LÜTKENHAUS(1998) 35 u. 67.Dies umfasst nicht nur den bewaffnetenWiderstand gegenAttalus und die Blockade gegenRom, sondern auch Hilfszahlungen an (Zos.6,10,2und Soz.9,8).  ZumschwierigenVerhältnis zwischen Heraclianus und den stadtrömischen Senatoren; auch hinsichtlich der angeblichen Bereicherunganden ausRom geflohenen Aristokraten (Hieron. ep.130,7) vgl. KOTULA (1977) 257–266, hier 262f.Das in Olymp. fr.23(Blockley) angeführteVermögendes He- raclianus,welches sich auf4.000 Pf. Gold belief, fälltaber eher bescheiden aus.  Bereits ELBERN (1984) 121betont,dass es Heraclianus nicht um die Absetzungdes Kaisers ging, sondern um die offengelegten Machtambitionen des Constantius,denen es entgegenzutretengalt; ihm folgend SEIBEL (2006) 130f.; prinzipiell auch LÜTKENHAUS (1998) 67,der ihn als gefährlichsten Gegner des Constantius bezeichnet, und eben nicht des Kaisers;dagegenSIRAGO (1961) 189. 140 VZwischen Heermeister undKaiserhof

wurde, warbeseitigt. Heraclianus,ungehorsamgegenüber demSenat, zweimalRom die zustehenden Kornlieferungenvorenthaltend,¹²⁶ hattedurch Niederlage und Todseine Strafe erhalten.Überdieskonntesichdie Senatsaristokratie durch diegewährteUnter- stützung denHeermeister verpflichten, so dass siesowohleinebevorzugteBehandlung alsauchmachtpolitischrelevante Zugeständnisse erwarten durfte.Dem kamConstan- tius bereits414 nach,als er sein erstes Konsulat antrat undopulenteSpiele¹²⁷ ausrichten ließ.Die Kosten dafürwurdenaus demPrivatbesitzdes Heraclianus, derConstantius zugefallen war, bestritten.¹²⁸ Damitwurde noch einmal unterstrichen,dassder Sieg des ConstantiusüberHeraclianus einSiegfür Romwar. DasDiptychon ausdem Domschatzvon Halberstadt(Abb. 4)¹²⁹,welches zumeist mit demNamen desFl. ConstantiusinVerbindunggebrachtwird, vermittelt einenguten Eindruck davon, mitwelchem Bild sich der magistermilitum vorRom präsentierte. Gewiss istdie Zuweisungdes Diptychons und seineDatierung¹³⁰ in Ermangelungeiner Inschrift¹³¹ schwer abzusichern undmusshypothetischbleiben.Dennoch legenseine ikonographischen Besonderheitennahe, es mitFl. ConstantiusinVerbindungzubrin-

 Oros.7,42,12; erfolgt muss dies unmittelbar mit Beginn der schiffbaren Jahreszeit,imFrühjahr 413, sein (zuvor schon 409). Vgl. LÜTKENHAUS(1998) 68.  Olymp. fr.23(Blockley); das Konsulat wirdzwar in Ravenna angetreten; die Anwesenheit des Hofs in Rom ist aber für den 30.August 414(CTh.16,5,55) belegt.Vgl. SEECK (1919) 328. Gerade die Summe voninsgesamt 2.000 Pf. Gold ausdem konfisziertenVermögen des Heraclianus,die Constantius für die Ausrichtungseine konsularischenSpiele angewiesen bekam, entspricht den Kosten einer Spielgebung in der Metropole Rom (Olymp. fr.41,2 (Blockley)). In Ravenna werden sich die Kosten schon allein aufgrund der geringerenBevölkerungszahl und der wohl bescheidenerenAusmaße des Circus aufeine kleinereSumme belaufen haben. Bis heuteließ sich überdies der Standort des Circus in Ravenna ar- chäologisch nicht fassen und auch ein sicherer Beleg für die Spielgebunginden literarischenQuellen kannnicht angeführt werden (Sid. carm. 23,307– 427und Cassiod. Chron. a. 519).Vgl. aktuell PUK (2014) 167f.; ferner HEUCKE (1994) 384ff.; DEICHMANN (1989) 223und HUMPHREY (1986) 632f.  Olymp. fr.23(Blockley).  Foto:Falk Wenzel, KulturstiftungSachsen-Anhalt; Inv.-Nr.DS045. Vgl. DELBRUECK (1929) 87– 93, Nr.2und VOLBACH ²(1952) 32f., Nr.35.  Die Zuweisungerfolgte in Ermangelung einer Inschrift anhand stilistischerKriterien und eines schlüssigen Ausschlussverfahrens durch DELBRUECK (1929) 91f.; ihm folgenu.a.OLOVSDOTTER (2011) 99–124; dies. (2008) 164–165; dies. (2005) 114–120; BÜHL (2001) 193–206; ENGEMANN (1999) 158–168;MEISCHNER(1996) 400 –404;KÖNIG (1981) 299–360,hier 328u.331 und VOLBACH ²(1952) 32. Dagegen wies CAMERON das Diptychon dem östlichen Konsul (PLRE2,311 (Constans 3)) von414 zu; u. a. begründet durch die Darstellungöstlicher ‚Barbaren‘ im unteren Bildfeld. Vgl. CA- MERON(1998) 385–403,bes. 385; hiergegenargumentierten VONRUMMEL (2007) 245–249; BÜHL (2001) und ENGEMANN (1999). KIILERICH/TORP (1989) 343f.mit Anm. 122 nennt neben Fl. Constantius auch Heraclianus als möglichen Konsul des Diptychons.Vgl. erneut CAMERON (2015) 259–262; aktuell auch ROLLÉDITZLER (2020) 344–346.  Aufdem rückseitigenDeckel des sog.Antiphonas,wovormals die rechte Tafel angebracht war, sind Fragmente einer Inschrift zu sehen: [.]I[.] // C[I]AE // NA.Diese Inschrift wirdvon FUHRMANN zwar nicht dem Diptychon selbst zugewiesen,wirdvon ihm aber in ottonische Zeit datiert,sodass an eine Überführung des Diptychons ausKonstantinopel im 13.Jh. (1204 Eroberung; 1205 Rückkehr Konrad vonKrosigks) nicht zu denken ist; gegenCAMERON (1998); vgl. FUHRMANN (2009) 10 –12. Auch CAMERON (2015) 258–262berücksichtigtdies nicht. 5.2Constantius 141

Abb. 4: Antiphonar mit Konsulardiptychon Constantius III. gen. So deutetdie Darstellungbesiegter ‚Barbaren‘ (submissio)¹³² im unteren Bildfeld auf einenMilitär,¹³³ demdie Würde des consul ordinarius verliehenwurde,hin.Das Re- präsentationsbild desKaiserkollegs(Honorius und Theodosius II.)¹³⁴ im oberen Register verdeutlichendas besondereNahverhältnis desKonsuls zum Kaiserhaus.Als hoher Militär, dersiegreich gegendie ‚Barbaren‘ insFeldzog,das Konsulat verliehenbekam

 Hierzu ausführlich VONRUMMEL (2007) 245–249; ENGEMANN (1999) 162f.; mit Recht wirdhier besonders die topische Darstellungder ‚Barbaren‘ betont,die keine konkrete Ethnizität zu erkennen gibt und sich nicht aufeinem tatsächlich errungenen Sieg beziehen muss;entgegen CAMERON (1998) 391 (östlich: Perser,Skythen oder Sarmaten);KÖNIG (1981) 328u.331 (Vandalen) und VOLBACH ²(1952) 32 (Vandalen) nach DELBRUECK (1929) 91 (Vandalen in iranischer Tracht). Die ‚exotische‘ Tracht der Besiegten könnte so auch aufden Sieg über Heraclianus und seine nordafrikanischen Truppen 413 anspielen.  Dies bekräftigte erneut OLOVSDOTTER (2011) 116;auch CAMERON (1998) 386f. und ders.(2015) 160f. betont die Besonderheit der submissio im unteren Register und verbindet diese mit einem mili- tärischen Amtsträger/Auftraggeber;sobereits auch DELBRUECK (1929) 92.  So bereits DELBRUECK (1929) 91f.; dem folgt auch CAMERON (1998) 385–389. 142 VZwischen Heermeister undKaiserhof

undein Nahverhältniszum Kaiserhaus anstrebte, kommtimWesten¹³⁵ fürdiesenZeit- raum prinzipiellnur FlaviusConstantius infrage.DaTheodosiusII. hier deutlich kleiner dargestellt ist,¹³⁶ solltenwohl am ehestendie Jahre 414und 417inBetrachtgezogen werden.¹³⁷ DerGeehrte aufdem HalberstädterDiptychon istausschließlich im zivilenHabitus zu sehen. DieTafel A, dieHauptseite(hier rechts), zeigtden Konsul im kunstvollbe- stickten Triumphalkostüm der toga palmata,inder Rechtendie mappa und in der Linken einZepter, bekrönt mitden Büsten derKaiserHonorius undTheodosiusII.¹³⁸ Auf derTafel B(links) präsentiert sich derKonsulinder chlamys,die rechte Hand zum Redegestus erhoben. DieBegleiter,die denKonsulrechtsund linksflankieren, sind jeweilsandie Tracht ihresDienstherrn angeglichenund tragen ebenso die toga con- tabulata bzw. die chlamys. Bei demGefolge desKonsulshandelt es sich um hochrangige Vertreterder Senatsaristokratie.Die rechte Person nebendem Konsul isthierdurch die mappa in seiner Linken und daseinfacheTrabeakostümebenfalls alsKonsul¹³⁹ anzu- sprechen.Eshandelt sich hier somitweniger um Amtsdiener alsvielmehrumein hochrangigessenatorisches Geleit,welches demKonsulgegeben wird unddiesen

 Dass das Diptychon vonHalberstadtein Erzeugnis einer westlichen Werkstatt (Ravenna?) war, legt zumindest der Vergleich mit dem Felix-Diptychon (von 428; VOLBACH, Nr.2)und dem Diptychon vonNovara (VOLBACH, Nr.64) nahe; ebenso die stilistische Nähe zum Missoriumdes Theodosius (von 388). Vgl. OLOVSDOTTER (2005) 8; ENGEMANN (1999) 158–168;MEISCHNER(1996) 404;VOLBACH ²(1952) 32 und STEENBOCK (1965) 67 f. CAMERONsAnnahme, wonach es sich hierbei um ein oströ- misches Diptychon handeln soll, wurde vonENGEMANN überzeugend widerlegt; die traditionelle Klassifizierung als westlich nach DELBRUECK (1929) 91 wirdauch durch die Betrachtungder Frag- menteder ottonischen Inschrift aufdem Antiphonar bestätigt.Vgl.FUHRMANN (2009) 10 –12.  Für gewöhnlich würde die Münzprägung,die oftmals das Herrscherkolleg abbildete,heranzu- ziehen sein, wenn nicht gerade unter Honorius ein solches Motiveine Rarität darstellen würde. Ein direkter Vergleich bietet sich lediglichmit RIC 10,1207, welches die Kaiser (rechts sitzend, größer dargestellt) und Honorius (links,kleiner)als Konsuln von396 zeigt, an. Die Datierungindas Jahr 414präferieren ausdiesem Grund auch BÜHL (2001); ENGEMANN (1999) 159 u. 165f.und CA- MERON(1998) 385–387. DELBRUECK (1929) 92 plädiert hingegenfür das Jahr 417. Gegen CAMERON,der eine Vielzahl an Beispielenanführt,indenen jeweils der Kaiser,der das 15.Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, kleiner dargestelltwurde, wendet sich BÜHL (2001) 197f.Möglich ist so auch das Jahr 417,inwelchem Theodosius II. sechzehn Jahre altwar,nicht siebzehn Jahre,wie CAMERON (1998) 386– 389 meint.  Die weibliche Gestalt, welche hinterden Augusti steht,wirdoftmals als , ange- sprochen, die sich zwar 414noch im Gefolge der Westgoten aufhielt, doch über derenRückgabe bereits Verhandlungen geführt wurden; vgl. Olymp. fr.22; fr.24; fr.26(Blockley);sodie Deutungnach EN- GEMANN (1999) 158, 164f. u. 166f.; vormals bereits DELBRUECK (1929) 92,der hieraus allerdings schlussfolgerte, dass eine Entstehungdes Diptychons nach 416, der Rückkehr der Galla Placidia, in Betracht zu ziehen sei. CAMERON (1998) 389 sieht,entsprechend seiner Annahme, hierin Aelia Pul- cheria, bezweifeltaber auch nicht,dass es sich hierbei um eine hohe Dame des Kaiserhauses handeln muss.ZuGalla Placidia in den Jahren413 bis 417und dem Interesse des weströmischen Hofs, ihre Rückgabe zu erwirken vgl. u. a. SALISBURY(2015) 87– 11;SIVAN (2011) 24–29 u. 37–59;LÜTKENHAUS (1998) 72– 75;SCHARF (1996a) 5–25;O’FLYNN (1983) 66 oder OOST (1968) 118–120.  Auch hier ist der Größenunterschied deutlich kenntlich gemacht worden.  Vgl. Hierzu auch DELBRUECK (1929) 52. 5.2Constantius 143

sichtbar in derMitte derSenatsaristokratieverortet. Füreinen Heermeister, derkeine natürliche,durch eine edle Abstammung begründete Verbindung zu denKreisen der Senatsaristokratie fürsichbeanspruchenkonnte, stelltedas aristokratischeGeleitein wichtigesRepräsentationselementdar,welches seinegesellschaftliche Spitzenposition unterstrich. SchonStilichobeanspruchtefür sich zweimaldas Konsulat und erkannte dieBedeutung dieser höchsten Würdestellung.Constantiusübernahm dieEhredes ordentlichen Konsulatsinsgesamt dreimal.Die konsularischeIteration¹⁴⁰ warhierbei geradezu notwendig, um sich gewissermaßenaus demNichts¹⁴¹ an dieSpitze der Rangfolgedes ordo senatorius zu katapultieren. Um dieAkzeptanz derstadtrömischenSenatsaristokratiezuerlangen, waresaber ebenso notwendig,sichdie aristokratischen Normen undWerte anzueignen, um damit dieeigene nobilitas unterBeweiszustellen.Letztlich strebteder magistermilitum vorder stadtrömischen Senatsaristokratiedie Führungsrollean, dieer–um mitder Termino- logie Löhkenszusprechen – gleich demKaiser nurals „Superaristokrat unter Aristo- kraten“¹⁴² wahrnehmen konnte. Angesichts derwenig schmeichelhaften Beschreibung, dieOlympiodor vonConstantiusabgibt, erforderte es gewiss einigesanArbeitund Energie, dasBilddes obersten Heermeisters dem „besseren Teil derMenschheit“ an- zugleichen:

[…], einMannmit hervorquellenden Augen, langem Hals undbreitem Kopf,der ständigüberdem Hals desPferdes,auf demerritt, gebeugtlag,[…]. Aber beiBanketten undFestenwar er so aus- gelassenund umgänglich,dassersogarmit denGauklern¹⁴³,die häufig an seinem Tischauftraten, in Wettbewerb trat.¹⁴⁴

Ein solcher Mann musste in den feinen Kreisen der stadtrömischen Senatsaristokratie deplatziert wirken. Zu Beginn seines Aufstiegs warFl. Constantius alles andere als der „Superaristokrat unter Aristokraten“.Ein Dichter vomFormat Claudians, der Con-

 Vgl. hierzu SGUAITAMATTI(2012)63–66.  Der magister militum zählte zwar als vir inlustris zur obersten Rangklasse, war aber dadurch den Reichspräfekten, den Stadtpräfekten oder den obersten Hofbeamten(u. a. mag.off.,QSP,CSL, CRP, sowie der com. dom.)prinzipiell nur gleichgestellt und nicht übergeordnet; zum Rangsystem vgl. REBENICH(2008) 153–176, hier 157f.; NOETHLICHS (1998b) 33 – 35 und LÖHKEN (1982) 1f.  LÖHKEN (1982) 56.  Bereits (Amm. 14,6,12 – 17 u. 28,4,14) kritisiert,dass sich die Senatoren in unwürdigerWeise an ihrer Tafel mit Schauspielern umgaben.Zum wenigschmeichelhaften Sitten- gemälde Ammians in dessen Rom-Exkursen vgl. u. a. VERGIN (2013) 241–252oder zusammenfassend NÄF(1995) 58f. und STRAUB (ND 1964) 202f.; grundlegend KOHNS (1975)485 – 491 und PACK (1953) 181–189.  Olymp. fr.23(Blockley): μεγαλόφθαλμόςτεκαὶμεγαλαύχην καὶ πλατυκέφαλος, νεύων διόλου ἐπὶ τὸντράχηλον τοῦ φέροντος αὐτὸν ἵππου […] ἐνδὲδείπνοις καὶ συμποσίοις τερπνὸςκαὶπολιτικός, ὡς καὶἐρίζειν τοῖςμίμοις πολλάκις παίζουσι πρὸ τῆςτραπέζης.Vgl. hierzu HEATHER ²(2010) 278. Das unwürdige Bild, welche Olymiodor hier vonConstantius(III.) zeichnet,hat vermutlich mit der ab- lehnenden Haltung des Ostens gegenüber seiner Kaisererhebungzutun. Konstantinopel betrachtete Constantius(III.) sicher als illegitim und unwürdig. 144 VZwischen Heermeister undKaiserhof

stantius zu Diensten stand und ein für die stadtrömische Senatsaristokratiepassför- miges Bild kreierte, fehlt uns hier. Umso wichtigersinddie archäologischfassbaren Zeugnisse. Nebendem bereits angeführtenKonsulardiptychonaus demDomschatzvon Halberstadtist einFrag- ment¹⁴⁵ einesweiterenDiptychons, welchesFl. Constantiuszugeordnetwerdenkann,¹⁴⁶ anzuführen.Nachrechtsgewandt an eine Säulegelehnt stehtdie Muse Erato¹⁴⁷ mit Chitonund Himation bekleidet. In derlinkenHandhältsie eine Schriftrolle.Ihr zur Seite einnackter Eros aufder Weltkugel, mitder RechteneineFackelnachunten haltendund mitder Linken derMuseeinen Palmzweigentgegenstreckend.Hinterihm stehtdie Büste einesjungenDichters.¹⁴⁸ Es muss garnicht darüber spekuliert werden,obFl. Con- stantius aufder nichtbekannten Haupttafel möglicherweise selbst dargestelltwurde.¹⁴⁹ DasDichter-Musen-Diptychon vonMonza¹⁵⁰ wird fürebendiesesbildliche Gesamtar- rangement,welches aufder einen Tafeleinen Dichterbzw.Philosophenund aufder andereneineMusezeigt, alsVergleichsstück dienen dürfen.Unwahrscheinlichund überdies auch unnötig erscheintes, dass Constantius hier selbst alsDichter oder Phi- losoph in Erscheinungtrat. AlsMannvon Bildungließihn allein schon diegewählte Darstellungerscheinen. Entsprechend desDichter-Musen-Diptychons vonMonza prä- sentiert sich auch hier dergeehrte Konsul alsein LiebhaberbeiderFacettender hohen Gelehrsamkeit, demsowohldie ernsthafte literarische Beschäftigung mitder Philoso- phie und Wissenschaft alsauchdie Schönheit derLyrik undMusik nichtfremd war. Wie Claudian dieBildung desStilichovor derSenatsaristokratiepries,¹⁵¹ warensolcheBilder bestensgeeignet, Constantiusden hochgebildetensenatorischen Kreisen¹⁵² anzuemp- fehlen.

