„Niemand hat die Absicht…“

Ein Zeitreise-Unterrichtsservice zum Mauerbau 1961 Unterrichtsentwurf

Liebe Lehrerinnen und Lehrer, mit dem vorliegenden Unterrichtsservice zum Mauerbau möchten wir Ihnen besonders anschauli- ches Material an die Hand geben, damit Geschichte für alle Schülerinnen und Schüler (be)greifbar wird. Wir wünschen Ihnen einen anregenden Geschichtsunterricht!

Ihr Zeitreise-Team

1. Stunde z 2. Stunde z Einstieg Einstieg – Vorspielen des Hörtracks „Niemand hat die – Besprechung der Hausaufgabe Absicht, eine Mauer zu errichten“ (S. 2) – Animation „Grenzstreifen“ als Film abspielen – Betrachtung von Q1 (S. 3), Mauerbau am 13.6.1961, ▶ Dekonstruktion von Ulbrichts Aussage als Lüge

Erarbeitung Erarbeitung 1 – Gruppe 1: Herausarbeitung der Ursachen des – Beschreiben des Aufbaus der Grenzanlagen Mauerbaus mit Aufgabe 1 (S. 4) mit Aufgabe 1 (S. 6), alternativ über die – Gruppe 2: Herausarbeitung der Folgen des Kopiervorlagen in zwei Niveaus (S. 8 + 9) Mauerbaus mit Aufgabe 3 (S. 4) Beurteilung + Aufgabe 4 (S. 4) fakultativ für schnelle – Aufgabe 4 (S. 6) Schülerinnen und Schüler Erarbeitung 2 Sicherung: – Austeilen des Textblattes zum Hörspiel „Ein – Zusammentragen der Ergebnisse im Plenum Tunnel nach Westen“ (S. 10 –12) – gemeinsames Hören des Hörspiels – Austeilen des Arbeitsblatts zum Hörspiel (S. 13/14) Hausaufgabe: – Aufgaben 5 und 6 (S. 4) Hausaufgabe: – Ausfüllen des Arbeitsblatts zum Hörspiel + Recherche „echter“ Fluchtversuche mit Aufgabe 5 (S. 6)

Hinweis zur Differenzierung: Schwächeren Schülerinnen und Schülern können Sie als Unter- stützung die beiliegenden Hilfekärtchen (S. 7) an die Hand geben.

Seite 1 Originalaufnahme Deutschland: besetzt,geteilt, vereint

Walter Ulbricht zum Mauerbau Aus der Pressekonferenz von , dem Ersten Sekretär des ZK der SED, vom 15. 6. 1961:

Doherr: Ich möchte eine Zusatzfrage stellen – Doherr, „Frankfurter Rundschau“. Herr Vorsitzender! Bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie ent- schlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?

Ulbricht: Ich verstehe Ihre Frage so: Dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ää, mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

(Interviewerin: Annamarie Doherr; Frankfurter Rundschau)

Online-Link Hörbeitrag Ulbricht 451030-0003

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Hörtext zu Zeitreise www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-12-451034-8

Seite 2 Auszug aus dem Zeitreise Schulbuch Band 3 – Seite 202

Der Bau der Mauer Ständig wanderten Arbeitskräfte aus der DDR ab. Das fügte ihrer Wirtschaft großen Schaden zu. Im Sommer 1961 spitzte sich die Lage zu. Täglich verließen fast 2000 Flüchtlinge ihr Land. Da reagierten die Machthaber der DDR.

Q 1 Mauerbau in , August 1961 (links der Mauer: Ost-Berlin, rechts: West-Berlin)

Der Bau der Mauer im August 1961 um die Bürger­innen und Bürger der Am 13. August riegelten Soldaten der DDR zu ­schützen und den Aufbau der Natio­nalen Volksarmee (NVA) und sozialistischen deutschen Gesellschaft bewaffnete Arbeiter der sogenannten nicht zu gefährden. Die Grenzsol- Kampftruppen mit Stacheldraht und daten der DDR bekamen den Befehl, Straßensperren die Grenze zu West- auf Flüchtlinge zu schießen. Bis zur Berlin ab. In den nächsten Tagen und Öffnung der Mauer 1989 gab es immer Wochen wurde die Grenze zu West-Ber- ­wieder Tote (siehe S. 204). lin und zur Bundesrepublik mit einer Nach der Vereinigung von Bundesre- Betonmauer, Grenzzäunen, Todesstrei- publik und DDR 1990 fanden mehrere fen und Wachtürmen fast unüberwind- Prozesse gegen die „Mauerschützen“ bar gemacht. Bald installierte die DDR statt. In der Öffentlichkeit wurde über auch Minen, ab 1970 sogar Selbstschus- die Schuld­fähigkeit der Soldaten kontro­ sanlagen. vers diskutiert. Viele forderten, vor Die Regierung der DDR argumen- allem diejenigen zu bestrafen, die den tierte, dass die Mauer notwendig sei, Befehl zum Schießen gegeben hatten.

