Dezember 2020, 2. Ausgabe frei.hessen LANDTAGSFRAKTION  Editorial

Mehr Parlament wagen

SEHR GEEHRTE DAMEN welches insbesondere in Krisenzeiten UND HERREN, gewahrt werden muss, auch wenn man die proklamierte Meinung nicht Ende 2020 ist unser Land ein anderes teilt. Demonstrationen sind ein leben- als zu Beginn des Jahres. Die Corona-­ diges Zeichen dafür, dass wir in einer Pandemie hat Hessen, Deutschland und freien und offenen Gesellschaft leben die ganze Welt vor nie dagewesene Her- und dass unsere Demokratie funktioniert. ausforderungen gestellt. Und gleichzeitig ist es nie offensichtlicher gewesen als heute: In unse- Die Legitimation freiheitseinschränkender Maß- rer Gesellschaft kommt es auf jeden Einzelnen an. Die nahmen durch das Parlament als Vertretung der Bürge- Bewältigung der Corona-Krise werden wir nur gemein- rinnen und Bürger ist zwingend notwendig. Es ist Aufgabe sam schaffen. Es liegt in der Verantwortung jedes Einzel- der Politik, ihre Entscheidungen transparenter zu nen, die Freiheit unserer Gesellschaft zu wahren. Freiheit, machen. Aus diesem Grund haben wir Freie Demokraten Verantwortung und Solidarität bedingen sich gegenseitig. im Hessischen Landtag uns für eine stärkere Beteiligung Keine dieser Kategorien kann in einer Gesellschaft alleine des Parlaments bei der Verordnung von infektionsschüt- stehen. zenden Maßnahmen eingesetzt. Und genau dafür wollen wir auch in Zukunft auf Bundes-, ­Landes- und kommuna­ Mehr Chancen durch mehr Freiheit! Diese Überzeugung ler Ebene werben. Damit das Jahr 2021 am Ende ein treibt uns Freie Demokraten an – jetzt noch mehr denn anderes sein wird als zu Beginn. je. Zum Jahresanfang haben wir Freie Demokraten im Hessischen Landtag 2020 als Auftakt zum Jahrzehnt der Chancen ausgerufen. Um die Chancen unserer Gesell- IHR schaft zu realisieren, müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern mutige, vernünftige und wirksame Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit anbieten.

Das Jahr 2020 war auch ein Jahr des Protests – ob gegen RENÉ ROCK Corona-Maßnahmen oder den Ausbau der Autobahn 49. VORSITZENDER DER FRAKTION DER FREIEN Die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, DEMOKRATEN IM HESSISCHEN LANDTAG

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2 INHALT  © iStock.com/Thomas-Soellner©

4Schwerpunkt 4 Wer Infrastruktur sät, wird Wohlstand ernten

Titelthema 7 Kein Blankoscheck für Bouffier

Fokus 10 Kommunalwahl 2021

Interview mit Ahmad Mansour 12 Einstellungen sind nicht immer sichtbar

Meldungen 14 Persönliches 12 © Heike Steinweg IMPRESSUM

HERAUSGEBER Wirtschafts- und Sozialpolitik Verlags GmbH, Adolfsallee 11, 65185 Wiesbaden, Telefon 0611 99906-14 REDAKTION FRAKTION DER FREIEN DEMOKRATEN IM HESSISCHEN LANDTAG Tatjana Hajmássy (V.i.S.d.P.), Schloßplatz 1–3, 65183 Wiesbaden, Telefon 0611 350-576, E-Mail: [email protected], www.fdp-fraktion-hessen.de FDP-LANDESVERBAND HESSEN Michael Brückmann (V.i.S.d.P.), Adolfsallee 11, 65185 Wiesbaden, Telefon 0611 99906-15, E-Mail: [email protected], www.fdp-hessen.de Das Magazin von Partei und Fraktion der Freien Demokraten Hessen erscheint gewöhnlich zweimal im Jahr. DRUCK AC medienhaus GmbH, Ostring 13, 65205 Wiesbaden BILDNACHWEIS iStock | Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag | FDP Landesverband Hessen | Heike Steinweg | Martin Kraft | | Privat | Alisa Koch | Matthias Knapp | FDP Marburg-Biedenkopf

3 LANDTAGSFRAKTION  Schwerpunkt

Wer Infrastruktur sät, wird Wohlstand ernten Der Lückenschluss der A 49 muss endlich vollzogen werden

