Informationen zur Raumentwicklung Heft 12.2003 771

Zukünftige ambulante medizinische Annette Böck-Friese Versorgung in der Region Mecklenburgische Seenplatte

1 Einleitung

Der folgende Beitrag fasst die Arbeitsergeb- nisse der regionalen, interdisziplinär zu- Verhältnis ambulant tätiger Ärzte zu Einwoh- nern (Ew. je Arzt) sammengesetzten Arbeitsgruppe „Siche- rung der medizinischen Versorgung in der Region Mecklenburgische Seenplatte 764 Region Mecklenburgische Seenplatte“ zum Stadt 574 Stand Mitte des Jahres 2003 zusammen. Vo- Landkreis Mecklenburg-Strelitz 1 025 raussetzung für eine Strategieentwicklung Landkreis Müritz 818 Landkreis 853 war es zunächst, die Rahmenbedingungen und aktuellen Planungsansätze für die Si- Mecklenburg-Vorpommern 646 cherung der ambulanten Versorgung zu diskutieren. Eine Überprüfung der heuti- Gynäkologie 7% Niedergelassene Ärzte in der Region gen Situation anhand der Orientierungs- Urologie 3% Mecklenburgische Seenplatte Psychiatrie/ werte der Kassenärztlichen Vereinigung Neurologie Stand 9/2002 zeichnet die Situation nicht so ernsthaft, 4% Orthopädie wie sie durch Ärzte und Betroffene in der 3% Region wahrgenommen wird. Dementspre- HNO 4% chend sahen die Mitglieder der Arbeits- Haut 3% gruppe gerade im Hinblick auf eine zukünf- Allgemeinmedizin/ prakt. Arzt/ Hausarzt tig weiter ansteigende Zahl alter Menschen 48% Augen mit potenziell höherem Bedarf nach 6% medizinischer Versorgung und gleichzeitig steigender Immobilität aktuellen Hand- Chirurgie lungsbedarf. Dass Raumordnung und Re- 5% gionalplanung die Sicherstellung der am- Pädiatrie bulanten medizinischen Versorgung im 6% Blick haben müssen, belegen die Aussagen Innere Medizin 11% des Landesraumordnungsprogramms wie auch des Regionalen Raumordnungspro- Der Versorgungsgrad der Region im ambu- Die Versorgungs- gramms Mecklenburgische Seenplatte. Der lanten Bereich liegt somit 18 % unter dem situation weist deutliche abgeleitete Vorschlag „hausärztliche Ver- Landesdurchschnitt. Dabei bestehen deut- Differenzen zwischen sorgungszentren in zentralen Orten“ ent- liche Abweichungen zwischen der Stadt dem städtischen und spricht daher der raumordnerischen Di- Neubrandenburg, die sogar eine bessere ländlichen Raum auf. mension. Relation pro Arzt aufweist als das Land Mecklenburg-Vorpommern, und dem 2 Allgemeine Versorgungssituation ländlichen Raum. Am ungünstigsten ist die Versorgungssituation im Landkreis Meck- In der Region Mecklenburgische Seenplatte lenburg-Strelitz; hier beträgt die negative im Jahr 2002 insgesamt 419 Ärzte Abweichung zum Landesdurchschnitt fast ambulant tätig, wobei als ambulant tätige 60 %! Ärzte sowohl als Hausärzte tätige Allge- Die einzelnen Facharztgruppen in der Re- meinmediziner und Internisten als auch gion verteilen sich auf 52 % Fachärzte und niedergelassene Fachärzte bezeichnet wer- 48 % Hausärzte. Die räumliche Verteilung Dipl.-Ing. Raumplanung den. Auf einen ambulant tätigen Arzt fallen der Hausärzte ist zum jetzigen Zeitpunkt Annette Böck-Friese hier im Mittel – alle räumlichen Ebenen weitgehend flächendeckend, die der Fach- Landkreis Müritz Zum Amtsbrink 2 eingeschlossen – 764 Einwohner, gegen- ärzte zeigt dagegen eine deutliche Konzent- 17192 Waren (Müritz) über 646 im Landesdurchschnitt Mecklen- ration auf die Stadt Neubrandenburg und E-Mail: kreisplanung burg-Vorpommern. die größeren Orte. @landkreis-mueritz.de Annette Böck Friese: Zukünftige ambulante medizinische Versorgung in der Region 772 Mecklenburgische Seenplatte

