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Zwischen Chromophobie und Farbrausch Entwicklungslinien des frühen

Barbara Flückiger

Wir denken die Geschichte des frühen Films in lich alle Möglichkeiten durchgedacht und teilweise The Garden Schwarz-Weiß. Farblos haben die meisten Stumm­ auch umgesetzt, die später zu praktischen Anwendun- of Eden (Lewis Milestone, USA 1928), filme überlebt. Aber das entspricht nicht den histori- gen führten. Wie so oft in der Entwicklung der audio- Corrine Griffith schen Tatsachen. Denn schon früh haben sich zahlrei- visuellen Medien waren es Einsichten aus der Psycho- che Versuche etabliert, den Film mit Farbe anzureichern. physik und der Wahrnehmungstheorie, die technische Dabei ließen sich zwei sehr unterschiedliche Strategien Verfahren hervorbrachten. Nun ist dies nicht der Ort, unterscheiden, die applizierten Farben, die auf jede die umfangreiche Geschichte aller dieser Verfahren einzelne Kopie aufgetragen werden mussten, und die aufzuzeichnen, sie finden sich mit Texten und Abbil- »natürlichen« Farben (natural colors), wie man sie dungen in der Online-Ressource Timeline of Historical nannte. »Natürliche« Farben – im Folgenden mimeti- Film Colors.2 sche Farben genannt – beruhen auf einer apparativen Äquivalenz zum Farbensehen. Man müsste, so dachte man, eine Kamera so entwickeln, dass sie wie das Au- Eine Verbeugung vor der Alma Mater ge das sichtbare Licht in drei Grundfarben zerlegt, die man danach wieder zusammensetzen kann, entweder Als Herbert T. Kalmus mit Daniel Frost Comstock und auf dem Filmmaterial selbst oder durch eine mecha- W. Burton Wescott 1915 die Firma Technicolor grün- nische Anordnung im Kino. Vorläufer dieser Ideen fin- dete, war ein mimetischer Ansatz ihre erste Wahl. den sich in der Fotografie des 19. Jahrhunderts. Be- Kalmus – wie sein Mitbegründer Comstock ein Absol- reits um 1855 hatte der Physiker James Clerk Maxwell vent des Massachusetts Institute of Technology, dem sie postuliert und experimentell nachgewiesen1, dass mit dem Namen ihrer Firma ihre Reverenz erwiesen – Farbenfotografie möglich ist, indem er drei Farbaus- hatte früh die Einsicht, dass es in jeder Hinsicht Erfolg züge durch Filter aufgenommen und wieder auf eine versprechend sein könnte, ein praktikables Farbfilm- Leinwand projiziert hatte. Zahlreiche Versuche folg- verfahren zu entwickeln. Aus heutiger Sicht erstaunt ten. Die Franzosen Charles Cros und Louis Ducos du es, dass die Firma zunächst einen Ansatz aufnahm, Hauron hatten 1869 unabhängig voneinander so ziem- der mit dem Farbverfahren Kinemacolor zwar eine 22 Barbara Flückiger Titel des Essays 23

frühe Blüte hatte, sich um 1915 aber bereits in der wicklung eines Farbfilmverfahrens zu investieren. Krise befand. Noch mehr überrascht es, dass die Fir- Coolidge war einverstanden. Er war der erste in einer ma Technicolor eine fast 20-jährige Phase zu durch- Reihe von Investoren, die Hunderttausende von Dol- laufen hatte, die durch Rückschläge gezeichnet war, lars verloren, bevor überhaupt der erste Farbfilm in bis sie sich auf dem Markt behaupten konnte. Es ist Technicolor produziert wurde. eine Geschichte mit ungeheuren Umschwüngen und Offensichtlich hatte Dr. Kalmus eine fantastische auch ein exemplarisches Lehrstück, wie sich eine Gabe, seine Pläne zu kommunizieren, zu begeistern und technische Entwicklung in einem Feld etablieren kann Optimismus zu verbreiten. Ungeachtet aller Schwie- oder eben scheitert, das gleichermaßen von kulturel- rigkeiten fand er immer neue Lösungen und entwi- len wie von ökonomischen Faktoren bestimmt war, ckelte mit seinem Team ungewöhnliche Ideen. Eine nämlich der US-amerikanischen Filmindustrie in der dieser Ideen war ein fahrendes Filmlabor in einem Ei- Frühphase der klassischen Hollywood-Ära. Wie so senbahnwagen, voll ausgestattet mit der technischen häufig zeigt sich, dass der Erfolg technischer Innova- Infrastruktur, um Filme zu sensibilisieren, zu entwi- tion weniger das Ergebnis von genialer Ingenieurs- ckeln, zu testen, zu messen und zu kopieren, inklusive kunst ist als von einer cleveren Strategie, die kulturelle, eines Stromaggregats, Büros und feuersicherer Safes institutionelle und ökonomische Tendenzen aufgreift, für die Lagerung des explosiven Nitratfilms. 1917 um Bedürfnisse gleichermaßen zu befriedigen wie transportierten Kalmus und sein Team den Wagen auch zu erzeugen. nach Jacksonville in Florida, um dort den ersten Tech- In seinem launigen Aufsatz »Technicolor Adven- nicolor-Spielfilm THE GULF BETWEEN (USA 1918) im tures in Cinemaland« hat Kalmus die Firmengeschich- Verfahren Nr. I unter der Regie von Wray Physioc zu te mit selbstironischen Einwürfen nachgezeichnet: produzieren. Von diesem Film sind nur wenige stark »Webster defines adventure as chance of danger or ausgebleichte Bilder überliefert. loss; the encountering of risks; a bold undertaking, a fehlte gänzlich, aber es war ein praktikabler Kompro- teilung – auch räumliche Synthese (spatial synthesis) Technicolor-Labor daring feat; a remarkable occurrence or experience, a miss. genannt – eines der größten Probleme des Kinemaco- in einem Eisenbahn- waggon, 1916 stirring incident; a mercantile or speculative enterpri- Technicolor Nr. I – Der erste Film, Das erste Verfahren, Technicolor Nr. I, war ein ad- lor-Verfahrens und aller Verfahren mit zeitlicher Syn- se of hazard; a venture. The excursions of Technicolor die erste Niederlage ditives Zwei-Farben-Verfahren mit einem Strahlentei- these (temporal synthesis) lösen konnte, nämlich die into the domain of the producers, distributors, and ex- ler. Additiv sind zunächst Verfahren, bei denen Farb- Farbsäume, die sich immer dann einstellten, wenn sich hibitors of motion pictures have been all of these.«3 Die Frühgeschichte von Technicolor beginnt mit dem lichter gemischt werden, sodass die Summe aller Objekte, Tiere oder Menschen bewegten. Denn durch 1938, als sich der phänomenale Erfolg des Drei-Farben- Ansatz des Farbpioniers Hermann Isensee, eine rotie- Farben Weiß ergibt. Mittels eines Strahlenteilers, wel- die sequenzielle Aufnahme entstand ein geringer zeit- Verfahrens von Technicolor schon abzeichnete, konnte rende Filterscheibe in den Primärfarben Rot, Grün cher das einfallende Licht aufteilte, wurden durch je licher Versatz (temporal parallax) zwischen dem roten sich Kalmus als Sieger im Wettbewerb um den Farb- und Blau zu verwenden, der 1897 patentiert wurde. einen grünen und roten Filter zwei Bilder gleichzeitig und dem grünen Bild. »Since Kinemacolor photo­ film die ironische Distanz erlauben. Damit ließen sich nacheinander drei Filmbilder be- aufgezeichnet. Verschiedene Quellen geben zwei Ne- graphed the color components by successive exposure, Kurz vor Durchbruch Mitte der 1930er lichten und bei der Projektion über eine analoge Filter- gative an, aber gemäß den Patentschriften war es ein it was nothing for a horse to have two tails, one red and Jahre kommentierte der Artikel »What? Color in the anordnung wieder in Farben umsetzen. Eine solche einziges Negativ, auf das die Bilder in einem Abstand one green, and color fringes were visible whenever the- Movies Again« in der Zeitschrift Fortune die ökonomi- Anordnung brachte das erste erfolgreiche Filmfarb- von drei Bildern aufbelichtet wurden. Diese schwarz- re was rapid motion. The Technicolor slogan was two schen Bedingungen während der krisengeschüttelten verfahren in mimetischen Farben hervor, das Kinema- weißen Bilder hat man in der Projektion wiederum simultaneous exposures from the same point of view, frühen Jahre der Firma.4 Ursprünglich hatten Kalmus, color-Verfahren. Weil drei verschiedene Grundfarben durch einen entsprechenden Strahlenteiler zu einem hence geometrically identical components and no frin- Comstock und Wescott eine Beratungsfirma im tech- eine dreifach erhöhte Aufnahme- und Projektionsge- einzelnen Bild zusammengesetzt, das nun eine addi- ges.«5 Aber Technicolor hatte die immensen Probleme nischen Sektor gegründet. In diesem Umfeld berieten schwindigkeit erforderten, reduzierten die Erfinder tive Farbmischung von Rot und Grün aufwies, also in unterschätzt, die sich bei der Projektion einstellten. Als sie einen Kunden, William Coolidge, der als Anwalt mit George Albert Smith und Charles Urban die Farben der Summe Gelb, jedoch kein Blau wiedergeben konnte. Kalmus den ersten Film, The Gulf Between, vor ei- einer erfolglosen Erfindung konfrontiert war. Kalmus auf zwei, nämlich rot und grün. Damit ließ sich zwar Das Entwickler-Team bei Technicolor ging von der ner illustren Zuschauerschaft vorstellte, mit dem Ver- schlug ihm eines Tages vor, sein Geld lieber in die Ent- nicht das gesamte Farbspektrum abbilden, denn Blau richtigen Annahme aus, dass eine räumliche Strahlen- sprechen, eine nie zuvor gesehene Qualität zu bieten, 24 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 25

