Zürcher Journalistenpreis 18

Peter Studer Preis für das Gesamtwerk

Barbara Klingbacher Der letzte Gang

Christian Keller Neue Spur zu Schweizerhalle-Brand

Oliver Zihlmann, Catherine Boss, Christian Brönnimann, Alexandre Haederli, Julie Jeannet, Marie Parvex, Mario Stäuble, Hannes von Wyl Paradise Papers (Serie)

William Stern Newcomer-Preis Der Zürcher Journalisten- preis

Es gibt nicht wenige Medienpreise in der Preisträger 2018 Schweiz. Kaum einer aber hat eine so lange Tradition wie der Zürcher Journalistenpreis, den der Zürcher Presseverein (ZPV) ins Peter Studer Leben rief und 1981 erstmals verliehen hat. Preis für das Gesamtwerk 7 Trägerin ist heute die Stiftung Zürcher Journalistenpreis. Ihr Zweck ist es, über die Ausschreibung und Vergabe eines Preises Barbara Klingbacher einen Beitrag zur Förderung der journalisti- Der letzte Gang 17 schen Qualität zu leisten. Die Prämierung von herausragenden Arbeiten soll Journalistin- nen und Journalisten ermutigen, ihre unter Christian Keller immer anspruchsvolleren Bedingungen zu leistende Aufgabe inhaltlich wie auch Neue Spur zu Schweizerhalle-Brand 21 stilistisch auf hohem Niveau zu meistern und journalistische Werke zu schaffen, die über Oliver Zihlmann, den Tag hinaus in Erinnerung bleiben. Eine unabhängige, siebenköpfige Jury aus Catherine Boss, Journalisten und Publizisten begutachtet die eingereichten Arbeiten, die in Produkten Christian Brönnimann, von Medienunternehmen in der Deutschschweiz Alexandre Haederli, erschienen sind. Die Auswahl erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren. Seit diesem Julie Jeannet, Jahr vergibt die Jury auch einen Preis für Marie Parvex, Newcomer. Namhafte Spender und Sponso- ren finanzieren die Preise. Mario Stäuble, Hannes von Wyl Paradise Papers (Serie) 29

William Stern Newcomer-Preis 21 Die Schweiz ist nicht nur Zürich Grussadresse des Präsidenten

Das Klagen in der Branche über fehlende digitale Stiftungsrat Geschäftsmodelle, über Rückgänge in den Leser- und den Werbemärkten, über verkleinerte Andrea Masüger ( Präsident ) Redaktionen, über Zeitungsfusionen, welche CEO Somedia die Vielfalt zu schmälern drohen und über alle Arten von redaktionellen Mantelkonzepten Kaspar Loeb ist allgegenwärtig. Man könnte meinen, die me- Kommunikationsberater diale Schweiz danke kollektiv ab, das Ende sei nahe. Riccarda Mecklenburg Dozentin und Publizistin Interessanterweise erleben wir aber genau in dieser herbeigeredeten oder herbeigeschriebe- Rainer Stadler nen Krisenzeit einen eigentlichen Hype an NZZ gutem Journalismus. Die Ausweitung des Zür- cher Journalistenpreises auf die gesamte Deutschschweiz hat nicht bloss zu ein paar zu- Geschäftsführung sätzlichen Einsendungen geführt, sondern einen regelrechten Boom ausgelöst. Für das Jahr Brigitte Becker 2017 wurden doppelt so viele Arbeiten einge- reicht als in früheren Jahren! Darunter einige Trouvaillen ausserhalb von Zürich, was zeigt, Jury dass es höchste Zeit war, allen journalistischen Talenten auch abseits des zürcherischen Medi- Hannes Britschgi ( Präsident ) enkuchens eine Chance zu geben. Folgerichtig Ringier gehen dieses Jahr zwei von vier Preisen an Journalistinnen und Journalisten von nicht-zür- Susan Boos cherischen Medien. Seit diesem Jahr arbeitet WOZ Die Wochenzeitung der Zürcher Journalistenpreis auch mit dem Ver- ein «Junge Journalisten Schweiz» zusammen Hansi Voigt und richtet zusammen mit dieser engagierten Journalist Gruppe den Newcomer-Preis aus. Wer sagt da noch, Journalismus habe keine Zukunft Lisa Feldmann mehr...? Autorin

Das Preisspektrum in diesem Jahr ist breit. Der Alain Zucker Newcomer-Preis wird für ein aussergewöhnli- NZZ am Sonntag ches Porträt eines Rentners ausgerichtet, der im Alleingang für ein Burkaverbot weibelt. Die Nina Jecker Serie zu den «Paradise Papers», die zu einigen Basler Zeitung Enthüllungen führte, eine aufsehenerregende Recherche über eine neue Spur im Basler Schwei- Stefan von Bergen zerhalle-Brand und eine ungewöhnliche Berner Zeitung Reportage über das Schlachten von Gänsen, den Aufstieg des Fleisches und die Verdrängung des Tötens bilden die Gruppe der ausgezeichne- ten Arbeiten. Für mich besonders erfreulich ist die Verleihung des Preises für das Gesamtwerk an Peter Studer, der als Journalist, Ausbildner und juristisches Gewissen für die Schweizer Me- dien eine wegweisende Instanz war und ist.

Andrea Masüger Präsident Stiftung Zürcher Journalistenpreis

Zürcher Journalistenpreis 2018 3 Die Jury Hannes Britschgi Susan Boos

( Präsident )

Hannes Britschgi, 1955, aus Susan Boos ist 1963 in Obwalden, studierte an Zürich geboren und danach der juristischen Fakultät in St. Gallen aufgewach- Bern und machte 1984 das sen. Nach der Ausbildung Berner Anwaltspatent. Seit zur Primarlehrerin im über 30 ist er Journalist. ­Seminar Rorschach stieg Zuerst beim Schweizer sie 1984 bei der « Ost- Fernsehen: «Karussell», schweizer AZ » in den Jour- «Max», «Kassensturz», «Rundschau». Für seine nalismus ein und studierte gleichzeitig an der «Rundschau»-Interviews erhielt er den «Tele- Universität ­Zürich Ethnologie, Politologie und preis 1997». 2001 wechselte er als Chefredaktor Publizistik. zum Schweizer Nachrichtenmagazin «FACTS». 1989 wurde sie Redaktorin der « Ostschweizer 2005 übernahm er die Programmleitung von AZ » und wechselte 1991 als Redaktorin «Ringier TV». 2008 wurde er «SonntagsBlick»- zur « WOZ Die Wochenzeitung » ; von 2005 bis Chefredaktor. Seit 2011 leitet er die Ringier Ende ­2017 war Boos in der Redaktionsleitung. Journalistenschule. Sie hat verschiedene Bücher publiziert, darunter « Fukushima lässt grüssen. Die Folgen eines Super-GAUs », das im März 2011 im Rotpunkt- verlag erschienen ist.

4 Zürcher Journalistenpreis 2018 Hansi Voigt Lisa Feldmann Alain Zucker

Hansi Voigt ( 49 ) war von Lisa Feldmann, geboren 1967 in Zürich geboren. Oktober 2007 bis 1958 in Plettenberg, Studium der Geschichte Dezember 2012 Chefredaktor hat nach ihrem Studium und Volkswirtschaft von 20 Minuten Online. der Germanistik und an der Universität Zürich In dieser Zeit entwickelte Anglistik ( Magister ) eine und der Washington sich das Online-Angebot journalistische Lauf‑ University in St. Louis, USA. der Gratiszeitung zum gröss- bahn eingeschlagen, die Absolvent des Journalis- ten Newsportal der beim « Stern » begann mus-Diplomkurs am Me- Schweiz. Vorher war er beim « Beobachter » ­tätig und rasch Richtung Lifestyle, Mode und dienausbildungszentrum in Luzern. 1996 und davor lange Jahre, unter anderem als Frauenthemen weiterführte. Sie war in Einstieg bei der «Weltwoche», erst als Wirtschafts- Blattmacher, bei der Wirtschaftszeitung « Cash ». der Chef­redaktion von « Elle », danach Chefre- redaktor, Leiter der Reporter und schliesslich 2006 wurde Voigt gemeinsam mit Ursula daktorin der « Cosmopolitan ». Anschliessend als Leiter der Wirtschaftsredaktion. 2003 der Gabathuler für einen Artikel im « Beobachter » ­leitete sie die Special-Redaktion des Magazins Wechsel zu «Das Magazin» und «Bilanz» zum Thema Armut mit dem Zürcher Jour- der « Süddeutschen Zeitung ». als Autor. Ab Anfang 2005 USA-Korrespondent nalistenpreis ausgezeichnet. Im Jahr 2012 wurde Seit 2002 lebt Lisa Feldmann in der Schweiz der«Weltwoche» und mehrerer Zeitschriften aus er vom Fachmagazin « Schweizer Journalist » und ist inzwischen auch Schweizerin. dem ganzen deutschsprachigen Raum. zum « Chefredaktor des Jahres » gewählt. Ihre journalistischen Stationen hier : Mode- Sommer 2008 Rückkehr in die Schweiz zum Voigt hat seit seinem Weggang von 20 Minuten Berichterstattung im Lifestyle-Bund der «Tages-Anzeiger» als Leiter Hintergrund Online verschiedene Beratermandate in der « Sonntagszeitung », Chefredaktorin der ­­­« An- und Nachrichtenchef, ab 2013 Mitglied der Schweiz und in Deutschland angenommen und nabelle » ( 2004 – 2013 ). Im Sommer 2013 Chefredaktion. Seit September 2016 ist sieht im digitalen Wandel vor allem viele ging sie als Chefredaktorin zu Interview. Seit Alain Zucker Blattmacher und Mitglied der Chancen für Journalisten und den Journalismus. Sommer 2015 brachte sie die deutsche Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Er hat 2013 das Newsportal Watson gegründet Ausgabe der französischen Zeitschrift «L´Officiel» und gemeinsam mit Peter Wanner, dem Verleger an den Start, die sie als Gründungs-Chef- der AZ Medien, lanciert. Nach der drei- redaktorin für zwei Jahre leitete. Seit Sommer jährigen Aufbauphase hat er vor Kurzem die 2017 arbeitet sie an verschiedenen Projekten Geschäftsführung an Michael Wanner über- in der Schweiz – konzipierend, beratend – aber geben und ist offen für Neues … auch als Autorin: für die NZZ, die ZEIT und den Suhrkamp Verlag.

Zürcher Journalistenpreis 2018 5 Die Jury Nina Jecker Stefan von Bergen

Nina Jecker, geboren Stefan von Bergen, 1960 in 1981 in Basel, arbeitet als Bern geboren, studierte­ Redaktorin und Kolum- deutsche Literatur und Ge- nistin bei der «Basler Zei- schichte an den Univer- tung». Zum Journalismus sitäten Bern und Wien, zu- kam sie während des Jura- dem erwarb er das studiums als freie Gymnasiallehrer­diplom. Mitarbeiterin der «Neuen 1990 stieg er nach einer Fricktaler Zeitung». Jecker fand grossen achtmonatigen Weltreise in den Journalismus Gefallen am Schreiben und entschied sich ein, erst als Lokalredakor, dann als Kulturre- nach dem Vorlizentiat, eine Auszeit vom daktor der «Berner­ Zeitung BZ». Ab 2001 baute Studium zu nehmen und 2006 ein journalisti- er den Samstags-Hintergrundteil «Zeitpunkt» sches Praktikum bei «20 Minuten» in Bern der BZ auf, den er leitete. 2002 gewann er den zu absolvieren. Nach einem halben Jahr konnte BZ-Preis für Lokaljournalismus (heute: Swiss Jecker als Redaktorin im Team bleiben, Press Award.) für ein Porträt des Boxers Enrico weitere drei Jahre später übernahm sie die Lei- Scacchia. Seit 2009 schreibt er auch regel- tung der Berner Lokalredaktion von mässig für die Schweiz-Seiten von «Die Zeit». «20 Minuten». Es folgte 2012 ein Wechsel zur 2011 gewann er den Tamedia-Förderpreis für «Basler Zeitung», wo Jecker als stellvertretende eine Beitragsreihe­ im BZ-«Zeitpunkt» über die Leiterin der Lokalredaktion tätig war. Ein Jahr Lage des Kantons Bern. Daraus erwuchs das später kam es erneut zum Wechsel zu Buch «Wie viel Bern braucht die Schweiz?» «20 Minuten», um auf der neuen, konvergenten (Stämpfli-Verlag), das er 2012 als Co-Autor Redaktion in Zürich als Reporterin im Einsatz publizierte. Heute ist er bei der BZ Coach der zu sein. Seit 2014 ist Jecker erneut in Basel für Praktikanten und Volontäre sowie Hinter- die «BaZ» tätig, zuerst als Ressortleiterin grundredaktor im Ressort Kanton Bern. Lokales, seit der Geburt des ersten Sohnes 2016 als Redaktorin für Gesellschaftsthemen, Gerichtsprozesse und Lokales.

6 Zürcher Journalistenpreis 2018 Zürcher Journalistenpreis 2018 7

Der

Zürcher Journalistenpreis 2018

wird

Peter Studer

für das

Gesamtwerk

verliehen.

Zürich, 15. Mai 2018

8 Zürcher Journalistenpreis 2018 Preisträger Laudatio

Laudatio für Peter Studer Wie hat Peter Studer stets seine Spur halten von Hannes Britschgi können? Antwort: dank klugem Kopf, libera- lem Kompass und einem Kämpferherz.

Wären Sie mit 27 Hals über Kopf als Schat- ten-Chefredaktor zur kongolesischen Tageszei- tung «Le Progrès» nach Kinshasa aufgebro- chen?

Hätten Sie als embedded junior reporter an der Front im Vietnamkrieg einem amerikani- schen Leutnant vorgeschlagen, mit seinen Soldaten besser in breiter Formation vorzu- rücken statt im Gänsemarsch?

Peter Studer Wären Sie als Luzerner Liberaler aus gutbür- gerlichem Haus in die Hearings der Chef- Jahrgang 1935, wuchs in Luzern auf, studierte Heute packen wir die Gelegenheit für eine redaktorenwahl der linken «Tages-Anzeiger»- Jurisprudenz, doktorierte und machte das Luzerner längst verdiente Ehrung und für einen über- Redaktion gegangen? Anwaltspatent. Auf die juristische Ausbildung fälligen Dank. folgte ein Berufsleben im Journalismus. Nach zwei Wir zeichnen den geschätzten Berufskollegen Oder hätten Sie sich – als Chefredaktor mit Jahren bei der kongolesischen Tageszeitung «Le Peter Studer aus, der vielen von uns in der null Ahnung von TV – ausgerechnet Progrès» begann 1964 Studers Vierteljahrhundert einen oder anderen Art ein treuer Begleiter war. beim Schweizer Fernsehen beworben? beim «Tages-Anzeiger». Die Stationen waren: Mit fast schon väterlichem Rat, mit aufmun- Jungreporter im Ressort Ausland, USA-Korrespondent ternder Unterstützung und ebenso zuverlässig Eben! Peter Studer hat sich und anderen viel in Washington, Bundeshausredaktor in Bern. in gesund kritischer Distanz zu unseren zugemutet. 1978 machte ihn Verleger Otto Coninx zum Chefre- Arbeiten. Akribisch bis in jedes Detail klopfte daktor. 1987 stieg er in die Geschäftsleitung auf. Studer unsere Recherchen, Porträts und Seine Eltern hatten einen anderen Lebens- Dann wechselte er zum Schweizer Fernsehen, wo er Interviews ab, verlor aber nie den Blick aufs entwurf für ihren Erstgeborenen. Peter sollte Formate wie «10vor10», «Sternstunde» und Ganze. Und im Grundsätzlichen konnten in Luzern die Studersche Ärztedynastie fort- «Arena» einführte. Nach seiner Pensionierung 1999 wir ihm blind vertrauen. Der durch die Nach- führen. Peter aber war ein Wortmensch – der schrieb er mehrere Handbücher zum Medien- wehen des Luzerner Kulturkampfs, Katho- Literatur, Kunst und Politik zugetan. Der und Kunstrecht. 2001 wurde er Präsident des Schwei- lisch-Konservative gegen Freisinnig-Radikale, Kompromiss mit seinen Eltern war ein Jus-Stu- zerischen Presserats. Die Universität St. Gallen sensibilisierte Studer verteidigte aus tiefster, dium inklusive Doktorat und Rechtsanwalts- verlieh ihm 2005 die Ehrendoktorwürde. 2007 über- liberaler Überzeugung den Journalismus gegen patent. nahm er für fünf Jahre das Präsidium des Schweizer alle seine Anfeindungen. Es gibt kaum eine Kunstvereins. Vor zwei Jahren lancierte er mit Gleich- medienethische Diskussion ohne engagierte Seine Berufung lag im Journalismus. gesinnten die «Aktion dringender Aufruf» gegen Wortmeldung von ihm. Analytisch präzis Im Schaufenster stand er als Chefredaktor des die Durchsetzungsinitiative der SVP. durchdringt sein juristisch geschulter Intellekt «Tages-Anzeigers». Kaum war er im Amt, jede noch so verzwickte Streitfrage. Seine brannte Zürich. Es war die Zeit der Jugendun- Autorität als Publizist und Medienrechtler bleibt ruhen. Studer hielt liberalen Kurs. In seinen unbestritten. Leitartikeln verlangte er von den Jugendlichen, gewaltlos zu politisieren, und von den Poli- Peter Studer, dieser ruhig und überlegt auf- zisten, sich strikte an die Rechtsstaatlichkeit zu tretende Kollege, hat eine bewegte, teilweise halten. Die linken Tagi-Redaktoren schimpften fast schon abenteuerliche Karriere erlebt. Er ihn deshalb einen «Versöhner». Der bürgerliche berichtete über den Watergate-Skandal aus Direktionspräsident Heinrich Hächler for- nächster Nähe. Den «Tages-Anzeiger» dirigier- derte ihn auf, die linken Journalisten rauszu- te er durch dessen wildeste Zeiten. Uner- schmeissen. Studer stellte sich quer. Lieber schrocken stellte er sich dort einer schwierigen hätte er die Faulen entlassen. Kampfwahl. Und sein Freund, der Schrift- steller Nikolaus Meienberg, verewigte ihn wenig Zu allem Ärger kamen noch die Querelen schmeichelhaft in der Schweizer Literaturge- mit seinem Freund Niklaus Meienberg. Der so schichte. begnadete wie bissige Schreiber berichtete

Zürcher Journalistenpreis 2018 9 damals aus Paris. Studer hatte die Nerven, seine Spenden zusammen. Am Abstimmungssonntag Artikel zu redigieren, die gröbsten Polemiken gehörte er zu den Siegern. aus den Texten zu streichen. Wer Meienberg kennt, weiss, was das bedeutete. Eines Tages Bald wird er sich einer historischen Recherche verfügte dann auch noch Verleger Otto Coninx über Ludwig Pfyffer von Altishofen zuwenden. ein Schreibverbot gegen Meienberg, obwohl Der Luzerner Söldnerführer rettete 1567 den ihn Studer davon abzubringen versuchte. Der französischen König vor hugenottischen Ent- Geschasste fackelte nicht lange und rächte führungsversuchen. Ein Fall für Studer. sich an Peter Studer, den er fortan nur noch «Steter Puder» nannte. Das Erscheinungsdatum dieser Arbeit ist noch unbekannt. Aber wir dürfen ihm heute schon Nach 25 Jahren «Tages-Anzeiger» wechselte einen Projektkredit von 10'000 Franken über- Peter Studer 1989 zum Schweizer Fernsehen. reichen. Dem «linken» Direktor Peter Schellenberg kam der liberale Studer gerade recht. Der Quer- Peter Studer, wir gratulieren herzlich zum einsteiger überzeugte am Leutschenbach mit Gesamtwerkpreis! Ideen und Führungskultur. Er hatte keine Lieblinge, sondern Prinzipien. Er suchte immer Lösungen, die allen gerecht wurden. Das konnte schon mal nerven. Verlangte einer eine Lohnerhöhung, löste Studer im HR sofort eine Due-Diligence-Prüfung aus, damit er das Lohngesuch schliesslich nach objektiven Kriterien ablehnen konnte. Seine Innovationen sind noch heute Programmsäulen: «10vor10», «Sternstunde» und «Arena».

Nach seinem Rücktritt vom Fernsehen wurde er, gegen die Stimmen der Gewerkschaften, zum Präsidenten des Schweizerischen Presse- rats gewählt. Unermüdlich warb er um die Verleger, bis sie sich schliesslich an der Träger- schaft beteiligten. Sein Engagement im medienethischen Diskurs der Schweiz über- setzte er in Standardwerke wie: «Medienrecht für die Praxis», «So arbeiten Journalisten fair» und «Kunstrecht». 2005 verlieh ihm die Universität St. Gallen die Ehrendoktorwürde.

Nach sieben Jahren Presserat hatte Peter Studer genug. Schliesslich gab es ein Leben nach dem Journalismus. Mit seiner Frau Margaret Walsh, Journalistin beim «The Wall Street Journal», hat er ein Leben lang Kunst gesammelt. Studer übernahm das Präsidium des Schweizer Kunstvereins.

Mit 80, noch kein bisschen altersmilde, stürzte sich Studer in eine politische Schlacht. Er wollte, ja er musste etwas gegen die Durchsetzungsinitiative der SVP unternehmen. Mit Gleichgesinnten gründete er die «Aktion Dringender Aufruf». In wenigen Wochen kamen für den Schlussspurt eine Million Franken

10 Zürcher Journalistenpreis 2018 Haben die Medien «Vietnam verloren»?

Erschienen am 4. Mai 2000

Die Berichterstattung während des Vietnam- krieges veränderte die Wahrnehmung der Medien.

Ein Zeitzeuge nimmt Stellung.

Von Peter Studer

«Zum ersten Mal in der Geschichte wurde der Ausgang eines Krieges nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf dem Fernsehschirm entschieden», folgerte der amerikanische Medienhistoriker . Starke Wor- te im Nachhinein über den Vietnamkrieg. Der Satz geisterte damals wie heute, von den Konservativen begeistert paraphrasiert, als eine Art Dolchstosslegende durch die Diskussion. In den letzten Wochen las man ihn wieder – im Gedenken an den Fall Saigons (1975). Das macht ihn noch nicht richtig. Ein Blick zurück: Saigon, August 1967. Vietnamkrieg 1965 KEYSTONE / Horst Faas – Mit einem Auftragsbrief des damaligen TA-Chefredaktors Walter Stutzer stellte ich am meisten über die Lage der Landbevölkerung. Times» zu einer Versetzung Halberstams zu mich auf dem Presse- und Reisebüro der Niemand behinderte mich. überreden. amerikanischen Streitkräfte vor. «Wohin möch- Zwar ist die amerikanische Gesellschaft weit Eine Rolle für sich spielte das Fernsehen. ten Sie denn?», fragte der freundliche Offizier. offen. Aber so offen, mitten im Krieg? Nun, Die privaten Landessender CBS und NBC hat- «Nach Danang fliegen, von dort in einen vorge- es war eben kein erklärter Krieg, sondern eine ten die Länge ihrer Abendnachrichten soeben schobenen Stützpunkt, und einige Tage alles Hilfsaktion zu Gunsten des reichlich fiktiven verdoppelt; Fernsehinformation war in. Aber mitmachen – Patrouillen, Ausbildung, Freizeit.» demokratischen Staates Südvietnam. Die Ameri- es gab noch keine Satellitenverbindungen mit «No problem.» kaner bezeichneten sich als Gäste; Zensur der Verlockung des «instant war reporting». Die Ich erhielt einen amtlichen Ausweis, der wäre – so glaubten drei amerikanische Prä- Kameracrews spedierten ihre neutral oder mich zum Major beförderte – «damit erhalten sidenten – ein Schwächezeichen. Während patriotisch-positiv betexteten Filmrollen per Sie Kost und Logis in der Offiziersmesse». Jahren zahlte sich das aus. Luftfracht in die New Yorker Studios. Banale Und Whisky natürlich, gegen Dollars. Der Lageübersichten zumeist; «magic moments», Feldweibel, der mich in Danang erwartete, Zwei Journalistentypen die sich unauslöschlich einprägten, waren führte mich zuerst auf den Schwarzmarkt, wo Unter der zunehmenden Zahl von Medienleuten selten. Mir ist in Erinnerung: Der Brand des er mich Fallschirmstiefel, Panzerweste und in Südvietnam gab es zwei Gruppen. Da Dorfes Cam Nhe, den Marines ganz bei- Helm kaufen hiess. «. . . damit die Scharfschüt- waren Agenturjournalisten und ausländische läufig mit ihren Zigarettenanzündern an den zen des Vietcong Sie nicht als bunten Vogel Durchreisende, die am täglichen Briefing Schilfdächern entfachten. aus der Patrouille schiessen», quittierte er mein im Hauptquartier eher buchhalterisches Zahlen- Dann zeichnete sich eine Wasserscheide ab. Staunen. material abholten: Wie viele Vietcongs Unerwartet hatten Nordvietnam und Vietcong wurden getötet? Welche Bezirke und Provinzen die Tet-Neujahrsoffensive ausgelöst (1968). Un- Dabei sein ohne Behinderung sind sicher? glaublich, was die Bilder jetzt zeigten: Camp 21 sass auf dem schwer befestigten Ra- Und da waren die «Old Hands» einiger Überraschungsangriffe quer durch Südvietnam, ketengürtel, der Danang in einem Radius grosser Zeitungen und Magazine; ihr Ehrgeiz auch in angeblich längst befriedeten Gebieten; von elf Kilometern umgab, um den Vietcong galt den Hintergrundartikeln. Unter ihnen etwa die alte Kaiserstadt Hue während Wochen erobert; an Feuerüberfällen zu hindern. Ich konnte von der «New York Times», die amerikanische Botschaft in Saigon von überall dabei sein. Später sass ich in Briefings dessen Storys faktengetreu, aber auch voller un- Guerilla-Kommandos berannt. Eines der «ma- bei CIA-Spezialisten («keine Namen, bitte»), angenehmer Fragen daherkamen. Diese Fragen gic pictures»: Vor dem eingeäscherten Städt- begleitete Zivilberater zur politischen Arbeit in wollten nicht zu den Antworten passen, mit denen chen Ben Tre sagte ein Hauptmann mit Tränen den Dörfern, unterhielt mich mit vietname- uns krampfhaft optimistische PR-Offiziere in den Augen, er habe es zerstören müssen, sischen Lehrern, besuchte alte französische überschütteten. Vergeblich hatte Präsident um es zu retten. Es gibt eben Wahrheiten, die Missionare; bei ihnen lernte ich übrigens Kennedy versucht, den Verleger der «New York sich in Symbolen und Anekdoten mitteilen.