Räumliche Verteilung der Hausärzte 2002 3 Versorgungssituation

1 Anzahl Hausärzte 2002 am Beispiel der Hausärzte

Oberzentrum 3 Loitz Versorgungsgrad gemäß Bedarfsplanung Mittelzentrum 1 3 11 Mittelzentrum mit Teilfunktion 3 Tutow Jarmen Die Versorgungssituation im ambulanten Demmin Unterzentrum Bereich des Gesundheitswesens wird durch Ländlicher Zentralort 1 die so genannte Bedarfsplanung in Zustän- 3 digkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen Kreisgrenze 1 4 Nahbereich Törpin Burow 1 gesteuert. Diese stellen im Einvernehmen 1 9 mit den Landesverbänden der Krankenkas- 8 Tützpatz 1 1 5 1 6 sen und den Verbänden der Ersatzkassen Brunn 1 1 Wildberg Friedland Bedarfspläne auf, die den Stand und Bedarf Hohen 3 Wangelin Jürgenstorf 1 zur Sicherstellung der vertragsärztlichen 1 Neubrandenburg 1 Grabowhöfe 1 Versorgung darstellen. Waren 49 1 1 Pragsdorf 17 Möllenhagen 2 Der Bedarfsplan ist nach Maßgabe der 4 Burg 7 Stargard Groß Richtlinien des Bundesausschusses der Nemerow 4 1 Ärzte und Krankenkassen und unter Beach- 1 tung der Ziele und Erfordernisse der Raum- 1 9 Röbel 1 ordnung und Landesplanung aufzustellen Altenhof 4 15 1 Feldberg auf der Grundlage einer regionalen Unter- Wredenhagen 2 gliederung in Planungsbereiche. Zu be- 1 Wesenberg 1 3 achten sind die Bevölkerungsdichte und Schwarz -struktur und die für die vertragsärztliche Versorgung bedeutsamen Verkehrsverbin- dungen. Bei der Abgrenzung der regionalen Planungsbereiche sollen die Grenzen den Stadt- und Landkreisen entsprechen.1 Räumliche Verteilung der Fachärzte 2002 Der Versorgungsgrad wird durch Einwoh- ner/Arzt-Relationen ermittelt und gibt an, 1 Anzahl Fachärzte 2002 wie viele Einwohner von einem Arzt betreut

Oberzentrum werden (können). Loitz 1 Mittelzentrum 23 Laut Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte2, Mittelzentrum mit Teilfunktion 2 Tutow Jarmen Dargun Demmin der bundesweit geltenden rechtlichen Unterzentrum Grundlage für die Bedarfsplanung der Kas- Ländlicher Zentralort Neukalen Borrentin Beggerow senärztlichen Vereinigungen (KV), liegt die Kreisgrenze Einwohner/Arztrelation für Hausärzte in Nahbereich Malchin Törpin Burow ländlichen Kreisen in ländlichen Regionen 12 Siedenbollentin 6 Tützpatz Altentreptow bei 1 474 Ew./pro Arzt, bezogen auf den Stavenhagen 7 5 Gielow Brunn Planungsbereich. Dieser Orientierungswert Wildberg Friedland Hohen Neverin Wangelin Jürgenstorf wird in ganz Mecklenburg-Vorpommern Moltzow Rosenow Neubrandenburg angesetzt – mit Ausnahme von Rostock. Grabowhöfe 89 Jabel Waren Wulkenzin Pragsdorf Unter dem Aspekt der Sicherstellung der 27 Möllenhagen Penzlin 1 Burg medizinischen Versorgung und Notfallver- 5 Stargard Groß Malchow Nemerow 2 sorgung durch ambulante Mediziner ist es Woldegk notwendig, Vereinbarungen über den Ver- 9 Blankensee sorgungsgrad und dessen Einhaltung zu Röbel Neustrelitz Altenhof treffen. Die Bedarfsplanungs-Richtlinien- Rechlin 33 Feldberg Wredenhagen Ärzte definieren dazu Grenzen der Über- Priborn Mirow Wesenberg und der Unterversorgung: Überversorgung 1 Schwarz ist danach anzunehmen, wenn die für den Raumtyp gültige Einwohner/Arztrelation um 10 % überschritten ist. In Fällen einer Überversorgung sind Zulassungsbeschrän- kungen anzuordnen. Informationen zur Raumentwicklung Heft 12.2003 773