er Infrastruktur sät, wird Wohlstand ernten“: Doch alle Sach-Argumente für den Autobahnbau werden Dr. Stefan Naas, verkehrs- und wirtschafts­ von Umweltschützern und dem linken politischen Lager „W politischer Sprecher der Fraktion der Freien ignoriert: Seit Monaten protestieren Demonstranten Demokraten im Hessischen Landtag, wählt diesen Satz gegen das wichtige Infrastrukturprojekt und die dafür immer wieder, wenn er über die Bedeutung des Lücken- erforderliche Rodung des Waldes. „Wir dürfen uns aber schlusses zwischen Stadtallendorf und Gemünden/Felda nicht symbolpolitisch verkämpfen. Als umwelt- und forst- spricht. Diesen braucht die Autobahn 49 dringend, um politische Sprecherin liegt auch mir der Wald am Her- Kassel und Gießen miteinander zu verbinden. Der Lücken- zen“, betont Wiebke Knell. „Zur Wahrheit gehört aber schluss ist ein Projekt, für das sich die Freien Demokraten auch, dass für jede Rodung Aufforstungen an anderer seit langem einsetzen und mit dessen nun anstehender Stelle vorgenommen werden müssen. Die Maßnahmen, Umsetzung sie große Erwartungen verbinden. von denen schon ein Großteil umgesetzt wurde, sind bereits mit dem Planfeststellungsbeschluss geregelt.“ „Wir sind überzeugt, dass ein gutes Straßennetz im All- Dabei handelt es sich übrigens um jenen Planfeststel- gemeinen und Autobahnnetz im Besonderen Vorausset- lungsbeschluss, den Dieter Posch 2012 als hessischer zung für einen starken Wirtschaftsstandort ist. Man Verkehrsminister unterschrieben und damit den Lücken- denke nur daran, dass Unternehmen auf Standortsuche schluss besiegelt hat. Er hat sich unermüdlich für den auch auf die verkehrliche Erschließung achten. Kommu- Autobahnausbau engagiert und ist auch heute dabei, nen, die Gewerbegebiete ausweisen, sind im Vorteil, wenn wenn die Freien Demokraten in Mittelhessen Flagge zei- der nächste Autobahnanschluss nicht weit ist. Siedeln gen. sich Firmen an, bringt das Arbeitsplätze in die Region“, erklärt Naas. Mehrfach haben Mitglieder von Partei und Fraktion in den zurückliegenden Wochen und Monaten die Region Sein Fraktionskollege Dr. Matthias Büger kennt als mit- besucht und die Befürworter des Ausbaus unterstützt. telhessischer Abgeordneter die Sorgen und Nöte der Bür- Die Freien Demokraten haben deutlich gemacht, dass sie gerinnen und Bürger in der Region. „Viele Anwohner seh- zu ihrem Wort stehen und nun eine schnelle Realisierung nen den Lückenschluss herbei. Lastwagen und Autos des Baus fordern, während Grünen-Verkehrsminister schlängeln sich durch die Ortschaften, deren Straßen für Tarek Al-Wazir den Bau zwar pflichtgemäß umsetzen will, die Verkehrsmengen gar nicht ausgelegt sind. In der ihn aber eigentlich ablehnt. Ein Verkehrsminister, der Folge wird die Lebensqualität der Menschen massiv keine Straßen bauen will – das ist nach Ansicht der Freien beeinträchtigt, sie leiden unter dem Lärm“, sagt Büger. Demokraten so wie eine Schneiderin, die keine Kleider Die Interessen derjenigen, die auf die Autobahn hoffen, nähen möchte. hat auch Wiebke Knell im Blick, die als nordhessische Landtagsabgeordnete die Belange des ländlichen Raums Die liberalen Politikerinnen und Politiker haben auch das vertritt. „Wir müssen, gerade in Zeiten der Landflucht, Gespräch mit Ausbau-Kritikern wie einer Gruppe von auch dem Mobilitätsbedürfnis der Bewohner des ländli- „Fridays for Future“ nicht gescheut. „Auch die Gegner chen Raumes Rechnung tragen und ihnen eine gute müssen einsehen, dass am Rechtsstaat kein Weg vorbei- Anbindung an Marburg, Gießen und Kassel ermöglichen. führt. Der Lückenschluss hat ein mehrstufiges, jahrelan- Vor allem abseits der großen Städte lassen sich nicht alle ges Verfahren durchlaufen. Der Deutsche als Strecken mit vertretbarem Zeitaufwand mit dem ÖPNV höchster Souverän hat das Projekt beschlossen und oder gar dem Fahrrad zurücklegen“, sagt Knell. damit Baurecht geschaffen, und die konkrete Planung

4 Schwerpunkt LANDTAGSFRAKTION

Vertreter der FDP Schwalm-Eder pflanzen im Juni 2017 beim „Liberalen Spatenstich“ symbolisch einen Apfelbaum

Wiebke Knell, Dr. Stefan Naas und Dieter Posch, Staatsminister a. D., im Oktober 2020 am Apfelbaum

Dr. Matthias Büger, Wiebke Knell, Dr. Stefan Naas bei Demonstrationen für den Weiterbau der A49 in Stadtallendorf, Borken und Schlierbach

Fraktion der Freien Demokraten Freien Fraktion der im Hessischen Landtagim ©  © Dr. Stefan Naas im Austausch mit Vertretern von Fridays for Future im Dannenröder Forst

5 LANDTAGSFRAKTION  Schwerpunkt © Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Demokraten Landtag im Freien Fraktion der © Stefan Müller als parlamentarischer Beobachter der Rodungsarbeiten im Dannenröder Forst

wurde vom höchsten deutschen Verwaltungsgericht Respekt zollen“, sagt Müller. Es gehe um Sicherheit, aber bestätigt. Mehr geht nicht. Würde jetzt wieder nicht auch um Geschwindigkeit: Die Rodungen müssen zügig gebaut, wäre das niemandem zu vermitteln, der sich auf abgeschlossen werden, damit die eigentlichen Bauarbei- rechtsstaatliches Vorgehen und Zusagen der Politik ver- ten folgen können. lässt“, meint Verkehrspolitiker Naas. Die sogenannten Aktivisten haben auch vor Abseilaktio- Friedlicher Protest ist legitim und vom Demonstrations- nen von Autobahnbrücken nicht Halt gemacht. In einem recht gedeckt – dazu stehen auch die Freien Demokraten. Fall haben sie den Berufsverkehr im Rhein-Main-Gebiet Doch der Dannenröder Forst ist aus ihrer Sicht längst lahmgelegt, im anderen Fall kam es nach der Aktion zu Symbol für eine Form des Protests geworden, die mit einem Auffahrunfall, bei dem ein Autofahrer schwer ver- freier Meinungsäußerung nichts mehr zu tun hat. „Wenn letzt wurde. „Abseilaktionen können ein gefährlicher Ein- sogenannte Aktivisten den Wald besetzen, Polizistinnen griff in den Straßenverkehr sein, denn hier werden Men- und Polizisten mit Fäkalien und Steinen bewerfen sowie schenleben gefährdet“, erklärt Müller. „Wir Freie mit Pyrotechnik angreifen, dann ist das schlichtweg kri- Demokraten benennen das deutlich. Eine solch klare Dis- minell. Das sind Straftaten, und diese dürfen wir nicht tanzierung und Verurteilung von Straftaten erwarten wir hinnehmen“, sagt Stefan Müller, innenpolitischer Spre- auch von den Grünen, die sich im Koalitionsvertrag mit cher der Landtagsfraktion. Er hat die Einsatzkräfte im der CDU zum Lückenschluss bekannt haben.“ Wald besucht, um sich ein Bild von der Lage zu machen. „Die Beamtinnen und Beamten arbeiten unter schwieri- gen Bedingungen. Für ihre Leistung sollten wir ihnen