Es war nicht nur die Herausforderung an den Vor- Technicolor Nr. II – Erste Erfolge führer, es war ein prinzipielles Problem der additiven und ein weiteres Desaster Verfahren, dass die Kinobetreiber in eine neue Tech- nologie investieren mussten, die nicht zwingend er- Trotz der desaströsen Erfahrungen mit Technicolor Nr. I folgreich sein konnte – im Gegenteil. Nicht nur waren gab es eine Konstante, die alle gravierenden Ein- Kinobetreiber Neuerungen gegenüber skeptisch ein- schnitte und Katastrophen in der weiteren Entwick- gestellt, wenn der ökonomische Mehrwert nicht un- lung von Technicolors Farbverfahren überlebte: der mittelbar ersichtlich wurde. Sie standen auch vor dem Strahlenteiler.10 Eine neue Kamera zeichnete nun die Problem, dass sie ihre Filme von verschiedenen Ver- beiden Schwarz-Weiß-Auszüge auf dem Negativ je leihern bekamen und daher mehrere Installationen spiegelverkehrt auf.11 Statt wie bisher die Abbildungs- vornehmen mussten, wenn es keine allgemeine Stan- kette in Schwarz-Weiß zu halten und die Farbe erst im dardisierung von Formaten und Technologien geben letzten Schritt in der Projektion wieder hinzuzufügen, würde. Diese ökonomische Innovationsbremse wurde funktionierte das neue Verfahren, Technicolor Nr. II, in den 1920er Jahren durch die zunehmende vertikale nach dem subtraktiven Prinzip. Subtraktiv bedeutet, Integration ausgehebelt: Die Studios übernahmen ne- dass das Licht ausgefiltert wird, sodass die Summe ben der Produktion auch den Vertrieb und betrieben aller Farben Schwarz ergibt. Dieses Prinzip ist aus ihre eigenen Kinos. Der sogenannte Paramount Case, dem Alltag weit besser vertraut als das additive Prin- der mit einem Gerichtsbeschluss im Jahr 1948 ende- zip, denn subtraktiv funktioniert zum Beispiel auch te, unterband diese monopolistische Praxis und läute- die Mischung von Farben in der Malerei. THE GULF BETWEEN (Wray Physioc, USA te damit das Ende der Studio-Ära ein. Louis Ducos du Hauron hatte subtraktive Farbpro- 1918) Es zeichnete sich in diesem frühen Kampf um die zesse bereits 1869 beschrieben. Sie waren prinzipiell Marktvorherrschaft daher schon ein universelles Prinzip für das bewegte Bild sehr gut geeignet, aber die ab, dass nämlich nur ein Anbieter diesen Kampf gewin- Schwierigkeit bestand darin – ähnlich wie bei den ad- erlebte er eine grauenvolle Niederlage. Der Filmvor- of reds and greens. This, of course, includes yel- nen konnte, dessen Farbfilme sich mit den etablierten ditiven Verfahren –, zwei Bilder exakt zur Deckung zu führer hatte während seiner Eröffnungsansprache die lows, pinks, some­thing like blue, and other derivati- Projektionssystemen vorführen ließen. Das bedeutete bringen, nun nicht mehr in der Projektion, sondern im Justierung des Projektors verstellt, sodass die Farbsäu- ves. But while it is a tremendous step forward, it is not auch, dass sich die Komplexität eines Farbenprozesses Kopierprozess. Der Erfinder Arturo Hernandez-Mejia me heftiger waren als je zuvor. always satisfactory.«7 weg von der Projektion hin zur industriellen Fertigung hatte einen solchen Aufnahme- und Kopierprozess Aber die Presse zeigte sich gnädig; so schrieb The Technicolor erkannte schnell, dass additive Verfah- des Farbmaterials bewegen musste, denn dort waren 1912 beschrieben und mit Tests bewiesen, dass seine Moving Picture World unter dem Titel »First Showing in ren keine Zukunft hatten. Neben der erhöhten Geschwin­ Spezialisten am Werk, die einen standardisierten Pro- Anordnung funktionierte. Obwohl seine Firma Color- Technicolor«: »The new process throws upon the digkeit und dem erhöhten Materialverbrauch – es muss- zess innerhalb einer einzigen Firmenstruktur etablie- graph über das Teststadium nicht hinauskam, war sein screen a continuous succession of pictures in natural ten mindestens doppelt so viele Bilder aufgenommen, ren und ausführen konnten. Schließlich schlossen sich Verfahren äußerst einflussreich. Technicolor musste colors that copy nature with the fidelity of a finely exe- kopiert und projiziert werden – brauchten diese Ver- 45 prominente Geschäftsmänner zu einem Konsortium ebenfalls auf sein Patent zurückgreifen. Weitere frühe cuted oil painting. Many of the landscapes and water fahren stärkere Lichtquellen, die den Lichtverlust zusammen und investierten eine Million Dollar in die Verfahren in dieser Technik waren unter anderem das scenes are of remarkable coolness. The interiors and durch die Filter kompensierten. Das größte Problem Entwicklung und Perfektionierung eines Farbfilmver- Two-color Kodachrome (1915) von der Eastman Kodak human element are not so well done, the men and wo- aber bestand in der Projektion, denn die Projektoren fahrens durch Technicolor. Dieses Konsortium schlug zu- Company und Prizmacolor (1918) des US-Amerika- men in particular having a more or less painted or mussten umgebaut werden, und die Vorführer standen gleich eine strikte Qualitätskontrolle der Drehbücher vor, ners William Van Doren Kelley. In Prizmacolor war der chromo effect.«6 Das Fanmagazin Photoplay äußerte vor der ungewohnten Herausforderung, die Kalmus die in Farbe verfilmt werden sollten, auch das war eine erste Langspielfilm The Glorious Adventure (J. sich etwas kritischer: »The Gulf Between […] is wie folgt beschrieb: »During one terrible night in Buf- Lektion aus dem Desaster mit THE GULF BETWEEN, Stuart Blackton, GB 1922) realisiert worden, ein ziem- done throughout in tints that approximate at least the falo I decided that such special attachments on the zu dem Photoplay schrieb: »The unfortunate thing about lich klischierter Schwank um eine naive, überschul- natural colors. But, without actual knowledge of the projector required an operator who was a cross bet- this picture is that the story is dull, trite, and drawn out dete Dame der adligen Gesellschaft in leuchtenden process, it appears that thus far the manufacturers ween a college professor and an acrobat, a phrase interminably. A good, tense tale would have forced one Türkis- und Orangetönen, mit heftigen Farbverschie- have been compelled to translate all colors into terms which I have since heard repeated many times.«8 to forget occasionally the close scrutiny of the colors.«9 bungen und groteskem Make-up. 26 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 27

» Every step of the Technicolor work in The Toll of the Sea was carefully watched by the executives of the industry. Rex Ingram, who was in the midst of producing Prisoner of Zenda, wired Mr. Loew for permission to scrap everything be had done in black and white on that picture and start over again in color. D. W. Griffith wanted to produce Faust and telephoned about producing a feature. «