Eine Unterversorgung liegt vor, wenn in be- Abweichungen der Einwohner-Arztrelation zum Richtlinienwert der KBV stimmten Planungsbereichen Vertragsarzt- 1 524 Einwohner-Arztrelation (Stand 9/2002) sitze nicht nur vorübergehend nicht besetzt 3,4% Abweichung werden können und dadurch eine unzu- (Bedarfsplanungs- Richtlinie-Ärzte: 1 474) mutbare Erschwernis in der Inanspruch- Kreisgrenze nahme von ärztlichen Leistungen eintritt. Planungsbereich KV Die Bedarfsplanungsrichtlinien gehen da- (Landkreise und Demmin kreisfreie Stadt) von aus, dass das Vorliegen einer Unterver- sorgung zu vermuten ist, wenn der Stand 1 524 der hausärztlichen Versorgung den ausge- Abw. 3,4% wiesenen Bedarf um mehr als 25 % und den Bedarf an fachärztlicher Versorgung um mehr als 50 % unterschreitet. Eine Unter- 1 559 versorgung drohe, wenn insbesondere auf- Abw. 5,8% grund der Altersstruktur der Ärzte eine Müritz Neubrandenburg Verminderung im genannten Rahmen zu erwarten sei.3 1 580 1 765 In den einzelnen Planungsbereichen der Abw. 7% Abw. 20% KV in der Region Mecklenburgische Seen- platte wird der Bedarf bereits heute um bis Mecklenburg- Strelitz zu 20 % unterschritten, im Landkreis Meck- 1 979 lenburg-Strelitz – abweichend von den Pla- Abw. 34% nungsbereichen – sogar um 34 %. In der Region besteht also eine teilräumliche Un- terversorgung. Parallel dazu ist aktuell der Planungsbereich Demmin für Hausärzte gesperrt, da durch den Rückgang der Bevöl- kerungszahlen eine 10 %-ige Überschrei- Belastungen durch lange Fahrwege und Ar- Die Bedarfsplanung tung des Orientierungswerts eingetreten beitszeiten ausgesetzt. der Kassenärztlichen ist! Die steigende Multimorbidität – gleichzei- Vereinigung stellt die Versorgungsrealität Angesichts der jeweiligen teilräumlichen tig auftretende Mehrfacherkrankungen und nicht dar. Situation und der Abhängigkeit von der neue (zivilisatorisch bedingte) Krankheits- Bevölkerungsentwicklung ist in Frage zu bilder – verändert die Versorgungsanforde- stellen, ob die Bedarfsplanung die Versor- rungen zudem und erfordert eine perma- gungsrealität in der Region Mecklenburgi- nente ärztliche Betreuung auf hohem sche Seenplatte ausreichend genau dar- Niveau. Besondere Belastungen für die Ärz- stellt. te ergeben sich auch durch psychische/so- ziale Probleme der Patienten als Folge der Situationsanalyse hohen Arbeitslosigkeit in der Region. Je geringer der Versorgungsgrad, umso Auch in der kassenärztlichen Notdienstver- (1) sorgung entstehen Qualitätsverluste durch Zulassungsverordnung für Ver- mehr Patienten muss der einzelne Arzt ver- tragsärzte (Ärzte-ZV), Stand sorgen. Gerade in den ländlichen Gebieten teilräumliche Unterversorgung, die durch 15. April 2002, Abschnitt III der Region bedeutet dies lange Wege und den Rettungsdienst kompensiert werden (2) Wartezeiten für Patienten. müssen. Dabei besteht auch im Rettungs- Richtlinien des Bundesaus- dienst Ärztemangel und der stationäre Be- schusses der Ärzte und Kran- Dabei wirken sich die folgenden Rahmen- kenkassen über die Bedarfs- reich wird belastet. Während der Touris- planung sowie die Maßstäbe bedingungen zusätzlich erschwerend aus: mussaison können Engpässe zu zusätz- zur Feststellung von Überver- sorgung und Unterversorgung Wegen des zu geringen ÖPNV-Angebotes in lichen Belastungen des kassenärztlichen in der vertragsärztlichen Ver- der Fläche, das häufig nur in Form von Mit- Notdienstes führen. Ein unzureichend sorgung (Bedarfsplanungs- Richtlinien – Ärzte) in der Fas- fahrmöglichkeiten in Schulbussen besteht, funktionierender Notdienst kann im un- sung vom 9. März 1993 (Bun- ist der Hausarzt für die Patienten schwer zu günstigsten Fall zu Imageschäden im Tou- desanzeiger Nr. 110a vom 18. erreichen. Es besteht häufig die Notwendig- rismus führen – speziell im Hinblick auf Juni 1993), zuletzt geändert am 19. Dezember 2001, veröffent- keit zu Hausbesuchen seitens der Ärzte. den Gesundheitstourismus, der sich in der licht im Bundesanzeiger Nr. 54, Dadurch und wegen der geringen Sied- Region entwickelt. Seite 5 148 vom 19. März 2002 lungsdichte sind die praktizierenden Haus- (3) Das größte Problem angesichts dieser Rah- ärzte in den betroffenen Bereichen hohen Bedarfsplanungs-Richtlinien – menbedingungen ist die mangelnde Nie- Ärzte, 6. Abschnitt Nr. 28/29 Annette Böck Friese: Zukünftige ambulante medizinische Versorgung in der Region 774 Mecklenburgische Seenplatte