6 Titelthema LANDTAGSFRAKTION

Kein Blankoscheck für Bouffier

© Bild: Martin Kraft (photo.martinkraft.com) Lizenz: CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons Martin Kraft (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hessischer_Landtag_-_Plenarsaal.jpg), „Hessischer Landtag – Plenarsaal“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

In der Corona-Krise trifft die hessische Landesregie- ­weiter nachgehen dürfen und ob Schulen und Kitas geöff- rung Entscheidungen oft eigenmächtig. Das Parlament net bleiben oder die Kinder zu Hause betreut und mög­ wird außen vor gelassen. Die Oppositionsfraktionen im licherweise sogar unterrichtet werden müssen. Hessischen Landtag haben sich zum Ziel gesetzt, das „Durchregieren“ von Schwarz-Grün zu beenden. Immer­ Die Entscheidungen, auf die sich die Bundeskanzlerin und hin ist die Bekämpfung einer Pandemie keine Aufgabe, die Ministerpräsidenten der Länder in ihren mehrstündi- die im Alleingang bewältigt werden kann. gen Videokonferenzen einigen, sind meist einschneidend – so einschneidend, dass sie das Leben der Menschen s ist ein Szenario, wie es sich seit März 2020 mehr- nicht nur von einem auf den anderen Tag verändern, son- fach ereignet hat: Die von der Staatskanzlei ange- dern dass damit auch massiv in ihre Grundrechte einge- Ekündigte Pressekonferenz, in der der Ministerpräsi- griffen wird. „Während die Menschen in unserem Land die dent über die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz Entscheidungen der Politik weitestgehend unterstützen, informieren will, verschiebt sich – „abhängig von der bleibt die Politik den Menschen im Gegenzug noch immer Dauer der Beratungen“, heißt es immer wieder. Sind vieles schuldig – von Erklärungen bis hin zu Entschädi- diese dann zu Ende, tritt Volker Bouffier vor die Öffent- gungen“, sagt René Rock in der Rückschau auf das Jahr lichkeit und erklärt den hessischen Bürgerinnen und Bür- 2020. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten gern ihren neuen Alltag: wo sie fortan eine Maske tragen im Hessischen Landtag sieht das Vorgehen der Regierung müssen, wie viele Freunde sie treffen können, ob das im in der Corona-Krise zunehmend kritisch. Restaurant möglich ist oder nicht, ob sie ihrem Beruf

7 LANDTAGSFRAKTION  Titelthema

Mit ihrer Kritik an den Plänen der Landesre- gierung waren die Oppositionsfraktionen nicht alleine. Auch der Landesrechnungshof äußerte sich in einer Stellungnahme zum sogenannten „Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz“ kritisch und merkte an, dass durch die Bildung eines Sondervermögens die Budgethoheit des Parlaments verletzt werde. Doch allen Hinweisen zum Trotz hielt die schwarz-grüne Landesre- gierung an ihren Absichten fest. In mehreren Sondersit- zungen des Landtags änderte sie mit ihrer Ein-Stim- men-Mehrheit zuerst das Gesetz zur Schuldenbremse und die darin vorgesehene erforderliche Zustimmung, um an einem sonnigen Samstag, es war der 4. Juli 2020, den mit Schulden finanzierten Schattenhaushalt zu ver- abschieden.

