Der Weg der Pianistin auf die Konzertbühne

Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren im 19./20. Jahrhundert

Wissenschaftliche Masterarbeit von

Anna Ulaieva, 0973203

Masterstudium Klavier, Studienkennzahl V 066 711, UG2002/14U

Universität für Musik und darstellende Kunst Graz

Betreuerin:

Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Ingeborg Harer

Institut 15: Alte Musik und Aufführungspraxis

Januar 2017

Meiner Mutter gewidmet

II Danksagung

Ich möchte mich bei Frau Prof. Ingeborg Harer für die Betreuung der Arbeit und die vielen wertvollen Hinweise und Hilfestellungen herzlichst bedanken.

Frau Eleonore Kontsch von der KUG-Bibliothek gilt auch mein besonderer Dank für ihre Hilfe und Unterstützung bei Recherche und Bezug der Literatur.

Weiteren Dank möchte ich all meinen Freundinnen und Freunden sowie Professorinnen und Professoren aussprechen, die mich durch das Studium begleitet haben, mit denen ich unzählige glückliche Momente an der KUG verbringen konnte und die mir stets mit neuen Ideen, Anregungen und Rückmeldungen zur Seite standen.

Da Deutsch nicht meine Muttersprache ist, möchte ich Dipl.-Ing. Thomas Stöhr für das Lektorieren der Arbeit danken.

Für die ständige, lebenslange Unterstützung, Ermutigung und Förderung möchte ich abschließend meinen Eltern von ganzem Herzen danken.

III Der Weg der Pianistin auf die Konzertbühne – Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren im 19./20. Jahrhundert. Die vorliegende Arbeit behandelt den Werdegang der konzertierenden Pianistinnen sowie Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Beginnend beim gesellschaftlichen Rollenbild der Frauen und den resultierenden Einschränkungen im frühen 19. Jh. werden Einflussfaktoren im Kontext der sozialen Entwicklungen bis hin zur Etablierung von institutionellen Ausbildungsmöglichkeiten für Pianistinnen beleuchtet. Anhand der Dar- und Gegenüberstellung der Klaviertraditionen von Clara Schuman und Theodor Leschetizky wird in weiterer Folge die Entwicklung der Klavierpädagogik mit ihren Charakteristika skizziert. Als bedeutende Vertreterinnen der beiden Schulen werden Fanny Davies und Annette Essipoff identifiziert und ihr künstlerisches Schaffen methodisch miteinander verglichen, indem Vita, Konzerttätigkeit und Repertoire, Analysen von Tonaufnahmen und Rezensionen in zeitgenössischen Medien untersucht und gegenübergestellt werden. Den Abschluss bildet eine Darstellung der Rahmenbedingungen von Künstlerinnen der Gegenwart.

Female pianists on the concert stage – Circumstances and influences in the 19th /20th century.

This thesis deals with the development of concert activities of female concert pianists including circumstances and influences from the beginning of the 19th century until today. Starting with social conventions and limitations for women at the beginning of the 19th century, influences and circumstances within the context of social changes are depicted and the origin of professional education institutes for female pianists are illustrated. In addition, the development of modern education described, followed by a comparison of the piano teaching methods of and Theodor Leschetizky. As most relevant female representatives of each piano teaching method the pianists Fanny Davies and Annette Essipoff serve as examples. Their artistic work is revealed by facts of their vita, concert activities and repertoire, as well as by analysis of sound recordings and newspaper reviews. Finally, relevant facts and career circumstances of today´s female concert artists are presented.

IV Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Literaturbericht ...... 1

2 Der lange Weg auf die Bühne ...... 6

2.1 Gesellschaftliche Konventionen und Rollenbild der Frau ...... 7

2.2 Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen ...... 12

2.3 Pianistinnen und Konzertwesen ...... 16

2.4 Die Entstehung von Ausbildungsmöglichkeiten ...... 24

2.5 Bedeutende Pianistinnen des 19. und 20. Jahrhunderts ...... 27

3 Clara Schumann und Theodor Leschetizky ...... 38

3.1 Clara Schumann ...... 38

3.1.1 Kindheit und Ehe mit Robert Schumann ...... 39

3.1.2 Clara Schumanns Klavierpädagogik ...... 46

3.2 Theodor Leschetizky ...... 54

3.2.1 Klavierkunst im Russland des 19. Jahrhunderts ...... 55

3.2.2 Werdegang und Kurzbiographie ...... 58

3.2.3 Theodor Leschetizkys Klavierpädagogik ...... 60

3.3 Gegenüberstellung der Methoden Schumann / Leschetizky ...... 71

4 Fanny Davies und Annette Essipoff ...... 74

4.1 Fanny Davies ...... 74

4.1.1 Kurzbiographie...... 74

4.1.2 Konzerttätigkeit und Rezension ...... 76

4.1.3 Analyse von Tonaufnahmen ...... 78

4.2 Annette Essipoff ...... 80

4.2.1 Kurzbiographie...... 80

4.2.2 Konzerttätigkeit und Programm ...... 82

4.2.3 Analyse von Tonaufnahmen ...... 84

V 4.3 Fanny Davies und Annette Essipoff im Spiegel zeitgenössischer Rezensionen ...... 86

4.3.1 Rezensionen über Fanny Davies ...... 88

4.3.2 Rezensionen über Annette Essipoff ...... 90

4.4 Gegenüberstellung ...... 94

4.4.1 Konzerttätigkeit und Vita ...... 94

4.4.2 Analyse der Aufnahmen ...... 95

4.4.3 Zeitgenössische Rezensionen ...... 95

4.4.4 Anmerkungen zur Gegenüberstellung ...... 96

5 Pianistinnen und Künstlerinnen heute ...... 98

6 Anhang ...... 107

6.1 Rezensionen über Fanny Davies ...... 107

6.2 Rezensionen über Annette Essipoff ...... 111

6.3 Zeitgenössische Rezensionen anderer Musikjournale ...... 122

7 Literaturverzeichnis ...... 124

7.1 Primärliteratur ...... 124

7.2 Sekundärliteratur ...... 125

7.3 Russischsprachige Literatur ...... 127

7.4 Zeitungen und Journale ...... 128

7.5 Aufnahmenverzeichnis ...... 129

7.6 Internetquellen ...... 129

7.7 Bildquellen ...... 131

VI

1 Einleitung und Literaturbericht

Die Motivation zu dieser Arbeit fußt grundlegend in meinem Interesse die Erfolgsfaktoren, Einflussgrößen und Umstände einer erfolgreichen und nachhaltigen Karriere als Musikerin auf der Konzertbühne zu kennen und zu verstehen. Diese Forschung habe ich betrieben, um zum einen die Selbstentwicklung als Musikerin, Pianistin und Pädagogin voranzubringen und zum anderen um einen Beitrag zu leisten zur Erforschung der Entwicklung und der besonderen Rahmenbedingungen konzertierender Frauen. Diese Ansprüche haben den Forschungsbereich bestimmt. Vor neun Jahren habe ich aus dieser Motivation heraus die Problematik des Lampenfiebers erforscht, um die Qualität des Auftritts durch Selbstbeherrschung und Aufregungskontrolle zu steigern. Bei der nun vorliegenden Arbeit dominierte das Interesse die Besonderheiten im Konzertleben der Frau zu beleuchten. Die ursprüngliche Idee zu dieser Arbeit war, die Diskrepanz zwischen konzertierenden Männern und Frauen mit Fokus auf das 20. Jahrhundert darzustellen. Um jedoch die Entwicklung dorthin verstehen zu können, wurde der historische Grund, welcher für konzertierende Frauen im 19. Jahrhundert liegt, benötigt und dieser hat mich so fasziniert, dass die Arbeit einen anderen Vektor bekam. Die prägenden Persönlichkeiten Clara Schumann, Fanny Davies, Theodor Leschetizky und Annette Essipoff haben dabei so viel Raum und Aufmerksamkeit erobert, dass das ursprüngliche Konzept erst im letzten Kapitel Platz fand. Der Fokus der Arbeit liegt nun auf der künstlerischen Karriere konzertierender Pianistinnen und deren pädagogischem Hintergrund.

Die Literaturrecherche wurde zunächst bei der Bibliothek der Universität für Musik und darstellende Kunst begonnen mit dem Fokus auf Genderforschung. Dadurch wurden die Werke von Freia Hoffmann (Instrument und Körper1

1 Freia Hoffmann: Instrument und Körper - Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt am Main, 1991.

1 Einleitung und Literaturbericht 2

Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert2, Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin3), Eva Rieger (Die Frau in der Gesellschaft4, Frau, Musik und Männerherrschaft5), sowie von Ingeborg Harer und Karin Marsoner6 gefunden, welche sich als wertvollste Quellen im Bereich Genderforschung sowie zur Darstellung der Entwicklung der konzertierenden Künstlerinnen und somit die grundlegende Perspektive der Arbeit besonders im Kapitel 2 beeinflusst haben. Die Literaturquellen dieser Arbeiten dienten als Recherchegrundlage zur Identifizierung weiterer Primärquellen für Kapitel 2 und 3 sowie einflussreicher Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts wie Eduard Hanslick. Beim Studium der Literatur von Eduard Hanslick stellte sich beispielsweise heraus, dass dieser nicht nur sehr einflussreich und musikalisch vielseitig war, sondern auch oftmals vorurteilshaft kritisierte und Frauen geringschätzig bewertete. Beispielsweise schreibt er über die Geigerinnen Geschwister Ferni: „[…] von jenen schwer zu definierenden kleinen musikalischen Schwachheiten, auf welche wir bei den Schwestern Ferni aus doppeltem Grunde ihres Geschlechtes und ihrer Nationalität gefasst waren, haben wir sehr wenige und nur in schwacher Andeutung gefunden.“7 Aber auch zum Beispiel über die Pianistin Annette Falt schreibt dieser mit sexistischer Grundhaltung: „Die unzureichende Kraft ist eigentlich das Erbübel der Pianistinnen […]“8 Auf diesen genannten Quellen wurden aufbauend weitere Werke identifiziert und über die Bibliothek der KUG bezogen. An dieser Stelle sei auf die große Hilfe von Frau Eleonore Kontsch hingewiesen und mein Dank ausgesprochen, da sie bei

2 Freia Hoffmann / Volker Timmermann (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, Hildesheim, 2013. 3 Freia Hoffmann / Eva Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin: Auf der Suche nach einer Musikgeschichte der Frauen, Kassel, 1992. 4 Eva Rieger (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft - Frühe Texte, Frau und Musik, Berlin,1980. 5 Eva Rieger: Frau, Musik und Männerherrschaft – Zum Ausschluß der Frau aus der deutschen Musikpädagogik, Kassel, 1988. 6 Karin Marsoner / Ingeborg Harer: Künstlerinnen auf ihren Wegen - Ein “Nachtrag” Zur Geschichte des Grazer Musiklebens im 19. Jahrhundert, Graz, 2003. 7 Eduard Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, Wien,1869, S. 160. 8 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, S. 130.

Einleitung und Literaturbericht 3 der Recherche eines Großteils der Literatur über Theodor Leschetizky und Fanny Davies geholfen hat und die teilweise vorerst nicht verfügbaren Quellen organisiert hat. Die Darstellung der Methode von Theodor Leschetizky ist vor allem in den Werken von Annette Hullah9 sowie Ethel Newcomb10 äußerst detailliert und nachvollziehbar ausgeführt. Da beide in seine Schule gingen sind, sind diese Quellen besonders authentisch. Im Kontext der Forschung über Leschetizky sind die Deutsche Leschetizky Gesellschaft sowie der Serienband von Burkhard Muth besonders hervorzuheben. In zwei Bänden werden dabei die Werke von Annette Hullah und Angèle Potocka11 von Burkhard Muth ins Deutsche übertragen und kommentiert. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Werke von Friedrich Wieck12 und Malwine Bree13 von zeitloser Relevanz sind für meine persönliche Entwicklung als Pianistin wie auch als Pädagogin. Über Clara Schumann sind besonders viele Quellen verfügbar. Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind zum einen die bereits genannten Werke von Freia Hoffmann und Eva Rieger zu nennen sowie das Werk von Monica Steegmann.14 Die Beschreibung, der Pädagogik Clara Schumanns sowie ihr Wirken als Pädagogin nach dem Tod ihres Gatten Robert sind am detailliertesten von Annkatrin Babbe15 dargestellt. Die russischsprachige Literatur wurde teilweise an der nationalen Musikakademie in Kiev recherchiert. Vor allem die Biografien von Annette

9 Annette Hullah: Theodor Leschetizky [1906], Studien, Beiträge und Materialien zur Leschetizky-Forschung, Band 1, Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen, Fernwald, 2011. 10 Ethel Newcomb: Leschetizky As I Knew Him, , 1921. 11 Potocka Angèle: Theodor Leschetizky – Eine Studie des Menschen und Musikers aus persönlicher Bekanntschaft [1903], Studien, Beiträge und Materialien zur Leschetizky-Forschung, Band 2, Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragene und kommentiert von Burkhard Muth, Fernwald, 2016. 12 Friedrich Wieck: Clavier und Gesang – Didaktisches und Polemisches [1853], Regensburg, 1996. 13 Malwine Bree: Die Grundlage der Methode Leschetizky, Mainz, 1914. 14 Monica Steegmann / Eva Rieger (Hrsg.): Frauen mit Flügel - Lebensberichte berühmter Pianistinnen von Clara Schumann bis Clara Haskil, Frankfurt am Main, 1996. 15 Annkatrin Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts, Band 11, Oldenburg, 2015.

Einleitung und Literaturbericht 4

Essipoff sowie Quellen zur russischen Kulturgeschichte sind auf Russisch verfasst. Die Literatur von Nikolai Bertenson16 und Tamara Berkman17 wurde von Frau Prof. Harer zur Verfügung gestellt. Die Werke von Berkman und Bertenson sind die einzigen Monographien über Annette Essipoff. Es ist nicht gelungen ausführliche deutschsprachige Literatur zu finden. Beide Bücher sind relativ alt (1948), es gibt aber bis jetzt keine uns bekannten neueren ausführlichen Arbeiten über Essipoff. Beide Quellen sind in ihrer Formulierung etwas zu blumig und mit eigener Faszination der Figur Annette der Autoren geschrieben, was an der Objektivität der Darstellung zweifeln lässt. Auch spürt man eine etwas feindliche Beziehung zu Amerika. Bertenson stellt beispielsweise das amerikanische Publikum und den amerikanischen Lebensstil mit einer negativ gefärbten persönlichen Sicht dar. Er hält fest, dass Annette Essipoff beinahe gezwungen wurde fast eintausend ihrer eigenen Fotos zu signieren um diese anschließend zu verkaufen, dass das Publikum bei den Konzerten im Mantel saß und Tabak kaute und dass die Quantität der gespielten Werke mehr als die Qualität geschätzt wurde. Zu diesem Schluss kommt er, da es Konzerte gab, vor denen das Publikum Annette Essipoff seine Musikwünsche mitteilte und eher ihr Repertoire geschätzt wurde als die künstlerische Darbietung. Auch Seltsamkeiten des amerikanischen Lebens habe ihm zufolge Annette Essipoff nicht positiv beeindruckt um im Kontrast zum russischen Lebensstil diesen als besser oder richtiger aussehen zu lassen. Zum Beispiel wurden der Verzehr von süßen Austern und heißem Brot mit Eis oder die gesamte Esskultur mit freudlosen Mittagessen ohne Wein und Lachen sowie fast ohne Unterhaltung dargestellt.18 Über Fanny Davies ist nur wenig Literatur gefunden worden. Als ausführlichstes Werk ist jenes von Dorothy De Val zu nennen.19 Grund dafür könnte sein, dass

16 Nikolai Bertenson: Анна Николаевна Есипова - Очерк жизни и деятельности = Anna Nikolaevna Esipova – Abriss des Lebens und Tätigkeit, Leningrad, 1948. 17 Tamara Berkman: А. Н. Есипова - Жизнь, деятельность и педагогические принципы = A. N. Esipova – Leben, Werk und pädagogische Prinzipien, Moskau, 1948. 18 Vgl. Bertenson: Anna Nikolaevna Esipova, S. 33-35. 19 Dorothy De Val: Fanny Davies – A messenger for Schumann and Brahms?, in: Therese Ellsworth / Susan Wollenberg (Hrsg.): The Piano in Nineteenth-Century British Culture – Instruments, Performers and Repertoire, Cornwall, 2007, S. 217-238.

Einleitung und Literaturbericht 5

Fanny Davies vergleichsweise wenig Konzerte im deutschsprachigen Raum gab und hauptsächlich in Großbritannien konzertierte. Über das Portal MUGI Musik und Gender im Internet wurden viele wertvolle Informationen sowie weitere Literaturquellen recherchiert, genauso wie auf dem Online- Auftritt des Sophie Drinker Instituts. Das Kapitel 5 basiert hauptsächlich auf meinen eigenen Erfahrungen als Konzertpianistin, Teilnahmen an internationalen Wettbewerben sowie Kommunikation mit erfolgreichen Pianistinnen der jungen Generation. Es referenziert auch die vorangegangenen Kapitel methodisch. Für die Darstellung der Spitzenkarrieren zeitgenössischer Künstlerinnen ist das Werk von Ute Büchter-Römer20 verwendet worden.

20 Ute Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, München, 2011.

2 Der lange Weg auf die Bühne

Die Entstehungsgeschichte der konzertierenden Pianistinnen in Europa

1886 schreibt der angesehene Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick: „Es scheint nur noch Pianistinnen zu geben. Sie haben die Herren der Schöpfung vollständig verdrängt vom Clavier. Einer Schwadron von Damen stehen drei bis vier “Clavierhusaren” schüchtern gegenüber. In früheren Zeiten war das Verhältniß umgekehrt. Gewiß eine beachtenswerthe Erscheinung, die in anderen Hauptstädten ganz ähnlich auftritt.“21 In der Tat haben Frauen innerhalb kurzer Zeit den Weg vom häuslichen Musizieren auf die Konzertbühne gefunden. Im folgenden Kapitel wird dieser Werdegang beginnend bei der Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft, nachskizziert sowie wesentliche Einflussfaktoren, Rahmenbedingungen und Meilensteine dargestellt. Bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Rolle von Frauen im 19. Jahrhundert und dem Werdegang auf die öffentliche Bühne gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen. Es gibt kulturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern genauso wie zwischen Ständen oder Familientraditionen. So wurde Fanny Mendelssohn trotz ihrer enormen Begabung dazu erzogen ausschließlich zu Hause zu musizieren, da es für den adeligen Stand als unschicklich galt Mädchen für eine berufliche Karriere auszubilden. Clara Wieck hingegen wurde von ihrem Vater musikalisch ausschließlich für das Konzertwesen erzogen, um der ärmlichen Familie ein Einkommen zu sichern.22 Deswegen ist eine umfassende Darstellung dieses komplexen Sachverhaltes mit all seinen Schattierungen hier nicht möglich und ist auch nicht Fokus dieser Arbeit. Wichtig hingegen ist die Darstellung der gemeinsamen, gesellschaftlichen Konventionen als Rahmenbedingung und Ausgangssituation der Pianistinnen.

21 Eduard Hanslick: Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre 1870-1885, 2. Auflage, Berlin, 1886, S. 392. 22 Vgl. Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, S.50.

6 Der lange Weg auf die Bühne 7

2.1 Gesellschaftliche Konventionen und Rollenbild der Frau Die gesellschaftlichen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts und die Rolle, welche Frauen darin zu erfüllen hatten, haben Ausbildungs- sowie Auftrittsmöglichkeiten und Instrumentenwahl massiv beeinflusst, weswegen diese im Folgenden dargestellt werden. Im 19. Jahrhundert sind die Aufgabenbereiche von Frauen klar definiert und ausschließlich im „Häuslichen“ zu finden mit dem Schwerpunkt, Kinder und Mann zu versorgen. Die Versorgung der meist sehr kinderreichen Familien gestaltete sich als Schwerstarbeit, bei der kaum Zeit und auch nicht Kraft gefunden werden konnten, eigene Ziele zu verfolgen und um am öffentlichen Leben teilzunehmen. Zudem galt die etablierte Meinung, dass die „schwache“ Frau im eigenen Haus sicher und geschützt ist. Das öffentliche Leben wurde im Wesentlichen von Männern bestimmt. Frauen hatten die Möglichkeit daran teilzunehmen als Begleitung der Ehemänner, Väter und, die in der öffentlichen Meinung, welche weitgehend von Kirche und Staat dominiert wurde, als Schutzperson anerkannt wurden. Bei diesen öffentlichen Auftritten hatten Frauen eine tragende und repräsentative Rolle zu übernehmen, bei der nicht nur Mann und Familie, sondern auch der Stand gemäß den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu repräsentieren war. Durch Kleidung, Etikette und Umgangsformen wurde der gute berufliche und gesellschaftliche Stand des Mannes und somit der Familie unterstrichen und in der Gesellschaft bekräftigt. Dabei waren die zu tragende Kleidung, die Haltung und die prinzipiellen Benimmregeln in einer Gesellschaft festgelegt. Deswegen wurden Frauen wie auch Männer als Teil der Erziehung darin ausgebildet. Im Falle der Ausbildung der Frauen ist diese zwischen Ausbildung für die Öffentlichkeit und für die Familie zu unterscheiden. Beiden gemeinsam ist, dass die „Frauenbildung“ auf das Erreichen einer Idealvorstellung der Weiblichkeit gezielt hatte. Im Falle der Bildung für die Familie war diese in idealisierter Form auf die Herstellung und Aufrechterhaltung von Behaglichkeit, häuslicher Wärme und Geborgenheit gerichtet. Häufig gehörte dazu auch die Bildung in Literatur, Gesang sowie dem Klavierspiel. Die Ausbildung für die Öffentlichkeit zielte darauf ab, durch einen sicheren und prunkvollen Auftritt den Mann, den eigenen Stand und Wohlstand zu repräsentieren. Somit war der Alltag der bürgerlichen Frau von den Einflussgrößen Gesellschaft und Familie als auch

Der lange Weg auf die Bühne 8

Kirche und Staat geprägt.23 Teil der repräsentativen Aufgaben der Frauen im halböffentlichen Raum war es, die Gäste des Gatten mit Musik zu unterhalten, wodurch es zur Salonmusik und ausgehend davon zur Entwicklung von Konservatorien kam.24 Diesen „guten Gepflogenheiten“ ist es geschuldet, dass Anfang des 19. Jahrhunderts Klavierspiel eine Pflichtübung für alle Töchter guten Hauses war. Wie aus Abbildung 1 mit deren Bildunterschrift und anderen zeitgenössischen

Abbildung 1: Zeitgenössische Karikatur auf die klavierklimpernden Töchter, "Stolz" eines jeden bürgerlichen Salons (19. Jahrhundert)25

Karikaturen hervorgeht, war die Klavierausbildung für Töchter so populär, dass es Gegenstand medialer Aufmerksamkeit wurde. Indirekt wird in der gezeigten Abbildung auch die unweigerliche Verpflichtung zur repräsentativen Aufgabe der Frauen transportiert. Das Klavier war unter den Frauen das bei weitem am meisten verbreitete Instrument. Die Gründe hierfür liegen in der Idealvorstellung von Weiblichkeit, welche in der Erziehung bzw. Ausbildung verfolgt wurde und in den

23 Vgl. Karin Marsoner: Rahmenbedingungen, in: Karin Marsoner / Ingeborg Harer: Künstlerinnen auf ihren Wegen - Ein “Nachtrag” Zur Geschichte des Grazer Musiklebens im 19. Jahrhundert, Graz, 2003, S. 11-63, S.24 ff. 24 Auf die Entwicklung von musikalischen Ausbildungsmöglichkeiten wird an späterer Stelle ausführlich eingegangen. 25 Rieger: Frau, Musik und Männerherrschaft, S.49.