derlassungsbereitschaft bzw. teilweise Prognose auch der fehlende Nachwuchs an Fachärz- ten für Allgemeinmedizin und an Internis- Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte Die Prognose weist auf Stand 9/2002 einen zukünftigen Ver- ten, die hausärztlich tätig sein wollen. Die % Gründe für die mangelnde Niederlassungs- 100 sorgungsnotstand hin. 12 37 6 bereitschaft von Hausärzten in der Region 90

sind vielschichtig und kaum in den allge- 80 75 meinen Zulassungskriterien zu sehen. 70 174 19 Zu den Imageproblemen des Berufes 60 50 „Hausarzt“ – geringe Lebensqualität durch 27 40 58 hohe Arbeitsbelastung – tritt die Ungleich- 8 30 29 behandlung in der Honorierung gleicher 54 20 6 43 Leistungen gegenüber den alten Bundes- 10 65 4 ländern: Die Honorare der Hausärzte im 0 14 8 1 niedergelassene Ärzte Allgemeinmedizin/ Innere Medizin Osten liegen durchschnittlich 25 % unter insgesamt prakt. Arzt/ Hausarzt Altersklassen mit Zahl der niedergelassenen Ärzte denen der westlichen Kollegen, wohinge- (Keine Ärzte in der Alterklasse bis unter 30 Jahre) gen ihre Arbeitsbelastung (Wochenarbeits- 30 bis unter 40 50 bis unter 55 60 bis unter 65 zeit, Anzahl der zu versorgenden Patienten) 40 bis unter 50 55 bis unter 60 65 und älter deutlich über vergleichbaren Praxen in den alten Ländern liegt. Diese Rahmenbedin- Auffallend ist ein hoher Anteil der über 50- gungen führen dazu, dass die individuelle Jährigen bei allen niedergelassenen Ärzten Standortwahl der weniger werdenden in der Region, insbesondere bei den Haus- Nachwuchskräfte überwiegend zugunsten ärzten. Im Hausarztbereich sind von 195 der alten Länder ausfällt. Ärzten 107 (55,2 %) älter als 50 Jahre und 80 (41,2 %) älter als 55 Jahre. Nur um den Sta- tus quo zu erhalten, müssen in den nächs- ten zehn Jahren mindestens 80 als Haus- ärzte tätige Allgemeinmediziner in der Prognose der räumlichen Verteilung der Hausärzte für das Jahr 2010 Region ersetzt werden. Nachwuchsmangel und fehlende Niederlassungsbereitschaft

3 2 lassen dabei unter den gegenwärtigen Be-

Loitz dingungen eine Wiederbesetzung der Pra- 3 0 xen kaum erwarten. 11 6 Jarmen Dargun Demmin 4 3 Eine Analyse der demographischen Ent- Neukalen wicklung der Bevölkerung macht deutlich, 46 30 Borrentin 3 2 Neubrandenburg Stadt 2 0 dass der Anteil der über 65-Jährigen stetig * 4 4 Malchin Burow ansteigt und damit eine Wandlung des Tützpatz 6 0 Morbiditätsspektrums und eine Auswei- Stavenhagen Altentreptow 3 1 10 8 tung der Multimorbidität zu erwarten sind. Friedland Das heißt, dieser Bevölkerungsanteil, der in 9 5 Moltzow Rosenow 3 1 Region Mecklenburgische Seenplatte der- 3 2 3 3 Neubrandenburg zeit durchschnittlich 18,1 % (im Landkreis 1 0 * Demmin sogar 24,6 %) beträgt und auch 2 1 Möllenhagen Waren Penzlin zukünftig weiter ansteigen wird, benötigt Burg 4 2 Stargard Malchow 17 4 5 5 immer mehr medizinische Leistungen. Woldegk 7 4 Ohne geeignete Gegenmaßnahmen wird