Hörspiel „Ein Tunnel nach Westen“ (1962) Online-Link Hörbuch 3, Track 15 „Ein Tunnel nach Westen“ 451030-0004

Seite 3 Auszug aus dem Zeitreise Schulbuch Band 3 – Seite 203

Q 2 Klaus W. erinnerte sich im Jahre 1999: Wir sind 1961 im September nach Glienicke gezogen, also genau nach der Zeit, als die 331 390 Mauer gebaut wurde. Unser Grundstück lag 279 189 genau an der Mauer. (…) Die Nachbarn auf 252 870 261 622 5 der Westseite kannten wir nicht mehr. Man 207 026 197 788 204 092 199 188 182 393 184 198 konnte zwar rübergucken und auch mit Stei- 165 648 143 917 nen schmeißen, kennen gelernt haben wir 129 245 sie aber erst nach dreißig Jahren. (…) Meine ganze Kindheit und Jugend habe ich also an 21 356 10 der Mauer verbracht. Das war nicht immer

einfach, wir durften zum Beispiel keine Kinder 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 mit nach Hause bringen, mein eigener Kum- pel, mein Klassenkamerad, konnte mich nicht D 1 DDR-Flüchtlinge in die Bundesrepublik und nach West-Berlin 1949–1962 besuchen, weil unser Haus im Grenzgebiet

15 lag. (…) Die Verwandtschaft musste, wenn Geburtstag oder Ähnliches war, vier bis sechs Wochen vorher einen Antrag stellen. (…) Die Grenzer sind sogar jeden Sonnabend gekom- men, um im Keller die Wände abzuklopfen, ob

20 irgendwo ein Tunnel gegraben wurde.

Q 3 Im Jahr 1963 äußerte sich ein Mitglied des SED-Zentralkomitees vor Grenzsoldaten: Ich sage, jeder Schuss aus der Maschinen­ pistole eines unserer Grenzsicherungs­ polizisten zur Abwehr solcher Verbrechen (gemeint ist die Flucht aus der DDR) rettet in 5 der Konsequenz Hunderte von Kameraden, rettet Tausenden Bürgern der DDR das Leben und sichert Millionenwerte an Volksvermögen. Ihr schießt nicht auf Brüder und Schwestern, Q 4 Sprung in die ­Freiheit? Der 19-jährige Volkspolizist Conrad Schumann wenn ihr mit der Waffe den Grenzverletzer flüchtet nach West-Berlin. Dieses Foto vom 15. August 1961 wurde weltbe- rühmt als Symbol einer geglückten Flucht. Doch unbeschwert glücklich 10 zum Halten bringt. Wie kann das euer Bruder wurde Schumann­ nicht. Lange Jahre fürchtete er die Rache der Staats­ sein, der die Republik verrät, der die Macht des sicherheit (siehe S. 220), deren Einfluss bis in die Bundesrepu­blik und Volkes antastet! nach West-Berlin reichte.

Aufgaben

1 Nenne Ursachen für den Mauerbau (VT, D 1). 5 In der DDR hieß die Mauer „antifaschistischer Schutzwall“. Erkläre, was dadurch ausgedrückt 2 Erläutere D 1, insbesondere „1954“ und „1962“. werden sollte (VT, Q 3, Q 4).

3 Beschreibe die Folgen des Mauerbaus für 6 Diskutiert, ob die „Mauerschützen“ zu Recht Ost- und Westdeutsche (VT, Q 1, Q 2). zu bestrafen sind bzw. wer die Verant­wortung für die Toten an der Ma uer trägt. 4 Stell dir vor, du hättest den August 1961 in Ost-Berlin erlebt. Verfasse einen Brief an deine Cousine/deinen Cousin in der BRD, in dem du ihr/ihm schilderst, was passiert ist.