Der lange Weg auf die Bühne 9 gesellschaftlichen Konventionen. Die sittsame Position beim Musizieren, die edlen Bewegungen und der schöne Klang waren konform mit dieser Idealvorstellung, nach der sich alle Details zu orientieren hatten. So wurden auch schwarze Tastaturen angefertigt, um vor dem dunklen Hintergrund die „weißen und gebrechlichen“ Hände zu betonen. Die strengen Idealvorstellungen, welche musizierende Frauen zu erfüllen hatten, zeigt exemplarisch das Gemälde von Gerhard Terborch namens „Konzert“ in Abbildung 2. Das Klavier verdeckt die Beine der demütig blickenden Pianistin und die Cellistin ist ob der „unsittlichen“ Körperhaltung dem Publikum abgewandt. Die erdrückende Stimmung, welche dieses Gemälde zum Ausdruck bringt, spiegelt die strengen gesellschaftlichen Vorschriften gut wider.

Abbildung 2: Gemälde von Gerhard Terborch aus dem 17. Jahrhundert namens „Konzert“26

Besonders für repräsentative Zwecke war die Haltung von besonderer Bedeutung und hatte somit Einfluss auf die Instrumentenwahl. Es wäre unmöglich bzw. nicht repräsentativ gewesen als Frau Oboe zu spielen, da der Klang als zu maskulin galt. Gesellschaftlich abgelehnt wurde auch das Spiel auf

26 Rieger: Frau, Musik und Männerherrschaft, S.34.

Der lange Weg auf die Bühne 10 der Flöte, bei dem man die aufgeblähten Backen als unästhetisch und teils sogar anzüglich empfand.27 Diese Wahrnehmung ist ethnologischen Forschungen zufolge in vielen Kulturen vertreten. Es gibt, wie in Tabelle 1 dargestellt, geschlechtsspezifische Korrelationen zwischen dem Geschlecht und dem musikalischen Wirken bzw. dessen Ausgestaltung. Tabelle 1: Kulturübergreifende Korrelationen bei Mann und Frau28

Frauen Männer Singen Instrumentalspiel Leise Instrumente Laute Instrumente Stützende Tätigkeit Führende Tätigkeit Häuslich Öffentlich Amateure Professionelle Begrenzte Ausbildung Qualifizierte Ausbildung Weltlicher Bereich Sakraler Bereich

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass eine Systematisierung und Darstellung wie in Tabelle 1 Prinzip bedingt eine Verallgemeinerung und Polarisierung mitträgt. Nichtsdestotrotz ist eine Tendenz ersichtlich, die sich auch in den gesellschaftlichen Rollen des 19. Jahrhunderts wiederfinden lässt. Die weibliche Idealvorstellung spiegelt sich vor allem auch in der als sittsam definierten Körperhaltung wider. So wurden chiropraktische Geräte gebaut um zum einen körperlichen Schäden, welche vom Musizieren stammen, vorzubeugen und zum anderen wurden Korsetts getragen, um die Haltung während des Spiels möglichst bewegungsarm zu halten. Abbildung 3 zeigt eine chiropraktische Apparatur, welche die Haltung korrigieren sollte. In welchem Ausmaß diese zur Anwendung kamen, ist in der Literatur nicht widerspruchslos geklärt, aber die Tatsache, dass man sich damit beschäftigt hat, unterstreicht die

27 Vgl. Ingeborg Harer: Frauen im Grazer Kulturleben, in: Karin Marsoner / Ingeborg Harer: Künstlerinnen auf ihren Wegen - Ein “Nachtrag” Zur Geschichte des Grazer Musiklebens im 19. Jahrhundert, Graz, 2003, S. 54-120, S. 59 ff. 28 Jane Bowers: Feministische Forschung in der amerikanischen Musikwissenschaft, in: Hoffmann / Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin, S. 20-39, S. 22.

Der lange Weg auf die Bühne 11

Wichtigkeit der Haltung in der gesellschaftlichen Vorstellung des weiblichen Idealbildes. Prinzipiell wurden stoische Haltung und ein geringes Maß an Bewegung als

Abbildung 3: Chiropraktische Geräte zur Korrektur von Haltungsschäden bei Frauen29 sittsam und konform für Frauen erachtet. Weswegen F.W. Klumpp beispielsweise Frauen als „das zum Sitzen verurteilte Geschlecht“30 bezeichnete. Um das zu erreichen, wurde Frauen beim Klavierspielen ein Reif um den Kopf gelegt, der mit einer langen Schnur an einem Gewicht befestigt war. Mit dieser Vorrichtung sollte Verspannungen vorgebeugt, aber auch die Haltung gewahrt werden. Durch die starre, bewegungslose Haltung werden zwei Ideale erfüllt: einerseits die noble Ruhe und andererseits die geduldig ausgeübte, fleißige Tätigkeit. Das Klavier war auch sehr für Frauen geeignet, da es sich zur „sinnlichen Objektbildung“ nicht eignete. Die große Konstruktion sowie die Klangerzeugung im Inneren des Bauraums erlauben eine Abstraktion, wonach die Künstlerin eher eine Apparatur bedient als ein Instrument. Durch diese Abstraktion war die Künstlerin vor einer Reduzierung im Sinne von „sinnlicher Objektbildung“ mehr geschützt. Ein weiterer Grund für die gesellschaftliche

29 Hoffmann: Instrument und Körper, S.44. 30 F. W. Klumpp: Turnübungen für das weibliche Geschlecht, zitiert nach: Hoffmann: Instrument und Körper, 1991, S. 45.

Der lange Weg auf die Bühne 12

Akzeptanz Klavier spielender Frauen dürfte auch sein, dass das Klavier ein geeignetes Begleitinstrument ist, mit dem es möglich ist den musizierenden Mann nicht nur zu begleiten, sondern auch besser darstellen zu können.31

2.2 Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen Im vorangegangenen Kapitel ist die Ausgangssituation dargestellt, in der sich Frauen im 19. Jahrhundert befanden. Auch wenn es vielen Pionierinnen zu verdanken ist (einige werden in dieser Arbeit an späterer Stelle behandelt), dass Pianistinnen erfolgreich im öffentlichen Raum auftreten können, so haben auch einige politische und soziale Änderungen und Einflussfaktoren diese Entwicklung beeinflusst. Im 19. Jahrhundert schreitet die Entwicklung des Bildungsbürgertums voran. In den vorangegangenen Jahrzehnten war der gesellschaftliche Stand angeboren, entweder war man unüberwindbar Bürger oder Adeliger. Durch herausragende Leistungen in Wissenschaft und Kunst konnte das Ansehen gesteigert und somit der soziale Rang verbessert werden. Andere Kunstformen und ihre Künstler waren dabei lange vor der Musik angesehen. So waren zum Beispiel Goethe und Schiller angesehene und gefeierte Literaten und halfen damit auch ihrer Kunstform zu einem höheren Stellenwert. Auch unter Architekten, Malern und Bildhauern waren angesehene Künstler und die jeweilige Zunft bzw. Kunstform geschätzt. Obwohl die Kunstform Musik in dieser Zeit nicht so ein großes Ansehen genoss, zeigen aber die angeführten Parallelen zu anderen Kunstformen, dass die Tendenz klar in die Richtung ging mit Genie und Fleiß in der Kunst, gemäß der Ideologie des Sturm und Drang, Ansehen zu steigern und Geld zu verdienen. Durch die Stärkung des Bildungsbürgertums wurde auch die hierarchische Gliederung der Stände mehr und mehr durch eine Gliederung in Berufsstände abgelöst, wodurch es allmählich zu einer Umstrukturierung der Gesellschaft und den damit verbundenen Gesellschaftsformen kam, welche eine politische und kulturelle Emanzipation des Bürgertums begünstigten. Viele dieser Entwicklungen befruchteten sich gegenseitig und so führte die Aufwertung und Förderung der humanistischen

31 Vgl. Hoffmann: Instrument und Körper, S. 46.

Der lange Weg auf die Bühne 13

Bildung auch zu einer Aufwertung unterschiedlicher Kunstformen, da diese als wichtige Grundlage für die humanistische Bildung erkannt wurden. Durch diese Aufwertung und das gesteigerte Interesse in einer größer werdenden Bevölkerungsschicht wurde wiederum Entwicklung und Etablierung von öffentlichen Konzerten begünstigt. Dieses gesteigerte Interesse wirkte auch auf die Kunst zurück, indem die Musik unter dem Einfluss des Geschmacks des Bürgertums weiterentwickelt und vertieft wurde.32 Diese oben zusammengefassten Entwicklungen haben in erster Linie die Musik als Kunst an sich und die hauptsächlich darin agierenden Männer begünstigt. Die Etablierung von berufstätigen und öffentlich angesehenen Pianistinnen musste auf Basis dieser vorangegangenen oder begonnenen Entwicklungen erfolgen. Dazu wesentlich beigetragen haben vereinzelte Versuche von professionellen Pianistinnen wie z.B. Maria Theresia Paradis und einigen nicht- professionellen Musikerinnen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es für Frauen überhaupt nicht vorgesehen war einen Beruf auszuüben und selbst Männer es schwer hatten, von dem als Musiker verdienten Geld zu leben, ist die Leistung dieser Pionierinnen noch erstaunlicher. Dennoch gab es einige Faktoren, welche diese Entwicklungen begünstigten:33 Die Etablierung der Musik als Kunstform Wie bereits oben erwähnt, waren schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschiedene Kunstarten sehr angesehen und wurden von prominenten Künstlern etabliert und vorangebracht. Nach diesem Vorbild strebte man auch in der Musik die Stärkung der eigenen Kunstform in der öffentlichen Wahrnehmung an. Die aufstrebenden Virtuosinnen wurden zunächst häufig als Sensation gefeiert, besonders etwa, wenn sie z.B. Cello spielten, und bekamen deswegen selten, oder zumindest seltener, schlechte Kritiken. So wurden einerseits auch weibliche Persönlichkeiten allmählich im Musikleben etabliert und andererseits auch die Kunstform an sich gestärkt, d.h. auch die Werke der jeweils aktuellen Komponisten fanden weite Verbreitung. Das hatte aber auch rückwirkende Auswirkungen auf die Kritik. Durch die Konzentration auf das

32 Vgl. Marsoner: Rahmenbedingungen, S. 11-63, S.52. 33 Vgl. Hoffmann: Instrument und Körper, S. 81ff.

Der lange Weg auf die Bühne 14

äußere Erscheinungsbild oder gar den Versuch, gesteigerte Aufmerksamkeit für musizierende Frauen zu generieren, wurde aus heutiger Sicht häufig sexistisch formuliert oder die Künstlerin rein auf ihr Aussehen reduziert. Konkurrenzsituation zum Ausland Durch ein erstarkendes Nationalgefühl wurde das Schaffen der eigenen Künstlerinnen und Künstler mehr hervorgehoben und propagiert. Besonders durch die bereits berühmten italienischen Sängerinnen standen Frauen im Fokus einer begünstigten Wahrnehmung. Gleichzeitig wurde dadurch auch der Anspruch auf eine eigene Musikkultur dem Ausland gegenüber gestärkt. Sozialer Status der Musikerfamilien Am aufstrebenden Bildungsbürgertum konnten Musikerfamilien noch nicht partizipieren, standen daher im schlechten Ansehen und hatten geringe Einkommen. Zudem waren Berufsmusiker häufig schlecht gebildet und hatten keine andere Möglichkeit Geld zu verdienen oder ihre Kinder auszubilden. Die finanzielle Not begünstigte jedoch, dass auch Mädchen früher Instrumente lernten und öffentlich auftraten, um die Familie monetär unterstützen zu können. Änderung der Stellung der unverheirateten Frau am Heiratsmarkt Durch das gesteigerte Ansehen der Musik als Kunstform und der wie in Kapitel 2.1 dargestellten repräsentativen Aufgaben der verheirateten Frauen, waren musizierende Frauen am Heiratsmarkt begünstigt. Musizierende Frauen hatten auch den Vorteil, dass sie, wie bereits oben angemerkt, mit ihrer Musik Geld verdienen und somit der Familie finanziell unter die Arme greifen konnten. Durch die finanzielle Notlage wurde auch viel eher toleriert, dass Frauen zum einen selbstständig Geld verdienten und zum anderen auch, dass sie öffentlich auftraten. Frauen, die kein Instrument beherrschten, hatten häufig ein schweres Leben, geprägt von harter Arbeit in Landwirtschaft, Haushalt und Produktionsbetrieben. Wunderkinder Durch Wunderkinder kamen immer wieder revolutionäre Durchbrüche auf Instrumenten zustande, die für Frauen als ungeeignet erachtet wurden. So zum Beispiel Gertrud Elisabeth Schmeling auf der Geige und Maria Anna Mozart am Klavier. Durch die vorherrschende Pädagogik wurden Kinder als geschlechtslos betrachtet und konnten sich somit frei von sexistischen Rollenbildern bewegen und das Instrument vorführen. Nach der Pubertät wurde die Karriere mit dem teils

Der lange Weg auf die Bühne 15 bereits populären Namen fortgesetzt und somit die öffentliche Toleranz stückweise diffundiert. Sensationen Ausgelöst durch das vermehrte Interesse an der Kunstform Musik wurden größere Konzertsäle gebaut, die es zunehmend öfter zu füllen galt. Dafür benötigte man häufiger sensationelle Vorführungen, welche man mittels kreativer Suche auch fand. Durch das Auftreten von fremdländischen Künstlerinnen und Künstlern, Wunderkindern, Familienorchestern, gleichzeitigem Vorführen von mehreren Instrumenten, Maultrommelspielerinnen, Baritonsängerinnen usw. wurde die Wahrnehmung des Publikums an außergewöhnliche Auftritte und Künstlerinnen gewöhnt.

Durch die dargestellten Entwicklungen und Einflussfaktoren wurde nicht nur die Kunstform Musik per se etabliert, sondern auch der Eintritt für konzertierende Pianistinnen in die Öffentlichkeit erleichtert. Die Umstände für Pianistinnen, um mit Musik Geld verdienen zu können, waren dennoch hart. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es für Frauen mitunter unmöglich mittels Stellenanzeigen für Privatunterricht Arbeit zu finden. Der einzige Weg an Schülerinnen und Schüler zu gelangen war zuerst einen guten Ruf als Virtuosin zu erwerben. Die sich darauf einstellenden Aufträge konnten angenommen werden. Eine proaktive Werbung für Unterrichtsstunden wäre nicht möglich gewesen. Männer hatten den Vorteil, dass sie mittels Publikationen, Inseraten und der Bekleidung öffentlicher Ämter auf die eigenen Fähigkeiten aufmerksam machen konnten. Weiteres wurden öffentliche Ämter auch nicht an Frauen vergeben. Ein weiterer Faktor, der die Professionalisierung der Frauen erschwerte, war der Umstand, dass die Natur der Frau als Hausfrau und Mutter gesehen wurde. Das Musizieren im Rahmen der Familie und im eigenen Haus erleichterte zwar den Zugang zur Musik, erschwerte vice versa aber auch die Professionalisierung. Zusätzlich zum bereits angeführten erschwerten Zugang zur Berufsausübung kam noch der Umstand, dass Frauen auch keinen Zugang zu musikalischer Ausbildung hatten. Freier Zugang zu öffentlichen Ausbildungsinstitutionen war verwehrt und somit musste im privaten Rahmen das Musizieren erlernt werden. Durch das Musizieren im eigenen Haus und für die eigenen Bedürfnisse war die Ausbildung zumeist oberflächlich und nicht konkurrenzfähig im Vergleich zur

Der lange Weg auf die Bühne 16 professionellen Ausbildung der Männer. Ein weiterer Faktor, der die gute Ausbildung verhinderte, war die eingeschränkte Mobilität. Im 18. und 19. Jahrhundert waren Reisen strapaziös, gefährlich und teuer. Ein Umstand, der es besonders für Frauen erschwerte, Zugang zu tiefgründiger Ausbildung zu erlangen.34 Diese Diskrepanz zwischen den versperrten Möglichkeiten zur Ausbildung und dem späteren Vorwurf des Dilettantismus (im heutigen negativen Sinne des Wortes) sowie die Entstehung von Ausbildungsmöglichkeiten wird in Kapitel 2.4 erörtert.

2.3 Pianistinnen und Konzertwesen Im folgenden Kapitel sollen die Umstände, mit denen konzertierende Pianistinnen konfrontiert waren, erläutert werden. Es behandelt die öffentliche Wahrnehmung, Klischees und Meinungen, Kritiken sowie die Herausforderungen bei der Organisation von Tourneen. Bedingt durch die in Kapitel 2.1 und 2.2 dargestellten gesellschaftlichen Konventionen und Rahmenbedingungen waren die ersten professionellen Instrumentalistinnen Pianistinnen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren bereits einige erfolgreiche Karrieren von Pianistinnen zu erkennen. Pierre Scudo nennt namentlich Maria Szymanowska, Lucy Anderson, Anna de Belleville, Leopoldine Blahetka, Marie Pleyel, Kathinka Dietz, Louise Mattman, Sophie Bohrer, Louise Farrenc, Louise-Aglae’ Massart, Joséphine Martin sowie Clara Schumann.35 Durch die quasi Alternativlosigkeit bei der Instrumentenwahl drängte in kurzer Zeit eine große Zahl an Pianistinnen in die Öffentlichkeit. Eine Reihe von Quellen berichtet über die plötzliche Dominanz der Frauen. So schreibt Eduard Hanslick: „Zu der erstaunlichen Zahl einheimischer Pianisten, die wir in den Jahren 1815-1830 concertieren sahen, lieferten Frauenzimmer und Kinder das größte Kontingent. Eleonore Fördert, Leopoldine Blahetka, Antonia

34 Vgl. Marsoner: Rahmenbedingungen, S. 11-63. S. 13ff. - vgl. Hoffmann: Instrument und Körper, S. 15 ff. 35 Pierre Scudo: Frau – Männlichkeit - Ekel – Abscheu, zitiert nach: Hoffmann / Timmermann: Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin, S. 192-195, S.192 ff.

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Blechwell, Therese Lassnigg, Josefine Seipelt, Fanny Salomon und Nina Rehazef.“ 36 Die überwältigende Vielzahl an konzertierenden Pianistinnen lässt sich auch in folgendem Kommentar des selben Autors erahnen, auch dessen zunehmender Überdruss: „Klavierkonzerte und kein Ende. Vor etwa 30 Jahren sagt Gutzkow, dass die Bildung von Tausenden (namentlich des schöneren Geschlechts) in ihrem Bischen Klavierspiele bestehe. Seither ist die Zeit noch um ein gutes Stück ernster geworden. Spielt weniger Klavier, lernt etwas!“ 37 Bedingt durch den plötzlichen Aufstieg der Pianistinnen entstand eine Konkurrenzsituation zu den etablierten, konzertierenden Pianisten, die sich mit einer Vielzahl neuer Konkurrentinnen messen mussten. Auf diese Bedrohung reagierten einige Berufskollegen mit Anfeindungen und Herablassungen. So wird die Aussage in den Mund gelegt: „Es fehlen den Frauen zwei Haupteigenschaften - Subjektivität und Initiative. - Sie können im Ausüben sich nicht über Objektivität (Nachahmung) erheben, zur Subjektivität fehlt ihnen der Mut und die Überzeugung. - Zum musikalischen Schaffen fehlt ihnen die Vertiefung, die Konzentration, die Denkkraft, die Weite der Gefühlshorizonte, die Freiheit des Striches usw. Rätselhaft ist es, daß gerade die Musik - das Edelste, Schönste, Feinste, Seelischste, Herzlichste, was des Menschen Geist geschaffen, der Frau, die ja doch aus allen diesen Eigenschaften zusammengesetzt ist, so unerreichbar ist!” 38 Nicht zu vernachlässigen war auch die Rolle der Kritiker und Journalisten, welche ausnahmslos männlich waren. Auch diesen fiel es anfangs anscheinend schwer Pianistinnen zu akzeptieren. Der französische Musikjournalist Pierre Scudo und Terese Milanollo schreiben zum Beispiel: „Die Unterschiede, die die Natur zwischen den beiden Geschlechtern festgelegt hat, müssen sich auch in dem Hervorbringen der Kunst

36 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, S. 223. 37 Eduard Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 2, Wien,1870, S. 189. 38 Anton Rubinstein 1890 zitiert nach: Steegmann / Rieger (Hrsg.): Frauen mit Flügel, S. 10.

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wiederfinden, die ja nichts anderes sind als die Widerspiegelung der Harmonien in der Schöpfung. Eine Frau, die einen Pinsel, eine Feder oder ein Notenheft ergreift und vergisst, welche die Eigenschaften und Bestimmungen ihres Geschlechts sind, ist ein Monstrum, das Ekel und Abscheu erregt. Auf eine oder zwei, die wie die Männer Ruhm erringen und dabei den Zauber der Anmut und die Liebenswürdigkeit, als Privileg ihres Geschlechtes, einbüßen, kommen Tausende, die als Zielscheibe und Opfer des allgemeinen Gespöttes beschädigt zurückbleiben. Das sind nicht mehr Frauen und das sind keine Männer, sondern etwas, das keinen Namen und keine Aufgabe mehr im Leben hat [...]“39 Selbstverständlich ist diese harsche Äußerung eine persönliche Meinung und wird sicherlich nicht von jedem geteilt worden sein, dennoch zeigt aber die Tatsache, dass der Artikel gedruckt und veröffentlicht wurde, welche Meinung öffentlich toleriert und akzeptiert wurde. Es spiegelt auch die Art der Missgunst wider, mit der Frauen zu kämpfen hatten. Eine der am häufigsten wiederkehrenden Vorwürfe an Pianistinnen ist der des Abqualifizierens ihrer Leistungen. Im Fall der negativen Beurteilung saßen Frauen in besonderer Weise in einer Zwickmühle. Einerseits hatten sie keinen oder nur sehr schlechten Zugang zu einer professionellen Ausbildung und andererseits wurden sie auch für ein Musizieren in den eigenen Räumen, im halböffentlichen Rahmen, erzogen. Durch die Auferlegung sämtlicher familiärer Pflichten blieb zudem auch kaum Zeit und Energie, um die musikalischen Fertigkeiten zu verfeinern. Die schwere Doppelbelastung war auch Gegenstand zeitgenössischer Karikaturen, wie Abbildung 4 dies deutlich darstellt.

39 Pierre Scudo / Teresa Milanollo: La musique et les femmes, in: L´art ancien et l´art moderne. Noveaux mélanges de critique et de littérature musicales, Paris, 1854, zitiert nach: Hoffmann / Timmermann (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin, S.192-195, S. 192ff.

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Die Ursachen der beklemmenden Situation und der Anfeindungen war im

Abbildung 4: Zeitgenössische Literatur zur Darstellung der Doppelbelastung40

Wesenskern zwei Faktoren geschuldet:41 1.) Angst, dass Frauen aufgrund des zeitintensiven Musizierens die familiären Pflichten nicht mehr erfüllen. 2.) Angst vor dem generellen Verlust der traditionellen Rolle der Frau und der weiblichen Werte. Diese straffen Maßregelungen lassen sich auch darin wiederfinden, dass eine Heirat gleichzeitig auch einen Vertragsbruch bei öffentlichen Engagements darstellte. Vor allem Sängerinnen, die im 19. Jahrhundert in Opernhäusern engagiert waren, betraf diese Regelung. Eine weitere Bekräftigung lässt sich auch darin finden, dass der Pianistin Ingeborg Bronsart (1840-1913) alle künstlerischen öffentlichen Auftritte verboten wurden, nachdem ihr Gatte eine öffentliche Stelle an einem Theater angenommen hatte. Die Frauen preußischer Offiziere durften nicht öffentlich auftreten. Es liegt auch der Schluss nahe, dass durch das Zurückdrängen der Frauen in die eigenen vier Wände unbewusst auch

40 Karikatur aus der satirischen Zeitschrift »Le Charivari« (1890), in: Trever Lloyd: Sufragetten - Die Emanzipation der Frau in der westlichen Welt, Lausanne, 1970. 41 Vgl. Rieger (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft, S. 22.