Neustrelitz sich die hausärztliche Versorgung in der 9 4 Röbel 2 1 5 4 2 1 Rechlin Region wesentlich verändern und teilweise Feldberg Wredenhagen eventuell ganz zusammenbrechen. In Teil- Mirow 15 9 Wesenberg räumen der Region wird ein Versorgungs- 2 0 Rückgang in % 4 3 notstand eintreten. Eine dramatische Zu- 0 bis unter 25 spitzung ist bereits ab dem Jahr 2005 zu 2002 / 2010 25 bis unter 50 erwarten. Diese Aussagen sind grundsätz- Anzahl Nahbereich 50 bis unter 75 Allgemeinmediziner/ lich auch auf die Fachärzte übertragbar. Die 7 6 praktische Ärzte Kreisgrenze 75 bis 100 Prognose weist auf einen zukünftigen Ver- Informationen zur Raumentwicklung Heft 12.2003 775

sorgungsnotstand hin. Vergleichbare Prog- Punkt. 2.1.4 des Programms (Zentrale Orte nosen werden auch für andere ostdeutsche der Nahbereichsstufe) führt aus: Länder gestellt.4 Unterzentren und Ländliche Zentralorte hal- Die nebenstehende „Prognose der räum- ten Einrichtungen der Grundversorgung zur lichen Verteilung der Hausärzte für das Jahr Deckung des allgemeinen täglichen Bedarfs 2010“ basiert auf der Annahme, dass die für die Bevölkerung des Nahbereichs vor. Als derzeit in der Region tätigen Hausärzte mit Regelausstattung ist bei zentralen Orten der dem 65. Lebensjahr ihre Praxis aufgeben Nahbereichsstufe auszugehen von und keine Nachfolge eintritt. – Sitz der Amtsverwaltung, – Grund- und Hauptschule, – Spiel- und Sportstätten, 4 Anforderungen der Raumordnung – Einrichtungen der Kinderbetreuung, an die ambulante medizinische – Einrichtungen des Gesundheitswesens Versorgung (Arzt, Apotheke), – Einzelhandelseinrichtungen, Das Raumordnungsgesetz (ROG) enthält – Handwerks-/Dienstleistungsbetrieben, den Auftrag, für gleichwertige Lebensbe- – Bedienung mit öffentlichem Nahverkehr. dingungen in allen Regionen der Bundes- Unterzentren haben gegenüber Ländlichen republik Deutschland zu sorgen und be- Zentralorten eine deutlich umfangreichere stehende regionale Disparitäten in dieser Ausstattung, die häufig auch Gymnasien und höherwertige Gesundheitseinrichtungen um- Hinsicht abzubauen. Dies bezieht sich auf fasst. Aus dem Verflechtungsbereich sind die Infrastruktur der verschiedenen Fach- zentrale Orte der Nahbereichsstufe in maxi- bereiche wie das Gesundheitswesen. mal 20 bis 30 Minuten zu erreichen. In den Grundsätzen der Raumordnung ver- langt § 2 Nr. 4 ROG, „die soziale Infrastruk- Das Regionale Raumordnungsprogramm tur (ist) vorrangig an zentralen Orten zu Mecklenburgische Seenplatte greift das bündeln“. Thema in Punkt 8.1 (Soziale und kulturelle Das erste Landesraumordnungsprogramm Infrastruktur: Gesundheitswesen) wie folgt Mecklenburg-Vorpommern trifft zum The- auf: menbereich Sicherung der medizinischen Versorgung in Punkt 7.1 (Soziale und kultu- In allen Teilen der Region soll eine leistungs- relle Infrastruktur: Gesundheitswesen) fol- fähige und bürgernahe Gesundheitsfürsorge gende Aussagen: für die Bevölkerung in zumutbarer Entfer- nung gewährleistet werden. Die Einrichtun- gen des Gesundheitswesens sind in ihrer In allen Landesteilen soll eine leistungsfähige fachlichen Gliederung, ihren Größenordnun- und bürgernahe Gesundheitsversorgung für gen und ihrer räumlichen Verteilung aufein- die Bevölkerung gewährleistet werden. Stand- ander und auf das Netz der zentralen Orte ab- orte für Einrichtungen des Gesundheitswe- zustimmen. sens sind vorrangig zentrale Orte. Begründung: Das Gesundheitswesen gehört zu den elementaren Aufgaben der Daseins- In der Begründung heißt es: vorsorge. Die Einrichtungen tragen maßgeb- lich dazu bei, gleichwertige Lebensbedingun- Die Einrichtungen des Gesundheitswesens gen herzustellen. Durch die Schaffung eines tragen maßgeblich zu den angestrebten abgestuften bedarfsorientiert gegliederten gleichwertigen Lebensbedingungen im Land Systems leistungsfähiger und wirtschaftlicher bei (...) Eine ausgewogene, bürgernahe ambu- Einrichtungen soll jedem Bürger eine ausrei- lante bzw. stationäre ärztliche und zahnärzt- chende und bedarfsgerechte gesundheitliche liche Versorgung ist für die angestrebten Versorgung möglich sein. (4) gleichwertigen Lebensbedingungen in allen Vgl. Anm. (5) Landesteilen von entscheidender Bedeutung. Es ist daher besonderes Anliegen der Raum- ordnung und Landesplanung, darauf hinzu- wirken, dass in allen Teilen des Landes annä- hernd gleichwertige Versorgungsbedingun- gen entwickelt werden. Annette Böck Friese: Zukünftige ambulante medizinische Versorgung in der Region 776 Mecklenburgische Seenplatte

