Leb wohl, du bunte Welt Sympathie für den Teufel – und vielleicht auch für ? Über die Pfingsttage trafen sich die Grufties, Deutschlands rätselhaf teste Jugendbewegung, zu einem Festival in .

Grufties in Leipzig: Fans in der Kirche, auf dem Friedhof, vor und hinter der Bühne sowie der Sänger Oswald Henke von der Band Goethes Erben (M. u.) TEXT: JOHANNES WAECHTER Rammstein, international erfolgreich FOTOS: GEORG SCHÖNHARTING und sogar für den amerikanischen Grammy nominiert, zitieren in einem er Regen fällt, und auf Tausen- Video Leni Riefenstahls „Olympia“- den von Köpfen kommen Haar- Film; sogar der ehemalige Hambur- Dtürme ins Wanken, neigen sich ger Neue-deutsche-Welle-Sänger Joa- im Wind, klatschen schließlich an chim Witt gilt als suspekt, seit er ausrasierte Schläfen. Die Frisur rui- Richard Wagner und den teutoni- niert, das Make-up verlaufen, die schen Bombastrock entdeckt hat. Jo- Klamotten modrig duftend – ein kur- sef Klumb, bis vor kurzem Sänger der zer Schauer nur, und ein paar Stun- Band Weissglut, werden sogar enge den Vorbereitung waren umsonst. Kontakte zu rechten Organisationen Grufties mögen Freunde düsterer Ka- nachgesagt. „Es gibt radikale Grup- tastrophen sein – aber diese geht zu pierungen, die versuchen, die Szene weit. zu unterwandern“, sagt Joe Asmodo, Doch die schwarzgekleideten Men- als Chefredakteur des auflagenstärk- „Das wahre Leben ist schen vor den Kassenhäuschen las- sten Gruftie-Fachblattes „Zillo“ na- sen sich weder vom schlechten türlich anwesend beim Gruftie-Gipfel halt nicht lustig – Pfingstwetter noch vom stundenlan- in Leipzig. „Die Zeitung ‚Junge Frei- deshalb tragen wir gen Warten in den verstopften Leip- heit‘ hat sogar schon einmal bei uns Schwarz“ ziger Straßen und an den Eingän- Anzeigen schalten dürfen – aller- gen zum Gelände der Agra-Land- dings vor meiner Zeit.“ Zelt holen will, bleibt er prompt am wirtschaftsausstellung im Stadtteil Am Samstag morgen hat der Regen Vordach hängen. „Scheiß-Haare“, Markleeberg die schlechte Laune ver- endlich aufgehört. Mehrere tausend murmelt er. derben. Es herrscht Chaos beim Zelte stehen auf dem Gelände. Einige An den Ständen des Flohmarktes 8. Wave-Gotik-Treffen, dem größten sind mit Grableuchten oder Fahnen- werden Tanga-Slips aus Metall und Gruftie-Festival in Deutschland, und masten geschmückt; ein Gothic-Fan Lackkorsetts, keltische Amulette und die Grufties ertragen es mit billigem hat vor seinem Zelt ein Holzkreuz handgeschnitzte Totenschädel ver- Rotwein und der ihnen eigenen aufgestellt und einen ausgestopfen kauft. Außerdem im Angebot: deko- Schwermut. Raben draufgesetzt. rative Kindersärge und Liebeselixie- Niemand beschwört Satan, auf daß er Langsam kriechen die Grufties aus re, der „Treffen-Met“, ein elfprozen- die Pforten öffne, und obwohl viele ihren Schlafsäcken, schütteln den tiger Honigwein in begrenzter Abfül- lange, schwarze Mäntel tragen, holt Streß des Anfahrtstages ab und be- lung – und sogar Streitäxte. keiner eine abgesägte Schrotflinte ginnen mit dem Styling ihrer