Zürcher Journalistenpreis 2018 11 Vietnamkrieg 1965 KEYSTONE / Horst Faas

Macht der Bilder und Lehrern war schockiert von der Aussicht, mit dem Segen des Obersten Gerichts die ver- Möglich, dass die Offensive im Hinblick auf Kanonenfutter zu werden in einem fernen, un- traulichen Pentagon Papers – Beleg dafür, ihr Medienecho am Anfang des US-Wahljahrs verständlichen Krieg. Je mehr GIs ab 1965 dass die Vietnamstrategen seit 20 Jahren im entfesselt worden war. Wahrscheinlich, dass eingezogen wurden (und ein Jahr später mit Nebel herumstocherten. Und der Kongress, der Vietcong dabei den Grossteil seiner südviet- Horrorstorys zurückkehrten), desto deutlicher der die Zügel jahrelang hatte schleifen lassen, namesischen Kader verlor, was sich allerdings die Trendwende. Am braven christlichen College strich dem Präsidenten, der sich ab 1972 erst sieben Jahre später bei der Eroberung Süd- von Macalester in Minnesota habe ich das überdies in den Watergate-Skandal verstrickte, vietnams durch Nordvietnam auswirken selber überdeutlich miterlebt. Lyndon Johnsons kurzerhand das Vietnambudget. sollte. Wichtiger war die Macht der Bilder, grosse Sozialreformen kamen knirschend zum Als nordvietnamesische Divisionen 1975 in weil sie jahrelange Siegverheissungen widerlegte. Stillstand. Die jungen Schwarzen reagierten mit Saigon einzogen, waren keine amerikanischen Und innenpolitisch sprach einer den Fluch: Bitterkeit; Rassenunruhen nahmen zu. Anti- Truppen mehr dort. Längst hatte die Glaubwür- , Onkel Walter, der ruhige, kriegsdemonstrationen noch nie gesehenen digkeit der amerikanischen Südostasienpolitik ungemein respektierte Chefkommentator von Ausmasses überfluteten Washingtons Parade- den Nullpunkt unterschritten. Zeitungskommen- CBS. «Jetzt bleibt nur eines», sagte er nach strassen – allerdings nur, bis Präsident Nixon tare und Fernsehbilder aus Vietnam trugen seiner Rückkehr in die Kamera, «über unsern Weg ab 1969 die US-Bestände in Vietnam gestaffelt zur Erosion bei; aber sie waren Medium, nicht aus Vietnam heraus verhandeln – aber nicht reduzierte. Ursache. als Sieger.» «Ich habe Walter verloren», stöhnte Präsident Johnson. . . . und mit ihm middle Vertrauliches publiziert America. Kurz darauf gab Johnson bekannt, er Verspätet schlug Seymour Hershs Zeitungs- ziehe sich aus der Politik zurück. recherche über das Massaker von Mylai ein wie Dennoch – an der Heimatfront wirkten die eine Bombe (Ende 1969). Einer nach dem Tet-Bilder nur als ein Faktor neben andern. andern wendeten sich die Kirchenführer ab. Die junge Generation samt ihren Angehörigen Ab 1971 publizierte die «New York Times»

12 Zürcher Journalistenpreis 2018 «Arena» als Bildschirm-Landsgemeinde

Erschienen am 6. Mai 1994 «Arena» losgegangen. Es hagelt herbe Pau- Hurra- und Pfuikulisse» bilde, fördere schalurteile und Ratschläge, wie man das alles geradezu «den Populismus, wie wir ihn Italien Plädoyer für eine wichtige Sendung des ganz anders, ja viel besser machen sollte. siegen sehen» (F. A. Meyer). Fernsehens DRS. Nicht attraktiver, nein, aber «würdiger», «nob- Aufschlussreich ist es, das Verhalten ler» (so der Zuger Ständerat Iten). Ein guter der Bundesräte angesichts dieser apokalypti- Von Peter Studer (?) Diskurs trachte nämlich danach, das «allge- schen Warnung zu vergleichen. Einige mein Zustimmungsfähige, insofern Vernünf- Minister – auch Otto Stich und Arnold Koller, Der Erfolg gibt den Machern recht: Nach tige» herauszuschälen, predigt das «St. Galler denen noch niemand Populismus nachgesagt längerem Pröbeln ist es dem Schweizer Fernse- Tagblatt». Nur in «tiefgehende Argumentati- hat – sind mit Erfolg in die «Arena» gestiegen. hen DRS gelungen, eine politische Diskussi- on» dieser Art sollten sich Bundesräte einlas- Sie haben dort so sperrige Themen wie Fi- onssendung zu programmieren, die beim Pub- sen, meint Daniel Eckmann, Informationschef nanz- oder Ausländerpolitik behandelt. Ande- likum ankommt. «Arena» hat sich zur Refe- im Militär-Departement. Er verbittet sich den re höchste Magistraten tun sich besonders renzsendung entwickelt, von der man in der «Showdown in Form eines Gladiatoren- vor Volksabstimmungen schwerer. So haben die «Classe politique», aber auch am Familientisch kampfes». Die Kritiker, mit denen einzelne Blauhelm-Befürworter Kaspar Villiger und spricht. Besonderen Zuspruch haben «Arena»- Parlamentarier der grossen Bundesrats- Flavio Cotti über die Presse mitteilen lassen, Ausgaben, in denen Bundesräte antreten. parteien sympathisieren, wollen uns also die dass sie die «Arena»-Form vor Volksabstim- Gegenüber der früheren «Freitagsrunde», in der «Arena» ausreden. mungen nicht akzeptieren. Der eine will vor sich ein älterer Moderator (ich war einer von Der Ringier-Publizist Frank A. Meyer, Urnengängen höchstens einem Journalisten- ihnen) mit vier älteren Honoratioren unterhielt, Eminenz hinter manchen Bundesräten, und Panel begegnen, mit Publikum dahinter, aber hat «Arena» zugelegt: an Tempo, Spannung, Daniel Eckmann empfehlen dringend ohne Parlamentarier. Der andere wünscht Wirkung und Marktanteil. andere Sendeformen. Diese erinnern, wen am Bildschirm eine Diskussion ohne Publikum, wundert’s, an das auf Meyer zugeschnit- hingegen wären Parlamentarier willkommen. Kesseltreiben gegen die «Arena» tene Zweier-Stündchen «Vis-à-vis» auf dem Beide berufen sich auf staatspolitische Grund- Dennoch – oder deshalb – ist in den letzten DRS-Kanal. «Arena» hingegen mit seinem sätze: etwa auf die gebotene Zurückhaltung Tagen ein eigentliches Kesseltreiben gegen Publikum, das eine «argumentationsfeindliche der obersten Behörde im Abstimmungskampf

Christoph Blocher und Peter Bodenmann im «Arena»-Duell, moderiert von Filippo Leutenegger (1998). KEYSTONE / Martin Ruetschi

Zürcher Journalistenpreis 2018 13 oder auf die Rollenverteilung zwischen Regie- Moment – bleiben massvoll. Die «Arena» gibt rung und Parlament. sich nicht als wilde «Brüllsendung» nach dem Muster deutscher Privatsender. Der Mode- Bundesräte müssen vermehrt Überzeu- rator zieht einen vom politischen Thema gungsarbeit leisten bestimmten roten Faden. Und er bemüht sich, Staatspolitisch lässt sich allerdings sehr wohl Argumentationsreihen zu bilden. Das gelingt zugunsten der «Arena» argumentieren. Die manchmal mehr, manchmal etwas weniger, weil Rolle der Regierung wird heute anders umschrie- Exponenten und Publikum eben mitgestalten. ben als früher – und damit auch das gebotene Darin liegt ein gewisses Risiko – aber auch eine Verhalten im politischen Kampf. grosse Chance. Früher hiess es, eine Behörde habe «neutral» Bundesräte ziehen anders als früher während zu regieren (verwalten). Parlament und Volk des Abstimmungskampfes landauf, landab, hingegen seien ihr übergeordnet, und allein sie um hier im «Rössli» und dort im «Sternen» dürften «politisieren». ein paar Getreue zu mobilisieren: gut so. Heute schreibt der angesehene St. Galler In der «Arena» können sie an ein Publikum von Staatsrechtler Alois Riklin, die «prozessorien- rund einer halben Million gelangen, an die tierte Gewaltenteilung» unserer Tage habe Unentschiedenen, von denen es vor jeder Ab- eine «durchgängige Führungsfunktion des Bun- stimmung mehr gibt: effizienter, möchte desrates» zur Folge. «Wirksame Führung man meinen. zumal in der direkten Demokratie» bestehe aber «mindestens zur Hälfte in Informations- und Überzeugungsarbeit». Diese Erkenntnis liegt auch der jetzt aktuellen Regierungsreform zugrunde. Damit sind steife Protokollregeln zu- gunsten des Parlaments wie auch strikte Neut- ralitätsgebote im Abstimmungskampf eigentlich überholt. Mehr und mehr ist die Regierung nämlich nicht mehr freiheitsbe- drohende Macht, sondern Garantin des Gemein- wohls. Sie hebt sich ab von finanzstarken Interessenverbänden und von medienmächtigen Populisten. Gewiss, das gilt nicht schrankenlos. Die intervenierenden Magistraten müssten sich dann auch Kritik gefallen lassen, auf jede Art von «Zensur» verzichten und durch ihr persönliches Verhalten die Qualität der öffent- lichen Debatte fördern, empfiehlt der Jurist Gion-Andri Decurtins. Damit ist eigentlich schon das Grundkonzept der offenen Sendung «Arena» umschrieben.

«Arena» ist keine Brüllsendung Es befremdet, wenn über der «Arena» das Ge- spenst des Populismus beschworen wird. «Hurra- und Pfeifkulisse» als Folie für einen «würdelosen Bundesratsauftritt»? Die schwei- zerische Demokratie wurzelt im genossenschaft- lichen Miteinander und nicht im revolutionä- ren Streit. Deshalb ist auch der Umgang mit un- seren Magistraten in der Regel pfleglich; die Körpersprache und Artikulation des Publi- kums – zugegeben auch ein dramaturgisches

14 Zürcher Journalistenpreis 2018 Peter Studer zur Veröffentlichung von Amtsgeheimnissen

Erschienen am 22. Juli 2016 Geheimnis von geringer Bedeutung ist», also zu prüfen gewesen (Bundesgerichtsurteil zum Beispiel das öffentliche Interesse allen- 6B_1267/2015). Das Zürcher Obergericht hat den damaligen «Ta- falls den Vorrang verdient. Kein Muster einer Der renommierte Medienanwalt Christoph ges-Anzeiger»-Journalisten Arthur Rutishauser klaren Rechtsnorm … Born, oft für die «NZZ» tätig, sah sich in freigesprochen . Manche waren von diesem Urteil Woraus bestand denn das von Arthur der Medienzeitschrift «Edito» (03/2016) zur mehr überzeugt als vom Bundesgericht, das den Rutishauser enthüllte formelle – das heisst: von Warnung veranlasst: «Wer aus einem gehei- Freispruch aufhob. der zuständigen Behörde verordnete – Ge- men Bericht zitiert, riskiert eine Bestrafung – heimnis? Der damalige «Tages-Anzeiger»-Jour- je mehr Wellen ein Artikel wirft, desto Von Peter Studer nalist hatte in zwei Ausgaben seines Blattes grösser ist das Risiko.» Passagen aus dem noch nicht veröffentlichten Born gibt zu, das vom Bundesgericht Es ging um ein Thema, das Medienschaffende Schlussbericht der Zürcher Parlamentari- umgestossene Obergerichtsurteil (damals noch) und Richter seit Jahren entzweit. Das Amts- schen Untersuchungskommission (PUK) über nicht gelesen zu haben. Schade. Obwohl geheimnis ist im Strafgesetz doppelt geschützt, skandalöse Zustände in der Beamtenver- ich seiner Warnung zustimme, hat mich der einerseits vor Geheimnisverletzung durch sicherungskasse zitiert, und zwar mit Quellen- gründlich argumentierte Freispruch des Beamte (Art. 320 StGB), andererseits vor der angabe. Dafür bestrafte ihn das Statthalter- Obergerichts mehr überzeugt als der eher etwas Publikation solcher Verletzungen durch amt mit einer Busse von 800 Franken. schematische Schuldspruch des Bundesge- «Unberechtigte», was meist Medienleute trifft: Nach dem Freispruch durch das Zürcher richts. Das Obergericht hatte sich nämlich Sie bringen «Geheimerklärtes an die Öffent- Obergericht wandte sich die Zürcher Ober- genau in den Zeitablauf der PUK-Berei- lichkeit» (Art. 293 StGB). Der Kommentator staatsanwaltschaft an das Bundesgericht und nigungen vertieft. Der Schlussbericht sei zu- Trechsel wertet streng: In der Praxis «ver- verlangte eine «angemessene Busse» für handen des Kantonsrats mit 11:0 Stimmen kommt dieser Strafartikel zur Sonderstrafnorm Rutishauser. Das oberste Tribunal berief sich genehmigt worden. Zum Zeitpunkt der Publi- für Journalisten», die bestraft werden, wäh- auf seine seit Jahren eingerastete Praxis, kation der beiden «Tagi»-Artikel habe rend der Geheimnisverletzer – etwa als Parlamen- es gelte ein formeller Geheimhaltungsbegriff, «die Meinungsbildung der PUK im Grunde tarier – immun bleibt oder vom Quellen- denn Geheimhaltung wolle den Prozess von genommen als abgeschlossen gelten dürfen». schutz der Medienschaffenden profitiert (Art. Meinungsbildung und Entscheidfindung in Eine mediale Einflussnahme auf die PUK- 28a StGB). Der Berufsjournalist darf nämlich, staatlichen Kommissionen schützen – un- Arbeit sei schon chronologisch ausge- abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht ge- behelligt von primeurlüsternen Journalisten. schlossen gewesen. Es sei nur noch von einem nötigt werden, seinen Informanten als Der Zürcher Kantonsrat habe im Übrigen «geringen konkreten staatlichen Geheim- Quelle bekannt zu geben. ein gewichtiges Interesse gehabt, den PUK- haltungsinteresse auszugehen», hatte das Ober- Statt den oft kritisierten Artikel zu streichen, Entwurf weiterhin geheimzuhalten, seien gericht gefolgert. Anderseits hätten die hat das Parlament dem Artikel einen Zusatz doch noch während der zweiten Zitierung Korruptionsvorwürfe rund um die kantonale angefügt, wonach das Gericht «von jeglicher durch den «Tages-Anzeiger»-Mann gewisse Beamtenversicherungskasse – dem grössten Strafe absehen kann, wenn das publizierte Einwendungen am Wortlaut des Schlussberichts Politskandal der jüngeren Zürcher Geschichte (ein beteiligter Anwalt) – «zu einer heftigen Erschütterung» geführt. Es kamen hochbezahlte Astrologieberatungen, Bestechungen und Kontrolldefizite zur Sprache. Zum Publika- tionsdatum hätten erst Absichtserklärungen vorgelegen. Übrigens habe auch der Presserat (Stellungnahme 1/2013) die beiden Artikel als medienethisch unbedenklich eingestuft. Die bloss noch geringe Verletzung des in Art. 293 geschützten Geheimhaltungsin- teresses wog also laut Obergericht weniger schwer als das gewichtige Informationsinteresse der beunruhigten Öffentlichkeit. Schon das Obergericht hätte, scheint mir, auch direkt die Beruhigungspille des Artikels 293 Abs. 3 verabreichen können: Das Gericht dürfe «von Strafe absehen», wenn das publizierte Geheimnis zu guter letzt nur noch «geringe Daniel Gloor verlässt das Zürcher Bezirksgericht (11. Juli 2012) KEYSTONE /Walter Bieri Bedeutung» in die Wagschale bringe.

Zürcher Journalistenpreis 2018 15 Wo bleibt die Freiheit der Kunst?

Erschienen am 6. Juni 2003 Porträts von Schärer und Bilski, die er als «ehrenrührig», nichts anderes als eine «persön- Einzige ungefragt malte, stellte Julen auf Erin- liche Abrechnung», donnert das Bundesge- Das Bundesgericht verbietet dem Zermatter nerungsfotos der glanzvollen Eröffnungsparty richt. Also keine Malerei mit schutzwürdigem Künstler Heinz Julen, seine ehemaligen Auftrag- ab. Von Bilskis Torso ist eine Brust zu sehen; Zweck! geber zu malen; bestehende Bilder muss er über die andere fällt eine breite Haarsträhne. Allein: Die schärfsten Vokabeln – «reich», herausgeben: Ein Urteil gegen die Kunstfreiheit, Ende November 2000 stellte Julen die 30 «Neid», «Missbrauch» – stehen nicht im schreibt Peter Studer. Porträts unter dem Titel «Der letzte Raum einer Flugblatt, sind Interpretationen der Richter. Vision ist eine Installation» in einer schwarz Im Flugblatt jammert Julen bloss, das Von Peter Studer ausgeschlagenen Einzelkoje der Zürcher Messe Konventionelle siege über das Unkonventionelle, für Gegenwartskunst aus. Die Bilder steckten das Geld über den Geist, die Normalität Wie weit reicht hierzulande die Kunstfreiheit, in schweren silberglänzenden Rahmen, Kerzen der SIA-Bauphysik über die Genialität seiner die seit 2000 in der Bundesverfassung verankert flackerten, und Flugblätter lagen auf. Als Hotel-Skulptur: ein gängiger kultur- ist? Nicht allzu weit, muss angesichts eines Julen die Installation dann auch in Zermatt kritischer Diskurs, wie er überall zu hören ist, neuen Bundesgerichtsurteils vermutet werden. zeigte, liessen Schärer und Bilski ihre beiden rund um das Zürcher Schauspielhaus bis Das Lausanner Tribunal verurteilte den Zer- Porträts mit Richterhilfe abhängen und beschlag- hinauf nach Zermatt. Was ist da «ehrenrührig»? matter Künstler Heinz Julen dazu, dem USM- nahmen. Im Dezember 2002 entschied das Auch das böse, Rachsucht suggerierende Möbelindustriellen Alexander Schärer und Walliser Kantonsgericht auf Persönlichkeitsver- Wort «Abrechnung» als angeblicher Zweck des seiner Freundin Maryana Bilski zwei Bilder aus letzung. Das Bundesgericht ist ihm gefolgt. Doppel-Porträts schrumpft zusammen. einer 30-teiligen Reihe herauszugeben. Julen Julen hat ja seine eigene Zweckdefinition ins hatte die beiden gemalt und ausgestellt, ohne sie Was ist da «ehrenrührig»? Flugblatt gesetzt: «. . . sich auf der Ebene um Erlaubnis zu fragen. Überdies darf Julen Wer den Grundrechtskatalog der neuen Bun- der Kunst mit der Beendigung dieser Vision künftig unter Strafandrohung keine Bilder «in desverfassung konsultiert, ermisst sogleich die auseinandersetzen zu wollen». Das ist der inkriminierten Art» mehr malen. Dimension dieses Rechtsstreits. Ein eines unter vielen legitimen Künstlermotiven, Hinter dem Urteil liegt eine Vorgeschichte, Grundrecht schützt die Privatsphäre; wie die seit Maler des jüngsten Gerichts ihre Wohl- über die in den Schweizer und internatio- amerikanischen Richter sagen, hat jeder täter gen Himmel fahren und ihre Widersacher nalen Medien viel zu lesen war. Mit der Bild- und jede das Recht, «allein gelassen zu werden», ins Fegefeuer stürzen liessen. Künstler pflegen reihe hatte Julen versucht, die für ihn ausser man sei eine «öffentliche Person». nicht den gesitteten Diskurs der Etablierten, traumatischen Geschehnisse zu bewältigen. Andere Grundrechte schützen die Medien, die sie stellen unbequeme Fragen. Sie sind Sand, Es ging um das Scheitern eines luxu- Wissenschaft, die Kunst – und damit eine nicht Öl im Getriebe der Gesellschaft (Günter riösen Hotelprojekts, mit dessen Ausführung Kommunikation, die sich andern zuwendet, sie Eich). Schärer seinen damaligen Busenfreund Julen mitunter auch belästigt. Bei Kollisionen betraut hatte. Julen bemühte sich, auf dem Fels- muss das Bundesgericht am Einzelfall abwägen, Partielles Malverbot sporn knapp über dem Dorf Zermatt ein welcher Anspruch vorgeht. Hier hat es sich, Mit den Mitteln der künstlerischen «Hotel-Gesamtkunstwerk» zu errichten, in dem ohne der Kunstfreiheit mehr als einen Seiten- Auseinandersetzung hat sich das Bundesgericht jedes Detail ebenso aufwendig wie auffällig blick zu gönnen, voll für den Persönlich- dann trotz seinem Hinweis auf dieses Kriteri- gestaltet war. Die einen nannten es genial, die keitsschutz des abgemalten Paars entschieden. um gerade nicht befasst. Zwar gilt Julen beilei- andern modernistisch-schwülstig. Aber Das Bundesgericht sah vorab die Privatsphäre be nicht als «Weltkünstler», und sein Stellen- wenige Wochen nach der glanzvollen Eröffnung des Paars Schärer/Bilski eindeutig verletzt: wert in der zünftigen Kunstkritik dieses Lan- zeichneten sich schwere Baumängel ab. Das Jede und jeder habe ein Recht am eigenen Bild. des ist eher niedrig. Aber darauf kommt Hotel ist seither geschlossen; die Partnerschaft Man müsse sich nicht gefallen lassen, gemalt es nicht an. Unzweifelhaft hat Julen mit dieser ging in die Brüche; heute laufen Schiedsver- und ausgestellt zu werden. Ein solcher Malakt 30-teiligen Installation einen künstlerischen fahren um Streitwerte in zweistelliger Millionen- sei an sich schon eine Persönlichkeitsver- Befreiungsakt aus einer schweren Krise setzen höhe. letzung, die der Maler nur mit einem überzeu- wollen und dafür eine mehrdeutige Form ge- Julen zog sich hierauf in eine Alphütte zurück genden Rechtfertigungsgrund ungeschehen sucht. Seine ehemaligen Freunde Schärer und porträtierte jene 30 Personen, die ihn machen könne. Kunstfreiheit als Rechtfertigung? und Bilski gehören in diesen biografischen beim Projekt begleitet hatten. Die nackten Dann müssten aber der Zweck des Kunst- Kontext. Hätte Julen, wie das Walliser Gericht Torsos sind typisiert, die Gesichter eher werks schutzwürdig, die Mittel angemessen ihm vorhielt, schonendere Stilmittel, be- individualisiert, einige gleichmütig, andere ein gewählt sein. kleidete Torsos, attraktivere Gesichtszüge wäh- Lächeln andeutend. Je ein Brustporträt Besonders missfallen hat dem Tribunal das len sollen? Solch eine Philister-Empfehlung zeigt Alexander Schärer und, als einzige Frau, Flugblatt, das der Installation beilag: Die verkennt den Charakter jeglicher Kunst-Instal- Maryana Bilski. Die beiden lächeln etwas «reiche Familie Schärer» hindere den Visionär lation. Kommt dazu, dass die Belästigung betonter. Als Vorlage hatten eigens geschossene Julen an der Vollendung seines Gesamt- des Paars, das immerhin im Zusammenhang oder auch gelieferte Polaroid-Bilder der kunstwerks – allein «aus Neid und unter Miss- mit Hotelbau und Hotelstreit oft an die Öf- ehemaligen Kollegen am Bau gedient. Bei den brauch» der eigenen Finanzmacht. Das sei fentlichkeit getreten ist, in sehr engen Gren-

16 Zürcher Journalistenpreis 2018 zen bleibt. Ein Blick auf die Abbildung zeigt es. So gesehen ist doch sehr fraglich, ob Frau Bilski eine Genugtuungszahlung von 3000 Franken wegen «schweren Eingriffs in die Persönlichkeit» angesichts des typisierten (teil-)entblössten Oberkörpers gebührt. Wenn die Kunstfreiheit, die ja immer auch Künstlerfreiheit ist, wirklich etwas gelten soll, stimmen die beiden Hauptfolgen des Bundesgerichtsurteils erst recht nachdenklich. Ist es gerechtfertigt, Julen 2 von 30 Teilen seiner umfassenden Installation wegzunehmen und ihn eines Aspekts seiner Werkbiogra- fie zu berauben? Nimmt man denn einem gemässigten Schnellfahrer sein Fahrzeug weg und stampft es ein? Ist es angemessen, Ju- len zu verbieten, «weitere Porträts und Bilder» des Paars Schärer/Bilski «in der inkriminierten Art anzufertigen»? Verträgt sich ein solches partielles Malverbot mit der Technik der Güter- Der Schweizer Architekt und Designer Heinz Julen KEYSTONE / Roman Weyeneth abwägung, die stets auf den Einzelfall ab- stellen muss? Man darf zweifeln. Der Verfassungskommentator Denis Barrelet hat den Gerichten empfohlen, bei Kollisionen der Kunstfreiheit mit andern Rechtsgütern den Kunstaspekt ernst zu nehmen. Er sei so zu gewichten, «dass schöpferische Impulse nicht erstickt werden, denn Kunst muss immer neue Wege erkunden, und sie hat ein gewisses Recht zur Provokation». Von solcher Gelassenheit lässt das Bundesgericht Julen nichts spüren. Künstler pflegen nicht den gesitteten Diskurs der Etablierten. Sie sind Sand, nicht Öl im Getriebe der Gesellschaft.

Zürcher Journalistenpreis 2018 17

Der

Zürcher Journalistenpreis 2018

wird

Barbara Klingbacher

für Ihren Artikel

Der letzte Gang

erschienen im NZZ Folio vom 3. April 2017 verliehen.

