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SWR2 Musikstunde

Expeditionen ins deutsche Herz Teil V: Aussicht keine, – Im Harz mit Heine Von Katharina Eickhoff

Sendung: Freitag, 23. Januar 2015 9.05 – 10.00 Uhr

Redaktion: Norbert Meurs

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Musikstunde mit Katharina Eickhoff Freitag, 23. Januar 2015 Expeditionen ins deutsche Herz Teil V: Aussicht keine, Heinrich Heine – Im Harz mit Heine

Indikativ

„Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine“ Was da klingt wie von Traxler oder Gernhardt erfunden, hat Heinrich Heine tatsächlich höchstselbst ins Gipfelbuch des Brocken geschrieben, als er am 19. September 1824 schnaufend oben ankam. Heine hat immerhin noch Steine gesehen damals – als ich am zweiten Tag meines Brocken-Abenteuers droben ankomme, hat sich der baumentwurzelnde Wind von gestern zu einer Art Eissturm ausgewachsen, in dem man eigentlich weder den Kopf heben noch die Augen öffnen sollte. Als ich es dann doch mal mache, steht Heine vor mir, eisverkrustet: Auf einen Gedenkstein haben sie sein Profil geritzt, weil er doch in seiner „Harzreise“ so schön über den Brocken geschrieben hat, der mit seiner eigenartigen Aura sogar den spitzzüngigen Heine kurz ganz großzügig hat werden lassen: „Der Brocken ist ein Deutscher“, schreibt er, „Der Berg hat so etwas Deutschruhiges, Verständiges, Tolerantes.“ In „Deutschland, ein Wintermärchen“ klingt das dann genau zwanzig Jahre später ganz anders, da ist Heine schon nach Frankreich umgezogen und lässt an allem Deutschen kein gutes Haar – aber jetzt, im September 1824, als Göttinger Student der Rechte, ist er ja noch jung und gutwillig...Na ja, zugegeben, wenn er über Göttingen schreibt, von wo aus er loszieht, dann hat er auch jetzt schon reichlich Vitriol in seiner Tinte: „Die Stadt selbst ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht“, heißt es da, und: „Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh, welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste...

Die Zahl der Göttinger Philister muss sehr groß sein, wie Sand, oder besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.“ Hoffen wir mal, dass es in Heines Sinne ist, wenn wir ihn für seine Harzwanderung von Göttingen aus mit einem französischen Chanson losschicken: Barbara, diese melancholische Dichterin am Flügel, ist 1964, ziemlich genau 140 Jahre später, nach Göttingen gekommen, unwillig, weil sie mit ihrer jüdischen Familie fürchterliche Erfahrungen mit den Deutschen gemacht hat. Und war dann erst verwirrt und schließlich beseelt von der Stadt, ihren berühmten Rosengärten und den zu ihr so freundlichen Göttingern, so beseelt, dass sie noch vor Ort dieses Lied geschrieben hat, das zur deutsch-französischen Freundschaft womöglich fast so viel beigetragen hat wie Heines Liebeserklärungen an Paris: Göttingen. 2’50

M0329825 (AMS) 01-009 2’40

Barbara, Göttingen

In Göttingen hat Barbara, die sich mit ihrer Familie vor den Nazis verstecken musste, ihren Frieden mit den Deutschen gemacht. Heinrich Heine hat den deutschen Antisemitismus ja schon zu seiner Zeit am eigenen Leib gespürt, und er war äußerst empfindlich, was das betrifft: In Göttingen haben sie ihn zwischenzeitlich vom Studium ausgeschlossen, weil er sich mit einem Kommilitonen duelliert hat – der Mensch hatte antisemitische Beleidigungen über ihn verbreitet. Göttingen also lässt Heine in diesem September 1824 ganz gerne hinter sich und macht sich zur Wanderung in Richtung Harz und Brocken auf. So ein Harz-Trip war seinerzeit eine für Göttinger Studenten ziemlich übliche Semesterferien-Tour,- als Goethe knapp fünfzig Jahre früher zum ersten mal in den Harz aufgebrochen ist, war das noch ein eher exotisches Reiseziel, aber seitdem ist viel passiert, die Romantiker- Bewegung hat sich, nicht zuletzt auf Goethes Spuren, der waldesrauschenden Natur hingegeben, und alle Welt entdeckt jetzt die Heilkraft der guten Harzer Bergluft, Bresthafte aller Art verfügen sich sommers dorthin.