Herbert T. Kalmus

Zwei-Farben-Verfahren applizierten in der Regel zwei Komplementärfarben, die in der Summe Schwarz ergeben. Technicolor entschied sich für eine Kombina- tion von Rot und Grün, mit einem Orange-Rot-Ton und einem leicht zu Blaugrün tendierenden Grünton, der aber eindeutig zum Grünspektrum zu zählen ist, im Unterschied zu den türkis- bis cyanfarbenen Tönen an­ derer Verfahren. Aus historischer Distanz ist es schwie- rig, die korrekten Farbtöne zu eruieren, denn praktisch alle Kopien in Technicolor Nr. II sind komplett ausge- bleicht, und zwar hauptsächlich die grüne Schicht. Technicolor-Negativ Technicolor war also keineswegs ein Vorreiter in Aus der Analyse der wenigen nicht komplett ausge- mit Mary Pickford, dieser Technik. Daher ist es umso erstaunlicher, dass bleichten Bilder lässt sich eventuell schließen, dass 1925 der Ansatz der Firma so kompliziert und unpraktisch allenfalls die frühen Tests mit Material aus The Gulf war. Während nämlich die anderen Erfinder die bei- Between, die auch Ulrich Ruedel in seiner Untersu- der Filmfarben bei der Digitalisierung, falls nur aus- te sich die Auslieferung der Kopien massiv. Schon bei KING OF JAZZ den Farbauszüge auf zwei Emulsionsschichten auf chung der Technicolor Notebooks analysiert12, Blaugrün gebleichte Filme oder schwarz-weiße Negative über- seiner Erstaufführung waren die Pressereaktionen (DER JAZZKÖNIG, John Murray beiden Seiten der Filme kopierten, kam Technicolor applizierten. Hingegen zeigen sowohl das am besten er- liefert sind, wie bei Technicolor Nr. II. mehrheitlich positiv, der Kritiker der Zeitschrift Mo- Anderson, auf die Idee, zwei sehr dünne Filme herzustellen und haltene Material aus der Margaret Herrick Library, Um das Verfahren zu verbreiten, produzierte Tech- ving Picture World schrieb: »In a great many instances USA 1930) die beiden Farbauszüge aufeinanderzukleben. Diese ein Clip aus KING OF JAZZ (DER JAZZKÖNIG, John nicolor mit seinem Investorenkonsortium den Film THE the effect is all that could be desired, especially some Anordnung hatte drastische Folgen, denn die beiden Murray Anderson, USA 1930), wie auch das Fragment TOLL OF THE SEA (LOTOSBLUME, Chester M. Frank- in which the human characters predominate, they ap- Filmstreifen schrumpften unter der Einwirkung von aus dem Film Lights of Old Broadway (Monta lin, USA 1922), eine rund 50-minütige, freie Adaption pear like exquisite paintings endowed with life, the Hitze der Projektorlampen ungleichmäßig, wodurch Bell, USA 1925) einen satten Grünton mit nur leicht von Giacomo Puccinis Oper Madama Butterfly, fotogra- effect of the natural colors giving them more of the sich der ganze Film verwölbte (cupping), und zwar in bläulichem Einschlag. fiert von J. Arthur Ball, der zum Entwicklerteam der semblance of reality. There was no fluttering or fringing völlig unvorhersehbarer Art, sodass das Bild bei jeder Die genaue Kenntnis der verwendeten Farbtöne Firma gehörte und für die Zwei-Farben-Kamera zu- of colors discernible. […] Judging from the applause Veränderung auf der Leinwand unscharf erschien. Ge- hat unmittelbare, aber auch weitreichende Bedeu- ständig war. Zwar feierte THE TOLL OF THE SEA seine which followed the showing of this picture […] it is desti- nerell war es schwierig, die beiden Bildebenen scharf tung. Einerseits ist sie die Folie, auf der sich zeitge- Premiere 1922 in New York, aber es dauerte fast ein ned to be a big success and its sponsors should feel zu stellen. Außerdem zerkratzten die beiden Emulsio- nössische Reaktionen einordnen lassen, andererseits Jahr, bis der Film in die Kinos kam. Wegen mangeln- highly gratified.«13 Es lassen sich hier gleich mehrere nen deutlich schneller wegen der größeren Dicke. ist dieses Wissen entscheidend für die Rekonstruktion der Infrastrukturen des Technicolor-Labors verzöger- positive Stellungnahmen für mimetische Filmfarben 28 Zwischen Chromophobie und Farbrausch 29

unterstreichen die ornamentale Komponente mit ih- leme dürften die prinzipiellen Vorbehalte gegenüber rem schimmernden Spiel. Auch wenn aus heutiger Sicht Farbe gewesen sein, wie sie Cecil B. DeMille stellver- die rassistische und sexistische Haltung von THE TOLL tretend für viele äußerte: »I believe that color photo- OF THE SEA problematisch erscheint, war das zeitge- graphed at its full value will call attention to itself and nössische Publikum offenbar begeistert, der ökono- thereby detract from the theme of the photoplay. […] mische Erfolg groß. »It grossed more than $ 250,000, Any thing that calls attention to the technical or me- of which Technicolor received approximately $ 165,000 chanical features of a screen production is a handicap [inflationsbereinigt rund zwei Mio. USD].«18 to its success. Not only will color photography at its » Well, you‘d do Bis auf Weiteres blieben Farbinserts in getonten full value detract from the subject matter of the pho- all right; you would und viragierten Filmen die erste Wahl. Ben-Hur toplay, but it will, it seems to me, tend to cause eye jiggle your light bar (BEN HUR, Fred Niblo, USA 1925) ist dafür ebenso strain. If you have ever sat at the window of a fast mo- up and down, until symptomatisch wie für den Bruch der Narration durch ving train and watched the brightly colored scenery you got the flesh den diskontinuierlichen Einsatz der Farben. Mit weni- move by you will be able to realize how tiring it is to tones. When you gen Ausnahmen wie dem Einzug von Ben-Hur in Rom the eyes to watch colors move.«19 Der eye strain oder got the flesh tone sind die in Technicolor realisierten Teile den bibli- eyesore durchzieht die negative Haltung gegenüber right, you let the schen Szenen vorbehalten. Im Unterschied zu den Filmfarbe in den 1920er und 1930er Jahren wie ein rest go; if it turned out to be a bluish- teilweise äußerst dynamischen und in die Tiefe des wiederkehrendes Mantra. Wurde bewegte Farbe ab- looking horse, THE TOLL OF THE Raums inszenierten Sequenzen in Schwarz-Weiß, Vi- gelehnt, weil sie einen Bruch mit der tradierten ästhe­ he had to be a SEA (LOTOSBLUME, rage oder Tonung sind die Technicolor-Fragmente tischen Erfahrung darstellte, wie DeMille mit Hinweis Chester M. Franklin, bluish-looking USA 1922), Anna frontal wie Tableaus aufgebaut. Sie greifen Traditio- auf die Eisenbahn argumentierte? Oder war es der als horse. The flesh May Wong nen der Bildkomposition auf, die aus der sakralen chromophobia thematisierte Abwehrreflex gegenüber tone was the Kunst vertraut sind, in denen die spirituelle Symbolik Farbe in der westlichen Kultur, wie David Batchelor key. die bildliche Anordnung bestimmt. Wie in den späteren hingewiesen hatte? In Batchelors These nämlich wird « ausmachen, nämlich ihre malerische Qualität und ih- that the pallid color given to the complexion of the Technicolor-Filmen ist das Licht wenig expressiv ein- Farbe als Ausdruck des »Anderen« gewertet, als Arthur Miller, re Tendenz, die Realität lebensechter darzustellen, Chinese extended to the faces of the Americans as gesetzt und unterstützt die malerische, flächige Wir- weiblich, orientalisch, primitiv, kindlich, vulgär, aber Kameramann also sowohl Nobilitierung in Einklang mit der bilden- well. […] Still, though, the natural colors or the colo- kung des Bildes. Ben-Hur ist bis heute ein monumen- auch als oberflächlich, überflüssig, kosmetisch.20 All den Kunst wie auch eine essenzielle eigene Qualität ring in this Technicolor product is attractive.«16 Haut- tales Faszinosum geblieben, ein grandioses Spektakel, diese Erklärungen könnten zutreffen, aber vorherr- des Films und seines erhöhten Realitätseffekts. Hin- farbe, insbesondere weiße Hautfarbe, war schon im- in das die mimetischen Farben eine bemerkenswerte schend dürfte eine kulturelle und institutionelle Kons­ gegen ließ das Farbenspektrum noch zu wünschen mer jener Farbton, der für Entwickler wie Rezipienten ästhetische Schicht einziehen. Aber eigentlich bleiben tante sein, die den Stil der klassischen Studio-Ära übrig: »The main defect appears to be in the fact that als Normgröße das ultimative Referenzsystem ergab.17 sie in dem Film ein Fremdkörper, wenn auch ein Fremd- beherrschte: die Idee des Continuity System, nach der the green of the trees and plants appears as more of a 1985 hat die University of California Los Angeles körper mit einer attraktiven Anmutung. Ben-Hur sich die gestalterischen Elemente der Narration un- brown, while in some instances there is an over-vivid- (UCLA) eine Restaurierung vom Kameranegativ vor- blieb über Jahre erfolgreich, es wurden Kopien auch terzuordnen haben, sodass sie ihren Wert nur erlan- ness in the reds and orange, and a sort of massing of genommen, was sehr selten ist, denn die meisten in Technicolor Nr. III und IV gezogen. Bis 1934 spielte gen, wenn sie sich in den Dienst der Narration stellen color in some of the scenes where there is a wealth of sind verloren. Dank dieser erstklassigen Grundlage der Film vier Millionen Dollar ein. und darin eine eindeutige Funktion übernehmen. Al- flowers and foliage.«14 Der Kritiker der New York Times ist die Auflösung sehr hoch, so hoch, wie es das zeit- Hollywood jedoch blieb aus zwei Gründen skep- les andere wurde in professionellen Diskursen in al- befand, dass Experten durch die Errungenschaften genössische Publikum wohl kaum gesehen haben tisch. Erstens erschienen den Produzenten die Ge- len Bereichen der Filmgestaltung als überflüssiger von Technicolor Nr. II das Farbfilmproblem als gelöst dürfte. Der Grünton in dieser Restaurierung ist eher samtkosten zu hoch, sie pochten auf eine massive Exzess gewertet. Diese Ideologie wurde auch in der erachten.15 Hingegen schien die Wiedergabe der Petrolgrün, sodass die Hautfarbe leicht bräunlich Preisreduktion für Filmentwicklung und -kopierung. Firmenstrategie von Technicolor deutlich, als dessen Hautfarbe den Journalisten der Variety nicht zu über- wirkt. Der exotische Schauplatz und die Protagonistin Zweitens war das Technicolor-Labor nach wie vor in Farbberater begannen, restriktive Farbschemata zu zeugen: »The coloring runs without streaks, the ca- (Anna May Wong) rechtfertigen ein prunkvoll orna- Boston, also nicht in der Lage, täglich Muster (dailies, entwickeln, in Übereinstimmung mit Natalie Kalmus’ mera catching the natural colors apparently, although mentales Dekor mit geometrischen Mustern auch in rushes) zu entwickeln, die der Kontrolle der Aufnah- schon fast als Manifest zu verstehendem Text »Color what seemed something of a freak in this process is der Kleidung. Die Seidenstoffe mit Jacquard-Mustern men dienten. Vordringlicher als die praktischen Prob- Consciousness«.21 Natalie Kalmus, die Exfrau von 30 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 31