Der lange Weg auf die Bühne 20 die Kreativität und Schaffenskraft von Frauen gefesselt wurde. Diese Grundhaltung nahm wohl auch Fanny Hensel wahr, wenn sie schreibt:42 „Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag auf jedem Schritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgedrückt bekommt ist ein Punkt, der einen in Wut und somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht dadurch das Übel ärger würde.”43 Der Versuch Frauen zurückzudrängen, um das traditionelle Frauenbild zu erhalten, zeigte sich auch darin, dass Frauen die prinzipiellen Fähigkeiten, Musik tiefgründig verstehen zu können, abgesprochen wurden (siehe Zitat von Anton Rubinstein oben). Diese Schlussfolgerung wird auch durch die Äußerungen von Pierre Scudo unterstrichen: „Eine Sängerin, eine Tragödin, eine Malerin, eine Pianistin sollen in der Kunst, die sie ausüben, die besonderen Eigenschaften ihres Geschlechts zur Geltung bringen. Die Abkehr von dieser Grundregel verletzt nicht nur den sittlichen Anstand, der ihren Reiz ausmacht, sondern er stört auch die Ordnung der göttlichen Schöpfung. In der Zweiteilung der Menschheit repräsentiert die Frau, wie gesagt, den Ausdruck der zeitlosen Empfindungen der Seele, und ihr Herz ist ein lebendiger Quell von Zartheit und Poesie. Wenn sie das sanfte Reich der Grazie verlässt, um andere Ziele anzustreben und in die Domäne der Kraft und der reinen Intelligenz einzudringen, die uns vorbehalten ist, stört sie das Gleichgewicht des Lebens, und ihr Fall ist unvermeidlich.“ 44 Eine weitere Erscheinungsform dieser Grundhaltung ist die Tatsache, dass für Frauen eigene „Frauenstücke“ komponiert (oder bestehende zumindest so tituliert wurden), welche den angeblichen Fähigkeiten von Frauen entsprachen. Auch liegt wieder der Schluss nahe, dass alleinig durch Wortkreationen wie „Frauenstücke“ oder „Mädchenkonzerte“ eine qualitative Unterscheidung zu

42 Rieger (Hrsg.): Die Frau in der Gesellschaft, S. 85. 43 Parallelen dazu finden sich im Judentum in den Auswirkungen des Abbildungsverbotes von Gott. Es gibt herausragende und hoch erfolgreiche jüdische Musiker und Musikerinnen, Ärztinnen und Ärzte, usw. aber vergleichsweise wenige Malerinnen und Maler oder plastische Künstlerinnen und Künstler. 44 Pierre Scudo / Teresa Milanollo: La musique et les femmes, in: L´art ancien et l´art moderne. Noveaux mélanges de critique et de littérature musicales, Paris, 1854, zitiert nach Hoffmann / Timmermann (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin, S.192-195, S. 192ff.

Der lange Weg auf die Bühne 21 treffen sein muss und auch eine immanente, unüberwindbare Differenz zwischen den Fähigkeiten von Männern und Frauen gegeben ist. Dieser Unterton lässt sich auch in einigen zeitgenössischen Kritiken finden, wie beispielsweise hier von Eduard Hanslick: „Reicht schon die physische Kraft unserer konzertierenden Rosenknospen für die Kompositionen selten aus, die geistige erweist sich meist noch unzulänglicher. Wer im Leben und in der Kunst nicht schon Einiges erfahren, mit Schmerz und Mühe erfahren hat, wessen Denken und Fühlen noch harmlos wie ein Haydn’sches Rondo sich in kleinsten Kreisen dreht, der wird Schumann am besten noch einige Jahre ruhen lassen.“45 Das prinzipielle Stigma, dass Pianistinnen nicht in der Lage sind, mangels Kraft und Verständnis gewisse Werke zu spielen und zu interpretieren, war fester Bestandteil der öffentlichen Meinung. So wurden auch Komponisten nach der „männlichen“ und „weiblichen“ Natur ihrer Werke unterschieden. Dabei wurde besonders in der nachhallenden Ideologie des Sturm und Drang zwischen den „weiblichen“ Romantikern und den „männlichen“ Klassikern unterschieden, wohl auch um Pianistinnen einen begrenzteren Wirkungsraum zuzuordnen. In der Literatur lassen sich viele solcher Äußerungen finden, so zum Beispiel auch in folgender Kritik: “[…]seinen Nachfolgern (Anm. von Mendelssohn) werden daher Triumphe gar nicht leicht. Die Frauen besonders haben die wenigsten Aussichten darauf, denn die Mendelssohn’schen Concertstücke erfordern strenges Tempo, Ausdauer der Finger, Geschmeidigkeit der Handgelenke, und überhaupt eine männliche Kraft, welche in der Regel dem zarteren Geschlechte versagt ist.”46 Auch Otto Gumprecht gibt wie folgt zu verstehen: “Beethoven war eine rein männliche Natur, als daß ein Weib ihn erschöpfend wiederzugeben vermöchte. Chopin zum Theil und Mendelssohn ganz besonders finden hingegen eine weit befriedigendere

45 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1., S. 229. 46 Hoffmann: Instrument und Körper, S.111.

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Wiedergabe durch Frauenhand, da in ihnen die männliche Natur nicht vorwiegend zu Tage tritt”47 Die Tatsache, dass Kritiker ausnahmslos und das Publikum größtenteils männlich waren, äußerte sich auch in häufig sexistischen Äußerungen. Oft wurden detaillierte Angaben über das Aussehen und den Auftritt gemacht. Versuchten Pianistinnen dem Vorwurf der Kraftlosigkeit mit einem intensiven Spiel entgegenzutreten, wurden sie als „Amazonen“ bezeichnet oder eben als naturbedingt ungeeignet. Dadurch ergab sich ein Widerspruch in der Wahrnehmung, der für Pianistinnen unvermeidbar war.48 Gleichzeitig wurde auch das Klavierspiel bzw. die Interpretation mit weiblichen Klischees behaftet, wie aus der Kritik von Hanslick hervorgeht: „Brzowska ist der schwer aussprechbare Name einer polnischen Klaviervirtuosin, welche sich vor wenigen Tagen hören ließ. Sie spielt ziemlich rein, zart, geläufig. Das wäre, was zu ihrem Lob zu berichten. Übrigens ist ihre Technik vielfach unvollendet, namentlich der Anschlag nicht kräftig genug. Ihr Vortrag repräsentiert den Typus des Frauenzimmerlichen. Wir meinen damit das Zerpflücken des musikalischen Zusammenhangs in kleine Teilchen, in deren jedes ein besonderes Gefühl gelegt wird, die Sucht zu retardieren und zu diminuieren, die vielen unnötigen empfindungsvollen Akzente auf einzelne Noten, die deren nicht bedürfen endlich das Vorherrschen einer gewissen Geziertheit und Verschwommenheit.“49 Wie sehr eine „weibliche“ Interpretation eines Stückes durch Pianistinnen erwartet wurde, geht aus folgender Kritik über Clara Schumann hervor, ebenfalls verfasst von Hanslick: „[…] sie beschämt lieber die Kraftvirtuosen der Neuzeit durch Männlichkeit des Vortrages. Nichts Weibliches, Verflossenes, Gefühlsüberschwengliches herrschte in dem Spiel Clara Schumann’s […].“ 50

47 Pierre Scudo: Frau – Männlichkeit - Ekel – Abscheu, zitiert nach: Hoffmann / Timmermann: Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin, S. 192-195, S.192 ff. 48 Vgl. Hoffmann: Instrument und Körper, S.111. 49 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, S. 86. 50 Hanslick,S. 103.

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Dieselbe Schlussfolgerung lässt sich aus einer Kritik über Sophie Bohrer ableiten: “Die technische Vollendung, die dieser Künstlerin eigen ist, verließ sie auch hier nicht; wohl aber finden wir es für unmöglich, das Frln. Bohrer den richtigen Vortrag dieser dämonischen Fantasie haben könne - und solle.”51 Zu all den Umständen mit der von Männern dominierten Kritikerszene waren auch organisatorische Schwierigkeiten bei der Organisation und Durchführung von Konzerten zu meistern. Im 19. Jahrhundert mussten Pianistinnen ihre Tourneen selber planen, sie reisten ob der geringen Gagen bei gleichzeitig hohen Kosten meist alleine, wenngleich dies auch gegen die Regeln der Schicklichkeit war. Die Kosten für die Unterkunft von alleine reisenden Frauen waren deutlich höher, da diese nur in gepflegten Häusern eines gewissen Niveaus nächtigen konnten. Das spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass Frauen alleine nur am Zimmer Mahlzeiten zu sich nehmen durften und somit einen höheren Servicegrad voraussetzten. Häufig wurde aber auch die Tatsache tragend, dass alleine reisende Frauen von ihren Gastgebern ausgenutzt wurden.52 Das Reisen im Allgemeinen war eine sehr strapaziöse Angelegenheit, die nicht nur kräfteraubend war, sondern auch häufig mit schweren Krankheiten oder sogar dem Tod einherging. Sophie Bohrer, die in der oben zitierten Kritik genannt wird, starb mit 21 Jahren in St. Petersburg aufgrund der Reisestrapazen. Zu all den Umständen und Gefahren führten Pianistinnen dazu auch häufig ein zerlegbares, portables Klavier mit sich. Die Vorbereitungen für ein Konzert waren meist auch wenig künstlerisch, sondern viel mehr pragmatisch.53 So schreibt Clara Wieck an ihren Vater: „Das Orchester hat abgesagt zu spielen, und so muß ich die Caprice von Thalberg noch schnell studieren, die ich gar nicht mehr in den Fingern hab. Alle Briefchen (was so zum Concert gehört), muß ich selbst

51 Allgemeine Wiener Musikzeitung: über Sophie Bohrer 1846 “Don Juan Fantasie” von Liszt 52 Vgl. Hoffmann: Instrument und Körper, S. 276 ff. 53 Vgl. Hoffmann, S.276 ff.

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schreiben, Freibillete herumschicken, [-] Stimmer, Instrumententräger besorgen […].“54 Diese Ausführungen versuchen zu verdeutlichen, wie groß der Kraftaufwand war um eine Tournee zu bestreiten.

2.4 Die Entstehung von Ausbildungsmöglichkeiten Im nun folgenden Kapitel wird die Entstehung von institutionellen Ausbildungsmöglichkeiten für Pianistinnen behandelt. Wie bereits in Kapitel 2.1 erörtert wurde, gehörte im 19. Jahrhundert das Klavierspiel bereits zur guten weiblichen Erziehung. Mädchen wurden privat ausgebildet, aber nicht mit dem Ziel zu konzertieren, sondern um die weibliche Rolle als Mutter und Ehefrau zu ergänzen. Die durch diese Nachfrage ab ca. 1820 entstandenen privaten Musikschulen verfolgten das Ziel den hohen Ausbildungsbedarf am Piano zu decken, um in möglichst kurzer Zeit viele Schülerinnen ausbilden zu können. Um dabei den Aufwand möglichst gering zu halten, wurde nach der von Johann Bernhard Logiers aus importierten Methode vorgegangen. Dabei wurden Finger, Unterarme und Handgelenke auf eine von ihm erfundene Vorrichtung gespannt, den sogenannten Chiroplast. Im selben Raum spielten bis zu zehn Schülerinnen und Schüler gleichzeitig und wurden gleichzeitig unterrichtet. Beim Unterricht spielten alle gleichzeitig eine Etüde. Die Geübteren spielten Variationen während weniger affine das Thema spielten. Diese Massenabfertigung artete dermaßen aus, dass eine stumme Klaviatur erfunden wurde, bei der nur das Manual am Tisch lag und darauf geübt wurde.55 Diesen Ausbildungsformen und dem gleichzeitigen Versperren von öffentlichen Institutionen ist auch geschuldet, dass Pianistinnen sich im Teufelskreis mit dem Vorwurf des Dilettantismus im heutigen negativen Sinn bewegten, wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt wurde. Zwar waren Konservatorien bereits vorhanden, aber der Zugang blieb Instrumentalistinnen vorwiegend versperrt. Die Entstehung von Konservatorien zur Musikausbildung im deutschsprachigen

54 Briefe von Clara und Robert Schumann, Nürnberg 14.01.1839; zitiert nach: Hoffmann: Instrument und Körper, S. 297. 55 Vgl. Freia Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Hoffmann / Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance- Künstlerin, S.77-94, S. 89.

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Raum war eine Folge der französischen Revolution in Kombination mit der bereits beschriebenen Etablierung des Bildungsbürgertums. Das Pariser Konservatorium namens „Conservatoire National de Musique et de Declamation“ war europaweit dafür bekannt geworden ein Ausbildungskonzept zu verfolgen, das dem bürgerlichen Geschmack des Konzertes adressierte. Einmalig war auch die Tatsache, dass darin nicht nur Sängerinnen,56 sondern auch Instrumentalistinnen ausgebildet wurden. Ein absolutes Novum allerdings stellte die Tatsache dar, dass sogar Frauen als Lehrende dort tätig waren. Namentlich genannt werden als Klavierlehrerinnen: „[…] Helene de Montgeroult (1795-98), Emilie-Marie-Juli Michu (1825-1828) und Louise Farrenc (1842-1872).“57 Durch die Vorbildfunktion von Paris in künstlerischen Belangen wurde das Erfolgsmodell des Pariser Konservatoriums im deutschsprachigen Raum übernommen. Anfang des 19. Jahrhunderts folgte die Gründung von Konservatorien in Berlin, Frankfurt, Passau, Wien, Graz und Prag und diese wurden hauptsächlich zur Gesangs- und Orchesterausbildung konzipiert.58 Im Vergleich zum Pariser Vorbild verfolgten die ersten Konservatorien im deutschsprachigen Raum das Ziel, genügend personelle Ressourcen für die beliebten Opern- und Operettenaufführungen bereitstellen zu können. Folglich wurden die Schwerpunkte auf Orchesterinstrumente sowie Gesang gelegt und die Klavierausbildung hintangestellt. Selten wurde das Klavier als Hauptfach angeboten. Es galt die Meinung, dass die Anzahl der privaten Lehrinnen und Lehrer ausreichen würde, um genügend professionelle Pianisten ausbilden zu können. So erlangte am Wiener Konservatorium erst 1856 die Ausbildung am Klavier Bedeutung, was in der Gründung einer Ausbildungsklasse gewürdigt wurde. Vorher war die Klavierausbildung auf Gesangsbegleitung fokussiert.59

56 Aufgrund der Popularität von Opern und der Einmaligkeit der weiblichen Stimme wurden Sängerinnen schon deutlich vor Instrumentalistinnen gesellschaftlich akzeptiert und professionell ausgebildet. Zuvor wurden weibliche Rollen meist von Kindern oder Eunuchen gesungen. 57 Pierre Constant: Le Conservatoire National de Musique et de Déclamation, zitiert nach Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S.77-94, S. 78 58 Vgl. Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S.77-94, S. 79. 59 An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass dabei noch in keiner Weise an die Gleichberechtigung von Frauen und Männer gedacht wurde.

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Eine Debatte über die Aufnahme von Frauen am Konservatorium löste 1812 ein Bürger aus Leipzig mit Namen Lepge aus, indem er beim Direktor des Konservatoriums in Prag den Wunsch, äußerte seine Tochter zur Ausbildung ins Konservatorium zu schicken. Seinen Angaben nach war sie damals 15 Jahre alt und würde im Gesang und Klavierspiel beachtliche Fortschritte erzielen. Der Auslösung dieser Debatte ist es geschuldet, dass im Jahr 1815 am Prager Konservatorium zumindest eine eigene Abteilung namens „Bildungsschule für Sängerinnen und Sänger“ gegründet wurde. Mit der Gründung des Leipziger Konservatoriums 1843 wurde das erste Hauptfachstudium Klavier im deutschsprachigen Raum möglich und es war die erste Schule, die eine bildungspolitische Ausbildung verfolgte. Damit sollten nicht personelle Ressourcen für Orchester geschaffen werden, sondern die Qualität der Musik gesteigert werden, welche durch Kommerzialisierung und Massenausbildung gelitten hatte.60 Felix Mendelssohn, einer der Gründer des Leipziger Konservatoriums, formulierte seine Beweggründe mit „[…] angehenden Künstlern eine feste ernstere Richtung, und somit dem Musiksinne der Nation einen neuen kräftigeren Aufschwung zu geben.“61 Robert Schumann sah die Aufgabe des Konservatoriums darin: „[…] an die alte Zeit und ihre Werke mit allem Nachdruck zu erinnern, darauf aufmerksam zu machen, wie nur an so reinem Quelle neue Kunstschönheiten gekräftigt werden können, - sodann die letzte Vergangenheit (die nur auf Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging) als eine unkünstlerische zu bekämpfen, - endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten, beschleunigen zu helfen.“62 Beworben wurde die Eröffnung mit den Worten:

60 Vgl. Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S. 77-94, S. 77ff. 61 Georg Sowa: Anfänge institutioneller Musikerziehung in Deutschland 1800-1843, zitiert nach: Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S. 77-94, S. 85. 62 Johannes Forner: Mendelssohns Mitstreiter am Leipziger Konservatorium, in: Gerhard Schumacher (Hrsg.): Felix Mendelssohn-Bartholdy, Darmstadt, 1982, zitiert nach: Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S. 77-94, S. 85.

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„Schüler und Schülerinnen des In- und Auslandes können daran Theil nehmen.”63 Somit war der erste Schritt zur professionellen, institutionellen Ausbildung von Pianistinnen getätigt. Bereits 1844 weisen Musikzeitschriften auf die am Leipziger Konservatorium ausgebildeten Pianistinnen Constanze Jakoby und Frl. Hofmann-Kneisel aus.64 In weiterer Folge verbreitete sich der Ruf des Leipziger Konservatoriums schnell, es bildete zwischen 1847 und 1850 mindestens 16 namentlich erwähnte Pianistinnen aus Deutschland, Dänemark, Russland, den Niederlanden und Irland aus.65

2.5 Bedeutende Pianistinnen des 19. und 20. Jahrhunderts Die Geschichte der konzertierenden Pianistinnen ist eine Erfolgsgeschichte und geht Hand in Hand mit der Emanzipation der Frau. Beide Entwicklungen beeinflussen sich dabei gegenseitig. Die große Bedeutung und Leistung der Pionierinnen drückt sich auch in der Vielzahl in der Aufstellung bedeutender Pianistinnen des 19. und 20. Jahrhunderts aus, dargestellt in Tabelle 5 auf Seite 30. Das Ziel, das mit der tabellarischen Aufstellung verfolgt wird, ist die Darstellung bedeutender Pianistinnen sortiert nach Nationalität und Geburtsjahr, welche die Klavierkunst national und international wesentlich geprägt haben und für nachfolgende Generationen als Wegbereiter dienten. Dabei ist anzumerken, dass dies ein erster Versuch ist ausgewählte Pianistinnen zusammengefasst darzustellen. Es gilt zu beachten, dass Leistungskriterien nicht eindeutig zuordenbar sind, weil die Medienlandschaft des 19. Jahrhunderts zumal anders strukturiert war und auch andere Trends herrschten. Auch die Gewichtung verschiebt sich über den betrachteten Zeitraum, da die ersten Pionierinnen quasi bei Null begannen und erst stufenweise die öffentliche Wahrnehmung gewonnen werden musste. Dazu kommt noch, dass von den Anfängen häufig nur wenige

63 Neue Zeitschrift für Musik, Band 1, 1843, zitiert nach: Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S. 77-94, S. 85. 64 Allgemeine Wiener Musikzeitung 1844 S.92 - Berliner Musikalische Zeitung 1844, Nr. 42, zitiert nach: Hoffmann: Institutionelle Ausbildungsmöglichkeiten für Musikerinnen, S. 77-94, S. 86. 65 vgl. Hoffmann/Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin, S. 86.

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Quellen berichten, welche nicht überprüft werden können. Dadurch fehlen sicherlich wertvolle Informationen einerseits und andererseits können andere verzerrt dargestellt sein. Aus diesen Gründen ist es auch in diesem Rahmen nicht möglich eine genauere Tabelle mit mehreren Kriterien zu erstellen. Zur Erreichung dieser Ziele wurden folgende Kriterien, dargestellt in Tabelle 2, abgeleitet: Tabelle 2: Pflichtkriterien zur Identifizierung der bedeutenden Pianistinnen des 19. & 20. Jahrhunderts

Geburtsjahr bis 1950 Internationale Konzerttätigkeit Tätigkeitsfeld: klassische Musik Internationale Auszeichnungen

Eine oder mehrere Kriterien, welche in Tabelle 3 zusammengefasst sind, werden ergänzend auch erfüllt. Aufgrund der oben genannten Erschwernisse ist eine eindeutige Zuordnung bzw. Abgrenzung nicht möglich, weswegen diese als ergänzende Kriterien geführt werden. Tabelle 3: Ergänzende Kriterien zur Identifizierung der bedeutenden Pianistinnen des 19. & 20. Jahrhunderts

Intensive Präsenz in nationalen und internationalen Medien Gründung nationaler oder internationaler Wettbewerbe, Festivals, Konzertreihen Preisträgerinnen der internationalen Wettbewerbe Gesamte Klavierliteratur eines Komponisten aufgenommen Zahlreiche Auftritte im Radio Ausschließlich Tätigkeit als Radiopianistin Neben Soloklavier auch Tätigkeit in mind. einer der folgenden Sparten: Kammermusik, Klavierduo, Pädagogik, Liedbegleitung, Studioeinspielung, Rundfunk, Komposition, Dirigieren

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Zur Prüfung der Kriterien wurden folgende Quellen verwendet, zusammengefasst in Tabelle 4: Tabelle 4: Quellen zur Prüfung der Kriterien

Forte Piano Pianissimo. Plattform für Pianoliebhaber, http://www.forte-piano- pianissimo.com/Great-Women-Pianists.html und http://www.forte-piano- pianissimo.com/Great-Classical-Pianists.html. MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de Naxos Records Datenbank, http://www.naxos.com/ Ranker. Künstlerinnenplattform, http://www.ranker.com/list/famous-female- pianists/reference Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Musik- und Geschlechterforschung. http://www.sophie-drinker-institut.de/ Wikipedia. Freie Enzyklopädie, https://en.wikipedia.org Women at the Piano. http://www.pianowomen.com/yesterday2.html World of Recorded Bach Cantatas, http://www.bach-cantatas.com/

Diese tabellarische Auflistung entstand im Zuge der gründlichen Recherche zu dieser Arbeit, aber erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit. Aus der quantitativen Verteilung der Pianistinnen bezüglich ihrer Nationalitäten lässt sich ableiten, dass die Nationen mit den meisten Pianistinnen Deutschland, England, Frankreich, Russland und die USA sind. Es gilt aber anzumerken, dass viele Pianistinnen besonders in die USA emigriert sind und deswegen dort gelistet werden. Gründe hierfür finden sich zum einen in den Verfolgungen jüdischer Künstlerinnen und Künstler in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber auch aufgrund von Studium oder anderen Karrieremöglichkeiten. Eine weitere Auffälligkeit ist, dass in Russland erst später bedeutende Pianistinnen auftraten, da sich die Rahmenbedingungen für eine breitere künstlerische Tätigkeit in der Musik erst etwas später entwickelten als in Europa. In Kapitel 3.2.1 werden diese Entwicklungen detaillierter ausgeführt. Unter den in Tabelle 5 geführten Pianistinnen sind einige, welche die Klavierschule bei Clara Schumann und Theodor Leschetizky absolviert haben. Diese bedeutenden Pianistinnen sind in Tabelle 6 auf Seite 34 gesondert angeführt mit detaillierten Angaben zu deren Wirken und Tätigkeiten.