Und weil Heine unter chronischer Migräne leidet, erklärt er seine Harzreise zur Wellness-Anwendung und stiefelt los, mit dabei: Zwei Paar Wanderstiefel, ein Rucksack, zwei Pistolen (mit denen er sich aber nicht, wie Weiland Werther, zu erschießen gedenkt), und Gottschalcks Reiseführer „Taschenbuch für Reisende in den Harz“, die 2. Auflage von 1817. Der Puff im Göttingen vorgelagerten Bovenden, an dem er vorbeikommt, ist im Touristenführer vermutlich nicht verzeichnet gewesen – Heine kannte ihn aber ganz gut, de facto hat er sich, was er noch nicht weiß, wohl Anfang dieses Jahres bei einer der Damen dort mit jener „Krankheit der glücklichen Männer“, wie er das nennt, angesteckt, deren Ausläufer ihn dann Jahrzehnte später in die „Matratzengruft“ zwingen. „Sie küsste mich lahm, sie küsste mich krank, sie küsste mir blind die Augen“, heißt es in einem seiner späten Gedichte... Jetzt, im September 1824, schaut er auf seinem Weg in den Harz noch ahnungslos gutmütig auf den Liebesbetrieb: “Aus den Myrtenlauben bei Rauschenwasser“, schreibt er, „sah ich zwei hoffnungsvolle Jünglinge hervorreiten. Ein Weibsbild, das dort sein horizontales Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landstraße das Geleit, klätschelte mit geübter Hand die mageren Schenkel der Pferde, lachte laut auf, als der eine Reiter ihr hinten, auf die breite Spontaneität einige Galanterien mit der Peitsche überlangte, und schob sich alsdann gen Bovden. Die Jünglinge aber jagten nach Nörten, und johlten gar geistreich, und sangen gar lieblich das Rossinische Lied „Trink Bier, liebe, liebe Liese!“ Lang und breit habe ich nach diesem „Rossinischen Lied“ gefahndet, um es hier jetzt zu Gehör zu bringen, und glaube mittlerweile: Heine hat’s, wie so vieles, erfunden. Aber so ein kleiner Rossini wäre jetzt vielleicht doch ganz angebracht, und weil Heine dann im Verlauf seiner Reise so zärtlich über die Frauen schreibt und dichtet, spielt also „Une caresse à ma femme“. 3’10

M0325601(AMS) 01-005 3’30

Gioacchino Rossini, Une caresse à ma femme Silke Avenhaus

...aus den „Alterssünden“, die Heinrich Heine ja traurigerweise dann gar nicht mehr begehen konnte. Jugendsünden begeht er aber auf seiner Harzwanderung dafür mit viel Gusto, in einem Gasthaus auf dem Weg, wo er zum Mittagessen Halt macht, begegnen ihm ein Herr und zwei Damen, die ihn nach einem „ordentlichen“ Hotel in Göttingen fragen – und unter dem Grinsen des Wirtes schickt Heine sie mit wärmsten Empfehlungen zum Hotel de Brühbach, das in Wahrheit der städtische Studentenkarzer ist. Die zwei Frauen hat er dann auch noch in seinem Reisebericht verewigt, und wenn man das so liest, ist man eventuell ganz froh, dass man diesem genialen Lästermaul nicht an einem bad- hair-day über den Weg gelaufen ist...„Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitläuftige Dame, ein rotes Quadratmeilen- Gesicht mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen...Die andere Dame, die Frau Schwester, bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kühen, so stammte diese von den magern. Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwei Ohren, die Brust trostlos öde, wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freitisch für arme Theologen.“ – O ja, Heine ist im Vollbesitz seiner Heine’schen Ironie auf seiner Harz-Tour, unterwegs Richtung Clausthal-Zellerfeld wandert er ein Stück mit einem Schneidergesellen, „ein niedlicher, kleiner junger Mensch, so dünn, dass die Sterne durchschimmern konnten, wie durch Ossians Nebelgeister, und im Ganzen eine volkstümlich barocke Mischung von Laune und Wehmut. Dieses äußerte sich besonders in der drollig rührenden Weise, womit er das wunderbare Volkslied sang: „Ein Käfer auf dem Zaune saß; summ summ!“ Das“, schreibt Heine, „ist schön bei uns Deutschen; keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht. Nur ein Deutscher kann jenes Lied nachempfinden und sich dabei totlachen und totweinen.“ – Er selber übrigens ist gerade eigentlich mit anderen Liedern beschäftig, nämlich mit den Gedichten, die dann drei Jahre später als sein erster großer Gedichtband, das „Buch der Lieder“ erscheinen, die bei weitem erfolgreichste und auch meistvertonte Gedichtsammlung in deutscher Sprache, mit Gedichten, die ja fast alle von dieser Art sind, dass man sich bis heute „dabei totlachen und totweinen“ möchte... 2’30