vom Re- Nur ein paar Meter hinter dem Cam- darunter hervor und mäht die über- gen und vom Schlaf ramponierten pingplatz beginnt das Mittelalter. Ein forderten Ordner nieder. Warum soll- Frisuren. Zwei Stunden kann das paar Gothik-Fans haben dort aus te er auch? dauern und heute vielleicht sogar Hütten und Zelten ein, wie sie es Vielleicht weil den „Schwarzen“, wie noch etwas länger. Denn das Wave- nennen, „heidnisches Dorf“ aufge- sie sich selber nennen, derzeit ein Gotik-Treffen ist nicht nur ein Musik- baut. Korbflechterinnen sitzen unter schlechter Ruf vorauseilt. Sie würden festival, sondern auch ein großes einer mächtigen Linde, ein Händler in Särgen schlafen, sagt man, zur Schaulaufen. bietet Kettenhemden feil, und in der Geisterstunde auf dem Friedhof die Zwischen den Zelten zischen die Badeanstalt „Hohe Maien“ wird in Gräber aufbuddeln, und manche von Haarspraydosen, vor dem extra ein- riesigen Zubern der Staub des Ta- ihnen würden sogar mit Hitler sym- gerichteten Schmink-Bus bildet sich ges abgewaschen. Weil aber auch pathisieren. Und seit vor sechs Wo- eine lange Schlange. Verschleier- die Freunde des Mittelalters nicht chen, am Geburtstag von Adolf Hit- te Burgfräuleins mit Reifrock und ganz ohne die Errungenschaften des ler, in Littleton, Colorado, die beiden Schleppe promenieren über die stau- 20. Jahrhunderts auskommen, klin- Schüler Eric Harris und Dylan Kle- bigen Wege. Ein kalkweißer Jüngling geln auch hier die Handys, bläst ein bold, die so gern in schwarzen Staub- im Dracula-Outfit stößt mit seinem Spielmann „Smoke on the Water“ mänteln zur Schule gingen und Fans Zylinder an den Türrahmen eines von Deep Purple auf der Sackpfeife. der unter Grufties sehr beliebten Dixi-Klos. Kräftige Burschen schnal- Die mystische Welt der Kelten und deutschen Metal-Band Rammstein len sich Nietengürtel um, behän- Germanen hat auf dem Gelände der waren, in ihrer Schule Amok lie- gen sich mit silbernen Totenköpfen, Agra-Landwirtschaftsausstellung eben- fen und erst zwölf Mitschüler so- Spinnen und Mini-Särgen, schlüpfen so ein Zuhause gefunden wie die wie einen Lehrer und schließlich in enge Lackhosen und kniehohe schwermütigen Poeten der deutschen sich selbst umbrachten, wird den Stiefel mit Silberbeschlägen. „Das ist Romantik: Mittelalter-Bildbände ste- „Schwarzen“ in den Medien fast alles das Geile, wenn man aufgestylt durch hen in den Auslagen eines Buch- zugetraut. die Zeltstadt läuft“, sagt Kay, 22, ein händlers neben der Neuausgabe von Die Szene steht schon länger unter Elektriker aus Dessau, während er Hölderlins Gesamtwerk. Eine rätsel- Nazi-Verdacht: Bands wie Feindflug seinem Kumpel Pal dabei hilft, vier hafte Jugendkultur: Ein Wirrwarr aus aus benutzen für ihre Auf- Haar-Hörner auf dessen Kopf zu fi- bizarren Stilen und verquasten Ideo- tritte Samples aus Hitlerreden („Seit xieren – jedes rund 30 Zentimeter logien, aus pubertären Sehnsüchten 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen“); hoch. Als Pal eine Dose Bier aus dem und dumpfer Romantik.