 DELBRUECK (1929) Nr.36und VOLBACH ²(1952) Nr.34. Die entsprechende Diptychontafelgiltseit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen.  Die fragmentarisch erhaltene tabula ansata gibt die Zeilen […]Q(ue)PATR(icius)ETSECVNDO [consul ordinarius]zuerkennen, was es erlaubt,das Diptychons mit dem zweitenKonsulatdes Con- stantius 417inVerbindungzubringen. Vgl. ENGEMANN (1998) 116 mit Taf. 8c. Es handeltsich hierbei um die rechte Tafel, welche die Inschrift der linken Haupttafel, die den Namen getragen hatte(vgl. CIL 13,3674), fortführt.Ausführlich zum Diptychon vgl. SHELTON(1983) 7–23.Die ZuweisunganFl. Constantiuserfolgte bereits durch DELBRUECK (1929) 156.  Ἐρατώ,die „liebliche“ Muse der Lyrik (i. B. der Liebesdichtung), des Gesangs und des Tanzes; möglicherweise mit dem Werben um Galla Placidia zu verbinden; die mit Fl. Constantius417 die Ehe einging.  Zurknappen Beschreibungvgl.VOLBACH ²(1952) 42.  Diese Vermutung, wonach sich hier Constantiusselbst als Dichter oder Philosoph darstellen ließ, weist zu Recht SHELTON(1983) 20 als unwahrscheinlich zurück; ihr folgt hierin ENGEMANN (1999) 161.  VOLBACH ²(1952) Nr.68.  Claud. Cos. Stil. 2,66ff.: als Erzieher des Honorius und Claud. Cos. Stil. 2,124ff. u. 168ff.: Künste und Wissenschaft sowie Rhetorik und Geschichtsbildung; jedoch wirft ihm Hieronymus nach seinem Sturz eine mangelhafteBildung vor; Hieron. ep.123,17.  Sid. ep.8,2,2: […] nam iam remotis gradibus dignitatum, per quas solebat ultimo aquoque summus quisque discerni, solum erit posthac nobilitatis indicium litteras nosse. Hierzu vgl. GOLTZ (2020) 128f.; HESS (2019) 1; REBENICH(2008) 153;NÄF (1995)137 u. 285f.; HARRIES (1994) 239; ferner GERTH (2013) 5.2Constantius 145

Formal abgesichert undlegitimiert wardie Machtstellungdes Constantiusdennoch nicht. DasDilemma,mit welchembereits Stilicho zu kämpfenhatte,bestand fort. Ein wichtigerSchritt, diesenachwie vorinformelleMachtstellung formal miteiner ebenso außerordentlichen Ehrenstellungabzusichern,war dieVerleihungdes Patriziustitels.¹⁵³ Hierdurchwurde derzivilen Führungsrolledes ConstantiuserstmalseineBezeichnung gegeben. DerTitel zeigte zumeinem dasbesondere Nahverhältnisdes Constantius zum Kaiser an und setzte seinen Inhaber symbolischmit denVerwandten desKaisers gleich,¹⁵⁴ zumanderen verdeutlichte derTitel denVorrang vorden übrigen Amts-und Würdenträger des ordo senatorius.¹⁵⁵ DiewesentlichenGrundzüge desPatriziats, wiees Constantiusverstandenwissenwollteund einsetzte,hat bereitsLütkenhausversucht darzulegen.¹⁵⁶ Vorallem im Schismavon 418/419¹⁵⁷ trittConstantius als patricius vordie im Kirchenstreit tief gespaltenestadtrömische Senatsaristokratieund fungiert als wichtige Entscheidungsinstanz. VonBedeutung isthiervor allemdie Kommunikation zwischen demStadtpräfektenAureliusAnicius Symmachus¹⁵⁸ und Constantius. Be- sondersaufschlussreichist hierbeiauchdie Anredeformel,mit derSymmachus den patricius anschrieb:

[…] DOMINO SEMPER ILLVSTRI ET CVNCTA MAGNIFICO,MERITOQUESVBLIMI AC PRAECELSO PATRONO CONSTANTIO SYMMACHVSPRAEF.VRB.¹⁵⁹

Neben der geradezu ausufernden Huldigungfällt vorallem die Titulatur praecelsus patronus – sehr hoher Patron – auf, welche das Verhältnis zwischendem Stadtprä- fekten und dem patricius näher bestimmt.Als unwahrscheinlich darf gelten, dass der

157–223; MATHISEN (1988) 45 – 52. Zu den senatorischen Bildungsidealen und der Bildung als Dis- tinktionsmerkmal der stadtrömischen Senatsaristokratie vgl. Kap. 9.1.  Die Verleihungdes Patriziustitels für 415lässt sich aufGrundlage von Prosp. Tiros.a.415 an- nehmen; das erstefassbare Gesetz, welches sich an den patricius Constantius richtet (CTh.15,14,14), datiert aufden 1. März 416. DEMANDT(1970)Sp. 630f.datiert die Ernennungauf den Winter414/15.Vgl. auch HEIL (1966) 30 und ENSSLIN (1931) 496.  Gerade für Fl. Constantius,der zumindest zu Beginn seines Aufstiegsanders als Stilicho nicht über ein besonders Vertrauens-bzw.Nahverhältnis zum Kaiser verfügte,war dies nicht unwichtig.Vgl. O’FLYNN (1983) 65 f. u. 107; DEMANDT(1970)Sp. 632und ENSSLIN (1931) 497f.: „Dieser patricius ist der nächsteamThron“.Zum Patriziat unterKonstantin d. Gr.vgl. HEIL (1966) bes. 36f. und ENSSLIN (1934) 361–376. Stilichoführteden Patriziustitelnicht; seine besondereNähe zum Kaiserhaus fand seine Entsprechunginder Titulatur des parens principum.  Es handeltsich hierbei wohl eher nicht um ein fest umrissenesAmt mit konkretenBefugnissen;so noch O’FLYNN (1983) 66;ENSSLIN (1931) 497ff. und bes.PICOTTI(1928)3–80;sondern um eine Eh- renstellung,die maximale Dignität verlieh. Vgl. ANDERS (2010) 126f.; MACGEORGE (2002) 5; BARN- WELL(1992) 44–47;MATHISEN (1991) 173 – 190;ders.(1986) 35–49 und DEMANDT(1970)Sp. 631f.  LÜTKENHAUS(1998) 143 – 149.  ZumVerlauf vgl. DUNN (2015) 1–13;DIEFENBACH(2007)242– 249; LÜTKENHAUS(1998) 136–143; WIRBELAUER (1994) 388–437bes. 410 – 415und ausführlich CHANTRAINE (1988) 79–94.  PLRE 2, 219f.(Aurelius Anicius Symmachus 6).  Coll. Av. 29,1 (21. Mai 419); zu Coll. Av. 32,6(Ende Mai) =CSEL 35,1,78f.mit selbigerAnredeformel vgl. LÜTKENHAUS(1998) 147oder O’FLYNN (1983) 67. 146 VZwischen Heermeisterund Kaiserhof

Stadtpräfekt Aurelius Anicius Symmachus in einem Klientenverhältnis¹⁶⁰ zum ma- gister militum Constantius stand. Überdies liegt hier keine Privatkorrespondenz vor, sondern ein offizielles Dienstschreiben ausdem Büro des praefectus Urbi.¹⁶¹ Somit trägt die gesamte Titulatur einen amtlichen Charakter und definiertdas Verhältnis zwischenbeiden Amtsträgern. Die Bezeichnungdes Constantius als patronus kann in diesem Fall nur so verstanden werden, dass sich hierdurchder Stadtpräfektunter die höhere auctoritas des patricius stellt.Damit wurdeConstantius zum patronus des Amtsbereichs des Stadtpräfekten, der Stadt Rom und des Senats. Hierdurch war der patricius zwischenKaiser und praefectus Urbi als neue Instanz zwischengeschaltet worden.¹⁶² Dementsprechend wird er mit der Anrede dominus ebenso in Nähe des Kaisers gerückt.¹⁶³ DieRechtmäßigkeit seiner außergewöhnlichen Stellungbetont eigens die Wendung meritoque sublimis – rechtmäßig emporragend. Diegewaltsamen Ausschreitungeninder Stadt, an welchensenatorischeKreise offenbar eine Mitschuldtrugen,¹⁶⁴ dieEinmischung GallaPlacidias¹⁶⁵ unddie unklare

 Es trifft zwar zu, dass auch Stilicho als Patron vorAngehörigendes ordo senatorius auftrat (so Patroinus) und Melaniaund Pinian vonSerena protegiert wurden; die hochrangigenVertreter der Senatsaristokratie, die selbst Patronewaren, begaben sich wohl eher nicht in ein Patron-/Klienten- verhältnis zum obersten Heermeister – konnten aber in amicitia zu diesem treten(so Quintus Aurelius Symmachus zu Stilicho oder Patroclus,der Bischof vonArles,zuConstantius).Vgl. KRAUSE(1987) 12f. u. 57.Zur schwierigenAbgrenzung zwischen amicitia und patrocinium vgl. KRAUSE(1987) 5f.; ferner PEACHIN (2011) 412– 419und besonders EPP (1999) 7–16 u. 130 –175.  Das Bonifatius-Eulalius-Dossier (Coll. Av.14–37) ausdem Archivdes Stadtpräfekten ist zusam- men mit dem Damasus-Ursinus-Dossier (Coll. Av.1–13) überliefert in der Collectio Avellana;inder Mitte des 6. Jhs.indas Kirchenrecht aufgenommen und im Streit zwischen Laurentius und Symmachus um den Bischofsstuhl vonRom (498/499) herangezogen. Vgl. WIRBELAUER (1994) 407mit Anm. 80 und ders.(1993) 134–138 und CHANTRAINE (1988) 80f. Edition CSEL 35 GÜNTHER (1895). ZumSchrift- verkehr ausjuristischer Sicht aktuell nun auch LIEBS (2015) 146 – 165, bes. 158ff.  Vgl. LÜTKENHAUS (1998) 149. Der PVRwar eigentlich nur dem Kaiser rechenschaftspflichtig; vgl. KRAUSE(2014)159.  PICOTTI(1928)64geht davonaus das die Anrede als dominus Constantiusaufgrund seines Pa- triziustitels zustand. Dies ist insofern möglich, als dass Constantiusmit dem Titel des patricius sym- bolisch den Verwandten des Kaisers gleichgestellt war und überdies anlässlichseines zweitenKon- sulatsantritts am 1. Januar 417mit der Halbschwester des Kaisers,Galla Placidia, vermähltwurde. Zu der Titulatur/Anredeform patricius noster oder patricius Honorii vgl. LÜTKENHAUS(1998) 149oder PICOTTI(1928)43.  Coll. Av.29,4f.; offenbar gestanden die Sklaven, die gegendie Anhängerdes Eulaliusausge- schritten waren, die Beteiligung ihrerHerren;gemäß der Lex Iulia maiestatis war die Aussage eines Sklaven, die sich gegenseinen dominus richtete,unter diesen besonderen Umständen zulässig(Ulp. Dig.48,4,7). Vgl. LÜTKENHAUS (1998) 147mit Anm. 69.  ZurPositionierungder Galla Placidia und ihrerNähe zur stadtrömischen Senatsaristokratie vgl. SALISBURY(2015) 125–128; SIVAN (2011) 72–78;LÜTKENHAUS(1998) 141– 143u.148–150;CHAN- TRAINE (1988) 87 f. und OOST (1968) 159u.167.Die vonOOST geäußerteAnnahme, wonach Galla Placidia sich aufder SeiteihresGattenpositionierthabensoll, wurde bereits vonCHANTRAINE wi- derlegt.Inder Collectio Avellana sind zweiBriefe der Galla Placidia erhalten; Coll. Av.25(ad Aurelium) und Coll. Av.28(ad Augustinum et al.). Vgl. hierzu aktuell auch DUNN (2015) 6f. 5.2Constantius 147

Haltung desKaisers¹⁶⁶ hatten Symmachuswohl dazu veranlasst,sichanden patricius Constantiuszuwenden. Symmachusmusste befürchten,amEndemit demVorwurf konfrontiert zu sein,die falschePartei¹⁶⁷ bestraftoderbevorzugt zu haben. In solcheiner heiklenSituation waresgewisssinnvoll, sich abzusichern.Jedochunterließ es Con- stantius,Anweisungen zu geben, und verwieslediglichauf dieBeschlüssedes Kaisers. Erst alsBonifatiusals Bischofvon Romam3.April 419vom Kaiser bestätigtwurde,¹⁶⁸ hatteSymmachus Klarheit.Durch diesenSachverhalt werden gleich zwei entscheidende Punkte ersichtlich, dieinder Forschungsdiskussion immerwiederfälschlichins Ge- genteil verkehrt wurden.Zum einenwäre hier derAuffassungLütkenhausentgegen- zutreten, wonach derPatriziustitel, insbesondere in derAnrede patriciusnoster,welche derKaiser gebrauchte,sinngemäß als „unserSenatsoberhaupt“¹⁶⁹ zu verstehensei.Dies würdeimplizieren,dassHonoriusden Constantiusals Oberhauptdes Senats mitum- fassendenBefugnisseneingesetzthätte.Dochdiesliegt offensichtlich im Fall des Schismas von418/419 nichtvor,dennals weisungsbefugt siehtsichConstantius selbst nichtan. Zumanderen kann nichtdie Rede davonsein, dass Constantiusinirgendeiner Weisebeabsichtigthätte,indieserAngelegenheit seineKompetenzen auseigenem Antriebheraus zu erweitern, wiediesJones¹⁷⁰ demHeermeister unterstellen wollte. Gleichwohl bedarf es nureiner kleinen, aber nichtunbedeutenden Modifikationder Hypothesevon Lütkenhaus.Ander allgemeinenFührungsrolle und dembeherr- schenden Einfluss desConstantius im gesellschaftlichen und staatlichen Gefüge des Westenswirdinsgesamt nichtzurütteln sein.DochobConstantius denTitel des pa- tricius erst fürsichinstrumentalisiertenmusste, um denSenat, die stadtrömischen Senatsaristokratie und dieDinge in Rombestimmen zu können,bleibternsthaft zu bezweifeln.¹⁷¹ Derentscheidende Impuls,den patricius Constantiusals übergeordnet – meritoquesublimis¹⁷² – anzuerkennen undals Oberhauptindie Pflichtzunehmen, ging letztenEndes vonder stadtrömischen Senatsaristokratie selbst aus. Constantius wurde vonden SenatorenRomsund demStadtpräfektennicht nur gewollt, sondernauch