Mit dem Sondervermögen habe Schwarz-Grün die Schul- denbremse für die Dauer von drei Jahren faktisch aufge- hoben, konnte man Rocks Kritik am darauffolgenden Montag in den Zeitungen nachlesen. Insbesondere ärgerte sich der Fraktionsvorsitzende aber über den Katalog der zu finanzierenden Maßnahmen, den die Lan- desregierung im Nachgang bekannt gab. Demnach soll- © Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Demokraten Landtag im Freien Fraktion der © ten aus dem Corona-Sondervermögen Gelder freigege- Die Fraktionsvorsitzenden von FDP und SPD, René Rock ben werden, mit denen unter anderem die Dämmung von und Nancy Faeser, mit dem Verfahrensbevollmächtigten Forsthäusern oder Fahrrad-Garagen bezahlt werden Prof. Dr. Christoph Gröpl vor dem Staatsgerichtshof des sollten. Was bitte hatte das mit der Bewältigung der Landes Hessen Corona-Krise­ zu tun, fragte sich Rock. Zusammen mit der SPD beauftragte seine Fraktion schließlich einen Gutach- ter, um die rechtlichen Möglichkeiten der Opposition gegen das von CDU und Grünen beschlossene Gesetz zu SCHATTENHAUSHALT STATT SCHULDENBREMSE prüfen. Es waren nur noch wenige Wochen bis zur parlamentari- schen Sommerpause, als der hessische Finanzminister GUTACHTEN BESTÄTIGT VERFASSUNGSWIDRIGKEIT die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen über seinen Auf knapp 70 Seiten kommt Professor Christoph Gröpl zu Plan informierte, ein kreditfinanziertes Sondervermögen dem Schluss, dass die Errichtung und die Ausgestaltung in Höhe von 12 Milliarden Euro auflegen zu wollen. Aus des schwarz-grünen Sondervermögens in der vorliegen- diesem Topf wolle er die zusätzlichen finanziellen Belas- den Form verfassungswidrig seien. Für die Landesregie- tungen, die sich durch die Corona-Krise ergeben würden, rung sei die Corona-Krise Anlass, Schulden aufzunehmen, leisten, erklärte Michael Boddenberg an einem Donners- die mit der Pandemie gar nichts zu tun hätten, bilanziert tag Ende Mai 2020 im Finanzministerium in Wiesbaden. der Verfassungsrechtler aus Saarbrücken. „Indem das René Rock konnte dieser Idee nichts abgewinnen. Wie er Sondervermögen über einen Zeitraum von dreieinhalb es drehte und wendete, er konnte einfach keinen Vorteil Jahren am hessischen Kernhaushalt vorbei Ausgaben erkennen, den ein solches Sondervermögen gegenüber leisten darf, wird das Plenum des Hessischen Landtags den vom Gesetz vorgesehenen Nachtragshaushalten unzulässigerweise von der jährlichen Bewilligung und haben sollte. Zudem beabsichtigte die Landesregierung Kontrolle dieser Finanzmittel ausgeschlossen“, heißt es offenbar auch, die in der Verfassung verankerte Schulden­ außerdem in dem Ende September 2020 vorgelegten Gut- bremse gleich für mehrere Jahre außer Kraft zu setzen. achten. René Rock war erleichtert, darin auch lesen zu In einem späteren Telefonat teilte er seiner SPD-Kollegin können, dass die Aufhebung der Zwei-Drittel-Mehrheit Nancy Faeser seine Bedenken mit. Die beiden waren sich für Ausnahmen von der Schuldenbremse mit einer schnell einig, das Vorhaben der Landesregierung nicht Zwei-Drittel-Mehrheit hätte erfolgen müssen. „Die Landes­ unterstützen zu wollen, sondern coronabedingte Hilfen regierung hat die Schuldenbremse in dem Jahr, in dem mit Nachtragshaushalten zu finanzieren. sie in Kraft treten sollte, de facto abgeschafft. Dabei igno-

8 Titelthema LANDTAGSFRAKTION

riert sie, dass Schulden die verbrauchten Chancen der tungsgerichten gekippt worden, weil diese „nicht nach- jungen Generation sind und daher besonders gut begrün- vollziehbar begründet, zu unbestimmt oder unverhältnis- det werden müssen“, sagte der Vater einer Tochter im mäßig“ gewesen waren. „Nur wenn wir offen über die Rahmen der Pressekonferenz, auf der das Gutachten vor- Maßnahmen diskutieren, argumentieren und abwägen, gestellt wurde. Damit sah er seine Kritik am hessischen finden sie die erforderliche Akzeptanz. Darüber hinaus Sondervermögen in gleich mehreren Punkten bestätigt: ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen entschei- Es werden Dinge finanziert, die nicht unmittelbar mit der dend, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewähr- Corona-Pandemie zusammenhängen. Und die Rechte des leisten“, begründete Rock einen gemeinsamen Gesetz- Parlaments werden massiv beschnitten. entwurf von FDP und SPD, der in der Sitzungswoche im November in erster Lesung im Hessischen Landtag bera- RECHTE DES PARLAMENTS STÄRKEN ten wurde. Die Oppositionsfraktionen wollen damit die Nicht nur die finanziellen, insbesondere auch die gesund- Rechte des Parlaments in der Corona-Krise stärken. heitlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen der „Einen Blankoscheck, mit dem die Landesregierung Corona-Krise sollten nach Meinung der Freien Demokra- unbegrenzte Vollmachten zu Grundrechtseingriffen und ten im Parlament beraten werden. Es ist mittlerweile für Wahlgeschenke erteilt bekommt, wird es mit uns Herbst geworden, und René Rock beobachtet schon seit nicht geben“, argumentierte Rock. Nur einen Tag zuvor Längerem mit Sorge, dass das Verständnis der Bevölke- hatten Sozialdemokratin Faeser und er Klage gegen das rung für einige Corona-Maßnahmen zunehmend schwin- im Sommer verabschiedete Sondervermögen der Landes­ det. Vor dem zweiten Lockdown im November hatten ihn regierung beim Staatsgerichtshof eingereicht. Die beiden und seine Fraktion zahlreiche Schreiben aufgebrachter Fraktionsvorsitzenden zeigten sich zuversichtlich, Bürgerinnen und Bürger erreicht, unter anderem zur dass das höchste hessische Gericht ihrer Schließung der Musikschulen und Sportanlagen. Bereits Argumentation – zumindest in Teilen – fol- im Sommer waren einige der jetzt erneut beschlossenen gen würde. Maßnahmen, wie das Beherbergungsverbot, von Verwal-