Zürich, 15. Mai 2018

18 Zürcher Journalistenpreis 2018 Preisträger Laudatio

Laudatio für Barbara Klingbacher Recherche zugrunde, hier wurde erlebt und von Lisa Feldmann erfahren, nachgelesen und dann wieder weiter recherchiert. Und genau deshalb lässt uns ihre Geschichte nicht einen Moment lang los, im- merzu fragt man sich – und ich? Mache ich einen ethischen Unterschied zwischen dem Leben meines Zwergdackels und einem Kälbchen im Mast-Stall? Würde ich ein Huhn schlachten können? Sollte ich nicht auch noch einmal über mein Fleisch-Essen nachdenken? Sollte ich mich vielleicht sogar engagieren? Ja, so weit kann es gehen, mit einem Text, der so engagiert daherkommt wie der von Barbara Klingbacher. Wir hatten im diesjährigen Wettbewerb Barbara Klingbacher um den Journalisten-Preis gleich mehrere Bei- träge zum Thema artgerechte Haltung und Wenn ich mein Journalistenleben lang nur Der Text von Barbara Klingbacher gehört zu nachhaltige Tierzucht und Vegetarismus. Es eine Form von Texten schreiben dürfte, dann jenen, die einem bleiben. liegt offenbar im Bewusstseins-Trend, nicht würde ich die Reportage wählen. Ich habe Und das ist gut so. zum ersten Mal, aber spürbar aktualisiert von in den letzten zwanzig Jahren Porträts verfasst, Dabei kommt ihre Reportage über das einer neuen Generation Schreiber. Auch das Interviews, O-Töne, Kolumnen, Rezensionen, Schlachten von Nutztieren bewusst ist gut so. eine Zeitlang erfand ich sogar Quiz’ und Psycho- behutsam daher, wird man als Leser nicht von Diese neue, kritische Auseinandersetzung tests – das meiste davon gern. Doch nie fühle aktivistischem Blutvergiessen überfordert. mit unserer Ernährung, unserer Umwelt, ich mich wacher als in den Momenten, in denen Nur detailliert erklärt wird einem, was da ge- unserem sozialen Miteinander erinnert nicht ich mich einfüge in ein Umfeld und hoffe, dass nau passiert, wenn eine Gans oder ein Woll- von Ungefähr an den neuen Umgang mit sich eine Geschichte entwickelt. Vielleicht gründet schwein bewusstlos gemacht werden und dann Themen des Feminismus oder auch – aus ak- diese Vorliebe für Handlung an Schauplätzen getötet werden. Damit wir Menschen es an- tuellem, traurigen Anlass – jenem der natio- darin, dass ich einst in Bern und Zürich Theater- schliessend essen können. nalen und internationalen Waffengesetze. und Filmwissenschaften studierte, vielleicht Die Autorin, angetreten, das Töten für Auch hier treten Autorinnen und Autoren an, ist es auch umgekehrt. Jedenfalls drängte ich mich einmal selbst zu erledigen, sich ihren die den Kampf da aufnehmen, wo ihre Vor- schon im Lokaljournalismus vor, wenn es Repor- Braten sozusagen zu «verdienen», gibt auf, als gängerinnen und Vorgänger entnervt aufgege- tagen zu schreiben gab – oder besser «Features», sie an die Reihe kommt. Sie kann der ben haben. Oder auch nur einen Status die damals gerade in Mode waren (den Unter- Gans «nicht rasch und entschlossen den Hals- Quo akzeptierten. schied habe ich nie ganz verstanden). Später stich setzen», wie das der Züchter vorgibt, Barbara Klingbacher gehört zu jenen übernahm ich bei der «Annabelle» die Reise- beschränkt sich auf die Assistenz – und kann Journalistinnen und Journalisten, die nie aufge- reportagen und dann die Leitung des Ressorts schon das kaum ertragen: ein kräftiges Flü- hört haben zu kämpfen. Der es schon immer Reportagen. Seit 2010 schreibe ich fürs «NZZ gelschlagen im Todeskampf der Nerven, drei darum ging, selbst in den Ring zu steigen, die Folio», zuerst als freie Journalistin und Vertretung, endlose Minuten lang. Dinge beim Namen zu nennen, die wesentli- seit 2013 als Redaktorin. Während dieser Zeit Barbara Klingbacher verzichtet chen übrigens genauso wie die nicht so existen- versuchte ich zu verstehen, weshalb die Notfall- auf jede moralische Wertung. Sie nimmt ihren ziellen Themen des Lebens. Diese altmo- psychiater in der Klinik Königsfelden nicht «Nutztier-Schlachtkurs» als Selbstversuch, dische Gewissenhaftigkeit spürt man als Leser, durchdrehen, warum die Hausfrau in Schweden ihr Scheitern in letzter Sekunde weder als Ver- man fühlt sich ernst genommen, «abgeholt», ausgestorben ist, was britische Bräute in Diät- sagen noch als Beweis einer höher ent- wie man heute so schön sagt. camps treibt, welche Gegner der heutige Robin wickelten Sensibilität. Sie erlaubt vielmehr So bleibt auch die Stimme, die Sprache einer Hood im Sherwood Forest bekämpft und wie sich und damit uns, den Widerspruch so gestandenen Kollegin wie Barbara Kling- man das Töten von Tieren lernt. Längst nicht jeder zu spüren, den wir alltäglich an Fleischthe- bacher jung im besten Sinn. Und ihr Text damit dieser Versuche war preisverdächtig, leider; ken verdrängen, im Restaurant ausblenden. einer, der in unserer medialen Gegenwart aber jeder war ein Privileg. Wenn wir uns über Tiertransporte empören, und Zukunft Gültigkeit und Wert behält. aber genauso über die ständig steigenden Preise am Bratwurst-Stand. Man darf die Reportage «Der letzte Gang» von Barbara Klingbacher mit Recht «old school» nennen. Hier liegt unmittelbare

Zürcher Journalistenpreis 2018 19 Der letzte Gang

Erschienen im April 2017 ass einfach an diesem Tag keins, und auch Tiere hier. Nicht nur das Geflügel, auch die nicht am nächsten, und dann neun Jahre lang Schweine werden den Hof nicht lebend Darf nur Fleisch essen, wer das Tier zuvor nicht. verlassen. Christoph Wiesner begründet das eigenhändig getötet hat? Ein Selbstversuch mit Während jener Zeit hörte ich auch erst- nicht mit dem Tierwohl. Der 45-jährige Gans und Schwein. mals den Satz: «Wer Fleisch isst, muss selber Landwirt mag nicht als Romantiker gelten und töten können.» Das sagte meine Mitbewoh- als radikal nur, wenn es um Fleischqualität Von Barbara Klingbacher nerin, die ebenfalls Vegetarierin war, und ich geht. Tiere sollten in den letzten Tagen wenig hätte unterschrieben, ohne nachzudenken. Neues erleben, sagt er, kein Verladen, keine Den Backenknochen am Hals der Gans Bis ich wieder Fleisch essen wollte. Seither habe Transporte und vor allem: keine Angst. Neues erfühlen. Die Kehlhaut vorsichtig nach unten ich versucht, beim Einkaufen auf gute bedeutet Stress, und Stress bedeutet schlechte- ziehen. Das Messer seitlich ansetzen. Mit Tierhaltung zu achten – und das Sterben zu res Fleisch. Das Plätzli, das nach dem Braten der Klinge rasch und entschlossen den Hals- verdrängen. geschrumpft und zäh auf unserem Teller stich setzen, um Schlagader und Gurgel zu Noch ist die Reihe nicht an mir. Noch sind liegt – das stammt wohl von einem Schwein, durchtrennen. Mit der anderen Hand, die den andere da, denen ich den Vortritt lassen dessen Muskeln in panischer Fluchtbereit- Kopf hält und die Augen verdeckt, sofort kann: ein Polizist, ein Angestellter der Stadt schaft übersäuert haben. das Genick brechen. Nicht zweifeln, nicht zö- Wien und eine Redaktorin, vier Mitarbeiter Die «Arche de Wiskentale» ist der Hof, gern – das ist das Wichtigste. «Du musst des Flughafens, ein Student und ein Kellner. den wir Städter uns gern vorstellen, wenn wir dir sicher sein, dass du es tust», hatte Christoph 35 Euro haben sie bezahlt, um zu lernen, an die Herkunft von Plätzli und Pouletflü- Wiesner gesagt, als er das Schlachten vor- wie man eine Gans schlachtet. Ihre eigene Gans, geli denken. Hinter der Scheune wühlen wollige zeigte. Worauf man nicht vorbereitet ist, sind die sie noch lebend auf dem Hof kaufen – bei Mangalitza-Schweine im Wald, vor der die Wimpern. Das Tier zwinkert zart gegen Hausschlachtungen darf man nur Tiere töten, Scheune tollen Ferkel, und am Bach, der durch die Innenfläche der Hand. die einem selbst gehören, so will es das das Grundstück fliesst, schnattern altdeut- Gesetz. sche Landgänse und Aylesburry-Enten. Die Wie kann man sicher sein, dass man es tut, Wiesners halten selten gewordene Rassen, wenn man es zum ersten Mal tut? Ich habe nie Es ist ein kühler Wintertag, an dem elf Gänse, lauter Tiere, die zu langsam wachsen, zu viel getötet, jedenfalls kein Säugetier und auch ein Truthahn und eine Ente sterben werden. Platz brauchen, nicht schwer genug werden keinen Fisch. Und doch sind 1,5 Kälber, 2 Rin- Ihr Leben endet, wo es begonnen hat, auf die- oder das Gewicht an der falschen Stelle anset- der, 14 Schweine und 538 Hühner bisher für sem Bauernhof im österreichischen Wischa zen – für die Fleischindustrie sind sie nicht mich gestorben, statistisch gesehen jedenfalls. thal. Das klingt banal und ist doch die Ausnah- lukrativ genug. Nur die Hühner, die scheu beim Vielleicht waren es in Wirklichkeit einige me; fast jedes Nutztier wird am Schluss zu ei- Ferkelgehege scharren, stammen aus der weniger, weil ich eine Zeitlang Vegetarierin war. nem Schlachthof gekarrt. 26 Millionen Schlacht- landwirtschaftlichen Gegenwart: Es sind Lege- Das begann nicht mit einem Entscheid, tiere sind täglich in der EU unterwegs, teils Hybrid-Hühner. Nach nur einer Legeperio- sondern einem Versehen. Es passierte mir mit über Tausende Kilometer und bis dreissig Stun- de – bis zu 330 Eier in 365 Tagen – werden sie siebzehn. Ich schlenderte in der irischen den am Stück. Die Wiesners aber töten alle normalerweise geschreddert oder zu Biogas Stadt Cork den Ständen des English Market entlang und stand plötzlich inmitten von Kadavern. Halbe Schweine baumelten an Haken, Schafsköpfe starrten aus leeren Augen, und auf der Theke reihte sich Hase an Hase, gehäu- tet bis auf die pelzigen Pfoten. Es roch nach Blut, mir wurde schwindlig; draussen sass ich auf einer Parkbank, bis die Übelkeit verging.

In meiner Kindheit hatte es Tiere gegeben, und es gab Fleisch: Zwergkaninchen und Cor- dons bleus, Meerschweinchen und Koteletts, flauschige Wesen und das rosafarbene Etwas unter Klarsichtfolie, in das ich beim Ein- kaufen gern den Zeigfinger drückte; das hatte nichts miteinander zu tun. Auf dem Markt aber begriff ich zum ersten Mal körperlich: Es sind lauter tote Tiere. Damals habe ich nicht beschlossen, kein Fleisch mehr zu essen. Ich Die noch freien Gänse Roberto Ceccarelli

20 Zürcher Journalistenpreis 2018 verarbeitet; weil sie so platzsparend mager ge- nichts wissen will. Als bekannt wurde, kraft. Er erfand den Fleischextraktwürfel, in züchtet worden sind, ist ihr Fleisch beim dass dort ein Kurs in «Kleintierschlachtung» dem das Rind unverderblich, handlich und Konsumenten nicht gefragt. Isabell Wiesner angeboten werde, war die Empörung gross. kostengünstig gespeichert war. Fleisch bekam hat die Ausschuss-Hennen eben erst ge- Die Kursleiterin, die Züchtern und Bäuerinnen den Status eines «Supernahrungsmittels», das kauft. Nicht aus Mitleid, sagt sie, zu viel Mit- beibringen wollte, Hühner und Kaninchen Fabrikarbeiter in Superarbeiter verwandeln leid könne sich ein Hof wie ihrer nicht so schonend wie möglich zu schlachten, bekam sollte. leisten. Es war ein guter Preis für eine gute Sache, Hassbriefe aus halb Europa. Gegen 10 000 Nach und nach entfernte sich das ein Euro pro Huhn: «Die liefern uns Eier, Menschen unterschrieben Onlinepetitionen, Fleisch vom Tier. Das lässt sich an der Werbung solange es geht, und enden dann in einer Suppe.» darunter solche, die sich als Vegetarier zu ablesen, den berühmten Plakaten des erkennen gaben. Viel zahlreicher aber waren Fleischverarbeiters Bell etwa: Man zeigte Schinken, Eine Gans schlachtet man am besten im die Hunde- und Katzenfreunde, die ihren Wurstkörbe, Hausfrauen, die mit Corned- Team. Als Erste wagen sich zwei Flughafenan- Liebling wohl kaum mit Grünkohl und Qui- Beef-Büchsen jonglierten – aber nur einmal gestellte vor. Die beiden haben sich für noa ernähren. Es ist, als fände das Töten einen Ochsen. Und nachdem die Migros den Schlachtkurs angemeldet, weil sie finden, nicht statt, solange man nur nicht daran denkt. in den 1950er-Jahren den ersten Selbstbedie- als Fleischesser müssten sie sich dem Töten Eine Kollegin, der ich von dem Schlachtkurs nungsladen mit Fleischabteilung eröffnet stellen. René, ein Informatiker, hält die Füsse erzählte – und meiner Angst davor –, sagte, sie hatte, liessen sich die Hausfrauen nicht mehr und die Flügel fest, Rainer, ein Gepäckar- hätte Panik, nach etwas so Perversem kein beim Metzger Stücke von einem grossen beiter, greift nach dem Kopf und nach dem Fleisch mehr herunterzukriegen. Der Bekannte, Ganzen absäbeln, sondern griffen zu hübsch Messer. Die beiden fixieren die Gans über der für billige Schnitzel nach Deutschland abgepackten Portionen. Der Tod war nun einem Eimer, Christoph Wiesner kauert dane- fährt, findet es «extrem unmoralisch», ein Tier hinter Schlachthofmauern verschwunden und ben. Auch er hat ein Messer zur Hand, um eigenhändig zu töten. Vielleicht wäre es an unter Cellophan. einzugreifen, falls Rainer im falschen Moment der Zeit, im Detailhandel ein neues Label ein- zu zögern beginnt. Aber Rainer zögert nicht. zuführen: «Garantiert schlachtfrei» – für Vor mir ist noch Veronika dran. Der Kurs ist Backenknochen erfühlen. Kehlhaut nach unten Fleisch von Nutztieren, die sich uns zuliebe ein Geschenk ihres Mannes, vor einiger Zeit ziehen. Klinge ansetzen – mit sicherem selber umgebracht haben. hat die Journalistin hier schon ein Schwein ge- Schnitt durchtrennt er seiner Gans die Kehle, schlachtet. Sie ist die einzige Frau, die nach mit sicherem Griff bricht er ihr das Genick. Der Aufstieg des Fleisches und die Verdrängung dem Messer greift. Backenknochen erfühlen. Jetzt strömt das Blut in den Eimer, und die Gans des Tötens begannen zur gleichen Zeit. Im Kehlhaut nach unten ziehen. Messer an- ist still. Tot ist sie noch nicht. Ihr Herz Zug der Industrialisierung verschwanden die setzen, dann sticht Veronika zu – und zögert. muss schlagen, um das Blut aus dem Körper zu Tiere aus der Stadt. Metzgerlokale wurden Die Gans flattert und stösst einen Klagelaut pumpen. Ein Tier stirbt beim Schlachten im 19. Jahrhundert aus den überfüllten Zent- aus; es dauert keine Sekunde, bis Christoph immer durch den Blutverlust. Der Genickbruch ren verbannt; man verdächtigte sie, an Wiesner eingreift und ihr das Genick bricht. oder auch ein Bolzenschuss, ein Stromstoss Cholera- und Typhusepidemien schuld zu sein. Veronika zittert. Die Wimpern, sagt sie, mit oder Gas – das ist nur die Betäubung, damit Stattdessen wurden nun grosse Schlachthöfe dem Zwinkern in der Handfläche habe sie es nichts vom Sterben merkt. an der Peripherie gebaut; die Metzger mussten nicht gerechnet. Sekunden später öffnet die Gans den sich einmieten, schlachteten aber selbst. In Plötzlich bin ich sicher, dass ich mir Schnabel und versucht, mit den Flügeln zu den USA erfand man 1865 das industrielle Tö- nicht sicher genug bin. Obwohl ich wohl weiter schlagen. Doch das, hatte Christoph gesagt, ten, die Stockyards, in denen die Tiere am Fleisch esse, obwohl es für diese Geschichte seien nur Nerven, die zuckten. Nach drei Mi- Fliessband geschlachtet und zerlegt wurden. besser wäre: Ich will nicht versuchen zu töten. nuten ist die Gans leer und tot. Rainer wird Sie machten aus dem Provinzstädtchen Denn den Preis für die Tapferkeit zahle sie rupfen und in einen Kessel mit heissem Wachs Chicago eine Metropole, führten zum Sieges- nicht ich, sondern das Tier. Walter, der Polizist, tauchen – die Daunen lassen sich dann zug der Kühlsysteme und inspirierten übernimmt, ich halte nur Füsse und Flügel abreissen wie Härchen auf einem Frauenbein. Henry Ford zur Fliessbandfabrikation. der Gans. In den Fingern kann ich das Pochen Währenddessen stirbt bereits die nächste Gleichzeitig brauchte man im 19. Jahrhun- ihres Herzens spüren und die Kraft, die in Gans. Thomas, der Student, und Bernhard, dert immer mehr Tiere, um die Arbeiter zu den Muskeln steckt. Ein sicherer Stich, ein sicherer der Kellner, treten vor; zwei junge Wiener, ernähren. Zwar galt Fleisch seit je als hochwertige Griff, Walter zögert nicht. Ein paar Sekun- die wissen wollen, wie ein Tier gelebt hat, bevor Speise, die meisten aber bekamen es selten den später versucht das blutende Tier so kräftig es zu Fleisch wird. Die Stimmung auf dem auf den Tisch. Das änderte sich, als der Fleisch- mit den Flügeln zu schlagen, als gäbe es Hof ist still und konzentriert, als würde das konsum der unteren Schichten den oberen noch Hoffnung auf Flucht. Schlachten passiert Schlachten andächtig machen. Bernhard einen Vorteil versprach: im Krieg und in der nicht nur im Kopf, es ist eine brachiale Tat. zögert nicht. Fabrik. Der Chemiker Justus von Liebig Ich halte die Gans, so gut ich kann, während Es ist nicht leicht, das Töten zu lernen. In teilte in den 1840er-Jahren Nährstoffe in Kohlen- das Leben aus ihr weicht; die drei Minuten, der Schweiz hat das Kurszentrum Ballenberg hydrate, Fette und Eiweiss auf; im tierischen bis sie still ist, sind furchtbar lang. 2013 merken müssen, dass man vom Sterben Eiweiss vermutete er die Quelle der Muskel- Ich denke daran, dass die Gans ihre Tage

Zürcher Journalistenpreis 2018 21 Der Schlachtkurs Roberto Ceccarelli am Bach verbracht hat, dass sie ein Leben Um zu verstehen, muss man die Wiesners Schweine würde ein Teilnehmer den Halsstich hatte, wie man es jedem Nutztier wünscht. mit anderen Schweinezüchtern vergleichen. setzen, aber Christoph hat anhand der Gans Ich denke an die Worte von Rainer, dem Gepäck- Ihre Wollschweine sind das ganze Jahr draus- gesehen, dass ich dazu nicht tauge. Er setzt den arbeiter, der als Erster an der Reihe war. sen, Schweine aus konventioneller Mast Stich, das Tier blutet aus, und ich denke, Niemals würde er das kleinste Stück eines Tieres sehen beim Transport zum Schlachthof erst- dass man diese Art des Schlachtens nicht ver- wegwerfen, das er selber geschlachtet, ge- mals Tageslicht. Hier leben rund hundert drängen müsse: Ein stiller, schneller Tod rupft und ausgenommen hat, sagte er. «Es ist, Tiere auf drei Hektaren Weide, anderswo steht beendet hier ein schönes Schweineleben. als gäbe einem das Töten die Ehrfurcht vor einem Schwein die Fläche eines Bügelbretts dem Tod zurück.» zu. Hier sind die Schweine zwei Jahre alt, wenn In der einen Stunde, in der die Wiesners Trotzdem würde ich gern ein bisschen sie geschlachtet werden, erwachsen also, an- ihr Wollschwein auf der Wiese geschlachtet weinen. derswo mästet man sie innert sechs Monaten haben, sind im dänischen Ort Horsens zu überdimensionierten Teenagern hoch. 1480 Hybrid-Schweine gestorben. Hier, mitten Ein grosser Teil der Menschen, die diese Gerade hat Isabell Wiesner altes Brot auf die in Dänemark, steht einer der grössten Schlachtkurse besuchen, sind aus dem verschneite Weide geworfen, jetzt geht Schlachthöfe Europas und einer, wie ihn Paul gleichen Grund dabei wie ich. «Sie glauben, Christoph schweigend mit einem Gatter durch McCartney einst gefordert hat: «If slaughter- sie müssten töten können, um Fleisch zu die zufrieden grunzende Herde. Noch hat houses had glass walls, everyone would be ve- essen», sagt Christoph Wiesner, als er mich er nicht entschieden, für welches Tier dieser getarian», sagte der Ex-Beatle und Veganer zum Schweineschlachten auf die Weide Tag der letzte sein wird. Schliesslich stülpt in einer Dokumentation: Wenn Schlachthöfe mitnimmt. Aber wenn jemand den Kurs nur er das Gatter über ein schwarzblondes. Dann gläserne Mauern hätten, wäre jeder ein als Rechtfertigung nehme, um weiter billiges greift er das Tier sanft am Kopf, und setzt Vegetarier. «Wir haben Sir Paul zu uns nach Fleisch im Supermarkt zu kaufen, «dann hat er das Bolzenschussgerät an. Das Schwein sackt Horsens eingeladen», sagt Agnete Poulsen. nicht das Geringste verstanden». zusammen. Bei den Schlachtkursen für Leider habe er sich nicht gemeldet. Auch die

22 Zürcher Journalistenpreis 2018 Tierschützer, die regelmässig in der Zentrale Stunden zerlegt. «Nose to tail» ist in der Fleisch- einem Paternoster-Betäubungslift in einem von Danish Crown anrufen, lehnen ihre Ein- industrie längst Standard, nur eben globa- anderen Schlachthof, dem einzigen Bereich, ladung stets ab. Und die junge Frau, die sich lisiert: Kopf und Füsse gehen nach China, der auch in Horsens nicht transparent ist. vor dem Eingangstor mit einem Eimer roter Spareribs in die USA, das Schulterblatt Darauf sind keine Schweine zu sehen, die lang- Farbe – oder war es echtes Blut? – über- nach Korea, das Filet nach Japan oder Deutsch- sam einschlafen. gossen hat: «Haben wir hereingebeten, damit land, der Speck nach England, die Hinter- Sondern solche, die im Kohlendioxid zu sie sich ein Bild machen kann. Und es war schinken nach Spanien und Italien. 10 Kronen ersticken glauben; sie quieken und zappeln ja auch so kalt draussen. Aber sie wollte auf bekommt ein Schweinebauer pro Kilo und versuchen panisch zu entkommen. Viel- keinen Fall.» Schlachtgewicht; ein Tier bringt ihm also leicht zeigt der Film eine Ausnahmesituati- Agnete Poulsen leitet den Besucherdienst rund 130 Franken ein. on. Doch selbst der Chef von Micarna, dem des Schlachthofs. Jedes Jahr kommen 20 000 Fleischverarbeiter der Migros, sprach 2011 Menschen, um sich das Töten anzuschauen; Ein gläserner Schlachthof muss zwingend in einem Referat von einem «kritischen Fenster» und eine davon bin ich. Staunend blicke ein Vorzeigebetrieb sein. Die Skandale, die aus von 10 bis 15 Sekunden bei dieser Form der ich mit einer Gruppe angehender Lebensmittel- anderen nach draussen dringen, von brutalen Betäubung: Entsprechende Bilder, sagte er, technologen durch eine Glaswand. Unten Arbeitern, Tieren, die bei Bewusstsein sind, wenn seien der Öffentlichkeit «nur schwer bis sind 3000 Schweine in Hunderte Abteile ein- sie aufgehängt werden, und Schweinen, die unmöglich zu kommunizieren». sortiert. Sie sollen nach dem Transport zur man lebendig verbrüht – wenn jeden Tag Hun- Als ich diese Bilder sah, habe ich nicht Ruhe kommen – auch hier weiss man, dass ein derte von Menschen hinter Glas zuschauen, beschlossen, kein Fleisch mehr zu essen. Ich paar ruhige Stunden vor der Schlachtung gut kann sich niemand solche Fehler leisten. ass einfach an diesem Tag keins und dann sind für die Fleischqualität. Poulsen sagt, was Es waren die Besitzer von Danish Crown, auch nicht am nächsten. sie an dieser Station immer sagt: «Und, was damals 18 000 Schweinebauern, die den hört ihr?» Es ist eine rhetorische Frage, denn Schlachthof gläsern wünschten. Wenn sie 300 man hört nichts, vor allem nichts von dem, Millionen Euro verbauten, wollten sie das was man befürchtet hatte. Kein ängstliches Ergebnis zeigen. Seither waren Studenten da Grunzen, kein Quietschen in Todesangst, und Farmer, Restaurateure und Rotary kein panisches Trampeln bei vergeblichen Clubs, Spitalangestellte und Schulklassen, die Fluchtversuchen. einen Viertel der Besucher ausmachen. Der Schlachthof ist so gebaut, dass die Natürlich sind auch Chefs von anderen Schlacht- Tiere mitwirken, sobald sie aus den Lastwagen höfen gekommen, die die Vorstellung von ausgeladen sind: Weil Schweine nicht gern Transparenz gefährlich finden. «Was, wenn die allein sind, lässt man sie in der Gruppe; weil Leute dadurch Vegetarier werden?», habe einer sie lieber auf- als abwärtsgehen, steigen die einmal gefragt, sagt Poulsen, die ihren Job mit Gänge um sanfte zwei Prozent; weil sie Dun- Leidenschaft ausübt. «Menschen werden kelheit nicht mögen, leuchtet an den Enden nicht Vegetarier, weil sie sehen, wie Tiere ge- Licht. In diesem Bereich arbeiten kaum Men- schlachtet werden», hat sie geantwortet. schen, automatische Klappen und Schleusen «Sondern weil sie es sich vorstellen.» schicken die Tiere weiter voran. Sie gehen arglos Vielleicht hat Agnete Poulsen recht: Ein und neugierig in den Tod. Besuch im Schlachthof ist nicht in der Art Fast alles kann man auf dem 300 Meter schrecklich, wie man es sich vorstellt. Es ist langen Korridor mit Glasfenstern sehen, nur schrecklich wie ein Horrorfilm, bei dem die «Betäubung» nicht. Zu acht besteigen man das Grauen nie sieht. Das Grauen liegt die Schweine einen nicht durchsichtigen Lift, im Ausmass der industriellen Tierprodukti- zu acht kippen sie drei Minuten später auf on, in 1480 Schweinen pro Stunde, 109 000 ein Förderband. Dazwischen liegt ein sogenanntes pro Woche, 5,7 Millionen im Jahr, allein in Paternoster-System, das die Tiere über drei Horsens. Es liegt in den arglosen Gesichtern Stufen in eine Grube mit Kohlendioxidgemisch von Tieren, die für uns ein Produkt sind von senkt: «Dort schlafen sie dann langsam ein», dem Moment an, in dem sie geboren werden. sagt Poulsen. An diesem Schlachthof ist nichts falsch – oder Die Schweine sehen aus, als ob sie träumen alles. würden. Ein Arbeiter hängt Tier um Tier am Hinterlauf an der Rohrbahn auf, ein zweiter Eine Woche nach dem Besuch in Horsens sticht ein Hohlstechmesser mit Schlauch in habe ich mir im Internet einen Film angesehen, die Halsschlagader, 1480 Mal pro Stunde. Nach den die Tierrechtsorganisation Peta auf ihre drei Minuten ist das Tier tot, innert dreier Website gestellt hat: Es sind Aufnahmen aus Die tote Gans Roberto Ceccarelli

Zürcher Journalistenpreis 2018 23

Der

Zürcher Journalistenpreis 2018

wird

Christian Keller

für seinen Artikel

Neue Spur zu Schweizerhalle-Brand

erschienen in der Basler Zeitung vom 4. März 2017 verliehen.