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Tabelle 5: Auflistung von Pianistinnen des 19. und 20. Jahrhunderts, gegliedert nach Nationalität

Deutschland Anna Caroline Oury (De Belleville) 1808 –1880 Johanna Schultz (Klinckerfuss) 1855 - 1924 Marie-Louise Dulcken 1811-1850 Adele aus der Ohe 1861- 1937 Clara Josephine Schumann (Wieck) 1819 -1896 Elisabeth Johanna Amelia Caland 1862 – 1929 Gerty Blacher-Herzog 1922- 2014 Frieda Hodapp 1880- 1949 Marie Bronsart von Schellendorf 1840 - 1913 Elly Ney 1882-1968 Anna Mehlig, verh. Falk, 1846-1928 Edith Weiss-Mann 1885-1951 Sophie Menter (Popper) 1846 -1918 Draga Matković 1907- 2013 Alma Haas 1847- 1932 Edith Picht-Axenfeld 1914 -2001 Luise Le Beau 1850- 1927 Maria Bergmann 1918-2002 Luise Adolpha Le Beau 1850-1927 Evelinde Trenkner 1933 Mary Krebs-Brenning 1851 -1900 Annerose Schmidt (Boeck) 1936 Laura Rappoldi-Kahrer 1853 -1925 England Lucy Anderson 1797 –1878 Myra Hess 1890 -1965 Robena Anne Laidlaw 1819- 1901 Harriet Cohen 1895- 1967 Arabella Goddard 1836 –1922 Ethel Barlett 1896- 1078 Fanny Frickenhaus 1849- 1913 Kathleen (Ida) Long 1896- 1968 Mary Wurm 1860- 1938 Marie Novello 1898-1928 Fanny Davies 1861-1934 Alice Herz-Sommer- 1903 -2014 Mathilde Verne (Wurm) 1865 -1936 Lili Kraus 1905-1986 Amina Goodwin 1867-1942 Hilda Bor 1910- 1993 Alice Verne-Bredt (Wurm) 1868- 1958 Edith Vogel 1912- 1992 Adelina de Lara 1872 –1961 1916- 2005 Katherine Goodson 1872- 1958 Yaltah Menuhin 1921- 2001 Adela Verne (Wurm)1877-1952 Joyce Hatto 1928- 2006 Evelyn Suart, Lady Harcourt 1881- 1950 Valerie Tryon 1934 Christie Winifred 1882- 1965 Mitsuko Uchida 1948 Ethel Leginska 1886- 1970 Imogen Cooper 1949 Irene Scharrer 1888- 1971 Frankreich Anne Marie Bigot de Morogues1786-1820 Ida- Marie- Louise Perin 1906- ? Wilhelmine Clauss-Szarvady 1832- 1907 Monique Haas 1909-1987 Montigny Rémaury 1843- 1913 Lèlia Gousseau 1909- 1997 Marie Jaëll, geb. Trautmann 1846- 1925 Éliane Richepin 1910- 1999 Cécile Louise Stéphanie Chaminade 1857-1944 Monique de la Bruchollerie 1915 -1972 Clotilde Kleeberg-Samuel 1866- 1909 Annie d’Arco 1920- 1998 Marguerite Long 1874– 1966 Ginette Doyen 1921- 2002 Marie Blanche Selva 1884- 1942 Agnelle Bundervöet 1922- 2015 Nadia Juliette Boulanger 1887- 1979 Yvonne Loriod 1924- 2010 Madeleine Grovlez- Fourgeaud 1889- ? Marie- Therese Fourneau 1927- 2000 Youra Guller 1895- 1980 France Clidat 1932 -2012 Marcelle Meyer 1897- 1958 Françoise Thinat 1934

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Aline- Isabelle van Barentzen 1897- 1981 Cécile Ousset 1936 Gaby Casadesus 1901- 1999 Alice Ader 1945 Germaine Thyssens-Valentin 1902- 1987 Catherine Collard 1947-1993 Jeanne- Marie Darrè 1905- 1999 Anne Queffélec 1948 Lucette Descaves 1906- 1993 Katia Labèque 1950 Russland Martha von Sabinin 1831 – 1892 Marija Grinberg 1908- 1978 Ella Adajewskaja (Schultz) 1846 -1926 Nina Milkina 1919- 2006 Annette Essipoff 1851-1914 Rosa Tamarkina 1920 –1950 Vera Timanova 1855 –1942 Tatjana Nikolajewa 1924 -1993 Marie Panthes 1871- 1955 Wera Gornostajewa 1929 2015 Isabelle Vengerova 1877- 1956 Oxana Yablonskaya 1938 Jelena Beckmann-Schtscherbina 1881- 1951 Wiktorija Postnikowa 1944 Nadezhda Golubovskaja 1891-1975 Elisabeth Leonskaja 1945 Marija Judina 1899- 1970 USA Amelia Muller Fay 1844 –1928 Martha Goldstein 1919- 2014 Rosina Lhévinne 1880- 1976 Ajemian Maro 1921- 1978 1880- 1948 Constance Keene 1921-2005 Hazel Harrison 1883-1969 Teresa Sterne Teresa Rosenbaum 1927- 2000 Aline van Barentzen 1897- 1981 Natalie Leota Henderson Hinderas 1927- 1987 Ellen Ballon 1898- 1969 Bella Davidovich 1928 Ania Dorfmann 1899- 1984 Sondra Bianca 1930 Nadia Reisenberg 1904- 1983 Claudette Sorel 1932- 1999 Johanna Margarete „Grete“ Sultan 1906 -2005 Evelyne Crochet 1934 Gwendolyn Koldofsky 1906-1998 Marina Goglidze-Mdivani 1936 Katja Andy 1907- 2013 Ruth Aredo 1937- 2005 Eunice Norton 1908- 2005 Katrina Krimsky ( Margaret Siegmann ) 1938 Ida Krehm 1912- 1998 Marylène Dosse 1939 Rosalyn Tureck 1913- 2003 Ann Schein Carlyss 1939 Sofia Cosma 1914-2011 Ursula Oppens 1944 Leah Effenbach 1915- 1978 Christina Petrowska-Quilico 1948

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Australien Alsie Hall 1877- 1976 Miriam Hyde 1913-2005 Winifred Charlotte Hillier Crosse Burston 1889- 1976 Nancy Mary Weir 2015-2008 Vera Florence Bradford 1904– 2004 Valda Rose Aveling 1920-2007 Eileen Alannah Joyce 1912- 1991 Tessa Daphne Birnie 1934- 2008 Argentinien Martha Argerich 1941 Sylvia Kersenbaum 1945 Belgien Marie Félicité Denise Moke-Pleyel 1811 -1875 Brazilien Antonietta Rudge 1885- 1974 Anna Stella Schic 1925-2009 Magda Tagliaferro 1893- 1986 Isabel Mourão 1932 Felicija Blumental 1908- 1991 Cristina Ortiz 1950 Bulgarien Savova, Velichka 1899- 1991 Chile Amelia Rosa Artigas Renard 1894- 1949 Dänemark Johanne Amalie Stockmarr 1869- 1944 Amalie Malling 1948 Galina Werschenska 1906- 1994 Anne Stampe Øland 1949- 2015 France Ellegaard 1913- 1999 Estland Käbi Alma Laretei 1922-2014 Georgien Elisso Wirsaladze 1942 Griechenland Gina Bachauer 1913- 1973 Rena Kyriakou 1917- 1994 Irak Beatrice Ohanessian 1927-2008 Israel Pnina Salzman 1922-2006 Ilana Vered 1944 Italien Enrica Cavallo- Gulli 1921- 2007 Maria Tipo 1931 Marisa Borini 1930 Vera Franceschi 1926- 1966 Jugoslawien Dubravka Tomsic Srebotniak 1940 Norwegen

Erika Røring Møinichen Lie Nissen 1845- 1903 Sandra Droucker 1875- 1944 Agathe Backer (Grøndahl ) 1847-1907 Eva Knardahl Freiwald 1927- 2006 Österreich Maria Theresia Paradis 1759- 1824 Marie Unschuld von Melasfeld 1871- 1912 Katharina Cibbini (Koželuch) 1785 -1858 Ilona Eibenschütz 1872 -1967 Anna Maria Leopoldine Blahetka 1809- 1885 Frieda Valenzi 1910- 2002 Auguste Auspitz-Kolár 1843 -1878 Felicitas Karrer 1924- ?

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Malwine Brèe 1851-1937 Ilse von Alpenheim 1927 Fannie Bloomfield- Ziesler 1863- 1927 Ingrid Haebler 1929 Adele Radnitzky-Mandlick 1864 -1932 Polen Maria Szymanowska (Wolowska) 1789- 1831 Natalia Karp 1911-2007 Natalie Janotha 1856 -1932 Halina Czerny-Stefańska 1922 –2001 Antoinette Szumowska 1868- 1938 Lidia Grychtolòwna 1928 Wanda Landowska 1879- 1959 Barbara Hesse- Bukowska 1930- 2013 Maria Wiłkomirska 1904- 1995 Nelly (Nechama) Ben-Or 1933 Maryla Jonas 1911- 1959 Portugal Maria João Alexandre Barbosa Pires 1944 Rumänien Clara Haskil 1895-1960 Schottland Helen Hopekirk 1856- 1945 Schweden Ingrid Fuzjko Hemming 1932 Schweiz Anna Hirzel- Langenhan 1874- 1951 Jeanne Bovet 1917- 2010 Lottie Morel 1909-1973 Margrit Weber 1924-2001 Hélène Boschi 1917- 1990 Marianne Schroeder 1949 Spanien Amparo Iturbi 1898-1969 Alicia de Larrocha i de la Calle 1923- 2009 Francesca Paquita Madriguera Rodon 1900- 1965 Tschechien Liza Fuchsova 1913- 1977 Türkei Idil Biret 1941 Ungarn Etelka Freund 1879– 1977 Annie Fischer 1914- 1995 Yolanda Mero 1887- 1963 Livia Rev 1916 Ilona Kabos 1893- 1973 Edith Farnadi 1921- 1973 Agi Jambor 1909– 1997 Zsuzsanna Sirokay 1941 Sari Biro 1912- 1990 Ilona Prunyi 1941 Ilona Eibenschütz (Derenburg)1872- 1967 Ukraine Lubka Kolessa 1902- 1997 Mira Raiz 1925 Vitya Vronsky 1909- 1992 Valentina Kamenìkovà 1930- 1989 Uruguay Dinorah Varsi 1939- 2013 Venezuela Maria Teresa Carreno Garcia de Sena 1853-1917

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Tabelle 6: Schülerinnen von Clara Schumann und Theodor Leschetizky

Name Vorname Geburtsjahr / Lebensmittelpunkt Internationale Sonst. Ausbildung bei Quellen Anmerkungen Sterbejahr / Nationalität Konzerttätigkeit Künstlerische Tätigkeit Essipoff Annette 1851- 1914 Russland Europa, Amerika Pädagogin, Leschetizky MUGI, Wiki Chopin als Kammermusikerin Schwerpunkt im Repertoire Bloomfield- 1863- 1927 Österreich, Amerika Europa, Amerika Pädagogin Leschetizky Sophie Drinker Zeisler Fannie Institut Goodson 1872- 1958 England Europa, Amerika Leschetizky Wiki Katherine Hirzel- 1874- 1951 Schweiz Europa Pädagogin, Leschetizky Sophie Drinker Vortrag aller Langenban Anna Kammermusikerin Institut Violinsonaten von Beethoven mit E. Ysaye Vengerova 1877- 1956 Russland, USA UdSSR, Europa, Pädagogin Leschetizky Wiki Mitbegründerin des Isabelle Amerika Curtis Institut Ney Elly 1882- 1968 Deutschland, USA Europa, Amerika Pädagogin, Leschetizky Wiki, Beethoven als Kammermusikerin Proclassics.de Schwerpunkt im Repertoire Leginska Ethel 1886- 1970 England Europa, Amerika Dirigentin, Leschetizky Wiki Gründete in New York Komponistin das National Women's Symphony Orchestra

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Le Beau Luise 1850- 1927 Deutschland Europa Komponistin Schumann Wiki, Sophie Aktive Drinker Institut Musikwissenschaftlerin im Bereich Komposition Wurm Marie 1860- 1938 England Europa Komponistin, Schumann Sophie Drinker Gründete Dirigentin, Institut, Wiki Frauenorchester Pädagogin Davies Fanny 1861- 1934 England Europa Kammermusikerin Schumann Sophie Drinker Schumann, Brahms Institut als Schwerpunkt im Repertoire Verne (Wurm) 1865- 1936 England Europa, Amerika Komponistin, Schumann Sophie Drinker Gründete eigene Mathilde Dirigentin, Institut Konzertreihe „Twelve Pädagogin, o’Clocks“, die fast 30 Kammermusikerin Jahre bestand hatte Goodwin Amina 1867- 1942 England Europa Pädagogin, Schumann Sophie Drinker Gründerin einer Komponistin, Institut, MUGI Klavierschule als Kammermusikerin Institution Eibenschütz 1872- 1967 Ungarn Europa Kammermusikerin Schumann Wiki, MUGI Ilona (Derenburg) De Lara Adelina 1872- 1961 England Europa, Komponistin, Schumann MUGI, Wiki, Organisierte viele Australien, USA, Pädagogin Sophie Drinker Benfizkonzerte Ägypten Institut

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Eine weitere Recherche im Zeitungsarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek ANNO ergibt, dass die meistgenannten Pianistinnen darunter Clara Schumann und Annette Essipoff sind. Ihre Bedeutung und öffentliche Strahlkraft in Europa wird durch die hohe Anzahl der Erwähnungen widergespiegelt, welche in Tabelle 5 dargestellt sind. Fanny Davies, welche zu den einflussreichsten und bekanntesten Pianistinnen in Europa zählte, wird 157 mal erwähnt, wohingegen die Namen Annette Essipoff, eine Schülerin von Theodor Leschetizky, 519 mal und Clara Schumann (Wieck) 2.155 mal in den Printmedien gezählt werden können.66 Arabella Goddard, ausgewiesen als angesehenste Pianistin Anfang des 19. Jahrhunderts in England, wird hingegen 167 mal erwähnt. Der Kontrast zu Schumann und Essipoff ist deutlich erkennbar.

Tabelle 7: Anzahl der Nennungen der Pianistinnen in zeitgenössischen Zeitschriften

Pianistin Nennungen Zeitraum Fanny Davies67 157 1886-1912 Annette Essipoff68 519 1876-1890 Clara Schumann69 2.155 1831-1901 Arabella Goddard70 167 1854-1885 Amina Goodwin71 3 1876-1878

66 Diese Aufzählungen geben keine exakten Relationen an, zeigen aber eindeutige, qualitative Tendenzen der öffentlichen Präsenz. Die Ergebnisse sind auch verzerrt, da der mit Abstand am häufigsten vertretene Erscheinungsort Wien ist. Da Wien aber ein wichtiger Konzertort war und Einfluss auf gesamt Europa hatte, ist die Bezugsgröße für diese Aussage vertretbar. 67 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/; Zugriff am 21.11.2016, Suchbegriff „Fanny + Davies“ 68 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/; Zugriff am 21.11.2016, Suchbegriff „Essipoff“ 69 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/; Zugriff am 21.11.2016, Summe aus Suchbegriffe „Clara+Schumann“ und „Clara+Wieck“; 70 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/; Zugriff am 21.11.2016, Suchbegriff „Arabella + Godddard“ 71 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/; Zugriff am 21.11.2016, Suchbegriff „Amina Goodwin“

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Die Unterschiede zwischen den Pianistinnen liegen zum einen an deren Pionierleistung als konzertierende Virtuosinnen, ihrem geographischen Tätigkeitsfeld und zum anderen an ihrem pädagogischen nachhaltigen Wirken. Gleichzeitig repräsentieren diese auch, wie bereits dargestellt, zwei der dominanten Nationen, nämlich Deutschland und Russland. Wie aus Kapitel 3.2.1 später hervorgeht, beeinflussen sich die künstlerischen Strömungen dieser beiden Länder gegenseitig intensiv, weswegen eine Gegenüberstellung und gemeinsame Betrachtung gerechtfertigt erscheint. Clara Schumanns Schülerinnen und Schüler, Fanny Davies beispielsweise, hatten auch großen Einfluss auf die Klavierpräsenz in England, weswegen der Schluss naheliegt, dass Wechselwirkungen zwischen beiden Klaviertraditionen stattfanden und die Schule Clara Schumanns auch Einfluss auf die Entwicklungen in England hatte. Um die Erfolgsfaktoren der Pianistinnen in Deutschland sowie Russland zu beleuchten, werden in weiterer Folge die pädagogischen Methoden von Clara Schumann und Theodor Leschetizky analysiert und gegenübergestellt. Das Wirken der Methoden wird anhand der erfolgreichsten Schülerinnen beider Schulen, Fanny Davies für Clara Schumann und Annette Essipoff für Theodor Leschetizky, dargestellt. Diese vier Personen haben die Klaviertradition in Russland, Deutschland und England entscheidend mitgeprägt und positiv beeinflusst.72

72 Frankreich und USA und seine bedeutenden Pianistinnen, Pädagogen wie Virtuosen, werden im Rahmen dieser Arbeit nicht explizit betrachtet, da der Rahmen für eine umfassende Darstellung zu eng ist.

3 Clara Schumann und Theodor Leschetizky

Im folgenden Kapitel werden die beiden Persönlichkeiten Clara Schumann und Theodor Leschetizky, beginnend bei ihrer Biographie und prägenden Lebensumständen, über deren Konzerttätigkeit bis hin zu ihrem pädagogischen Wirken, dargestellt. Am Ende des Kapitels werden Charakteristika beider Methoden gegenübergestellt und verglichen.

3.1 Clara Schumann Clara Schumann war eine der bedeutendsten Pianistinnen und prägendsten Persönlichkeiten der Klavierpädagogik. Im 20./21. Jahrhundert kannte man sie überwiegend als die Frau von Robert Schumann. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war jedoch Robert Schumann der Mann der Clara Wieck. So wurde Robert Schumann nach einem Auftritt von Clara in Wien gefragt: “Sind Sie auch musikalisch?“73 Johann Wolfgang von Goethe sagte über sie, nachdem er die zwölfjährige Clara gehört hatte: “Das Mädchen hat mehr Kraft als sechs Knaben zusammen.”74 Diese interessante, vielschichtige und hochbegabte Persönlichkeit hat die europäische Klaviertradition mitgestaltet wie zuvor keine andere Frau. Sie war zum Beispiel eine der ersten Frauen, welche die meisten Beethoven- Sonaten vortrug sowie die Werke von Chopin und Brahms. Außerdem zählte sie zu den ersten Pianistinnen, die abendfüllende Soloprogramme ohne Begleitmusiker auswendig spielten und somit das heute noch immer aktuelle Solorecital etablierten.75 Im folgenden Kapitel werden Clara Schumanns Werdegang, ihr Einfluss und ihre Unterrichtsmethode beleuchtet.

73 Eduard Hanslick: Vom Musikalisch Schönen – Aufsätze, Musikkritiken, hrsg. von Klaus Mehner, Leipzig, 1982, S.156. 74 Steegmann / Rieger (Hrsg.): Frauen mit Flügel, S.12. 75 Vgl. Nancy Reich: Clara Schumann, in: Jane / Tick (Hrsg.): Women making music- The Western Art Tradition 1150-1950, Urbana (Illinois), 1987, S. 249-277, S. 250 ff.

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3.1.1 Kindheit und Ehe mit Robert Schumann Clara Schumann wurde mit Mädchennamen Clara Wieck am 13.Sept. 1819 in Leipzig geboren, als Tochter des ausgebildeten Theologen Friedrich Wieck und der Sängerin und Pianistin [sic] Mariane Wieck.76 Als wichtigste Bezugsperson ist ihr Vater Friedrich zu nennen, der Clara von frühen Kindheitsjahren an zu Hause unterrichtete. Seine Erziehung verfolgte das Ziel, Clara zum Wunderkind und zur Virtuosin auszubilden, damit diese den Lebensunterhalt für sich und die Familie bestreiten konnte. Diese Erziehung war vollkommen gegen die gesellschaftlichen Gepflogenheiten des frühen 19. Jahrhunderts, da sie eindeutig auf ein selbstbestimmtes Leben in der Öffentlichkeit abzielte.77 Mit seiner konsequenten Erziehung setzte Friedrich Wieck sich später auch gegen sämtliche Wünsche Claras durch und erinnerte sie daran, was ihre Aufgabe im Leben sei. Friedrich Wieck versuchte sein Leben lang Einfluss auf Clara zu nehmen und sie quasi als sein „Werk“ für seine (monetären) Zwecke zu instrumentalisieren. Ein Beleg dafür ist eine Tagebucheintragung Claras: „Ich habe Dir und Deiner Ausbildung fast 10 Jahre meines Lebens gewidmet; bedenke, welche Verpflichtungen Du hast.”78 Der Erfolg von Clara stellte sich früh ein, da sie als Wunderkind auftrat und hielt ihr Leben lang an. Dieser andauernde Erfolg war kein Zufallsprodukt, sondern Ergebnis einer geplanten und konsequent verfolgten Strategie. Die Clara Schumann-Expertin und Biographin Janina Klassen konstatiert: “ Auch wenn es so scheint, so geschieht doch auf der Bühne selten eine Handlung spontan. Im Gegenteil. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Schon Clara Wiecks Podiumsauftritte waren sorgfältig vorbereitet und

76 Vgl. Janina Klassen: Clara Schumann – Musik und Öffentlichkeit, Köln, 2009, S. 12 ff. 77 Vgl Beatrix Borchard: Clara Schumann – Annäherungen, in: Hoffmann / Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin, S.95-108, S. 97 ff. 78 Tagebuchauszug von Clara Schumann, zitiert nach: Berthold Litzmann: Clara Schumann -Ein Künstlerleben nach Tagebüchern und Briefen, Mädchenjahre 1819-1840, Band 1, Leipzig, 1906, S. 66.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 40

einstudiert, wie die Wahl der Bühnengarderobe, samt Schmuck und Ansteckblume zeigt.”79 Diese These wird durch Abbildung 5 unterstrichen, die Clara Wieck im Alter von 15 Jahren zeigt. Haltung, Schmuck, Kleidung sowie der Gesichtsausdruck und das Notenblatt am Klavier zeigen ein stimmiges Gesamtkonzept, ähnlich einem Reklamefoto.

Abbildung 5: Clara Wieck im Alter von 15 Jahren80

Wie aus einem Brief ihres Vaters Friedrich an die Mutter von Robert Schumann hervorgeht, war es auch Teil seiner Ausbildung, seinen Schülerinnen und Schülern das Unterrichten beizubringen. Grund dafür war sein Pragmatismus, da Unterrichtstunden eine weitere Einkommensquelle von Künstlerinnen und Künstlern darstellten: „Ohne mich in etwas Weiteres vor der Hand einzulassen, erkläre ich, daß der Klaviervirtuos (wenn er nicht der allerberühmteste Componist u. sein Name schon seit Jahren gefeyert ist), nur sein Brod verdienen kann, wenn er Unterricht giebt- dann aber auch sehr gut und sehr reichlich. Es

79 Vgl. Klassen: Clara Schumann, S.111. 80 Clara im Alter von 15 Jahren: Clara Wieck 1835, Lithografie von Julius Giere. Quelle: http://www.schumann-portal.de/tl_files/img/RobertSchumann_Familie/ClaraWieck_15Jahre.jpg

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fehlt überall an guten geistreichen allseitig gebildeten Lehrern, u. es ist bekannt, daß man in Paris, Wien, Petersburg, Berlin etc. 2-4 Thr. u. in London 6-8 Thr. für die Stunde bezahlt. Zur Lehrerin erziehe ich denn nun auch vor allem meine Tochter, obgleich diese, als Mädchen, den Vorzug vor allen Klavierspielerinnen der Welt bereits hat, daß sie frei phantasiren kann - u. doch lasse ich mich durch nichts täuschen.“81 Wie bedeutend diese Ausbildung für Clara Schumann und durch sie für die gesamte Klaviertradition in Europa sein wird, ist Gegenstand in den folgenden Kapiteln. Im Alter von elf Jahren lernte sie den damals 20-jährigen Robert Schumann kennen, als dieser Klavierunterricht bei Friedrich nahm. Viele Zeitgenossen waren sich einig, dass diese Begegnung die junge Clara künstlerisch positiv beeinflusste. Teil ihrer Ausbildung war auch das Komponieren, da Künstlerinnen und Künstler im 19. Jahrhundert nur akzeptiert wurden, wenn diese auch kreativ tätig waren und eigene Werke vortrugen. Wohl mit Bedacht hatte Friedrich folglich Robert Schumann als Schüler in sein Haus geladen, um durch dessen freies Phantasieren am Klavier auch Clara zu beeinflussen und zu motivieren. Das zwanglose, kreative Schaffen Robert Schumanns stand somit kontrapunktisch zur konsequenten Erziehung von Friedrich Wieck. Gleichzeitig sollte aber auch Claras Konsequenz und Disziplin Roberts Entwicklung bereichern.82 Durch die Beeinflussung von Robert wurde Clara zum Komponieren inspiriert und motiviert. Auf den langen und anstrengenden Tourneen, die sie ausschließlich an der Seite ihres Vaters verbrachte, schrieb sie an Robert: „Das Reisen ist mir sehr langweilig jetzt, ich sehne mich doch sehr nach Ruhe; wie gern möcht ich componieren, doch hier kann ich durchaus nicht. Früh muß ich üben und spät bis Abends haben wir Besuche; dann ist mein Geist völlig erschöpft, was Du auch aus meinen Briefen sehen

81 Ernst Burger: Robert Schumann - Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, zitiert nach: Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S. 31. 82 Vgl. Borchard: Clara Schumann, in: Hoffmann / Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin, S. 95-108, S. 97-98.