Herbert T. Kalmus, war an der Universität Zürich aus- Wanderer of the Wasteland (, USA gebildete Kunsthistorikerin und hat von dieser akade- 1924), einen Western nach einer literarischen Vorlage mischen Schule vermutlich den Gedanken einge- von Zane Grey, in Technicolor. Laut Irvin Willat, dessen bracht, eine restriktive Verwendung von Farben als Bruder bei Technicolor arbeitete, überzeugte er selbst geschmackvoll zu erachten. Natalie Kalmus bemühte als Regisseur Famous Players-Lasky, das nur mäßige sich darum, die Filmfarben durch künstlerische Kon- Drehbuch in Technicolor zu realisieren.25 Denn die zepte aus der Malerei aufzuwerten. Sie schlug die Produzenten waren nach wie vor skeptisch, und wie Zähmung der Farbvalenzen in restriktive, genaues- Willat fand, äußerst konservativ und risikoscheu. Wil- tens kontrollierte Farbschemata vor. Dabei waren drei lat bemühte sich in seiner mise-en-scène die Farben Zielsetzungen zentral, nämlich die Naturalisierung der optimal zur Geltung zu bringen. Nach der Kinoaus- Farbe in Übereinstimmung mit dem Continuity System, wertung erhielt Kalmus allerdings ein böses Schrei- dass Farben also möglichst unauffällig und natürlich ben von Famous Players-Lasky: »We have concluded wirken sollten, die narrative Funktionalisierung, die not to do more Technicolor pictures for the present, den Farben einen unmittelbaren erzählerischen Nut- for two reasons: first, because we have had a great zen zuwies, und damit verbunden die Konventionali- deal of trouble in our exchanges due to the fact that Ben-Hur (BEN HUR, Fred sierung durch die Verwendung von etablierten Farb- the film is double-coated and consequently scratches Niblo, USA 1925), symboliken wie Rot für Leidenschaft und Liebe.22 much more readily than black and white, with the ne- Betty Bronson Nach eigenen Angaben hatte Technicolor DeMille cessity of having to order more replacements, and it is eingeladen, den Farbeinsatz für seinen Film THE TEN an added bother to our operators; and, second, be- COMMANDMENTS (Die zehn Gebote, USA 1923) cause the cost is out of all proportion to its added va- selbst kostenlos zu testen. Wie Filmhistoriker Rudy lue to us. We paid $146,000 additional for Wanderer Behlmer nachzeichnet, ließ sich DeMille auf dieses prints. We understand that you need volume to get your Angebot ein und erlaubte Technicolors Kameramann costs down. At an 8-cent price we would be interested Ray Rennahan, die Sequenzen zum biblischen Exodus to talk volume.«26 Wie Kalmus schreibt, hatte Famous parallel mit Zwei-Farben-Kameras aufzuzeichnen.23 Players-Lasky recht, und auch für Technicolor selbst Im Unterschied zu Ben-Hur sind die in Technicolor war diese Produktion ein Albtraum gewesen, denn die eingefügten Massenszenen sehr in die Tiefe des Rau- limitierte Kapazität erschwerte die Prozessierung von mes inszeniert, wenn die Ströme der Israeliten in ei- 175 Kopien für den US-amerikanischen Verleih. Damit ner episch wirkenden Anordnung die Wüste durch- nicht genug: Die Kopien mussten aus den erwähnten queren. Hier zeigt sich, dass diese Inszenierung gera- Problemen mit dem geklebten Filmmaterial fortlau- de nicht durch die einschränkende Kontrolle von fend ausgetauscht werden. Dennoch waren Presse- Technicolor bestimmt war. Sie wurde also nicht kam- und Zuschauerreaktionen enthusiastisch. »When seeing merspielartig auf ein Tableau reduziert, sondern weist The Wanderer of the Wasteland, they […] start eine weit ausgreifende Räumlichkeit auf. Diese Stra- raving about this production. It is a work of art. That is tegie zahlte sich offenbar aus, denn die Technicolor- the only expression to describe it. There have been co- Szenen stießen auf große Begeisterung: »There are lor processes before, but none has given the screen many impressive colorful scenes of the Israelites in anything of the perfect tones that are here. There are the desert, some of them appearing better and more shots that one would swear were by Remington done natural than other such effects we have witnessed on in colors. [...] It is the biggest step in picture since the the screen.«24 closeup was first used.«27 Im Folgenden produzierte die Famous Players- Diesen Hype aufgreifend schlug Douglas Fair- Lasky Corporation, die spätere Paramount, ihren Film banks vor, seinen nächsten Film THe Black Pirate 32 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 33

THe Black Pirate Farbeinsatz in den höchsten Tönen: »Mr. Fairbanks (DER SEERÄUBER, realized that color must be subordinated to the action Albert Parker, USA 1926), Billie Dove, of the episodes, and therefore, although the telling Technicolor-Nr.-II- prismatic effects occasionally reap their full reward, Kopie they are put forth with deliberation and restraint. […] For the most part modulated shades are employed, such as sepia, the dominating tone which is far more effective than a lavish scattering of reds and greens. In fact, decisive red is only depicted to show the blood on the hands of a man or on his sword.«31 Ähnlich den abwertenden Kommentaren von Farb­ gegnern, die sich eines relativ eingeschränkten Argu- mentariums bedienten, um ihre Vorbehalte zu legiti- mieren, fand sich bei Befürwortern notorisch das diskursive Muster der nobilitierenden Analogie zu den Gemälden alter Meister. Tatsächlich fällt die Bildgestal- tung durch eine meisterhafte Kameraarbeit unter der Leitung von Technicolor-Kameramann J. Arthur Ball auf, » One of the der wunderbar modellierte Bilder im Chiaroscuro-Stil great adventures schuf, die dem Film eine historisch anmutende, zeit- of Technicolor in lose Qualität verleihen. Ball selbst hat beschrieben, auch Wasser in der Regel grünlich wirken, erscheint THe Black Pirate, Cinemaland and wie ungewöhnlich schwierig es war, in Technicolor ein dort in einem satten Dunkelblau. Es ist außerordent- Billie Dove, Blu-ray a milestone in its modelliertes und nuanciertes Licht zu setzen.32 Innen- lich bedauerlich, dass dieser auch heute noch span- progress was in und Außenaufnahmen in Tages- und Kunstlicht verwe­ nende und unterhaltsame Stummfilm nicht in seiner the photography, ben sich zu einem abwechslungsreichen Bilderbogen ursprünglichen Anmutung überliefert ist. print manufacture, voller abenteuerlicher Wendungen inklusive Romanze and exhibition of Douglas Fair- und Komik. Douglas Fairbanks’ erstaunliche Physis banks’ The Black (DER SEERÄUBER, Albert Parker, USA 1926) in Tech- Kalmus’ Darstellung, der von Dreharbeiten mit vier ermöglichte Stunts, die bis heute faszinieren. Technicolor Nr. III – Farbrausch in den 29 Pirate. nicolor zu drehen. Fairbanks’ Plan war es, eine Pira- Technicolor-Kameras auf Catalina Island berichtet. Mit heutiger Quellenlage lässt sich nur schwer be- späten 1920er Jahren « tengeschichte im Stil der holländischen Malerei und Um den von DeMille gefürchteten eyestrain zu vermei- urteilen, wie die Farben in The Black Pirate wirk- Herbert T. Kalmus des französischen Impressionismus zu drehen. Er den, verlangsamte er die Aktion und reduzierte das lich ausgesehen haben. Auch die zweite, verbesserte, Im Unterschied zu den beiden früheren Prozessen, wollte damit explizit die festgefahrenen Vorurteile Farbschema auf wenige Farbwerte. Farbe sollte eher vom National Film Archive 1984 unter der Leitung von deren Produktionen entweder gänzlich verloren oder aufbrechen, dass Farbe nicht für Spielfilme geeignet dem Bild einen Glanz zuweisen und wenig gesättigt Harold Brown gezogene chromogene Kopie verschiebt ausgebleicht sind, ist es bei Technicolor Nr. III endlich sei. Um die Farbwiedergabe zu optimieren, hatte sein. »The color scheme decided upon was green and noch die Grüntöne in Richtung eines metallisch wir- möglich, genauer auf die ästhetischen Eigenschaften Technicolor Tests mit verschiedenen Sättigungsstufen brown, with the emphasis on multiple shades and to- kenden Blaus mit leichtem Türkiseinschlag, sie erschei­ einzugehen, denn viele Filme sind als zeitgenössische der Farben realisiert. Laut Rudy Behlmer testete nes of each color within the frame. ›Greens of all the nen aber keinesfalls grün, wie offenbar ursprünglich Nitratkopien überliefert, bei denen die Farben erhal- Fairbanks sechs Monate lang Ausstattung, Kostüme softer shades,‹ director Albert Parker noted, ›and entsprechend den Technicolor-Farben konzipiert. In ten geblieben sind. Forschungen am Academy Film und Make-up sowie die Landschaft auf Catalina Island brown running the whole gamut from the lightest tint den Blu-ray- und DVD-Versionen, die zirkulieren, fällt Archive in Los Angeles, am George Eastman House in vor der Küste Kaliforniens und entschied sich am En- of old ivory to the deepest tone of mahogany.‹ There vor allem die völlig uneinheitliche Farbgebung auf. Rochester, am tschechischen Národní filmový archiv de für eine Produktion von 95 Prozent Studiodreh, da were only two exceptions for brilliant color – a green Das Meer, dessen Blauton sich mit den beiden in in Prag und in der Library of Congress in Culpeper ha- Landschaft und Vegetation sich nicht zu seiner Zufrie- parrot and a red flash for an explosion.«30 Mordaunt Technicolor Nr. II verwendeten Primärfarben über- ben die Inspektion und fotografische Dokumentation denheit abbilden ließen28 – dies im Unterschied zu Hall von der New York Times lobte den gedämpften haupt nicht abbilden ließ, weshalb sowohl Himmel als von rund 20 gut erhaltenen Kopien aus der Zeit von 34 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 35