 ZurHaltung des Kaisers,welche wechselhaft war und im Verlauf des Konflikts vonEulaliuszu Bonifatius wechselte vgl. DUNN (2015) 1–13,bes. 4–7(i. B. zur Korrespondenz zwischen Honorius und dem PVR); LÜTKENHAUS (1998) 140 – 142und CHANTRAINE (1988) 86f.  DIEFENBACHvermutet,dass Symmachus im Gegensatz zu derMehrheitseinerStandesgenossen eher mitEulalius sympathisierte; vgl. DIEFENBACH(2007)243 – 245. Die Bevorzugung des Eulalius durch den Stadtpräfekten geht ausdem Bericht an den Kaiser vom29. Dezember418 (Coll. Av.14,4– 7) sowie der Inhaftierungund Abmahnungder abtrünnigenPresbyter (Coll. Av.14,6) hervor; so bereits auch CHANTRAINE (1988) 82f. und PIETRI (1976)457f. LÜTKENHAUSlässt dies unberücksichtigt.  Coll. Av.33: Anweisung,dem Bonifatius den Zugang zur Stadtzugewähren, nachdem sich Eulalius durch die Gewaltakte zum Osterfest selbst disqualifiziert hatte. In Coll. Av.29,2anConstantius geht Symmachus offenbar noch davonaus,dass Eulalius die Rückkehr nach Rom gestattet worden war. Vgl. LÜTKENHAUS (1998) 141.  LÜTKENHAUS(1998) 149, ferner ebd. 119 u. 132.  JONES (1964) 343f.  So auch ANDERS (2010) 129.  Coll. Av.29,1u.32,1. 148 VZwischen Heermeister undKaiserhof

gebraucht. DieadministrativenProbleme, mitwelchen Symmachuskonfrontiert war unddie ihn veranlasst hatten,sichanden patricius zu wenden,warensymptomatisch fürdie Herrschaft desHonorius. Zu nennen isthierdie Entscheidungsschwächedes Kaisers, die gepaartmit gravierendenKommunikationsschwierigkeitenzwischendem ravennatischen Hofund demStadtpräfekten zu ernstenadministrativen Problemen führte.Constantius konnte diekaiserliche Entscheidung forcierenund dieEntschei- dungsfindung damitbeschleunigen.Ebensokonnte er alsMittler zwischen Hofund Senatbzw.dem Stadtpräfektenfungierenund kommunikative Schwierigkeiten über- brücken. Der magistermilitum et patricius machte sich somitgerade durchdie Defizite seines Kaisersunentbehrlich fürdas reibungslose Funktionierender administrativen Organe. Dieaußerordentlichen Ehrungen,die ConstantiusimJahr420 erhielt, spiegeln seineenormeBedeutung undUnentbehrlichkeit fürdas Funktionierendes römischen Staats wider. Zusammen mitdem drittenKonsulat erhieltConstantius ein Ehrenmo- nument, welchesihn als reparatorrei publicae und parens invictissimorum principum¹⁷³ feierte. AlsDedikanttritt Aurelius AniciusSymmachus in derFunktiondes praefectus Urbi auf.Trotzder heiklenSituation im Schisma von418/419 konnte sich Symmachusim Amthalten. Höchstwahrscheinlich besaßerdie Unterstützungdes Constantius, wofürer diesem nunimNamen desKaisers (vice sacraiudicans)¹⁷⁴ in derStadt Rom, vermutlich aufdem Trajansforum,¹⁷⁵ einDenkmal setzen ließ.Nicht nurder gallische Aristokrat Rutilius Claudius Namatianus erkannte in derWiedererrichtungdes Gemeinwesens die großeLeistungdes Constantius. Auch demSenat undder stadtrömischen Senatsari- stokratie entgingendie beachtlichen Erfolgedes Heermeisters nicht. Dieüberragende Machtstellungdes Constantiusals „väterlicher“ Beschützerund Lenker desKaisers, fand nichtnur unterder gallischen, sondernauchunter derstadtrömischenSenats- aristokratie ihre Anerkennung. Allerdings standdie Entscheidungsgewaltdes Con- stantius formal noch immerunter derdes Kaisers, wasbei denAmtsträgern derkai-

 CIL 6, 1719 (ILS 801): REPARATORI REI PVBLICAE [et]/PARENTI INVICTISSIMO[rum]/PRIN- CIPVM [Fl(avio)] CO[n]S[tan]T[io]/V(iro)C(larissimo)ETINLVSTRI COMITI [et]/MAGISTROVTRIVS- Q(ue)[militiae]/PATRICIO ET TERTIO C[ons(uli)] /ORDINARIO […]; aktuelle Lesung nach LSA1423(U. GEHN). Vgl. ferner NIQUET (2000) 84f. und O’FLYNN (1983) 67.Die Statuenbasismit der Inschrift gilt heuteals verschollen,war aber noch dem Ancorianer CYRIACUS(1424) zugänglich und wurde von diesem festgehalten. Vgl. MOMMSEN,CIL 3, 1, p. 22f. Vgl. auch CIL 6, 1720,welches ein zweites Ehrenmonument für Constantius bezeugt,jedoch nur unvollständigüberliefert ist.  CIL 6, 1719 (ILS 801): […]/VICE SACRA IVDICANS/DEDICAVIT.; es fehltdas S.P.Q.R. – die Er- wähnungvon Senat und Volk vonRom – die hier nicht als Dedikantengenannt sind, sondern der PVR als Vertreterdes Kaisers. Zumtitularen Zusatz des PVR iudex sacrarum cognitionum oder vice sacra iudicans,der diesen als kaiserlichen Magistrat ausweist,vgl. EICH (2005) 360f.; NIQUET (2000) 131f.; KASER/HACKL ²(1996) 535f.und MOMMSEN (ND 1961) 270[1899].  Dagegennimmt NIQUET (2000) 23f. u. 72 eine Ehrungauf dem Romanum an. In diesem Fall hätten aber der Senat und das Volk vonRom über die Aufstellungverfügenmüssen, wie dies an zahlreichen Beispielen, die NIQUET selbst vorAugen hatte, belegt ist; z.B. CIL 6, 1730 u. 1731:Stilicho; CIL 6, 41389:Aëtius oder CIL 6, 41398:Petronius Maximus;vgl. die ergänzte Dedikationsformel nach PANCIERA (1996) 294. 5.2Constantius 149

serlichenAdministrationzuhierarchischen Problemenund Unsicherheiten führen konnte. Letztlich konntenur dieErhebungdes Constantius(III.)zum Mitkaiser¹⁷⁶ dieses Problemlösen.Insofernwar dieKaisererhebung 421¹⁷⁷ ein konsequenterSchritt.Dass Honorius hierbeinicht ganz freiwillig¹⁷⁸ zum auctor imperii desConstantiuswurde,ist durchaus nachvollziehbar, wardochzubefürchten,dassersichhierdurch nun vollends überflüssigmachenwürde.Gleichwohl sorgte Honorius mitseinerFührungsschwäche selbst dafür, dass es fürnotwendig erachtet wurde,¹⁷⁹ ihmConstantius alsMitkaiser zur Seite zu stellen. Auch mochte dieErkrankungdes Kaisers, dieihm zwei Jahre später,im Altervon 38 Jahren,den Todbrachte, eine Rollegespielthaben.¹⁸⁰ MitAusnahmedes unwahrscheinlichen Falls, dass hier eine direkteWillenserklärungdes Honorius vorlag, musste dieAufforderunghierzuaus einembreitenKonsens¹⁸¹ derentscheidenden Führungsgruppenhervorgegangensein. AufalleFälle konnte Constantiusdie Kaiser- würdenicht selbst einfordern. Sie musste ihmangetragen werden.Zunächstist hier an dasdirekte Umfeld desKaisers zu denken, eben jene höfischenFunktionsträger, die einenexklusivenZugangzum Herrscher¹⁸² hatten und damitleichtGehör beidiesem fanden.Ebensovorstellbar ist, dass diehohen Zivilbeamtender Reichsadministration, dieohnediesihreErnennung sicherlich demHeermeister verdankten,für dieKaiserer- hebung desConstantius eintraten. Geradefür dieReichspräfekten, einschließlich des praefectus Urbi,bedeutete dies eine deutlicheEntlastung. Sie musstenfortannicht mehr

 Im Herrscherkolleg nahm Constantius III. den dritten Rangein (im Osten zu Lebzeiten nicht anerkannt; erst nach 426). ZurHierarchisierungimKaiserkolleg vgl. KOLB (2001) 102–09.  Das genaue Datum überliefertTheoph.a.m.5913;die Spanne der Regierungszeit vom8.Februar bis 2. September 421passt in etwa zu der vonOlympiodor (Olymp. fr.33,1) angegebenen siebenmo- natigenHerrschaft.Zuden übrigenQuellen, die z.T. fehlerhafte Angaben machen vgl. LÜTKENHAUS (1998) 156 mit Anm. 92.  Olymp. fr.33,1(Blockley).Vgl. LÜTKENHAUS (1998) 156 mit Anm. 93.  Solche Bestrebungenverfolgtenbereits Allobich mit Konstantin III. und Jovius mit Attalus,die dem Honorius als Mitkaiser zur Seitegestelltwerden sollten.Vgl. PFEILSCHIFTER(2013) 347; HEATHER ²(2010) 299 oder LÜTKENHAUS (1998) 28.  „Wassersucht“ (υδεριάσας)nach Olymp. fr.39(Blockley);Philost.12,13;Mal. 13,48und Zon. 13,21,17;diese stellt zwar eine topische Todesart für schlechteKaiser dar,ist aber gewiss in diesem Fall mit einer realenErkrankung des Honorius zu verbinden.Vgl. MEIER/PATZOLD ³(2013) 99;zur Kritik an der theodosianischen Dynastie als „tönernes Geschlecht“ (Philost.12,13), auch im Hinblick auf dessen schwache gesundheitliche Konstitution (so auch . und Arcadius), vgl. BLECK- MANN (2008) 21–23 u. 30 –35.Die „Wassersucht“ bezeichnet letztlich aber nur ein erkennbares Symptom der eigentlichen Krankheit – die abnormeWassereinlagerungimKörper (Ödem). Im Ge- sprächsindeinevon väterlicherSeite vererbte Herzinsuffizienz oder Diabetes.Für Diabetes sprechen sich u. a. NÄF(2013) 103 mit Anm. 143und LÜTKENHAUS (1998) 158 aus.  Dieser Konsens fand in der Herrscherakklamation, an welcher die entscheidenden Führungs- gruppen im Heer,amHof und im Senat beteiligt waren, seinen unmittelbarenAusdruck. Vgl. KOLB (2001) 91–102und MARTIN (1997) 47– 62,bes. 52f.  Hierzu würden besonders der praepositus und primiceriussacri cubiculi im unmittelbaren Umfeld des Kaisers und die führenden Hofminister zählen. Über die Besetzungdieser wichtigenPosten lassen sich jedoch keine Aussagentreffen. 150 VZwischen Heermeister undKaiserhof

befürchten, diekaiserliche Majestät zu verletzen,wenn siesichanConstantius wandten. Welche Rolledie stadtrömischeSenatsaristokratie oder derSenat hierbeiwahrgenom- menhat,lässt sich anhand derQuellen nichtbeurteilen.Die Besetzungder höchsten senatorischenZivilämtermit zwei namhaftenVertreternder senatorischenHäuser Roms,Fl. Iunius QuartusPalladiusals PPO¹⁸³ undPetronius Maximusals PVR¹⁸⁴,deutet aber darauf hin, dass dieKaisererhebung desConstantius auch unterder stadtrömi- schenSenatsaristokratie und im SenatZustimmungfand. DasEhrenmonument aufdem Trajansforum¹⁸⁵,welches Petronius Maximusauf Eingebungdes Senats sogleich vonden invictissimi principes Honorius, Theodosius II. undConstantiusIII.¹⁸⁶ bewilligtbekam,dürfte dies bestätigen.Der kaiserlichen Titu- laturwurde hierbeider besondererZusatz censores remuneratoresque virtutum beige- fügt.¹⁸⁷ Im Aufgreifen der censura¹⁸⁸ wird insbesondere der lectio senatus unddes re- gimenmorum gedacht. DerSenat¹⁸⁹ erwarteteoffenbar, dass dasumConstantius erweiterte Herrscherkollegsichfortan stärkerumdie Curieund die Senatorenkümmern werde. DerplötzlicheTod¹⁹⁰ desConstantius schon am 2. September421,gerade einmal sieben Monate nach seiner Inthronisierung, beendete jedoch sein Wirken alsKaiser.Wie

 Hier schon im fünftenJahr; PLRE 2, 822ff. (Palladius 19;PPO seit). Palladius hatteunterHonorius und Constantius KarriereamHof gemacht und 416sogar zusammenmit Theodosius II. das Konsulat bekleidet.Vgl. CIL 6, 41383; die Inschrift wurde aufdem Aventin gefunden und gehörtealler Wahr- scheinlichkeit nach zu einer Ehrenstatue, die in einer senatorischen domus aufgestellt war.Die Äm- terlaufbahn ist beachtlich und führt sogar die Quästur und Prätur an. Am Hofwar dieser tribunus et notarius sowie nachfolgend comes sacrarum largitionum (vor 416).  Petronius Maximuserhielt dieses Amtimverhältnismäßig jungen Altervon etwa 25 Jahren. Da in einem so jungenAlter die Amtsvergabeeher als besondereEhrenbezeugung und wenigerals Macht- verleihunganzusehen ist,scheint dahinter in erster Linie das Umwerbenvon Teilen der stadtrömi- schen Senatsaristokratie, womöglichder gensAnicia,zustehen.  CIL 6, 1749 (ILS 809;vgl. ILS826). Vgl. NÄF(2013) 101;NIQUET (2000) 157;LÜTKENHAUS(1998) 164f. und CHASTAGNOL 1962, 281f.Der Anfangder Inschrift lautet: DDD.NNN.INVICTISSIMIPRIN- CIPES HONORIVSTHEODOSIVSETCONSTANTIVSCENSORES REMVNERATORESQVE VIRTVTVM PETRONIO MAXIMO V. C. PRAEF.VRB., AD PETITIONE(m)SENATVS AMPLISSIMIPOPVLIQ. ROMANI STATVAM, MERITORVM PERENNE MONVMENTVM IN FOROVLPIO CONSTITVI IVSSERVNT […]; Le- sung nach HEINEN (2000) 274.  Die Reihenfolge der Nennungder Augusti spiegelt deren auctoritas wider;NÄF (2013) 101 gibt die falsche Reihenfolge an.  Vgl. auch LÜTKENHAUS(1998) 164.  Die Verbindungder Kaiserwürde mit den Aufgaben eines censor ist so auch noch bei Sidonius,der seinen panegyricus aufMajorian vorAugen hat,angelegt.Vgl. Sid. carm. 3,7– 10:[…]hic nostrum tutatur, crede, pudorem, hoc censoreetiam displicuisse placet.  Selbstverständlich geht der Text aufdie Senatsaristokratie (bzw.den Senat: ad peditionem se- natus)zurück,sodass hier in ersterLinie das Herrscherbild vomsenatorischen Denken bestimmt ist. Da aber vorausgesetzt werden kann, dass die Inschrift vomKaiser so bewilligt wurde, wirdsie der Selbstauffassungder Herrscher und dem offiziell am Hofpropagierten Herrscherbildnicht entge- genstanden haben.  LediglichTheoph. a. m. 5913 nennt Mord; bei allen übrigenAutoren klingt nichts dergleichen an, so dass die communis opinio eher voneiner natürlichen Todesursache ausgeht; dagegen SCHARF (1996b) 26–31, bes. 30f. spekulierend über eine Täterschaft der Galla Placidia. 5.3 Aëtius 151

sich dasVerhältniszwischenihm und derstadtrömischenSenatsaristokratieund dem Senatentwickelthätte,wäre gewiss höchst interessantgewesen.Dochdurch seinen Tod wird diesFrage obsolet. Es muss offenbleiben,obConstantius dieRechte desSenats undder Senatsaristokratiegestärkthätte,wie diesbeispielsweisemit denGesetzenvon 423geschehen ist,¹⁹¹ oder docheherdie Souveränität desSenatsbeschnitten unddie kaiserlicheZentralgewalt gegenüberdem Senatorenstand stärkerzur Geltunggebracht hätte. In denzehnJahren, in denenConstantiusdie PolitikimWestenmaßgeblichbe- herrschte,findetsicheiniges, wasanStilichoerinnert.DiesbetrifftimBesonderendie zentrale Machtstellungdes magistermilitum,die enge Zusammenarbeit mitder stadt- römischen Senatsaristokratie unddie Anpassungandie senatorischenStandeskon- ventionen. In vielen Punkten führtaberConstantiusdie Entwicklungweiterund ist hierbeiaucherfolgreicher alsStilicho. Diemilitärischen Erfolgewarendie Vorausset- zung,dassConstantius als reparatorrei publicae auftretenkonnte.Dieserhöhte die Akzeptanzgegenüber derMachtstellung des magistermilitum ungemein.Hierbei wares kaum noch vonBedeutung,obdieserauchtatsächlich dasVertrauendes Kaisersbesaß. Wichtigist hier dieFeststellung, dass die Akkumulation vonBefugnissen nichtnur von Constantiusalleinausging,sondern auch vonden senatorischenAmtsträgern,die dem Heermeisterdie Entscheidungsgewaltantrugen, gewünschtwurde.Honoriuskonnte demnur wenigentgegensetzen.Constantiuswurdegebraucht,letzten Endesauchals Kaiser.