Seite 4 Die deutsch-deutsche Grenze

m

k

l g Auszug ausdemZeitreiseSchulbuchBand3–Seite204 d j

Seite 5 i

c

f h e a

b

D 1 Die deutsch-­deutsche Grenze war bis zu 500 Meter breit. h Lichttrasse Computer­rekonstruktion i Beobachtungsturm, dauerhaft besetzte ­Leitstelle a DDR-Grenzsäule j Beobachtungsbunker b Grenzhinweisschild unmittel­bar vor dem Grenzverlauf, der durch Grenzsteine markiert war k Hundelaufanlage c Grenzmauer aus ­Beton (3,40 Meter hoch) l Grenzsperrzaun (zwei bis drei Meter hoch) mit Signaldrähten, die bei d Metallgitterzaun (3,20 Meter hoch), stand außerhalb von Orten ­Berührung Alarm aus­lösten e Durchlasstor mit Stahlhöckern als Kfz-Hindernis m Kontrollgebäude am Beginn der Sperrzone. Die Darstellung ist gerafft, in Wirk- f Erdstreifen zur Erkennung von Fußspuren (sechs Meter breit), zum Teil vermint lichkeit war die Sperrzone fünf Kilometer breit. g Grenzfahrzeug auf dem betonierten Kolonnen­weg Auszug aus dem Zeitreise Schulbuch Band 3 – Seite 205

Die Grenzanlagen der DDR „Mauertote“ „Republikflucht“ Nichts verkörperte die deutsche Teilung so Hunderte Menschen wurden beim Versuch, DDR-Bezeichnung für einen „ungesetzlichen sehr wie die Grenzanlagen der DDR. Sie die Grenze zu überwinden, getötet. Für die Grenzübertritt“, der in verliefen auf 1378 Kilometern zwischen Berliner Mauer haben Forscher allein 136 der DDR unter Strafe beiden deutschen Staaten und auf 165 Kilo- „Mauer­tote“ ermittelt. Weitere 251 starben stand. Der Begriff metern um West-Berlin herum. Etwa 50 000 bei Grenzkontrollen, z. B. durch Herz­ ging auch in den Sprachgebrauch der Soldaten sicherten die Grenzanlagen und infarkte. Für die gesamte deutsche-deutsche Bundesrepublik ein. durchkämmten die angrenzende Sperrzone Grenze können die Opferzahlen bis heute auf mögliche „Schlupflöcher“. Nur wenige nur geschätzt werden. Das Gleiche gilt für Flüchtlinge aus der DDR entkamen trotz- die Zahl der gefassten und inhaftierten dem noch in den Westen. „Republik­flüchtlinge“.

Aufgaben

1 Beschreibe den Aufbau der Grenzanlagen. 4 „Ein Staat, der solch eine Grenzanlage baut, zeigt doch eigentlich nur die eigene Hilflosig- 2 Begründe, warum man vom Westen bis keit.“ Nimm Stellung zu dieser Aussage. unmittelbar an die Grenzanlagen herankam, im Osten aber ein mehrere Kilometer breites 5 Informiere dich über Fluchtversuche an der Online-Link Sperrgebiet davor lag. Mauer (z. B. Fluchttunnel) und stelle die 3D-Modell Grenzanlagen Geschichten dazu in der Klasse vor. 451030-0205 3 Zeichne in eine Deutschlandkarte den Verlauf des deutsch-deutschen Grenzstreifens ein.

Seite 6 Tipp – S. 4, Aufgabe 1 Tipp – S. 4, Aufgabe 3 – Schau dir die Grafik D1 genau an. Erkläre, was D1 darstellt. – Bedenke, was der Mauerbau für Folgen im Alltag haben – Suche nach Gründen für die Abwanderung. Hinweise konnte (Besuch von Freunden/Verwandten/Nachbarn) findest du im Schulbuchkapitel „Markt und Planwirtschaft“ – Stelle dar, was passierte, wenn trotzdem Menschen die am Ende des ersten Absatzes des Verfassertextes (VT1). Mauer überwinden wollten. – Überleg dir, ob ein Land auf Dauer verkraften kann, wenn – Was für Folgen hatte die Mauer für das Verhältnis von Ost- seine Bürgerinnen und Bürger abwandern. und Westdeutschen?