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9 LANDESVERBAND  Fokus

Kommunalwahl 2021

2016 war für die Freien Demokraten die erfolgreichste sächlichkeiten beschäftigt, sondern betont, dass die Kommunalwahl seit 44 Jahren. Die Corona-Pandemie Freien Demokraten an den wichtigen Stellschrauben dre- markiert eine der größten Herausforderungen für hen wollen. Stirböck empfiehlt, um die zentralen Kampa- unser Land. Sie fordert der Politik ab, sich auf das gnenmotive herum eine positive Story zu bauen, die in Wesentliche zu konzentrieren. Der Leitspruch (Neu- 30 Sekunden („Elevator Pitch“) jedem Wähler erklärt, wie deutsch: „Claim“) der lokalen Rahmenkampagne des die Freien Demokraten die jeweilige Kommune voran- Landesverbandes heißt deshalb: „Was wirklich zählt“. bringen (siehe Kasten). „Start with why“, meint der

andesgeneral Moritz Promny ist über- zeugt: „Wir haben die Chance, aus der FÜNF-KOMPONENTEN-STORY: LKrise und den davor gemachten Feh- WARUM ES DIE FDP VOR ORT BRAUCHT lern zu lernen. Denn zum Status quo ante • Positive Zukunftsprognose wollen wir nicht zurück.“ Wie ein Brenn- • Problembeschreibung glas habe die Pandemie die Defizite scho- nungslos offengelegt: von der digitalen Bil- • Hauptthemen/Kampagnenthemen dungswüste bis zu überkommenen Ar- • Abgrenzung von der Konkurrenz beitsweisen in Behörden. Die Kampagne • Zielimage des Landesverbandes betone daher große Linien: „Was wirklich zählt“, habe sich STORY-BEISPIEL OFFENBACH 2016 durch die Pandemie geändert und werde • Offenbach hat alle Chancen. Offenbach liegt im Kerngebiet durch steigende Arbeitslosenzahlen und einer der wirtschaftlich stärksten Regionen der Welt, mitten Insolvenzen für das gesamte kommende im Herzen Europas. Jahr anders sein als zuvor. „Was wirklich • Doch bei uns bleibt die Dynamik weit hinter dem Durchschnitt zählt“, sei „Politik, die nach vorne schaut, zurück. Politik, die Bildung priorisiert. Politik, die • Trotzdem beschäftigte sich die Rathauskoalition aus SPD, Unternehmen Vertrauen entgegenbringt Grünen und FW hauptsächlich mit sich selbst. Oder mit Neben- und über den Tag hinausblickt“, so Promny. sächlichkeiten: Frauenquote bei Straßennamen und weibliche Der Kampagnenentwicklung vorausgegan- Ampelmännchen. Nicht mit der Zukunft des Standortes. gen war eine von der AG Kommunalwahl • Uns geht es um eine schlagkräftige Wirtschaftsförderung, die konzipierte Umfrage, die an die Funktions- Situation der City als Einkaufszentrum. Und um eine Bildungs­ träger verschickt wurde. Dass sich über offensive. Damit Offenbach im regionalen Wettbewerb voran- 50 Prozent daran beteiligten, bezeichnete kommt. Promny als „außergewöhnlich guten Wert“. • So schaffen wir ein modernes, weltoffenes Offenbach.

Für die AG Öffentlichkeitsarbeit des Landes­ verbandes hat die Kampagne auch einen pädagogischen Effekt. „In der Kommunalpolitik neigen ­Offenbacher in Anlehnung an den amerikanischen Unter- wir alle zu oft dazu, die Spiegelstriche unserer Arbeit in nehmensberater Simon Sinek, „nicht mit dem, was Du den Vordergrund zu stellen, nicht die Leitidee, die dahin- tun willst“. ter steckt“, so Präsidiumsmitglied Oliver Stirböck. Der Slogan „Parkbänke aufstellen – was wirklich zählt“ klinge „Die großen Haltungen konkretisieren wir durch lokale aber erkennbar schräg. Der Claim motiviere also, sich mit Forderungen“, erläutert Wiebke Knell aus dem FDP-­ den zentralen­ Herausforderungen vor Ort auseinander- Präsidium. Mit den Kollegen der AG hat sie an einem zusetzen. Es sei eine Kampagne, die sich nicht mit Neben- Slogan-Pool gefeilt, der den Gliederungen zur Verfügung