5.3 Aëtius – im Schatten der stadtrömischen Senatsaristokratie?

Nach dem Ablebendes Constantius folgten erbitterteMachtkämpfe am Hof.¹⁹² Nachdem Honorius am 15.August 423verstorben war,kam es zur Usurpation und zum Bürgerkrieg,aus welchemdie theodosianische Dynastie als Sieger hervorging.Ob- gleich Aëtius zu den Verlierern des Bürgerkriegs – sogar zu den ‚Verrätern‘ an der theodosianischen Dynastie – gehörte,¹⁹³ gelang es ihm, Straffreiheit und den Posten eines comes rei militaris¹⁹⁴ in Gallien zu erlangen.¹⁹⁵ Die zentrale Heermeisterstellung

 CTh.1,6,11; CTh.2,1,12; CTh.4,10,2und CTh.9,6,4.Vgl. NÄF(2013) 102; LÜTKENHAUS(1998) 173; GIGLIO (1990) 202–206und VINCENTI (1992) 67– 76.  Olymp. fr.38(Blockley).  ZurRolle in derUsurpation desJohannesvgl.STICKLER(2002)33f.Die Spekulationen bei ZEC- CHINI (1983) 124, wonach Aëtius unterConstantius zurückgestellt wurde und sich nun unter Johannes die Möglichkeit eröffnete,aufzusteigen und abermals „stilichonische Ziele“ (u. a. Offenheit gegenüber den ‚Barbaren‘ und ein gemäßigterKatholizismus) zu verfolgen, wurde vonLÜTKENHAUS(1998) 163 mit Anm. 111 und STICKLER (2002) 33 f.vollkommen zu Recht zurückgewiesen.Vgl. auch SEIBEL (2006) 132f.  CIL6,41389.Vgl.STICKLER(2002)40mit Anm. 191und dieausführlicheUntersuchungbei DE- MANDT(1970)Sp. 662ff. 152 VZwischen Heermeister undKaiserhof

ging aber an den bis dahin unbekanntenFl. Felix.¹⁹⁶ 428wurde er mit dem ordent- lichen Konsulat¹⁹⁷ geehrtund hatte auch den Patriziustitel¹⁹⁸ inne. Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass es sich hier um einen Vertrauten¹⁹⁹ der Galla Placidia handelte. Die Dominanz des Ostens²⁰⁰ in den Jahren zwischen 425und 430legt aber eher nahe, dass Konstantinopel über die Besetzung dieses wichtigen Postens ent- schied und Felix als Mann des oströmischen Kaiserhofs²⁰¹ anzusehen ist.Solltedies zutreffen, wäre davonauszugehen, dass es um das Verhältnis zwischen dem neun ‚starken Mann‘ und der stadtrömischen Senatsaristokratie nicht gerade gutstand. Fl. Felix könnte als höchster Vertreter der oströmischen ‚Protektion‘ wahrgenommen worden sein. Die gewaltsame Beseitigung vonzwei hohen GeistlichenimFolgejahr, des stadtrömischen Diakons Titus²⁰² und des Bischofs Patroclus vonArles²⁰³,sowie

 Vgl. Greg.Tur. Franc. 2,8; Philost. 12,14und Chron. Gall. 102(s. a. 425).Als politischesDruckmittel dientenAëtius die noch für Johannesangeworbenen hunnischen Truppen.  PLRE 2, 461f.(Fl.Constantius Felix14; jedoch mitfalscher Namensnennung „Constantius“); diese falsche Namensnennungwirdsojüngstauchnochvon SALISBURY(2015)162 f.; WIJNENDAELE(2015)68 undFIELDS(2015)41übernommen. Vgl. KUHOFF (2012) 65 mitAnm.51und CAMERON(2007)191 mit Anm. 3. Aufdem Felix-Diptychon(ILS1298) einschließlich derverlorenenzweiten Tafel(GORI (1759))ist derName so nichtüberliefert.Der Namen „Constantius“ basiertauf derLesungder Stifterinschrift des Apsismosaiks vonS.GiovanniinLaterano(ILS1293),die vonPANVINIOvorgeschlagen wurde. Gegen dieseLesung argumentiertebereits DESSAU,ILS 1293;heute zumeistgelesen: Fl.Felix v.c. magister utri- usquemilitiae, patriciusetcons. ord. et Padusiaeiusinl.femina,[…].; vgl. DESSAU (1892) 287=ILS1293.  Erhalten istdas Konsulardiptychon; vgl. DELBRUECK (1929) Nr.3undVOLBACH ²(1952) Nr.2.  CIL6,41393 (ILS 1293); dienicht erhaltene zweite Tafeldes Felix-Diptychons.  Zu dieser Annahmevgl.COULON(2000)94–96;OOST(1968)170 mitAnm.2undSCHMIDT (1899) 449–462, hier 449mit Anm. 3. DieseVermutung wird begründetmit derGleichsetzung desNamens Spadusia (PLRE2,1024) mitPadusia (PLRE2,816), derGemahlindes FlaviusFelix.Sonennt Olymp. fr.38 (Blockley) eine Spadusia als Vertrauteder Galla Placidia,die u. a. OOSTmit Padusia, derGattindes Flavius Felix, identifizieren will.Hieraus ergebe sich nichtnur,dass FlaviusFelix zu denVertrautender GallaPlacidiazuzählensei,sondern auch vor425 bereitsimWestenwar.PLRE2,1024gibtaberrichtig zu bemerken: „TheidentityofSpadusa with Padusia(wife of theMVM Felix14) cannot be excluded,al- though it is only an hypothesis.“  Vgl. hierzu auch MCEVOY (2010) 175 – 178und STICKLER (2002) 35– 48.  Hierhintendieren HUGHES 2012, 78;STICKLER(2002)38; ZECCHINI (1983) 142und SIRAGO (1961) 265f.Für dieNähezum oströmischen Kaiserhofsprechenu.a.auchdie aufdem Felix-Diptychonwie- dergegebeneFrisur, diemit glattanliegenden Stirnhaar eher an die „östlicheStaatsfrisur“ erinnert;im Unterschiedzur westlichen Mode,die vollerebzw.aufgetürmte Stirnwellenbevorzugt (vgl.z.B.das Diptychonvon Halberstadtodervon Novara). Vgl. hierzu DELBRUECK(1933)44.  Prosp. Tiro 1292 (s.a.426).  Ebd.;Patroclusvon Arleswurde vonFl. Constantius 412als amicus et familiaris (Prosp.Tiro1247, s. a. 412) eingesetzt undnahminkirchlichen AngelegenheitensowohlinSpanien als auch in Gallieneine Führungsposition ein; hinzukommt eine Abstammung auseinem senatsaristokratischenGeschlecht Galliens,was dieseMordtat zu einemFrevelaneinem kirchlichenWürdenträger undgallischen Aristo- kraten werden lässt.ZuPatroclus unddie Gallienpolitik desConstantius vgl. aktuellMARCOS(2013)145 – 166; ferner LÜTKENHAUS (1998) 121–129; MATHISEN(1989)48–74 oder PIETRI (1976) 1006–1021. 5.3 Aëtius 153

die kompromisslose Haltunggegenüber ‚Häretikern‘²⁰⁴ und sicherlichauch ‚Heiden‘, sendeten gewiss keine positivenSignale an die stadtrömische und auch gallische Senatsaristokratie.²⁰⁵ Dagegen musste Aëtius für die stadtrömische Senatsaristokratie der bevorzugte Kandidat gewesen sein. Mütterlicherseits entstammte er sogar der italischenAristokratie.²⁰⁶ Als Vertreter der gemäßigten und durchaus senatsfreund- lichen Politik des Usurpators Johannes²⁰⁷ empfahl sich Aëtius. Überdies war er über jeden Verdacht erhaben, nur ein ‚Diener‘ Konstantinopels zu sein. Seine Rückkehr an den Hof wird so sicherlich nicht wenige Unterstützer im Kreis der senatorischen HäuserRoms gefunden haben. In denentscheidendenJahrenzwischen425 und430,indenen sich derpolitische Umsturzanbahnte, auswelchem Aëtius alsder neue ‚starke Mann‘ hervorgehensollte, finden sich ausgesprochennamhafteVertreterder stadtrömischen Aristokratieauf den höchsten Postender Zivilverwaltung. So amtiertenunter anderenFl. AniciusAuchenius Bassus²⁰⁸ (426), Rufius Antonius AgrypniusVolusianus²⁰⁹ (428/429)und AmbrosiusTheodosius²¹⁰ (430)als praefectus praetorioItaliae. Zumindestdie beiden Erstgenanntenwerdenauchunter derFührung desAëtiusnochbedeutendeÄmter und Würden zuteil.Volusianuswird436/437 mitder ehrenvollen Aufgabebetraut,die Brautwerbungfür ValentinianIII.inKonstantinopel vorzutragen.²¹¹ In dieser wichtigen Funktion musste er nichtnur dasvolle VertrauenseinesKaisers und derKaiserinmutter

 DerVerdachtder Häresiemochtemöglicherweiseein vorgeschobener Grundgewesen sein,mit welchemder Mord zweier Geistlicher gerechtfertigt wurde. Auch im Konflikt mitBonifatiuswurden möglicherweise dessen liberale Haltunggegenüber denDonatisten unddessenEhe miteiner gotischen Arianerin(Aug. ep.220,4)angeführt, um ihnseinesAmtes zu entheben.Zur verschärftenReligionsge- setzgebung nach demSturz desUsurpatorsJohannesvgl.Kap.4.2;hierwären desWeiterenzunennen: CTh.16,7,7; CTh.16,8,28 und CTh.16,10,13(alle 426) unddie Gesetzeaus derOsthälfte CTh.16,5,65 (428) und CTh.16,8,29(429).  Vgl. hier vorallemZECCHINI(1983)142– 144; deutlich zurückhaltender STICKLER (2002)40f.  Iord. Get.176 undGreg. Tur. Franc. 2,8: mater Itala, nobilisaclocuplexfaemina.Vgl. COULON (2000) 43 undSTICKLER(2002)21f.; nachfolgendauchders. (2015) Absatz 4mit Anm. 5: „… hätteauf dieseWeise nebenseinerEinbindungindas militärischeMilieuauchübereinen direkten Zugang zu denzivilen Eliten desWestreiches verfügt.“ (Publicationsdel’Écolefrançaise de :http://books.openedition.org/efr/ 2813; abgerufenam07. 01.2016).  Vgl. Kap. 4.2.  PLRE 2, 220f. (Bassus8); dieser warbereits 425als CRPamHof präsent; hier bereitszusammenmit Aëtius unterdem Usurpator. Zu seiner Verbindung zu denAniciernvgl.CAMERON (2012)140–143.  PLRE 2,1182f.(Volusianus 6);auchdieserkannnacheiner fast fünfzehnjährigen Laufbahn im hohen Staatsdienst als einflussreicherMannamHof angesehenwerden.  Theodosius8(PLRE2,1101);CAMERON (1966) 25–38 identifiziertMacrobius mitdem in CTh.12,6,33 erwähntenPPO desJahres430,was zwarnicht unumstritten ist, doch mehrheitlich befürwortetwurde; zuvorMAZZARINO (1937/1938)255–258.Vgl. u. a. RÜCKER (2012)52oderFRATEANTONIO(2007)360–377, bes. 361. SeineHerkunftist umstritten,auchwenninder Forschungimmer wieder Nordafrika (proconsul Africae von410)angeführt wird,stand Theodosius derstadtrömischen Senatsaristokratie besonders nahe;nochseinSohnFlavius MacrobiusPlotinusEustathius (PLRE2,436)wirdzwischen457 und472 als PVRamtieren.  Vgl. Vit. Mel. 50 u. 52. 154 VZwischen Heermeister undKaiserhof

besessen haben, sondernauchdas desAëtius. Hinsichtlich desFl. AniciusAuchenius Bassusund Teilen der Anicia wird die Zusammenarbeit mitAëtiusnochdeutlicher. So erhält nichtnur Bassusein zweitesMal 435die Prätorianerpräfektur undwird431 zumKonsulernannt, auch dieAnicier PetroniusMaximus²¹² und AniciusAcilius Glabrio Faustus²¹³ kommen zum Zugund werden sich sogarübermehrere Jahrehindurchin dieser hohenPositionabwechseln.Esist daherkeineswegsabwegig anzunehmen,dass Angehörige dieser angesehenenHäuserRomsden Aufstieg desAëtiusunterstützten. Vorallem dieErmordung desFelix im Jahr 430,²¹⁴ bedurfte einerbereitenUnter- stützung.²¹⁵ Um nichtblutbeflecktals Mörder aufdie Stellung desFelix aufzurücken, musste Aëtius um Akzeptanzfür dieseTat werben.Prosper Tiro²¹⁶ nenntsoein Mord- komplottdes Felix, welchemAëtiuslediglich zumSelbstschutz zuvorgekommen sein soll.Dieswar sicherlich dieoffizielleVersion.Ein seltsamer, bislangkaumbeachteter Punkt, stellt dieAuflistungder Opferdar,die auch einMannder Kirche,einen Diakon Namens Grunitus,nennt.Grunituswirdamehesten alsengerVertrauter desFelix an- zusehensein. Sollteausgerechnetdiesemals geistlichemFührer²¹⁷ undBerater desFelix derharte religionspolitische Kurs desHeermeistersangelastet worden sein,sokönnte dies in derTat seineErmordung erklären.Diese Annahmehat einigesfür sich.Dennfalls dieErmordung desGrunitusgezielt erfolgte,zeigt dies,dassmitunterauchreligions- politische Erwägungen beim Machtwechsel 430eineRolle gespielt habenmüssen. Als potentielleBefürworter derTat kommen somitbesonders diePräfektenVolusianusund

 PLRE 2, 749(Maximus22).SolltePetronius Maximusneben seiner bishierhin schonbeachtlichen Ämterlaufbahnauchnochals praeceptor (CIL 6, 41398) demjungenValentinian gedienthaben,sowird er hervorragendeMöglichkeiten derEinflussnahme aufden Kaiser unddie Kaiserrinmutterbesessenhaben.  PLRE 2, 452– 454(Faustus8)  Hyd. Lem.94(s. a. 430);fernerMarcell.Com.s.a.430 (ohneweitere Angaben) undProsp.Tiro1303 (s.a.430)mit Angaben, dass Felixzusammenmit seiner Gemahlin Padusiaund einemDiakonmit dem NamenGrunitusermordetwurde;ähnlich auch Ioh. Ant. fr.201,3 (= Prisk. fr.30,1(Blockley)). Agnell. lib. Pontif. 31 gibt an,dasssichder Mord im Mai430 aufden Stufen der BasilicaUrsiana in Ravennaereignete: In diebus eius occisus estFelix patriciusadgradusecclesiaeUrsianae menseMai.Vgl. HUGHES (2012)78f.; STICKLER (2002) 48f.; ferner auch SIRAGO (1961)285.  Entgegen STICKLER (2002) 50: „Problematischwar fürAëtius, daßimhöfischen Milieu Ravennas – zumindestfür unserkennbar – über keinestarkeUnterstützungsgruppe verfügte“;dem istzwarprinzi- piellzuzustimmen,dasichallesdarüber hinaus aufVermutungen stützen muss,dochgerade derver- hältnismäßig reibungslose Ablauf desFührungswechselsamHof setztdocheinedurchausfähigeUn- terstützergruppe voraus;zumal es sich Aëtius schonunmittelbar danach erlauben kann,Ravenna fernzubleiben.  Prosp. 1303 (Tiros.a.430): Aetius Felicem cumuxore PadusiaetGrunito diacono,cum eos insidiarisibi praesensisset, interimit;ähnlich auch Ioh. Ant. fr.201,3 (= Prisk. fr.30,1 (Blockley)).  Diefeste Glaubenshaltung undstrenge Religiosität desFelix undder Padusiabezeugt dieStifter- inschriftdes Apsismosaiks vonS.Giovanni in Laterano (ILS 1293), welche sogarexplizitdaraufverweist, dass hierdurchein Gelübdeerfüllt wurde([…]voti compotes de propriofecerunt […]).Das Zurateziehen einesniederenGeistlichen,etwaeines Diakons oder Presbyters,stellte in hohengesellschaftlichen Kreisenkeine Seltenheitdar;sostandz.B.Melania d. Ä. unterdem Einflussdes Mönchs Rufinusvon , Melaniad.J.und Pinian vertrauten Gerontiusund Anicia Demetriawandte sich einemPresbyter Namens Tigrinus zu. 5.3 Aëtius 155

MacrobiusAmbrosius Theodosius infrage,die sich zumHeidentum bekannten²¹⁸ und allein schondeswegeneineliberalereHaltung desHofes in derReligionsgesetzgebung bevorzugen mussten. Doch auch diechristliche gens Anicia hatteein berechtigtes In- teresse, demharten religionspolitischenKursEinhalt zu gebieten.AniciaDemetria, Anicia Iulianaund Anicia Faltonia Proba²¹⁹ standenPelagius²²⁰ verdächtig nahe.Dies konnte fürdie Anicier zum Problemwerden. Aëtius erfüllte dieaus senatorischenKreisen inihn gesetztenErwartungen.Nicht allein nurder Flut an restriktiven Religionsgesetzen wurdeEinhalt geboten,²²¹ auch die Rehabilitierungdes älterenViriusNicomachusFlavianus,der vorüber35Jahrenauf der Seite desUsurpator Eugenius gekämpft hatteund gestorbenwar,wurde 431endlich ermöglicht.²²² Miteiner Ehrenstatueauf demTrajansforum²²³ wurdedieserdurch seinen EnkelAppiusNicomachusDextergeehrt. Überdies wurdedessenSohn, Virius Nico- machus Flavianusd.J., für431/432 zumPrätorianerpräfektenernannt.Grunewald²²⁴ sprichtnicht unbegründetvon einerkurzenPhase derKonsolidierung derpaganen AristokratieinRom,die sich mitdem Aufstieg desAëtiusverbindet. Bereits Steinund Twyman²²⁵ sahenhierinein wichtigesIndiz fürdie politischenAllianz zwischen Aëtius undTeilen derstadtrömischenSenatsaristokratie. DieZusammenarbeitwurde beid- seitig gesuchtund beruhtezueinem gewissen Gradauf einergegenseitigen Abhängig- keit. Diestadtrömische Senatsaristokratie und auch derSenat profitierenletztlich da-