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mußt […]. Ich tröste mich immer damit, daß ich ja ein Frauenzimmer bin, und die sind nicht zum componieren geboren.”83 Friedrich Wieck versuchte ständig, nicht nur seinen Einfluss auf Clara, sondern auch die Kontrolle über seine Tochter zu wahren. Getrieben von diesen Zielen versuchte er auch die Hochzeit von Clara und Robert zu verhindern. Es ist ihm gelungen, diese zumindest zu verzögern. Im September 1840 heirateten aber schließlich Robert und Clara. Vor der Eheschließung zeigten sich Claras starker und selbstbewusster Charakter, aber auch ihre auf Kunst fokussierte Erziehung und der Einfluss ihres Vaters, indem sie an Robert schrieb: “Auch ich hab über die Zukunft nachgedacht und das recht ernstlich. Das Eine muß ich Dir doch sagen, daß ich nicht eher die Deine werden kann, ehe sich nicht die Verhältnisse noch ganz anders gestalten. Ich will nicht Pferde, nicht Diamanten, ich bin ja glücklich in Deinem Besitz, doch aber will ich ein sorgenfreies Leben führen und ich sehe ein, daß ich unglücklich sein würde, wenn ich nicht immerfort in der Kunst wirken könnte, und bei Nahrungssorgen? das geht nicht. Ich brauche viel und sehe ein, daß zu einem anständigen Leben viel gehört. Also, Robert, prüfe Dich, ob Du im Stande bist, mich in eine sorgenfreie Lage zu versetzen.“84 Aus anderen Korrespondenzen mit Robert geht hervor, dass Clara vermutlich nicht die Absicht hatte ihre Konzerttätigkeit einzustellen. Liebevoll, aber vermutlich auch strategisch und hoffnungsvoll, formulierte sie: “Ach Robert! Wüßtest Du doch, wie es immer so liebevoll in meinem Innern aussieht, wie ich Dich auf Händen tragen, Dir das Leben immer nur rosenfarben zeigen möchte...wie ich dich so unendlich liebe - alle meine Sorge ist ja nur für dich; der Gedanke, Du solltest für Geld

83 Brief C. Wiecks an R. Schumann datiert 4.3.1838, zitiert nach: Litzmann: Clara Schumann, Band 1, S. 188. 84 Brief C. Wiecks an R. Schumann datiert 24.11.1837, zitiert nach: Litzmann, S. 147.

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arbeiten, ist mir der schrecklichste. Ich möchte ja eben gern verdienen, um Dir ein nur Deiner Kunst geweihtes Leben zu verschaffen.”85 Zu Anfang veränderten die Ehejahre mit Robert Schumann die Aufgaben und den Wirkradius von Clara aber deutlich. Die für die Öffentlichkeit erzogene, starke Persönlichkeit fand sich plötzlich als Hausfrau, Mutter und Ehefrau von Robert Schumann wieder. Sie hält im Tagebuch fest: “Mein Klavierspiel kommt wieder ganz hintenan, was immer der Fall ist, wenn Robert komponiert. Nicht ein Stündchen im ganzen Tag findet sich für mich! Wenn ich nicht gar zu sehr zurückkomme! Das Partiturlesen hat jetzt auch wieder aufgehört, doch ich hoffe nicht auf lange! Mit dem Componieren will’s nun gar nicht gehen - ich möchte mich manchmal an meinen dummen Kopf schlagen!”86 Gleichzeitig hatte die Familie auch mit finanziellen Nöten zu kämpfen, da Robert als Komponist nicht genügend Geld verdienen konnte. In späteren Jahren kamen auch noch die Erkrankung sowie die damit einhergehende Berufsunfähigkeit hinzu. Die finanzielle Notlage brachte Clara Schumann immer wieder noch zu Lebzeiten Roberts dazu Konzerte zu spielen und zu unterrichten. Nach dem Tod von Robert begann Clara sofort wieder intensiv zu konzertieren und musste den Spagat schaffen zwischen der Mutterrolle und der Virtuosin, da sie sieben minderjährige Kinder zu versorgen und erziehen hatte. Um größtmöglichen Erfolg zu erzielen, setzte Clara Schumann von ihrer Jugend an das Konzertprogramm stets mit Bedacht zusammen, um ihre hohe Musikalität und Virtuosität richtig zum Ausdruck zu bringen und um auch das Publikum begeistern zu können. Eduard Hanslick fasst über ihre 30 Jahre dauernde wiederkehrende Konzerttätigkeit in Wien zusammen, dass Chopin und Adolph Henselt vermehrt in ihren Jugendjahren in ihrem Konzertrepertoire zu finden waren und sie sich später den „[…] ernsten und tiefsinnigen Schöpfungen Bach’s, Beethoven’s und Schumann’s […]“87 widmete. Dennoch streute sie immer wieder

85 Ehetagebuch, Eintragung vom November 1843, Schumann Eugenie: Robert Schumann - ein Lebensbild meines Vaters, zitiert nach: Borchard: Clara Schumann, in: Hoffmann / Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin, S. 95-108, S. 97. 86 Reich: Clara Schumann, in: Bowers / Tick (Hrsg.): Women making music, S. 249-277., S. 255. 87 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, S. 332-333.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 44 in diese ersten Stücke Bravourstücke von Liszt, Thalberg sowie ihre Variationen über „Il Pirata“ ein. In den späteren Jahren spielte sie auch häufig Beethoven- Sonaten, namentlich die „Apassionata“ in f-moll, „Sturm-Sonate“ in d-moll und „Mondschein-Sonate“ in cis-moll.88 Dabei wählte sie ihre Programme so geschickt aus, dass Hanslick schreibt: „Die edle Auswahl, welche Frau Schumann für ihre Concerte trifft, hat die rühmendste Anerkennung allseits gefunden. Es ist eben ein nothwendiger Ausflug echter Künstlernatur, sich nicht zum Dienste des Gemeinen herabzuwürdigen.“89 In diesem Sinne gehörten auch die Klavierkonzerte von Beethoven, Mendelssohn und Brahms zu ihrem Standardrepertoire.90 Der Aushang zur Bewerbung ihres Konzertes, abgebildet in Abbildung 6, zeigt auch das Konzertprogramm. Von Robert Schumann werden nicht nur das Klavierkonzert in a-moll, sondern auch Ouvertüre, Scherzo und Finale für Orchester vorgetragen. Robert Schumann ist somit der einzige Komponist, von dem mehrere Werke am Programm stehen. Auch findet die vorhin zitierte Aussage von Eduard Hanslick Bestätigung, die besagt, dass Werke von Henselt und Chopin zu ihrem häufig vorgetragenen Stammrepertoire zählten. Clara Schumann setzte ihre öffentlichen Auftritte dafür ein, das kompositorische Schaffen ihres Mannes populär zu machen und bei ihren späteren Konzerten waren die Werke ihres Gatten wie „Kreisleriana“, „Symphonische Etüden“ und „Fantasiestücke“ stets Teil ihres Programms.91

88 Vgl. Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, S. 333. 89 Hanslick, S. 105. 90 Dörffel Alfred: Geschichte der Gewandhausconcerte zu Leipzig – Vom 25. November 1781 bis 25. November 1881, Wiesbaden, 1972, S. 163. 91 Vgl. Hanslick, S. 105 und S. 393.

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Abbildung 6: Aushang zur Bewerbung eines Konzertes mit Clara Schumann92

Diese Motive wurden auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit als solche honoriert. Dadurch wurde die Künstlerin auch Sinnbild für die damals herrschende Ideologie der Weiblichkeit: Mutter und Unterstützerin ihres Mannes. Das Image der zielstrebigen Virtuosin wäre womöglich als egoistisch empfunden worden und die einsetzende, nachhaltige Bewunderung für ihre Person und ihr Können wären getilgt gewesen.93

92 Plattform über Kapellmeister Johann Kreisler, https://kreisleriana.files.wordpress.com/2010/03/konzertzettel.jpg, Zugriff am 13.12.2016. 93 Vgl. Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, S. 37 ff.

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3.1.2 Clara Schumanns Klavierpädagogik Nach dem Tod von Robert Schumann hatte Clara Schumann weitreichenden und nachhaltigen Erfolg als Klavierpädagogin. Vor dem Hintergrund ihres hervorragenden Rufes als Virtuosin und der pädagogischen Ausbildung, die ihr Vater sie lehrte, war am Höhepunkt ihrer Tätigkeit der Ansturm auf ihre Klasse enorm. 1880 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Fast jeden Tag kämen eine hoffnungsvolle Mutter oder Vater mit Tochter, die geprüft sein wollten, was mich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich angriff, denn die Meisten mußte ich abweisen und das kostet dann immer Thränen.”94 Sie unterrichtete hauptsächlich Mädchen, welche aus verschiedenen Nationen zu ihr kamen. Annkatrin Babbe hält über Claras Zeit am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main fest, dass von insgesamt 68 Pianistinnen 25 aus Deutschland stammten, 24 aus Großbritannien, sowie Schülerinnen aus den USA, Skandinavien, den Niederlanden, Ungarn, Österreich und Frankreich. Ein Grund für den überdurchschnittlich hohen Anteil an Mädchen in ihrer Klasse dürften die positive Vorbildfunktion und ihr guter Ruf gewesen sein.95 Im folgenden Kapitel werden aus unterschiedlichen Quellen ihre Unterrichtspraktiken rekonstruiert. Da Clara Schumann von ihrem Vater in Klavierpädagogik unterwiesen wurde und ihre Schülerinnen und Schüler einige ihrer Merkmale übernahmen (z.B. auswendiges Solorecital auf der Bühne), ist anzunehmen, dass sie auf den Methoden ihres Vaters aufbaute, diese teilweise übernahm und erweiterte.96

94 Tagebucheintrag Clara Schumanns vom 29. Juni 1880, zitiert nach: Berthold Litzmann: Clara Schumann- Ein Künstlerleben nach Tagebüchern und Briefen, Clara Schumann und ihre Freunde 1856-1896, Band 3, Leipzig, 1908, S. 411. 95 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S.68 ff. 96 Friedrich Wiecks wichtigste Grundsätze lauteten (vgl. Wieck: Clavier und Gesang, S.8 ff.): 1) In pädagogischer Hinsicht: a. Nicht Drill sondern Kreativität fördern b. Entwicklung der Individualität als einziger Maßstab für die Förderung des Schülers, c. Entwicklung der Persönlichkeit d. Stufenweises Fortschreiten e. Üben nur mit frischen Kräften, mit wachem Verstand und nur so lange es Freude bereitet

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Folgende Grundsätze von Clara Schumanns Lehrmethode wurden identifiziert:97 1.) Notentreue Um die Werke im Sinne der Komponisten wiedergeben zu können, forderte Clara Schumann absolute Texttreue. Aussprüche wie „spiel wie es hier steht“ oder „es steht doch alles da“ und „keine Freiheit im Text“ bekamen ihre Schülerinnen und Schüler häufig zu hören. Dabei forderte sie auch die Musik zu verstehen und tiefgreifend zu erfassen, was diese bedeute. Um den Text verstehen zu können, ermunterte sie dazu, ihn ehrfurchtsvoll zu lesen, den verborgenen Inhalt zwischen den Zeilen zu erfassen, um ihn musikalisch zum Ausdruck bringen zu lassen. Dabei war Fantasie sowie persönlicher Ausdruck erlaubt und durchaus erwünscht. Dadurch, dass sie Duette mit den großen Komponisten ihrer Zeit gespielt hatte, wie z.B. jene von Chopin und Mendelssohn, bekam die Notentreue im Sinne des Textes eine weitere Bedeutung und Dimension. 2.) Tonqualität und Anschlag Die Tonqualität war ihr ein besonderes Anliegen und so war in Clara Schumanns Lehrmethode eine feine Technik ein Werkzeug zur Herstellung einer gelungenen Interpretation. Dabei war die Technik ständig Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck. Die Spielerinnen und Spieler sollten lernen, mittels der Interpretation die entwickelten Vorstellungen genau zu transportieren ohne vereinheitlichte Interpretationsmodelle zu verwenden. Dabei beschäftigte sie sich nicht mit dem Beibringen von Spieltechniken, sondern ließ diese von ihren

f. Viel Bewegung an frischer Luft, kluge Tageseinteilung, Bedeutung der Gesundheit 2) In musikalischer Hinsicht: a. Das Werk verstehen, ausdrucksvolle und schöne Wiedergabe b. Gesang als Grundlage für ausdrucksvolles, schönes Spiel c. Entwicklung des Gedächtnisses (Wieck war der erste, der seine SchülerInnen auswendig auf der Bühne spielen ließ) d. Einbeziehung der Harmonielehre und musikalischer Analysen von Anfang an im Zusammenhang mit der Ausbildung elementarerer Fertigkeiten am Instrument e. Einheit von Musik und Technik 3) In pianistischer Hinsicht: a. An erster Stelle Herausbildung der Tonqualität b. Cantabeles Legato-Spiel c. Spiel mit freiem Handgelenk

97 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S.67ff.

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Töchtern unterrichten. Erst wenn die Technik perfektioniert wurde, nahm sie selbst den Unterricht wieder auf. Die Entwicklung eines ausgeglichenen, gleichmäßigen Anschlags bei gleichzeitiger Flexibilität und der Vermeidung von überflüssigen Bewegungen war ein Qualitätsmerkmal ihrer Schule. Die Finger durften die Tasten nicht verlassen, sodass die Taste beim Anschlag nur gedrückt und nicht von der Höhe gestoßen werden sollte. Der Ton, nicht der Anschlag selbst, sollte gehört werden. Das besondere Augenmerk auf einen „singenden“ oder „vorgetragenen“ Ton war eines der Markenzeichen ihres Spiels sowie das ihrer Schülerinnen und Schüler. Eduard Hanslick bemerkt das wie viele andere Kritiker ihrer Zeit und schreibt über ihren Vortrag folgende Rezension: „Clara Schumann würde nicht nur die größte Pianistin, die müsste der erste Pianist heißen, wäre nicht das Maß ihrer physischen Kraft durch das Geschlecht beschränkt. Die hinreißende Macht eines Klavierspielers liegt vor Allem im Anschlag. Nur wer den ganzen vollen Ton aus dem Instrumente zieht, der wird den ganzen, vollen Eindruck machen; sei es im Sturm des Allegros oder im langgezogenen Anfang des Adagios. Jede persönliche Kunstleistung wird, als ein Doppelresultat von Geist und Körper, den Bedingungen des letzteren ebenso wie des ersteren folgen, und man braucht noch kein Karl Vogt der Musik, sondern nur ein aufmerksamer Beobachter zu sein, um die unmittelbar packende Gewalt eines Pianisten mehr in seinen Handmuskeln als in seiner Seelengröße zu suchen.“ 98 Das ist ein Charakteristikum, das auch mit dem Prinzip „Gesang als Grundlage für ausdrucksvolles Spiel“ mit der Lehrmethode Friedrich Wiecks korrespondiert. Ein Brief an Theodor Avè-Lallement unterstreicht zum einen Clara Schumanns persönlichen Schwerpunkt auf die Tonqualität und zeigt auch, wie schwer es war, von ihr aufgenommen zu werden. Sie schreibt darin, sie nehme “prinzipiell keine Schülerin des Stuttgarter Conservatoriums an”, weil sie “[…] den Anschlag dort nicht billigen und mit endloser Mühe doch nie mehr herausbringen [...] [könne]. Sie stapeln [sic] Alle wie mit Storchbeinen auf

98 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, S. 103.

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dem Clavier herum, und das Schrecklichste bei der Sache ist, daß sie ihre Gesundheit bei dieser Art zu üben zusetzen, die Meisten werden ganz nervös, und bekommen Schwäche in den Fingern, oder greifen ihre Brust an. Es kann nicht anders sein. Wenn ich nur ‘mal ein paar Augenblicke diesen Anschlag versuche, bekomme ich schon die heftigsten Schmerzen in den Armmuskeln. Ich habe mehrere Schülerinnen von dort gehabt, und es verschworen nie wieder Eine anzunehmen.”99 3.) Tempo und Agogik Clara Schumann lehnte übertriebene Tempi, welche nur auf die Vorführung von technischen Fingerfertigkeiten abzielten, mit der Argumentation ab, dass dadurch ein oberflächliches Virtuosentum gefördert würde. Für sie war es wichtig die Tempi von der formellen Gestalt und der Komposition abhängig zu machen. Das Publikum sollte mitgeführt werden nach dem Grundsatz, dass die Künstlerin oder der Künstler vermitteln müsse und nie zerstückeln bzw. zusammenfassen und nicht zerreißen dürfte. Bei der Wahl der Tempi duldete sie nur wenig Freiheit, nämlich nur dort, wo die Komposition es vorsah. 4.) Dynamik des Spiels Die Forschung von Claudia de Vries hat ergeben, indem sie eine große Zahl Rezensionen auf Clara Schumanns Auftritte auswertete, dass sie über einen großen und kräftigen Forteklang verfügte, der sich von anderen Pianistinnen und Pianisten ihrer Zeit unterschied. De Vries folgert dadurch, dass ihr Anschlag im Forte die Flexibilität und Weichheit behielt und somit ihr Fortespiel weicher oder leiser klang. Ein wesentlich bedeutenderes Stilmittel schien für Clara Schumann die Variation der Lautstärke gewesen zu sein. Mehreren Schülerinnen und Schülern soll sie gesagt haben, dass das reinste Pianissimo auch die letzte Reihe und den höchsten Balkon in den größten Konzertsälen erreichen müsse. Dabei verwendete sie die differenzierte Dynamik, um einzelne Phrasen zu akzentuieren und die Formgestalt in dessen Gesamtheit zu organisieren.

99 Brief von C. Schumann an T. Avè-Lallement vom 7. Juni 1872, zitiert nach: Litzmann: Clara Schumann, Band 3, S. 276 ff.

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5.) Phrasierung und Artikulation Bei Phrasierung und Artikulation zeigte sich Clara Schumanns Werktreue als dominanteste Einflussgröße. Ihrer Tochter Eugenie gegenüber tätigte sie den Ausspruch: “Meinst du, Beethoven hätte sich Mühe gegeben, all diese Bezeichnungen, die Bogen hier, die Punkte dort, hier halbe Noten, dort Viertel, niederzuschreiben, wenn er es hätte anders haben wollen?“100 Clara Schumann erarbeitete mit ihren Schülerinnen und Schülern teils sehr genaue Analysen der Stücke um schließlich diese mittels Interpretation darstellen zu können. Eugenie Schumann hielt weiter auch fest, dass ihre Mutter nebst Schattierungen und Phrasierungen auch forderte: „Schönes Anschwellen und das schwere Abnehmen, energische Akzente ohne Härte, Steigerung bis zum Höhepunkt und tausende Feinheiten, die ich wohl verstand, deren Ausführung aber ein langes Studium erforderte.“101 Janina Klassen formulierte Schumanns Stil wie folgt: „[…] deutlich und ‚sprechend‘ zu phrasieren und wie ‚atmend‘ Bögen zu artikulieren.“102 5.) Umfang des Repertoires Den umfassenden Recherchen von Annkatrin Babbe zufolge ist das dokumentierte Repertoire, das Clara Schumanns Schülerinnen und Schüler beherrschen mussten, umfangreich, von der Literatur der „Klassik“ dominiert und bestand zudem aus sämtlichen Klavierwerken und Liedern von Robert Schumann. Aber auch Werke von ihren Zeitgenossen wurden im Unterricht gespielt. Namentlich genannt werden J.S. Bach, Beethoven, Mozart, Schubert, Haydn, Scarlatti, Mendelssohn, Chopin, Liszt aber auch Saint-Saëns, von Weber und Rubinstein. Den Löwenanteil des Unterrichts steuerten aber die Werke von Bach, Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Chopin und Robert Schumann bei.

100 Eugenie Schumann: Claras Kinder - Eugenie Schumann, Köln, 1995., S.125. 101 Schumann, S. 125 ff. 102 Klassen: Clara Schumann, S. 472.

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6.) Übungseinheiten Korrelierend mit den Unterrichtsmethoden ihres Vaters forderte auch Clara Schumann ihre Schülerinnen und Schüler auf nicht länger als vier Stunden am Tag zu üben und sich an der frischen Luft zu bewegen. Dennoch waren ihre Anforderungen für viele ihrer Schützlinge so hoch, dass sie dieses Pensum überschreiten mussten. 7.) Training des Gedächtnisses Clara Schumann war eine Verfechterin des auswendigen Vortragens. Sie selbst trug Solowerke auf der Bühne ausschließlich ohne Noten vor, auch wenn sie mit zunehmendem Alter die Befürchtung hegte, auf der Bühne den Notentext zu verlieren. Von ihren Schülerinnen und Schülern forderte sie diese Praxis nicht explizit ein, aber ermutigte dazu.

Ihre Schülerin Fanny Davies fasste die Klavierpädagogik von Clara Schumann mit den Worten zusammen: „Wir mußten zunächst den Ton nach seiner Klangstärke und Klangfarbe erfassen lernen. Durch dieses sorgsame Hören wurden in uns die Elemente der Selbstkritik großgezogen, und wir konnten uns fragen: Tun wir auch wirklich das, was wir zu tun glauben? Spielen wir wirklich, was der Komponist von uns verlangt, das wir spielen sollen? Das sind sehr wichtige Fragen, auf deren Beantwortung sehr viel ankommt. So brachte sie allmählich ihre Schüler dahin, eine vollkommene Neuschöpfung des Musikwerkes zu vollbringen, alle Einzelheiten seiner innerlichen Wärme, seines künstlerischen Gehaltes herauszubringen. Schöne Einzelheiten, von deren Wirkung wir uns viel versprachen, mußten wir aufgeben mit Rücksicht auf den Gesamteindruck des Stückes. Harmonie, Treue und Einfachheit, das waren ihre Leitworte, die allein den Eintritt durch die Pforten der Kunst eröffneten.“103 Zusammenfassend werden darin die Hauptschwerpunkte angesprochen: Notentreue, akribisches Erarbeiten des Stoffes und die Vermittlung des Gesamtausdrucks des Werkes.

103Musikalisches Wochenblatt, 1. September 1910, S. 226.

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Über den Unterricht hinausgehend gilt es anzumerken, dass Clara Schumann für ihre Schülerinnen und Schüler mehr war als nur eine Lehrerin. Sie organisierte beispielsweise Sammlungen für arme Schülerinnen, um den talentvollen jungen Leuten ein Studium zu ermöglichen. Viele ihrer Absolventinnen und Absolventen unterstützte sie, indem sie Empfehlungsschreiben versandte, Kontakte zu Veranstaltern einfädelte oder sie anderen Persönlichkeiten des Konzertlebens vorstellte. Außerdem bemühte sie sich auch um Privatanstellungen sowie Unterkünfte.104 Ein weiterer Grund, warum ihre Unterrichtstradition so nachhaltig war, ist der, dass Clara Schumann nicht nur ihre Töchter, sondern auch Schülerinnen und Schüler als Hilfslehrerinnen einstellte. Nachdem Clara Schumann aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nicht mehr unterrichten konnte, pflegten diese ihre Traditionen am Hoch’schen Konservatorium fort, wie Bernhard Scholz im Jahresbericht des Konservatoriums 1891/92 festhält: „Muss nun das Conservatorium auf die fernere Mitarbeit der herrlichen Künstlerin verzichten, so wird es doch die Tradition ihrer Schule hoch halten und sorgsam weiter pflegen. Erleichtert wird diese schwierige Aufgabe dadurch, dass mehrere von Frau Schumann’s früheren Zöglingen, Frau Basserman [geb.Rotschild] und Herr Uzielli, seit Jahren als bewährte Kräfte unserem Lehrercollegium angehören.”105

104 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125. S. 72 ff. 105 Hoch’sche Conservatorium (Hrsg.): Jahresbericht 1891/1892, zitiert nach: Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125. S. 72 ff.