s s

Tipp – S. 4, Aufgabe 5 Tipp – S. 4, Aufgabe 6 – Lies im Schulbuchkapitel „Aufbau nach sowjetischem Diskutiere die Verantwortung Vorbild“ den Lexikonbegriff „Antifaschismus“ nach. a) der Schützen selbst, – Erkläre, durch wen/was sich die DDR bedroht gefühlt b) der Befehlsgeber, haben könnte. c) der DDR-Politiker. – Beurteile, ob der Begriff „antifaschistischer Schutzwall“ für die Mauer angemessen war.

s s

Tipp – S. 6, Aufgabe 4 Tipp – S. 6, Aufgabe 5 – Schau dir noch einmal die Grafik D1 im Schulbuchkapitel – Gib in einer Internet-Suchmaschine z. B. das Stichwort „Bau der Mauer“ an. „Fluchttunnel Bernauer Straße“ ein. – Bedenke, dass der Lebensstandard in der Bundesrepublik höher war als in der DDR. s s

Seite 7 Kopiervorlage 1, 1 Deutschland: besetzt, geteilt, vereint Die deutsch-deutsche Grenze

Auf 165 Kilometern um West-Berlin herum und auf 1378 Kilometern zwischen den beiden deutschen Staaten errichtete die DDR stark gesicherte Grenzanlagen: Wer versuchte, aus der DDR zu fliehen, setzte sein Leben aufs Spiel. Viele sogenannte „Republikflüchtlinge“ wurden verhaftet oder gar getötet.

1. Zeichne in die Umrisskarte die ehemalige deutsch-deutsche Grenze (incl. Berlin) ein.

2. Nummeriere zehn Elemente deiner Wahl in der Darstellung unten und beschrifte diese. Falls du Hilfe brauchst, schau im Online-Link nach.

Online-Link 3D-Modell Grenzanlagen 451030-0205 D1 Karte Bundesrepublik Deutschland

D2 Modell der DDR-Grenzanlagen (Computerrekonstruktion)

1 : DDR-Grenzsäule…

3. Das 3D-Modell zeigt den Grenzstreifen in etwas vereinfachter Form. Welche beiden wichtigen Unterschiede zur Realität werden genannt?

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Gerd Wiesmann, Karte: Klett-Archiv; Illustration: kreaktor (Axel Kempf), Hannover www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Kopiervorlage aus dem Zeitreise Kopiervorlagenband 3, ISBN: 978-3-12-451032-1

Seite 8 Kopiervorlage 1, 2 Deutschland: besetzt, geteilt, vereint Die deutsch-deutsche Grenze

Auf 165 Kilometern um West-Berlin herum und auf 1378 Kilometern zwischen den beiden deutschen Staaten errichtete die DDR stark gesicherte Grenzanlagen: Wer versuchte, aus der DDR zu fliehen, setzte sein Leben aufs Spiel. Viele sogenannte „Republikflüchtlinge“ wurden verhaftet oder gar getötet.

1. Zeichne in die Umrisskarte die ehemalige deutsch-deutsche Grenze (incl. Berlin) ein.

2. Nummeriere zehn Elemente deiner Wahl in der Darstellung unten und beschrifte diese. Falls du Hilfe brauchst, schau im Online-Link nach.

Online-Link D1 Karte Bundesrepublik Deutschland 3D-Modell Grenzanlagen 451030-0205

D2 Modell der DDR-Grenzanlagen (Computerrekonstruktion)

1 : DDR-Grenzsäule…

3. Das 3D-Modell zeigt den Grenzstreifen in etwas vereinfachter Form. Welche beiden wichtigen Unterschiede zur Realität werden genannt?

4. Ein Bewohner des Dorfes in der Darstellung beschreibt auf einer Familienfeier einem Verwandten, der weit von der Grenze entfernt wohnt, wie die Grenzanlage aufgebaut ist. Dabei müssen mindestens zehn Elemente genannt werden. Außerdem schätzt er die Chancen eines illegalen Grenzübertritts ein – einschließlich Begründung dieser Einschätzung. Schreibe in dein Heft.