 ZumHeidentum desVolusianusund Macrobius, wohl demAutor derSaturnalien,vgl.VON HAEHLING (1978) 319– 323; zu MacrobiusDÖPP(1978)und CAMERON (1966).  PLRE 2, 351f.(Demetria), PLRE 1, 468(Iuliana2)und PLRE 1, 731f.(Proba3); ferner vgl. DISSELKAMP (1997) 62,73f.u.91. ZurVerbindung senatorischerKreise mitden nordafrikanischen Donatisten (z.B. Melaniad.J.) vgl. OVERBECK(1973)50–52.  Pelag. ep.adDemetr.;vgl.auchAug. ep.180 undHieron. ep.130,1.Vgl.u.a.BROWN (2017)303 – 309; ders., (1970) 56–72;KURDOCK(2007)190 –224; LAURENCE (2002) 131–163; fernerauchTHIER (1999)5f. u. 58f. undgrundlegend DE PLINVAL(1943). Zursenatorischen Unterstützung desPelagiusvgl.allgemein BROWN(1970).  In derüberlieferten Gesetzgebung finden sich zwar kein Gesetz,welches eine Erleichterung darstellt oder dievorhererlassenenGesetze revidiert;jedochist einAbbruch dernochzwischen425 und429 sehr intensiv vorangetriebenen Religionsgesetzgebung zu verzeichnen. Im Ostenwirddagegen dieGesetzge- bung gegen ‚Häretiker‘, ‚Heiden‘ undAndersgläubigeunvermindertfortgeführt:vgl. CTh.16,10,25(435), CJ.1,5,6 (435), Nov.Theod. 3(438:), CJ.1,1,3 (448), CJ.1,11,7(451), CJ.1,1,4 (452)und CJ.1,7,6 (455).  Vgl. Kap. 3.1; zurRehabilitierung/Ehrung vgl. Kap. 8.1.  CIL6,1783(ILS2948).Vgl.zur InschriftNIQUET(2000)82f.oderWYTZES(1977)149 f. mitAnhang6; ausführlicherHEDRICK(2000)und GRÜNEWALD(1992)462– 487.  GRÜNEWALD (1992) 486f.Die Vermutung, dass dies mitUnterstützung desAëtiuserfolgte, äußerte bereitsSOLARI(1936)357–360, hier 359. Vgl. nachfolgendauchSTICKLER(2002)290 f. undHEDRICK (2000)223f. DagegennahmOOST(1968)231 an,dassGalla Placidia dieRehabilitierung veranlasst habe, um wiederum gegenAëtiusinsenatorischenKreisen Unterstützungzusammeln.CAMERON (2011) 204f. meinte sogar, dieFamilieFlavianskönnteselbstdie Initiative ergriffenhaben.OOSTund CAMERON bleibendabei jedoch dieBeantwortungder Frageschuldig, weswegennun gerade 431die Rehabilitierung erfolgte,und nichtbereits früher.  TWYMAN(1970)482 f. undSTEIN (1959) 340f.Vgl.fernerCOULON(2000)110 f.und zurälteren ForschungsmeinungWEBER (1989) 480ff. mitAnm.119. 156 VZwischen Heermeisterund Kaiserhof

von, dass der ‚starke Mann‘ nichtauchgleichermaßen starklegitimiert warund in ihren Kreisenfortwährend um Akzeptanzwerbenmusste.Wie bereitsStilichound Constan- tius arbeitetsoauchAëtiuseng miteinzelnen Vertretern dersenatorischen Häuser Roms zusammen undversuchte,den Senatfür seinepolitischen Zieleeinzuspannen. Die Rehabilitation desälteren Nicomachus im Jahr 431stellte dabeinur denAuftakt dar. Demfolgten diefeierlicheVeröffentlichung des CodexTheodosianus im Dezember 438, dieErrichtungeiner Ehrenstatuefür Aëtius²²⁶ zwischen 438/439und 442und die zwei Panegyrici desMerobaudes²²⁷,die 437und 446 gehalten,einem Rechenschaftsbericht zumindestrecht nahekamen. DieVeröffentlichungdes CodexTheodosianus²²⁸ warein hoheitliches Rechtbeider Kaiser und erfolgte – wiesichdiesdarstellt – ohne Zutundes Aëtius.Dennoch richtete derSenat insgesamt43Akklamationsrufeanden Heermeister:

Aeti,aveas! [DictumXV.]. Terconsulemte! [Dictum XIII.] Excubiis tuis salvietsecurisumus! [Dictum XII.] Excubiis tuis, laboribustuis! [Dictum XV.].²²⁹

Gegenüber dem amtierenden Konsulund praefectus praetorio Anicius Acilius Glabrio Faustus,²³⁰ in dessen Anwesen ad palmam²³¹ die Veröffentlichung des Codex Theo- dosianus erfolgte, steht Aëtius, was die Zahl der Akklamationsrufe angeht,zwar zu- rück.Und auch dem StadtpräfektenFl. Paulus²³² ist er nachgeordnet.Doch allein seine Nennung,die im Gegensatz zu den beiden Erstgenannten in Abwesenheit²³³ erfolgte, ist bemerkenswert.Ein drittes Konsulat fordert der Senatfür den Heermeister.Mit dem Nachdruck voninsgesamt 27 Wiederholungenwerden die Wachsamkeit und die Mühendes Aëtius gewürdigt,durch welche die anwesenden Senatoren und das ge- samte wohlbehalten und geschützt seien. Aëtius wird gerade durch die

 CIL6,41389.Sicherals terminuspostquem gilt daszweiteKonsulatdes Aëtius im Jahr 437, welches dieInschrift anführt; desWeiterenwirdauf dieinschriftlich erwähnte Vernichtungder Burgunder436 und Niederwerfungder Goten438 verwiesen; dieNichterwähnungdes seit 442ineinem Friedensvertrag „gelösten“ Vandalen-Problems legt hingegen nahe,dassdie Ehrung früher erfolgte;als gesicherter ter- minusantequem gilt dasJahr446,das dritte Konsulat desAëtius, welchesnochkeine Erwähnungfindet. Zu denverschiedenen Datierungsansätzen vgl. CIL6,41389 (G.Alföldy); ferner STICKLER (2002) 257.  ZurDatierung vgl. CLOVER (1971) 1–78,bes.41.  ZurEntstehungsgeschichte des CodexTheodosianus vgl. u. a. KROPPENBERG(2007)112–126; MATTHEWS(2000); zusammenfassend PFEILSCHIFTER(2014)145 – 147; HEATHER ²(2010)153–163oder MARTIN ²(1990) 107f.  CTh. gest.insen. 5f.Vgl.MCEVOY(2013a) 258f.; HEATHER ²(2010)158–163; NÄF(1995)30f.und BURIAN(1980)17–43,hier34.  PLRE 2, 452– 454(Faustus8).  Hierzu Kap. 8.4.  PLRE 2, 854(Paulus 31).  Entgegen derVermutung MCEVOY (2013a)259. 5.3 Aëtius 157

gewählteFormulierung an die Kaiser herangerückt.²³⁴ Im Unterschied zu den Akkla- mationen für Faustus und Paulus²³⁵ wird hier individuell der Leistungendes Aëtius gedacht.Bereits McEvoy mutmaßte, dass hier die Unterstützer des Aëtius im Senatam Werk waren.²³⁶ Dasdurch diesevierZeilengesetzte Zeichen istgleichinzweifacherHinsichtvon großer politischerBedeutung fürAëtius. Zumeinen zwangdie Akklamationden Senat zu einer Konformität, diealleSenatoren zumindest nominellzuBefürworterndes Aëtius undseinerVerdienstewerdenließ. Zumanderen dokumentiertedieserVorgang insbe- sondere vordem Kaiser noch einmalinaller Deutlichkeit diestarkePositiondes Aëtius. Der securitas-Begriff, dernachfolgend bezüglichder Ehreninschrift CIL6,41389 noch zu besprechen sein wird,erhältinden GestaSenatus UrbisRomae eine besondere Kon- notation.ImZusammenhangmit demrömischen Rechtkann securitas auch die Rechtssicherheit²³⁷ im Speziellen meinen.IndiesemFallbleibtsie aber genausowenig aufdiese²³⁸ wieauf diemilitärischeSicherheit, diewohlhinsichtlichdes Heermeisters dieerste Assoziation darstellt, beschränkt.Die Akklamationdes Senats erhebt Aëtius nebenden Augusti zumGarantender salus und securitas.²³⁹ Wenn hierauf salus und securitas mitdem obersten Heermeister Aëtius und seinem Einsatzfür dasReich in Verbindung gebrachtwerdenund eben nichtingleicherWeise mitdem CodexTheo- dosianus, istdiesdochrecht bezeichnend fürdie Einstellungder Senatorengegenüber deraus Konstantinopel überbrachtenGesetzessammlung.²⁴⁰

 SeineEntsprechung findet dies beispielsweise in CIL6,2086(act. Arv. a. 213); zumTextvgl.DIETZ (1980) 333; BURIAN (1980) 33 undPALMER(1978)1085– 1120,hier1105; ähnlichauch SHA. Comm. 18,14f. Vgl. BALDWIN(1984)43.  Faustus: Fauste,aveas! [Dictum XVII] Bisconsulemte! [Dictum XV](2x). Paulus: Paule, aveas! [Dictum XII] Consulem te! [Dictum XI]. Dieübrigen Zurufe beziehen sich aufWünsche gegenüberdem Gesetz und seiner Publikation;mit Übersetzungund Erläuterungvgl.HEATHER ²(2010)159.  MCEVOY (2013a) 259; wobeidie persönlicheAnwesenheit desAëtiusm.E.nicht wahrscheinlich ist, da dies in derDurchführung derSitzung hierarchischeProblemeaufgeworfen hätte. Überdies geht auch STICKLER (2002) 286davon aus, dass Aëtius erst ab 439häufigerinItalien präsentwar.  Vgl. u. a. NÖRR (1969)106;BLEICKEN(1966)251f. u. 267oderAMELOTTI (1958) 4.  Vgl. hierzu KNEPPE (1994) 268mit Anm. 281bezüglich Cass.Dio 56,41,4().  Vgl. Cass.Dio 56,39,2u.56,40,1 (σωτηρία)und 56,40,3f.u.56,43,4 (ἀσφάλεια)imAugustus-Lob. Vgl. KNEPPE (1994) 267f.Bezüglich derlateinischenTradition vgl. BRENK (1999a)122–131.  Der CodexTheodosianus selbst wird an keiner Stelledirektmit einerWertung bedacht; dasLob beziehtsichstets aufdie Kaiser direkt undentspricht demzuerwartenden Herrscherlob.Direktbezogen aufdie Kaiser als Gesetzgeberheißt es: Per vosarma, per vosiura [DictumXX.]. Dispositioni vestraegratias agimus [Dictum XXIII.]. Constitutionum ambiguum removistis [Dictum XXIII.]. Pii imperatores sicconsulunt [Dictum XXVI.]. Hieran anschließend sogleich dieForderungen/Bittendes Senats:i.B.Hinweisezur Verbreitung (u.a.inden Reichsämtern), zurLesbarkeit, zumSchutzvor Verfälschungen (durch Kom- mentare/ErgänzungenoderBittschriften) undzum Schutz derGrundbesitzer.Vgl.HEATHER ²(2010) 159. Allgemeinenzur Problematikvgl.HAHN(2011)206f. u. 289f.(i. B. zurReligionsgesetzgebung); umfas- send KAISER (2007); ferner WIEMER (2006) 11f.; MATTHEWS (2000) 292f.und ERRINGTON(1997b) 21ff. undJONES (1964) 366–410u.1052f.Auchdie Kaiser sahendiesesProblem.Vgl. CTh.16,10,19(Const. Sim.12); CTh.16,10,9; CTh.16,10,10und besonders Nov.Theod. 3,8f.sowie Coll.Avell. 13,7.Vgl.HAHN(2011) 289und KREUZ(2008)199ff. mitAnm.294. 158 VZwischen Heermeister undKaiserhof

Fürdie Rolleund Stellung desAëtiuslässt sich die1937aufgefundeneEhrenin- schriftCIL 6, 41389²⁴¹ heranziehen. Derausführlichen Betrachtung, diezuletzt Stickler undDelmaire²⁴² derInschrift angedeihen ließen,sinddurchauseinigePunktehinzu- zufügen. Zunächst istnocheinmalbesonders darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um eine vomSenat undVolkvon Romvergebene Ehrung handelt, dienominellauf Geheiß der Augusti erfolgtist:

[][…]HVIC SENATVSPOPVLVSQVEROMANVS OB ITALIAESECVRITATEM, […] []IVSSV PRINCIPVMDDNNTHEODOSIETPLACIDI [Valenti]- [n]IANIPP. AVGG.INATRIOLIBERTATIS,[…] [][…]ST[atuam aure/aere?]- AM CONLOCAVIT […].²⁴³

Die Initiative ging vomSenataus und nichtvom Kaiser.Nicht alleinnur der Auf- stellungsort – das Atrium Libertatis – legt dies nahe, sondern auch der Text selbst.Die zum Teil antiquiert anmutende Terminologie und die ungeheuerliche Erhöhung des Aëtius lassen nur den Schluss zu, dass weder ValentinianIII. noch Galla Placidia imstandewaren, hieraufEinfluss zu nehmen.Sowerden die Augusti zwar nicht gänzlich in der Inschrift übergangen. Jedoch bleibt der Verweis aufdie Herrscher auf das Notwendigste²⁴⁴ beschränkt.ImVergleich zu den öffentlichen Ehrungen des Sti- licho aufdem Forum Romanum²⁴⁵ wird dies besonders deutlich. Die Nähe zum Kai- serhaus und seineTreue zur theodosianischen Dynastie werden als machtpolitisch entscheidende Qualifikationsmerkmale Stilichos mit Nachdruck artikuliert – nicht so bei Aëtius. AlsBeschützerder securitasItaliae warAëtiusder Garantsowohlfür dieUnver- sehrtheitsenatorischen Besitzesals auch fürdie Aufrechterhaltungder gesellschaftli- chen Ordnung und damitder privilegierten Stellung derSenatoren,des Senats und Roms.Die securitas bezieht sich nichtalleinauf diebloße Grenzsicherung,die durchdie militärischenSiege desAëtiussichergestellt wurde, sondernauchauf die innere Si-

 Dieerste Veröffentlichungder Inschrifterfolgtedurch ihrenAusgräber BARTOLI(1948)267– 273; nachfolgendDEGRASSI(1946–1948) 33 – 44;AE1950,30 undletztlichCIL 6, 41389(G. Alföldy);eine deutschsprachige Übersetzungliefert SCHUMACHER (1994) 212f.EineZusammenfassung derFor- schungsgeschichtebietetSTICKLER(2002)255–260. Vgl. ferner auch SPERA(2012)133 – 141.  STICKLER (2002)256–273; nachfolgendDELMAIRE (2008)291–294.  Lesung nach CIL6,41389 (Alföldy); in Großbuchstaben unterEinhaltungder Zeilenvorgabe, jedoch zurErleichterung derLektüre ohne dievon ALFÖLDYangegebenen Unterpunkte.  Etwaszurückhaltender noch STICKLER (2002) 272: „[…]angesichtsdes bisher Gesagten istihreRolle dennocheherzweitrangig.“  Dies betrifft CIL6,1730und CIL6,1731. 5.3 Aëtius 159

cherheit undStabilität²⁴⁶.Die innenpolitischeDimension wird dabeieigenshervorge- hoben, indembetont wurde, dass Aëtius ein eingeschworenerFeind derDenunzianten seiund alsGarantder Freiheit undRächerder Ehregelte:

[][…]MORVM PROBO,OPVMREFVGO, DELATO- RVMVTHOSTIVM INIMICISSIMO, VINDICILIBERTATIS, PVDORISVLTO(i).