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steht. Ihre Lieblingsslogans daraus: „Start-ups beginnen wahlthesen formuliert, der auch zentrale coronabedingte in der Schule“, „Per App aufs Amt“, „Stärke des Rechts Themen für die Kommunalwahl enthält, so beispielsweise statt Recht des Stärkeren“, „Kommunale Kassen ­brauchen eine arbeitsfähige digitale Infrastruktur an Schulen mit kluge Rechner“ und natürlich, da spricht die Sprecherin Glasfaser und WLAN. Auch die Innenstädte wollen die der Landtagsfraktion für den ländlichen Raum, „Dem Freien Demokraten retten. „Schnellstmöglich, unbüro- Landleben mehr Leben geben“. Natürlich habe aber jede kratisch und kostenlos sollen die Kommunen den Gast- Gliederung auch die Möglichkeit, an eigenen Slogans zu ronomen Außenflächen zur Sondernutzung bereitstellen.“ basteln. Der Landesverband stellt dazu ein Baukasten- Leere Schaufenster könnten beispielsweise zur Zwi- system zur Verfügung. Der verbindende „Look“ der Kam- schennutzung an Pop-up-Galerien vermietet werden. Mit pagne sei „modern und bold“, beschreibt sie den Auftritt der Formulierung „Einzelhandel und Gastronomie sollen der Freien Demokraten. durch Ereignisse wie Märkte, Feste, Kulturveranstaltun- gen begleitet werden“ will der hessische VLK-Chef Erstmals steht den kommunalen Wahlkämpfern der Schüßler das Einkaufserlebnis wieder stärken. „Wir Freien Demokraten auch eine App zur Verfügung. General haben“, so der Erste Stadtrat der Stadt Rodgau, „uns im Promny: „Mit der App FDP Hessen für unterwegs können Programm auf das fokussiert, was wirklich zählt.“ Der alle Mitglieder und Interessenten unseren Wahlkampf scheidende Landesvorsitzende Dr. Stefan Ruppert sieht digital begleiten. Informationen über politische Botschaf- die Freien Demokraten denn auch gut gerüstet für die ten lassen sich ebenso schnell finden wie Hinweise zu Kommunalwahl. Jetzt kommt es auf jedes einzelne Mit- aktuellen Veranstaltungen oder unseren Ansprechpart- glied an. Oder wie Ruppert es bei seiner Abschiedsrede nern vor Ort.“ im Deutschen Bundestag formulierte: „Freiheit wird nicht von der Tribüne verteidigt.“ Gerade das Canvassing, das Von-Haustür-zu-Haustür-­ Gehen, wollen die Freien Demokraten stärker in den ­Vordergrund rücken. Der jetzige stellvertretende Minis- terpräsident von Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp, gilt als bestes Beispiel für erfolgreiches Canvassing. 2004 wählten ihn die Bürger in Röttgen/Ückesdorf mit 43,3 Prozent erstmals direkt in den Rat der Stadt Bonn. Sein Erfolgsrezept: Er besuchte nahezu alle Haushalte und stellte sich damit den Wählern vor. 2009 konnte er damit als Wahlkreis­kandidat sogar 67,6 Prozent und 2014 64,9 Prozent erzielen. Wohlgemerkt: Die FDP erreichte bei dieser Kommunal­wahl im Landesschnitt gerade ein- mal 4,75 Prozent. Persönlichkeit, richtig eingesetzt, wirkt. „Wichtig ist dabei, dass man sich nicht verquatscht“, erläutert Stamp. Er empfiehlt, maximal 1–2 Minuten an einer Haustür zu verbringen. Der ehemalige Kreisvorsit- zende der FDP , Jochen Kilp, hat für die Friedrich-Naumann-Stiftung­ umfassende Wahlkampf- vorschläge entwickelt. Dazu gehört auch, aus dem Ein- mal-Kontakt an der Haustür einen Mehrfach-Kontakt zu machen. Ein Follow-up könnte laut Kilp sein, die entspre- chende ­Person zu einer Veranstaltung einzuladen und ihr kurz vor der Wahl einen Wahlaufruf zuzusenden. In Corona-­Zeiten ist selbstverständlich auf die Einhaltung der AHA-Vorschriften zu achten. Wahlkampfberater emp- fehlen auch die Benutzung von Einmalhandschuhen.

Die vom Landesvorstand eingesetzte Programmkommis- sion mit Jürgen Lenders, Dr. Thorsten Lieb und dem Chef © FDP Landesverband Hessen der Vereinigung liberaler Kommunalpolitiker (VLK) Hes- sen, Michael Schüßler, hat den Entwurf der Kommunal-

11 LANDESVERBAND  Interview © Heike Steinweg

AHMAD MANSOUR Ahmad Mansour ist deutsch-israelischer Diplom-Psychologe und Autor aus Berlin. Geboren 1976 in Kfar Saba, gründete er 2018 MIND prevention (Mansour-Initia- tive für Demokratieförderung und Extre- mismusprävention), die Workshops zur Einstellungen Extremismusprävention durch­führt. Mansour engagiert sich zudem beharr- lich gegen Antisemitismus. Für seine Ar- beit erhielt er zahlreiche Auszeichnun- sind nicht gen. Im Oktober 2020 erschien sein neues Buch „Solidarisch sein! Gegen Rassis- immer sichtbar mus, Antisemitismus und Hass“.