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Gerd Wiesmann, Karte: Klett-Archiv; Illustration: kreaktor (Axel Kempf), Hannover www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Kopiervorlage aus dem Zeitreise Kopiervorlagenband 3, ISBN: 978-3-12-451032-1

Seite 79 Ein Tunnel nach Westen (1962) Online-Link „Ein Tunnel nach Westen“ Szene 1 451030-0004 Stefan Hallo Barbara. Na, geht’s dir wieder ein bisschen besser? Barbara Ach, Stefan, du hast ja keine Ahnung. Schon wieder ist fast eine Woche rum und kein Brief von Peter! Ich glaub’ ziemlich sicher, dass meine Briefe in den Westen abgefangen werden. Stefan Meinst du, die Staatssicherheit interessiert sich für deine Beziehung mit Peter? Barbara Bürger mit Westkontakten sind für die immer von Interesse. Stefan Mag schon sein. … Also, da hat sich dein Leben ja wirklich verändert seit August vergangenen Jahres. Barbara Erwähn’ das Datum bloß nicht, Stefan. Wenn ich nur an diesen unglückseligen 13. August zurückdenke, an dem sie die Mauer gebaut haben, wird mir übel. Wenn ich doch nur in dieser Nacht bei Peter in West-Berlin geblieben wäre, so wie wir es eigentlich vorhatten, dann … Stefan … dann wärst du jetzt im Westen und könntest nicht mehr nach Friedrichshain zurück, wo du zuhause bist. Barbara Na und? Was soll ich denn hier in Friedrichshain, wenn Peter allein in Schöneberg sitzt und mir bestenfalls jede Woche einen Brief schreibt … Seit fast sieben Monaten! Meinst du, ich kann ewig warten? Und dass sie die Mauer wieder einreißen und alles wird wie früher, das glaubst du doch selbst nicht! Stefan Stimmt, wir sitzen hier erst mal fest … Und das alles nur, weil die feinen Herren von der SED endlich gemerkt haben, dass ihnen die Leute zu Tausenden in den Westen davonlaufen. Statt im Land für Verbesserungen zu sorgen, machen die einfach den Laden dicht. „Real existierender Sozialismus“… das ich nicht lache! Eher „real existierender Pessimismus“ ist das! Barbara Da kann man wirklich nur pessimistisch sein, Stefan. Vielleicht hat Peter ja schon ’ne andere. Ob sich das der feine Herr Ulbricht auch mal überlegt hat? Ich halte das nicht länger aus. Irgendwas muss man da doch tun können? Stefan Na ja, es gäbe da … Barbara Wart’ mal, da hat neulich einer erzählt, dass die U-Bahn doch immer noch durch den Westen fährt. Da gibt es alte Bahnhöfe … da könnte man doch während der Fahrt aussteigen … die sind nicht mehr benutzt … Stefan Nicht benutzt, aber gut bewacht, Barbara. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass die DDR das letzte Schlupfloch der Berliner in den freien Westen schließt und dann solche Stellen vergisst. Barbara Dann ist es eben aus. Stefan Jetzt mach mal langsam. Ich wüsste da was anderes. Barbara Wie jetzt? Stefan Ich hab’ da von einer Sache erfahren … Du darfst aber mit niemanden darüber sprechen. Also: Pass auf … Drüben in West-Berlin gibt es ein paar Typen, die arbeiten an einem Tunnel … direkt unter der Mauer durch. Barbara Wie, an ’nem Tunnel? Stefan Pssst! Leise! Einem Tunnel halt. In der Bernauer Straße. Da geht die Mauer mitten durch. Aus dem einen Keller im Westen in den anderen Keller im Osten. Das sind gut Hundert Meter Tunnel … Barbara … ein Fluchttunnel … und du meinst, da könnte ich … Stefan Ist doch praktisch ein Notfall, das mit dir und Peter. Ich hör’ mich mal um. Wahrscheinlich muss das aber alles schnell gehen, wenn der Tunnel fertig ist. Ich melde mich bei dir. Barbara Oh Stefan, ich danke dir! Stefan Langsam, noch ist ja nichts sicher. Und vor allem: kein Wort zu niemandem! Barbara Bis bald, Stefan! Stefan Bis bald, Barbara!