Zürich, 15. Mai 2018

24 Zürcher Journalistenpreis 2018 Preisträger Laudatio

Laudatio für Christian Keller von Stefan von Bergen

Christian Keller

Als Schreiberling war ich von Kindesbeinen an aktiv. Ich bin Nichtbasler und kann mich deshalb Es wäre nicht das erste Mal, dass ein komplexes Motiviert von den Eltern (Vater und Mutter nicht an den grauenhaften Gestank vom Mor- Ereignis eine banale, unerwartete, fast lächer- leiten eine Arztpraxis), verschickte ich regelmässig gen des 1. Novembers 1986 erinnern, dafür liche Ursache hat. Dass man also am falschen die «Keller-Family-Zeitung» an die Verwandt- aber an die Fotos der toten Fische im Rhein. Ort gesucht hat. «Die neuen Informationen schaft – mit für die Erziehungsberechtigten teilweise Sie waren im vergifteten Löschwasser vom stellen alle bisherigen Vermutungen auf den etwas peinlichen Enthüllungs-Berichten… Brand in Schweizerhalle verendet. Der schlimms- Kopf», sagt der damalige Leiter des Feuer- Im Gymnasium folgte dann nach dem klassischen te Chemieunfall in der Schweiz ist lange her, wehreinsatzes von Schweizerhalle in Christian Mitstreiten bei der Schülerzeitung der Einstieg Jüngere haben noch nie davon gehört. Kellers Text. Um eine Geschichte zu verste- als Freier bei der «Basellandschaftlichen Zeitung» Aber jetzt kommt da ein jüngerer Kollege und hen, meine Damen und Herren, muss man sie (inklusive späterem Praktikum). 2004 begann gräbt wieder aus, was vor über 30 Jahren ge- manchmal auf den Kopf stellen. ich neben dem Politikwissenschafts- und Geschichts- schehen ist. Er erzählt nicht einfach eine histo- Zugegeben: Christian Keller kann nicht studium an der Uni Zürich als TV-Redaktor bei rische Rekonstruktionsgeschichte. Nein, er beweisen, dass es sich wirklich genauso zugetra- Telebasel, wo ich als Produzent, Moderator und hat den Ehrgeiz, die bis heute unbelegte Brand- gen hat. Aber das verschmerzt man. Denn schliesslich als Verantwortlicher der Hinter- ursache in der Sandoz-Halle von Schweizer- er hat mit so viel Akribie recherchiert, er hat grundsendung «Report» tätig sein durfte. Prägend halle aufzudecken. Und er geht dabei das Risi- sein Ziel mit solcher Beharrlichkeit verfolgt, war in jungen Erwachsenenjahren die mit ko ein, alte Seilschaften der Verschwiegen- und er erzählt diese Story so kraftvoll, neugie- Werbung und dem bescheidenen Telebasel-Lohn heit aufzuschrecken und den wohligen Frieden rig und unvoreingenommen, dass man sich finanzierte Herausgabe des Schweizer Jugend- zu stören, den Basel mit der ungeklärten denkt: Es könnte wirklich so gewesen sein. magazins «Zündstoff». Verhandlungen mit Drucke- Katastrophe geschlossen hat. reien und Mediaagenturen sowie erstmalige Nicht irgendeine komplexe chemische Erfahrungen mit der Androhung rechtlicher Schrit- Reaktion hat laut Christian Keller den verhee- te gegen nicht-genehme Artikel waren sehr renden Brand entfacht, sondern die Kalberei lehrreich. 2014 wechselte ich zur «Basler Zeitung», eines Chemikers. Dieser soll in der Lagerhalle wo ich inzwischen als Leiter der Regionalredaktion voller selbstentzündlichem Chemieabfall tätig bin. Die akademische Ausbildung schloss ich Feuerwerkszeug für eine Abschiedsfeier gelagert 2016 mit einer Dissertation zur Steuergeschichte haben. Und das Feuerwerk sollte ausgerech- der beiden Basel ab (das Thema ist spannender, als net einen abtretenden Feuerwehrkommandan- es klingt). Ausserordentlich profitiert in Sachen ten erfreuen. Die gut gemeinte geriet zur Organisation und Führung habe ich im Militär in bösen Überraschung. Das ist, denkt man zuerst, der Offiziersschule und den anschliessenden zu schräg, um wahr zu sein. Aber Christian Dienstleistungen. Seit 2011 bin ich mit meiner Frau Keller tischt uns nicht einfach eine skurrile Ge- Corinne glücklich verheiratet und stolzer Vater schichte auf. Minutiös befragt er Zeugen, von drei Söhnen (6/4/3 Jahre alt). sammelt Indizien und setzt sie zu einem mögli- chen Puzzle zusammen. Er beharrt auch nicht einfach auf seiner These, er lässt Wider- spruch zu und den Verdächtigen zu Wort kommen. Der streitet natürlich alles ab.

Zürcher Journalistenpreis 2018 25 «Er prahlte damit, auf diese Weise den Chemieabfall elegant zu entsorgen»

Erschienen am 4. März 2017 halle zu einem der schlimmsten Chemieunfälle trägt, führen zurück zum Protagonisten dieser Europas gekommen ist. Bei dem Unglück Geschichte: Hans Müller. Ehemalige Weg- Hat ein leitender Sandoz-Angestellter wegen einer verbrannten 1350 Tonnen Chemikalien, darun- gefährten und Vorgesetzte beschreiben ihn im Abschiedsparty 1986 die Katastrophe von ter vor allem Agrochemieprodukte. Um ein Gespräch mit der BaZ als schillernde, extro- Schweizerhalle verschuldet? Neue, brisante Zeu- Haar wäre auch Halle 955 in unmittelbarer Dis- vertierte Persönlichkeit; eine Arbeitskraft, die genaussagen belasten ihn schwer tanz zum Brandort von den Flammen erfasst hemdsärmlig, leutselig und rund um die Uhr worden. Dort hatte die Sandoz ihre Natrium- erreichbar gewesen sei. Ein «Chemiker der alten Von Christian Keller bestände untergebracht. Da die Substanz Schule, kein Theoretiker». Er sei bei der bei Wasserkontakt explosionsartig reagiert, hätte Umsetzung chemischer Verfahren durch eine Muttenz. Als Hans Müller* am 1. November die Feuerbekämpfung zu verheerenden gewisse «Experimentierfreudigkeit wie ein 1986 kurz nach Mitternacht auf der Rhein- Auswirkungen geführt. Daniel Düsentrieb» aufgefallen. Auf einem Zeit- felderstrasse das Ende des Hardwalds erreichte zeugen-Forum räumt Müller freimütig ein, und sich vor ihm auf der rechten Seite das In 250 Meter Entfernung befand sich zudem im Ruf eines «Hasardeurs» gestanden zu haben. Werksgelände der Sandoz in Schweizerhalle ein Lager mit Phosgen, einem Giftgas, das im Nach dem Katastrophenereignis von 1986 auftat, war das Wetter trocken und milde. Ersten Weltkrieg eingesetzt worden war. Wie sei sein Betrieb bezüglich Sicherheitskontrollen Die Temperaturen lagen um die acht Grad. durch ein Wunder blieb es beim Materialschaden. «als erster» überprüft worden. Von Osten her wehte ein leichter Wind. Abgesehen von einzelnen Atemreizungen gab es weder Verletzte noch Tote. In den Fokus der aufwendigen Ermittlungen Gedanklich befasste sich der leitende geriet Müller nie. Dies ist den umfangreichen Sandoz-Angestellte mit einer kostenintensiven Dafür verendeten Abertausende Fische im Untersuchungsberichten der Achtzigerjahre chemischen Produktion, die er in den Rhein, vergiftet durch abgeleitetes Löschwasser, zu entnehmen, welche die Baselbieter Staats- frühen Morgenstunden in seinem Betrieb das den Fluss rot färbte. Die rheinabwärts anwaltschaft der BaZ zur Sichtung freigegeben kontrollieren wollte. In dem Moment, als fliessende Schmutzwelle verursachte Umwelt- hat. Erstmals war es möglich, auch Einsicht in sein Blick auf die Halle 956 fiel, muss ihm das schäden bis nach Rotterdam. Über die Stadt bislang unter Verschluss gehaltene Expertisen Herz in die Hose gerutscht sein. Das Ge- Basel legte sich während Tagen ein grauenhaf- zu nehmen. Dazu gehört auch die 75-seitige bäude befand sich am westlichen Rand des ter Geruch. Es stank nach faulen Eiern. Privatanalyse von Ernst P. Martin. Die Areals und war von der Rheinfelderstrasse Sandoz-Konzernleitung hatte den langjährigen aus gut sichtbar. Müller täuschte sich nicht: In Die Bevölkerung befand sich in einem Zustand Chef der Basler kriminaltechnischen Abtei- Halle 956, einem Lager für Agrochemikalien zwischen Schockstarre und Wut. Auf brutale lung beauftragt, im Geheimen eigene Recher- ohne besondere Brandschutzvorrichtungen, war Weise hatte sich das unterschätzte Gefahren- chen anzustellen. Feuer ausgebrochen. War es seine Schuld? potenzial einer Branche ins öffentliche Konnte es sein, dass seine Vorbereitungen für Bewusstsein gedrängt – einer Branche, an der Dass Müller bei allen Nachforschungen eine gutgemeinte Überraschungsaktion Tausende Arbeitsplätze hingen. Der Krisen- unbeachtet blieb, liegt auf der Hand: Zwischen einen bösen Lauf genommen hatten? Noch stab musste eingestehen, dass sein Alarmierungs- seinem Zuständigkeitsbereich und der hatte niemand etwas bemerkt. konzept versagt hatte. Es kam zu Massen- Brandhalle 956 existierten keinerlei Verbindungen. kundgebungen auf dem Marktplatz. «Unser Es lagen auch keine Hinweise vor, die ihn Als der Chemiker in seinem Auto um 00.15 Uhr Tod ist im grossen Geschäft eingeplant», verdächtig machten. 1988 teilte der beigezogene – diesen Zeitpunkt gab er später in der prangte auf einem der Transparente. Als sich Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zeugenbefragung an – die Empfangspforte des Verantwortliche von Sandoz und den Zürich dem Statthalteramt Arlesheim mit, dass Sandoz-Werks Muttenz passierte, erwähnte er Behörden an einem Podium im Stadtcasino «als wahrscheinlichste Brandursache» das seine Beobachtung mit keinem Wort. Hoffte er, der Öffentlichkeit stellten, wurden sie be- Schrumpfen von Berlinerblau-Paletten eruiert die brenzlige Situation eigenhändig unter spuckt und mit toten Aalen beworfen. worden sei. Versuche hätten gezeigt, dass Kontrolle bringen zu können? So, dass nie jemand der Farbstoff «sehr leicht entzündet werden von dem Vorfall erfuhr? Ob es einen solchen Für den Basler Chemiekonzern, der 1996 kann». In der Woche vor dem Brand seien mit Löschversuch tatsächlich gegeben hat, ist nicht mit Ciba-Geigy zu Novartis fusionierte, bedeutete einem Propangasbrenner Berlinerblau-Papier- gesichert. Fakt hingegen ist, dass um 00.19 Uhr das Debakel nicht nur einen gewaltigen Ima- säcke auf Paletten geschrumpft und in der Halle eine Patrouille der Baselbieter Polizei sowie ein geschaden, sondern es hatte auch Kostenfolgen 956 eingelagert worden. «Es deutet alles Chemiearbeiter im Betriebsgebäude 935 zeit- in der Höhe von 140 Millionen Franken. darauf hin, dass ein Palett mit einem Glutherd gleich Alarm schlugen. in einem Stapel ohne Weiteres während Bekannt als «Hasardeur» zwölf Stunden glimmen kann, bis ein offener Verheerende Auswirkungen Die bis heute nicht geklärten Gründe für den Brand ausbricht.» Drei Jahrzehnte ist es her, seit es in Schweizer- Jahrhundertbrand und wer die Schuld daran

26 Zürcher Journalistenpreis 2018 Verfahren 1992 eingestellt An der Berlinerblau-These der Stadtzürcher Beschrieben wird der folgende Sachverhalt: Der Befund blieb ohne strafrechtliche Konse- Polizei hatte es ohnehin immer grosse Zweifel Um dem abtretenden Kommandanten quenzen. Weder der Betriebsarbeiter, der gegeben. Diverse Gerüchte und Vermutungen der Werkfeuerwehr, Hermann Stämpfli, bei den Schrumpfbrenner bedient hatte, noch die kolportierten den Verdacht von Fremdeinwir- seinem Abschiedsfest eine Überraschung Firma Sandoz wurden angeklagt. Im Juni kung. Im Jahr 2000 erzählte der ehemalige zu bereiten, habe Müller am Nachmittag des 1992 stellte der Erste Baselbieter Staatsanwalt CIA-Agent Vincent Cannistraro im deutschen 31. Oktober 1986 – unter krasser Missach- Adrian Jent, heute Strafgerichtspräsident in Fernsehen, die und der russische Ge- tung der Sicherheitsvorschriften – Feuerwerk Liestal, das Verfahren wegen des qualifizierten heimdienst KGB hätten Schweizerhalle ange- und selbstentzündlichen Chemieschutt in fahrlässigen Verursachens einer Feuersbrunst zündet, um von der Nuklearkatastrophe in der Halle 956 deponiert. Er selbst gehörte auch ein – «mangels eines hinreichenden Beweises Tschernobyl abzulenken. Belege für diese aben- der Werksfeuerwehr an und hatte leichten der Brandursache und eines strafrechtlich teuerliche Behauptung liessen sich jedoch Zugang zu allen Räumlichkeiten. Müllers Ab- relevanten Verschuldens der angeschuldigten keine finden. sicht sei es gewesen, am darauf folgenden Personen», wie in einem Pressecommuniqué Abend des 1. November Stämpfli und der fei- begründet wurde. Es lägen «weitere Erkenntnisse Nun steht eine weitere, vollkommen neue Ver- ernden Gesellschaft ein unangekündigtes aus den Untersuchungen sowie Expertisen» sion zur Brandursache im Raum. Vor einigen Feuerspektakel zu bieten. In der für Übungs- vor, welche die Schlussfolgerung des Wissen- Wochen sind ehemalige Sandoz-Mitarbeiter zwecke ausgehobenen Brandgrube nördlich schaftlichen Dienstes infrage stellen würden. an die BaZ herangetreten mit Informationen, von Halle 956 sollte die Show über die Bühne Andere Brandursachen wie zum Beispiel Brand- die bislang niemandem bekannt waren – und gehen. Nur ein sehr kleiner Personenkreis stiftung seien als «ebenso wahrscheinlich» die Hans Müller, den seinerzeit im Sandoz- sei in diesen Plan eingeweiht gewesen. zu beurteilen. Werk allseits bekannten Kaderangestellten, schwer belasten. Auf Anfrage bestreitet Hans Müller, der vor Jahren in Pension ging und nicht mehr in der

Aufräumarbeiten nach der Katastrophe vom 1. November 1986 KEYSTONE / Michael Kupferschmidt

Zürcher Journalistenpreis 2018 27 Region lebt, die Vorwürfe dezidiert: «Das ist Unsinn. Ich weiss gar nicht, wie ich das hätte bewerkstelligen sollen.»

Sind bei der BaZ Verschwörungstheoretiker vorstellig geworden? Was ist das Motiv, nach so langer Zeit an die Medien zu gelangen und eine solche Geschichte aufzutischen? Wie glaubwürdig sind diese Aussagen? «Es geht uns nicht darum, Personen an den Pranger zu stellen. Mögliche Straftaten sind ohnehin längst verjährt. Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht, die Wahrheit zu erfahren, was 1986 tatsächlich geschehen ist», erklären die Ex-San- doz-Leute der BaZ. Weshalb melden sie sich erst jetzt? «Wir sind selber noch nicht lange im Bild über das damalige fahrlässige Vorgehen. Wir hatten davon keine Ahnung», sagen sie. 60 Meter hohe Flammen KEYSTONE / Michael Kupferschmidt

Festivitäten, die nie stattfanden Februar kontaktiert, ist er alles andere als er- Es war auch ein Fass aus dem Betrieb 926C Wäre im Herbst 1986 alles nach Plan gelaufen, freut. Er fühlt sich hintergangen. Was ist dabei, worin Chemieschutt war, der selbst- hätte am Samstag des 1. November um 9.00 geschehen? Bei einem Treffen unter Sandoz- entzündlich sei. Alles war auf einem ‹Wägeli›, Uhr die jährliche Hauptübung der Werkfeuer- Pensionären im vergangenen Jahr drehte so einem ‹Wägeli›, wie man es im Betrieb wehr Sandoz begonnen. Vertretern der Ge- sich das Gespräch einmal mehr um die offe- hat. Müller prahlte sogar noch damit, dass er schäftsleitung sowie der Belegschaft und ihren nen Fragen zum Schweizerhalle-Brand. die Idee hatte, im Rahmen des Feuerwerks Familienangehörigen wäre demonstriert wor- Verschiedene Szenarien wurden diskutiert, bis seinen Chemieabfall durch Verbrennen auf den, wie die heranrückende Löschmannschaft Gantenbein nach dreissigjähriger Geheim- elegante Weise entsorgen zu können.» bei der Halle 956 eine Brandgrube mit ent- niswahrung sein Schweigen brach. Inzwischen zündetem Lösungsmittel unter Kontrolle bringt. bereut er es: Ohne seine Einwilligung seien Zur Frage, weshalb Müller sein Risiko-Material Danach hätten Beförderungen, ein Mittag- seine Aussagen protokolliert und inklusive sei- ausgerechnet im 956 abstellte, meint essen und schliesslich die bis in die frühen Mor- ner Kontaktdaten an die BaZ weitergereicht Gantenbein: «Die Lagerhalle war eben nahe genstunden dauernde Abschiedsfeier von worden, was er als schweren Vertrauensbruch beim Platz, wo jeweils die Feuerlösch- Kommandant Stämpfli inklusive Überra- empfinde. übungen durchgeführt wurden, dort hätte er schungsattraktion auf dem Programm das Feuerwerk gezündet.» Warum liess gestanden. Die Festivitäten fanden nie statt. Das Hadern des Kronzeugen Gantenbein die Polizei im Dunkeln? «Ich Der Ernstfall kam ihnen zuvor. Gantenbein ist der Ansicht, dass niemandem wollte nicht in die ganze Maschinerie mit gedient sei, wenn die ganzen Vorkommnisse hineingezogen werden.» Ausserdem sei er vom Wer vom heiklen und nirgends aufgeführten nochmals aufgerollt werden. Man solle es Statthalteramt nie einvernommen worden. Lagergut in Halle 956 Kenntnis hatte, wer doch dabei bewenden lassen. Seinen richtigen wusste, dass dort neben den aufgestapelten Namen will er unter keinen Umständen in Der angeschuldigte Hans Müller nennt diese Chemiefässern und dem Berlinerblau der Zeitung lesen. Angesprochen auf seine bri- Darstellung einen «herrlichen Gag» und verbotenerweise auch Feuerwerkskörper und santen Äusserungen, macht er aber keinen versichert, «jegliche Fragen der BaZ ehrlich zu selbstentzündlicher Chemieabfall aufbe- Rückzieher. Gantenbein bestätigt mündlich beantworten». Ihm sei kein einziges Ereignis wahrt worden waren, der hielt den Mund. So wie schriftlich, dass zutreffe, was er 2016 bei bekannt, bei dem auf dem Werksgelände pyro- wird es der BaZ berichtet. Niemand habe einer Zusammenkunft offengelegt habe. Dem- technische Artikel eingesetzt worden seien. Kollege Müller verpfeifen wollen, der zwar nach hat er in Schweizerhalle Folgendes erlebt: Und mit selbstentzündlichen Substanzen habe leichtsinnig, aber gewiss nicht in böser man einen vorsichtigen Umgang gepflegt. Absicht gehandelt hatte. Und niemand habe «Am Freitagnachmittag (31. Oktober 1986; «Auf die sichere und umweltgerechte Entsor- Lust verspürt, in eine Angelegenheit hin- Anm. d. Red.) sagte Müller zu mir, komm, gung von Chemieabfällen wurde bei Sandoz eingezogen werden, die rund um die Welt für wir fahren rasch mit dem Auto zum 956, ich schon immer grosse Aufmerksamkeit gelegt», Schlagzeilen gesorgt hatte. zeige dir dann etwas. Auf der Westseite vom schreibt er der BaZ in einer E-Mail. Vor der 956 angekommen, ging er mit mir in die Halle Brandkatastrophe 1986 habe es denn auch keine Auch Mitwisser Peter Gantenbein* verlor über und zeigte mir das Feuerwerk, das er für die Zwischenfälle gegeben: «Das hätte ich gewusst.» die Sache nie ein Wort. Als ihn die BaZ im Hauptübung der Feuerwehr vorbereitet hatte.

28 Zürcher Journalistenpreis 2018 Zwischenfälle mit Chemieabfall Funktionen bekleidete. «Die Entsorgung Chemieschutt sei damals in seinen Kreisen nie Brandrapporte der Sandoz, die der BaZ war sehr aufwendig. Sich des Materials im die Rede gewesen. Doch jetzt, wo er die Un- zugespielt wurden, sprechen allerdings eine Rahmen eines Feuerwerks zu entledigen, terlagen durchgehe, falle es ihm wie Schuppen andere Sprache. Immer wieder musste die ist natürlich eine gerissene Idee. Wenn einer von den Augen: «Anhand von Gantenbeins Werkfeuerwehr aufgeboten werden, weil es zu im Werk auf einen solchen Einfall kommen Beschreibungen fügen sich verschiedene Puzz- spontanen Brandausbrüchen bei Chemie- konnte, dann Müller. Und nur in seinem Be- lestücke zu einem Ganzen zusammen. Im abfällen gekommen war. Das belegen Doku- trieb gab es meines Wissens einen Produk- südwestlichen Teil der Halle 956 ereignete sich mente aus dem Jahr 1975. So meldete bei- tionsprozess, bei dem ein selbstentzündlicher der Brandausbruch. Das konnte in den Gut- spielsweise am 29. Juni um 3.40 Uhr der Secu- Katalysator eingesetzt wurde. Vermutlich achten zu 200 Prozent bewiesen werden. Es ist ritas-Wächter einen Feuerschein im Bau handelte es sich dabei um Raney-Nickel.» kein Zufall, dass sich Müllers Materialwagen 927C. «Da der ganze Bau mit Rauch gefüllt laut Gantenbein exakt in diesem Abschnitt be- war, musste die Feuerwehr mit Atemschutz- Wie der Chemieexperte ausführt, sei dieser funden hat. Ihn an dieser Stelle zu platzieren, geräten ausgerüstet werden», steht im Protokoll Katalysator zusammen mit organischen war logisch, weil sich dort ein Zugangstor be- der Werksleitung Muttenz. Mit einer Nebenprodukten durch eine Filtration wieder fand und die Entfernung zur Brandgrube Schlauchleitung habe das Feuer durch Wasser- aus dem Produktionsprozess entfernt worden. nur gering war.» nebel gelöscht werden können. «Der «Danach musste er als Chemieabfall entsorgt Brandherd war eine mit Rückstand gefüllte werden.» Das Dementi von Hans Müller, der die ge- Metallmulde.» schilderten Vorgänge als «Unfug» bezeichnet, Befand sich in Halle 956 Feuerwerk und beeindrucke ihn nicht. «Würden Sie einen Bereits am 4. April 1975 hatte auf dem selbstentzündlicher Chemieschutt, der wegen solch schlimmen Fehler je zugegeben?» Areal Süd eine «Chemieschuttmulde mit Des- einer undichten Abdeckung mit Sauerstoff tillationsrückständen aus Leukophor EGM- in Berührung kam und sich erhitzte? Entwickelte Er habe die offizielle Version zur Brandursache Fabrikation vermischt mit Hobelspänen» Feu- sich daraus ein offenes Feuer, das rasch auf mit dem Berlinerblau nie für stichhaltig ge- er gefangen. Im Eintrag vom 13. Oktober ist die umliegenden Lagerbestände übergriff und halten, sagt Kaupp. Bei den zahlreichen Tests von demselben Problem zu lesen. Interessant die Feuerwerkskörper wie Raketen durch der Stadtpolizei Zürich sei er anwesend ist der im Rapport von Feuerwehrkomman- den Raum schiessen liess? So lautet die These, gewesen. «Entweder wurden die Schrumpffolie dant Stämpfli vermerkte Satz: «Die Bearbeitung die dreissig Jahre nach Schweizerhalle zu und das Berlinerblau im Papiersack mit dieses Abfallproblems muss nochmals über- einer völlig neuen Ausgangslage führt, was die einem heissen Nagel durchstochen, was mir dacht werden.» Spekulationen zur Brandursache betrifft. ein fragwürdiges Vorgehen schien. Oder man hielt den Propangasbrenner unverhältnis- Das Sicherheitsrisiko, das vom selbstentzünd- Feuerwehrchef ist sich sicher mässig lange auf die Verpackungsfolie, bis lichen Chemieschutt ausging, stellte die Die BaZ hat die aufgetauchten Zeugenberich- sich mehrere Löcher bildeten.» Beide Versuchs- Sandoz-Produktionsbetriebe also sehr wohl vor te sowie das freigegebene Aktenmaterial der anordnungen hätten der Realität nicht ent- Schwierigkeiten. Dass Hans Müller darüber Baselbieter Staatsanwaltschaft Werner Kaupp sprochen. «Zudem war das Verschweissen eine nicht informiert war, wie er behauptet, ist schwer vorgelegt. Der ehemalige Werkfeuerwehr- alltägliche Praxis. Es hätte also schon viel vorstellbar: Er teilte sich das Büro mit dem Kommandant der Sandoz leitete den historischen früher zu einem Brand kommen müssen», findet Leiter jenes Betriebs, wo sich die Vorfälle er- Einsatz in Schweizerhalle. In den Augen Kaupp. eignet hatten. vieler älterer Zeitgenossen gilt er als Held (ei- ne Formulierung, die er gar nicht mag), Plausible Zeugenaussagen «Die Handhabung von organischem weil er sich mit seiner 392-köpfigen Löschmann- Bei der Durchsicht der Untersuchungsakten Dreck, wie wir es nannten, stellte eine echte schaft mutig und entschlossen der unbere- fällt auf, dass diverse Zeugenaussagen zur Herausforderung dar», erklärt ein früherer chenbaren Feuersbrunst entgegenstellte und die neuen These passen könnten. So gaben mehre- Sandoz-Mann. «Wenn nur schon ein Fass nicht Region vor einem todbringenden Inferno re Personen an, sie hätten um Mitternacht vollständig abgedichtet war, konnte es ge- bewahrte. Dass er 1992 zu einer Busse von 200 «schusssalvenartige Geräusche aus Richtung fährlich werden.» Die Person erwähnt den be- Franken verurteilt wurde, weil er bei den Sandoz-Areal» und «Zischgeräusche» gehört. sonders sensiblen Katalysator «Raney-Nickel». Aufräumarbeiten das Brandareal geschwemmt Der Wissenschaftliche Dienst ordnete die Wahr- In einem Merkblatt wird gewarnt: «Trocknet die statt abgesaugt hatte, wodurch der Rhein nehmungen explodierendem Eternit und Substanz an der Luft, erfolgt eine spontane stark verunreinigt wurde, löste einen Entrüs- dem Bersten von Eisenfässern zu, was einen Entzündung.» Man solle die Substanz «kühl tungssturm aus. Die Zeitungen schrieben «kanonenschussartigen oder raketenartigen und möglichst unter Schutzgas lagern». von einem «Skandal-Urteil». Knall» bewirke. Könnte es sich aber nicht auch um Müllers Feuerwerkskörper gehandelt Raney-Nickel sei bei chemischen Verfahren Beim Besuch in seinem Baselbieter Domizil haben, die in der Halle einen Höllenkrach als Restprodukt zurückgeblieben, sagt der erinnert sich Kaupp an die belastende und in- verursachten? Wissenschaftler, der bei Sandoz verschiedene tensive Zeit um 1986. Von Feuerwerk und