12 Interview LANDESVERBAND

In seiner Rede zur Freiheit hat Ahmad Mansour die Inwieweit erschwert die Angst vor islamistischem „eindimensionale Debattenkultur in Deutschland“ Terror die Integration von Muslimen in Deutschland? kritisiert. Er erklärt den Begriff am Beispiel von Zunächst einmal ist Angst menschlich. Es gibt viele Bei- Islamismus und Rechtsextremismus, indem er beklagt,­ spiele, in denen sich Ängste bestätigen. Durch Anschläge dass häufig nur eines der beiden Phänomene als etwa. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Moslem eine Gefahr für die Demokratie thematisiert werde. Gefahr für die Gesellschaft ist. Wir dürfen niemals ver- ­Mansour spricht von Blasen und Menschen, die nach allgemeinern. Ich wünsche mir von der Mehrheitsge- Bestätigung ihres Weltbildes suchen. Wir fragen ihn, sellschaft, dass sie alle Bemühungen unternimmt, um ob er dieses Problem auch bei der Debatte über die Andersdenkende zu erreichen und für die Demokratie zu Proteste gegen die Corona-­Maßnahmen sieht. gewinnen. Wer ankommen will, kann in dieser Gesell- Ja. Obwohl mir meine Gesundheit und die meiner Mit- schaft ankommen. Die Trennlinie sollte meiner Meinung menschen sehr wichtig ist, würde ich trotzdem gerne nach nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen Kritik an einzelnen Maßnahmen äußern, ohne dadurch ­verlaufen, sondern zwischen Demokraten und Nicht-­ gleich als Rechtsradikaler oder Verschwörungstheore- Demokraten. tiker bezeichnet zu werden. Verschwörungstheoretiker sind überforderte Menschen, die nach einfachen Ant- Welche Erwartungen haben Sie bei der Bekämpfung worten suchen, die es nicht gibt. Wir müssen uns auf die islamistischer Strukturen an die Politik? Wissenschaft und auf unser mündiges Denken beziehen Islamismus ist ein globales Phänomen, das keine Gren- und akzeptieren, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, zen kennt. Es kann nicht sein, dass in Österreich eine solange sie sich im demokratischen Diskurs bewegen.­ Razzia gegen die Muslimbrüder stattfindet und am glei- chen Tag Vertreter der Muslimbrüder im deutschen Woran machen Sie fest, dass die Einstellung zur Innenministerium hofiert und als Partner bezeichnet Demokratie ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die werden. Das ist nicht solidarisch. Es kann nicht sein, Integration ist? dass Frankreich für die Meinungsfreiheit kämpft und Einstellungen sind nicht immer sichtbar. Jemand, der deutsche Politiker anfangs kein Wort darüber verlieren, die Sprache perfekt beherrscht, seine Steuern bezahlt, dass sie ein hohes Gut in unserer Gesellschaft ist, auf nicht kriminell ist und eine Wohnung hat, ist nicht per se das wir nicht verzichten werden. Ich erwarte eine bes- integriert. Meiner Meinung nach sind Islamisten, die die sere Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden Meinungsfreiheit, die Gleichberechtigung und die Tren- auf europäischer Ebene, ein europäisches Konzept und nung von Kirche und Staat ablehnen, nicht integriert. das Verständnis darüber, wer unsere Partner auf mus- Nur diejenigen, die demokratisch eingestellt sind, die limischer Seite sind und wer Teil des Problems ist. Werte dieser Gesellschaft als Chance sehen und danach leben, sind Menschen, die emotional in der Gesellschaft Wie stehen Sie zu dem Satz eines früheren Bundes­ angekommen sind. präsidenten „Der Islam gehört zu Deutschland“? Ich finde die Aussage sehr naiv, sehr allgemein und Mit Blick auf Ihre eigene Biografie: Sie bekennen offen, lehne sie absolut ab. Muslime gehören natürlich zu dass Sie emotional auch erst in dieser Gesellschaft Deutschland. Religionen gehören in säkularen Staaten ankommen mussten. Wie ist Ihnen das gelungen? aber nicht dazu. Als Beispiel nenne ich die Versuche, Ich war anfangs gewissermaßen auch überfordert, weil Islamunterricht an Schulen zu etablieren. Ich halte es ich keine Zugänge zur Mehrheitsgesellschaft gefunden für ein Unding, dass wir Kinder im Jahre 2020 nach Kon- und in einer Parallelgesellschaft gelebt habe. Irgend- fessionen aufteilen. Für die Zukunft wünsche ich mir, wann habe ich mir die Frage gestellt: Was mache ich dass die Kinder gemeinsam über alle Religionen unter- eigentlich hier? Ich könnte ein viel einfacheres Leben in richtet werden. Außerdem gibt es nicht den einen Islam, meinem Heimatland haben, anstatt hier mit einer Sehn- sondern nur Islamverständnisse. Ein demokratisches sucht nach Dingen zu leben, die ich in Deutschland nie- Islamverständnis passt in unsere Gesellschaft. Ein mals vorfinden werde. Letztlich waren es Begegnungen Islamverständnis aber, das Menschen entmündigt, mit Menschen und daraus resultierende Freundschaf- Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit ablehnt, zu ten, die mich haben ankommen lassen. Entscheidend Gewalt aufruft und eine politische Dimension hat, gehört dabei war der Moment, als ich meine Frau kennenlernte. nicht zu Deutschland und Europa. Von einem Bundes- Ich teilte die Welt fortan nicht mehr in eine deutsche und präsidenten kann man erwarten, dass er die Sache dif- eine ausländische auf, sondern begann, mich hier wohl- ferenzierter betrachtet. zufühlen und mich mit den Werten dieser Gesellschaft zu identifizieren.