M0327590(AMS) 01-009 4’03

Robert Schumann, Die alten, bösen Lieder Daniel Kahn & The Painted Bird

...und weiter geht die Reise, kleine rhetorische Preziosen pflückt Heine dabei so am Wegesrand, über Osterode heißt es: „Die Stadt hat soundso viel Häuser, verschiedene Einwohner, worunter auch mehrere Seelen, wie in Gottschalks „Taschenbuch für Harzreisende“ genauer nachzulesen ist.“ Im Gasthaus Krone in Clausthal gibt’s Petersiliensuppe und Kalbsbraten zu Mittag (– heute wirbt dort ein Steakhouse mit dem unwiderstehlichen Slogan „Steak eat easy“ -) ...und nachher lässt er sich, wie seinerzeit schon Goethe, die Erzgruben und Silberminen zeigen. Er lernt Bergleute kennen, lässt sich alte Geschichten von ihnen erzählen und hört begeistert ihren Liedern zu, zu denen sie sich auf ihren Harzzithern begleiten. Und wie er da so am nordwestlichen Rand des Harzes herumspaziert, beginnt der Landschaftszauber aus Wald und Berg und Tal langsam zu wirken: „Die Berge wurden hier noch steiler, die Tannenwälder wogten unten wie ein grünes Meer, und am blauen Himmel oben schifften weiße Wolken...Eben wie ein großer Dichter, weiß die Natur auch mit den wenigsten Mitteln die größten Effekte hervorzubringen. Da sind nur eine Sonne, Bäume, Blumen, Wasser und Liebe.

Freilich, fehlt letztere im Herzen des Beschauers, so mag das Ganze wohl einen schlechten Anblick gewähren, und die Sonne hat dann bloß soundso viel Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfäden klassifiziert, und das Wasser ist naß.“ 1’40

M0033161(AMS) 01-020 bis 2’

Robert Schumann, Die alten, bösen Lieder Uri Caine & Ensemble

Gleich oberhalb von Clausthal liegt, allerliebst zwischen Bergeshügeln, der Ort mit dem lustigen Namen Wildemann – es soll dort tatsächlich mal ein wilder Mann gelebt und das Erz im Berg bewacht haben, bis zivilisierte Menschen kamen, ihn totgeschossen und den Bergbau eröffnet haben. Hier hat ein Kollege von Heine, überwältigt von der Natur, ein wunderbares Gedicht verfasst: Ernst Schulze, geboren in Celle, war eine schwärmerische Natur und Romantiker durch und durch – er hat in lyrischsten Versen seine eine große, an Schwindsucht gestorbene Liebe besungen, bis er ihr dann, mit achtundzwanzig Jahren, selber an Schwindsucht hinterhergestorben ist, - von den paar sehr schönen Gedichten, die Ernst Schulze hinterlassen hat, ist wenig bekannt, allerdings hat immerhin Franz Schubert sie entdeckt und einige davon vertont. Schulze und Heine haben sich ganz knapp verpasst, Schulze hat nämlich ein paar Jahre vor Heine in Göttingen studiert. Und ist, genau wie Heine, irgendwann zur Wanderung Richtung Harz aufgebrochen, im letzten Jahr vor seinem Tod. Sein Harzgedicht heißt mit vollständigem Titel: „Über Wildemann, einem Bergstädtchen am Harz, den 28sten April 1816“. 1’20