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Abbildung 7 zeigt das Pastell von Franz von Lembach, welches Clara Schumann im Jahr 1878/1879 abbildet. Mit 71 Jahren gab Clara Schumann ihr letztes

Abbildung 7: Clara Schumann im Jahr 1878/1879 106

öffentliches Konzert. Sie verstarb am 20.Mai 1896 in Frankfurt am Main infolge eines Schlaganfalls. Gemäß ihrem Wunsch wurde sie in Bonn an der Seite ihres Mannes beigesetzt. In die Kulturgeschichte ging sie als bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts ein.

106 Clara Schumann 1878/1879, Pastell von Franz von Lenbach, Quelle: https://androom.home.xs4all.nl/biography/a002056.htm, Zugriff am 22.11.2016.

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3.2 Theodor Leschetizky Theodor Leschetizky (siehe Abbildung 8), in anderen Transliterationen auch unter Teodor Leszetycki oder Leschetitzky zu finden, gilt als einer der einflussreichsten Klavierpädagogen aller Zeiten und als Wegbereiter für Annette Essipoff. In den Kreis seiner Absolventen reihen sich Ignaz Jan Paderewski, Artur Schnabel, Elly Ney, Mieczyslaw Horszowski, Ossip Gabrilowitsch, Paul Wittgenstein und viele andere Berühmtheiten. Er war hochgeschätzter Kollege

Abbildung 8: Theodor Leschetizky 107 von Zeitgenossen wie oder Camille Saint Saëns und gründete unter anderem gemeinsam mit Anton Rubinstein 1862 das Konservatorium in St. Petersburg.108 Im folgenden Kapitel wird sein Werdegang skizziert und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er keine Aufzeichnungen hinterlassen hat und mehrmals behauptete keine ‚Methode‘ als solche zu verfolgen, seine Pädagogik beleuchtet.

107 Allgemeine Musikzeitung: Theodor Leschetizky – Zum achtzigsten Geburtstage, Nr. 25, 17. Juni 1910, S.600-603, S. 603. 108 Muth Burkhard: Theodor Leschetizky – der bedeutendste Klavierlehrer, den die Welt je gesehen hat?, in: Ludwig Striegel (Hrsg.): PianoPädagogik, Band 3, Fernwald, 2003, S. 8-115, S.12 ff.

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Um seine Biographie und sein Wirken in den Kontext der Zeit zu setzen, werden zuvor die Rahmenbedingungen in Russland skizziert.

3.2.1 Klavierkunst im Russland des 19. Jahrhunderts Zu Beginn des 19. Jahrhunderts herrschte eine lethargische Stimmung in den Adelshöfen in Russland gegenüber der Kunst der Musikinterpretation. Musiker fanden Anerkennung und Popularität meist nur im Ausland und wirkten daher auch vermehrt dort. Langsam begannen aber klavierspielende Amateure zu konzertieren. Die Kunst des Klavierspielens war nur für die aristokratische Schicht zugänglich. Als Anregung zum öffentlichen Auftritt dienten anfangs Benefizkonzerte. In diesem eher amateurhaften Kreis erschienen begabte Pianisten, die von Lehrenden mehr oder weniger methodisch unterrichtet wurden. Dank solcher Auftritte wurde auch langsam der Geschmack des Publikums erzogen. Die aristokratische Gesellschaft hatte aber grundsätzlich kein großes Interesse für die Entwicklung der russischen Musikkultur, wie die Berichte einiger zeitgenössischer Zeitungsartikel vermuten lassen. So wurden beispielsweise häufig bei Konzerten ganze Sätze eines Werkes ausgelassen aus Angst, das Publikum zu langweilen oder weil vielfach das Werk gar nicht bis zum Ende angehört wurde. Das Publikum stand während der Aufführung auf und verließ den Saal. Entsprechend der aristokratischen Traditionen wurden die Namen der Amateurkünstler in den Zeitungen entweder gar nicht erwähnt oder es wurden nur die ersten Buchstaben des Namens gedruckt. Eine weitere Gruppe der professionellen Pianisten trat in Salons109- und Musikgesellschaften auf. Die berühmteste und bedeutendste Figur dieses musikalischen Kreises war John Field.110 Die Schule von Field bewahrte noch lange ihre Traditionen, die von seinen Schülern über die Generationen vererbt wurden. Zugleich widerstanden die Field-Traditionen dem Druck des reifen virtuosen Romantismus. Eine weiche artikulierte Fingertechnik, ein singender Klang, eine dezente sinnvolle

109 Zu den bedeutendsten Mäzenen in St. Petersburg und Moskau zählte Fürst Michail Wiljegorskij. Zu Gast in dem von ihm gegründeten Musiksalon waren unter anderem Clara und Robert Schumann, Liszt, Berlioz, Wienjawskij, Brüder Rubinstein (vgl. Jelena Palii: Типы и виды салонов в России XVIII-XIX вв. = Salonarten in Russland im 18./19. Jahrhundert, International Research Journal, Nr. 5, 2012, S. 11-14, S. 11 ff.) 110 Komponist, Pianist und Klavierpädagoge aus Irland.

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Pedalisierung und ein Verständnis der künstlerischen Interpretationsaufgaben sind die wichtigsten Eigenschaften der pianistischen Field-Schule laut einer Charakterisierung von Zeitgenossen.111 Erwähnenswert sind aber auch andere talentierte Klavierpädagogen, die in St. Petersburg und Moskau Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts tätig waren und einen großen Einfluss auf die Entwicklung der "russischen Schule" hatten, wie zum Beispiel: Adolph Henselt112 (1814-1889), Anton Gerke (1812-1870), Alexander Villuan(1804-1878), Alexander Dubuque(1812-1897) und natürlich Anton und Nikolai Rubinstein.113 Wladimir Muzalewskij erwähnt bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts drei russische Pianistinnen-Wunderkinder Maria Prussakova, Svetlana Ivanova und Julia Grinberg. Julia Grinberg machte eine sehr erfolgreiche pianistische Karriere nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland. In Deutschland wurde sie beispielsweise die “russische Clara Wieck” genannt.114 Der Ruf und die Popularität Clara Schumanns waren in Russland so groß, dass ihre Persönlichkeit als Vorbild für viele begabte Pianistinnen galt. Auch Kritiker damaliger Zeit verglichen das Spiel so mancher Pianistin mit dem Spiel von Clara. So stand in der Zeitung “Peterburgskie Vedomosti” zu lesen: “M. V. Prussakova […] möchte eine Petersburgische Clara Schumann werden. Frau Schumann ist 25 Jahre alt, so kann Frau Prussakova noch zehn Jahre studieren; aber wir sind davon überzeugt, dass sie schon früher ihr Ziel erreicht. Und bis dort kann man sehr zufrieden mit der Schülerin sein, die mit einer seltenen Behändigkeit Kraft und Präzession spielt, was nur für Männer bezeichnend ist[...].“115

111 vgl Wladimir Muzalewskij: Русское фортепьянное искусство - -XVIII первая половина XIX века = Die russische Klavierkunst vom 18. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Staatlicher Musikverlag, Leningrad, 1961, S. 277ff. 112 Dessen Werke von Clara Schumann gerne vorgetragen wurden, siehe Seite 31. 113 Vgl. Andrej Nikolajew: Очерки по истории фортепианной педагогики и теории пианизма = Abriss über die Geschichte der Klavierpädagogik und der Theorie der Klavierlehre, Moskau, 1980, S. 27ff. 114 vgl. Muzalewskij: Die russische Klavierkunst, S. 282ff. 115 Zeitschrift “Peterburgskie Vedomosti“, No. 59, 1844 zitiert nach: Muzalewskij: Die russische Klavierkunst, S.282, eigene Übersetzung. Originalzitat:“ М. В. Пруссакова […] хотела бы сделаться петербургскою Шуман. Г-же Шуман 25 лет, так г-жа Пруссакова может еще учиться десять лет; но мы уверены, что она прежде этого достигнет своей цели. А покуда

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Konzertierende Kinder wurden sehr oft unter dem Namen ihres Lehrers beworben und gleichzeitig auch häufig ausgebeutet. Mit der fortschreitenden Entwicklung des Kapitalismus wurden Konzerte mit der Teilnahme begabter Kinder zu einem Geschäftsmodell entwickelt. Sehr oft waren die Eltern selbst die Ausbeuter und verfolgten das Ziel aus dem Ruhm der eigenen Kinder Profit zu schlagen. Zu Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts greift die Entwicklung des künstlerischen Geschmacks bei russischen Pianistinnen und Pianisten um sich. Die Auswahl des aufgeführten Repertoires inkludiert immer mehr Werke von Beethoven, Liszt, Mendelssohn, Schubert und anderer Komponisten der klassischen und romantischen Zeit. Die Leibeigenschaft bremste in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Kulturentwicklung in Russland jedoch wesentlich. Da das schwere Leben für Knechte und Landleute auch nach Aufheben der Leibeigenschaft im Jahr 1861 weiterbestand, verzögerte sich auch die Entwicklung der Pianistinnen auf der Konzertbühne und als Klavierpädagoginnen.116 In den Rezensionen der 1850er Jahre wurden immer höhere Qualitätsforderungen an die künstlerische Interpretation gestellt. Kritiker verlangten von den Pianistinnen und Pianisten klare musikalische Ideen, Inhaltsbilder und persönlichen Ausdruck. Unter anderem spielte diese Unzufriedenheit eine große Rolle in der Entwicklung der russischen Klavierschulen. Deswegen kamen in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch inhaltliche Interpretation sowie Inspiration und Bildhaftigkeit beim Spiel eines Werkes mehr Bedeutung zu. Zu dieser Zeit begann auch das musikalische Wirken von Theodor Leschetizky und es erfolgte die Gründung des Petersburger Konservatoriums 1862 gemeinsam mit Anton Rubinstein. 117 Muzalewskij nennt bedeutende und einflussreiche Pianistinnen in Russland, welche diesem neuen und moderneren Geschmack des Publikums entsprachen, nämlich Marfa Sabinina und Vera Timanova. Marfa Sabinina, auch Martha von Sabinin genannt, war Schülerin von Clara Schumann und Franz Liszt und war

можно быть очень довольным ученицей , которая играет с редким проворством, обладает силою, точностью исполнения, свойственной только мужчинам [...]“ 116 vgl. Muzalewskij: Die russische Klavierkunst, S. 284 ff. 117 vgl. Muzalewskij, S. 288ff.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 58 eine Leitfigur und Wegbereiterin konzertierender Frauen in Russland. Sie trat in St. Petersburg, Weimar, Jena und Wien auf und verfügte über ein großes Repertoire, das sie bei ihren häufigen Konzerten abwechselte. Ein weiteres Attribut, das die Verbindung zwischen russischer und europäischer Spielkultur festigte. Sabinina und später Timanova gehörten zudem noch zu den Lieblingsschülerinnen von Franz Liszt, was diese Verbindung noch unterstreicht.118 Eine weitere Schülerin von Franz Liszt, Ingeborg Marie Wilhelmine Bronsart von Schellendorf geb. Starck, erwähnt Muzalewskij als tiefgründige Musikerin und hervorragende Pianistin. Die Merkmale ihres Spiels wurden mit den Eigenschaften technischer Perfektion in der Kombination mit der tiefen Empfindung des musikalischen Stiles beschrieben. Ein weiteres, wichtiges Merkmal ihrer Auftritte war, dass sie nach Vorbild ihres Lehrers Solorecitals auswendig vortrug und somit auch bei der Verbreitung dieser Tradition in Russland als Pionierin mitwirkte.119 Wie aus den vorangegangenen Kapiteln hervorgeht, ist die Entwicklung der Klavierschulen in Europa und Russland eng miteinander verflochten. Auch Leschetizky arbeitete und lebte in Wien, übersiedelte später nach St. Petersburg und wirkte eine wesentliche Schaffensperiode lang dort. Ein weiterer Umstand, der die Betrachtung der Entwicklung von Russland und Europa sowie die Schulen von Clara Schumann und Theodor Leschetizky rechtfertigt.

3.2.2 Werdegang und Kurzbiographie Theodor Leschetizky wurde am 22. Juni 1830 im damaligen Österreichischen Kaiserreich (heute Polen) geboren, auf dem Schloss Lancut in der Nähe von Lemberg (heute Ukraine). Sein Vater war Musiklehrer der Familie Potocka, weswegen Theodor seine Kindheit in einem unbeschwerten und luxuriösen Umfeld auf dem Schloss verbrachte. Im Alter von fünf Jahren begann er mit dem Klavierspiel unter der Ausbildung seines Vaters und debütierte mit neun Jahren in Lemberg mit einem Concertino von Czerny. Durch die Stellung seines Vaters

118 vgl. Muzalewskij: Die russische Klavierkunst, S. 292ff. 119 vgl. Muzalewskij, S. 294ff.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 59 bei Familie Potocka hatte der junge Theodor die Möglichkeit, bei Salonkonzerten im Schloss viele berühmte, virtuose Zeitgenossen zu hören, darunter Liszt, Thalberg, Döhler, Kullak und Hiller. Das bedeutete eine wesentliche Prägung für das junge Talent. Auch wurde er später mit Chopin bekannt und mit dessen Schüler Filtsch, mit dem ihn eine enge Freundschaft verbinden sollte. Schnell wurde er als Wunderkind berühmt. Im Alter von zehn Jahren ging sein Vater in Pension und er zog mit seiner Familie nach Wien, wo der junge Theodor Klavier bei dem sehr angesehenen Pianisten und Komponisten Carl Czerny lernte, welcher zuvor Schüler von Beethoven war.120 Carl Czerny hat seines Zeichens einen großen Beitrag geleistet zur Entwicklung der Klavierspieltechnik. Seine Etüden entwickelten erfolgreich die Geläufigkeit der Finger sowie Freiheit und Elastizität in der Handgelenksbewegung. Seine Fingersatzprinzipien basieren auf der maximalen Verwendung des ersten, zweiten und dann dritten Fingers, was ermöglichte einen vollen Klang auf dem Klavier zu erzeugen.121 Czerny war im Leben von Theodor Leschetizky eine zentrale Figur und ein lebenslanges Vorbild. Im Alter von vierzehn Jahren begann Leschetizky bereits selbst zu unterrichten. Nach Jahren emsigen Arbeitens ging er 1852 zurück nach Russland. Sein Debüt am Michaelstheater in St. Petersburg und wohl auch sein Ruf als ehemaliges Wunderkind brachten ihm die ersten Schüler ein und er konzertierte wenig später am Hof von Nikolaus I. Zu seinem Freundeskreis in Russland zählte auch Anton Rubinstein. Zu jener Zeit war dieser Konzertmeister am Hof der Großherzogin Helene, der Schwester von Nikolaus I, und Leschetizky hatte die Möglichkeit Rubinstein zu vertreten, wenn dieser verhindert war. Dem Wohlwollen Helenes gegenüber qualitativ hochwertig vorgetragener, klassischer Musik ist es geschuldet, dass diese die Kaiserlich-Russische Musikgesellschaft gründete, aus der 1862 das St. Petersburger Konservatorium hervorging, zu dessen Gründungsmitgliedern Leschetitzky und Rubinstein gehören. Unter diesen Rahmenbedingungen und im Soge des einflussreichen Freundes- und

120 Vgl Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S. 12 ff. 121 Vgl. Nikolajew: Abriss über die Geschichte der Klavierpädagogik, S.16.

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Bekanntenkreises, in dem sich Leschetizky bewegte, wurde er als Lehrer sehr schnell populär.122 Seine steigende Popularität schlug sich wohl auch auf den Preis seiner Unterrichtsstunden nieder, denn ein Mann soll gestöhnt haben, nachdem er sich danach erkundigte: „Nun, das ist wirklich teuer – aber beinhaltet das sowohl die weißen wie auch die schwarzen Tasten?“123 Eine seiner herausragenden Schülerinnen während seiner Zeit in St. Petersburg war Annette Essipoff, die er später ehelichte.124 Er sagte über sie: „Ich hätte mein Leben geopfert, hätte ich sie damit näher an das Ziel gebracht. Sie ist ein Talent, dem man nur einmal im Leben begegnet – oh, wenn Sie nur gehört hätten, wie sie manchmal für mich spielte […]“125 1878 zog er gemeinsam mit ihr zurück nach Wien und gab seine öffentlichen Auftritte auf, um sich nur noch aufs Unterrichten konzentrieren zu können. Er führte seine Unterrichtstätigkeiten konsequent fort und erlangte beständig mehr Ruhm und Einfluss. “Beethoven war Czernys Lehrer, und dieser wiederum unterrichtete Liszt und Leschetizky […], Liszt und Leschetizky jedoch die ganze Welt.”126 hielt Schönberg über ihn fest. Am 14. November 1915 starb Theodor Leschetizky in Dresden.

3.2.3 Theodor Leschetizkys Klavierpädagogik Theodor Leschetizky hinterließ über seine Pädagogik keine Aufzeichnungen. Weiter kommt hinzu, dass ein Großteil von dem, was über seine Methode geschrieben wurde, nicht von ihm autorisiert war.127

122 Vgl. Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S.13 ff. 123 Vgl. Hullah, S.12-112, S. 24. 124 Sie war seine zweite Ehefrau und zwei weitere sollten noch folgen. Künstlerisch sind diese (außer Annette Essipoff) im Fokus dieser Arbeit irrelevant und werden nicht weiter behandelt. 125 Hullah, S.12-112, S. 34. 126 Harold Schönberg: Die großen Pianisten - Eine Geschichte des Klaviers und der berühmtesten Interpreten von den Anfängen bis zur Gegenwart, München, 1971, S. 90. 127 Deswegen werden bei der Rekonstruktion seiner Methode ausschließlich Quellen verwendet, welche er persönlich genehmigte.

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„Sie kann leicht auf einer halben Seite beschrieben werden, aber es würde Bände füllen, um davon eine Vorstellung zu bekommen,“128 entgegnete Leschetizky auf die Frage, warum er seine Pädagogik nicht in Prosa festhielt. Zu Lebzeiten behauptete er zumeist, keine Methode zu haben. Darauf angesprochen entgegnete er: „Ich habe keine technische Methode. Es gibt viele Möglichkeiten, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Ich habe diejenigen herausgefunden, die am erfolgreichsten sind, aber ich habe keine eisernen Regeln. Wie sollte das auch funktionieren, wenn man sie hätte? Ein Schüler braucht dies, der andere das; die Hände unterscheiden sich und die geistigen Voraussetzungen auch. Da kann es keine Regel geben. Ich bin eher wie ein Arzt, zu dem Schüler als Patienten kommen um ihre musikalischen Krankheiten kurieren zu lassen. […] Einen gewissen Anteil in meinem Unterricht, den man, wenn Sie so wollen, als ‚Methode‘ bezeichnen könnte, gibt es schon. Sie besteht darin, dass ich meinen Schülern die Art und Weise aufzeige, wie man sich ein Musikstück erarbeitet. Diese ist für alle gleich - für den Künstler wie für das kleine Kind.“ 129 Auch wenn er offensichtlich keine Methode anspricht, so lässt sich diese zwischen den Zeilen finden, nämlich in der individuellen Behandlung jedes einzelnen Schülers. Eines seiner großen Talente war es, Menschen zu analysieren, ihre Bedürfnisse zu entdecken und einen Weg zu finden diese zu stillen. Artur Schnabel sagte über seinen Unterricht: „Es gab keine Lehrmethode. Sein Unterricht war viel mehr als eine Lehrmethode. Es war ein Prozeß, der alle verborgenen Energien des Schülers freizusetzen suchte. Er richtete sich an die Vorstellungskraft, den Geschmack und die persönliche Verantwortung. Er lieferte kein Modell oder einen Königsweg zum Erfolg. Er gab seinen Schülern eine Aufgabe, kein Rezept.”130 Er führt weiter aus:

128 Potocka: Theodor Leschetizky, S. 277. 129 Vgl. Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S. 62. 130 Artur Schnabel: Aus dir wird nie ein Pianist, Frankfurt am Main, 1991, S. 162.

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„Was ich von Leschetizky selbst gelernt habe, bin ich nicht in der Lage zu sagen, einzuschätzen, zu beurteilen. Es gelang ihm, alles an Vitalität, Elan und Schönheitssinn, was in einem Schüler angelegt war, freizusetzen […]“131 Dadurch wird etwas plastischer, wie Leschetizkys Umgang mit seinen Schülerinnen und Schülern war. Eines seiner Leitmotive, welches er häufig bei Schülerinnen und Schülern im Unterricht verwendete, war: “Keine Kunst ohne Leben, kein Leben ohne Kunst.“132 Diese Aussage korreliert mit der Schnabels, indem erkennbar ist, wie Leschetizky versuchte den Sinn für Kunst, Transzendenz der Kompositionen, aber genauso für deren Interpretation zu schärfen. Seiner Ansicht nach waren alle Künste ähnlich und der Pianist bzw. die Pianistin hätten große Ähnlichkeit mit einem Schauspieler. Bewegungen des Schauspielers entsprechen Tempi und Rhythmus, Ausdruck des Gesichts der Interpretation. Leschetizky formulierte dies mit den Worten: „Ein Schauspieler, der seine Interpretation nicht vollkommen ausdrücken konnte war schlecht genauso wie ein Pianist, der nicht dramatisch sein konnte.“133 Annette Hullah hält fest, dass seine Schule durch die Hauptmerkmale Deutlichkeit, prägnante Rhythmik, unhörbarer Pedaleinsatz sowie Brillanz in Staccato-Passagen gekennzeichnet war.134 Seine Methode bestand nicht darin manuelle Fertigkeiten einzustudieren oder Kniffe zu erlernen, sondern das Lernen an sich zu lernen, die Kunst Klaviermusik einzustudieren. Das Studium der Klaviermusik ist der Hauptzweck seines Unterrichts. An zweiter Stelle lag die Wirkung des Instruments auf das Publikum, die mit dem Instrument erreicht werden kann. Wie der Schauspieler das Publikum berührt, so musste auch der Pianist, die Pianistin auf der Bühne eine Wirkung

131 Schnabel: Aus dir wird nie ein Pianist, S.40. 132 Muth: Theodor Leschetizky, S. 8-115, S.12. 133 Vgl. Newcomb: Leschetizky As I Knew Him, S. 173, Eigene Übersetzung, Originalzitat: „An actor who could not be intense in his interpretations was a poor actor, and so was a pianist a poor one who could not be dramatic.“ 134 Vgl. Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S. 61.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 63 hervorrufen können. Die Fingerfertigkeit war nur ein Mittel zum Zweck, um diese Ziele zu erreichen.135 Korrelierend zu dieser Priorisierung kann seine Vorgehensweise in drei Gliederungsstufen systematisiert werden, welche Schülerinnen und Schüler durchschreiten mussten. Der Meister selbst widmete sich vor allem der letzten Stufe, der künstlerischen Arbeit. Um den Erwerb der Technik sowie des künstlerischen Ausdrucks kümmerten sich vornehmlich seine Assistentinnen und Assistenten. 1. Stufe: Technik Technik und Fingerfertigkeit wurden als Mittel zum Zweck angesehen und mussten zeitlich vor allem anderen beherrscht werden. Dabei bedeutete Technik für Leschetizky, dass jeder Körperteil unabhängig von den anderen vollkommen beherrscht werden und in der Lage sein musste, jede Bewegung ausführen zu können. Es sollte möglich sein, einen Teil gespannt zu halten, während der andere entspannt war, einen Teil zu bewegen und den anderen in Ruhe zu halten. Besonderes Augenmerk galt einigen wenigen Punkten: Entwicklung von Kraft und Sensibilität in den Fingerspitzen, klare Unterscheidung zwischen den verschiedenen Anschlagsarten sowie makellose Verwendung des Pedals. 136 Die Technik wurde dabei von Leschetizkys Assistentinnen und Assistenten in einer Vorklasse beigebracht, bevor dieser selbst mit seiner Pädagogik zu arbeiten begann. Diese lehrten die technischen Fertigkeiten in seinem Sinne und nach seinen Anweisungen wie aus der Widmung von Leschetizky im Vorwort des Buches von Malwine Bree, einer seiner Assistentinnen, hervorgeht: „Wie Sie wissen, bin ich im Prinzip kein Freund theoretischer Klavierschulen; Ihre vortreffliche Arbeit jedoch, welche ich sorgfältig durchgesehen habe, entspricht in so elementarer Weise meinen persönlichen Anschauungen, dass ich alles, was Sie in Ihrem Buch anführen, Wort für Wort unterschreibe.“137

135 Vgl. Hullah: Theodor Leschetizky, S. 63 ff. – Vgl. Reginald Gerig: Famous Pianists and their Technique, Indiana, 2007, S. 271ff. 136 Vgl. Hullah, S. 64ff. 137 Bree: Die Grundlage der Methode Leschetizky, Vorwort.

