Fußballlehrer Tuchel 2013 Ein Jahr als Phantom Fußball Der Trainer Thomas Tuchel wirbelt die durcheinander. In blieb er immer nur Wunschkandidat. In Dortmund ist nun die Stelle frei. War das sein Matchplan?

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ls am Mittwoch die Bundesliga Ka - priolen schlug, bei Borussia Dort - Amund und dem Hamburger SV das Trainerkarussell sechs Spiele vor Saison - schluss noch einmal losratterte, da saß der Mann, der an den Fußballschauplätzen ge - rade maßgeblich die Fäden zieht, mal wie - der im Flugzeug. Olaf Meinking, ein Ham - burger Anwalt, reiste beruflich von Köln zurück in die Hansestadt. Der Start verzögerte sich, weil beim ers - ten Versuch ein Vogel ins Triebwerk gera - ten war. Erst nachmittags widmete sich der Experte in Urheberrecht dann abermals dem Thema seines interessantesten Man - danten: Meinking berät den Fußballtrainer Thomas Tuchel. Er hilft dem begehrten Coach, einen neuen Klub zu finden. Tuchel, der frühere Mainzer, macht alle BVB-Trainer Klopp: Nicht mehr perfekt verrückt. In Hamburg präsentierte der HSV-Vor - mehr Bedenkzeit, Gernandt blieb forsch. und Management bei der gemeinsamen stand Dietmar Beiersdorfer notgedrungen Wenn Tuchel jetzt entscheiden müsste, Kaderplanung, wo es personell am meisten einen „richtigen Kerl“ als neuen Trainer, würde er nein sagen, sagte Meinking, der hakt: eher hinten als vorn. . In Dortmund verkündete Anwalt. Da verlor der HSV die Geduld. Beinahe zwingend folgt die Trennung fast zeitgleich BVB-Chef Hans-Joachim Für den hanseatischen Traditionsverein, in beiderseitigem Einvernehmen. Klopp Watzke, seltsam eilfertig und improvisiert, das einzig verbliebene Gründungsmitglied eröffnete, er halte sich nicht mehr für den das bevorstehende Ende einer „unfassbar der Bundesliga, gab es nun keinen Grund perfekten Dortmunder Trainer. Geschäfts - guten Zusammenarbeit“ mit dem Men - mehr, dem Aushilfsplatzhalter Knäbel die führer Watzke sagt am Telefon, wäre er schenfänger Jürgen Klopp. Alles hängt mit Treue zu halten. Der hatte zuletzt ernst - zu einer „komplett anderen Einschätzung“ allem zusammen, beides hat mit Tuchel haft „die Qualität stabilisieren“ wollen und gekommen, hätte er Klopp aufgehalten. zu tun, dem Mann, der sich im vorigen mit dem Wesen des Fußballspiels grund - Doch dass der Abschied zum Saison - Jahr bei Mainz 05 ins Sabbatical verab - sätzlich gehadert – weil, „wenn man hinten ende gerade jetzt verkündet wird, ist kein schiedet hatte, um sich weiterzubilden und liegt, die Chance mit zunehmender Zeit Zufall. Watzke bekennt, Tuchel sei ja nun seine Zukunft zu planen. Seither spukt er immer geringer wird“. Das stimmt, vor al - „auf dem Markt“; er sei aber nicht der ein - wie ein Phantom durch die Liga. lem, wenn man keine Tore schießt. zige Kandidat. Und er leugnet nicht, mal Tuchel, 41, hat sich rar gemacht und viel Der gestandene Haudegen Labbadia, mit ihm gesprochen zu haben; manchmal geschwiegen. Je weniger man ihn sieht, früher bereits Spieler und Trainer beim sondiere man, „was wäre, wenn“. desto größer wird er. Er gilt als leiden - HSV, befahl als Nachfolger „Leinen los!“ – Ein anderer, der im Verein etwas zu sa - schaftlicher Tüftler und gleichzeitig als aus - und setzte beim ersten Training hinter gen hat, will wissen, dass Tuchel schon seit gefallener Künstler auf seinem Gebiet, ein Sichtschutzplanen gleich am neuralgischen einigen Tagen Dortmunds Kandidat und Pep Guardiola aus Schwaben. Er hat Mainz Punkt an, dem Stellungsspiel der Abwehr - die Einigung beschlossen sei. Sie werde in einmal auf Platz fünf geführt, die Mann - kräfte. Vor oder zurück; wenn schon raus - Kürze bekannt gegeben. schaft hat in fünf Jahren nie einen Ab - rücken, dann mit Druck. „Ihr müsst ’ne Was ist dran an dem Mann? Tuchel steht stiegsplatz belegt, immerhin. Aber jetzt Entscheidung fällen!“, rief er, vielleicht zu für schnellen Fußball, schnelles Attackie - wird ein Wirbel um den Mann entfacht, ihrer Enttäuschung. „Ich kann euch nicht ren, auch schnelle Wechsel der Denkrich - als hätte er für Meistbietende das ewige jedes Mal sagen, was ihr machen sollt.“ tung. In der Schweiz nahm er an einem Leben im Angebot. Und Tuchel? Hatte er den Hamburgern Treffen der „Rulebreaker Society“ teil, ei - Tuchel war für Schalke 04 ein Kandidat, abgesagt oder deren Absage provoziert? Er nem internationalen Klub von Unterneh - beim VfB Stuttgart im Gespräch und beim lässt es offen, sein Berater auch. Die Ge - mern und Impulsgebern, die in ihrer Bran - Deutschen Fußball-Bund. Bei RB Leipzig danken sind längst bei einem anderen Klub. che die Grundregeln brechen. Tuchel trug hat er vor gut sechs Wochen per Mail ab - Dass sich die Liaison zwischen dem vor, wie er während des Spiels schlankweg )