Punkt 8.1.2 ergänzt zur ambulanten ärztli- Allgemeine Lösungsvorschläge chen Versorgung: Unter den Stichworten „Anreize gegen Ärz- Erforderlich ist eine temangel in Brandenburg“, „Thesenpapier Es ist darauf hinzuwirken, dass eine bedarfs- Einbeziehung regional- orientierte und ausgewogene ambulante ärzt- des Aktionsrates Ost zur zukünftigen Si- planerischer Steuerungs- liche Versorgung der Bevölkerung in allen cherstellung der ambulanten Versorgung“, instrumente bei der Teilräumen der Region durch Ärztehäuser, „Die Versorgung sichern – den Genera- Bedarfsplanung. Fachambulanzen, Allgemeinärzte, Zahnärzte, tionswechsel schaffen – Programm zur Be- Diagnose- und Therapieeinrichtungen sowie wältigung des Generationswechsels im Be- Apotheken sichergestellt wird. Diese Einrich- reich der niedergelassenen Medizinerinnen tungen sind in der Regel in den zentralen Or- und Mediziner in Mecklenburg-Vorpom- ten vorzuhalten. Begründung: Eine ausgewo- 5 gene bürgernahe ambulante ärztliche und mern“ usw. haben verschiedene Verbände zahnärztliche Versorgung ist für die Schaf- und Institutionen des Gesundheitswesens fung gleichwertiger Versorgungsbedingungen auf das Thema aufmerksam gemacht und in allen Teilräumen der Planungsregion von Lösungsvorschläge in die Diskussion ge- Bedeutung. bracht. Eine Analyse der Vorschläge macht deutlich, dass die Vorschläge die Interes- senlage der jeweiligen Institution wiederge- 5 Lösungsansätze ben und konkrete Handlungsansätze für die Region sich schwer erkennen lassen. Vor dem Hintergrund der in Kapitel 3 skiz- Es ist daher ein regionsspezifischer Lö- zierten Versorgungssituation in der Region sungsvorschlag zu entwickeln, der einer- Mecklenburgische Seenplatte muss der seits die spezifischen räumlichen Anfor- Schluss gezogen werden, dass geltende Zie- derungen der Region und andererseits le der Raumordnung und Regionalplanung allgemeine Lösungsvorschläge mit einem für den Bereich der ambulanten medizini- hohen Übereinstimmungsgrad aufgreift. schen Versorgung zukünftig nicht mehr er- reichbar bzw. umsetzbar sein werden. Lösungsvorschläge der Region Mecklenburgische Seenplatte Regionsspezifische Herausforderungen Die Region Mecklenburgische Seenplatte an Lösungsansätze schlägt als Lösung das Leitbild: „Hausärzt- (5) Regionsspezifische Herausforderungen an liche Versorgungszentren in zentralen Or- Vgl. „Anreize gegen Ärzteman- gel in Brandenburg“ in Berliner Lösungsansätze sind vor allem die geringe ten“ vor: Ärzte Ausgabe 3/2003, S. 6; Einwohnerdichte