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Dirk Zorbach, www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Hörtext zu Zeitreise, ISBN: 978-3-12-451034-8

Seite 10 Szene 2 Barbara Hallo, bist du Manfred? Manfred Pssst! Leise! Barbara … Tschuldigung … Ich bin etwas durch den Wind. Stefan hat mir erst vor zwei Stunden Bescheid gegeben. Ich konnte praktisch gar nichts mitnehmen außer dieser kleinen Tasche hier. Manfred Macht nix, ist eh besser so. Da unten ist es ziemlich eng, und wenn du irgendwo gegenstößt, rieselt überall der Sand. Also, mach dich hübsch klein …Komm, hilf mir mal mit dem Schrank. Barbara Aber das ist doch sicher, oder? Manfred Pff … was ist heutzutage schon sicher. Sicher ist nur, dass das unser Tor in die Freiheit ist. … Bitte sehr! … Vier Monate Arbeit haben sich gelohnt, was? Barbara In dieses Loch müssen wir rein? Oje …Hoffentlich steh ich das durch … Bist du sicher, dass die Stasi den Tunnel noch nicht entdeckt hat? Manfred Jetzt bleib mal ruhig! Es wird schon gut gehen. Ich gehe vor. Jetzt ist Bücken angesagt. Nach fünf Metern hänge ich die Lampe auf. Du musst auf allen Vieren kriechen. Und bitte, stoß’ mir nicht gegen die dritte Stütze. Die ist schon zweimal runtergekommen. Barbara Manfred, ich glaub’, da oben kommt jemand! Beeil dich! Manfred Was ist denn, Barbara. Reiß dich zusammen, das sind nur die Nerven. Scheiße, jetzt hör ich sie auch. … Die haben uns! Barbara Was sollen wir denn jetzt tun? Manfred Das sind die Grenzer! … Das schaffen wir nicht mehr nach drüben. Die holen uns raus, bevor wir im Westen sind. Tut mir leid, Barbara. Ich fürchte, das war’s! Soldat Hände hoch … Raus da! An die Wand hier! … Beine auseinander … Da kommen wir ja gerade noch rechtzeitig! Republikflucht bringt mindestens fünf Jahre! Meier, inspizieren Sie den Tunnel, Baumann und ich knöpfen uns die beiden Gestalten hier vor. Barbara Nein! … Oh nein!

Szene 3 Lenz Wen haben wir denn da … Barbara Kilb, wohnhaft in Berlin-Friedrichshain, 20 Jahre alt, ledig … da haben Sie sich ja ganz schön in Schwierigkeiten gebracht, mein Fräulein! Ich bin Hauptmann Lenz vom Ministerium für Staatssicherheit. Barbara Hmmm … Lenz Sie haben also mit Manfred Jänike ihre Flucht geplant, wollten den Aufbau des Sozialismus feige verraten und mit den Kapitalisten und Faschisten im Westen gemeinsame Sache machen … Barbara Aber das war doch … Ich wollte doch nur … Lenz Wer sich der gemeinsamen Sache unseres Volkes verweigert, muss bestraft werden, mein liebes Fräulein. Das werden Sie verstehen. Wie sollen wir eine solidarische sozialistische Gemeinschaft werden, wenn jeder seine eigenen Angelegenheiten im Kopf hat? Wir wollen und können auf Sie nicht verzichten! Und ist es Ihnen in den letzten Jahren hier wirklich schlecht ergangen? Sie haben eine gute Schule besucht, ihre Ausbildung wurde staatlich finanziert, ihre Wohnung … Und trotzdem stehen sie unserem System so feindlich gegenüber? Na ja, aber damit ist ja wohl jetzt erst mal Schluss. Barbara Ich wollte doch nur zu … Lenz Ja richtig, Peter Schreiner, wohnhaft in Berlin-Schöneberg, 23 Jah … Barbara … aber woher wissen Sie … ich meine, Sie kennen mich und ihn doch überhaupt nicht! Lenz Wir haben da unsere Quellen … Und das bringt mich zu einem anderen Thema. … Barbara, Sie sind eine junge, gebildete Frau, die weiß, was sie will. Ich denke, Sie wollen nicht die nächsten fünf Jahre in einer Zelle im Zuchthaus in Hohenschönhausen verbringen. Barbara Oh mein Gott, nein!