Die securitas wird am Ende der Inschrift nocheinmaldeutlich in Verbindungmit li- bertas gebracht.Entgegen der bereits in der frühen Kaiserzeit einsetzendenTendenz, anstelle der libertas die securitas hochzuhalten oder beide gleichzuschalten,²⁴⁷ wer- den hier beide Begriffe nebeneinandergestellt, ohne dass diese ihr Eigengewicht einbüßen. Noch in den Gesta Senatus Urbis Romae wird Aëtius nur mit dem Begriff securitas assoziiert.²⁴⁸ Doch jetzt verkörpert Aëtius darüber hinaus auch die libertas – und zwar als vindexlibertatis. Der Heermeister nimmthierdurch vordem Senatund Volk vonRom kaiserliche Qualitäten²⁴⁹ an. Da ausgerechnet das Atrium Libertatis zum Aufstellungsplatz des Ehrenmonuments bestimmt wurde, fällt der libertas mehr Ge- wicht zu. Für den Senat und die stadtrömische Senatsaristokratie wardie libertas – besonders als spezifisch aristokratische Freiheit – vonüberaushohem Wert.²⁵⁰ Sie garantiertals solche die politische Handlungsfreiheit,die Dignität und nicht zuletzt auch die gesellschaftliche Führungsrolle der Senatsaristokratie und des Senats. So wird der vindex libertatis – namentlich Fl. Aëtius – zum Schutzherrn der freiheitlichen Rechte und Privilegiendes Senats und der Senatsaristokratie. Darüberhinauswirdder magistermilitum et patricius Aëtius in denelitärenKreis der pars melior humani generis aufgenommen. So wird Aëtius alstreuerVerteidigerdes mosmaiorum und vortrefflicher Staatsmann apostrophiert.²⁵¹ DerInschriftzufolge las-

 ZurinnenpolitischenDimension desBegriffes securitas vgl. STICKLER (2002)267– 269; fürdie Zeit derfrühenund hohenKaiserzeitvgl.KNEPPE(1994)217– 277;INSTINSKY (1952a)bes.21ff. undHART- MANN (1921) Sp.1000–1003.  DieSchwierigkeit, libertas mit securitas bzw. der Kaiserherrschaft in Einklang zu bringen, klingt deutlich in Tac. Agr.3,1 an;zum Problemvgl.ROMAN (2014) 91f.; NORENA(2011)130: „securitas is conjoinedtolibertas“;BLEICKEN(1966)267: „Mankannsogar sagen, daßdie securitasdie libertas als zentralenBegriff derIdeologie ablöst.“ Ferner vgl. ders.(1975)511f.; KUNKEL (1969) 68–93,bes.91f.; ders. (1958) 302– 352, hier 344–346; ausführlichWIRSZUBSKI(1950).  Gerade im Zusammenhang mitder kaiserlichen Gesetzesgebung tritt libertas deutlich hinter secu- ritas zurück.Vgl.BLEICKEN(1975)511f.Zum VergleichzwischenCIL 6, 41389und CTh. gest.insen. 5f.vgl. DELMAIRE (2008) 293.  Resgest. div.Aug. 1: […] perquemrem publicam adominatione factionis oppressam in libertatem vindicavit.Vgl. DELMAIRE (2008)292;STICKLER(2002)267 u. 269f.und ausführlichZECCHINI(1985)124– 142; ferner TIERSCH(2015)27–50,bes.45–48;WELWEI (2004)217 ff.und SCHEER(1971)182– 188.  Vgl. RAAFLAUB (1974) 158 f.;fernerzur libertassenatus vgl. WIRSZUBSKI (1950) 160 –166.  ZurZusammengehörigkeit vonmoralischerIntegrität(gemäß des mos maiorum)und politischen bzw. auch militärischenLeistungenvgl.STICKLER(2002)270 f. undNIQUET(2000)151 f. Auch im 160 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

sensichdie Eigenschaften labor, fortitudo, pietas, clementia, modestia, iustitia und das Idealder respublica²⁵² mitder Person desAëtiusverbinden.Zumindest indirekt durch denanspruchsvollenSprachgebrauchder Inschriftund seineantiquiertanmutende Formulierung²⁵³ erscheintder Geehrte überdies alsein Mann hoherBildung.Diesalles wies Aëtius alshochpräsentablenVertreter der pars melior humani generis ausund stilisierteihn sozusagen zu einem vivum exemplum dervon senatorischerSeite hoch- gehaltenen Tugenden. Dabeierhältauchdiese Aussageder InschrifteinmalmehrbesonderenNachdruck durchden gewähltenAufstellungsort.Die inhaltlichen Assoziationen derInschrift mit dem Atrium Libertatisbleibtnicht aufdie Wortassoziation vindex libertatis/libertas be- schränkt. Dieser Ort²⁵⁴ warvordergründig demErhaltdes mosmaiorum verpflichtetund symbolisierteüberdiesdas Bildungsidealder Senatsaristokratie. So wachtendie Cen- soren²⁵⁵ einstimAtrium Libertatis über dieSittendes römischen Volks(regimenmo- rum)²⁵⁶ undauchdie ersteöffentliche Bibliothek Roms fand hier ihrenPlatz.²⁵⁷ Die

panegyricus desMerobaudesauf Aëtius werden diemilitärischen Qualitäten(Merob. pros. frg.IA21–24) dencharakterlichen Vorzügen (frg. IB9–13)zur Seitegestellt.  DieWerte labor, fortitudo und pietas sind vorallem denZeilen7–9zuentnehmen,die aufdie militärischenLeistungenabheben (labor/fortitudo)und betonen, dass dies zumSchutzItaliens(pietas; speziellals Treue/Hingabegegenüber Italienund seinen Bewohnern) erfolgte.Die Werte clementia, modestia und iustitia werden in denZeilen13–15 thematisiert. DenLeitgedankender respublica – dem Wohl desGemeinwesensVorrang vordem Privatlebeneinzuräumen – trägtdie Inschrift, dieöffentlich Aëtius fürseine demGemeinwesen erbrachten Leistungen Dankabstattet, insgesamt Rechnung.  NebenWendungen wie vindicilibertatis, pudorisultor(i)(Z. 14 f.) oder dona militaria (Z.5f.),die eher im senatorischenTraditionsbewusstsein als im zeitgemäßen Sprachgebrauch undrealpolitischenTa- gesgeschäft seineAnwendung fanden,steht dieInschrift derpanegyrischen Dichtung desMerobaudes rechtnahe; vgl. OLAJOS(1971)469 – 472. Möglicherweise entsprachdie InschriftauchmetrischenVor- gaben: secundo/consuli ordinario (Z 4f.) – trochäischeKlausel;vgl.STICKLER(2002)260 Anm. 1369.  Eine wichtige Grundlagefür dieLokalisierung des Atrium Libertatis fürdie Zeit derRepublikist Cic. Ad Att.4,16,14 undSuet. Galb. 19.Vgl.Überblickshalber KALAS(2015)153–157STICKLER(2002)261 f.; BAUER(1996)12f.; ausführlichhinsichtlichder älterenForschung,abernicht aufneusten Stand, WELIN (1953) 180 –197. Umstritten istdie genaue Lokalisierung desBaus: vgl. PURCELL(1993)125–155 (Tabu- larium); CASTAGNOLI (1946) 282ff. (Caesarforum,späterTrajansforum);ihm folgen u. a. COARELLI (1993a); ZANKER (1970) 522f.; LUGLI(1964); dagegenBAUER (1996) 12–14 (CuriaIulia/Atrium Minervae). EinweiteresProblem betrifft dieBaukontinuität: BAUER(1996)14spricht sich diesbezüglichfür eine Rückführung vomTrajansforumaus;LUGLI (1964) 815diskutierte dies bereits; allerdingsvertreten einige Forscher,u.a.BONNEFOND (1979) 610, auch eine Kontinuitätvon derRepublikbis zurSpätantike. Aktuell vgl. KALAS(2015)153 – 155und SPERA (2012)133 – 141(im Wesentlichen BAUER folgend).  Derletztenamentlich bekannte Censor istFl. Dalmatius (PLRE1,240 f. (Dalmatius6); Athan. C. Ar. 65,1 ff.),der Halbbruder Konstantin d. Gr., derdiesesAmt jedoch wohl mehr derEhrehalberführte.  Liv. 43,16,13: censores […] in atrium Libertatisescenderunt et obsignatis tabellis […]. Vgl. ebenso Liv. 45,15,5und ferner auch Liv. 39,41,4: zurBewerbung desCatoals „Sittenhüter“.Einevollständige Auflistung derQuellen bietet LUGLI(1965)79–83, Nr.436–465; ders.(1964)807– 815, hier 808–811und CASTAGNOLI (1946) 276–291.  Im Jahr 39 v. Chr. gründetC.Asinius Pollio hier dieerste öffentlicheBibliothek; so auch noch fest- gehalten in Isid. Orig. 6,5. Vgl. Suet. Iul.44,4u.Aug.29; Plin. Nat.7,115 u. 35,10. UnterTrajanwurde das Atrium Libertatis in dieNordwestapsisder BasilicaUlpia überführt(gemäßder FormaUrbis Romae 29b: 5.3 Aëtius 161

Errichtung derEhrenstatue desAëtius in AtrioLibertatislässt denHeermeister an einer Geschichte partizipieren, diebis aufdie Censoren derrömischen Republik zurückver- weistund derenBemühen um denErhaltdes mosmaiorum kommemoriert.Entspre- chenddes historischen Vorbilds derCensorenkonnte Aëtius vorSenat undVolkvon Romals Hüterder Sitten(censor morum)²⁵⁸ gelten.Der Patriziat, denAëtiusseit435 führte,²⁵⁹ konnte mittelsrepublikanischerTermini genauerdefiniert werden.Nicht mehr nurdas besondere Nahverhältnis zumKaiser, welchesimFalldes Aëtius ohnehin problematischwar,sondern auch dieAufsichtüberdie moralisch-sittlicheIntegritätdes ordo senatorius wurdeoffenbarauf den patricius übertragen. Wiediesbereits Stickler richtigfeststellte, „warder Senatkeineswegsdie bloße Manövriermasse in denHändender Machthaber“²⁶⁰.Die Ehrung desAëtiusdurch den Senatzeigtdiesnur zu gut, denn am Endekonnteder Senathierbei seineInteressensehr gutzur Geltungbringen.Der ‚starke Mann‘ lässtsichgerade durchdie außergewöhnlich hohenEhrenbezeugungenals Garant der securitas, libertas und des mosmaiorum vom Senatindie Pflichtnehmen. DiehiererfolgteEhrungträgt so auch denCharakter eines ‚Koalitionsvertrags‘,auf derenGrundlage dieZusammenarbeitzwischen Aëtius und demSenat zustande kommen konnte.²⁶¹ Um 440 wusste derSenat offensichtlich genau um seinen politischen Wert. CIL6,41389 bleibt in diesem Punktdas,als wasesbereits Bartoli²⁶² auswies: einbemerkenswertes Zeugnisfür diepolitischeLebenskraftdes spätrömischenSenats. DerHorizontder SenatorenRomsbeschränktesichhierbei aber nichtalleinnur auf denSenat unddie Urbs aeterna. DieseFeststellungist wichtig, um nichtden Senatnur alsOrgan städtischerAdministration – als „organo dell’amministrazione cittadina“²⁶³ – zu verstehen. DieinCIL 6, 41389angeführte securitasItaliae wurdejedenfallsinGallien erkämpft und belegt sehr wohl,dassdas großeGanze – das Imperium Romanum – nicht vergessen wurde. Entsprechend gibt Merobaudes im panegyricus aufAëtiusfür dasJahr 446einen Bericht zur Gesamtlage desImperiums.Natürlich erfolgte dies vorrangig, um dieLeistungendes obersten Feldherrnangemessen zu würdigen.Dochauchstrittige Aspekte, wiedie Hunnen-Politik²⁶⁴ und dieVandalen-Frage²⁶⁵,erhielten hier eine

[L]IBERTA[tis]).Vgl.BAUER (1996) 12–14;LUGLI (1964) 809f.und CASTAGNOLI (1946) 284–287. Zur Funktionsvielfalt des Atrium Libertatis vgl. COARELLI (1993a)133 – 135; LUGLI(1964)811 undCAS- TAGNOLI (1946) 280–287.  BereitsFl. ConstanitusinCIL 6, 1749 (ILS 809): censor remuneratorque virtutum (alledings als Kaiser).  Fast.Merseb. s. a. 435.  STICKLER (2002)272.  ÄhnlichauchSTICKLER(2002)271: „sieformulierteineGeschäftsgrundlage“.  BARTOLI(1948)271– 273.  DE FRANCISCI(1946/1947) 279; ähnlich STROHEKER (ND 1970)62und SUNDWALL (1915) 152; vgl. auch STICKLER (2002) 275.  Merob. Pan.2,1– 4: Danuviicum paceredit Tanainquefuroreexuit et nigrocandentes aethereterras Martesuo caruisse iubet; deditotiaferro Caucasus et saevicondemnant proeliareges. Vgl. HEATHER ²(2010) 333f.und STICKLER (2002)117 f. 162 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

Rechtfertigung.Zunächst wird dabeider Eindruck erweckt, dass Hesperiumregnum und damitder Geltungsbereichdes Senats erstrecke sich vomKaukasusbis zumAtlasge- birge.Aëtiusselbstsei diealles ordnende Gewalt,die denMächten desChaos trotzte. An einemSchreckensszenario,inwelchen sinistre Kreaturender Unterweltden Tonange- ben,wird dieBedeutung desAëtiusals Rettergemessen. Gegendas Wüten Bellonasund Enyos²⁶⁶ führtder Heermeisterden Friedenherbei.²⁶⁷ Seit demJahr442 bestandein FriedensvertragzwischenRom und denVandalen.²⁶⁸ Bereitsimsogenannten Vertrag vonMargus²⁶⁹ waren434 dieInteressensphären zwischen Westromund denHunnen abgestecktworden. DasWortFriedehatte in denOhren derversammeltenVäter gewiss einensehr ambivalentenKlang.Obwohl derRaubihrer nordafrikanischenBesitztümer²⁷⁰ diegro- ßenstadtrömischenFamilien, die Anicii²⁷¹, Decii²⁷² oder die Caeionii-Rufii²⁷³,nicht in die Armuttrieb,war derVerlust schmerzhaft. Einschneller Sieg oder einstabilerFriede, doch keinesfallsein langer Kriegmit ungewissem Ausgang, standenzur Debatte. Das Scheiternrömischer Kriegsbemühungen²⁷⁴ zwangamEndezum Frieden. Vondiesem

 Merob. Pan.2,39f.u.190–195. Vgl. mitÜbersetzung HEATHER ²(2010)338– 341.  Beidewerdenoftmalsauchgleichgesetzt als Göttin deswütendenKrieges undder rücksichtslosen Vernichtung(Plut. Sull. 9,2);bei Claudian (Claud. Ruf.1,89und Claud. Eutr. 2,95– 173) noch positivkon- notiert, führen sieden Sturzdes Rufinusund Eutropiusherbei. Vgl. SCHINDLER (2009)180.  Merob. Pan.2,39f.u.190–195.  Vgl. auch Merob. Carm. 1,5–10 und Pan.2,24–29 (vgl.Prok. BV.1,4,12– 14;zum Friedensvertragvgl. HEATHER ²(2010) 341f.; STICKLER (2002)239f.;SCHULZ(1993)92–95 oder CLOVER (1973) 104–117, bes. 107f.; zumTextvgl.CLOVER(1971)20f.u.51ff.  Prisk. fr.2(Blockley);der Vertraghat zwar Theodosius II.auf dereinen undAttila undBleda aufder anderenSeite als Hauptvertragspartner, durchdie Anwesenheitdes Aëtius wurden aber auch weströ- mische Belange verhandelt – i. B. dieKonzessionierungder pannonischen Provinzen. Vgl. STICKLER (2002)114 f.;SCHULZ(1993)94f.u.111–122, bes. 112mit Anm. 11 undVÁRADY(1969)290 ff.  ZurLageinNordafrika im Vorfeldder Vandalen-Invasion vgl. DIESNER(1966)31–34 undCOURTOIS (1955) 65 – 67.Aktuell vgl. u. a. WIJNENDAELE(2015)74–78;BÖRM(2013)67–72 oder HEATHER ²(2010) 306–317mit Karte10.  Die gens Anicia stammte ursprünglich aus Africa (Amm. 27,11,1) undbesaß voralleminder Africa Procunsularis ausgedehnteBesitzungen.Zur Verbundenheitder Aniciermit Nordafrika vgl. BRANDT (2014b) 97– 108, hier 99f.;fernerWICKHAM(2005)163;LANCON(2001)64f.und bes. OVERBECK(1973) 23–30 u. 40.Vergleichbarestrifft auch aufdie Aradii zu.Vgl.PANCIERA (1986) 547–572.  Dies betrifft vorallemFl. Albinus10(PLRE 2, 53), wohl mitAlbinus 7gleichzusetzen. Vgl. WEBER (1989) 493– 497(gleichgesetztmit Albinus7); MATTHEWS(1975)360 undOVERBECK1973, 22.  DieVerbindungder Caeionii-Rufii bzw. der gens Valeria zu nordafrikanischenBesitzungen (nahe Thagaste)ist u. a. durch Vit. Mel. Lat. XXI belegt;fernerbezeugendie im Haus derValerier aufgefundenen Patronatstafeln CIL6,1684–1689 eine aufs engstemit Africa verbundene Ämterlaufbahn(u. a. praeses Byzacenae). Rufius Antonius AgrypniusVolusianus warbereits in sehr jungenJahrenProkonsul in Africa (CIL 8, 25990) undunterhieltnochspäter, wiedie Korrespondenzmit Augustinus (z.B.Aug. ep.136) belegt,engeKontakte. Vergleichbares trifft auch aufdie gens Paulae zu;vgl.MATTHEWS(1975)27f.; OVERBECK (1973) 41 f.  Prosp.Tiro 1344 (s.a.441); Cassiod. Chron. a. 441und Theoph.a.m.5941. DieoströmischenTruppen, diesichzwecksder geplantenInvasionNordafrikasauf Sizilien aufhielten unddie Bewohner auch noch 5.3 Aëtius 163