. gesagt. Hamburg hat ihm lange den Platz Sympathieträger Klopp und der Dortmun - die Taktik ändert. R (

S freigehalten und in Erwartung seiner bal - der Mannschaft im siebten Jahr abgenutzt Er stammt aus dem schwäbischen Krum - R E T

U digen Wundertätigkeiten zweimal unerfah - hat, darauf waren scharfe Beobachter auch bach, einem Ort mit 12 000 Einwohnern E R

/ rene Übergangslösungen für den Trainer - schon gekommen. Klopp hatte den zeit - und historischem Rathaus. Er ging dort R E D

N job gewählt – bis mit dem hauptberuf - weiligen Abstiegskampf, in den sein Team aufs Gymnasium. Sein Vater trainierte ihn E B

S lichen Sportdirektor Peter Knäbel auf der durch Verletzungen hineingeraten war, mä - im Fußball bis zur C-Jugend. Die Spieler - S A F

A Bank der Abstieg immer näher rückte. ßig gemanagt. Und er kam nicht aus seiner karriere endete in der dritten Liga wegen N I

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. Zu Beginn der Woche rief HSV-Auf - Haut des Spezialisten für Außenseiterfuß - eines Knorpelschadens im Knie. Thomas L (

O sichtsratschef Karl Gernandt bei Berater ball, für schnelle Überfälle mit dem gerade Tuchel trainierte Jugendmannschaften in G A M I

Meinking an, ein Wirtschaftsmanager und eroberten Ball. Gegen dichte Abwehrriegel Stuttgart und Mainz, und später in der /

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R Vertrauter des milliardenschweren Klub- ein Konzept für kreative Spielzüge zu ent - Bundesliga – er übernahm die Profis mit A W H

C Mäzens Klaus-Michael Kühne. Er wollte wickeln, das bekamen Coach und Mann - 35 Jahren – führte er den berühmt gewor - S

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E endlich Gewissheit, ja oder nein. In der schaft in diesem Jahr nicht mehr hin. denen „Matchplan“ in den Sprachge - A H C I Zeitung hatte gestanden, Tuchel fahre Rad Die Borussia und der „Kloppo“, wie ihn brauch ein. M

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S am Gardasee. Das regte die Hamburger die Branche seit Mainzer Tagen nennt, das Im Training nennt er die Spieler „Män - O T O

F auf. Meinking sagte, Tuchel brauche noch passte nicht mehr. Auch übersahen Trainer ner“. Er ließ Spielfelder nach angeblichen