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Dirk Zorbach, www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Hörtext zu Zeitreise, ISBN: 978-3-12-451034-8

Seite 11 Lenz Sehen Sie, es gibt da Mittel und Wege, die uns offen stehen, um – nun sagen wir – das Strafmaß wohlwollend zu reduzieren. Allerdings … Barbara Ja? Lenz … allerdings müssten Sie sich dafür ein wenig erkenntlich zeigen. Barbara Ja? Lenz Das Ministerium für Staatssicherheit benötigt für seine Arbeit Mitarbeiter, die sich in Kreisen auskennen, die uns – Sie verstehen – in der Regel verschlossen sind. Barbara Ach? Lenz Sie haben doch Kontakt zu einem gewissen Stefan Bauer. Er ist ein Mittelsmann für Republikflüchtlinge aus dem gesamten Südosten . Wir wüssten gerne mehr über ihn und seine Arbeit. Vielleicht könnten Sie uns ja berichten, wenn Sie verstehen, was ich meine. Barbara Ich soll was …? Lenz Wir würden dann ihre Akte vorläufig schließen. Sie können ja sagen, der Tunnel sei eingestürzt und Sie würden es gerne ein zweites Mal versuchen … Liefern Sie uns Informationen über Bauer, und wir werden sicher gute Freunde … Barbara Ich soll Stefan verraten? Lenz Was für ein böses Wort! Nein, sie sollen die ehrlichen Bürger der DDR vor ihm beschützen helfen. Und vielleicht können wir Ihnen später ja auch behilflich sein, ihre Kontakte zu Peter Schreiner in den Westen zu stärken. Auch von dort sind wir immer an neuen Informationen interessiert, wenn Sie verstehen, was ich meine … Barbara Was ist das denn für ein Spiel? Lenz Aber Barbara! Sie haben mich schon verstanden. … Seien Sie doch nicht dumm! Sie haben Ihr ganzes Leben doch noch vor sich! Machen Sie was draus … mit uns!

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Dirk Zorbach, www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Hörtext zu Zeitreise, ISBN: 978-3-12-451034-8

Seite 12 Arbeitsblatt Deutschland: besetzt, geteilt, vereint Ein Tunnel nach Westen (1962)

1. Ordne folgende Aussagen den Personen im Hörspiel zu.

„Ich sehe es als meine Aufgabe an, den Bürgern der DDR die Möglichkeit zu geben, selbst zu entscheiden, ob sie in diesem Staat leben wollen.“

„Bin ich bereit, für meinen eigenen Vorteil Barbara meine Freunde zu verraten?“

„Wer mit uns Stefan kooperiert, kann sich in unserem Staat sicher und wohl fühlen.“

„Ein Staat, der uns Manfred einsperrt und Familien auseinander­ reißt hat keine Achtung, sondern nur Verachtung verdient. Hier musste ich aktiv werden.“ Hauptmann Lenz

2. Stelle dar, welche Gründe zum Bau der Mauer führten. Nutze dazu auch die Informationen in deinem Geschichts- buch.

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Dirk Zorbach, Illustration: Klett-Archiv (Sandy Lohß) www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Arbeitsblatt zu Zeitreise Hörbuch, ISBN: 978-3-12-451034-8

Seite 13 Arbeitsblatt Deutschland: besetzt, geteilt, vereint

3. Recherchiere im Internet und stelle Informationen zu einer realen Mauerflucht oder einem Fluchtversuchs zusammen.

Datum

Ort

Ablauf der Flucht, Maßnahmen/Hilfsmittel

Beteiligte Personen

Flucht erfolgreich?

falls nein, Folgen?

4. Hauptmann Lenz versucht, Barbara als „Inoffizielle Mitarbeiterin“ (IM) der Stasi anzuwerben. Erläutere anhand der Informationen im Hörspiel, welche Aufgabe ein IM hat.

5. Barbara sitzt in einer Zelle im Untersuchungsgefängnis und überlegt, wie sie sich verhalten soll. Liste auf, was für eine Kooperation mit der Stasi spricht und was dagegen.

pro kontra

6. Versetze dich in Barbaras Lage. Hättest du das Angebot angenommen? Begründe deine Entscheidung.

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Autor: Dirk Zorbach www.klett.de | Alle Rechte vorbehalten Arbeitsblatt zu Zeitreise Hörbuch, ISBN: 978-3-12-451034-8

Seite 14