Friedenkonnten die SenatorenRomserhoffen, dass sich Geiserichlangfristig in römi- sche Strukturen einbindenließ²⁷⁵ und hierdurch die senatorischenBesitzständein Nordafrika²⁷⁶ geschütztblieben und für ihre Besitzerwiederzugänglichwerdenwürden. Dervom Heermeisterarrangierte Friede²⁷⁷ sollte am Hofund im SenatZustimmung finden.Entscheidendfür denSenat warhierbei auch,dasszumindest formal dasSu- premat derrömischen Herrschaft²⁷⁸ weiterGültigkeit besaß.²⁷⁹ Diekaiserliche Regierung warimFolgenden bemüht,für dieökonomischstark in Mitleidenschaftgezogenen se- natorischenGroßgrundbesitzer Abhilfezuschaffen. Dass diesbezüglichzahlreicheGe- setzeerlassenwurden, diebis in die450er-Jahre reichen,²⁸⁰ verdeutlicht,wie schwer die Senatsaristokratie durchden Verlustder Gebiete in Africa getroffenwar.Die Steuer- ausfälle²⁸¹ nahmen mittlerweile aber auch fürden Fiskus kritischeAusmaße an,sodass

um ihre letzte Habe gebracht hatten,wurden441 abgezogen.Vgl. HEATHER ²(2010) 338; STICKLER (2002) 238und CLOVER (1966)80–83.  In denletzten Jahren erfuhren Geiserichund dasDiktumvon der ‚barbarischen Fremdherrschaft‘ (Vict.Vita hist.pers. 2,6: barbaradominatio)einegewisse Revision;seinBemühen um dieIntegration in römische Strukturenwirdjüngststärker hervorgehoben. Vgl. BÖRM(2013)69f.u.77f.; HEATHER ²(2010) 455f.; ANDERS (2010)189 f. oder DEMANDT(2008b) 271–289, hier 282f.; WIRTH(1986)gehtsogar so weit in Geisericheinen Sachwalter dertheodosianischenDynastiezusehen.  ZumFortbestand senatorischen Besitzes vgl. OVERBECK (1973) 58–62.Die Enteignungen bis 439löschtensicherlichnicht denkomplettensenatorischen Besitz aus. Gegenflächendeckende Ver- wüstung(Vict.Vit. Hist.pers. 1,2–4) undEnteignungsenatorischen Besitzes spricht vorallemder ar- chäologische Befund;vgl.CHRISTIE(2011)1–3. U. a. DerSarkophag vonLamta (wohlaus Italienim- portiert); vgl.WARLAND (2009) 293f.und BÉJAOUI(2009). Dieprachtvolle Villavon Sidi Ghribüberstand das5.Jh.undwurde erst im frühen 6. Jh.durch einenBrand zerstört;vgl.ENNABLI(2009)234f. Zahlreiche einschlägige Beispielesinddem hier angeführtenKatalog desBadischen LandesmuseumsKarlsruhe, Das Königreich derVandalen (2009) zu entnehmen.  Das Aëtius derArchitekt dieses Friedens warunterstreichenvor allem STICKLER (2002) 239f.und ZECCHINI(1983)179 f. Formal galt aber einzig ValentinianIII.als Vertragspartner(im amicitia-Verhältnis); die amicitia betonend SCHULZ (1993) 92– 95;EPP (1999) 176 – 233, bes. 194ff. MitseinemTod 455konnte Geiserichden Vertragvon 442als hinfällig betrachten.  Vgl. hier auch Merob. Carm. 1,5– 10: ipse micans tecti medium cumconiuge princeps lucida ceu summi possiastra poli,terrarumveneranda salus: propraesidenostro amissassubitofletnovus exul opes;cui natura dedit, victoria reddidit orbem claraque longinquos praebuit aula toros.;eineÜbersetzung bietet HEATHER ²(2010)340 f.; vgl. hierzu MCEVOY (2013a) 269f.; CLOVER (1971) 16–18.  Zuruntergeordneten Stellung Geiserichs gegenüberdem Kaiser vgl. ANDERS(2010)453 f.;CAST- RITIUS (2007)103 f.; STICKLER (2002)239;WOLFRAM (1990)245;DEMOUGEOT (1979) 513; CLOVER (1966) 90 undDIESNER (1964) 183f.  Nov.Val.12(443):Aussetzen derSteuerfür betroffene Grundbesitzer; Nov.Val.12,1–4: Regelung von Krediten; Nov.Val.34,2(451):Steuererlassfür fünf Jahre; ferner Nov.Val.1,2 (440/441?):Steuererleichte- rung fürSizilien; Nov. Val.13(21.6.445): fürdie Provinz Mauretania Sitifensis;vgl.HEATHER ²(2010) 342– 344; BARNISH(1986)170 – 195, hier 176oderJONES (1964) 462f.  UnterHonoriuswirddas jährlicheSteueraufkommen aufetwa2,5 MillionenSolidi(STEIN) oder 350.000Pf. Gold (ILUK) geschätzt (beiintaktemReichsgebiet bisetwa 407);die Zahlen variierenstark und sind abhängig vonden SchätzungenSTEINsund ILUKs; vgl. STEIN(1928)508–511und ILUK (1985) 79 – 103, hier 96ff.; ersteren folgtNOETHLICHS(1998a) 1– 31,hier10f.; letzterenfolgt DEMANDT ²(2007)285. DieseZahlenkönnenallenfalls alsOrientierung dienen,bleiben jedoch problematisch. Ohne absolute 164 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

es auflange Sicht zwischen derSenatsaristokratie unddem Staatzwangsläufigzueinem harten Ringen um dieverbliebenenRessourcenkommenmusste. In Zuge dessen wurden bereits441 sämtlichesteuerliche Privilegiengestrichen.²⁸² Stattvon Vergünstigungen zu profitieren, warnunmehr diversen neuenVerpflichtungen nachzukommen.Der Bauund dieInstandsetzungvon Militärstraßen,die Waffenfabri- kation und dasHochziehen derMauernsowie dieVersorgungdes Heereswarenzu erledigen.²⁸³ DieBefreiung dersenatorischenGrundbesitzer vonder munera sordida²⁸⁴ wardamit aufgehoben.Überdieswurdender Senatsaristokratie eineweitereZah- lungserhöhungaufgebürdet. So sollten, wiebereits unterHonorius, 30 Solidi als aurum tironicum²⁸⁵ jährlich fürden Unterhalteines Soldaten gezahlt werden.Jedocherfolgte nuneineAbstufung,welchedie Begüterten – eben dieSenatoren – zu einerZahlungvon 90 Solidiverpflichtete.²⁸⁶ Hinzukam eine neue Abgabe aufAn- und Verkäufe,das sili- quaticum.²⁸⁷ Alldiessollteder Bündelungder Kräftedienen. Aëtius,der fürviele dieser

Zahlen anzugeben, lässt sich erwarten,dass sich dieStaatseinnahmendurch denVerlust derwichtigsten ProvinzenNordafrikasder schwierigenLageinSpanienund denVerlust Britanniensummehrals 50% reduzierthaben dürften; Nov.Val.13(445) veranschlagt für dieverbliebenenGebiete in Nordafrikasonur noch 1/8des vorigen Steuersatzes, waseinen Verlustvon etwa 106.200Solidi(HEATHER)bedeutete;vgl. HEATHER ²(2010)346 undNOETHLICHS(1998a) 10f. ZumdrastischenRückgangder Steuereinnahmen vgl. HENNING (1999) 261f.; ELTON(1996)126f.; DIESNER (1989) 7– 22, hier 13 f.;KRAUSE(1987)328–330; STEIN(1959)342 f.; ders. (1928) 509–511. Signifikantist auch dieReduzierung desSolidi-Feingehaltsvon 99%auf knapp96%Gold.Vgl.RIC 10 (1994)5f. ZurBedeutung derreichen nordafrikanischenProvinzen fürden Ausgleichdes Staatshaushaltes vgl. HEATHER ²(2010) 317–327; ferner OVERBECK(1973)46f.  Nov.Val.10,3(20.02.441; hier vollständig): Haec enim superiorisaetatis principesetdivorum parentum nostrorumliberalitas inlustribustitulis redundantisopulentia saeculi minore aliorumpossessorum pernicie conferebant: quod quamvisettunciniustum, tameninter initia lenius videbatur; subdifficultateautem praesentis temporisnon modo reiipsiusnaturainiquum,sed et inpossibilepaucisactenuioribus constat, qui multiplicato suae alienaeque functionis oneredepressiprocumbentpenitus,nisialiquandoidoneorum so- cietaterespirent. Eine ÜbersetzungbietetHEATHER ²(2010)345. DieBeschneidungvon Finanzprivilegien beinhaltenauchdie Gesetze Nov.Val. 4(440):Rücknahme aller bestehendenSonderregelungenSteuer- befreiungbzw.Minderung; Nov.Val.7,1 u. 7, 2(440u.442): gegendie Praxis der palatini beim Eintreiben der Steuerneinen Prozentsatz fürsicheinzubehalten; Nov.Val. 6,3(444):Aufhebung früherer Steuerver- günstigungen. Zu denken isthierbei an dieVergünstigungen in Nov.Val. 1,1(438: Steuernachlassfür Italien undNordafrika) oder Nov.Val. 1,2(440/441?:Nachlassfür Sizilien); ferner CTh.7,30,30 (413); CTh.7,26,14 (412); CTh.10,18,1 (412)und CTh.7,27,13(403) vgl. DELMAIRE (1977) 311–331, hier 319.  Vgl. Nov. Val.10,3und Nov.Val. 4(440).Vgl.HEATHER ²(2010)344.  Zur munera sordida vgl. DRECOLL (1997) 261–263; SCHLINKERT (1996a)125–127 undKRAUSE(1987) 319f.; vgl. ferner allgemein zu den munera senatoria jetztauchLAROCCA/OPPEDISANO (2016) 26–31.  CTh.7,13,20 (410); zum aurumtironicum vgl. KARAGIANNOPOULOS (1958) 119–123, bes. 122.;zur Diskussion bezüglichder Organisationvgl.BRANDT(1988)73–77 undZUCKERMAN (1998) 79 – 139, bes. 125f.  Nov.Val.6,3 (14.7.444);hierzuauch Nov.Val.13,3(445).Vgl.auchNOETHLICHS(1998a) 11 mit Anm. 29.  Nov.Val.15(Ende 444/445: De SiliquarumExactionibus).Vgl. ANDERS (2010)379;HENDY (1985) 627; BRANDES (2002)24u.301;HENNING (1999) 261; HERZ (1988) 349; SCHNEIDER(1981)100;JONES (1964) 205u.435 mitAnm.60; zu Rechtdaraufverweisend, dass dieseSteuerobder mangelndenKontroll- möglichkeitenweitgehendineffektivblieb. 5.3 Aëtius 165

Erlassesicherlichverantwortlich war, musste hierbeibesonders aufeinekonstruktive Zusammenarbeit mitdem praefectus praetorioItaliae²⁸⁸ setzen. Zwei Amtsinhaberfallenhierbei besondersins Auge:Petronius Maximus(PPO 439 – 441)²⁸⁹ und FlaviusAlbinus (PPO 443–449)²⁹⁰.InihnenzweipolitischeAntagonisten zu sehen, dieinfiskalischenFragengegensätzlichePositionenvertraten,ist keineswegs eine neugeäußerte Vermutung. BereitsZecchini²⁹¹ wollte dies erkannthaben.Soglaubte er,inAlbinus einenGegnerdes Aëtius zu erkennen,wohingegenPetronius Maximusein Parteigängerdes Heermeisters gewesenseinsoll. Entscheidender istaberwohleher, wie diebeidenPräfektenzueinanderstanden.Denndasskeinerder beidendie Feindschaft desAëtiusoderauchdes Kaisersauf sich zog, belegt ihre ausgesprochenlange Amts- zeit.²⁹² Nichtsdestotrotz sind sieoffensichtlichdie Protagonisten zweier vollkommen konträrlaufender politischerProgramme.Dieswirdersichtlich,wenndie steuerlichen Gesetzeindie richtige chronologische Reihenfolgegebracht undden entsprechenden Adressaten im Amtdes praefectuspraetorio zugeordnet werden:

maximale Ausschöpfung:finanzielle Entlastung: Nov.Val.  (): ad Maximum. Nov.Val. , (): ad Maximum. Nov.Val. , (): ad Maximum.²⁹³ Nov.Val. , (/?): ad Maximum. Nov.Val.  (): ad Maximum. Nov.Val. , (): ad Paterius. Nov.Val.  (): ad Albinum. Nov.Val. , (): ad Albinum. Nov.Val. , (): ad Isidorum.²⁹⁴ Nov.Val.  (): ad Albinum. Nov.Val.  (/): ad …²⁹⁵ Nov.Val.  (): ad Firminum.²⁹⁶

Die Übersicht verdeutlicht zunächstden vorgenommenen politischen Kurswechsel sowohl 440 als auch 442. Im Zuge der Kriegsvorbereitungenerwiessich vorallem

 Zurerweiterten Befugnis desPPO;der letzte entscheidende Erlass Nov.Val.1,3 (5.3.450).  PLRE 2, 749(Maximus22).  PLRE 2, 53 (Albinus 10); wohl identischmit CaecinaDeciusAginatius Albinus(Albinus7).  ZECCHINI(1983)244ff.;zuvor bereitsders. (1981) 125ff. undders. (1980) 70 ff.  So auch STICKLER (2002) 298und WEBER (1998) 491; entgegen ZECCHINI (1983)246.  Nov.Val.7,1 – wieauchfolgend Nov.Val.7,2 – betrifft vorallem die palatini unddie Finanzverwaltung desCSL.Vgl.hierzuauchKap.3.3.  Gemeintist vermutlich derCSL Isidorus 4(PLRE 2, 628);hierbezüglich des aurumtironicum.  Hier fehltder Adressat; da es sich aber um dieEinführung des siliquaticum handeltund mit Nov. Val.7,2 (442) – erneut bestätigt in Nov.Val.7,3 (447) – die palatini wieder unterdem comes sacrarum largitionum standen, wird möglicherweise dieser in Nov.Val.15(444/5) mitder Steuererhebung beauftragt worden sein.  PLRE 2, 471(Firminus 2);als PPO449 – 452und patricius isternachPetronius Maximusund Albinus einerder am längstenamtierendenPrätorianerpräfektenund somitwohlein Mann,der engmit Aëtius zusammenarbeitete;daessichbei Firminusvermutlichumeinen Vertreterder gallischenAristokratie handelt, soll dieser hier nichtweiterbehandelt werden.Obsichdurch seineErnennung eine wieauch immergearteteZurückstufung derstadtrömischenSenatsaristokratie abzeichnet(so TWYMANund ZECCHINI),bleibtzubezweifeln; vgl. STICKLER (2002) 298f.mit Anm. 1549; schwierig ZECCHINI (1983) 251mit Anm. 35 undTWYMAN(1970)486 f. 166 VZwischen Heermeister undKaiserhof

Petronius Maximus in der Stellungdes praefectus praetorio als hilfreich, die Senats- aristokratie finanziell stärker in die Pflicht zu nehmen. Vorher gewährte Steuerver- günstigungen, die für Italien, Nordafrikaund Sizilien²⁹⁷ galten, fielen 441durch Nov.Val. 10 weg. Petronius Maximus wird in diesem Zusammenhang am ehesten als Vertreter eben jener Senatoren zu verstehen sein, die nach dem Fall Karthagos 439die rascheRückgewinnung des verlorenen Gebiets ganz oben aufdie politische Agenda setzten.²⁹⁸ Die Pläne scheitern jedoch. Die oströmischen Truppen wurden zurückbe- ordert²⁹⁹ und trotzweiterer Bemühungen im Jahr 441, die Kriegslasten allein zu stemmen, sah sich der Westen außerstande, den Feldzugzuführen. Die politische Ratlosigkeit lässt sich guterkennen. Petronius Maximus scheidet 441aus dem Amt, nachdemimFebruar noch Nov.Val. 10³⁰⁰ aufden Weggebracht wurde. Bis zum Amtsantritt des Albinus Mitte 443lösensich im schnellen Wechsel Anicius Acilius Glabrio Faustus (Aug.442)³⁰¹,Fl. Paterius (Sep. 442)³⁰² und Quadratianus (Mai 443)³⁰³ ab, was wohl einerPhase der politischen Umorientierungentsprach. An dieser Stelle stehtder vonMerobaudesgeprieseneFrieden von442,der wohl zu Rechtals radikaler politischerKurswechsel anzusehenist. DiePolitik,die Petronius Maximusmitgetragen hatte,wargescheitert. Dieser durfte sich ehrenvollals designierter Konsul fürdas Jahr 443aus demAmt zurückziehen.³⁰⁴ Erst mitAlbinus schien dann wieder einpassender Amtsträgergefundenwordenzusein. Einigesspricht dafür, dass derneueMannimAmt denvormals aufKrieg ausgerichteten Kurs undvor allemdie starke finanzielleBelastung derSenatsaristokratie nichtmitgetragen hatte. Eine zuge- gebenermaßen sehr isolierteNachricht ProsperTiros zum Jahr 440³⁰⁵ berichtetvon ei-