1927 bis 1932 ermöglicht. Einige dieser Filme sind als stehen farblose Druckmatrizen. Diese Matrizen neh- und dunkel gesättigte Anmutung. Diese materialäs- Safety-Kopien erhältlich oder zirkulieren als DVDs, men nun die Druckfarben auf. Bei Technicolor Nr. III thetischen Eigenschaften haben ihre Wurzeln in den allerdings oft in sehr fragwürdiger Qualität. An Tech- waren dies Grün und Orange-Rot als subtraktive epistemologischen Grundlagen des Verfahrens. nicolor Nr. III lassen sich einige Eigenheiten und Stra- Druckfarben, die in der Summe ein leicht bräunliches Als Druckverfahren ist Technicolor einem mecha- tegien des Prozesses und der darauf reagierenden Schwarz ergeben. Auf einem pin belt, einem Metall- nistischen Weltbild, also dem Primat der Materie und Firmenstrategie zur Kontrolle der Ästhetik aufzeigen, band mit Stiften für die Justierung der Position des deren Naturgesetzlichkeit, verhaftet. Seine Quelle liegt die später im Technicolor Nr. IV, dem Drei-Farben- Films, fand dann der eigentliche Farbübertragungs- in der mechanistischen Konzeption von Wahrneh- Technicolor, eine entscheidende Rolle spielten. prozess statt, bei dem die Druckfarben in einem meh- mung der Psychophysik des 19. Jahrhunderts, in der In seinen Ausführungen im Journal of the Society of rere Minuten dauernden Schritt in die Emulsion dif- James Clerk Maxwell – ausgehend von Thomas Youngs Motion Picture Engineers hat Kalmus behauptet, schon fundierten. Die größten Schwierigkeiten in diesem Theorie des Drei-Farben-Sehens – wie eingangs er- von Beginn des Wechsels zu subtraktiven Farbverfah- Verfahren liegen in der genauen Justierung der bei- wähnt die physikalische Nachahmung dieses Prinzips ren an ein spezielles Druckverfahren (dye transfer) den Schichten, denn schon geringste Abweichungen 1861 erstmals für die Farbfotografie anwandte. Diese Cleopatra geplant zu haben. Es wäre zu überprüfen, ob sich sei- ergeben unschöne Farbsäume und minimieren die Auf- mechanistische, arbiträre Übersetzung der Farben in (R. William Neill, ne Aussage halten lässt.33 Sicher ist, dass Technicolor lösung und die wahrgenommene Schärfe wie schon in Technicolor ist wenig wahrnehmungsgerecht und USA 1928) große Schwierigkeiten hatte, den in der Fotografie Technicolor Nr. II. Eine weitere Schwierigkeit war es – bringt Nichtlinearitäten hervor, die mit den Eigenhei- schon lange etablierten Prozess auf den Film zu über- und wie Filmarchivar James Layton berichtete, hat es ten der visuellen Wahrnehmung des Menschen nur tragen. Denn die Echtzeitaufnahme des Films, selbst Jahre gedauert, dieses Problem zu bearbeiten –, die schwach korrelieren. Daher kommt es zu einer deut- in den geringeren Laufgeschwindigkeiten von 16 bis Farben punktgenau zu übertragen, denn sie tendier- lichen Transformation des Abbildungsgegenstandes. 18 Bildern pro Sekunde, wie sie in der Stummfilmzeit ten dazu, in der Emulsion zu zerfließen (color leaking). Dies gilt ganz besonders für die Lichtfarben, die in üblich waren, erfordert einen viel umfangreicheren Die Emulsion musste daher mit einer spezifischen Technicolor eine nur schwer zu kontrollierende Auto- Materialverbrauch sowie kürzere Belichtungszeiten Beize farbbeständig (color fast) gemacht werden. nomie entwickeln. Technicolor hat deshalb eine ei- 1 als in der Fotografie, nämlich maximal /32 s, bei einer Aus den technischen Grundlagen resultieren eine genwillige Farbcharakteristik – einen sehr speziellen Sektorenblende von 180 Grad. Kurz erklärt handelt es Reihe von Konsequenzen für die Ästhetik, die übri- Technicolor-Look –, und diese Charakteristiken treten sich beim Technicolor-Druckverfahren um einen Druck- gens auch für Technicolor Nr. IV gelten, aber selten im Zwei-Farben-Verfahren noch stärker hervor als im prozess, der wiederum auf schwarz-weißen Farbaus- bis nie thematisiert werden, weil es genaue Kenntnis späteren Drei-Farben-Prozess. Denn im Technicolor- zügen beruht, wie alle vorherigen Technicolor-Verfah- nicht nur der technischen und materiellen Grundlagen Druckverfahren entsteht eine opak wirkende, pastöse ren. Zum Einsatz kam die gleiche Kamera mit dem braucht, sondern auch ein vertieftes Studium ihrer epi- und strukturarme Farbschicht. Es ließe sich, ohne Strahlenteiler wie in Technicolor Nr. II, die zwei spie- stemologischen Fundamente, der institutionellen Prak- den Vergleich überstrapazieren zu wollen, eine Analo- gelbildlich angeordnete Schwarz-Weiß-Bilder auf ein tiken sowie der historischen Ästhetiken ihrer Anwen- gie zu den dichten, Licht absorbierenden Ölfarben zie- Negativ aufzeichnete. Leider trifft man selbst in der dung. Die Schwächen des Druckverfahrens hatten zur hen. fundierten Literatur oft auf den Begriff »Two-Strip- Folge, dass Technicolor kleinräumige Farbtexturen Ein weiteres Defizit ist der Verlust der Zeichnung Technicolor«, der definitiv falsch ist, denn weder bei vermied und stattdessen flächige, grafisch anmutende in den sogenannten Highlights, also den hellsten Stel- der Aufnahme noch bei der Kopie handelt es sich bei Farbverteilungen privilegierte. Der vielleicht gravie- len des Bildes. In ihnen findet sich kaum mehr eine diesem Prozess um zwei Filmstreifen. Vom schwarz- rendste Einfluss auf die materialästhetischen Eigen- Struktur, sie sind praktisch vollständig transparent. weißen Negativ werden Druckmatrizen hergestellt. schaften von Technicolor resultiert aus dem Farbauf- Diese Limitierung führte dazu, dass eine sehr kontrol- Dies sind Positive, bei denen man das Silberbild gerbt, trag, der sich von den später und bis heute üblichen lierte, kontrastarme Belichtung dominierte, die den sodass die belichteten Bildpartien gehärtet werden. sogenannten chromogenen Farbverfahren deutlich un- flächigen, zweidimensionalen Charakter des Techni- In einem anschließenden Prozess werden die unbe- terscheidet. Mit ihren feinkörnig strukturierten Farb- color-Bildes ebenfalls beförderte. Untersucht und ver- lichteten, also weichen Bildpartien mit lauwarmem wolken, die wie Tausende kleine Diffusionsfilter das gleicht man eine große Zahl von Kopien in Technicolor Wasser ausgewaschen, sodass ein Auswaschrelief Licht streuen, erzeugen diese späteren, uns aus dem Nr. III, so sind diese Eigenschaften nicht zu übersehen. entsteht, bei dem nur die belichteten Teile erhöht sind. Kino vertrauten Materialien eine transparente Leucht- Zugleich wird deutlich, wie dezidiert die Firmenstrate- Schließlich wird das Silber ausgebleicht, und es ent- kraft. Im Unterschied dazu hat Technicolor eine schwer gie von Technicolor mit ihrem Color Advisory Service 36 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 37