in der Region, der drasti- – In jedem zentralen Ort der Region ent- „Brandenburg sucht Ärzte“ in Berliner Ärzte 4/2002, S. 12; Ar- sche Bevölkerungsrückgang, die zuneh- steht ein hausärztliches Versorgungs- beitsgemeinschaft der kassen- mende Alterung und derzeit auch durch zentrum. Dieses übernimmt damit die ärztlichen Vereinigungen der Neuen Bundesländer: „The- den ÖPNV nicht ausgleichbare individuelle ambulante medizinische Versorgung senpapier des Aktionsrates Ost Immobilität der Bevölkerung, die wachsen- seines Nahbereiches. Die Erreichbarkeit und der kassenärztlichen Ver- de räumliche Entfernung zwischen Haus- einigungen der neuen Bundes- des zentralen Ortes aus seinem Nahbe- länder zur zukünftigen Sicher- arzt und Patient sowie die zunehmende reich (20 bis 30 Minuten) auch mit stellung der ambulanten Ver- Vergrößerung der Einzugsbereiche (Patien- ÖPNV ist gewährleistet, zumal zentrale sorgung“ vom 20.2.2003 – www.kv-ost.de; AOK-FORUM- tenzahl) pro Arzt. Orte auch künftig Schulstandorte sein EXTRA Nr. 1 vom 8.1.2002: Er- werden. Eine Kopplung mit anderen gänzung zum sozial- und ge- Davon ausgehend müssen raumplaneri- sundheitspolitischen Informa- sche Steuerungsinstrumente bei der Be- Dienstleistungsfunktionen des zentralen tionsdienst der AOK für das darfsplanung berücksichtigt werden: Ortes ist möglich. Land Brandenburg – Maßnah- men gegen Ärztemangel im – Zur Einhaltung von Mindeststandards – In einem hausärztlichen Versorgungs- ambulanten Bereich vereinbart der Versorgung ist die Anwendung des zentrum arbeiten mehrere Allgemein- – AOK-FORUM-EXTRA@brb. aok.de; Sozialministerium Zentrale-Orte-Konzeptes – vor allem in mediziner zusammen. Die Anzahl richtet Mecklenburg-Vorpommern: dünn besiedelten Bereichen – geboten. sich gemäß Vorgabe der Bedarfspla- Sozialministerin Dr. Martina nungs-Richtlinie nach der Einwohner- Bunge (PDS) unterbreitet Pro- – Da die Planungsbereiche der Kassen- grammvorschlag zur Bewälti- ärztlichen Bedarfsplanung die räumliche zahl im Nahbereich des zentralen Ortes. gung des Generationswech- Die Bedarfsplanungs-Richtlinie (Ein- sels im Bereich der niederge- Versorgungsrealität in der Region nicht lassenen Ärztinnen und Ärzte abbilden, sollten die zentralörtlichen wohner/Arzt-Relation) wird dem Bevöl- in Mecklenburg-Vorpommern“, kerungsrückgang regelmäßig und adä- Pressemitteilung Nr. 065 vom Nahbereiche als Planungsgrundlage her- 24.5.2002 angezogen werden. quat angepasst. Informationen zur Raumentwicklung Heft 12.2003 777