Zürcher Journalistenpreis 2018 29 Zwischen Schockstarre und Wut zVg

Ferner liess sich erhärten, dass SBB-Rangier- Aspekte kein Anlass, eine Neubeurteilung sen kann ich deshalb nicht, dass die aktuell arbeiter in Muttenz bereits vor Mitternacht aus vorzunehmen. Der studierte Chemiker gehörte diskutierte Spur nicht doch die richtige ist.» 956 schwarzen Rauch hatten aufsteigen sehen. ab 1987 zum Team des Wissenschaftlichen Wenn entsprechende Hinweise eingegangen Das würde zum erwähnten Katalysator Raney- Dienstes der Stadtpolizei Zürich und war an wären, hätte der Wissenschaftliche Dienst Nickel passen, der wahrscheinlich im von der Rekonstruktion des Brandhergangs in noch vertieftere Abklärungen vorgenommen, Gantenbein beschriebenen Fass mit Chemie- Schweizerhalle beteiligt. Heute ist er in gleicher sagt Zollinger. «Ausserdem wäre der Betrof- abfall enthalten war. Entzündet sich die Funktion beim Forensischen Institut in Zürich fene vom Statthalteramt einvernommen worden.» Problemsubstanz, so bildet sich schwarzer Rauch. tätig. «Die Entzündung von Berlinerblau gilt für Berlinerblau hingegen verglimmt farblos. mich nach wie vor als wahrscheinlichster So weit ist es nie gekommen. Nachdem er am Erklärungsansatz», sagt Zollinger. 1. November 1986 in der Sandoz angekommen Ein weiteres Indiz bezieht sich auf einen Streit, sei, habe er zu den ersten Feuerwehrleuten der sich in den Tagen nach dem Schweizer- Waren die Ermittler über das Feuerwerk gehört, die am Schadenplatz eingetroffen seien, halle-Brand abspielte. Dabei ging es eigentlich und den selbstentzündlichen Chemieschutt im schreibt Hans Müller auf der erwähnten um eine Lappalie, wie der BaZ beschrieben Südwesten von Halle 956 orientiert? «Nein, Zeitzeugen-Plattform. Bis am nächsten Tag wird: Weil im Betrieb von Hans Müller ein davon höre ich zum ersten Mal.» Allerdings sei um 14.00 Uhr habe er pausenlos im Einsatz Materialwagen fehlte, holte sich der Werk- der Brandschutt «akribisch» nach Gegen- gestanden. Half Hans Müller mit, seinen eige- arbeiter im Nachbargebäude ungefragt Ersatz. ständen durchsucht worden, die nicht zur Halle nen Brand zu löschen? Zeugenaussagen, Das sorgte dort für dicke Hälse. «Erst jetzt passten. Dabei habe es keine auffälligen Untersuchungsberichte und Sandoz-Rapporte, hat diese Reminiszenz für mich eine ganz an- Funde gegeben. Im Gutachten steht hierzu: die der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt dere Bedeutung erhalten», sagt ein ehe- «Soweit dies beurteilt werden kann, waren waren, legen diesen Schluss nahe. maliger Sandoz-Mitarbeiter. «Fehlte das Trans- im Lager keine selbstentzündlichen Produkte portgerät nicht gerade deshalb, weil es in vorhanden.» *Richtige Namen der Redaktion bekannt. der Halle 956 zerstört wurde?» Ein Befund ohne hundertprozentige Garantie, Ermittler: Keine Neubeurteilung wie Zollinger selber festhält: «Das Feuer, In den Augen des Untersuchungsbeamten Kurt gerade bei einem Ausmass wie in Schweizerhalle, Zollinger besteht aufgrund der vorliegenden zerstört immer auch Beweise. Ganz ausschlies-

30 Zürcher Journalistenpreis 2018 In welche Richtungen ermittelt wurde

Untersucht wurde fast alles – Feuerwerk und Chemieabfall waren aber kein Thema

Von Christian Keller

Muttenz. Aufgrund bislang nicht bekannter Basler Kriminalisten Ernst P. Martin (im Ge- Raumtemperatur brandtechnisch proble- Aussagen von Ex-Sandoz-Mitarbeitern heimen beauftragt von der Sandoz). Nach- matisch sind.» steht eine neue These im Raum, weshalb es folgend eine Auflistung der Spuren, die bei 1986 in Schweizerhalle zur Katastrophe den Abklärungen verfolgt wurden: Rauchverbot missachtet: gekommen ist. Ein leitender Angestellter soll «Es ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, für eine bevorstehende Abschiedsfeier des Brandstiftung: dass am Brandtag in der Halle 956 geraucht Werksfeuerwehr-Kommandanten am 31. Ok- Ernst P. Martin kam nach Befragungen von worden war», so der WD. tober 1986 verbotenerweise Feuerwerk und Sandoz-Werksmitarbeitern und aufwendigen selbstentzündlichen Chemieabfall in der Halle Rekonstruktionen zum Schluss, dass «auf Elektrischer Defekt: 956 deponiert haben. Das Material war auf Brandstiftung hinweisende Parallelen» zu an- Als mögliche Zündquellen seien in der Halle einem Transportwagen gelagert. Stunden später deren Chemielagerbränden «nicht über- lediglich die elektrischen Installationen vor- kam es zum Grossbrand. Wahrscheinlich war sehbar» seien. Mehrere Bombendrohungen handen gewesen. Gemäss WD seien nach dem die Abdichtung des in einem Fass enthaltenen und Brandfälle, die sich im Umfeld der Brand noch alle Sicherungselemente intakt Chemieabfalls mangelhaft. Dies führte zum Sandoz vor und nach der Brandkatastrophe gewesen. «Eine Brandentstehung durch elekt- Kontakt mit Sauerstoff, wodurch sich das Fass 1986 ereignet hätten, würden auf eine rische Energie kann daher ausgeschlossen selbst entzündete, bis schliesslich ein offenes «gegen die Firma Sandoz agierende Gegner- werden.» Feuer ausbrach. schaft» hinweisen. Der Wissenschaftliche Dienst der Stadtpolizei Zürich (WD) teilte Schrumpfen von Berliner Blau: Von Feuerwerk und Chemieabfall wussten diese These nicht: «Wir fanden keine Spuren, Laut dem WD bis jetzt die «wahrscheinlichste die Ermittler 1986 und auch in den Folgejahren die auf Brandstiftung hingewiesen hätten. (...) Brandursache». Beim Schrumpfen von Berli- nichts. Dies geht aus den verschiedenen Un- Wir fanden nur Teile, die eindeutig einer ner-blau-Papiersäcken mit einem Propangas- tersuchungsberichten hervor, welche die BaZ der im Gebäude vorhandenen Elektroinstalla- brenner sei das Pigment entzündet worden. im Baselbieter Staatsarchiv erstmals einsehen tionen zugeordnet werden konnten.» konnte. Interessant sind vor allem die Expertisen des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadt- Falsche Lagerung: polizei Zürich (beauftragt vom Statthalteramt Die Abklärungen des WD ergaben, dass Arlesheim) sowie das Privatgutachten des «keine Stoffe eingelagert waren, welche bei

Zürcher Journalistenpreis 2018 31

Der

Zürcher Journalistenpreis 2018

wird

Alexandre Haederli Oliver Zihlmann Christian Brönnimann Catherine Boss Julie Jeannet Hannes von Wyl Marie Parvex Mario Stäuble

für Ihre Artikelserie

Paradise Papers

erschienen im Tages-Anzeiger, in der SonntagsZeitung und im Newsnet vom November 2017, verliehen.

Zürich, 15. Mai 2018

32 Zürcher Journalistenpreis 2018 Preisträger

1. 2. 3. 4.

5. 6. 7. 8.

Autorenteam Biografien

Alle Autoren sind Mitglieder des Recherchedesk von Tamedia. 1. Oliver Zihlmann • Oliver Zihlmann, 1972, ist Co-Leiter des Desk. Er • Marie Parvex, 1980, arbeitete beim «Nouvelliste» 2. Catherine Boss arbeitete zuvor für die «Sonntagszeitung», im Wallis und später als Datenjournalistin bei «Tagesschau» und «10 vor 10». «Le Temps». 3. Christian Brönnimann • Catherine Boss, 1961, war vor ihrer Arbeit beim • Mario Stäuble, 1983, stiess 2011 als Volontär zum Recherchedesk Reporterin im Newsteam der «Tages-Anzeiger» und wurde danach ins 4. Alexandre Haederli «Sonntagszeitung». Rechercheteam aufgenommen. • Christian Brönnimann, 1982, war vor seiner • Hannes von Wyl, 1987, ist Volontär im Recher- 5. Julie Jeannet Arbeit beim Recherchedesk Bundeshausredak- chedesk. Zuvor arbeitete er beim «Tages- tor für «Tages-Anzeiger» und «Der Bund». Anzeiger», «SRF News» und «20 Minuten». 6. Marie Parvex • Alexandre Haederli, 1983 ist Spezialisten für Datenjournalismus im Recherchedesk. Er 7. Mario Stäuble arbeitete zuvor bei «Le Matin Dimanche». • Julie Jeannet, 1988, ist Volontärin im Desk und 8. Hannes von Wyl war vorher bei Amnesty International

Zürcher Journalistenpreis 2018 33 Laudatio

Laudatio zur Artikelserie «Paradise Papers», Die Jury hat den «Tages-Anzeiger», erschienen in «Tages-Anzeiger», «Sonntagszei- die «Sonntags-Zeitung» und tung», «Newsnet» von Catherine Boss, das «Newsnet» für die Recherchen Christian Brönnimann, Alexandre Haederli, zu den sogenannten Julie Jeannet, Marie Parvex, Mario Stäuble, Paradise Papers ausgezeichnet. Es Hannes von Wyl und Oliver Zihlmann. handelt sich um eine umfangreiche Von Susan Boos Artikelserie, wovon hier drei bei- spielhafte Beiträge publiziert werden. Die weiteren Texte findet man unter folgender Internetadresse:

https://interaktiv.tagesanzeiger. Ich muss gestehen, am Tag, als erstmals von Untersuchungen und Sanktionen. Es ist ein ch/2017/paradise-papers/? den «Paradise Papers» die Rede war, dachte ich: Stück Aufklärungsjournalismus vom Fein- openincontroller Nicht schon wieder! sten. Erinnern Sie sich noch an die «Panama Papers»? Dass ein Team die Zeit und die Ressourcen An die «Swiss Leaks» oder die «Offshore bekommt, diese Arbeit zu leisten, ist nicht Leaks»? mehr selbstverständlich. Guter Journalismus Der Plot ist immer derselbe: Böse Kerle suchen kostet, doch die Medienbranche darbt und schöne Insel für ihre Kohle. spart. Die Geschichten lasen sich wie Telefonbücher. Umso wichtiger sind Institutionen wie Lange Listen mit Namen – so sexy und das «International Consortium of Investigative aufregend wie ein Ganzkörperpyjama. Journalists», der «Tages-Anzeiger» und die Und jetzt also die «Paradise Papers», geleakte «Sonntagszeitung» angehören. Es koordiniert Daten einer Kanzlei, die auf den Bahamas und hütet die unterschiedlichen Leaks, residiert. auch die «Paradise-Papers». Eigentlich wollte ich die Artikel nur querlesen. Im Manifest des Konsortiums gibt es einen Das reicht für gewöhnlich, um halbinformiert grossartigen Absatz: «Unser kollaboratives über etwas ablästern zu können. Modell basiert auf der Idee, dass viele Journalisten Doch das ging nicht. Die Geschichten zogen gemeinsam eine globale Wahrheit enthüllen rein. Es ging um Leute und Firmen, die man können, eine Wahrheit, die immer wieder über- in diesem Land kennt. Um Monika Ribar zum prüft wird. Indem wir Rivalitäten aus dem Beispiel, die Präsidentin des SBB-Verwaltungs- Weg gehen und kommerziellen Druck aussperren, rates. Oder darum, wie der Rohstoffkonzern können wir uns darauf konzentrieren, wahre Glencore in Afrika abzockt oder wie der Geschichten von echter Bedeutung zu finden Sportartikelhersteller Nike via Schweiz legal und zu teilen. (…) Das ist unser Beitrag zur Steuern hinterzieht. Demokratie, zur Gleichheit, zur Transparenz.» Das Geniale an der «Paradise»-Serie: Sie ist In diesem Sinne, liebes Paradise-Team, nicht nur gut recherchiert, sie ist auch brilliant danke für eure phänomenale Recherche. aufgemacht und leichtfüssig erzählt. Herzliche Gratulation! Ich muss aber auch einräumen, dass heimlich Neid aufkam: Die können das, weil sie die Daten zugespielt bekommen haben. Und die können es, weil sie über immense Ressourcen verfügen. Soll man das jetzt auszeichnen? Ja! Man soll, man muss. Warum? Weil es schlicht die relevanteste Recherche des ganzen Jahres war. Sie hatte einen unglaublichen Impact. Es kam zu Entschuldigungen und Anzeigen, zu

34 Zürcher Journalistenpreis 2018 Wie ein Schweizer von Angolas Milliarden profitiert

Erschienen am 6. November 2017 2015 ein garantiertes jährliches Einkommen Skandal-Bank BSI in Lugano. Das Konto von 60 bis 70 Millionen Dollar. wurde von einer Briefkastenfirma von Bastos Jean-Claude Bastos verwaltet den angolanischen Trotz der hohen regelmässigen Gebühren auf den Britischen Jungferninseln gehalten. Staatsfonds. Das Datenleck zeigt: Die Geschäfte kamen 2014 noch weitere Zahlungen hinzu. «Dass ich gut verdiene, will ich nicht nützen ihm gleich mehrfach. Laut Geschäftsbericht des Staatsfonds erhiel- wegdiskutieren», sagt Bastos. Die Dividenden ten diverse Bastos-Firmen in diesem Jahr seien aber nicht einfach Gewinn, sondern er Von Christian Brönnimann rund 120 Millionen Dollar für Beratungsdienst- brauche sie, um sein Firmennetz mit weltweit leitungen. rund 600 Mitarbeitern am Laufen zu halten. Wer in einem Strafverfahren einschlägig verur- Die Dokumente zeigen weiter, dass die teilt wurde, verwaltet normalerweise nicht Ein Privatjet für 30 Millionen mauritische Quantum-Global-Firma zu- Staatsvermögen in Milliardenhöhe. Jean-Claude Bastos nahm sowohl schriftlich als auch in mindest bis Ende 2015 fast ausschliesslich als Bastos ist eine Ausnahme. Am 13. Juli 2011 einem zweistündigen Gespräch zu Fragen Stel- Durchlaufstelle diente. Sie erhielt die Ma- verurteilte das Zuger Strafgericht den 50-jähri- lung. Im Gespräch war er sehr engagiert nagementgebühren und leitete 40 Prozent davon gen Schweiz-Angolaner und einen Geschäfts- und wirkte überzeugt davon, in Afrika viel Gutes an eine Quantum-Global-Firma in der partner wegen mehrfacher qualifizierter unge- zu bewegen. Er sagte, die Entschädigungen Schweiz weiter, die einen separaten Beraterver- treuer Geschäftsbesorgung. Die beiden hatten entsprächen «Branchenstandards». trag hatte. Abgesehen von kleinen Ausga- von einer Beteiligungsgesellschaft unter ihrer Der kanadische Ökonom und Staatsfonds- ben blieb der ganze Rest auf dem Konto der Kontrolle widerrechtlich Gelder ausbezahlt, Experte Andrew Bauer widerspricht. Er sagt, Mauritius-Firma liegen – und Bastos konnte die teilweise in ihre eigenen Taschen flossen. die Gebühren erschienen «ausserordentlich hoch». viel direkt als Dividende abschöpfen. Bastos Trotz der rechtskräftigen Verurteilung Bauer kritisiert die Mandatsvergabe an Bastos. sagt, heute habe er in Mauritius 35 bis 40 hat Angola die Verwaltung seines 5 Milliarden Sie zeuge «von einem erheblichen Mangel an Leute angestellt. Dollar schweren Staatsfonds ebendiesem Sorgfalt». Normalerweise führten Staatsfonds Was macht Bastos mit all dem Geld? Jean-Claude Bastos anvertraut respektive dessen zur Auswahl ihrer Manager eine öffentliche Aus- Er kaufte zum Beispiel einen Privatjet, eine Quantum-Global-Gruppe mit Hauptsitz in schreibung durch, was in diesem Fall nicht luxuriöse Dassault Falcon 7x für rund 30 Zug. geschah. «Bewerber mit einer einschlägigen Vor- Millionen Dollar. Der Jet gehörte zuvor dem Etwa jeder zweite Einwohner Angolas strafe kommen in einem solchen Verfahren russischen Milliardär Alischer Usmanow. lebt in Armut, von weniger als zwei Dollar am kaum zum Zug», sagt Bauer. Zudem vertrauten Seit September 2016 ist der Jet in der Schweiz Tag. Fast jedes dritte Kind ist unterernährt. Staatsfonds normalerweise nicht mehr als 10 registriert. Öffentliche Daten zeigen seither Gleichzeitig profitiert eine kleine Oberschicht Prozent des Kapitals demselben Manager an. unter anderem Flüge nach Angola, Namibia, vom enormen Ölreichtum. 2012 gründete Der Staatsfonds schreibt, Quantum China, in die Schweiz und viele auf die Angola den Staatsfonds mit dem erklärten Ziel, Global sei nach einem objektiven Bewertungs- spanische Ferieninsel Ibiza. Auf Mallorca grün- einen Teil dieses Reichtums zum Wohl der prozess und aufgrund von herausragenden dete Bastos vor einem Jahr eine Immobilien- gesamten Bevölkerung einzusetzen. Das Land Leistungen gewählt worden. Firma. in Südwestafrika gilt laut Transparency Quantum Global und Bastos arbeiten eng International als eines der korruptesten weltweit. mit der Kanzlei Appleby in Mauritius und Investments in eigene Projekte Chef des Staatsfonds ist kein unabhängiger auf den Britischen Jungferninseln zusammen. Die hohen Managementgebühren sind aber Kopf, sondern José Filomeno dos Santos, Deshalb finden sich in den Paradise Papers erst der Anfang. Mehrere Investments des ihm Sohn des im August abgetretenen Langzeit- Hunderte Dokumente über die Vorgänge. Apple- anvertrauten Staatsfonds nützen Bastos – als Staatspräsidenten José Eduardo dos Santos. by führt Bastos wegen seiner Nähe zum privatem Geschäftsmann – gleich selber. Das Er und der in Freiburg aufgewachsene Bastos angolanischen Machtapparat als Hochrisiko- grösste ist der Bau eines Tiefseehafens in der sind seit vielen Jahren Freunde und Geschäfts- Kunden. angolanischen Provinz Cabinda. Dafür sprach partner. Die Dokumente zeigen, dass Bastos der der Staatsfonds 180 Millionen Dollar an eine Der angolanische Staatsfonds lässt sich alleinige Inhaber der mauritischen Quantum- Bastos-Firma. In dieses Projekt war SBB-Präsi- Bastos’ Dienste sehr viel kosten. Der Deal läuft Global-Firma ist, welche die Management- dentin Monika Ribar involviert (siehe Text so: 3 Milliarden Dollar des Staatskapitals lie- gebühren erhält. Sie offenbaren auch, dass die rechts). gen in sieben Investment-Fonds, die Quantum Gebühren so hoch sind, dass sich Bastos für Ein zweites Projekt ist der Bau des High Global 2014 und 2015 in der Steueroase 2014 Dividenden, also eine Gewinnausschüttung, Tech Tower im Zentrum von Angolas Mauritius gegründet hat. Eine mauritische von 13 Millionen und für 2015 von 28 Millio- Hauptstadt Luanda, ein modernes Hochhaus, Quantum-Global-Firma verwaltet die nen Dollar auszahlen konnte. das erst auf dem Papier existiert. Das Land, Fonds. Dafür erhält diese Firma 2 bis 2,5 Prozent Die Millionen flossen in vier Tranchen auf dem gebaut werden soll, ist im Eigentum der 3 Milliarden pro Jahr. Das macht ab auf ein Konto bei der inzwischen aufgelösten einer Firma, die Bastos privat gehört. Am 19.

Zürcher Journalistenpreis 2018 35 Dezember 2014 schloss einer der mauritischen in Bastos’ Welt eine zentrale Rolle: Sie ist Milliarden bis spätestens 2019 investiert Fonds, in dem das angolanische Staatsgeld sein Family Office. Das Büro also, das sich um sein werden. liegt, einen Vertrag mit dieser Firma. Darin Bastos’ private Geschäfte kümmert. Dazu Die Paradise Papers bringen noch sicherte der Fonds 157 Millionen Dollar für gehören auch die Firmen, in die Geld vom etwas ans Licht: Bastos hat gegenüber der den Bau des Hochhauses zu. Das Projekt ist ein Staatsfonds fliesst. mauritischen Finanzmarktbehörde unvoll- Joint-Venture. Eine zweite Firma von Bastos Das heisst übersetzt: Dieselbe Person, die ständige oder gar irreführende Angaben zu seiner hat gemäss Vertrag den Projekt-Lead und will das Privatvermögen von Bastos im Auge hat, Verurteilung von 2011 gemacht. Seinem An- den Büroteil des Hochhauses entwickeln. entscheidet mit, wohin die angolanischen Staats- trag zur Gründung der Firmen auf Mauritius Der Vertrag hält fest, dass am Ende 100 der milliarden fliessen. «Die schweren Interes- legte er ein Schreiben seines Anwalts – und 157 Millionen Dollar des Fonds direkt dieser senkonflikte dieser Konstellation sind offensicht- Quantum-Global-Verwaltungsrats – Martin zweiten Bastos-Firma zukommen sollen, in Form lich», sagt Staatsfonds-Experte Bauer. Neese bei. Darin stellte Neese den angeb- einer Übernahme von Schulden, die beim lichen Sachverhalt der Verurteilung dar. Dabei Bau angefallen sind. Am Schluss soll der Fonds Plötzliche Wertsteigerung wich er allerdings vom tatsächlichen Inhalt nur den Hotelteil erhalten. Jean-Claude Bastos sagt, der Kadermann ab. Das zeigt ein Blick in das erstmals zugäng- Tom Keatinge leitet das Zentrum für Finanz- seines Family Office sei wegen seiner grossen lich gemachte Urteil des Strafgerichts Zug. kriminalität des renommierten britischen Erfahrung in Afrika qualifiziert, die Invest- Anwalt Neese schrieb nämlich, Bastos habe Thinktanks Rusi. Er hat Dokumente des ment-Vorschläge zu beraten. Generell betont sich nicht selber bereichert. Die Richter 157-Millionen-Deals analysiert: «Offen- er, dass er viel für den Staatsfonds erreicht hielten im Urteil hingegen explizit fest, Bastos sichtlich lässt Bastos den Fonds in ein Projekt habe. Dessen Nettovermögen sei trotz schwie- und sein Partner hätten im Zusammenhang investieren, von dem er persönlich profitiert. rigem Marktumfeld gestiegen, was die Leis- mit einer Zahlung von 80 000 Franken «in- Es besteht das Risiko, dass der Fonds zu viel tungsfähigkeit von Quantum Global beweise. direkt sich selbst (...) bereichert». Und: Es für das Hotel bezahlt und auch den Teil Bloss: Die offiziellen Zahlen des Fonds könne «von einer gewissen Selbstbedienungs- des Gebäudes finanziert, der am Schluss Bastos werfen Fragen zu dieser Entwicklung auf. Bis mentalität» gesprochen werden. gehört. Die Übernahme von Schulden ist vor kurzem stand der Fonds nämlich mit Zudem liess Neese den für die Strafzumessung zwar eine gängige Finanzierungsmethode, aber rund 300 Millionen Dollar im Minus. Dieses entscheidenden Bestandteil des Urteils, eine auch eine bekannte Möglichkeit, jemanden Minus wurde im Abschluss 2016 nur deshalb hohe bedingte Geldstrafe von 350 Tagessätzen im Versteckten zu begünstigen», sagt Keatinge. getilgt, weil der Fonds seine Investments neu oder knapp 160 000 Franken, unerwähnt Bastos sagt, die Finanzierungsstruktur für bewertet hatte – und zwar um 290 Millionen und schrieb stattdessen, Bastos sei nur eine das Projekt habe inzwischen geändert. Er Dollar höher als zuvor. Busse von 4500 Franken auferlegt worden. wehrt sich gegen den Vorwurf, vom Staats- Der angolanische Wirtschaftsprofessor Und auf die konkreten Zahlungen, für die Bastos fonds-Geld ungebührlich zu profitieren. Carlos Rosado de Carvalho hat die Berichter- verurteilt worden war, darunter ein Barbe- «Es besteht und es bestand nie ein Interessen- stattung der Fonds-Revisionsstelle konsultiert. zug von 75 000 Euro, ging Neese gar nicht erst konflikt», sagter. «Ich bin ein langfristiger Er kommt zum Schluss: «Das Resultat basiert ein. Neese wollte sich auf Anfrage nicht dazu Investor, der alles daran setzt, dass die Projek- auf fiktiven Werten und entspricht nicht der äussern. Bastos’ Auszug aus dem Strafregister ist te erfolgreich realisiert werden. Die anderen Realität.» Zur Veranschaulichung greift er zu inzwischen wieder leer, weil die zweijährige Aktionäre und ich haben immer die gleichen folgender Analogie: «Ich kaufe ein Haus für Probezeit abgelaufen ist. Interessen an Wachstum und Erfolg des 100 000 Dollar. Einen Tag später sage ich, das In einem Fragebogen der mauritischen Projektes.» Zudem schliesse Quantum Global Haus hat nun einen Wert von 200 000 Dollar, Finanzmarktbehörde verneinte Bastos zudem, immer alle Vereinbarungen «at arms length» und führe es so in meiner Buchhaltung. Das aktuell persönlich in ein Verfahren verwickelt ab, das heisst, zu Marktbedingungen, denen heisst noch lange nicht, dass sich der Wert zu sein. Tatsache ist hingegen, dass in Zug nach auch unabhängige Partner zustimmen würden. des Hauses tatsächlich über Nacht verdoppelt wie vor ein Zivilverfahren hängig ist. Die Für ein weiteres Hotelprojekt von Bastos hat.» Bastos behauptet, die Investments seien Aktionäre der Gesellschaft, für die Bastos damals sicherte der Fonds 40 Millionen Dollar zu, immer noch zu tief bewertet. verantwortlich war und die in Konkurs ging, ebenfalls mit Vertrag vom 19. Dezember 2014. Es gibt noch mehr offizielle Zahlen: Demnach wollen so noch Geld zurückholen. Die Entscheide dafür traf das Investment- hat Quantum Global im ganzen Jahr 2016 Bastos sagt, er habe der Behörde in Mauri- Komitee am Vortag. Neben Bastos, der sich neue Investments von gerade mal 26 Millionen tius seine Verurteilung offengelegt und habe gemäss Sitzungsprotokoll doch wegen eines Dollar getätigt. Rund 85 Prozent der 3 Milli- die Frage nach dem persönlichen Verfahren Interessenkonflikts der Stimme enthielt, nahmen arden Staatskapital in den mauritischen Fonds nicht auf diesen Fall bezogen. «Ich habe zwei weitere Komiteemitglieder an der Sit- liegen nach wie vor ungenutzt auf der Bank. niemals falsche Angaben gemacht.» zung teil. Das eine Mitglied ist ein italieni- Die hohen Managementgebühren fliessen trotz- scher Hoteldesigner. Das andere ein Schweizer dem. Bruder des Ministers mischt mit Geschäftsmann. Dieser ist auch in einer leiten- Bastos stellt in Aussicht, Quantum Global Weshalb lässt der angolanische Staatsfonds all den Funktion tätig für eine Firma namens habe viele weitere Investmentprojekte in das zu? Profitieren regierungsnahe Kreise in Turtle Management in Zürich. Und die spielt der Pipeline, und verspricht, dass die ganzen 3 Angola etwa selber? Beweise dafür finden sich

36 Zürcher Journalistenpreis 2018 in den Paradise Papers keine. Nur so viel: kompetent oder ein Komplize. Eine solche Investments sichere und sie andererseits bei Eines der Investments des Fonds ist der Bau Struktur hat nur ein Ziel: etwas zu verstecken, der Entwicklung von zentralen ökonomischen einer Getränkefabrik in Angola. Gemäss nämlich die wahren Begünstigten von und sozialen Projekten unterstütze. Der Vertrag vom 6. Oktober 2014 soll eine angola- Transaktionen. Ich befürchte, wir sehen hier, angolanische Staatsfonds ist ein grossartiger nische Firma 20 Prozent der Aktien der Fab- wie das Geld der Bevölkerung Angolas ver- Weg, das zu tun.» rik erhalten. Ihr Beitrag ist nicht Geld, sondern schwindet. Ein Land, in dem jeder Dollar zählt. der Boden, auf dem die Fabrik gebaut wird, Möglicherweise ist das alles sogar legal. sowie umfassende, vom Staat garantierte Steu- Aber das ändert nichts daran, dass es höchst ererleichterungen. Einziger Direktor der unmoralisch ist.» Firma ist der Bruder des kürzlich abgetretenen Jean-Claude Bastos spricht viel und angolanischen Wirtschaftsministers Abrahão gerne über seine Projekte und Engagements. Gourgel, der kraft seines Amtes auch in einem Er initiierte etwa eine Stiftung zur Förde- Beratungsgremium des Staatsfonds sass. rung von Innovationen in Afrika und ist im Der Wirtschaftsminister ist ein guter Bekannter Stiftungsrat von Globethics, einer «Platt- von Bastos. form für Austausch und Forschung in den Bastos sagt, die Konstellation sei reiner Bereichen der Ethik und Werte». Sein Zufall. Der Bruder des Ministers sei der Chef neuster Wurf ist die Umnutzung einer Fabrik der grössten Trinkwasserfirma Angolas. Er in Luanda zu einem Ort für Start-ups. sei am Projekt beteiligt, weil er Know-how und Letzte Woche publizierte die «Handels- das passende Land für die Fabrik einbringen zeitung» ein grosses Porträt über den könne. «Netzwerker für die Sache des Schwarzen Das Urteil von Finanzkriminalität-Experte Kontinents» und «Charismatiker». Und Tom Keatinge zur ganzen Geschichte ist vor einem Jahr zitierte ein afrikanisches eindeutig: «Wer auch immer die Struktur und Onlineportal Bastos so: «Es ist meine Passion, Vorgänge vonseiten des angolanischen Staats- den angolanischen Menschen zu helfen, fonds bewilligt hat, ist entweder hochgradig in- indem ich einerseits eine hohe Rendite auf ihre Jean-Claude Bastos www.jeanclaudebastosdemorais.com

Zürcher Journalistenpreis 2018 37 Das Angola-Abenteuer von SBB-Präsidentin Monika Ribar

Ribar verdiente gut an einem Bastos-Projekt in Angola. Sie ist nicht die einzige prominente Schweizerin, die Bastos gewinnen konnte.