eine normative Kontrolle auszuüben versuchte, die heiten des Verfahrens in pastellene Farbvalenzen diese Probleme von vornherein ausschloss. Es wird übertrugen. Oftmals ist die Basis des Films in einem sich in der weiteren ästhetischen Analyse einiger ex- hellen Gelb eingefärbt, welches das Farbspektrum emplarischer Zwei-Farben-Produktionen zeigen las- erweitert und den Bildern einen weichen und warmen sen, welche Eigenheiten aus dem Zusammenspiel von goldenen Grundton verleiht. Statt satten Orange-Rot- Technologie und institutioneller Kontrolle resultierten. und Grüntönen finden sich matt schimmernde Gold- Die Erkenntnis, dass eine solche Kontrolle der farben, leicht abgetöntes Kastanienrot oder samtenes ästhe­tischen Produktion eine der wichtigsten Strate- Lindgrün und entsättigte Erdtöne, ganz in Überein- gien für die erfolgreiche Implementierung eines Farb- stimmung mit Natalie Kalmus’ Forderung nach natür- filmverfahrens sein dürfte, kam Herbert T. Kalmus bei lichen Farben. Der Kunsthistoriker Rolf Sachsse be- der Einführung von Technicolor Nr. III: »I wanted […] schreibt eine solche Farbgebung als typisch für to prove to the industry that there was nothing myste- spirituell ausgerichtete Bewegungen im Europa der rious about the operation of Technicolor cameras, that 1920er Jahre: »Naturverbundende Gruppen wie die the transition from what the eye saw to what the Anthroposophen erkoren die warmen Abtönungen von emulsion recorded was susceptible of reasonable Gelb ins Orange und Lind- bis Tannengrün zu ihren control through understanding, that black and white Leitfarben. Braun wurde zur bevorzugten Farbe anti- Ben-Hur cameramen could easily be trained to light for Techni- moderner Bewegungen.«35 Es ist zwar kaum ein un- (BEN HUR, Fred Niblo, USA 1925), color cameras, that talented art directors could readi- mittelbarer Austausch von Natalie Kalmus mit diesen Ramon Novarro ly begin to think in terms of color.«34 Technicolor baute Bewegungen anzunehmen, jedoch findet sich der spi- später diese Strategie systematisch aus, indem sie rituelle bis mystische Überbau in den Farbtheorien nicht nur das Design von Schauplätzen, Kostümen von der Antike über Johann Wolfgang von Goethe und und Make-up kontrollierte, sondern den Produktionen Philipp Otto Runge bis später zu den Bauhaus-Theo- im Verbund mit der speziellen Technicolor-Kamera retikern, sodass es wahrscheinlich ist, dass Natalie bis etwa Anfang der 1940er Jahre auch die eigenen Kalmus mit diesen Theorien während ihres Kunststu- Kameraleute aufzwang. Vom Filmmaterial bis zur diums in Europa in Berührung gekommen ist. Postproduktion behielt die Firma also sämtliche Fak- Technicolors Ziel war es, der Kritik an Filmfarben toren der Technik und Gestaltung in ihrer Hand. als grell und geschmacklos von vornherein entgegen- Zunächst produzierte Kalmus zwölf Kurzfilme, die zuwirken und eher einen malerischen Ansatz zu wäh- Reihe Great Events, um Technicolor mit histori- len. Diesen unterstrich besonders bei Cleopatra schen Stoffen in Hollywood zu etablieren und die Vor- ein ornamental-prunkvolles Bühnenbild im Art-déco- teile des neuen Druckverfahrens aufzuzeigen. Die beiden Stil mit vielen Tüllelementen, schmiedeeisernen Git- Technicolor-Kameramänner Ray Rennahan und George terverzierungen, Pfauen- und Straußenfedern, Edel- Cave gestalteten die Bilder, Natalie Kalmus entwarf steinen und Perlen. Wie in den späteren Filmen, die in das Farbkonzept. Die Inspektion von historischen Nitrat- Technicolor Nr. IV realisiert wurden, wird die Gestal- kopien dieser Filme, unter anderem Buffalo Bill’s tung ganz in den Dienst einer flächigen, grafischen Last Fight (John W. Noble, USA 1927), Cleopatra Anordnung gestellt. Kleinräumige Muster, welche die (USA 1928) und The Heart of General Robert E. Probleme in Auflösung und mangelnder Deckung der Lee (USA 1928), beide inszeniert von R. William Neill, Farbschichten offenbaren würden, sind bewusst ver- bestätigt die Vermutung, dass die Firma mit diesen mieden; sie tauchen mehrheitlich erst in den 1950er Produktionen keineswegs einen ostentativen Modus Jahren auf. Interessant ist auch die Titelgestaltung mit der Farbendarstellung gewählt hat, sondern sehr res­ einem leicht strukturierten braunen Hintergrund. In triktive Farbschemata anwandte, welche die Eigen- The Heart of General Robert E. Lee dominieren 38 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 39

im Vergleich dazu Erdfarben und Grüntöne. Bemer- kenswert sind die Titelarbeiten. Die Schrift in einem gelblichen Ton erscheint auf einem Hintergrund in Braun mit einer an Leder erinnernden, leicht glän- zenden organischen Textur. Buffalo Bill’s Last Fight ist am gewagtesten in seinem Farbeinsatz, mit einem gesättigten Rotton für die Uniformen der Sol- daten und für den Federschmuck der Indianer.* Mit einigen ungewöhnlichen Lichteffekten – Nachtauf- The Heart of nahmen sowie einer ikonischen Silhouette von Ross General Robert E. Lee (R. William und Indianer – unterscheidet sich dieser Film im Wes- Neill, USA 1928), tern-Stil deutlich von den anderen beiden Produktio- nen mit ihrer gleichmäßigen High-key-Beleuchtung. Gerade in Buffalo Bill’s Last Fight wird die Limi- tierung des Gamut, also des abbildbaren Farbspekt- rums, deutlich, denn die Himmel und Gewässer sind immer in einem spezifischen, gegen Türkis tendieren- den, fahlen Grünton abgebildet, weil Blau in diesem Spektrum fehlte. Ziemlich spektakulär ist die Wiederentdeckung von TWELVE MINUTES IN GLACIER NATIONAL PARK (USA 1928) in der Library of Congress, einem der we- TWELVE MINUTES IN nigen Dokumentarfilme, die nicht im Studio und da- GLACIER NATIONAL PARK (USA 1928) durch ohne komplette Kontrolle der Farbgebung ent- standen. Neben Landschaftsbildern tragen in dieser Produktion Indianer des Blackfeet-Stammes zum exo- tischen Kolorit bei, auch wenn dieses ein historisch we- nig akkurates Zeitbild entwirft. Mitte und unten: Aber Technicolor ging noch weiter und produzierte Buffalo Bill’s nicht nur die Serie von Kurzfilmen selbst, sondern mit Last Fight (John W. Noble, USA 1927) THE VIKING (R. William Neill, USA 1928) einen Lang- film, um der Branche die Überlegenheit ihrer Techno- logie zu beweisen und um zu zeigen, dass sich das Publikum mit Filmen gänzlich in Farbe begeistern ließ. Zwar kaufte MGM den Film, sodass Technicolor sämtliche Produktionskosten gedeckt erhielt, aber er war kein kommerzieller Erfolg und konnte entgegen Kalmus’ Erwartungen nicht an The Black Pirate anschließen. Kalmus hatte dafür zwei mögliche Er- klärungen: »There seemed to be two principal troub- les with The Viking, both of which I suspected but wit- hout certainty. First, it came out among the very last 40 Autor Titel des Essays 41