CD T. 7 2’13

Franz Schubert, Über Wildemann Christoph Prégardien, Michael Gees EMI 5 55007 2

Unterwegs nächtigt Heine in einem Gasthaus, in dessen Gästebuch er den Namen eines sehr geschätzten Kollegen entdeckt: Adelbert von Chamisso hat just ein paar Wochen vorher offenbar die gleiche Tour gemacht...Dann kommt er schließlich, am obersten östlichen Harzrand, in Goslar an, der alten Kaiserstadt, die ihm sein Reiseführer so begeistert angepriesen hat. Die schwarz angelaufenen Standbilder deutscher Kaiser vorm Gildehaus machen Heine aber nicht froh, sie sähen, findet er, aus „wie gebratene Universitätspedelle“, und der ganze Ort ist, schreibt er, „verfallen und dumpfig, und ein Pflaster, so holprig wie Berliner Hexameter.“ Als ich so rund hundertneunzig Jahre später an einem verregneten Abend im Advent nach Goslar komme, ist von den Pedellen vorm Gildehaus und dem Kopfsteinpflaster so gut wie nichts zu sehen, denn es herrscht Ausnahmezustand, bzw. Weihnachtsmarkt: Massen von vergnügungswilligen und hungrigen Niedersachsen fluten die nach Lumumba riechende Innenstadt mit den Budengassen und essen und trinken, als hätten sie seit Wochen nur von Wasser und Brot gelebt. Dann doch lieber die Lumumba-gequälte Nase ganz schnell wieder in Heines Reisebericht stecken – dort riecht es herrlich nach Moos, denn Heine ist inzwischen, nachdem er in einem dunklen Goslarer Hausflur einem hübschen Lockenkopf noch einen Kuss geraubt hat, oder es sich zumindest vorstellt, endlich mal mit dem Aufstieg zum Brocken beschäftigt und beschreibt, wie man sich das an einem sonnigen Septembertag so vorzustellen hat: „Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Überall schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schönsten Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern, bewachsen. Liebliche Kühle und träumerisches Quellengemurmel...Da lässt sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar, die Vögel singen abgebrochene Sehnsuchtslaute, die Bäume flüstern wie mit tausend Mädchenzungen, wie mit tausend Mädchenaugen schauen uns an die seltsamen Bergblumen, sie strecken nach uns aus die wundersam breiten, drollig gezackten Blätter, spielend flimmern hin und her die lustigen Sonnenstrahlen, die sinnigen Kräutlein erzählen sich grüne Märchen, es ist alles wie verzaubert, es wird immer heimlicher und heimlicher, ein uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erscheint – ach, dass sie so schnell wieder verschwindet! 2’40

M0125087(AMS) 01-009 1’43

Robert Schumann, Du bist wie eine Blume Nils Mönkemeyer, Nicholas Rimmer

Als Heine dann in die höheren Brocken-Regionen vordringt, wo es immer kälter wird und die Tannen demzufolge immer kleiner, denkt er aber nicht mehr an zarte Mädchen und Moosröschen, sondern eher an Besenstiele: „Die wunderlichen Gruppen der Grantiblöcke werden hier erst recht sichtbar“, schreibt er, „diese sind oft von erstaunlicher Größe. Sie mögen die Spielbälle sein, die sich die bösen Geister einander zuwerfen in der Walpurgisnacht, wenn hier Hexen auf Besenstielen und Mistgabeln einhergeritten kommen und die abenteuerlich verruchte Lust beginnt...In der Tat“, so Heine, „wenn man die obere Hälfte des Brockens besteigt, kann man sich nicht erwehren, an die ergötzlichen Blocksbergsgeschichten zu denken, und besonders an die große, mystische, deutsche Nationaltragödie vom Doktor Faust. Mir war immer, als ob der Pferdefuß neben mir hinaufkletterte und jemand humoristisch Atem schöpfe. Und ich glaube, auch Mephisto muss mit Mühe Atem holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt; es ist ein äußerst erschöpfender Weg...“. – Klar spielt Heine da, ohne sie direkt zu erwähnen, auf die Brockenszene in Goethes Faust an, wo Mephisto ja beim Blocksberg-Erklettern schon leicht ausgelaugt wirkt, aber immer noch verdammt gute Witze macht. Natürlich steht Goethes Geschichte mit dem Brocken hinter Heines ganzer Harzreise, und natürlich ist Heine sowieso ein ganz großer Goethe-Fan, für einen Ironiker wie ihn ist das schwer zuzugeben, aber er verehrt den Olympier tatsächlich auf Knien. Was ihm allerdings, und das ist auch wieder typisch, keine Berührungsängste macht, im Gegenteil: Olympier hin oder her, findet Heine, das Thema „Faust“ hat Goethe trotzdem nicht für sich alleine gepachtet. Ein Göttinger Kommilitone hat später in seinen Erinnerungen an Heine folgende Aussage notiert: „Ich denke auch einen zu schreiben.“, so Heine. „Nicht um mit Goethe zu rivalisieren, nein, jeder Mensch sollte einen Faust schreiben.“ Der Mitstudent rät ihm dann, unbedingt diesen Plan zu verfolgen, das Ergebnis dann aber am besten nicht drucken zu lassen...