Von Christian Brönnimann

SBB-Präsidentin Monika Ribar hätte 100 000 Dollar Jahresgehalt Alt Bundesrätin Ruth Metzler. Sie schreibt, wissen können, auf wen sie sich im Frühjahr Was also machte die SBB-Präsidentin sie berate die Gruppe «bei regulatorischen Fragen 2015 einliess. Schon damals kursierten bei diesem Projekt? «Frau Ribar hat die Capoin- mit einem Schweiz-Bezug und zu Governance kritische Artikel über Jean-Claude Bastos’ Nähe vest zum Set-up eines Hafenprojektes in Ango- Themen, welche für die Schweizer Gesellschaften zum angolanischen Präsidentensohn und la beraten, basierend auf ihrer Erfahrung in von Relevanz sind». über fragwürdige Transaktionen des Staatsfonds. der Logistik und der Beratung», so die Ant- Der frühere Chef der Direktion für Entwick- Und hätte sich Ribar mit der Verurteilung wort der SBB-Medienstelle. Noch vor der lung und Zusammenarbeit (Deza), Walter von Bastos auseinandergesetzt, hätte sie gemerkt, Übernahme des SBB-Präsidiums im Juni Fust, ist ebenfalls ein Geschäftspartner von Bastos. dass er 2011 nicht wie öffentlich behauptet 2016 sei Ribar bei der Capoinvest wieder aus- Die beiden gründeten 2012 eine Firma, mit hauptsächlich frei-, sondern in zwei von drei getreten. So sei es von Anfang an geplant ge- der Fust Beratungen für Entwicklungsprojekte Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde. wesen. abwickelt. Zudem ist Fust Präsident der Doch Ribar, zu dieser Zeit schon Vizeprä- Nun sieht sich Ribar mit dem Vorwurf von Bastos ins Leben gerufenen Afrikanischen sidentin bei den SBB, entschied sich für das konfrontiert, sich in einer Offshorefirma für Innovationsstiftung mit Sitz in Zürich. Fust Engagement. Und trat im Mai 2015 in den Ver- ein fragwürdiges Geschäft in einem heiklen verliert kein schlechtes Wort über Bastos: «Er waltungsrat der Bastos-Firma Capoinvest Land wie Angola eingesetzt zu haben – und hat in Afrika im Entwicklungsbereich mit Limited auf den Britischen Jungferninseln ein. dafür gut entlöhnt worden zu sein. In einer seinem unternehmerischen Ansatz sehr viel Capoinvest steht hinter der Finanzierung E-Mail von Februar 2016 gibt ein Mitarbeiter bewegt.» eines grossen Hafenprojekts in der angolanischen von Bastos’ Family-Office nämlich die An- Die «Handelszeitung» nannte letzte Provinz Cabinda. weisung, ein Dokument anzufertigen, das Ribar Woche weitere prominente Weggefährten von Der Bau des Tiefseehafens wird teilweise als «Platinum Member» von Capoinvest ein Bastos, nämlich den Ex-UBS-Chef Marcel vom angolanischen Staatsfonds finanziert, Jahresgehalt von 100 000 Dollar zusichert. Rohner, Ex-Kuoni-Chef Armin Meier, Starwerber den Bastos verwaltet. Die ersten 20 Millionen Hat Ribar diese Summe erhalten – und wenn Frank Bodin und André Schneider, Ex-WEF- Dollar flossen Ende 2014 zur Capoinvest. ja, für welche Gegenleistung? Sie habe «an Geschäftsführer und Chef des Flughafens Genf. Davon gingen wenig später 2 Millionen di- mehreren Sitzungen teilgenommen, davon an Präsident der vier Schweizer Quantum- rekt zu einer Firma von Bastos in der Schweiz, zwei in Angola vor Ort», schreibt Ribar – und Global-Firmen ist der bekannte Zuger Wirt- für Beratungsdienstleistungen. Anfang 2017 gab «weist freundlich darauf hin», dass Capoinvest schaftsanwalt Thomas Ladner, Mitbe- der Fonds bekannt, 180 Millionen in den als private Firma Honorare nicht offenlegen gründer des exklusiven «Club zum Rennweg». Hafen zu investieren. Zudem erteilte der Staat müsse. Den Vorwurf, in ein zweifelhaftes Ge- Er schreibt, Quantum Global habe einen Angola weitreichende Garantien für andere schäft involviert gewesen zu sein, weist Ribar ethischen Verhaltenskodex und halte sich an Investoren. von sich. Sie habe vor Mandatsannahme «eine alle behördlichen Regularien. Der zweite Trotzdem soll der Profit des Hafens dereinst sorgfältige Prüfung durchgeführt» und sei prominente Verwaltungsrat ist Anwalt Martin zu grossen Teilen in Bastos’ Tasche fliessen. «nach wie vor überzeugt von diesem Projekt». Neese. Er sitzt unter anderem in der Kon- Ihm gehören laut eigenen Angaben nämlich 69 taktgruppe Geldwäscherei des Bundes und ist Prozent des Hafens. Er behauptet, er habe Firma mit Ex-Chef der Deza Präsident des Vereins zur Qualitäts- auch schon selbst 70 Millionen Franken für Monika Ribar ist nicht die einzige prominente sicherung von Finanzdienstleistungen (VQF). die Projektentwicklung aufgeworfen. Schweizerin, die Bastos gewinnen konnte. Das ist ausgerechnet die Selbstregulie- Im Beirat seiner Quantum-Global-Gruppe sitzt rungsorganisation, die Quantum Global in der Schweiz beaufsichtigt

38 Zürcher Journalistenpreis 2018 Glencores Wunderwaffe

Erschienen am 6. November 2017 über Jahre massiv bestochen, 22 Millionen nach Israel. «Diese super-luxuriöse Kreuzfahrt Dollar seien geflossen. war für mich ein surreales Erlebnis. Ich, der Der Schweizer Rohstoffriese liess einen umstrittenen In einer «Darstellung der Tatsachen», kleine Kongolese aus Pweto, ich schaute auf Geschäftsmann, der in einen Bestechungsskandal die Teil des Geständnisses ist, wird minutiös diese Welt mit grossen, erstaunten Augen.» verwickelt ist, mit dem Kongo verhandeln. Am ausgeführt, dass dieser Israeli sogar Anwälte Auf dem Spitalfoto neben Gertler hat er einen Schluss entgingen einem der ärmsten Länder und Richter im Kongo bestochen habe, um Katalog mit Luxusautos vor sich geöffnet. der Welt Hunderte von Millionen Dollar. Glencore ein Urteil zu seinen Gunsten zu erhalten. profitierte. Experten sehen Korruptionsrisiken. «Ich stehe hier grad beim führenden Ein «Desaster» für den Kongo Anwalt. Er will 500 für alle Beamten und 600 Die Beziehung des Geschäftsmannes zu Von Oliver Zihlmann und Petra Blum für drei Anwälte der Verteidigung», soll ein Politiker Katumba bringt nun die Chefetage Gehilfe am 4. Juni 2008 per SMS an den Israeli des Schweizer Rohstoffriesen Glencore in Das Foto zeigt einen afrikanischen Spitzenpoli- geschrieben haben. Geld solle auch an Erklärungsnot. tiker im Krankenhemd. Er sitzt in einem Katumba Mwanke gehen. Darauf habe der Die Schweizer kamen bereits ab 2007 mit Spitalsessel, hilflos wie eine Marionette. Schläuche israelische Geschäftsmann geantwortet, Gertler ins Geschäft. Der war schon damals winden sich in seine Venen, die Nase und seine Gegner sollen, so wörtlich, «fertiggemacht kein unbeschriebenes Blatt. In einem UNO- an die Gurgel. und total erledigt werden». Report aus dem Jahr 2001 zur «illegalen Das Bild ist ein wichtiges Puzzleteil in einem Das Dokument nennt den Namen dieses Ausbeutung der Ressourcen des Kongo» nannte weltumspannenden Korruptionsskandal. Geschäftsmannes nicht, dafür erwähnt es Generalsekretär Kofi Annan die Deals mit Dank den Paradise Papers erreicht er jetzt die eine Firma, die er kontrolliert. Diese gehört dem Gertlers Firmen einen «Albtraum» und ein Schweiz. Tausende Verträge, E-Mails und Familientrust des Israeli Dan Gertler, Gross- «Desaster» für den Kongo. Die Weltbank Dokumente aus dem Datenleck legen die Spuren investor in Afrika. Er ist der Mann, der Katumba und das kongolesische Parlament schlugen 2005 für diese Geschichte. Sie führen von den auf dem Foto fürsorglich die Hand hält. Er Alarm, als ein Konsortium um Gertler Minen Afrikas über Anwaltskanzleien auf den ist auch seit zehn Jahren ein entscheidender Minenlizenzen erhielt – in einem Geheimdeal, Bermudas zu einem Hotel in Kloten und Partner von Glencore im Kongo. ohne Ausschreibung und durch persönliche enden in Zug – dem Hauptsitz des Rohstoff- Gertler weist auf Anfrage jede Beschuldi- Kontakte. Dennoch unterschrieb der Präsident, riesen Glencore. gung vehement zurück, jemals bestochen oder Gertlers Freund, diesen Deal. Einer der Hauptdarsteller ist der Patient sonst wie illegal gehandelt zu haben. Er Gertler sagt, er habe beim UNO-Report auf dem Foto. Er heisst Katumba Mwanke. könne nicht bestätigen, dass er dieser Geschäfts- keine Stellungnahme abgeben können, Bis zu seinem Tod 2012 war er der zweitmäch- mann sei, dementieren will er es aber auch und die Londoner Börse habe die Geschäfte tigste Mann der Demokratischen Republik nicht. Eine ganze Reihe von Angaben zum um die Minenlizenzen umfangreich geprüft. Kongo, der Rohstoffkammer Afrikas. Er kon- Geschäftsmann im US-Dokument stimmen Glencore vergab Darlehen an Gertlers trollierte laut Experten einen der wenigen exakt mit jenen Gertlers überein. Firmen im Wert von Hunderten Millionen Reichtümer des armen Staates, die Lizenzen Unabhängig davon schreiben Gertlers Dollar. Die tauchen nun alle in den Paradise zur Bergung der immensen Bodenschätze. Anwälte, dieses Schuldeingeständnis sei keine Papers auf. Doch die Daten aus dem Leck Kupfer und Kobalt aus dem Kongo stecken verlässliche Quelle und kein Beweis gegen zeigen auch, dass dies bei weitem nicht die in Millionen Smartphones. Die Metalle ihren Mandanten, da dieser nicht daran beteiligt einzige Verbindung zwischen den beiden ist. gelten als Grundlage der kommenden Elektro- gewesen sei und sich nie dazu habe äussern mobil-Revolution. Die Abbaulizenzen sind können. Seine Anwälte versichern gar, dass sich Der Problemlöser Hunderte Millionen wert. Weil Katumba bei die US-Behörden dabei auf nachweislich Es ist über 28 Grad am Flughafen Zürich-Kloten ihrer Vergabe an den Schalthebeln sass, galt falsche Angaben gestützt hätten. Darauf ange- an diesem Montagmittag, 23. Juni 2008. er hinter dem Präsidenten als Nummer zwei. sprochen, schrieb ein Sprecher der obersten Vor den Drehtüren des Hilton Airport, einen «Zusammen herrschen sie im Kongo», US-Staatsanwaltschaft: «Das US-Justizminis- Steinwurf neben der Flughafenautobahn, schrieb der «Economist». Im Volksmund hiess terium bleibt bei seinen Aussagen.» Fakt ist: fahren die Taxis vor. Gegen 12.30 Uhr treffen er Dieu-le-Père – Gottvater. Doch laut Gertler ist weder angeklagt noch verurteilt. Für sich zehn Männer in einem Sitzungszimmer einem Verfahren in den USA hatte er ein dunk- ihn gilt die Unschuldsvermutung. des Hotels. Die Stimmung ist ernst. les Geheimnis. Der Geschäftsmann bestätigte jedoch Es tagt der Verwaltungsrat der Firma Katanga, Letztes Jahr bekannte sich die Tochterfirma seine «lang anhaltende Freundschaft» mit dem die zahlreiche Kupfer- und Kobaltminen im eines US-Hedgefonds in einem Deal mit Präsidenten des Kongo und auch mit Katumba, Kongo kontrolliert. Glencore wird die Firma der Staatsanwaltschaft schuldig der Korruption. die beide aber rein persönlich seien. Katumba im folgenden Jahr übernehmen. Im Moment Ein Richter musste die Vereinbarung ge- selbst schwärmte in seinen Memoiren von hält sie acht Prozent, hat aber bereits spezielle nehmigen. Darin steht unter anderem, dieser der «niemals endenden Grosszügigkeit» Gertlers, Kontrollrechte. Unter anderem bestimmen Katumba Mwanke habe Minen-Anteile im den er seinen «Zwillingsbruder» nennt. «Er die Schweizer in den kommenden Monaten Kongo an einen «israelischen Geschäftsmann» hat eine Jacht gemietet, eine riesige Jacht, super», den neuen CEO aus ihren Reihen. Für verschoben. Dieser Israeli habe den Politiker schreibt der Politiker über eine Einladung Glencore sitzt Aristotelis Mistakidis in der

Zürcher Journalistenpreis 2018 39 Eine Mine der Firma Katanga im Kongo Simon Dawson (Bloomberg/Getty Images)

Runde, ein langjähriger Weggefährte ihrer Aktionäre zu Hilfe zu rufen, der gute betont, er sei wegen seiner Erfahrung be- von Glencore-Chef Ivan Glasenberg. Beziehungen zur Staatsspitze hat: Dan Gertler. auftragt worden, und streitet jegliche illegale Die Sitzungsprotokolle des Katanga-Rates Die Männer geben dem Geschäftsmann Einflussnahme seinerseits ab. befinden sich fast vollständig in den Paradise nun ein schriftliches Mandat für direkte Ver- Konfrontiert mit den Recherchen, bestä- Papers. Nur dank ihnen ist nun bekannt, was handlungen mit «kongolesischen Behörden». tigt Glencore erstmals das Mandat an Gertler. die Männer jetzt besprechen. Gleich im «Der Verwaltungsrat wird sich um mögliche Heikel ist es wegen der Vergangenheit ersten Traktandum hört der Verwaltungsrat Interessenkonflikte Gertlers kümmern», Gertlers – und weil aufseiten des Kongo bei beunruhigende Neuigkeiten. Der Kongo heisst es noch im Protokoll. Glencores Gesandter diesen Verhandlungen Gertlers «Zwillings- sperrt sich in zentralen Punkten bei den Ver- Mistakidis unterstützt dieses Mandat. bruder» mitredete: Katumba Mwanke. Laut dem handlungen um die Minenlizenzen von Gertler schaltet sich in die Verhandlungen Geständnis im Hedgefonds-Fall aus den Katanga. ein, und im Handumdrehen knickt der Kongo USA hat der «israelische Geschäftsmann» in Seit Monaten herrscht Unruhe unter Investo- ein. Nach nur 17 Tagen sind die lästigen For- den drei Monaten vor dieser Verhandlung ren. Der kongolesische Staat hatte beschlos- derungen der Afrikaner vom Tisch. Schon in insgesamt 18,5 Millionen Dollar an Schmier- sen, alle Verträge mit privaten Minenunternehmen der nächsten Verwaltungsratssitzung am geldern überwiesen – alles an Katumba neu zu verhandeln, auch jene mit Katan- 10. Juli 2008 überschlagen sich alle mit Lob Mwanke. ga. Glencore hatte bereits über 150 Millionen für den Geschäftsmann. «Zu jener Zeit brauchte jede grössere in die Mine investiert. Sollten diese Ver- «Dan Gertler hat sein Mandat sehr gut Entscheidung zu Minenverträgen das Einver- handlungen scheitern, stünde das ganze In- erfüllt, die Treffen der letzten zwei Tage waren ständnis von Katumba», sagt Elisabeth vestment auf dem Spiel. extrem produktiv», heisst es. Das Ergebnis Caesens. Sie ist Kongo-Spezialistin der NGO Die Verwaltungsräte sind sich sofort einig, sei ein «sehr positives Resultat». Der Verwaltungs- Carter Center und veröffentlichte vor dass die Forderungen des Kongo «absolut rat «drückt seine Dankbarkeit» aus an wenigen Tagen den ersten Teil ihres Buches unannehmbar» seien. Sie beschliessen, einen «Dan Gertler, dass er das geschafft hat». Gertler über die staatliche kongolesische Minenge-

40 Zürcher Journalistenpreis 2018 sellschaft Gécamines, mit der Gertler damals 45 Millionen Dollar für eine Beteiligung an Knapp drei Monate später, nach mehreren verhandelte. «Katumba hatte mehr Macht Katanga. Dank dem Darlehen erhielt Dan Interventionen Gertlers, vermerken die über Gécamines als der Minister, der für den Gertler später Katanga-Aktien. Damit konnte Katanga-Protokolle lapidar, die meisten Punk- Staatsbetrieb zuständig war.» er sich als Einziger neben Glencore eine te mit dem Kongo seien nun «gelöst». Glen- Im Glencore-Verhaltenskodex steht: «Jeder grössere Beteiligung an Katanga sichern – und core und Gertler sagen, das Darlehen beruhe Umgang mit öffentlichen Bediensteten vom Preisabschlag auf die Lizenzen profitieren. auf marktüblichen Bedingungen. Im Juli muss transparent sein, und wir müssen uns 2009 unterschrieb der Kongo die Verträge. vor Umständen schützen, in denen schon Bereits 2007 «Red Flags» Besteht die Gefahr für Glencore, wegen nur der Eindruck entsteht, dass ein öffentlicher In den Dokumenten zu diesem Darlehen, das Gertler in einen Korruptionsfall verwickelt Angestellter dazu verleitet werden könnte, über die Bermudas abgewickelt wurde, steht zu werden? Klar ist: Schweizer Unternehmen seine Arbeit nicht korrekt zu verrichten.» jedoch eine Klausel: Die 45 Millionen Dollar, müssen aufpassen, wen sie für ihre Geschäfte die Gertlers Firma ihren Anteil an Katanga einspannen. Die nächste Krise sichern, darf Glencore sofort zurückverlangen, «Nach Schweizer Recht macht sich strafbar, Wenige Monate nach der Intervention Gertlers sollten die Verhandlungen um die Verträge wer jemandem für eine Bestechung Vermö- zeigte sich, dass die Euphorie der Katanga- mit dem Kongo nicht «innerhalb von drei Mo- genswerte zur Verfügung stellt – selbst wenn Führungsspitze verfrüht war. Inzwischen hatte naten abgeschlossen sein». er keinen direkten Auftrag dafür gibt», sagt ein langjähriger Finanzdirektor von Glen- core als neuer CEO übernommen. An der Sit- zung vom 13. Oktober musste er seinen Ver- waltungsräten bereits von der nächsten Krise in den Verhandlungen mit dem Kongo berichten. Die Afrikaner forderten 585 Millionen Dollar für den Zugang zu Katangas Lizenzen. Die Sitzungsteilnehmer sind sich sofort einig, dass man das nicht bezahlen wolle. Ihr Beschluss: Der neu installierte CEO soll zusammen mit Glencores Aristotelis Mistakidis und zwei anderen sofort «eine Diskussion mit Dan Gertler starten». Erneut soll der Freund des Präsidenten einschreiten – unter anderem, weil der Preis zu hoch war. Am Schluss der Verhandlungen kosteten die Lizenzen statt der vom Kongo ge- forderten 585 noch 140 Millionen Dollar. Glencore und Gertler sagen, Katanga habe nach der Forderung lediglich auf einer Berech- nungsweise bestanden, die schon Monate vorher vereinbart wurde. Minen-Expertin Caesens sagt hingegen, dass Katanga und Glencore hier einen immen- sen Rabatt erhielten: «Katanga bezahlte für ihre Lizenzen pro Tonne viermal weniger, als praktisch alle anderen Investoren im Kupfer- sektor damals als Preis akzeptierten.» Der Kongo verzichtete auf Hunderte Millionen Dollar – eine Ersparnis, die später zu grossen Teilen Glencore zugute kam. Weder die kongolesi- sche Regierung noch die staatliche Minengesell- schaft reagierten auf die Frage, warum diese Lizenzen, die für das Volk überlebenswichtig sind, plötzlich so billig waren. Nur Wochen nachdem der Preis gedrückt war, lieh Glencore einer Firma von Gertler Niemals endende Grosszügigkeit: Dan Gertler (l.) mit Katumba Mwanke. Facebook

Zürcher Journalistenpreis 2018 41 David Zollinger, ehemaliger Staatsanwalt und Kongo hat verloren. In dem Land, das bei Experte für Wirtschaftsstrafrecht. «Für eine den Lizenzen auf Geld verzichtete, herrscht Verurteilung kann es bereits ausreichen, wenn «eine der schlimmsten Unterernährungen eine Firma davon ausgehen musste, dass ihr auf der ganzen Welt und die sechsthöchste Geld voraussichtlich für Korruptionszahlungen Kindersterblichkeit», schreiben Thiam und missbraucht werden könnte.» Co. Die Frage ist also, ob Glencore ein Korrup- Noch heute hat die Misswirtschaft tionsrisiko missachtet hat. Der Konzern verheerende Auswirkungen. Am 23. Juni 2017 äussert sich auf Anfrage dazu nicht. Strafrechts- schlug die Spitze der katholischen Kirche professor Mark Pieth hat das Geschäft von des Kongo Alarm. Innert neun Monaten wur- Glencore mit Gertler studiert. Sein Verdikt ist den 31 Kirchenspitäler geplündert, 141 katho- eindeutig: «Bereits 2007 gab es ‹Red Flags›, lische Schulen zerstört, 60 Kirchen geschändet. die es jedem Schweizer Unternehmen unmög- Man habe 30 Massengräber gefunden, 3380 lich machten, mit Dan Gertler eine Ge- Opfer fielen Massakern zum Opfer. schäftsbeziehung einzugehen.» Der Kongo sei Doch die Bischöfe und Erzbischöfe liessen an sich schon ein Hochrisikogebiet. Komme es nicht bei Klagen bewenden. In einem ein Partner mit einer solchen Vergangenheit dramatischen Appell schreiben sie erstmals hinzu, der auch noch staatliche Lizenzen klar, wo die Ursachen der Gewaltexzesse erhielt, sei das Korruptionsrisiko schlicht viel liegen. Es gebe eine massive Wirtschaftskrise, zu hoch. «Ich sehe nur zwei Möglichkeiten», die «Explosion der Jugendarbeitslosigkeit» sagt Pieth, «entweder hat Glencore keine pro- treibe die Jugendlichen schliesslich in die Arme fessionelle Prüfung von Dan Gertler gemacht, der brutalen Milizen. Und diese Wirtschafts- oder sie wussten sehr genau, dass es ein Kor- krise, so die Bischöfe, habe eine Ursache: ruptionsrisiko gab, und haben es bewusst Korruption. «Eine Gruppe unserer Landsleute in Kauf genommen.» missbraucht ganz offensichtlich ihre Macht», Zu einem ähnlichen Schluss kamen auch steht im Appell der Kirche. «Sie streicht sich die Staatsanwälte im Fall des US-Hedgefonds. selbst enorme Gewinne ein – auf Kosten Der habe genau gewusst, dass der «israelische des Wohlergehens aller anderen.» Geschäftsmann» auf zahlreichen Warnlisten für Im Februar dieses Jahres, nach dem US- Investoren stand. In ihrem Geständnis zitiert Schuldeingeständnis, verkündete Glencore, der Hedgefonds einen seiner Mitarbeiter, der dass sie Gertler aus ihren Minen in Afrika aus- in einer Mail über den Israeli schrieb: «Er ist kaufen – auch seine Beteiligung an Katanga. wohl das Vorbild für den Film ‹Blutdiamant›.» Der israelische Geschäftsmann erhielt noch einmal Geld von den Schweizern. Insgesamt Gewaltexzesse im Kongo 534 Millionen Dollar. Glencore hielt ihre Partnerschaft mit Gertler über zehn Jahre aufrecht. Im Mai 2013 rechne- te der spätere CEO der Credit Suisse, Tidjane Thiam, zusammen mit Kofi Annan und ande- ren Wirtschaftsführern in einer detaillierten Studie vor, wie der Kongo allein in fünf Deals mit Offshorefirmen, die in Verbindung standen mit Dan Gertler, 1,3 Milliarden Dollar verlor. Gertler bestreitet dies vehement und sagt, seine Firma sei dazu nicht angehört wor- den. Die Experten schrieben, der Verlust des Kongo sei «fast doppelt so viel wie das gesamte Budget für Gesundheit und Erziehung des Kongo im Jahr 2012». Gertler ist heute laut «Forbes» Milliardär. Auch Glencore-Spitzenmanager wie Aristo- telis Mistakidis oder Ivan Glasenberg sind laut Presseberichten Milliardäre. Sie alle haben im Geschäft mit den Rohstoffen gewonnen. Der