» When Fay Wray was selecting her wardrobe for ›Doctor X,‹ an all-Technicolor production, Natalie Kalmus, the color scientist for the Technicolor Company, suggested a robe of turquoise blue which was scientifically the best color. Fay looked ravishing – both to the naked eye and to Doctor X (Michael the more delicate one of the color camera. But Fay didn’t Curtiz, USA 1932), Harry Beresford like it. She felt uncomfortable. She did not vibrate to it. She chose, instead, a dark blue robe. She couldn’t explain her reactions. She said, ›I just feel better in it.‹ Natalie Kalmus knew the robe would go green for the picture. She didn’t tell Fay. […] Mrs. Kalmus knew no actress could do her best work with wrong radiations emanating from the color she was wearing. «

Lois Shirley, Journalistin

The Mysterious lovely pastel shades, the tuneful melodies, a sensible Island (DIE narrative, competent acting and elaborate stage set- GEHEIMNISVOLLE INSEL, Lucien tings, resulted in an extraordinarily pleasing enter- Hubbard, USA 1929) tainment. It caused one to meditate in the end on the Lionel Attwill remarkable progress of the screen, for not only are the und Fay Wray voices reproduced with rare precision, but every oppor- silent pictures in 1929 and, second, whiskers. Leif stimmung im Umfeld von Hollywoods Hinwendung tunity is taken of the Technicolor process in producing Erickson, the viking hero, true to character, had a long, zum Tonfilm auf und produzierte mit dem Musical On the hues and glitter of a musical comedy.«39 Soweit die curling mustache, whereas American audiences pre- With the Show (Alan Crosland, USA 1929) den ers- magere Qualität der zirkulierenden Version ein Urteil fer their lovers smooth-shaven. At times the whole ten Tonfilm in Farbe, der zwar vernichtende Kritiken zulässt, ist das Farbkonzept von Gold Diggers of screen seemed filled with viking whiskers. But the erhielt37, aber ein großer Publikumserfolg wurde. »This Broadway in gedämpften Pastelltönen in Flamingo picture was a good color job and the first to be syn- presentation, known as On with the Show, is to be und zarten Grüntönen optimal auf das Farbspektrum chronized with music and sound effect.«36 2012 zeigte felicitated on the beauty of its pastel shades, which were von Technicolor Nr. III abgestimmt. Wie in Cleopatra das Stummfilmfestival Le Giornate del cinema muto in obtained by the Technicolor process, but little praise can sind viele schimmernde Stoffe zu sehen, Federn, Tüll Pordenone eine Version von THE VIKING, die von ei- be accorded its story or to the raucous voices. Nobody und Perlen in allen Varianten, kurz alle jene Materiali- nem Color Reversal Intermediate (CRI) gezogen war, in the course of this picture speaks with anything but en mit mattem Glanz, die etwas Struktur und Spiel in Preston Forster weil das Negativ verloren ist. Leider wurde diese Ko- harsh notes, and therefore one looks upon the pris- die texturlosen Oberflächen des Technicolor-Univer- pie mit ihren harschen Kontrasten dem spezifischen matic effects as the heroine of the production.«38 sums einbrachten. Einer der wenigen Filme, die aus Schmelz von Technicolor Nr. III nicht gerecht, auch Mit dem nächsten Musical Gold Diggers of den mittelmäßigen Produktionen herausstachen, war wenn die Farbtöne einigermaßen zu stimmen schie- Broadway (VORHANG AUF!, Roy Del Ruth, USA 1929), Whoopee! (Thornton Freeland, USA 1930), ein Musi- nen, wie im Katalog angemerkt wurde. ebenfalls von Warner Bros., setzte Ende der 1920er Jah- cal mit Choreografien von Busby Berkeley in seinem Trotz der verhaltenen Rezeption von The Viking re ein unglaublicher Farbrausch in Hollywood ein. Pu- typisch exzessiven Stil mit ornamentalen top shots. nahm Jack L. Warner, Mitbegründer und Produktions- blikum und diesmal auch die Kritik waren begeistert. Von der flächigen Gestaltung mit wenig modellier- chef der Warner Brothers Pictures, die Aufbruchs- »›The Gold Diggers of Broadway,‹ […] coupled with the ter Lichtsetzung, die sich durch fast alle Produktionen 42 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 43

tiven Modus der Farbpräsentation wählt – den er durch tenth of the volume they actually turned out. (In 1929 und historischen Stoffe waren von geringer Qualität, sein mexikanisches Dekor in Kombination mit Tanz- and 1930 – 76,700,000 feet.) At one time the extremely und keinesfalls waren sie auf eine Umsetzung in Far- szenen zu rechtfertigen versucht –, führte die Arbeit delicate process of printing the film was being carried be hin konzipiert. Es standen außerdem nicht genü- mit farbigen Lichtern ein, um die Befindlichkeit der on in a building of which one wall had been torn away gend gut ausgebildete Fachleute zur Verfügung. Kalmus Figuren in unmittelbare Bildmetaphern zu wenden, to make room for enlarging the structure. A job that selbst machte vor allem die schlechten Drehbücher ganz in Übereinstimmung mit Natalie Kalmus’ Desi- requires virtually laboratory conditions was being für den Niedergang verantwortlich, neben einer derat einer narrativen Funktionalisierung, welche die performed amid the debris of falling bricks and the selbstkritischen Einordnung der überaus expansiven Red Hair (Vier kulturell bestimmten Farbkonventionen in metapho- roar of the riveters’ gun. And it was not being well per- Firmenstrategie. So kam es sehr schnell zu einer Sät- Herren suchen rische Figuren überträgt. In Doktor X nun über- formed.«41 tigung des Marktes mit den immer gleichen formel- Anschluss, Clarence G. Badger, nimmt das mood lighting die Funktion, Stimmung glei- Wie so oft erschöpfte sich der Trend so schnell, wie haften Anordnungen. Auch traten die Einschränkun- USA 1928), Clara chermaßen zu schaffen wie auszudrücken, aber auch er entstanden war. Die hastig entworfenen Musicals gen des Zwei-Farben-Verfahrens mit zunehmender Bow die Figuren zu charakterisieren. Wie die dramatische Umkehrung von Figur und Grund sind die farbigen Lichter ein expressives Stilmittel, um die Zuschauer unmittelbar affektiv anzusprechen und die bedrohli- che Konfiguration des Horrors in Farbwerte zu über-

Doctor X (Michael tragen. Sind die übrigen Filme in Technicolor Nr. III, Curtiz, USA 1932) soweit es sich nicht unmittelbar um Tanzszenen han- delt, dem restriktiven Einsatz der Farben verhaftet und in einem pastell- oder erdfarbenen Spektrum ge- in Technicolor Nr. III zieht, unterscheiden sich Lucien halten, sodass das Grün fast immer gebrochen er- Hubbards The Mysterious Island (DIE GEHEIMNIS­ scheint, so ist hier das leicht bläuliche gesättigte Grün VOLLE INSEL, USA 1929) und Michael Curtiz’ Doctor X in seiner ganzen Leuchtkraft zu sehen. (USA 1932) markant, beide aus Gründen der generi- Der phänomenale Erfolg von GOLD DIGGERS OF schen Ikonografie. Als fantastischer Film evoziert The BROADWAY, der 3,5 Millionen Dollar einspielte, löste Mysterious Island eine unheimliche Stimmung, eine Welle von Technicolor-Produktionen in Holly- die sich in einem Chiaroscuro-Stil mit vielen Schatten wood aus. Der Pressesprecher der Firma vermeldete äußert. Leider ist von diesem Film nur eine chromo- Ende 1929 in Variety, dass es nur noch wenige Jahre gene Kopie überliefert, die 2012 im Národní filmový dauern würde, bis der Schwarz-Weiß-Film eine Nische- archiv in Prag wiederentdeckt wurde. Bedauerlicher- nerscheinung wie der Stummfilm sei. Retrospektiv weise ist die Kopie in der Farbwiedergabe eingeschränkt, merkte Fortune sarkastisch an: »Producers swarmed weist harte Kontraste auf und gibt die Qualität von down upon Dr. Kalmus, waving cash and demanding Technicolor nur ungenügend wieder. Zudem ist die footage. They put up more than $1,500,000 as down letzte Rolle verloren und nur als mangelhafte Schwarz- payment on future contracts. But as the French Mar- Weiß-Kopie überliefert. Doctor X wiederum greift shal is quoted as remarking about the Charge of the der weiteren Entwicklung von Technicolor mit seinem Light Brigade, ›It is magnificent, but it is not war.‹«40 mutigen Einsatz von Grün, den Silhouetten vor farbig Technicolor musste seine Kapazität verdoppeln, um ausgeschnittenem Hintergrund und dem Einsatz von die Nachfrage zu befriedigen, war aber dem Ansturm farbigen Lichtern in der später so bestimmenden Stra- nicht gewachsen, obwohl die Produzenten eine Kau­ tegie des mood lighting weit voraus. Schon LA Cuca- tion von 25.000 Dollar zahlen mussten, um überhaupt racha (USA 1934) von Lloyd Corrigan, Technicolors einen Film in Technicolor planen zu können. »Techni- erster Drei-Farben-Film, der übrigens einen ostenta- color laboratories were not equipped to handle one- 44 Barbara Flückiger 45