In gewisser Weise hat Heine sich daran sogar fast gehalten: Er schreibt zwar seit seinen Studienzeiten an diversen „Faust“-Entwürfen, aber so recht wird nichts draus über Jahrzehnte, und erst ganz am Ende seines Lebens, schon längst an die Matratzengruft gefesselt, skizziert er dann in Auftrag eines Londoner Theaters ein Ballettszenario, das allerdings tatsächlich ein paar neue und unerwartete Aspekte in petto hat, allem voran die Figur des Mephistopheles. Der heißt nämlich bei Heine Mephistophela und ist eine Frau. Nix da mit „Das Ewig Weibliche zieht uns hinan“, Heine hat sich lieber an den Spruch aus der Goetheschen Walpurgisnacht gehalten: „...denn geht es zu des Bösen Haus, / Das Weib hat tausend Schritt voraus.“ – Bei ihm zieht das Ewig Weibliche eindeutig ziemlich runter. Vielleicht war die Mephistophela, die den Faust da am Ende vertragsgemäß in die Hölle zerrt, ja auch eine Reminiszenz des todkranken Heine an das leichte Mädchen, das ihm über zwanzig Jahre vorher in Rauschenwasser bei Göttingen jene fürchterliche Krankheit vererbt hatte, so wie die Haetera Esmeralda, der giftige Schmetterling, in Thomas Manns „Doktor Faustus“ den Adrian Leverkühn ansteckt... Das Ballett ist dann wegen diverser Schwierigkeiten nicht aufgeführt worden, es fragt sich aber sowieso, ob man damals tatsächlich ernsthaft vorhatte, das auf der Bühne zu zeigen – Heine scheint, unfähig zur praktischen Ausführung, wie er am Ende war, in seiner Fantasie umso hemmungsloser gewesen zu sein, jedenfalls geht es da in seiner „Faust“-Phantasmagorie spätestens in der Walpurgisnacht ziemlich deftig zur Sache: Faust verschwindet mit der Herzogin, dem Objekt seiner Begierde, im Liebestaumel im Gebüsch, sie gibt sich kurz darauf auf offener Bühne dem schwarzen Bock hin, undsoweiter...Sodom und Gomorrha mit Spitzentanz, das konnte auch bloß dem Chefironiker Heine als erstes einfallen. Ziemlich genau hundert Jahre später hat dann Werner Egk eine Ballettmusik zu dem Heine-Faust komponiert, „Abraxas“ heißt sie, und da klingt es in der Walpurgisnacht dann so: 4’20

CD 2’30

Werner Egk, Kleine Abraxas-Suite, Tanz der Buhlen und Buhlinnen RIAS Symphonie-Orchester DGG 00289 479 2691