– Die Gemeinde mit zentralörtlicher Funk- Zentralörtliches System Region Mecklenburgische Seenplatte tion bietet für ein Versorgungszentrum Zentrale Orte geeignete Immobilien zu günstigen Kon- Oberzentrum ditionen an (ungenutzte Schulen, Kin- Mittelzentrum dergärten, ggf. Räume in Krankenhäu- Loitz Mittelzentrum mit Teilfunktion sern). Jarmen Unterzentrum Dargun Demmin – Für die Gründung eines Versorgungs- Ländlicher Zentralort Neukalen zentrums stehen Existenzgründerdarle- Kreisgrenze Borrentin hen und Fördermittel für die Schaffung Nahbereich der räumlichen Voraussetzungen zur Malchin Burow

Verfügung. Tützpatz Altentreptow – Hausärztliche Versorgungszentren kön- Stavenhagen Friedland nen unterschiedliche Betreiberformen Moltzow Rosenow haben (Praxen mit angestellten Ärzten, Neubrandenburg Gemeinschaftspraxen, GbR, GmbH, Ge- Waren

nossenschaft). Möllenhagen Penzlin Burg – Durch die gemeinsame Arbeitsorganisa- Stargard Malchow tion der Ärzte sind geregelte Arbeitszei- Woldegk ten und geregelter Urlaub und damit

mehr Lebensqualität für die Ärzte mög- Röbel Neustrelitz Rechlin lich. Hausbesuche sind auch bei langen Feldberg Wredenhagen Wegen leistbar. Wartezeiten für Patien- Mirow Wesenberg ten auf Praxistermine reduzieren sich. Der Notfalldienst kann auch während der Tourismussaison abgesichert wer- den. Durch Synergieeffekte ist die Wirt- schaftlichkeit höher als bei einer Einzel- praxis. – Auch Fachärzte können sich dem Ver- Hausärztebedarf in den Nahbereichen laut Bedarfs-Richtlinien – Ärzte sorgungszentrum anschließen. 4 Hausärztebedarf in Nahbereichen (Berechnungsgrundlage: – Durch hohe Wirtschaftlichkeit und ho- Einwohner-Ärzterelation pro Nahbereich, Richtlinienwert = 1 474, 5 hen technischen Standard werden erste EW-Stand 30.6.2002) Loitz Voraussetzungen für Telemedizin ge- Oberzentrum 4 13 schaffen. Jarmen Mittelzentrum Dargun Demmin 7 – In den Tourismuszentren bemühen sich Mittelzentrum mit Teilfunktion Neukalen auch Gemeinden ohne zentralörtliche Unterzentrum 2 Borrentin Funktion um den Aufbau eines hausärzt- Ländlicher Zentralort 4 3 Malchin Burow lichen Versorgungszentrums. Nahbereich – Gemeinden im Nahbereich der zentralen 10 Tützpatz Altentreptow Stavenhagen 3 7 Orte schaffen räumliche Voraussetzun- 9 8 Friedland

gen für Sprechstunden vor Ort, die auch Moltzow Rosenow für vorsorgende Aufklärungs- und In- 2 Neubrandenburg 3 formationsveranstaltungen genutzt wer- Waren 3 61

17 Möllenhagen 4 den. Diese werden durch die Gesund- Penzlin Burg 6 6 Stargard heitsämter des öffentlichen Gesund- Malchow heitsdienstes angeboten. 8 Woldegk 20 – Die Einrichtung von Hausärztlichen Ver- 6 Röbel 2 Neustrelitz sorgungszentren in zentralen Orten wird 6 Rechlin Feldberg flankiert durch eine Honoraranglei- Wredenhagen 6 Mirow chung Ost - West, durch höhere Abrech- 3 Wesenberg nungsmöglichkeiten in unterversorgten 3 Gebieten, eine Modifizierung der Wege- pauschalen in räumlich besonders gro- ßen Versorgungsbereichen und die För- derung einer verstärkten Ausbildung im Bereich Allgemeinmedizin. Annette Böck Friese: Zukünftige ambulante medizinische Versorgung in der Region 778 Mecklenburgische Seenplatte

Umsetzungsmöglichkeiten – Es sollte ein regionales Informationssys- Zur Verwirklichung des Leitbildes „Haus- tem zur ambulanten Versorgung im Sin- ärztliche Versorgungszentren in zentralen ne einer laufenden Raumbeobachtung Orten“ werden vor allem seine breite öf- aufgebaut werden. fentliche Kommunikation und modellhafte – Bildung einer regionalen Gesundheits- Umsetzung vorgeschlagen: versorgungskonferenz, an der regel- – Die Region Mecklenburgische Seenplat- mäßig Vertreter von Kommunen, der te sollte die Ergebnisse zur Situation der Gesundheitsämter, des Regionalen Pla- ambulanten medizinischen Versorgung nungsverbandes und der Bedarfsträger in Form einer Broschüre einer möglichst im Gesundheitsweisen teilnehmen. Die- breiten Öffentlichkeit zugänglich ma- se Konferenz sollte sich die Kommunika- chen und damit das Problembewusst- tion des Leitbildes und seine modellhaf- sein im politischen Raum und bei den te Umsetzung zur Aufgabe machen. Trägern im Gesundheitswesen schaffen bzw. verstärken. – § 13 der Zulassungsverordnung für Ver- tragsärzte sollte mit Leben erfüllt wer- den: „Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen haben andere Träger der Kranken- versicherung und die Kommunalen Verbände, soweit deren Belange durch die Bedarfsplanung berührt werden, zu unterrichten und bei der Aufstellung und Fortentwicklung der Bedarfspläne rechzeitig hinzuziehen.“