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Erkenntnissen der Hirnforschung schnei - wie dort die Regenerationszeiten sind, wie den. So wollte er mutige Pässe durch die die Spieler zum Saisonhöhepunkt fit wer - Abwehrreihen lehren. Er verlangte viel, den. Beim Fußballklub AC Florenz schaute Rebellischer sein Fußball ist anspruchsvoll. In Mainz er sich die Krafträume an. hörte er auf , als er die Entwicklung für Tuchel sprach in London mit einem Ma - nicht mehr steigerungsfähig hielt. Der Hö - thematiker, der anhand von Statistiken Roboter hepunkt lag da schon weiter zurück: ein Wettquoten für Fußballspiele errechnet. Saisonstart mit sieben Siegen 2010, einem Am Ende faszinierten ihn statistische De - Tischtennis Zhang Jike, der beste 2:1-Sieg in München. tailfragen: Ist es sinnvoll, in der Schluss - Sein Berater sagt, Tuchel gelte „als Pop - minute Eckbälle zu erzwingen, wenn sie Spieler der Welt, inszeniert sich star“ – zumindest bei jungen Leuten der in vielleicht 80 Prozent der Spiele in Mi - als Rampensau und Individualist. Musikszene. In der Musikszene hat der nute 90 nichts bringen? Er steht für die neue Generation Anwalt Meinking, 48, die meisten Man - Er ist ein Lehrer des ganzheitlichen Fuß - danten. Er arbeitet für Fettes Brot, Silber - balls. Tuchel wird zunächst nur seinen chinesischer Sportstars. mond, Clueso, auch für das Fashion-Model früheren Mainzer Co-Trainer, einen Ath - Toni Garrn. Bei einem Konzert von Clueso letiktrainer und vielleicht einen Videoana - eine Bilanz als Tischtennisprofi ist lernte er Tuchel kennen. Der Erfurter Sän - lysten mitbringen, wenn er eine neue tadellos. Der Chinese Zhang Jike ger und Songwriter ist ein Selfmade-Künst - Mannschaft übernimmt. Dann aber wird Swurde fünfmal Weltmeister, 2012 ge - ler mit eigenem Label, sein eigener Pro - er für den Verein stoßweise Experten für wann er olympisches Gold in London. Der duzent. Das hatte den Fußballtrainer im Statistik, Hirntraining und Meditation be - 27-Jährige aus der Hafenstadt Qingdao ist beginnenden Sabbatjahr interessiert, er schäftigen wollen, wohl auch einen Schlaf - der beste Spieler der Welt, manche sagen verschaffte sich Zugang hinter die Bühne. berater. Vereine, die mit ihm verhandeln, sogar, der beste Spieler aller Zeiten. Schnell interessierte sich Tuchel auch wissen das. Schön für ihn. Nur sein Ruf in der Hei - für den Anwalt aus der Musikbranche; er Thomas Tuchel wäre eigentlich gern mat ist etwas ramponiert. nach Hamburg gezogen. Er wollte „ein At - Chinas Nationaltrainer findet, Zhang sei lético Madrid des Nordens“ formen, sagt ein Mensch mit mangelhafter Bildung und sein Anwalt, also eine Art mutige Kampf - schlechtem Einfluss, der eine Therapie maschine. Hätte er den HSV dereinst wie - brauche. Sein Vater sagt, Zhang enttäusche der in die Champions League geführt, seine Familie, er mache sie wütend und wäre mit dem Aufschwung sein Name ängstige sie zu Tode. Und die Zeitungen ewig verbunden worden wie der Höhen - in China schreiben, Zhang beschmutze das flug Borussia Dortmunds mit Jürgen Ansehen seines Heimatlands. Klopp. Doch dann missfiel Tuchel, dass In - Chinesische Athleten auf höchstem Ni - terna aus den Gesprächen in die Zeitung veau, gleich in welcher Sportart, sind an - gelangten, ein Gehaltsangebot des HSV gepasste Jasager, extrem leistungswillig, Coach Labbadia (3. v. r.), HSV-Spieler von angeblich 3,2 Millionen Euro jährlich extrem leidensfähig. Der Drill, dem sie sowie Finanzzusagen für den Aufbau einer von Kindesbeinen an ausgesetzt sind, hat neuen Mannschaft. Sportroboter