22 kultur SPIEGEL 6/1999 Die Punks haben Steine geworfen, der oberflächlichen Massenkultur ab- längst verlassen und den Sprung in die Raver Ecstasy geschluckt. Die hebt, von der bunten Fernsehwelt, die Top ten der deutschen Ver- Schwarzen aber suchen zur Entspan- wo alle immer lustig sind“, sagt Ste- kaufscharts geschafft. Ihr Erfolg hat nung vom Festivalstreß die Einsam- fan, 25, ein Bauingenieur, der zu- für ungeahnten Zulauf gesorgt: Im keit der Friedhöfe in der Leipziger sammen mit seiner Freundin Renate vergangenen Jahr pilgerten 7000 Umgebung. „Leipziger Nekropolen“ aus Wien angereist ist. „Das wahre Schwarze zum Wave-Gotik-Treffen, heißt ein Artikel im Programmheft Leben ist halt nicht lustig – deshalb dieses Jahr waren es mehr als 15 000. des Gotik-Treffens, in dem die Gruf- tragen wir Schwarz.“ Den „Wochenend-Grufties“ begeg- ties darum gebeten werden, von Vor einem Jahr haben ein paar Gothik- nen die Vorreiter mit unverhohlener Schändungen abzusehen und „die Fans aus Bremen die Initiative „Gruf- Ablehnung und manche sogar mit Ruhe der Toten nicht zu stören“. ties gegen Rechts“ gegründet, und ein bißchen Existenzangst. Der Aus- Und auch diesmal werden die Leipzi- auch in Leipzig sollte das Massaker verkauf droht. ger Friedhöfe verschont. „In all den von Littleton ein Thema sein. Aber Am Pfingstmontag, zum Ende des Jahren gab es nie Schwierigkeiten“, die von „Zillo“ geplante Diskussion Treffens, kommt es endlich doch sagt Birgit Schlegel von der Leipzi- auf dem Gruftie-Treffen zum Thema noch zu einer öffentlichen Diskussi- ger Polizei. „Das sind alles wirklich „Eine braune Flut?“ muß abgesagt on. Eigentlich sollte es um die Situa- nette Leute, die keinem etwas zulei- werden. Eingeladen hatte Chefredak- tion der Gruftie-DJs gehen, aber de tun.“ teur Asmodo unter anderem Josef schon bald streiten sich die rund tau- Am Samstag abend schließlich tref- Klumb, den ehemaligen Weissglut- send Grufties um die Zukunft ihrer fen sich ein paar der Festivalbesucher Sänger, und auch Joachim Witt. „Mit Bewegung. Frank aus Leipzig, ein in der Leipziger Thomaskirche: Ei- solchen Leuten diskutieren wir bleicher Jüngling im violetten Staub- ne Messe des spätmittelalterlichen nicht“, sagen die Grufties gegen mantel, formuliert einen flammen- Komponisten Guilaume Duffay wird Rechts und kündigten an, die Dis- den Appell: „Wir sollten anders sein aufgeführt. Ehrfurchtsvoll und kul- kussion zu sprengen. „Sie ist den- als der Rest. Wenn wir dieselben turbeflissen lauschen die Grufties noch nötig“, sagt Asmodo. „Obwohl Strukturen haben wie überall auch, den Orgelklängen. Auf der Suche die Grufties für mich eher eine Art dann frage ich mich: Wo bleibt unse- nach den dunklen Seiten des Lebens Hippies der Neunziger sind; ein re Identität?“ überschreiten sie alle musikalischen friedliebendes Völkchen, das sehr ro- Bald schon macht eine neue Genre-Grenzen. Bands wie In Extre- mantisch denkt und sich aus dem All- Schreckensnachricht die Runde. Fünf mo und Subway To Sally, die beide in tagsstreß in den Schoß einer Art Er- „Bravo“-Reporter sind auf dem Leipzig auftraten, mischen die Klän- satzfamilie zurückzieht.“ Gelände gesichtet worden, um aus ge von Dudelsack und Schalmei mit Für viele kommt die wahre Gefahr dem Alltag einer neuen Zielgruppe zu Rock und Techno. Und die Bay- nicht von rechts sondern durch den berichten. Würden den Grufties nicht reuther Gruppe Goethes Erben insze- Kommerz. Bands wie Wolfsheim und sowieso die Haare zu Berge stehen – niert Sonntag mittag gar ein ambitio- Deine Lakaien haben die Nische spätestens jetzt wäre es soweit. ™ niertes, neoromantisches Musiktheater. Das einzi- ge, was die 120 Bands verbindet, die während der drei Tage in Leipzig auftreten, ist die Anmu- tung ihrer Musik: Düster muß sie sein – und mög- lichst humorfrei. „Nazis? Die Leute se- hen zwar furchterregend aus“, sagt Oswald Henke, Gruftie-Idol und Sänger von Goethes Erben, „aber in Wahrheit suchen die nur die Provokation.“ Wie alle anderen Jugend- kulturen wolle sich die Szene abgrenzen – von den Eltern und Lehrern, von der Kirche und von der entfremdeten Kon- sumgesellschaft. Eine Flucht in die Melancho- lie, aber nicht zu Adolf Hitler. „Wir haben eine Lebens- einstellung, die uns von Auch Schwarze essen Eis: Gothic-Fans auf dem Festivalgelände

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