Vielleicht sollte man hier an dieser passenden Stelle dann doch mal kurz die Sache mit dem Goethebesuch vorwegnehmen: Heine hat nämlich diese ganze Harzreise inklusive Brockenbesteigung mit dem heimlichen Ziel angefangen, danach südwärts nach Weimar weiterzuwandern und dort dem von ihm so sehr bewunderten Überdichter einen Besuch abzustatten. Und er ist tatsächlich nach Weimar gelaufen – zwischendurch vielleicht auch mal ein bisschen mit der Eilpost gefahren -, und hat vor Ort dann im Haus am Frauenplan angefragt, ob der Meister ihn empfangen würde. „Ew. Excellenz bitte ich mir das Glück zu gewähren einige Minuten vor ihnen zu stehen. Ich will gar nicht beschwerlich fallen, will nur ihre Hand küssen und wieder fort gehen. Ich heiße H. Heine, bin Rheinländer, verweile seit kurzem in Göttingen und lebte vorher einige Jahre in Berlin, wo ich mit mehreren Ihrer alten Bekannten und Verehrern ... umging und Sie täglich mehr lieben lernte. Ich bin auch ein Poet, und war so frei Ihnen vor 3 Jahren meine Gedichte und vor anderthalb Jahren meine Tragödien nebst meinem lyrischen (Ratcliff und Almansor) zuzusenden. Außerdem bin ich auch krank, machte deshalb vor 3 Wochen eine Gesundheitsreise nach dem Harz, und auf dem Brocken ergriff mich das Verlangen zur Verehrung Goethes nach Weimar zu pilgern. Im wahren Sinne des Wortes bin ich nun hergepilgert, nämlich zu Fuß und in verwitterten Kleidern, und erwarte die Gewährung meiner Bitte und verharre mit Begeisterung und Ergebenheit. H. Heine Weimar, d. 1. Oktober 1824“ Goethe hat Heine empfangen – und der Besuch ist mit vollem Karacho in die Hose gegangen. Denn nach ein bisschen stockender Unterhaltung über das Wetter hat Goethe gefragt: „Womit beschäftigen Sie sich jetzt?“ Und Heine hat darauf die Antwort gegeben, die man ausgerechnet Goethe nun wirklich nicht geben durfte, er sagte doch glatt: „Mit einem Faust.“ – Goethe hat kein Wort dazu gesagt, nur noch gefragt: „Und haben Sie sonst keine Geschäfte in Weimar?“, Heine hat noch irgendwas Verehrungsvolles gestammelt und einen bedröppelten Abgang gemacht. Später schreibt er über den verunglückten Besuch: „Ich habe in so manchen Winternächten darüber nachgedacht, wie viel Erhabenes und Tiefsinniges ich dem Goethe sagen würde, wenn ich ihn mal sähe. Und als ich ihn endlich sah, sagte ich ihm, dass die sächsischen Pflaumen sehr gut schmeckten. Und Goethe lächelte.“ Über die literarische Produktion, die der junge Heine so hoffnungsvoll an Goethe geschickt hatte, hat der natürlich auch kein Wort verloren, ziemlich sicher hat er es, wie fast alles, nicht gelesen.

Der „“ ein der damaligen Schottenmode sich andienendes Schauerdrama, hat allerdings auch sonst nicht wirklich reüssiert – irgendwie war Heine kein geborener Dramatiker - , trotzdem haben immerhin zwei bekannte Komponisten eine Oper draus gemacht, in Russland Cesar Cui, und in Italien , bei ihm heißt der Held dann „Guglielmo Ratcliff“, und ein verträumtes orchestrales Intermezzo daraus ist als „Il sogno di Ratcliff“ sogar noch leidlich bekannt geworden: 3’20

1933191(STG) 01-010 5’00

Pietro Mascagni, Il sogno di Ratcliff aus „Guglielmo Ratcliff“ Sinfonieorchester des Tschechoslowakischen Rundfunks Bratislava Ondrej Lenárd