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Über seine Technik haben Malwine Bree, Marie Prentner138 und Marie Unschuld von Melasfeld detaillierte Arbeiten veröffentlicht. Marie Prentner sowie Malwine Bree waren als Assistentinnen von Leschetizky tätig und Marie Unschuld von Melasfeld studierte bei ihm. Alle drei Arbeiten wurden noch zu Lebzeiten Leschetitzkys erstveröffentlicht sowie von ihm inhaltlich geprüft und zur Veröffentlichung genehmigt. Obwohl die Bücher in Umfang und Schwerpunktsetzung differieren, unterscheiden sie sich bei der Beschreibung der Technik nicht voneinander. Die wesentlichen Grundzüge bestehen darin, dass die verkrampfte Handhaltung mit steilen Fingern wie in Abbildung 9 dargestellt, abgelöst wird139 und natürliche, geschmeidige Handhaltung und runde Bewegungen aus dem ganzen Arm ausgeführt werden.140

Abbildung 9: Falsche Handhaltung durch zu steile und starre Finger141

Die Technik Leschetizky forderte eine natürliche Haltung sowie lockeres und tiefsitzendes Handgelenk mit sicherem, stabilen Griff, wie in Abbildung 10 gezeigt, und den Einsatz des ganzen Armes um den Ton zu erzeugen. Die Natürlichkeit seiner Bewegung beschrieb er einem Studierenden mit dem Satz:

138 Prentner Marie: Leschetizky’s Fundamental Principles of Piano Technique; New York, 2005. 139 Diese Handhaltung wurde vom Spiel am Cembalo übernommen und wurde lediglich adaptiert. Auch Clara Schumann beschwert sich über diese Spielweise wie bereits angeführt „Sie stapeln [sic] Alle wie mit Storchbeinen auf dem Clavier herum.“(siehe Seite 34) 140 Vgl. Gerig: Famous Pianists and their Technique, S. 281 ff. 141 Marie Unschuld von Melasfeld: Die Hand des Pianisten, Leipzig, 1903, S. 3.

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„Wenn du eine Tonleiter spielen willst, lege deine Hand genauso selbstverständlich auf die Tastatur als ob du einen Brief schreiben oder eine Brise Schnupftabak nehmen willst.“142

Abbildung 10: Haltung der linken und rechten Hand beim Spiel143

Die Intensität der gesamten Bewegung und deren Wichtigkeit unterstrich er wie folgt: „Ein Zuschauer sollte aus der Handhaltung erkennen können, welchen Akkord du spielst, bevor du ihn spielst, denn jeder Akkord hat seine eigene Physiognomie.“144 Zusammenfassend kann seine Technik beschrieben werden mit den Attributen: ziemlich tiefsitzendes und geschmeidiges Handgelenk, hochgestellte Fingergelenke, runde Finger mit stabilem Griff, lockerer Daumen und akkurate,

142 Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S.83. 143 Bree: Die Grundlage der Methode Leschetizky, S. 5. 144 Hullah, S.12-112., S.84.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 66 rechtzeitige Vorbereitung jedes einzelnen Tons, jeder einzelnen Oktave, jedes einzelnen Akkords.145

2. Stufe: Künstlerischer Umgang mit dem Instrument Um den künstlerischen Umgang mit dem Instrument zu lehren, führte er für jede Spielart ein plakatives Beispiel an, beginnend mit einem einfacheren Stück, um zu zeigen, wie man eine Melodie spielt und begleitet, wie zum Beispiel „Lieder ohne Worte“ von Mendelssohn. Darauf folgten weitere Stücke um Staccato- und Legatospiel zu demonstrieren sowie zahlreiche Spielarten rhythmischer Gestaltung oder auch der Pedalwirkung. Für jedes technische Element wurde mindestens ein plakatives Literaturbeispiel gelehrt, das die Schülerin bzw. der Schüler quasi als Bibliothek im Kopf ablegen konnte. Dabei ging er akribisch vor und lehrte gleichzeitig den Stoff selbst zu erarbeiten. Takt für Takt, Phrase für Phrase wurde untersucht und analysiert, bis alles verständlich und gespeichert war. Dabei legte er auch fest, wie diese zu spielen seien: Fingersatz, Anschlag, Pedaleinsatz usw.146 Anschließend wurden die einzelnen Teile wieder zusammengefügt und zu einem Ganzen kombiniert. Jedes Stück wurde so bis ins Detail erarbeitet, um es dann adäquat vor Publikum spielen zu können. Dabei wurden Takt für Takt und Punkt für Punkt ins Gedächtnis gebracht. Er argumentierte diese Vorgehensweise wie folgt: “Wir können uns nicht allein auf das Tastgedächtnis verlassen, so gut wir es auch entwickelt haben. Zu seiner Unterstützung brauchen wir ein weiteres System, wenn wir angstfrei konzertieren wollen. Dieses System fußt auf dem ´bewußten Gedächtnis´.”147

3. Stufe: Künstlerische Arbeit Beim Erlernen der Werke mutete er den Schülerinnen und Schülern nie oder kaum mehr zu als diese zu begreifen in der Lage waren, um das Verstehen zu

145 Potocka: Theodor Leschetizky, S.27-287, S.277. 146 Vgl. Hullah: Theodor Leschetizky, S.12- 112, S. 65ff. 147 Muth: Theodor Leschetizky, S. 8-115, S.24.

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 67 fördern und nicht das Nachahmen. Dabei studierten diese zumeist mehrere Kompositionen zugleich ein, da Leschetizky der Meinung war, dass durch das Fließen des Geistes in mehrere Kanäle gleichzeitig dieser lebendiger und frischer bliebe. Eine abwechslungsreichere Tätigkeit versprach ihm eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass die Kräfte in eine Richtung nicht so rasch erlahmen und so die Ausdauer insgesamt gesteigert würde. Diese Mosaikarbeit war sehr anstrengend, aber selbst am Höhepunkt seiner Karriere übte er nie mehr als drei Stunden am Tag und verlangte auch von seinen Schülern vier bis maximal fünf Stunden. Reiche das nicht aus, galt die Pianistin oder der Pianist als ungeeignet, da Überarbeitung seiner Meinung nach zur Verlangsamung des Verstehens und Erarbeitens führte.148 Konzentration der Gedanken war wichtigstes Prinzip und Grundlage seiner Methode. Seinen Schülerinnen und Schülern schärfte er das mit den Worten ein: „Entscheide dich, was du eigentlich als Erstes erreichen willst, daraufhin wie du es erreichst. Dann spiele es. Halte ein und denke darüber nach, ob du es so spielst, wie du vorhattest. Gehe erst zum nächsten Abschnitt über, wenn das sicher ist. Merke dir: Ohne Konzentration kannst du nichts zustande bringen. Denn der Kopf muss die Finger steuern und nicht die Finger den Kopf.“149 Korrespondierend zu seinem Zitat im Eingang des Kapitels, wonach seine Methode leicht auf einer halben Seite Platz habe, hält Leschetizky zusammenfassend seine wichtigsten Merkmale wie folgt fest:  „Absolut klares Verständnis der für das Einstudieren von Musik zentralen Gesichtspunkte  Klare Vorstellung, worin die Schwierigkeiten liegen und  Wie sie zu bewältigen sind  Geistige Bewältigung der drei vorstehenden Punkte vor der Arbeit am Instrument.“150

148 Vgl. Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S65 ff. 149 Hullah: S.12-112, S.69. 150 Muth: Theodor Leschetizky, S. 8-115, S. 194.

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Der Unterricht Wie bereits eingangs erwähnt, war der Unterricht von Leschetizky davon gekennzeichnet, dass er sich auf jede Schülerin und jeden Schüler persönlich einstellte und auf Schwächen, Stärken und Charakteristika einging. Dabei forderte er nicht stundenlang verkrampft zu üben, sondern auch zu pausieren um das Werk verinnerlichen und das eigene Spiel reflektieren zu können. In seiner metaphorischen Ausdrucksweise fasste er dies zusammen mit den Worten: „Viele in der Arbeit wenig erfahrene Schüler üben sehr lang am Klavier in der Hoffnung das höchste Resultat zu erreichen und machen dabei aber keine Pausen. Kein Mahler arbeitet so. Haben Sie jemals gesehen, daß ein Mahler bei der Arbeit an einem Gemälde ununterbrochen mit dem Pinsel schmiert? Sobald er einen Strich gemacht hat, geht er vom Gemälde weg und schaut auf dem Abstand, was ihm gelungen ist. Erst nach einer Pause in der Arbeit, während er sein Ergebnis kritisiert, setzt er seine Arbeit weiter fort. So sollt auch ihr arbeiten. Spielt bitte nie ununterbrochen. Nachdem ihr einen Abschnitt gespielt habt und dabei voll aufmerksam eurem Spiel zugehört habt, macht eine kleine Pause und erinnert während der daran, wie ihr diesen Abschnitt gespielt habt und kritisiert das Ergebnis […].“151 Angèle Potocka vermutet, dass die Besonderheit des Lehrstils in dem absoluten Gehorsam, der hohen Konzentration auf das gesetzte Ziel und der starken Willenskraft lag sowie in der minutiösen Beachtung von Details, der geduldigen Annahmen von Verbesserungsvorschlägen und der intensiven Widmung für jedes Kind, als wäre es das einzige in der Klasse. Assistentinnen und Assistenten bereiten den Boden mittels Vermittlung der Technik und der Meister verfeinerte und widmete in der Stunde die ganze Kraft seinem Gegenüber indem er auf die

151 Samuel Maikapar, Годы Учения = Studienjahre, Moskau, 1938, S. 171, Eigene Übersetzung. Originalzitat: „Многие малоопытные в работе ученики, не делая никаких перерывов, долгое время играют на рояле, думая таким образом добиться наибольших результатов. Между тем ни один художник-живописец так не работает. Разве вы видели, чтобы художник, рисуя картину, без перерыва мазал кистью? Сделавши мазок, он отходит от картины и издали смотрит, что у него получилось. Только после такого перерыва в работе, во время которого он критикует получившийся результат, он продолжает работу дальше. Так и вы должны работать. Не играйте безостановочно. Проиграв данный отрывок и внимательно вслушиваясь в свое исполнение, делайте небольшую паузу, во время которой вспомните, как вы его сыграли, и прокритикуйте полученный результат […]."

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Individualität der Schülerinnen und Schüler sehr sorgfältig und gleichzeitig mit höchstem Respekt einging.152 Folgende Aussage unterstreicht dies einmal mehr: „Methode habe ich keine. Sehen Sie, wenn ich zum Beispiel ein Maler wäre, würde ich bei dem Einen zuerst das Ohr, beim Anderen die Nase, beim Dritten vielleicht die Halslinien zuerst machen – als das entschieden Charakteristische. Ebenso mache ich es mit jungen Musikern. Ich packe jeden dort an, wo er mich interessiert. Das kann man doch nicht ‚Methode‘ nennen! Meine Hilfslehrer haben allerdings eine Methode für das Technische - nach meiner Anleitung - aber wer bei mir studiert, der muß über das Methodische und die trockene Arbeit hinaus sein.“153 Dieser ganzheitliche Ansatz spiegelt sich auch darin wider, dass er keine Kinder für ein paar Stunden aufnahm, sondern alle Schülerinnen und Schüler zuerst ein Vorspiel zu absolvieren hatten. Erst nach Aufnahme in die Klasse verbrachten diese zumindest zwei Jahre zuerst in seiner Schule bei seinen Assistentinnen und Assistenten und schließlich bei Leschetitzky. Er meinte dazu, dass zuerst ein Fundament gelegt werden müsse, bevor man ein Haus bauen könne. Annette Hullah beschreibt auch, dass er seine Kinder liebte wie ein Vater. Aus dieser Liebe heraus und dem resultierenden Bestreben das Beste für sie zu wollen, hielt er es für angebracht, den Kindern mehr mit Disziplin als mit Anteilnahme zu begegnen. Sein Unterricht verlangte Nervenstärke, schnelle Wahrnehmung, gutes Gedächtnis und Geistesgegenwart. Schonungslos machte er auf alle Schwächen sofort aufmerksam und zeigte ihren Horizont auf. Um schwierige Sachverhalte vermitteln zu können, erklärte er häufig in Metaphern wie zum Beispiel: „-,Für ein wirkungsvolles Accelerando musst du so gleichmäßig beschleunigen wie ein Dampfzug, der vom Bahnhof abfährt‘ - ‚Lerne ein gleichmäßiges Rallentando, indem du beobachtest, wie die Tropfen weniger werden, wenn du den Wasserhahn zudrehst‘ - ‚Ein Spieler mit einem nicht ausbalancierten Rhythmus erinnert mich an einen Betrunkenen, der nicht geradeaus gehen kann‘

152 Vgl Potocka: Theodor Leschetizky, S. 27-287, S. 278. 153 Muth: Theodor Leschetizky, S. 8-115, S.104.

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-‚Deine Finger sind wie kapriolenschlagende Pferde, feurig und zu allem bereit, die aber ohne Führer nicht wissen, wo sie hinlaufen sollen. Lege ihnen Zügel an und halte sie an der Kandare, bis sie lernen dir zu gehorchen, sonst werden sie dir nie treu ergeben sein‘.“154 Dabei hielt er wenig von theoretischen Worthülsen, sondern erklärte praxis- und alltagsbezogen seinen Schülerinnen und Schülern Sachverhalte: „-‚Wenn du falsche Töne spielst, weißt du entweder nicht, wo der Ton liegt oder was für ein Ton es ist‘ -‚Wenn deine Handgelenke schwach sind, dann geh‘ und walze das Gras im Garten‘ -‚Wenn du Kraft und Sensibilität in den Fingerspitzen entwickeln willst, dann benutze sie im Alltag. Wenn du zum Beispiel spazieren gehst, halte den Regenschirm mit den Fingerspitzen statt mit der Handfläche‘ -‚Mache deine technischen Übungen manchmal auch auf einem Polster oder einem Tisch. Du brauchst nicht immer ein Klavier, um deine Muskeln zu kräftigen‘ “155

154 Hullah: Theodor Leschetizky, S.13-112, S. 83ff. 155 Hullah, S.84ff.

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3.3 Gegenüberstellung der Methoden Schumann / Leschetizky Nach der Darstellung der Wesenskerne der Schulen Schumann und Leschetizky werden im folgenden Kapitel die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, welche in den Kapiteln 3.1.2 und 3.2.3 dargestellt werden, beleuchtet. Die prägendsten Merkmale der beiden Klavierschulen sind in Tabelle 8 aufgelistet. Tabelle 8: Zusammenfassende Darstellung der Merkmale der einzelnen pädagogischen Schulen

Merkmal Schumann Leschetizky Einzelunterricht und individuelle X X Förderung Tonqualität und musikalischer Ausdruck X X Tiefgehender musikalischer Unterricht X X Intensive Technik 0 X Gedächtnistraining X X Betrachtung aus Publikumssicht und X X Wirkung auf das Publikum Gelehrtes Repertoire X X Texttreue X X Übungsintensität und -pensum X X x = zutreffend 0 = nicht zutreffend

Einzelunterricht: Sowohl Clara Schumann als auch Theodor Leschetizky widmeten sich ihren Schülerinnen und Schülern im Einzelunterricht und suchten individuelle Zugänge zu jedem. Wie bereits dargelegt, „bemutterte“ Schumann ihre Kinder und Leschetizky gelang es „alles an Vitalität, Elan und Schönheitssinn, was in einem Schüler angelegt war, freizusetzen.“156

156 Schnabel: Aus dir wird nie ein Pianist, S. 162.

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Auch ist beiden gemeinsam, dass dem Einzelunterricht intensive Vorbereitungen mit Hilfslehrerinnen und Hilfslehrern vorangegangen waren. Tonqualität und Ausdruck: Beide Schulen legten großen Wert auf die Tonqualität und den musikalischen Ausdruck mit dem Instrument. Clara Schumann bezeichnete den „gesungenen Ton“ als wesentliche Ausdrucksform am Klavier und auch Leschetizky verglich das Klavierspiel prinzipiell mit dem Ausdruck eines Schauspielers. Tiefgehender musikalischer Unterricht: Sowohl Schumann als auch Leschetizky verwendeten einen Hauptteil des Unterrichts dafür, den musikalischen Stoff zu vermitteln, um ihn vollkommen zu verstehen und folglich auch transportieren zu können. Dabei konzentrierten sie sich auch darauf, dass gelernt wurde selbstständig neuen Stoff zu erarbeiten. Intensive Technik: Einziges Unterscheidungsmerkmal der beiden Schulen ist die Erarbeitung der Technik. In den vorgestellten Büchern über die Technik bei Leschetizky sind akribisch genaue Beschreibungen und Beispiele vorhanden, welche indirekt auch den hohen Stellenwert repräsentieren. Solche Aufzeichnungen und auch Erwähnungen gibt es über Schumanns Schule nicht. Sie fokussierte sich wohl mehr auf deren Wirkung, auf den Anschlag und die Tonqualität. Aus den angeführten Zitaten157 von Schumann lässt sich aber ableiten, dass sehr wohl die Technik im Sinne eines ausdrucksvollen Spiels verfeinert und gelehrt wurde, allerdings mit einer geringeren Intensität. Beiden jedoch gemeinsam ist, dass die Technik nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck betrachtet wurde. Gedächtnistraining: Clara Schumann war die erste unter den Pianistinnen und Pianisten, welche Soloprogramme auswendig vortrug. Sie motivierte aber auch ihre Schülerinnen und Schüler dazu Soloprogramme auswendig vorzutragen. Auch wenn Leschetizky das auswendige Solorecital nicht explizit erwähnt, so trainierte er das

157 Beispielsweise „Sie stapeln [sic] Alle wie mit Storchbeinen auf dem Clavier herum, und das Schrecklichste bei der Sache ist, daß sie ihre Gesundheit bei dieser Art zu üben zusetzen, die Meisten werden ganz nervös, und bekommen Schwäche in den Fingern“ (siehe Kapitel 3.1.2)

Clara Schumann und Theodor Leschetizky 73 kognitive Gedächtnis seiner Schülerinnen und Schüler, da das Tastengedächtnis durch das „bewusste Gedächtnis“ erweitert und bestärkt werden muss.158 Betrachtung aus Sicht des Publikums und Wirkung auf das Publikum: Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Veranschaulichung der Wirkung auf das Publikum. Beide vermittelten ihren Schülerinnen und Schülern sich in das Publikum hineinzuversetzen, um auf diese Weise den musikalischen Ausdruck, aber auch Körperhaltung und Bewegungen zu optimieren. Es sei erinnert, dass Leschetizky beispielsweise sagte: Ein Zuschauer sollte aus der Handhaltung erkennen können, welchen Akkord du spielst, bevor du ihn spielst, denn jeder Akkord hat seine eigene Physiognomie.159 Ähnlich Clara Schumann: Sie legte ihren Schülerinnen und Schülern nahe, dass das reinste Pianissimo auch die letzte Reihe und den höchsten Balkon in den größten Konzertsälen erreichen müsse.160 Gelehrtes Repertoire: Das unterrichtete Repertoire unterschied sich kaum. Während Clara Schumann punktuell etwas mehr den Fokus auf die Literatur ihres Gatten Robert Schumann legte, konzentrierte sich Leschetizky etwas mehr auf seinen Lehrer Czerny. Texttreue: Beide Lehrende waren durch ihre akribische Erarbeitung sehr bedacht auf Texttreue. Übungsintensität und -pensum: Sowohl Clara Schumann als auch Theodor Leschetizky forderten ihre Schülerinnen und Schüler dazu auf, nicht exzessiv zu üben. Auch war für beide eine abwechslungsreiche, aber geplante Tagesordnung mit Übungs- und ausreichenden Erholungsphasen mit körperlicher Betätigung sehr wichtig.

158 Vgl. Zitat auf Seite 47. 159 Hullah: Theodor Leschetizky, S.12-112, S. 84. 160 Vgl. Kapitel 3.1.2.

4 Fanny Davies und Annette Essipoff

Im folgenden Kapitel werden das musikalische Wirken der Künstlerinnen Fanny Davies und Annette Essipoff dargestellt, gleichzeitig am Ende des Kapitels Gemeinsamkeiten und Unterschiede identifiziert. Grundlage dieser Gegenüberstellung bilden Kurzbiografien, Konzerttätigkeiten der beiden Künstlerinnen, die musikalische Analyse von Tonaufnahmen, sowie zeitgenössische Konzertkritiken. Die Konzertkritiken, welche als repräsentativ gewertet werden und in den Vergleich einfließen, werden anhand von Kriterien identifiziert, welche zuvor auf Basis der Konzerttätigkeiten und Biografien abgeleitet werden.

4.1 Fanny Davies 4.1.1 Kurzbiographie Fanny Davies wurde am 27. Juni 1861 mit dem bürgerlichen Namen Frances Mary Jemima Davies in Guernsey geboren. Den ersten Klavierunterricht erhielt sie im Alter von fünf Jahren und mit sechs trug sie in ihrem ersten (halb-) öffentlichen Konzert Beethovens Sonate Nr. 12 (Op. 26) vor. Sie wurde aber niemals als Wunderkind berühmt, sondern konzentrierte sich auf ihre Ausbildung. Im Alter von neun Jahren wurde sie von Charles Flavell am Klavier und von Alfred Gaul in der Harmonielehre unterrichtet. Im Alter von dreizehn lernte sie Geige bei Henry Hayward.161 Nach weiteren Studienjahren bei Charles Hallé in London reiste sie 1882 nach Deutschland und studierte ab 1883 am Leipziger Konservatorium Klavier bei Oscar Paul und Carl Reinecke und Komposition bei Salomon Jadassohn. Im Studienjahr 1883/84 wurde sie von Clara Schumann in ihre Klasse aufgenommen und studierte dort bis zu ihrem Abschluss im Sommer 1885. Nach ihrem Studium kehrte Fanny Davies zunächst zurück nach London.

161 Vermutlich mit ein Grund für ihre intensive Tätigkeit als Kammermusikerin später.

74 Fanny Davies und Annette Essipoff 75

In London debütierte sie im Crystal Palace am 17. Oktober 1885. Ihr Debüt wurde in der Fachpresse mit ausnahmslos positiven Kritiken honoriert.162 Abbildung 11 zeigt eine Fotografie von Fanny Davies.