aus ihnen gemacht, die dem ging mit ihm in Mainz essen. Irgendwann Auch als er in Hamburger Blättern las, Staat Medaillen abzuliefern haben. Selbst - fragte er Meinking, ob der ihm helfe, die dass der HSV-Direktor Bernhard Peters inszenierung, ein Wesensmerkmal des in - Karriere zu planen. die Ansprachen des Trainers filmt, fand er ternationalen Sportbusiness, gilt als zer - Der Anwalt arbeitet auch am Image das seltsam. Vor allem die drohende Zweit - setzend und ist verpönt. des scheinbar so grüblerisch-unnahbaren klassigkeit machte Hamburg immer weni - Besonders gnadenlos ist die Selektion Trainers. In Mainz habe sich Tuchel zu ger attraktiv. Am Ende erschien die Option im Tischtennis, dem Volkssport der Chi - wenig für Geburtstage von Sekretärinnen HSV nicht mehr wie ein Bundesligist in nesen. 300 Millionen Männer und Frauen inter essiert. Und er hatte den Klub-Präsi - Abstiegsgefahr, sondern wie „ein Zweit - spielen regelmäßig Pingpong, und um die denten Harald Strutz zeitweise schlicht ligaklub mit Restchancen für die erste Besten zu finden, setzen die Trainer auf ignoriert. Liga“, sagt Anwalt Meinking. „Als wollte strengste Auslese und Disziplin. Es gab Meinking, ein drahtiger Mann, sitzt man ein Ferienhaus an der Ostsee, und auf schon Nationalspieler, die aus dem Kader in seiner Kanzlei in Hamburg-Pöseldorf, einmal bricht darunter die Steilküste ab.“ flogen, weil sie ein Spiel gegen einen Nicht - von Einheimischen Schnöseldorf genannt, In Dortmund steht das Stadion recht sta - chinesen verloren hatten. gediegener Jugendstil in Alsternähe. Im bil. Oder gibt es noch andere Wahlmög - Ausgerechnet in diesem Umfeld hat es Besprechungsraum hängen Goldene Schall - lichkeiten? In England? ein extrovertierter junger Mann nach ganz platten von Rock-’n’-Roll-Bands, eine Pla - Der Tuchel-Berater schweigt. Es ist Mitt - oben geschafft. Ein Poser. Eine Rampen - tin-CD mit Autogramm von Udo Linden - wochnachmittag, in der Halbzeitpause der sau. Zhang mag eine Provokation für Chi - berg. Meinking, Designer-Sommeranzug Champions League am Abend will er wie - nas Staatssportsystem sein, doch für Mil - mit Stoffknöpfen, schwarzes T-Shirt, er - der mit dem Klienten telefonieren. Der lionen seiner Landsleute ist er ein Idol. zählt von seinen Reisen mit Tuchel im Sab - wolle das Spiel des FC Bayern München Zhang Jike tritt in TV-Shows auf, er batical. in Porto mit seinem Co-Trainer vor dem wirbt für Coca-Cola, am Flughafen in Pe - Sie waren gemeinsam in Museen und Fernseher anschauen. Was Pep Guardiola king hing kürzlich ein haushohes Werbe - Konzerten in Wien. Sie waren für zwei wohl machen würde, wenn er mit den Bay - banner, das sein Gesicht zeigte. Geradezu A Tage beim Jugendfußballturnier in Katar ern ausscheidet, fragt Meinking plötzlich märchenhaft für chinesische Verhältnisse P D

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und schauten sich zwischendurch WM- und lächelt tiefsinnig. Das soll wohl ein ist sein Gehalt: Rund zwei Millionen Dol - N E K M Baustellen an. Tuchel wollte alles wissen. Scherz sein. lar verdient Zhang pro Jahr, damit gehört I E H

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Der Popstartrainer besuchte Volleybal - Am Abend verliert Bayern mit 1:3. er zu den bestbezahlten Sportlern des Lan - E X A

ler in Berlin und das Basketball-Bundes - Jürgen Dahlkamp, Maik Großekathöfer, des. In seiner Garage stehen Autos der : O T

Jörg Kramer O ligateam in Bamberg, um zu erkunden, Marken Land Rover, BMW und Bentley. F

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