Red Hair (Vier Werbeanzeige, Herren suchen Photoplay, Anschluss, Februar 1930 Clarence G. Badger, USA 1928), Clara Bow 46 Barbara Flückiger Zwischen Chromophobie und Farbrausch 47

Verbreitung stärker ins Bewusstsein des Publikums, fahren in Kombination mit einer rigiden Firmenstrategie, * In dieser Publikation wird der Begriff »Indianer« für 18 Kalmus, a. a. O., S. 567. die Neuigkeit büßte ihren Reiz sehr rasch ein. Mit der die alle Faktoren von der Technologie über die Bildge- Filmfiguren verwendet und bezeichnet einen gängigen 19 Cecil B. DeMille: »The Chances of Color Photography in filmischen Topos. Er dient nicht der Beschreibung der Motion Pictures«. In: American Photography, Nr. 17, Januar Weltwirtschaftskrise von 1929 ereignete sich ein dra- staltung bis zu Dekor, Kostümen und Make-up durch- indigenen Bevölkerung Nordamerikas. 1923, S. 14-16, hier S. 15. matischer Einschnitt in die gesamte Lebenssituation orchestrierte, versucht wurde, die Fallstricke aus 20 - 1 Vgl. James Clerk Maxwell: »Experiments on Colour, as 20 Vgl. David Batchelor: Chromophobia. London 2000, S. 64. in den USA, der auch die Unterhaltungsindustrie massiv Jahren Firmenentwicklung definitiv auszuschließen. perceived by the Eye, with remarks on Colour-Blindness«. 21 Vgl. Natalie M. Kalmus: »Color Consciousness«. In: Journal In: Transactions of the Royal Society Edinburgh, Bd. XXI, Teil II, of the Society of Motion Picture Engineers, Jg. 25, Nr. 2, in Mitleidenschaft zog. Obwohl Technicolor eine groß an- Die 1920er und frühen 1930er Jahre sind eine äu- Edinburgh 1855, S. 275-298. August 1935, S. 139-147. gelegte Anzeigenkampagne in den Fanmagazinen und ßerst spannende und produktive Phase der Innovation 2 Die Timeline of Historical Film Colors, einzusehen unter 22 Vgl. zu Natalie Kalmus auch die Beiträge von Scott Higgins Fachblättern schaltete, konnte die Firma den negativen auf dem Gebiet der Filmfarbentechnologie und ihrer http://zauberklang.ch/filmcolors/, wurde 2012 in einer ersten und Sarah Street in diesem Band. Fassung von der Autorin online publiziert und befindet sich 23 Vgl. Rudy Behlmer: »Technicolor«. In: Films in Review, Jg. 15, Trend nicht stoppen, die Auftragsbücher leerten sich in praktischen Anwendung in der Filmproduktion. Sehr seither in ständiger Weiterentwicklung. Zurzeit enthält die Nr. 6, Juni/Juli 1964, S. 333-351, hier S. 339. Windeseile. Aufschlussreich sind aber die Werbesprü- viel Material aus dieser Zeit – nicht nur Technicolor- Datenbank rund 240 Einzeleinträge mit Primär- und Sekun- 24 The New York Times, 22.12.1923, S. 8. che, mit denen Technicolor Filmfarbe anpries, nämlich Filme – liegt noch weitgehend unentdeckt und uner- därquellen, illustriert mit rund 4000 Fotografien von histori- 25 Vgl. Robert S. Birchard: »Conversations with Irvin V. Willat«. dass die Schönheit von Mensch und Natur nur in Farbe forscht in den Filmarchiven. Wie die Geschichte des schen Filmen, siehe auch http://filmcolors.org/ mit Hinter- In: Film History, Jg. 12, Nr. 1, 2000, S. 29-48, hier S. 44. grundinformationen zum Projekt. 26 Kalmus, a. a. O., S. 571. zur Geltung käme und dass Schwarz-Weiß lediglich die frühen Technicolor-Verfahrens zeigt, haben analoge 3 Herbert T. Kalmus: »Technicolor Adventures in Cinemaland«. 27 »Work of Art, Is Color Film, F. P.-L. Product by Willat. The Hälfte der Realität zeige. Sogar Technicolors auffällige fotochemische Kopien dieser Farbverfahren kaum je In: Journal of the Society of Motion Picture Engineers, Jg. 31, Wanderer of the Wasteland«. In: Variety, Jg. 75, Nr. 1, Faszination für rote Haare, die sich durch dessen ganze überzeugende Resultate gezeitigt. Es war prinzipiell Nr. 6, Dezember 1938, S. 564-585, hier S. 564. 21.5.1924, S. 26. 4 Vgl. »What? Color in the Movies Again«. In: Fortune, Nr. 10, 28 Vgl. Behlmer, a. a. O., S. 340 f. Geschichte zog, besonders im späteren Drei-Farben- nicht möglich, diese sehr eigenwilligen Farbcharakte- Oktober 1934, S. 92-97, 161 f., 164, 166, 168, 171. 29 Kalmus, a. a. O., S. 570. Verfahren, kommt in den Anzeigen zum Ausdruck: »I ristiken in die fotochemische Domäne zu übertragen. 5 Kalmus, a. a. O., S. 565 f. 30 David Pierce: Eintrag zu The Black Pirate im Katalog von didn’t know she had red hair.« Schon die Schauspielerin Heute stehen digitale Technologien zur Verfügung, die 6 »First Showing of Technicolor«. In: The Moving Picture World, Le Giornate del Cinema Muto, Pordenone 2014, S. 103. Jg. 34, Nr. 1, 6.10.1917, S. 61. 31 Mordaunt Hall: »The Black Pirate«. In: The New York Times, Billie Dove in The Wanderer of the Wasteland bessere Resultate erlauben würden. Aber historische 7 Randolph Bartlett/Kitty Kelly: »The Shadow Stage: The 9.3.1926, S. 21. und The Black Pirate hatte tizianrotes Haar, aber und technologisch fundierte Ansätze der Digitalisie- Gulf Between«. In: Photoplay, Jg. 13, Nr. 1, Dezember 1917, 32 Vgl. J. A. Ball: »The Technicolor Process of Three-Color Clara Bow – die Protagonistin der Anzeige und des rung sind eher selten. Außerdem ist ein Filmerbe, das S. 118. Cinematography«. In: Journal of the Society of Motion Picture Films Red Hair (Vier Herren suchen Anschluss, nicht zum Kanon gehört und sich daher nicht für die 8 Kalmus, a. a. O., S. 566. Engineers, Jg. 25, Nr. 2, August 1935, S. 127-138, hier S. 134. 9 Bartlett/Kelly, a. a. O., S. 118. 33 Vgl. James Layton/David Pierce: The Dawn of Technicolor, Clarence G. Badger, USA 1928) – war das erste It-Girl erfolgreiche kommerzielle Auswertung eignet, dazu 10 Vgl. dazu auch den Beitrag von Ulrich Ruedel und Kieron 1915-1935. Rochester 2015. der Filmgeschichte. Mit ihren kastanienroten, krausen verdammt, weiterhin in den Regalen der Filmarchive Webb in diesem Band. 34 Kalmus, a. a. O., S. 570. Haaren und dem Image eines Flappers war sie einer vor sich hinzudämmern. Es ist an der Zeit, für diesen 11 Vgl. dazu die Abbildung auf S. 26. 35 Rolf Sachsse: »Weissbunt«. In: ders.: Wilhelm Ostwald: 12 Vgl. Ulrich Ruedel: »The Technicolor Notebooks at the Farbsysteme. Das Gehirn der Welt. Hg. v. Peter Weibel. der berühmtesten weiblichen Stars von Paramount in Missstand ein kulturelles und politisches Bewusst- George Eastman House«. In: Film History, Jg. 21, Nr. 1, 2009, Ostfildern 2004, S.11-39, hier S. 15. den späten 1920er Jahren. Trotz der Anzeigenkampagne sein zu schaffen. Denn dieses wundervolle Filmerbe S. 47-60. 36 Kalmus, a. a. O., S. 573. musste Technicolor abermals einen bitteren Rück- verdient es, wieder zu zirkulieren und einem breiteren 13 The Moving Picture World, Jg. 59, Nr. 6, 9.12.1922, S. 573. 37 Vgl. Robert A. Nowotny: The Way of All Flesh Tones. A History 14 Ebd. of Color Motion Picture Processes, 1895-1929. New York 1983. schlag verkraften, bevor mit dem Drei-Farben-Ver- Publikum zugänglich zu sein. 15 Vgl. The New York Times, 22.9.1922, S. 9. 38 The New York Times, 29.5.1929, S. 28. 16 »The Toll of the Sea«. In: Variety, Jg. 69, Nr. 2, 1.12.1922, 39 Mordaunt Hall: »Gold Diggers of Broadway«. In: The New S. 35. York Times, 31.8.1929. 17 Vgl. Richard Dyer: White. Essays on Race and Culture. London/ 40 »What? Color in the Movies Again«, a. a. O., S. 95. New York 1997. 41 Ebd.