13 LANDESVERBAND  Meldungen

Persönliches

Wahl ins Bundespräsidium dorff. „Hermann Otto Solms hat sich um die Freien Demo­ kraten in Deutschland große Verdienste erworben“, so Mit 95 Prozent der Dele- Landesvorsitzender Dr. Stefan Ruppert, der Solms als giertenstimmen wurde die „langjährigen politischen Weggefährten“ bezeichnete, stellvertretende hessische dessen Rat er sehr schätze. Ruppert weiter: „Dr. Her- Landesvorsitzende Bettina mann Otto Solms ist nicht nur ein überzeugter Liberaler, Stark-Watzinger am 19. er ist auch ein ausgewiesener Steuer- und Finanzexper- September auf dem unter te. Damit hat er sich über Partei- und Fraktionsgrenzen strengen Pandemie-Be- hinaus Anerkennung verschafft.“ Der Wiedereinzug der dingungen durchgeführ- Freien Demokraten in den Bundestag 2017 sei zu einem ten Bundesparteitag der guten Teil sein Verdienst, weil er die Neuaufstellung der Freien Demokraten ins Partei mit klugen Entscheidungen begleitet habe. Bundespräsidium gewählt. „Wir wollen Deutschland © Hermann Otto Solms mit freiheitlichen und fortschrittlichen Konzepten nach vorne bringen. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik liegt mir nicht nur vor dem Hintergrund der Corona-­Krise be- sonders am Herzen. Einen weiteren Schwerpunkt meiner 80. Geburtstag Arbeit möchte ich auf die digitale Bildung legen, bei der es im Bund, aber auch in Hessen einen großen Nachhol- Die Ehrenvorsitzende der bedarf gibt. Auch das hat die Corona-Krise­ leider deutlich hessischen Freidemokra- gezeigt.“ Landesvorsitzender Dr. Stefan Ruppert gratu- ten und Staatsministerin lierte seiner früheren Generalsekretärin zur Wahl und a. D. Ruth Wagner wurde freute sich, dass die hessischen Freidemokraten mit ihr am 18. Oktober 80 Jahre und „weiter stark und kompetent im Bundes- alt. Landesvorsitzender präsidium vertreten“ sind. Fraktionsvorsitzender René Dr. Stefan Ruppert be- Rock schloss sich den Glückwünschen an und stellte „ihr zeichnete die Jubilarin als enormes Fachwissen als auch ihre stets ruhige und ver- „kluge Ratgeberin“ und bindliche Art“ heraus. bescheinigte ihr, die Ge- schichte der hessischen © FDP Landesverband Hessen FDP über Jahrzehnte ent- scheidend mitgeprägt zu haben: „Mit ihrem kämpferi- schen, mitunter auch streitbaren, aber immer ohne per- sönliche Angriffe auskommenden Auftreten ist sie als Wahl zum Ehrenvorsitzenden und 80. Geburtstag Frau klarer Worte ein Vorbild für nachfolgende Partei­ generationen.“ Zudem stehe sie mit ihrer Biografie bei- Dass der Licher Bundes- spielhaft für das Aufstiegsversprechen durch Bildung. tagsabgeordnete Dr. Her- Ruppert betonte ferner ihre Begeisterung für Kultur und mann Otto Solms, der am ihre Heimatstadt Darmstadt, die sich weit über die aktive 24. November seinen 80. Politikkarriere hinaus in der Ausübung zahlreicher kom- Geburtstag feierte, das munalpolitischer Ämter wie auch Ehrenämter ausge- Amt des Bundesschatz- drückt habe. Fraktionsvorsitzender René Rock hob die meisters nach insgesamt von ihr vorangetriebene Stärkung der Hochschulautono- 26 Jahren zur Verfügung mie ebenso hervor wie ihre Leidenschaft für Bildung, stellte, wäre Grund genug Wissenschaft und Kultur. gewesen, ihn an dieser Stelle zu würdigen. Dass © FDP Landesverband Hessen die Bundesparteitagsde­le­ gierten ihn am gleichen Tag auf Vorschlag von sogar zum Ehrenvorsitzenden der Freien Demo- kraten wählten, stellte ihn auf eine Stufe mit Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambs-

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Erfolge bei kommunalen Wahlen

Anfang November fanden Aufsehen sorgte, landete in 37 hessischen Kommu- Stefan Stehle im südhes- nen Bürgermeisterwah- sischen Bensheim mit 15 len statt. Dabei handelte Prozent noch vor dem es sich um die ersten Ur- Kandidaten der Grünen. nengänge seit Ausbruch Der Landesverband gra- der Corona-Pandemie im tuliert beiden Kandidaten Frühjahr. Die Freien De- zu ihren hervorragenden mokraten konnten gleich Ergebnissen und sieht in zwei erfreuliche Ach- ihnen ein ermutigendes tungserfolge erzielen. Signal in Richtung Kom- Während Kristina Fröh- munalwahl 2021. lich in Kronberg am Taunus mit starken 22,8 Prozent für © Privat/Alisa Koch

Nachrufe

Mit Hans-Günter Oehlert verstarb am 5. November 2020 und dem 92-jährigen Frankfurter Christian Zeis anläss- ein liberales Urgestein im Alter von 94 Jahren. Der Wies- lich ihrer 70-jährigen Parteimitgliedschaft vom Landes- badener trat am 1. Juli 1946 in die Liberaldemokratische vorsitzenden Dr. Stefan Ruppert zum Mittagessen einge- Partei (LPD) ein und hielt der später aus ihr hervorgegan- laden. Im Beisein des Ehrenvorsitzenden der hessischen genen FDP bis zu seinem Tod sagenhafte 74 Jahre lang Freidemokraten, Dr. Wolf- die Treue. Ob als leitender Ministerialrat im Ministerium gang Gerhardt, saßen sei- für Wirtschaft und Technik des Landes Hessen, als Bera- nerzeit über 300 Jahre ter des Thüringischen Ministers für Wirtschaft und Tech- FDP-Mitgliedschaft am nik beim Aufbau Ost oder als leidenschaftlicher Kommu- Tisch. Der Landesverband nalpolitiker: Seine Fachkompetenz und Erfahrung waren wird dem Verstorbenen ein auf unterschiedlichsten Ebenen der Politik gefragt. Im ehrendes Andenken be- Jahr 2016 wurde Oehlert gemeinsam mit dem im vergan- wahren. genen Jahr verstorbenen langjährigen Ersten Kreisbei- geordneten des Main-Taunus-Kreises, Wolfgang Knoll, © Matthias Knapp

Am 11. November verstarb Karl Zissel im Alter von 63 Dem Kreistag Marburg-Biedenkopf gehörte er insgesamt Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. Der Verstor­bene 18 Jahre lang an, davon acht in der Funktion des Frak­ war im Landesverband insbesondere als Delegierter ein tionsvorsitzenden. In sei- bekanntes Gesicht. Obwohl er infolge eines vor zehn ner Heimatstadt Wetter ­Jahren erlittenen Schlaganfalls im Rollstuhl saß, sah war er lange Jahre Vorsit- man ihn immer wieder auf Veranstaltungen. In der Land- zender des FDP-Ortsver- tagsfraktion war er viele Jahre als Regionalbeauftragter bandes sowie Mitglied im Mittelhessen tätig. Zissel war seit 40 Jahren Mitglied der Gemeindeparlament. Der Freien Demokraten und galt insbesondere im Kreisver- Landesverband wird dem band Marburg-Biedenkopf als tragende Säule, die sich Verstorbenen ein ehrendes über die Partei- und Kreisgrenzen hinaus Respekt ver- Andenken bewahren.

schaffte. Marburg-Biedenkopf FDP ©

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