 Nov.Val.1,1 (438:für Italien undNordafrika) und Nov.Val.1,2 (440/441?: fürSizilien).  Bezeichnenderweise eskaliertder Konflikt zwischenRom undden Vandalenauchunter derHerr- schaft desPetronius Maximus. Vgl. Kap. 4.3.  Anlass hierfürbot vermutlich dieEinfälle derHunnenunter Attila in Thrakien ab 441. Vgl. zusam- menfassend BÖRM (2013)81–89;STICKLER(2007a) 67 f. undders. (2002)115 f.;ausführlich u. a. ALT- HEIM (1975) 289–292; WIRTH(1967)41–69,bes.50ff.; mitabweichenderChronologie vgl. SCHARF (1996c)48–58.  Auffälligist,dass Nov. Val.10–dasamschärfstenformulierte Gesetz – noch vorder schiffbaren Saison herausgegebenwurde,was möglicherweise dafür sprechen könnte,dassfür 441nochimmerein Feldzugins Auge gefasstwurde. Nov. Val.1,2 (440/441?),welches nichtgenau zu datieren ist, trägtmit der Steuerentlastung fürSizilienvielleicht demUmstandRechnung,dassnochimmer einweströmisches Heer in dieser Region zu versorgenwar.  PLRE 2, 452– 454(Faustus8).  PLRE 2, 836(Paterius 3);das an ihngerichteteGesetz Nov.Val.7,2 (27.9.442)hebtdie Weisungsbe- fugnis desPPO über die palatini wieder auf; wasvermutlichmit demEndedes ganz aufdie Wehrkraft- steigerungausgerichtetenfinanzpolitischen Kurses zu tunhaben dürfte.  PLRE 2, 931(Quadratianus 1);vermutlichmit PetroniusPerpennaQuadratianus Quadratianus 2 identisch.  In derTat finden wirihn nach 442nicht mehr in einempolitisch wichtigen Amt; als weitereEhrung wird ihm445 allerdingsnochder Patriziustitel zuerkannt.  Prosp. Tiro 1341 (s.a.440): Defuncto XystoepiscopoXLamplius diebus Romana ecclesia sine antistite fuit,mirabilipaceatque patientiapraesentiam diaconi Leonis expectans,quemtuncinter Aetium et Albinum 5.3 Aëtius 167

nemZerwürfniszwischenAëtiusund Albinus. Am naheliegendstenerscheint es,als Gegenstand desStreits Nov. Val. 4anzusehen.Am24. Januar erlassen waresdas erste Gesetz,welches diePrivilegien der Senatsaristokratiebeschnitt undeinen berechtigten Grundzum Protestbot. SolltesichAlbinusauf dieseWeise bereitsinden Jahren440/441 in einereheroppositionellen Haltungpolitisch profiliert haben, warernachdem Friedenvon 442die bestmögliche Wahl,wennesdarum ging,den politischen Rich- tungswechselauthentisch und mitNachdruck zu vertreten. Dass hierbeinun diesenatorischen Besitzständedurch gleich drei an Albinus adressierteGesetze erneut eine Begünstigungerfuhren, entsprachgewissganzder finanzpolitischenHaltung desneuen praefectus praetorio. Natürlichbegünstigten diese in erster Linienicht etwa Italien, sonderndie nordafrikanischen Provinzenund dieaus denverlorenenGebietengeflohenenLandbesitzer. Dies hatteimmerhinschon Weber³⁰⁶ veranlasst, in Albinuseinen Patron dieser Provinzenzusehen,der ernsthaftbemüht war, dieVerhältnissedortsogut wiemöglich in Ordnungzubringen.Diesentsprach aber auch demökonomischenInteresse derstadtrömischenSenatsaristokratie,deren außeritalischenBesitzungen vorallem in Nordafrika³⁰⁷ lagen. LetztenEndes wird sich beides wohl gutergänzt haben. EinMann, dersowohl fürdie nordafrikanischenPro- vinzialeneintrat alsauchdie Interessender stadtrömischen Senatsaristokratiewahrte undbeiderseitigesVertrauen genoss,war nach 442die denkbarbeste Wahl. DamitwurdenjedochjeglicheBemühungender Jahre 440/441,die verbliebenen Ressourcenfür denStaat zu bündeln, letztlichkonterkariert.³⁰⁸ Im Zweifelsfall wusste diestadtrömische SenatsaristokratieihreökonomischenInteressenzuwahren. Viel- leicht etwaszuverfrühtgibtindiesemZusammenhangKrauselakonischzubemerken: „444 mußteder weströmische Staatden Bankrotterklären.“³⁰⁹.Diesmag übertrieben wirken,dochfeststeht,dassder Staatweiterverarmte, währenddie reichstender Se- natorenihren opulentenBesitzstand sich bewahren konnten. Salvianvon Massilia be- merkte in seinem um 450verfasstenWerk De gubernatione Dei hierzu:

amicitiasredintegrantem Galliae detinebant […]; demnachimSommer440,etwazwischendem 19.August (Tod Sixtus III.)und dem29. September(Wahl Leos). Vgl. hierzu aktuellauchMCEVOY (2013a)285 f.; SIVAN(2011)146;fernerWESSEL(2008)36f.  WEBER(1989)496f.; hierin folgtihm auch STICKLER (2002) 298.  So i. B. dieAnicier undCaeioner-Rufier undValerier.  So auch HENNING (1999) 261; dieeffektive Durchsetzung dieser Gesetze zogenbereits TWYMAN (1970) 481und STEIN (1959) 342inZweifel.  KRAUSE (1987) 330; sich dabeiauf denWortlaut von Nov.Val.6,3 (444)und Nov. Val.15(444/445) beziehend. Etwasnachhintendatiertund vorsichtiger formuliert MAIER(1968)146: „Am Ende der Herrschaft Valentinians III. warder weströmische Staat praktischbankrott.“ Vgl. ANDERS (2010) 379 (nachder Plünderung Roms 455);HENNING (1999) 264 (unter Avitus). Das Jahr 444wirdi.B.inder englischsprachigen Literaturangegeben;vgl.z.B.WACHER(ND 2002)119 [1987]oderFRIELL/WILLIAMS (2005)72. 168 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

Da damals jene Magistraten armwaren,erhielten sieeinen wohlhabenden Staat,jetzt aber lässt eine wohlhabendeAmtsgewaltden Staat verarmen!³¹⁰

In Anbetracht schwindender Ressourcen musste die Frage, Rom und Italien oder der ‚Rest‘,zunehmend eine stärkere Rolle gespielt haben. Die stadtrömische Senatsari- stokratie stand so der gallischen und selbstder oberitalischen Aristokratie bald ge- nauso konkurrierend gegenüber wie der kaiserlichen Zentralgewalt,wenn es um die eigene Existenzsicherung ging.Dies wird aber erst nach 455ganz zur Ausprägung kommen, wofür aufdie vonAnders, Henningund Schäfer³¹¹ durchgeführten Unter- suchungen verwiesen werden kann. Abschließend bleibt festzuhalten,dassdie Entscheidungen und Ereignisse,die direkt oder indirekt mitder Person desFlavius Aëtius zu verbindensind, in vielen Fällen zurweiterenpolitischen undgesellschaftlichenDestabilisierungdes Westensbeige- tragenhaben.Durch diebürgerkriegsähnlichen Umstände,die seinen Aufstieg beglei- teten,³¹² wurdeNordafrika fürGeiserich zurleichtenBeute.Auf langeSicht gelang es zwar demHeermeister,den Einfluss desKaisers unddes „innerenHofs“³¹³ zurückzu- drängen,was ihmdie nahezu alles beherrschendeStellungsicherte. Doch hierzu musste er sich in starke Abhängigkeit zur stadtrömischen Senatsaristokratie begeben. Dereig- nenMachtbasisverpflichtetließensichdie notwendigenMaßnahmen kaum konse- quentdurchsetzen.Die SenatsaristokratieRomsdefiniertesoletzten Endesinerhebli- chem Maßden Handlungsspielraum desAëtius.

5.4 Zusammenfassung: Kaiser,Usurpatorenund Heermeister

Kapitel III bis Vbefassten sich vorallem mit der politischen Bedeutung des Senats und der stadtrömischen Senatsaristokratie. Im Besonderen wurde nach der politischen Partizipation gefragt.Dabei wurden vorallem die Kaiser,Usurpatoren und Heer- meister in den Blick genommen. Mitdem Kapitel zur theodosianischen Dynastie gelang es zunächst, demHerr- scherprofilder Kaiser Honorius undValentinian III. deutlicher alsdiesbisherinder

 Salv. gub.1,11: Itaque tunc illi pauperes magistratusopulentam rempublicam habebant, nunc autem divespotestaspauperemfacit esse rempublicam. Vgl. auch Salv. gub.6,43.; allgemein zurSozialkritik im Werk Salvians vgl. BADEWIEN(1980).  ANDERS (2010)283 f. undHENNING (1999) 123u.163 f.; zumInteressenkonflikt mitder oberitali- schenbzw.ligurischen Senatsaristokratieim5./6. Jh.vgl.SCHÄFER (1991). ZurKonkurrenzzwischen Gallienund Italienvor 454/455vgl.ZECCHINI(1983)239 undTWYMAN(1970)484– 487; wobeiaufzu- passen ist, dass man demnicht zu viel Gewichtbeimisst.Vgl. STICKLER (2002) 298mit Anm. 1549. Hierzu auch Kap.2.2.  Hierzu jetztauchWIJNENDAELE (2015) 56ff.  Dies betrifft vorallemdas direkteUmfelddes Kaisers, welchessichnur schwer durchden Heer- meisterbeherrschen ließ.Vgl.STICKLER(2002)299 f. Das Ringenumdie Finanzverwaltung in den440er- Jahren istsignifikant hierfür. Vgl. STICKLER (2002) 291–296und TWYMAN (1970) 488ff. 5.4 Zusammenfassung 169

Forschunggeschehen ist, Kontur zu verleihen. DieUntersuchungzum zweiten Rom- besuch desTheodosiushat zwar dessenHistorizitätnicht zweifelsfrei beweisen können. DieÜberlegungenzuAuftretenund Erscheinungsbild desTheodosiuswarenaber dennochhöchst aufschlussreich. Sieließenzum Ausgangdes 4. Jhs. noch einmal einen Herrschererkennen, dermilitärisch siegreichvor Rom, denSenatoren unddem Klerus den consensusuniversorum befehlen konnte.Nach394 sollte es im GrundekeinenKaiser mehr geben, deresvermochte,dermaßenmachtvoll Rom, demSenat und seinen se- natorischenHäusern gegenüberzutreten. Dabeiverschobsichinder Folgezeitdas po- litische Gewichtdeutlichzugunstender senatorischenHäuserund desSenats. Da es den ErbenTheodosius’ d. Gr.nie gelang, eine persönlicheBindung zum Heer aufzubauen, bliebals einzigesoziale Gruppe,ander sich dieKaisersowohl identifikatorischals auch distinktiv ausrichten konnten, dieSenatsaristokratieübrig.Darausresultierte einstark demsenatorischenHabitus undWertenverpflichtetesHerrscherverständnis. Darüber hinaus dürfte zum einender Konflikt mitKonstantinopelinden Jahrenbis 408 sowiedie Dominanz Theodosius’ II.ab425 dazu geführthaben,dasssichdas weströmische Kaisertumwiederverstärkt aufden politischenWertRomsbesann. Zumanderen zwang derKontrollverlustüberweite Teiledes Westensund desdaraus resultierenden Steu- ereinbruchssowie diesichverkleinernde Rekrutierungsbasis derAdministrationden Kaiser und seineRegierung in eine starke Abhängigkeitzur italischen und stadtrömi- schenSenatsaristokratie.Die Kaiser konnten so dieWünsche derstadtrömischenSe- natsaristokratie kaum ablehnen.Hierbei ließ sich diebesondere Sorge (cura)der Kaiser fürRom nichtnur derGesetzgebungentnehmen,sondern konnte auch an derverhält- nismäßig großen Zahl an kaiserlichen Baumaßnahmen belegt werden. In gewisser Weisetraf diesauchauf dieUsurpatoren dererstenHälftedes 5. Jhs. zu, zumindestauf jene,die dieHerrschaftinItalien antraten.Zwarließsichimengeren Sinnenur PriscusAttalus auch als „Senatskaiser“ auffassen. Beiden beidenanderen relevantenUsurpationen, derdes Johannes Primiceriusund derdes Petronius Maximus, schien vorallem derKaiserhof dieMachtbasisdargestellt zu haben. Da aber diehohen Hofämter nunwiederhäufiger vonAngehörigen derstadtrömischenSenatsaristokratie bekleidetwurdenund höchstwahrscheinlich auch derSenat fürdie Investitur und Herrscherlegitimationzumindest formal bemüht wurde, sind alle drei Usurpationen letztlichals zivil-senatorischaufzufassen.Mituntergab dabeidie Regierungeines Attalus, Johannes undPetronius Maximus einigesPotenzial zu erkennen.Der Wille, eine selbstbestimmteRegierungstätigkeit zu entfaltenund dieProblemedes Reichs ernsthaft anzugehen, ließ siezumehrwerden. Siewarenjedenfallsnicht nur ‚Marionetten‘ eines mächtigenMilitärs. Entsprechend konfliktgeladenkonntedas Verhältnis zwischendem führenden Militärund demerhobenen Herrschersein. Im Fall allerdreiUsurpationen dürftendas mangelndeNahverhältnis zumHeerund diefehlendeTreuebindungaus- schlaggebend fürihr Scheiterngewesen sein.Dasssichzweimal Konstantinopel unddie theodosianischeDynastiebehaupten konnten, hatteamEndeerheblich damitzutun, dass sich diepolitischen Bündnisseund dieprimärzivileMachtbasisder Usurpatoren letztlichnicht alskrisenbeständigerwiesen. Zwar ließ sich am HofoderimSenat eine Mehrheit finden,welchedie Herrschaftantragenkonnte, doch musste dies nichtbe- 170 VZwischen Heermeister und Kaiserhof

deuten,dasssichder Herrscherauchtatsächlich aufeinebreiteBasis vonUnterstützern verlassenkonnte. Bezüglich desSenatsals meinungsbildendesGremium derSenatsaristokratie wurdediesbesondersdeutlich. DerSenat konntesichzwarfür einenHerrscheraus- sprechen,dochandieses votum warendie senatorischenHäusernicht zwingend ge- bunden.Sozerfiel nichtseltendie stadtrömischeSenatsaristokratie, obwohl derUsur- patorüberdie Stimmender Senatorenverfügteodersogar selbst ausdem Kreisder SenatorenRomsstammte,inein Lagervon Befürwortern bzw. Unterstützernund ein Lagervon Gegnern. Es zeigte sich somit, dass derSenat alsmeinungsbildendesGre- mium nichtmehrinder Lage war, dieSenatsaristokratie in seiner Gesamtheit zu ver- treten,schon garnicht diedes Westens, aber auch nichtdie Italiens oder Roms.Hier- durchwarendie Möglichkeiten desSenats, eine stabileAkzeptanz-und Machtbasis für dieUsurpatoren zu schaffen,stark begrenzt. Dennoch wurdeder Senatauchvon denHeermeisternumworbenund je nach Stellenwert, dendas Erbe Roms und(pseudo‐)republikanische Traditionsbilderfür die heermeisterliche Politikhatten, politischeingebunden.Hierpräsentierte sich der Heermeisternicht mehr nur alsfähiger Feldherr an derSpitzedes Heeres, sondern beanspruchte nun auch eine führende RolleimKreis derSenatsaristokratie undvor dem Senat. Dies ließ ihninseinerRepräsentationzum ‚Mann zweier Welten‘ werden.Die Heermeistererhielten hierdurchdie Möglichkeit, sich durchden Senatbeauftragen zu lassen und so faktisch auch eine PolitikamKaiserund demHof vorbei zu betreiben. Eben diesePolitik,die dieHeermeister seit Stilicho betrieben, sorgte dafür, dass der Senatnicht nur an Bedeutung,sondern auch an Selbstbewusstseingewann. Der ‚starke Mann‘ im Westen,der obersteHeermeister,konntehierweitweniger starkauftretenals dies seinehoheStellungund Machtfülle vielleicht nahelegenwürde.Tatsächlich warer seiner Unterstützerschaft starkverpflichtetund musste seinePolitik dementsprechend an senatorischenInteressenausrichten. Verstärktbautendie Heermeistersoauchauf Amtsträger,die sich ausdem Kreisder stadtrömischen Senatsaristokratie rekrutierten. So fiel auf, dass geradeinsenatsaristokratischen Kreisen dieAkzeptanz gegenüberdem Regime desHeermeistersstark warund zu einerengenZusammenarbeit geführthatte. DieNotwendigkeit, einen ‚starkenMann‘ in Persondes obersten Heermeisters zu haben, wurdedurchauserkannt. Dies musste umso mehr gelten,als dieKaiserHonorius und ValentinianIII.offensichtlichnicht dazu imstande waren, dieser ‚starke Mann‘ zu seien. Dementsprechendließsichbeobachten, dass demHeermeister seitensder senatori- schenAmtsträgerund desSenatsehernochmehrVerantwortlichkeitenangetragen wurden.Damit trugen am Ende auch diestadtrömische Senatsaristokratie und derSenat entscheidend dazu bei, dass der magistermilitum (et patricius)im5.Jh. zu jenernahezu allesbeherrschendenZentralgestalt aufsteigen konnte.