... Ich muss derweil oben auf dem Brockengipfel einsehen, dass aus meinem geplanten Abstieg auf Heines Spuren wohl nichts werden wird: Eigentlich wollte ich mit der Brockenbahn bergaufwärts fahren, und dann auf der anderen Seite über den Ilsenstein nach Ilsenburg hinunterklettern, eben den Weg, den Heine damals im September 1824 genommen hat, wobei er sich das dort fließende Flüsschen Ilse so allerliebst als Prinzessin ausgemalt hat, die ihm den Hang hinunter entgegenspringt...aber das, wie gesagt, ist völlig unmöglich: Auf der Fahrt hoch mit dem altertümlichen Bähnchen wirkt der romantisch verschneite Brockenwald zwar noch ganz harmlos, aber droben herrscht der Eissturm – man kann sich nur mit gesenktem Kopf irgendwie ins Brockenhaus durchkämpfen...“In der Wirtsstube“, schreibt Heine, „fand ich lauter Leben und Bewegung...Die einen sind kurz vorher angekommen und restaurieren sich, andere bereiten sich zum Abmarsch, schnüren ihre Ranzen, schreiben ihre Namen ins Gedächtnisbuch, erhalten Brockensträuße von den Hausmädchen: da wird in die Wangen gekniffen, gesungen, gesprungen, gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter, Fußweg, Prosit, Adieu. Einige der Abgehenden sind auch etwas angesoffen, und diese haben von der schönen Aussicht einen doppelten Genuß, da ein Betrunkener alles doppelt sieht.“ –

Ich... stolpere in den riesigen Gastsaal des in den 50-ern unter DDR- Regie erbauten Brockenhotels und stelle mir vor, wie das wäre, wenn jetzt einer die etwas herbe ältere Dame an der Kasse des Schnellrestaurants in die Wangen kneifen würde. Droben auf dem Dach des Hotels hatten sie zu DDR-Zeiten gleich zwei Spionagesender installiert: Der russische hieß Jenissej, der deutsch-demokratische Urian. Man kennt hier schließlich seinen „Faust“... Was Heine, der sich so an Deutschland abgearbeitet hat, wohl dazu gesagt hätte, wenn man ihm erzählt hätte, dass dieser Brocken später mal zum Brennpunkt deutscher Geschichte werden würde? Die Grenze zwischen den zwei Deutschlands verlief ja direkt über den Berg, die Brockenspitze war Sperrgebiet, Betreten verboten, bis zum 3. Dezember 1989, als mehrere tausend Deutsche beider Seiten sich in einem Sternmarsch zum Brockengipfel ihren Berg wieder zurückerobert haben. Das kann ich auf der irgendwo vorm Brockenaus angebrachten Gedenktafel im eisigen Schneesturm gerade noch entziffern, dann muss ich mich schnell in die abfahrende Brockenbahn retten, in der auf der Rückfahrt Richtung Wernigerode andere herbe ältere Damen „Schierker Feuerstein“ verkaufen, ein in der Tat ziemlich teuflisch schmeckendes bräunliches Kräuterlikör-Gebräu, das man bei dem Wetter dringend nötig hat. Ich komme dann wohl lieber mal im September wieder...Heine hat zwei Nächte hier oben verbracht und damals schon viel über das spezifisch Deutsche an diesem Brocken nachgedacht: „Ja, in hohem Grade wunderbar erscheint uns alles beim ersten Hinabschauen vom Brocken, alle Seiten unseres Geistes empfangen neue Eindrücke, und diese, meistens verschiedenartig, sogar sich widersprechend, verbinden sich in unserer Seele zu einem großen, noch unentworrenen, unverstandenen Gefühl. Gelingt es uns, dieses Gefühl in seinem Begriffe zu erfassen, so erkennen wir den Charakter des Berges. Dieser ist ganz deutsch, sowohl in Hinsicht seiner Fehler, als auch seiner Vorzüge...Und wenn solch ein Berg seine Riesenaugen öffnet, mag er wohl noch etwas mehr sehen, als wir Zwerge, die wir mit unsern blöden Äuglein auf ihm herumklettern. Viele wollen zwar behaupten, der Brocken sei sehr philiströse, und Claudius sang: „Der Blocksberg ist der lange Herr Philister!“ Aber das ist ein Irrtum. Durch seinen Kahlkopf, den er zuweilen mit einer weißen Nebelkappe bedeckt, gibt er sich zwar einen Anstrich von Philiströsität; aber, wie bei manchen andern großen Deutschen, geschieht es aus purer Ironie...“. 4’10

M0041233 T. 29 3’10

Robert Schumann, Mein Wagen rollet langsam Christoph Prégardien, Michael Gees