42 Zürcher Journalistenpreis 2018 Steuertricks mit Haken

Erschienen am 7. November 2017 deren Spin-off Estera. Die «Süddeutsche Zeitung» sive Steuervermeiderin kritisierte Google- teilte die Daten mit dem International Mutterfirma Alphabet meldet in diesem Jahr Kaum einer umdribbelt die Steuergesetze so Consortium of Investigative Journalists, nun mehr (19,2 Prozent). geschickt wie der US-Konzern Nike. Und das haben 382 Journalisten weltweit die Infor- In der Schweiz liefert der weltgrösste ganz legal. Nike Schweiz zahlte dem Staat mationen ausgewertet. Sportartikelhersteller kaum Gewinnsteuern jüngst nur 360 000 Franken. Acht Schritte vom Nikes Präsenz auf Bermuda bedeutet aber ab. Die Nike Schweiz GmbH erzielt 2015 Schuhladen zur Steueroase – in Turnschuhen. nicht, dass der Konzern auf der 60 000-Ein- laut Steuerausweis einen Reingewinn von 1,3 wohner-Insel Turnschuhe designen oder nähen Millionen Franken. Das ergibt laut Online- Von Mario Stäuble liesse. In Hamilton gilt ein Gewinnsteuersatz Steuerrechner eine Steuersumme von 360 000 von null Prozent, und die Gesellschaften sind Franken. Dabei verkauft Nike nach Schätzun- Mitten im Atlantik, auf den Bermudainseln, undurchsichtige, ineinander verschachtelte gen von zwei Branchenexperten hierzulande rund 1000 Kilometer von der US-Ostküste Briefkastenfirmen, mit deren Hilfe der Multi Produkte für mehr als 100 Millionen – und entfernt, lagert ein moderner Milliardenschatz. ab 2006 bis 2014 Hunderte Millionen an arbeitet mutmasslich hochprofitabel. Rechnet Im Zentrum des Hauptorts Hamilton, in Steuern vermeidet. man mit der Marge, die Nike 2015 global er- einem verglasten Kubus an der Victoria Street, Nike ist ein Sportkonzern wie kein anderer. reichte, müsste der Konzern bei 100 Millionen hat der erfolgreichste Sportkonzern der Im Mai 2017 meldet das Unternehmen Umsatz im Schweizer Markt 14,3 Millionen Welt einen grossen Teil seiner Marken parkieren Umsatzrekord, das siebte Jahr in Folge. Die Gewinn vor Steuern verbucht haben. lassen: das berühmte Haken-Logo, den Verkäufe von Sneakers, Shirts und Shorts Was passiert hier? Swoosh. Das Air-Jordan-Symbol. Selbst Roger erreichen 34 Milliarden Dollar. Das entspricht Die Antwort auf diese Frage verbirgt sich Federers Initialen «RF». etwa der Wirtschaftsleistung Boliviens. in einem Firmennetz in der Schweiz, Holland, Der Schatz gehört Nike, und bis ins Jahr Gleichzeitig passiert Verblüffendes: Wäh- den USA und auf Bermuda, in dem sich nur 2014 heisst einer seiner Hüter Jerome Wilson. rend Umsätze und Gewinne steigen, sinkt Spezialisten wie Jerome Wilson zurechtfinden. Der Anwalt kümmert sich mit seinen die Steuerquote. 2005/2006 liefert Nike 35 Der «Tages-Anzeiger» hat in den Paradise Kollegen der Anwaltskanzlei Appleby um nicht Prozent des globalen Gewinns an Steuer- Papers recherchiert, Dokumente analysiert und weniger als zwölf Nike-Offshorefirmen. behörden auf der ganzen Welt ab, 2016/2017 ein Dutzend Interviews mit Schuhhändlern Einige sind nach berühmten Sneakers benannt: sind es noch 13,2 Prozent. Damit unterbietet und Steuerspezialisten geführt, um das Nike- Air Max Ltd. Nike Cortez. Nike Huarache. der US-Konzern grosse Schweizer Konsum- Steuergewirr aufzuknoten. Das System Nike Das geht aus den Paradise Papers hervor, dem güterhersteller wie Nestlé (35,2 Prozent) erweist sich als Schulbeispiel dafür, wie aggres- Datenleck der Kanzlei Appleby Global sowie oder Swatch (23,7 Prozent). Selbst die als aggres- siv manche Multis Lücken im internationalen

Der Gewinn, den Nike mit dem Verkauf eines Dualtone Racer in Zürich erzielt, wird nur zum Bruchteil in der Schweiz versteuert. Raisa Durandi

Zürcher Journalistenpreis 2018 43 Steuerrecht ausnutzen. Und wie sie dafür lob- Der Reporter kauft im Pomp It Up ein glauben, Nike verkaufe von hier aus seine byieren, dass diese nicht gestopft werden. Paar schwarz-graue Dualtone Racer. Macht 115 Produkte. Kamen die Dualtone Racer aus Wer das System verstehen will, muss vorne Franken. Die Frage ist: Was passiert mit dem Rümlang? Floss der Gewinn hierher? beginnen: in einem Schuhladen. Zum Beispiel Profit, den Nike mit diesen Schuhen macht? Kaum. Ein Brancheninsider zeigt dem «Ta- in der Zürcher Altstadt. ges-Anzeiger» Nike-Verkaufspapiere: Schwei- Schritt 2 Rümlang, Schweiz zer Schuhverkäufer bestellen in Rümlang, aber Schritt 1 Zürich, Schweiz An einem Montagmorgen im August donnern der Vertrag wird mit Nike Holland geschlos- Im Pomp It Up an der Oberdorfstrasse liebt Jets vom Zürcher Flughafen über Rümlang sen, wo sich das Europa-Hauptquartier befindet. man die Klassiker. Adidas, verwurzelt im Fuss- hinweg, der Pendlerverkehr quält sich die Haupt- Bestellungen, Lieferprobleme, Umtausch, ball und im Hip-Hop. Asics, geliebt von strasse entlang. Zwischen einer McDonald’s- Rabatte – dafür ist Rümlang zuständig. Das Runnern und Quentin-Tarantino-Fans. Aber Filiale, einer Karosserie und einer Avia-Tank- Geld geht jedoch nach Holland. die meisten Kunden, die an einem Donners- stelle taucht ein dreistöckiger Quaderbau tagmittag im September den Sneakershop be- auf. Nichts deutet darauf hin, dass sich in diesem Schritt 3 Hilversum, Holland treten, steuern auf die Schuhe mit dem Gebäude das Schweizer Nike-Hauptquartier Die Gebäude sind nach Fussballer Eric Swoosh zu. Über 200 Nike-Modelle sind aus- befindet. Kein Banner eines jubelnden Roger Cantona und Stabhochspringer Sergei Bubka be- gestellt. Eine Kundin scannt die Auswahl, Federer, keine Plakate mit schwitzenden nannt, der Campus bietet den Angestellten Fuss- kauft dann zwei Paare, die für das ungeübte Sportlern in neonfarbenen Tenüs. Im Erdgeschoss ball-, Volleyball und Tennisplätze, eine Tartan- Auge identisch aussehen. Sie verbringt bietet ein Handwerkermarkt Winkelschleifer bahn und Fitnessunterricht. Wer es mit dem kaum fünf Minuten im Laden. und Kloschüsseln feil. Auf den Briefkästen fehlt Sport übertreibt, kann sich an den hauseigenen Manche Sneakerheads stellen ihre Schuhe der Name Nike. Physiotherapeuten wenden. Und wer Lauf- wie Kunst in Vitrinen; manche kaufen die Aber der Swoosh muss hier irgendwo schuhe braucht, kauft sie im internen Shop zu Jubiläumsversion des Air Max 97 in allen 15 sein, schliesslich ist die Nike (Schweiz) GmbH Vorzugskonditionen. In Hilversum, eine Farben, die Nike im August 2017 neu an dieser Adresse registriert. halbe Autostunde von Amsterdam entfernt, lancierte. Wie kein anderes Sportunternehmen Man findet ihn, wenn man genauer hin- hat Nike sein europäisches Hauptquartier hat es Nike geschafft, aus Kunden Fans zu schaut. Fünf Parkplätze sind mit einem aufgebaut. 2500 Angestellte arbeiten hier. Und machen. signalgelben Nike-Haken markiert. Und wer hier werden die Umsätze aus ganz Europa das Gebäude betritt, stösst im zweiten Ge- gebucht. Auch die aus der Schweiz. schoss auf eine Milchglastür, auf die ein Poster Hiesige Schuhhändler geschäften mit in Regenbogenfarben geklebt ist. Da liest man: der Nike European Operations Netherlands Minime Gewinne B.V. Kunden, die Sneakers im Schweizer WE WELCOME ALL RACES; Nike-Onlineshop bestellen, stossen im Klein- Was Schweizer Ableger von US-Multis ALL RELIGIONS; gedruckten auf die Nike Retail B.V. Hilver- deklarieren ALL COUNTRIES; sum. (Das Paket selbst kommt aus Belgien, die ALL ORIENTATIONS; Kreditkarte wird über eine Gesellschaft in Nike ist nicht der einzige US-Multi, dessen ALL GENDERS; Irland belastet.) Und wer einen Schuh in einem Schweizer Ableger im Vergleich zum Ge- ALL ATHLETES. Nike-Outlet-Store kauft, sieht auf dem Kas- schäftsvolumen minime Steuerbeträge bezahlt. WE STAND WITH YOU. senzettel die Zeile: «Nike Retail B.V. Hilversum». Apple, das wertvollste Unternehmen der Welt, BE TRUE. Dreimal Holland. unterhält in der Schweiz zwei Gesellschaften. Warum ist die Verbindung so wichtig? Die Apple Retail Switzerland GmbH meldete Hinter dieser Tür befindet sich der Ein Grundsatz im Steuerrecht lautet, dass dem Steueramt 2014 einen Reingewinn von 1 Schweizer Nike-Showroom. Hierhin kommen ein Unternehmen seinen Gewinn dort 679 800 Franken; Apple Switzerland AG gab Händler, um die jüngsten Hypervenom- versteuern soll, wo es Kapital investiert, wo es 2014 einen Gewinn von 8 099 700 Franken Fussballschuhe oder die neue Hyperwarm-Funk- Risiken eingeht, wo die Angestellten arbeiten. an. Dies bei einem Schweizer Umsatz, den Ex- tionswäsche zu begutachten, wie zwei Sport- Also dort, wo sich seine Substanz befindet. perten auf über eine Milliarde Franken schät- fachhändler dem «Tages-Anzeiger» erzählen. Der Nike-Aufbau – schmaler Ableger in der zen. Apples «Double Irish», ein Steuersparkon- Sie wollen anonym bleiben, weil sie mit Schweiz, das Geschäft ferngesteuert aus strukt in Irland, ist inzwischen berühmt. Die Nike in geschäftlichen Kontakten stehen. Auf Holland – ermöglicht es, zu argumentieren: EU will Irland nun gerichtlich zwingen, von der Jobplattform Linkedin präsentieren Die Gewinne, die mit Schweizer Verkäufen Apple bis zu 13 Milliarden Euro Steuern nach- sich Zürcher Nike-Angestellte als «Key Account gemacht werden, fallen nicht in der Schweiz zufordern. Die Tesla Motors Switzerland Manager» oder «Category Sales Rep Running an. Sondern in Hilversum. Und dort sind GmbH, die Schweizer Tochter des Elektroau- & Tennis». Zwei Dutzend Profile finden sich sie auch zu besteuern. Nach Rümlang fliesst to-Herstellers, deklarierte 2014 einen Reinge- auf Linkedin. Der Zweck der Nike (Schweiz) nur eine verhältnismässig kleine Entschädi- winn von 224 100 Franken. (ms) ms / Stäuble GmbH lautet: «Handel und Vertrieb von Sport- gung für die «Hilfe» beim Verkauf. So funktio- Mario und Freizeitartikeln». Man könnte fast niert das Nike-System in ganz Europa.

44 Zürcher Journalistenpreis 2018 Nike ist nicht der einzige US-Konzern, Gebilde auf. Eine Firma sticht besonders Nike sind es 12,2 Milliarden Dollar. Das Reser- der einen solchen holländischen «Gewinn- ins Auge: die Nike Innovate C.V. Darin lagert voir begann sich just in dem Jahr zu füllen, staubsauger» aufgebaut hat. Auch Cisco oder Nike neu seine Marken ein, es sind mindestens als die ersten Lizenzgebühren nach Bermuda Tesla haben Holland für ihre europäischen 1500 Stück. Auch Roger Federers «RF»- flossen. Die Strategie scheint aufzugehen: Die Hauptquartiere auserkoren. Dieses «Prinzipal- Initialen werden nun in das holländische Vehikel Republikaner drängen auf eine Steuerrabatt- modell», wie es im Jargon genannt wird, geht transferiert. Aktion. Geplant ist, dass Multis Gewinne ein- für die meisten Steuerexperten in Ordnung: wo Die neue Steueroase liegt nicht im Atlantik, malig zu einem Satz von von fünf bis zwölf die Substanz, da die Steuerpflicht. Das sondern hinter den Deichen des Ijmeers. Prozent in die USA transferieren können. Problem liegt im Fall Nike in Holland: Dort gilt zwar eine eher hohe Steuer von 25 Schritt 5 Hilversum, Holland Schritt 6 Leiden, Holland Prozent auf dem Gewinn – aber die Regierung C.V. steht für Commanditaire Vennootschap, Es gibt nicht viele Spezialisten, welche die Ge- bietet US-Multis einige Kniffe an, wie sich Kommanditgesellschaft. Dieser Firmentyp schichte des C.V.-Vehikels erklären können der steuerbare Gewinn kleinrechnen lässt. existiert ähnlich auch in der Schweiz, wird aber und bereit sind, mit Journalisten zu sprechen. selten verwendet. Der Kniff, den Nike mit Jan Vleggeert ist eine Ausnahme. Der 56- Schritt 4 Hamilton, Bermuda der Nike Innovate C.V. anwendet, basiert auf Jährige arbeitete früher bei Pricewaterhouse- Und jetzt kommt der Markenschatz ins Spiel, einem Phänomen namens «hybrid mismatch»: Coopers als Steuerberater, heute ist er ausser- den Jerome Wilson und seine Kollegen auf Unternehmen nutzen aus, dass Behörden nicht ordentlicher Professor für internationales Steuer- Bermuda hüten. Er gehört einer Gesellschaft dasselbe sehen, wenn sie eine C.V. betrachten. recht an der Universität Leiden. namens Nike International Ltd. mit Sitz auf Holland sagt: Für Profite, die in die C.V. fliessen, «Holland hat historisch eine starke Steuer- der Insel – die Briefkastenfirma dient als Halterin sind die USA zuständig, weil die C.V. zwei industrie, ähnlich wie die Schweiz», sagt der Nike-Marken, mit Ausnahme des Gebiets US-Firmen gehört. In den USA kann das Un- Vleggeert am Telefon. Auch in der Schweiz der USA. Das belegt die Datenbank der World ternehmen selbst entscheiden, wo die C.V. sind viele Prinzipalgesellschaften angesiedelt, Intellectual Property Organization. Steuern zahlen soll – worauf dann die Experten es gibt auch Schweizer «Gewinnstaubsauger». 2005 schliesst Nike International Ltd des Konzerns Holland auswählen. Ergebnis: Und da ist noch eine Parallele: Hier wie mit Nike Holland einen Lizenzvertrag: Nike Beide Behörden tun nichts, die C.V.-Gelder dort kommen Spezialregimes immer stärker Holland bezahlt die Bermuda-Firma für das bleiben steuerfrei, solange sie nicht in die unter Druck. Während die Schweiz als Recht, Produkte zu verkaufen, auf denen ein USA fliessen. Im Klartext: Nike erhält einen Antwort die – inzwischen gescheiterte – Un- Nike-Logo prangt. Aus US-Gerichtspapieren Steueraufschub. ternehmenssteuerreform III lancierte, begann geht hervor, dass Nike Holland auf diese Weise Seit 2014 pumpt Nike Millionen in die ein Tauziehen zwischen der EU und Holland alleine von 2010 bis 2012 3,85 Milliarden Innovate C.V. Aus öffentlichen Jahresabschlüssen um den C.V.-Kniff. Die Handelskammer, Dollar an Lizenzgebühren aus Holland nach lässt sich herauslesen, dass die holländische in deren Steuerausschuss Nikes Steuerdirektor Bermuda fliessen lässt. Um diesen Betrag Nike-Europa-Holding alleine im Jahr 2016 1017 für Westeuropa sitzt, lobbyierte bei der schrumpft der Gewinn in Holland – und damit Millionen Euro an Lizenzgebühren zahlt. Regierung für den Beibehalt des Konstrukts. die dortige Steuerrechnung. Die Vermutung: Ein grosser Teil davon ist in Aber der Druck auf Holland lässt nicht Was das bewirkt, zeigt ein Rechenbeispiel: Nike Innovate C.V. geflossen. Auf Anfrage nach. «Ich lehne die C.V.-Strukturen ab», sagt Angenommen, Nike Holland hat den Dualtone nimmt Nike dazu keine Stellung. Jan Vleggeert. «Sie führen zu doppelter Racer aus dem Niederdorf für 50 Franken an Wie beliebt der Trick mit der C.V. bei US- Nichtbesteuerung. Das ist die aggressivste Form Pomp It Up verkauft. Nach Abzug der Kosten Konzernen ist, zeigt ein Papier der amerika- der Steuerplanung.» Dazu komme, dass bleiben 10 Franken Gewinn, die in Holland nisch-niederländischen Handelskammer, das Multis gegenüber KMU bevorzugt würden. anfallen. Darauf zahlt Nike Steuern von 25 Prozent an den holländischen «Correspondent» Für einen Konzern wie Nike sei es kein – also 2.50 Franken. Wenn nun vom Gewinn gelangte: Mindestens 80 Prozent aller US-Invest- Problem, Marken in eine Spezialstruktur zu 3 Franken als Lizenzgebühren nach Bermuda ments in Holland laufen über ein solches verschieben. «Der Laden an der Ecke kann fliessen, schrumpft der Gewinn auf 7 Franken Vehikel. sich das niemals leisten.» – und der Steuerbetrag auf 1.75 Franken. Das hat einen tieferen Grund. In den Die Folgen dieses «hybrid mismatch» Steuerkonstrukte sind nicht für die USA gilt für Multis eine Gewinnsteuer von 35 treffen zuerst die US-Zivilgesellschaft. Laut Ewigkeit gebaut. Regeln ändern sich ständig, Prozent – kaum ein anderes westliches Land einer aktuellen Studie unter der Führung Schlupflöcher verschwinden, neue gehen fordert so viel. Republikanische Politiker haben der amerikanischen Citizens for Tax Justice auf, und die Unternehmen mutieren mit. Auch nun einen Plan lanciert, um die Steuern entgehen dem US-Fiskus jährlich rund Nike. Im Frühling 2014 heisst es für Anwalt drastisch zu senken. Noch ist es nicht so weit, 100 Milliarden Dollar durch Offshore-Steuer- Jerome Wilson und seine Kollegen bei Apple- und um der Steuerpflicht auszuweichen, vermeidung von Multis. «Jeder vermiedene by: Umbauen! Nike plant, seine Marken nach halten US-Konzerne Milliarden im Ausland Dollar muss durch höhere Steuern für Ameri- Europa zu zügeln. In Bermuda verschwinden zurück. Solange sie die Gelder nicht zurück- kaner, Abstriche bei Regierungsprogrammen zehn der zwölf Briefkastenfirmen, nur zwei führen, bleiben sie unbesteuert. Apple speichert oder durch höhere Schulden ausgeglichen werden», bleiben übrig. In Holland tauchen elf neue unvorstellbare 246 Milliarden Dollar; bei schreiben die Autoren.

Zürcher Journalistenpreis 2018 45 Aber für Jan Vleggeert sind nicht nur Schritt vorwärts. «Aber ich unterliege nicht Genau um diesen Punkt wird sich die US-Bürger betroffen: «Wir spüren den Effekt der Illusion, dass die Initiative aggressive nächste grosse Debatte drehen. Im September auch in Europa.» US-Konzerne hätten wegen Steuervermeidung von Multis vollständig 2017 haben die EU-Finanzminister an einem des C.V.-Tricks einen zusätzlichen Anreiz, beendet.» Treffen in Estlands Hauptstadt Tallinn eine ihre europäischen Gewinne in einem Land zu Nike selbst antwortet nicht auf die Frage, Initiative zum Umbau der Besteuerung der konzentrieren, wo sich eine doppelte Nicht- weshalb der Konzern seine Brands in «Digital Economy» lanciert. Eine der Ideen: besteuerung erzielen lasse. Dadurch schrump- Steuervermeidungskonstrukte verschoben hat. Umsatz statt Gewinn besteuern. «Wir sind der fen Gewinne und Steuererträge in anderen Ein Sprecher schickt ein allgemeines State- Meinung, dass auch im digitalen Sektor die Ländern – auch in der Schweiz. «Genau deswe- ment: «Nike hält sich vollumfänglich an die geschuldeten Steuern zu bezahlen sind, sei es gen gibt es Beps», sagt Vleggeert. Steuergesetze. Wir stellen rigoros sicher, dass on- oder offline», sagte EU-Kommissions- Beps – bitte was? unsere Steuerdeklarationen mit der Realität präsident Jean-Claude Juncker. Ein Plan soll unseres Geschäfts übereinstimmen sowie nächstes Jahr vorliegen. Wer darüber mit Schritt 7 Davos, Schweiz mit den Investments, die wir tätigen, und mit Spezialisten spricht, hört vor allem Fragen: Kün- Erfinder des Kürzels ist der französische den Stellen, die wir schaffen.» digt sich eine Steuerrevolution an? Was genau OECD-Steuerfunktionär Pascal Saint-Amans, Das holländische Finanzministerium schreibt ist die «Digital Economy»? Und: Gehört ein er hat das Kürzel an einer Sitzung 2012 in die auf Anfrage, man könne sich zu einzelnen Sportkonzern wie Nike dazu? Runde gerufen. Es steht für «Base Erosion and Steuerzahlern nicht äussern. Morand ist eher der analoge Typ. Seine Profit Shifting» und umschreibt einen gigan- Verkäuferinnen und Verkäufer schreiben Kassen- tischen Umbauplan, den G-20 und OECD Schritt 8 Lausanne, Schweiz zettel von Hand, er ist stolz darauf, in lancierten, um aggressive Steuervermeidung Den Schweizer, der den Mythos Nike wie kein seinem Geschäft keinen Informatiker zu beschäf- von Multis zu stoppen. Die Schweiz ist mit an anderer kennt, trifft man am besten in tigen. Auf der Schachtel der gekauften Dual- Bord – und krempelt nun ihr Steuerrecht seinem Shop in Lausanne-Flon: Guillaume tone Racers klebt kein Pomp-It-Up-Strichcode nach Beps-Regeln um. Einer der 15 Aktionspläne «Toto» Morand (54), Glatze, raues Lachen, – die Shopmitarbeiter führen die Verkaufs- richtet sich ausdrücklich gegen «hybrid ausgelatschte Nike Mayfly Wovens. Ihm gehört statistik à la main. «Ich schaue ins Lager, wenn mismatches», also auch gegen Nikes C.V.-Trick. die Pomp-It-Up-Kette, in dessen Filiale der ich ein Gefühl dafür bekommen will, was Wie viel Schub europäische Regierungen «Tages-Anzeiger» die Dualtone Racer kaufte. läuft», sagt Morand. Als der «Tages-Anzeiger» dem Thema gaben, zeigte das WEF 2013 in Davos. Morand war der Erste, der Nike in der Schweiz ihm Nikes Steuerstrategie erläutert, grinst er. Der britische Premier David Cameron sagte als Lifestyleprodukt vermarktete. 1992 begann «Écoute, das überrascht mich nicht. Sie pressen damals am Rednerpult: «Businesses (...) need er damit. die Zitrone aus.» to wake up and smell the coffee.» Cameron Elf Läden betreibt er heute. Nike ist sein spielte auf Starbucks an: Die Kaffeekette ge- wichtigster Lieferant, sein eigener Erfolg ist Mitarbeit: Simon Bowers, Karlijn Kuijpers hörte zu den ersten Multis, gegen welche die mit jenem des Swoosh verwoben, an einem EU-Kommission wegen «illegaler Staatshilfen» guten Tag verkauft er pro Shop 50 Paare. ermittelte. Das heisst: Die EU will Holland Trotzdem sagt er: «Ich habe keine gute Bezie- zwingen, von Starbucks wegen unfairer Steuer- hung zu Nike.» vorteile 20 bis 30 Millionen Euro Steuern Früher habe er eng mit den Schweizer nachzufordern. Camerons Satz war eine Dro- Nike-Vertretern zusammengearbeitet. Heute hung: Wer nicht mitspielt, zahlt. habe er keinen Ansprechpartner mehr, die Steht Nike nun ein Streit wie Starbucks Mitarbeiter wechselten ständig. Seine Besuche bevor? In einem Aufsatz von 2016 schreibt im Showroom würden seltener, kürzlich sass Jan Vleggeert, er sehe in manchen Fällen Morand an seinem Rechner, um erstmals eine des C.V.-Tricks eine illegale Staatshilfe. «Die ganze Kollektion über die interne Service- Nike-Struktur ist der Starbucks-Struktur nicht plattform Nike.net zu bestellen. «Nike will in unähnlich», sagt er. Der Professor vermutet Zukunft die Marge des Detailhandels. Sie aber, dass Nike von Ermittlungen verschont brauchen uns nur noch als Showrooms. Kunden bleiben könnte: Im Februar 2017 haben die sollen über den eigenen Onlineshop bestellen.» EU-Finanzminister beschlossen, den holländi- Man könnte sagen: Die Zalandoisierung von schen C.V.-Kniff zu unterbinden. Nike ist im Gang. Das Sneakerbusiness Voraussichtlich per 1. Januar 2020 wird digitalisiert sich. Holland das Schlupfloch stopfen, durch das Das wird Folgen für Nikes Steuerrech- Nike Milliarden fliessen lässt. nung haben, auch in der Schweiz. Wozu teure Bedeutet dies das Ende für Nikes Steuer- Zürcher Arbeitskräfte beschäftigen, wenn tricks? Vleggeert sagt, ein kreativer Steuerberater sich alles über das Netz aus Holland erledigen werde neue Wege finden. Beps sei ein lässt?

46 Zürcher Journalistenpreis 2018 Raisa Durandi

Beps und die Schweiz

Massive Umbauten am Steuersystem

Das Beps-Projekt («Base Erosion and Profit Konzerne mit einem Umsatz von über 750 Shifting») führt auch in der Schweiz zu massi- Millionen Euro künftig ihre Einnahmen den ven Umbauten am Steuersystem. Hinter Steuerbehörden pro Land angeben. Für dem Kürzel verbirgt sich ein 15-teiliger Aktions- Schweizer Konzerne läuft dieses «countryby- plan der Organisation für wirtschaftliche country-reporting» voraussichtlich ab Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Steuerjahr 2018, es gilt eine Untergrenze von publiziert im Oktober 2015. Ziel ist es, zu 900 Millionen Franken. Die Umsetzung verhindern, dass multinationale Unternehmen der neuen Standards ist noch in vollem Gang ihre Gewinne ganz oder teilweise der Be- – auch die Steuervorlage 17, die Nachfolge- steuerung entziehen. Konzerne sollen dort reform der gescheiterten Unternehmenssteuer- Steuern zahlen, wo sie tatsächlich aktiv reform III, enthält Beps-Elemente. sind und Gewinne erzielen. Das wichtigste (ms) ms / Stäuble Mario Werkzeug ist Transparenz. So müssen

Zürcher Journalistenpreis 2018 47

Der

Zürcher Journalistenpreis 2018

wird

William Stern

für seinen Artikel

Herr Lötscher hat Angst – der Kampf eines Luzerner Rentners gegen die Burka

erschienen auf watson am 20. Oktober 2017

verliehen.

Zürich, 15. Mai 2018

48 Zürcher Journalistenpreis 2018 Preisträger Laudatio

Laudatio für William Stern von Nina Jecker

William Stern

Seit Herbst 2014 beim Newsportal Watson. Zu Ich kenne Erwin Lötscher nicht. Hatte weder Dass mit «Herr Lötscher hat Angst» ein Text Beginn als Praktikant am Newsdesk, mittlerweile privat noch beruflich je Kontakt zu dem ausgezeichnet wird, der in einem Online- mit einer 50-Prozent-Anstellung als Reporter, 74-jährigen Luzerner. Und doch glaube ich, Medium erschienen ist, passt nicht nur gut zum nebenher als freischaffender Journalist und Kor- viel über ihn zu wissen. Dass er Mausefallen neu lancierten Newcomerpreis. Es freut rektor tätig. Vorher Praktikum beim Tachles- aufstellt und akribisch notiert, wann und wo mich auch persönlich sehr. Denn viel zu selten Wochenmagazin und Studium in Politologie und ein Mäuschen in eine getappt ist. Dass er bleibt Online-Journalisten die Zeit, um an Recht im Bachelor an der Universität Zürich. die Reste seiner Mahlzeiten aufhebt, um sie später einem Text noch ein wenig länger zu feilen. Nebenbei als Blogger für NZZ Campus gearbeitet. In wieder aufzuwärmen. Ich kenne das Muster Oder gute Artikel gehen unter im Infor- Männedorf aufgewachsen, seit zehn Jahren in des Tischtuchs in seiner Küche und die Todes- mationstsunami des Internets. Weil der Titel Zürich wohnhaft. ursache seiner Frau. Ich weiss, dass Erwin kein sexy Schlagwort enthält. Oder beim Lötscher sich handschriftlich notiert, was er am besten Willen kein Katzenvideo zum Thema Islam nicht mag. Auf seinem karierten Block. passt. In seinem Text «Herr Lötscher hat Angst» ge- Wer von Ihnen den heute ausgezeichneten lingt es Watson-Redaktor William Stern Text aus diesen oder anderen Gründen noch diese und viele weitere Puzzlesteine zu einem nicht angeklickt hat, sollte es nachholen. Portrait zusammenzusetzen. Einem Portrait, Und es lohnt sich, ihn nicht nur rasch am das dem Leser das Gefühl gibt, den Rentner, der Smartphone zu überfliegen, wie wir es so auf eigene Faust fast 10 000 Unterschriften oft tun, sondern sich damit gemütlich irgend- für die Burka-Initiative gesammelt hat, zu ken- wo hinzusetzen. Versprochen. Gopferdelli- nen – mehr noch, ihn fast ein bisschen zu cheibnomal. verstehen. Es wäre so einfach gewesen Erwin Lötscher als grantigen, alten Wutbürger in die Pfanne zu hauen. Den Mann, der Angst vor Burkas hat, obwohl er erst einmal in seinem Leben eine gesehen hat. Der das Fremde fürchtet, derweil in seinem Leben alles den gewohnten Trott geht. Aber der Journalist William Stern hat sich dazu entschieden, fair zu bleiben. Und es ist ihm gelungen. Mit einem messerscharfen und dennoch fast liebevollen Blick hat er un- zählige Details rund um Erwin Lötscher erfasst. Hat sich teilweise, auch über Zitate hinaus, dessen Sprache bedient – gopferdellicheibnomal. Das Resultat ist ein derart feines, lebendiges und unterhaltsames Portrait, wie man es nicht oft zu lesen bekommt.

Zürcher Journalistenpreis 2018 49 Herr Lötscher hat Angst – der Kampf eines Luzerner Rentners gegen die Burka

Erschienen am 20. Oktober 2017

Rentner Erwin Lötscher sieht sich selber als Winkelried im Kampf gegen ein Kleidungsstück, das die Schweiz zu spalten droht. Der 74-jährige Luzerner hat im Alleingang fast 10 000 Unterschrif- ten für die Burkaverbotsinitiative gesammelt. Besuch bei einem Wütenden.

Von William Stern

Heute waren die Fallen leer. Erwin Lötscher richtet sie jeden Tag, eine nahe beim Gartenbeet, wo Kartoffeln, Zuckerhut und Tomaten- stauden wachsen, eine beim Aufgang zum Vor- platz. 24. Juni: 1 Hausmaus, 2. Juli: 1 Spitz- maus, 13. Juli: 2 Schwarzmäuse, 3. August: 1 Feldmaus – akribisch notiert der 74-Jährige, wann und wo er die Mäuse gefangen hat. Erwin Lötscher ist vielleicht gerade der bekannteste Rentner der Schweiz. Er war im «Blick», wurde von «La Liberté» porträtiert, hatte einen Auftritt in einem SRF-Dokfilm und wurde in der SVP-Hauspostille «Schweizer- zeit» verewigt. Die Zahl, die seinen Ruhm begründete, kann er rückwärts im Schlaf aufsagen: 9638. So viele Unterschriften hatte Lötscher für die Burka-Initiative des Egerkinger Komitees gesammelt. Vom 5. April 2016 bis zum 10. September 2017 fuhr Lötscher mit seinem Erwin Lötscher vor seinem Haus. watson Toyota Yaris Hunderte Schneisen in die Zentralschweiz. Herzogenbuchsee bis Mett- geht's hoch zum Bleikiwald. Noch 300 Meter, Motocross-Treff in Grosswangen und auf menstetten auf der Ost-West-Achse, immer geradeaus, die Garage lassen Sie links dem Biomarkt in Zofingen. Er war an der gros- Schwarzenberg bis Reinach auf der Nord-Süd- liegen, dann sollten Sie mich sehen, ich stehe sen Badenfahrt und an der Pferdeschau in Achse. 3607 Kilometer. Ein Einzugsgebiet im Garten, die Harke in der Hand und Sempach, am Summermärit in Sumiswald und von knapp 800 000 Menschen. Zweimal die schaue den Autos nach, hinter mir eine grosse beim Ländlerabend in Trubschachen. Stadt Zürich. Schweizer Fahne, die einzige hier am Platz. Bei Wind und Regen, beim schlimmsten Lötscher machte unbewusst das, wovon Hier wohne ich, Erwin Lötscher. Herzlich Souwetter, und bei Bruthitze und sengender Städter, Journalisten, Architekten, Landschafts- willkommen im Schweizerdurchschnitt. Sonne schlich Lötscher durch Menschen- gestalter, Städteplaner, Zukunftsforscher, massen, tastete sich an Stammtische heran und liberale und linke Politiker in letzter Zeit so oft Munition gegen die Islamisierung hielt sich von Uniformierten fern – auf ehrfürchtig raunen: Er fuhr ins Land und Wahrscheinlich müssten die Politiker und öffentlichem Grund ist es ja so eine Sache mit sprach mit den Leuten. Einfach so. Politologen, die Geisteswissenschafter und dem Unterschriftensammeln. In der Hand Willisau LU. An der Tankstelle vorbei, im Historiker, die an der Seele des Schweizers immer den abgewetzten weissen Plastiksack grossen Kreisel die erste Ausfahrt rechts, in der jüngeren Vergangenheit regelmässig ver- («Schwarzenegger – Textilwäsche für die an der zweiten Kreuzung links; danach immer zweifeln, einfach mal zu Lötscher nach ganze Familie»), darin ein weiterer Plastiksack, links halten, sonst landen Sie in der Altstadt. Willisau fahren. Der pensionierte Gabelstap- darin Hunderte Unterschriften-Bögen, Rechts sollte jetzt die Apotheke auftauchen, lerfahrer ist ein lebendiges Umfrageinstitut. kiloweise Munition in der Abwehrschlacht gegen linkerhand die Kirche, süüferli das Steuerrad 20 000 Leute hat er in den letzten eineinhalb die angebliche Islamisierung der Schweiz. nach links halten, dann gleitig wieder rechts Jahren befragt. Lötscher war auf dem Chäs- 50 Prozent haben ihn zum Teufel gejagt, abbiegen, aber nicht allzu scharf, sonst mart in Hutten, im Sport-Rock Hergiswil, am sagt Lötscher, Linke und FDP-Leute, vor allem;

50 Zürcher Journalistenpreis 2018 das habe ihm dann schüli weh getan, die Schüüfeli mit Sauerkraut und Kartoffeln Funktionen für die Firma tätig war: Gabel- anderen 50 Prozent aber, die haben ihm «aus Punkt 6.30 Uhr klingelt der Wecker. Manchmal staplerfahrer, interner Pöstler, Knochensäger der Hand gefressen». Schelmisches Lächeln. wacht Lötscher aber auch früher auf. Heute – «Den Lötscher konnte man überall gebrau- Lötscher hat die Begegnungen mit den Menschen zum Beispiel, da träumte ihm, dass die Heizung chen.» Stolz schwingt mit in der Stimme des tief im Gedächtnis abgespeichert. Sie sind rinnt. Zwei Minuten vor halb sieben stand er alten Mannes. für den 74-Jährigen der letzte Beweis dafür, dass hellwach im Bett. Tatsächlich leckte die Heizung. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde er die Burka, «dieser eklige Stofffetzen», keinen Seltsam, diese innere Uhr. Dann geht’s zum ein zweites Mal arbeitslos. Seine Frau, ver- Platz hat in diesem Land. Kontrollgang rund ums Haus, im Briefkasten heiratet seit den 70er-Jahren, eine blonde Schön- Er erzählt von dem ägyptischen Ehepaar, liegen die Post und der «Blick». Frühstück, heit, toupiertes Haar, jahrelang im Service eingebürgert seit mehreren Jahrzehnten, das eine Dreiviertelstunde, dann Rasieren, Waschen, tätig, dem Alkohol nicht abgeneigt, starb im Arztpraxis in der Gegend führt und ihn sotigs Züg. Halb 11, manchmal kommt dann März 2016. Leberzirrhose. Teufelszeug. regelrecht «aufgefressen» hatte: im positiven ein Telefon, dann ist der ganze Zeitplan über Zuvor kümmerte sich der Pensionär während Sinn. «Die Burka, sagten sie mir, sei ein den Haufen geworfen. Jahren um seine Frau, nachdem sie mehrere Unterdrückungsobjekt, sie seien nicht aus Heute blieb das Telefon stumm, Lötscher Schlägli im Kleinhirn erlitten hatte. Lötscher Ägypten in die Schweiz gekommen, um stellte das Zmittag bereit, Resten von gestern, seufzt, joaa, so war das. hier die Islamisierung mitzuerleben. Rüdig es gibt Schüüfeli mit Sauerkraut und Kartoffeln. Jetzt poltert Lötscher mit der Faust auf den scharf waren die auf die Initiative.» Oder Während des Unterschriftensammelns hat Tisch. Das ausgebleichte Plastiktischtuch die Frau eines Maschineningenieurs, der in er manchmal vergessen, Zmittag zu essen. Acht mit den fahlpinken Rosenstauden verrutscht, den 80er-Jahren im Irak gearbeitet hat: Kilo weniger hat die Waage am Schluss ange- die Sehnenscheidenentzündung, die er sich «Eine blonde Frau, nicht mehr ganz jung, sie zeigt. beim Jäten holte, ist vergessen. Lötscher, unter- kam auf mich zu, und ich sagte zu mir: setzt, knapp 1,70 gross, vierschrötig, will jetzt Oh oh, Lötscher, die führt nichts Gutes im Zum 3. Mal arbeitslos laut werden. Man sieht ihm den ehemaligen Schild. Dann aber erzählte sie mir, dass Am 10. September, als Erwin Lötscher zusam- Bauern an. Herr Lötscher, haben Sie schon sie in den 80er-Jahren einmal ihren Mann im men mit den Leuten vom Egerkinger Komitee mal eine Burka gesehen, in echt? Nahen Osten besucht hatte. ‹Mal schauen, – Walter Wobmann, Anian Liebrand, Naveen Herrgottsternechaib, spielt es eine Rolle, ob man dort leben kann.› Weil sie sich weigerte, Hofstetter – vor dem Bundeshaus die Burka- ob der Lötscher schon mal eine Burka ein Kopftuch anzuziehen, wurde sie von verbots-Initiative einreichte und mit seinem gesehen hat, in echt? Er sieht sie ja täglich im dem Saupack mit schwarzer Farbe übergossen.» selbstgebastelten Schild (‹9638 Unterschriften Fernsehen, er sieht sie im «Blick», wenn Oder die junge Frau, die ihm sagte, dass sie gesammelt›) um den Hals wie ein geistig ver- Nora Illi dort wieder einmal über die schikanöse am liebsten am Zoll arbeiten würde, damit sie wirrter Prediger aussah, ist Lötscher ein Behandlung ihrer Salafisten-Truppe durch den Islamfrauen den «Hudel vode Schnorre drittes Mal arbeitslos geworden. Das erste Mal die Behörden lamentieren darf. Und ja, er hat riisse chan». war bei seiner Pensionierung, 2008. natürlich schon einmal eine Burka gesehen, Die Geistlich AG – «Unser Credo heisst letztens nämlich, da fuhr er bei Merlischachen Vertrauen» – hatte keine Verwendung mehr an einem Aussichtspunkt vorbei, da standen für den alten Mann, der in 30 Jahren in allen zwei Verhüllte neben ihrem Auto. Ein Mann

Erwin Lötscher in seinem Wohnzimmer bei der Morgenlektüre watson

Zürcher Journalistenpreis 2018 51 aber sei weit und breit nicht zu sehen Muslim die Rede, sondern vom Ausländer, der gegen die Zukunft seine Art, Solidarität zu gewesen, keine Spur, das heisse ja, huere bald einmal zum Fremden wird und schliesslich zeigen mit der nachfolgenden Generation. cheibegfutz, dass die Frauen selber autofahren! zum anderen. Es geht vom Grossen ins Kleine, Mit dem Schleier! Gefährlich sei das, jawoll. und am Schluss wäre wohl auch der Nachbar Austritt aus der Kirche aus Ettiswil einer z’vil in Willisau. Lötscher malt Lötscher, der alte Mann aus dem Napfgebiet, Zu viele Menschen in der Schweiz düstere Zukunftsvisionen in die kleine ist auch eine Uhr, ein Geschichtsbuch, ein Lötscher hat auf einem linierten Papierblock gekachelte Küche mit der hölzernen Eckbank. Gradmesser für die Veränderung der Region. notiert, was ihm nicht gefällt am Islam. Es ist Es sind die gleichen Dystopien, die das Diese Uhr ist stehengeblieben. Lötschers eine lange Liste. Sieben Seiten, dicht be- Komitee «Energiegesetz Nein» bei der letzten Heimat ist nicht in Gefahr, Willisau sieht – schrieben. Wenn er im Gespräch nicht mehr Energieabstimmung in eine Broschüre ge- abgesehen von den drei Eritreern, die am weiter weiss, konsultiert er sie. Er schiebt packt hatte: Da werden Fussballspiele wegen Mittag durchs Dorf schlendern – so aus wie dann die Hornbrille etwas näher an die Augen, Strommangel abgesagt, Staubsaugen ist nur vor 25 Jahren. Die Schnuddergoofe und hält den Block fest in den Händen mit noch bei Sonnenschein erlaubt und Bananen Schnuddermeitschi, die schnäderfräsigen, die den schwieligen Fingern und liest in holprigem werden gleich ganz verboten. schon am frühen Abend mit der Bierflasche Deutsch: «Nur die SVP macht etwas gegen «Der Wohlstand», sagt Lötscher, «ist viel in der Hand am Dorfplatz blaaged, und über die Islamisierung der Schweiz – deshalb: Burka- zu hoch» und meint damit den Wohlstand der die sich Lötscher so masslos ärgert, gab es verbot.» Oder: «Die Personenfreizügigkeit anderen. Ihm selber gehe es gut, moll, noch, auch schon in den 80ern. hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen er habe sich schliesslich immer eingeschränkt, Noch lässt man die Kirche im Dorf, noch ins Land kommen. Diese brauchen Platz sein Leben lang. Wenn nun die anderen aber regiert hier, im Stammland der Katholiken, und Wohnungen. Das Kulturland verschwindet. kommen und immer nur fordern, fordern, fordern, die Hüterin der Werte, die CVP. Solide 44 Prozent Darum: PFZ Nein!.» dann reiche es eben nicht, «dann wollen gab es bei den letzten Wahlen, zweitstärkste Es gibt aber auch noch eine andere, eine die bald auch noch, dass ich am Abend den Partei ist die FDP, dann kommt die SVP. Löt- persönlichere Erzählung, warum Lötscher Fernseher früher ausschalte», Gopferteli- scher hat früher auch CVP gestimmt, den Islam, den er auf der ersten Silbe betont, cheibnomal. «weil’s der Vater so gemacht hat», aber seitdem nicht mag, und sie hat nicht allzu viel mit Lötscher, Jahrgang 43, ist ein Kind der die Kirche in Frick ihr Kreuz zugedeckt hat, dieser Religion zu tun. In dieser Erzählung ist Nachkriegszeit. Als er zur Welt kam, lag zwar aus Angst, religiöse Gefühle der Nichtkatholiken Geschichte linear und die Schweiz bald ein halb Europa in Trümmern, aber die Gefahr zu verletzen, wie Lötscher weiss, kann ihm dunkler Ort. In den Strassen schwarze Gewänder, des Faschismus schien ein für alle mal gebannt. die Kirche gestohlen bleiben. Spart er halt Steuern, in den Häusern flackernde Lichter. Der Die Zukunft lag vor einem und sie konnte ja nu. Hätte er schon viel früher machen Strom aus dem Ausland nimmt zu und der Strom nur besser werden als die zerbombte Vergangen- müssen, eigentlich. in den hiesigen Leitungen ab. «Es ist doch heit und die staubgraue Gegenwart. Die sonnenklar, dass die Schweiz nicht alle aufnehmen Politiker und die Arbeitgeber und die Werbe- Ein anderer Herr Lötscher kann, z’vil isch z’vil!» leute riefen es in die Mittelstands-Wohn- Drei Tage später. Telefon von Lötscher. Der In dieser Erzählung ist nicht mehr vom zimmer dieses Kontinents: «Arbeite hart, dann Mann brüllt in den Hörer, wie es nur alte lebst du gut.» Männer machen. Man weiss ja nie, was unter- Lötscher ist dem Ruf gefolgt, er hat ein Leben wegs verloren gehen könnte, und Lötscher lang geschuftet, trotz Hohlfuss und Speich- hat etwas zu sagen. Er tönt jetzt anders, aufge- fuss und Hallux, hat geknüppelt und gebügelt brachter, aggressiver, unbarmherziger; das und geackert, stand so lange ohne Gehör- langgezogene Buuretütsch-«joaaa», mit dem er schutz an der elektrischen Knochensäge, dass seine Sätze sonst abschliesst, und mit dem er es ihm heute in den Ohren pfeift. Er radelte den härtesten Beleidigungen ein Versöhnungs- mit seinem alten Pöstlerrad dem Versprechen angebot hinterherschickt, fehlt. des Wirtschaftswunders hinterher und kam Lötscher sagt Dinge, die an der Grenze des ihm so einige Mal recht nahe. Zum Beispiel, als Justiziablen liegen, er wettert durchs Telefon, er mit dem Geld der Eltern ein Einfamilien- dass alle kuschten, der Bundesrat, die linken haus kaufte. Oder als er sich in den 70er-Jahren Saucheiben, die Amerikaner, und am Schluss sein eigenes Häuschen baute, in dem er jetzt komme dann eben halt das Handabhacken. Nur noch wohnt. Den ganzen Winter ’73 durch stand er, der Lötschererwin aus Willisau, rede. «Ich er auf der Baustelle, alles eigenhändig hoch- rede!» gezogen. Wieso tönen Sie jetzt plötzlich so, Herr Aber Lötscher weiss auch: Wenn er heute Lötscher? Lötscher fährt runter, wird kleinlaut, noch einmal jung wäre, dann würde es der Heizkessel müsse entrusst werden, da ihm nicht mehr so gut gehen. komme ihm halt gäng anderes in den Sinn. Propagandamaterial in Lötschers Reduit watson Vielleicht ist Lötschers Auflehnen Kann er verstehen, dass er mit seinem

52 Zürcher Journalistenpreis 2018 Kampf gegen die Burka den Leuten Angst macht? Lötscher versteht die Frage nicht, es ist ja gerade umgekehrt, der Islam macht ihm Angst. Sind Sie eigentlich ein Rassist, Herr Lötscher? Man darf ihn das fragen, es folgt keine entrüstete Reaktion. «Neineineinei, gar nöd.» Er wolle nur ein bisschen Sorge tragen zur Schweiz, «damit es ist, wie’s sött si, wie ich’s wött.» Vielleicht ist es so: Wenn der Heizkessel russt, wenn die Mäuse nicht in den Fallen zappeln, sondern sich an den Salatblättern vergehen, dann ist Feuer unterm Dach, dann bläst Lötscher zum Halali. Sonst ist er einfach ein knorriger alter Mann mit sehr, sehr konser- vativen Ansichten.

Hier in der Schweiz Wir stehen vor seinem Haus, Lötscher, die rot geäderten Hände auf das Holzgeländer gestützt, überblickt sein kleines Reich. Fünf Reihen Kartoffeln, Salate und Tomaten, dahinter die Quartierstrasse, dahinter eine Reihe Einfamilienhäuser, dahinter der Schlossfeld- hügel mit dem kleinen Schulhaus obendrauf. Rechts geht es ins Dorf, links in eine Sack- gasse. Die Herbstsonne taucht das Napfgebiet in eine schläfrige Mittagsruhe. Lötscher ist 74, er wird die Islamisierung, von der er sich so sehr fürchtet, nicht mehr erleben, er hat keine Kinder, keine Nachkommen. Seine Kassettensammlung – Andy Borg, Andreas Hauff, Austria Fredy – will er dem Re- porter vererben. Was treibt diesen Mann an? Lötscher schweigt lange. Letztens, da habe er seinem Schwager gesagt: «Los, Toni, das mit der Burka ist der letzte Bock, den ich raus- lasse. Jetzt mag ich nicht mehr.» Und dann sagt Lötscher noch diesen Satz, den man immer öfter hört in diesem Land, meist von denen, die ohnehin schon laut sind: «Eines will ich ja sagen, wir sind freie Schwei- zer, wir leben in einem freien Land, wir dürfen ja wohl noch den Mund aufmachen.»

«Ja, wo sind wir denn hier?!»

Wo wir hier sind? In der Schweiz natürlich. Hinter uns weht der Stofffetzen mit dem weis- sen Kreuz auf rotem Grund sanft im Wind.

Zürcher Journalistenpreis 2018 53 Bisherige Preisträgerinnen und Preisträger

1981 1992 Hugo Bütler, Peter Frey, Urs P. Gasche Hans Caprez, Christine Fivian-Isliker, Erwin Koch, Patrik Landolt, Linus Reichlin, 1982 Mix Weiss, Nadia Bindellam, Regula Heusser Caroline Ratz, Jonn Häberli, Wilfried Maurer, ( Swissair-Preis ) Hans Moser, Edmund Ziegler 1993 1983 Thomas Burla, Antonio Cortesi, Sepp Moser, Andreas Kohlschütter, Gisela Blau, Kaspar Schnetzler, Walter Sturzenegger, Gottlieb F. Höpli, Peter Meier Barbara Suter, Edith Zweifel, Peter Pfrunder ( Swissair-Preis ) 1984 Dieter Bachmann, Georg Gerster, 1994 Anna-Christina Gabathuler Herbert Fischer, Peter Haffner, Stefan Keller, Willi Wottreng, Brigitte Hürlimann ( Swissair- 1985 Preis ), Giorgio von Arb ( Swissair-Preis ) Margrit Sprecher, Herbert Cerutti, Arthur K. Vogel 1995 Erwin Haas, Erwin Koch, Herbert Cerutti, 1986 Regula Heusser-Markun, Richard Stoffel, Markus Mäder, Verena Eggmann, Hans Caprez Martin Frischknecht ( Swissair-Preis ) Klaus Vieli, Benedikt Loderer 1996 1987 Irène Dietschi, Lukas Lessing ( Text ), Christian Speich, Jürg Frischknecht, Ute Mahler ( Bild ), Bernard Senn, Martin Born Ronald Sonderegger, Peer Teuwsen ( Text ), Reto Klink ( Bild ), Peter Sidler ( Text ) (Swissair- 1988 Preis), Daniel Schwartz ( Bild ) (Swissairpreis) Werner Catrina, Barbara Vonarburg, Christoph Neidhart 1997 Pia Horlacher, Thomas Meister, Bruno Ziaud- 1989 din, Finn Canonica ( Swissair-Preis ) Beat Allenbach, Hansjörg Utz, Rolf Wespe Alois Bischof, Niklaus Meienberg, Jürg Rohrer 1998 Fredi Lerch, Christoph Keller, 1990 Christoph Neidhart, Alfred Schlienger, Ursula Binggeli, Colomba Feuerstein, Peter Haffner ( Swissair-Preis ) Urs Haldimann, Toni Lanzendörfer, Josef Rennhard, Al Imfeld, Stefan Keller 1999 Hedi Wyss, Hanspeter Bundi Daniel Ganzfried, Brigitte Hürlimann, Beat Kappeler, Bernhard Raos, Urs Rauber 1991 Werner Lüdi ( Swissair-Preis ) Peter Hufschmid, Christoph Keller, Christina Karrer, Ernst Hunziker, Guerino Mazzola, Isolde Schaad

54 Zürcher Journalistenpreis 2018 2000 2008 Beat Kraushaar, Martin Meier, Irena Brezná, Rainer Stadler ( Gesamtwerk ), Constantin Seibt ­Nicole Müller, Richard Reich, Miklós Gimes ( Zeitung ), Anja Jardine ( Zeitschrift ), Daniel ( Swissair-Preis ) Ryser ( Nachwuchs )

2001 2009 Martin Beglinger, Alexej Djomin, Andri Bryner, Bernard Imhasly ( Gesamtwerk ), Catherine Boss, Lisbeth Herger, Rahel Stauber, Urs Rauber, Martin Stoll, Karl Wild ( Zeitung ), Roland Bingis- ­Oswald Iten ( Swissair-Preis ) ser ( Zeitschrift ), Dinu Gautier ( Nachwuchs )

2002 2010 Jürg Ramspeck ( Gesamtwerk ), Jürg Rohrer Balz Bruppacher ( Gesamtwerk ), Viktor Dam- ( Alltag / Kleine Form ), Arthur Rutishauser, mann ( Zeitung ), Mathias Ninck ( Zeitschrift ), Patrik Landolt, Stephan Ramming, Christian Kündig und Lukas Messmer ( Nach- Anna Schindler, Georg Seesslen, Ursula von wuchs ) Arx, Peter Ackermann 2011 2003 Michael Meier ( Gesamtwerk ), Margrit Sprecher ( Gesamtwerk ), Dagmar Appelt, Katharina Baumann ( Zeitung ), Daniel Germann ( Alltag / Kleine Form ), Otto Hostettler, Dominique Strebel ( Zeitschrift ), Michael Marti, Bernhard Odehnal, Maurice Thiriet ( Nachwuchs ) Cornelia Kazis, René Staubli 2012 2004 Gion Mathias Cavelty ( Zeitung ), NZZ Auslandredaktion ( Gesamtwerk ), Daniel Ammann ( Zeitschrift ), Julia Hofer Daniele Muscionico ( Alltag / Kleine Form ), ( Zeitschrift ), Joel Bedetti ( Nachwuchs ) Bruno Vanoni, Andreas Schürer, Markus Schneider, Jean-Martin Büttner 2013 Köbi Gantenbein ( Gesamtwerk ), 2005 Rico Czerwinski, Iwan Städler, Susi Stühlinger Manfred Papst ( Alltag / Kleine Form ), Thomas Angeli, Daniel Benz, 2014 Rico Czerwinski, Nico Renner, Meinrad Ballmer, Frank A. Meyer ( Gesamtwerk ), Simone Rau, Marco Zanchi Mark Dittli, Alex Baur

2006 2015 Peter Baumgartner ( Gesamtwerk ), Arnold Hottinger ( Gesamtwerk ), Andrea Jeska, René Brunner ( Alltag / Kleine Form ), Christian Brönnimann, Manuel Bühlmann, Peer Teuwsen, Karin Wenger, Oliver Wietlisbach Christoph Scheuring, Hansi Voigt, Ursula Gabathuler 2016 Felix E. Müller ( Gesamtwerk ), Paula Scheidt, 2007 Markus Häfliger, Thomas Preusse, Daniel Puntas Karl Lüönd ( Gesamtwerk ), Bernet, Federico Franchini, Hannes Grassegger Charlotte Jacquemart, Daniel Hug, Bruno Ziauddin, Christian Schmidt, 2017 Gabrielle Kleinert, Marcel Hänggi Rita Flubacher ( Gesamtwerk ), Anja Jardine, Claudia Senn, Daniel Ryser

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Wir danken der Druckerei Robert Hürlimann AG, UBS Zürich, für den Druck dieser Broschüre. Tamedia Folgende Firmen und Organisationen ( gestaffelt nach Höhe der Beiträge ) haben die SIX Ausrichtung der diesjährigen Preisgelder Ringier in verdankenswerter Weise ermöglicht : Somedia

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