Abbildung 11: Fanny Davies163

Nach ihrem Debüt gab sie auch viele Kammermusikkonzerte, vor allem gemeinsam mit Josef Joachim und Alfredo Piatti.164 Ab 1885 konzertierte sie viel im Ausland und besuchte dabei regelmäßig Berlin, Leipzig, Rom, Bonn, Wien und Bergamo.165 Fanny Davies war eine der herausragenden Repräsentantinnen der Schule Clara Schumanns. „Keine hat auch in Deutschland mehr Bewunderung und Liebe erfahren, wie die wohl bedeutendste englische Pianistin neuerer Zeit, Fanny Davies.“166 schreibt Walter Niemann als einleitende Worte über Fanny Davies. Als Pianistin wurde

162 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S. 117-118. – Vgl. Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Musik- und Geschlechterforschung, http://www.sophie-drinker-institut.de/cms/index.php/davies- fanny, Zugriff am 10.12.2016. 163 Fotografie mit der Darstellung Fanny Davies von Elliott & Fry, London, Quelle: http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Fanny_Davies, Zugriff am 08.12.2016 164 Vgl. Dorothy De Val: Fanny Davies, S. 217-238, S. 217 ff. 165 Vgl. Stanley Sadie: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, London, 1980, S. 273. 166 Walter Niemann: Meister des Klavieres – Die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, erste bis achte Auflage, Berlin, 1919, S. 162.

Fanny Davies und Annette Essipoff 76 sie für ihre Interpretationen von Beethoven, Brahms und Robert Schumann berühmt, war aber auch eine der Ersten, die Werke von und Alexander Scriabin in Großbritannien aufführte. Ihre intensive Konzerttätigkeit vor allem auch in Großbritannien, wie zum Beispiel in Glasgow, Birmingham, Manchester, Edinburgh, Liverpool, Bristol, Leeds, Gloucester, Huddersfield, Halifax oder Newcastle trug wesentlich dazu bei, die Schule und Klaviertradition Clara Schumanns in Großbritannien zu verbreiten.167 Sie war außerdem die erste Pianistin, die Recitals in Westminster Abbey sowie in anderen Kathedralen in England spielte. Ihre Prominenz und ihr Einfluss spiegeln sich auch darin wider, dass Elgar ihr sein „Concert Allegro“ (Op. 46.) widmete. Neben ihrer Konzerttätigkeit unterrichtete Fanny Davies auch privat. Aufgrund von Krankheit musste sie ihren Lebensabend in Armut verbringen und von einer monatlichen Rente von 90 Pfund leben. Sie starb am 1. September 1934 in London.168

4.1.2 Konzerttätigkeit und Rezension Im folgenden Kapitel werden die Konzerttätigkeit sowie das Repertoire und der pianistische Stil von Fanny Davies skizziert. Das geographische Zentrum des musikalischen Wirkens von Fanny Davies blieb zeitlebens London. Wie schon im Kapitel 4.1.1 erwähnt, war Davies zunächst für ihre Darbietungen von Beethoven, Schumann und Brahms berühmt, blieb aber in der Zusammenstellung ihrer Konzertprogramme innovativ, was sich an der Tatsache äußert, dass sie als eine der Ersten Debussy und Scriabin vortrug. Zu Beginn ihrer Karriere war ihre Programmgestaltung stark von der Schule Clara Schumanns geprägt, wie das Programm ihrer ersten Konzerte nach dem Studium zeigen. Bei ihrem Prüfungskonzert trug sie die Sinfonischen Etüden (Op. 13) von Robert Schumann vor. In London debütierte sie im Crystal Palace am 17. Oktober 1885 mit Beethovens Klavierkonzert No. 4 (Op. 58), Robert Schumanns Romanze Nr.2 Fis-dur (Op.28) sowie Carl Heinrich Grauns Gigue b-moll (Graun WV D:XVII:11). Nach ihrem erfolgreichen Debüt folgte eine Reihe von Auftritten

167 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S. 120. 168 Vgl. Sadie: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, S. 273.

Fanny Davies und Annette Essipoff 77 und so trug sie im Rahmen der Arthur Chapells Popular Concerts in der St. James‘s Hall unter anderem Johann Sebastian Bachs Chromatische Fantasie und Fuge in d-moll (BWV 903) vor und spielte gemeinsam mit Wilma Norman- Neruda, Ludwig Straus und Franz Neruda das Schumann-Quartett in Es-Dur (Op. 47). Als Zugabe präsentierte sie Mendelssohns Charakterstück Nr. 7 (Op. 7.).169 Vor allem zu Beginn ihrer Karriere fokussierte sie sich, gemäß der Schule von Clara Schumann, auf die Werke der etablierten anspruchsvollen Meister wie , Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Chopin, Brahms und Robert Schumann. Ab Mitte der 1890er Jahre fanden sich in ihrem Programm zunehmend mehr Werke zeitgenössischer und weniger bekannter Komponisten wie die bereits erwähnten Debussy und Scriabin, aber auch Jakob Rosenhain, Louis-Joseph Diémer, René Lenormand, Giovanni Sgambati und Eugen d’Albert. Sie gab aber auch Konzertabende mit spezifischen Schwerpunkten auf zeitgenössische französische, italienische, spanische oder niederländische Komponisten. Eine weitere Besonderheit war auch, dass sie bewusst Werke von Komponistinnen in ihre Programme integrierte, wie zum Beispiel Kate Loder, Maude White, Louise Héritte-Viardot und Ethel Smyth.170 Ihre Programmauswahl wurde von der Presse honoriert und als „interesting programmes“171 bezeichnet und ihr Repertoire auf ungefähr 500 Werke geschätzt. Wie bei vielen Schülerinnen und Schülern Clara Schumanns waren die Werke von Robert Schumann und Brahms wesentlicher Teil ihrer Programmgestaltung. Wie Annkatrin Babbe erforschte, spielte sie von Robert Schumann häufig das Klavierkonzert in a-moll (Op. 54), die Sinfonischen Etüden (Op. 13), Drei Romanzen (Op. 28), die Novelleten (Op. 21) sowie Nummern aus den Zyklen Papillons (Op.2), Davidsbündlertänze (Op. 6), Carnaval (Op. 9), Fantasiestücke (Op. 12), Kinderszenen (Op. 15), Kreisleriana (Op. 16) und

169 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M, S.66-125, S. 117-118. 170 Vgl. Babbe, S. 121. 171 Monthly Musical Record, 1902, S. 16, zitiert nach: Babbe, S. 121.

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Waldszenen (Op. 82).172 Die Werke von Robert Schumanns a-moll Konzert sowie Kinderszenen und Davidsbündlertänze wurden auf Tonträgern veröffentlicht.173 Wie bereits mehrfach erwähnt, wurden ihre Darbietungen von der zeitgenössischen Presse durchwegs positiv bewertet. Walter Niemann charakterisiert ihr Klavierspiel mit den Worten: „Ehe sie zu Clara Schumann ging, hat sie an der Leipziger Akademie den Unterricht Carl Reineckes empfangen. Man merkt es deutlich an ihrem Spiel. Denn sie besitzt dieselbe ernste und reine Kunstauffassung, dasselbe Zurücktreten der Person hinter die Sache, dieselbe fleckenlose Klarheit in der Darlegung des Formalen und Technischen, wie ihr Leipziger Altmeister. Sie ist eigentlich eine recht romantische Spielerin, ja, sie ist eine der besten Schumannspielerinnen unserer Zeit. Klarheit ist der Grundzug ihres Spiels. Bach und Beethoven faßt sie englisch- objektiv auf. Für Chopin fehlt ihr die blühende sinnliche Schönheit, Wärme und Biegsamkeit des Anschlags, für Liszt Größe und Dämonie des Ausdrucks, zwingende Gewalt der Darstellung. Mit Mendelssohn, Schumann und Brahms aber betritt sie ihr eignes Gebiet.“174

4.1.3 Analyse von Tonaufnahmen Von Fanny Davies stehen die Tonaufnahmen ihrer Darbietungen der Werke von Robert Schumanns Kinderszenen (Op. 15),175 Klavierkonzert in a-moll (Op.54),176 sowie Davidsbündlertänze N. 13,14,17,18 (Op.6)177 zur Verfügung und sind Gegenstand der folgenden Analyse. An dieser Stelle sei angemerkt,

172 Vgl. Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S. 121 ff. 173 Silke Wenzel: Artikel „Fanny Davies“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 26.6.2007. URL: http://mugi.hfmt- hamburg.de/Artikel/Fanny_Davies, Zugriff am 08.12.2016. 174 Niemann: Meister des Klavieres, S. 162. 175 Fanny Davies: Robert Schumann Kinderszenen Op.15, 1929 , Youtube, https://www.youtube.com/watch?v=4ETFnpof3Xc und https://www.youtube.com/watch?v=JSWpBtNnynY; Zugriff am 13.12.2016 176 Fanny Davies: Robert Schumann Klavierkonzert in a-moll (Op.54.), 1928, https://www.youtube.com/watch?v=CB9zQVjh8CQ; Zugriff am 13.12.2016 177 Fanny Davies Robert Schumann Davidsbündlertänze Nr. 13, 14, 17, 18 (Op.6), 1930, https://www.youtube.com/watch?v=vb3UaoV22jg, Zugriff am 13.12.2016

Fanny Davies und Annette Essipoff 79 dass diese Analyse geprägt ist vom persönlichen Eindruck. Außerdem stehen nur Aufnahmen von Werken von Robert Schumann zur Verfügung, was eine umfassendere Darstellung der künstlerischen Fähigkeiten von Fanny Davies nicht erlaubt. Die kennzeichnendsten und augenscheinlichsten Merkmale ihres Spieles sind ein energischer, junger und kräftiger Klang, ein hohes Maß an Freiheit im Umgang mit der Zeit sowie ein präziser und schneller Anschlag. Gleichzeitig ist sie im Zusammenspiel mit dem Orchester sehr vielseitig und gefühlvoll. Einerseits spielt Fanny Davies eindeutig solistisch, was sich auch dadurch äußert, dass sie die Kadenz sehr impulsiv, emotional, energisch und espressivo präsentiert. Andererseits betrachtet sie das gesamte musikalische Gewebe sehr einheitlich und begleitet das Orchester gefühlvoll, wenn das Thema dort liegt. Bei langsameren Szenen, die lyrisch und kantilenenhaft sind, kommt der Bass immer früher als die rechte Hand. Ebenso spielt sie lyrische Themen bewusst mit vollem Klang und arpeggiert dabei viele Akkorde. Prinzipiell sind ihre Interpretationen sehr bewusst und von einem hellen und deutlichen Klang gekennzeichnet. Dadurch werden aber auch sehr feine oder dünne Farben überdeckt. Aus heutiger Sicht lässt sich über ihre Darbietung zusammenfassend sagen, dass die Stücke ohne Ernst (nicht unbedingt im negativen Sinne gemeint) und flüchtig- leicht dargeboten werden.

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4.2 Annette Essipoff 4.2.1 Kurzbiographie Annette Essipoff wurde am 31. Januar 1851 mit dem bürgerlichen Namen Anna Nikolajewna Esipova geboren.178 Sie war die erste und zu Lebzeiten einzige Musikerin ihrer Familie. Ihr Talent wurde bei einem Klavierkonzert in St. Petersburg entdeckt, bei dem die sechsjährige Annette in der Pause zum Flügel ging, um das eben Gehörte wiederzugeben. In weiterer Folge stellte sich heraus, dass das Mädchen über ein außerordentliches Gehör und musikalisches Gedächtnis verfügte. Ihr Talent wurde von ihrem Vater gefördert, bis sich sein Gesundheitszustand verschlechterte. Durch die schwindende Gesundheit und die daraus resultierenden geringeren Einflussmöglichkeiten ihres Vaters gewann Anna Nikolajewna mehr künstlerische Freiheit und so spielte sie alles, was ihr unterkam: Paraphrasen aus Faust von Gounod, Ungarische Rhapsodien von Liszt in der eigenen Bearbeitung, Walzer und Polkas von Johann Strauß usw. Dadurch wurden auch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten im Blattlesen entdeckt. Sie sang auch viel, weswegen ihr Vater auch versuchte, sie zur

Sängerin zu erziehen.179 Im Alter von 14 Jahren wurde sie am St. Petersburger Konservatorium aufgenommen und begann in der Vorbereitungsklasse von Alexander Villuan sowie Karl von Ark zu studieren. 1866 begann sie das Studium bei Theodor Leschetizky, mit dem sie in späterer Folge von 1880 bis 1892 verheiratet war. Am 22. Mai 1870 schloss Anette Essipoff das Studium am St. Petersburger Konservatorium ab, jedoch ohne Abschlussurkunde, weil sie außer Spielprüfungen kein theoretisches Fach absolviert hatte. Ein Jahr später und nach Absolvierung der theoretischen Fächer erhielt sie ihr Diplom, den Titel der

178 Russischer Name: Анна Николаевна Есипова. Die im deutschsprachigen Raum am häufigsten verwendete Transliteration ist Annette Essipoff, weswegen auch diese in weiterer Folge verwendet wird. Auch Anna Jessipowa, Anetta Essipoff, Annette von Essipow sowie Annette Essipow-Leschetizky nach ihrer Hochzeit mit Theodor Leschetizky sind im Zuge der Recherche gefunden worden. 179 Vgl. Alexander Alexejew: Анна Николаевна Есипова = Anna Nikolajewna Esipova in Staatlicher Musikalischer Verlag Moskau (Hrsg.): Русские Пианисты = Russische Pianisten, Moskau, 1948, S. 200-202, - Vgl. Bertenson: Anna Nikolaevna Esipova, S. 20ff.

Fanny Davies und Annette Essipoff 81 freien Künstlerin und wurde mit der goldenen Medaille des Konservatoriums ausgezeichnet. Abbildung 12 zeigt eine Fotographie von Annette Essipoff.

Abbildung 12: Annette Essipoff 180

Nach Absolvierung ihres Studiums begann sie eine intensive Konzerttätigkeit, welche sie mehr als zwanzig Jahre, von 1871 bis 1893, durch Europa, Russland und die USA führte. Sie erarbeitete sich innerhalb kürzester Zeit einen Ruf als hervorragende Pianistin. 1878 verlagerte sie den Lebensmittelpunkt für vierzehn Jahre gemeinsam mit Theodor Leschetizky nach Wien und führte ihre Konzerttourneen von dort aus fort. Von 1893 bis März 1914 unterrichtete Essipoff im St. Petersburger Konservatorium, wo sie Schüler wie Ignaz Paderewski, Sergej Prokofiev oder Arthur Schnabel ausbildete.181 Ihre Pädagogik wird von Tamara Berkman ausführlich beschrieben. Es sei an dieser Stelle vor allem festgehalten, dass Annette Essipoff besonderen Wert auf einen persönlichen Zugang zum Werk sowie einen unermüdlichen Suchprozess

180 Fotografie mit der Darstellung von Annette Essipoff von Fritz Luckhard, Quelle: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Annette_(von)_Essipoff, Zugriff am 08.12.2016 181 Vgl. Alexejew: Anna Nikolajewna Esipova, S. 203 ff. – Vgl. Wenzel Silke: Artikel „Annette (von) Essipoff“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 16.3.2010. URL: http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Annette_(von)_Essipoff, Zugriff am 08.12.2016.

Fanny Davies und Annette Essipoff 82 zur Erlangung von musikalischer Reife förderte. Erst ein paar Monate vor ihrem Tod musste sie wegen einer schweren Erkrankung ihre pädagogische Tätigkeit aufgeben.182 Anette Essipoff starb am 18. August 1914 in St. Petersburg.

4.2.2 Konzerttätigkeit und Programm Die regelmäßige Konzerttätigkeit von Annette Essipoff begann bereits während ihres Studiums. Im Sommer 1869 begleitete sie Theodor Leschetizky nach Bad Ischl und trat auf der Rückreise im Salzburger Mozarteum mit Chopins Klavierkonzert in e-moll (Op.11) auf. Im November des selben Jahres gab sie ihr Debüt in der russischen Musikgesellschaft in St. Petersburg mit Beethovens Klavierkonzert in g-dur (Op. 25) und trug beim Abschlusskonzert ihres Studiums 1870 das Klavierkonzert in g-moll (Op. 25) von Mendelssohn-Bartholdy vor.183 1870 begann auch ihre intensive Konzerttätigkeit. Gleich im Jahr nach Absolvierung des Konservatoriums gab sie in Salzburg 13 Solorecitals. Im Jahr 1871 war sie auf der Konzerttournee in Deutschland und gab dabei auch zwei Konzerte im Leipziger Gewandhaus, was für sie auch die Anerkennung in Europa bedeutete. Im Jahr 1872 folgte eine Konzertreise durch Österreich, 1873- 75 durch Frankreich, Belgien und England. 1876-77 verbrachte sie in Summe acht Monate in den USA und gab dort 106 Konzerte in 28 Städten.184 Bei dieser Gelegenheit ist eine Anekdote zu erwähnen, welche ihr außergewöhnliches Gedächtnis hervorstreicht: Zu den beiden letzten Abschiedskonzerten in den USA präsentierte sie ausschließlich Werke amerikanischer Komponisten und um dies bewerkstelligen zu können, lernte sie im Laufe weniger Tage 18 neue Werke parallel zur Tournee. Tamara Berkman berichtet weitere Beispiele und so soll Annette Essipoff Chopins Klavierkonzert in a-moll (Op.11) in drei Tagen und die Fuge in e-moll (Op. 25) in einem Tag erlernt haben.185

182 Berkman: A. N. Esipova, S. 64. 183 Vgl. Wenzel: „Annette (von) Essipoff“, Zugriff am 08.12.2016. 184 Vgl. Berkman, S. 204. 185 Vgl. Berkman, S. 204 ff.

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Ihrem außerordentlichen Gedächtnis gemäß war auch das von ihr beherrschte Repertoire sehr umfangreich und umfasste neben Solostücken für Klavier auch ein breites Spektrum an Kammermusik sowie Werke für Klavierduo. Dabei gestaltete sie ihre Konzertprogramme häufig abwechslungsreich und integrierte Werke der etablierten, großen Meister Chopin, Johann Sebastian Bach, Beethoven, Schumann und Liszt, aber auch die Werke von Leschetizky, um dessen Schaffen zu propagieren. Weiters trug sie auch die Werke von ihren bekannten Zeitgenossen Mendelssohn-Bartholdy, Brahms, Schubert, Rameau, Scarlatti, Saint-Saëns, Weber sowie Tchaikovsky, Paderewsky, Rubinstein, Tausig und Mussorgsky regelmäßig vor. Aber auch weniger berühmte Zeitgenossen wie John Field, Joachim Raff, Robert Volkmann und William Bennett. Eine besondere Affinität hegte sie zeitlebens für Chopin, und für die Interpretationen seiner Werke wurde sie schnell bekannt und geschätzt.186 Das Musikalische Wochenblatt Leipzig unterstreicht beispielsweise diese Tatsache in einer Rezension: „[…]als Interpretin Chopin’s zumal steht sie unseres Bedünkens unbedingt in erster Linie der Claviervirtuosen unserer Zeit.“187 Durch ihre Virtuosität und hohe Konzertpräsenz wurde sie zu einer der wichtigsten Repräsentantinnen der Klavierschule von Theodor Leschetizky, was auch Walter Niemann resümierend über sie festhält: „Sie war eine ungemein brillante und leichtfüssige Virtuosin, bedeutend namentlich im Schumann- und Chopinspiel und eine echte Jüngerin und Schülerin ihres Meisters (Anm.: Leschetizky) auch darin, daß sie Eleganz, Zierlichkeit und Anmut über Tiefe und Geistigkeit stellte.“188 Sehr hohe Wertschätzung wurde ihr auch in Europa und vor allem in Wien zuteil. Eduard Hanslick würdigt ihren Vortrag des Klavierkonzertes von Rubinstein mit den Worten: „Mit einer für eine Frau ganz ungewöhnlichen Kraft, wie wir sie nur noch bei Sophie Menter gefunden, packte Frau Essipoff das Rubinsteinsche

186 Vgl. Berkman: A.N. Esipova, S. 32ff. 187 Musikalisches Wochenblatt, 16. Juni 1881, S. 299. 188 Niemann: Meister des Klavieres, S. 68.

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D-moll-Concert mit einem Sturm von Octavengängen, ließ es im Andante in den zarten Silberfäden schimmern und führte es im Finale triumphierend auf die Höhe. Wir hätten kaum geglaubt, daß überhaupt Damenhände dieses Concert dem Komponisten nachspielen würden.“189 Annette Essipoff hat im Laufe ihres musikalischen Wirkens auch Tonaufnahmen hinterlassen. Hauptsächlich Werke von Chopin, aber auch Schumann, Liszt, Thalberg und Eugenè d‘Albert befinden sich darunter.

4.2.3 Analyse von Tonaufnahmen Zur Analyse von Annette Essipoffs Klavierspiel stehen Aufnahmen der Werke Eugène d‘Albert- Scherzo in f-moll (Op. 16/2),190 Franz Liszt-Paraphrase über Verdis Rigoletto (Searle 434),191 Clara Schuman-Variationen192 und Sigismund Thalberg- Fantasie über Bellini's "La Sonnambula“ (Op. 46)193 zur Verfügung. Wie bereits bei der Analyse von Fanny Davies‘ Aufnahmen, muss an dieser Stelle vermerkt werden, dass die Analyse stark vom persönlichen, subjektiven Eindruck geprägt ist. Auch sind die zur Verfügung stehenden Werke musikalisch unterhaltsame, aber virtuose Werke, weswegen viele Aspekte des weit umfangreicheren Könnens und Repertoires von Annette Essipoff nicht analysiert und dargestellt werden können. Diese Werke gehörten, wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, nicht zum abendfüllenden Hauptrepertoire und dienten wohl eher dazu, als Teil des Programms die Virtuosität von Annette Essipoff zu demonstrieren. In der Tat treten ihre außergewöhnlichen technischen und pianistischen Fähigkeiten deutlich hervor. Das augenscheinlichste Merkmal ihrer Darbietung ist der sehr schnelle und präzise Anschlag, aber ihre Darbietung ist dabei äußerst virtuos und effektvoll im Sinne von brillant glänzend und „funkelnd“. Ihr Spiel wirkt dabei

189 Hanslick: Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre 1870-1885, S. 94. 190 Annette Essipoff: Eugen d’Albert Scherzo in f-moll (Op. 16/2), Jahr unbekannt, https://www.youtube.com/watch?v=LwcL_N7Yxjg, Zugriff am 13.12.2016 191 Annette Essipoff: Franz Liszt Paraphrase über Verdis Rigoletto (Searle 434), 1906, https://www.youtube.com/watch?v=tQBlkmFfyJk, Zugriff am 13.12.2016 192 Annette Essipoff: Clara Schumann Variationen, 1906/07, https://www.youtube.com/watch?v=83OfgCtg6TQ, Zugriff am 13.12.2016 193 Annette Essipoff: Sigismund Thalberg Fantasie über Bellini's "La Sonnambul“ (Op. 46), Jahr unbekannt, https://www.youtube.com/watch?v=tQBlkmFfyJk, Zugriff am 13.12.2016.

Fanny Davies und Annette Essipoff 85 immer kraft- und energievoll. Die Spielweise von Annette Essipoff ist technisch sehr virtuos und frei im Umgang mit der Zeit. Sie spielt dabei bewusst an der Grenze zum „Unerhörten“. Dabei bleibt sie aber sehr leicht und im positiven Sinne oberflächlich, was sehr gut zu den virtuosen Stücken passt. In allen Passagen und Trillern hört man ihre „metallischen“ Finger und unbewusst nimmt man wahr, dass Annette Essipoff viel Mühe und Zeit in technische Übungen investiert haben muss, um alle Finger gleichmäßig in diesem Ausmaß stark und ausdauernd zu machen, wie Tamara Berkman auch ausführlich dargestellt hat.194 Besonders auffällig ist die Intention der Interpretin, das Publikum beziehungsweise Hörerinnen und Hörer zu begeistern, was ihr im Fall der Interpretation von Sigismund Thalbergs195 "La Sonnambula“ auch gelingt. Die Tatsache, dass sie ein Stück von Clara Schumann zur Aufnahme bringt, zeugt auch von dem Respekt, dem sie Clara Schumann entgegenbrachte.

194 Vgl. Berkman: A.N. Esipova, S. 20-140. 195 Sigismund Thalberg war ein österreichsicher Klaviervirtuose, Komponist und Zeitgenosse von Franz Liszt. Rückblickend sind seine Kompositionen als oberflächlich im negativen Sinne aber als effektvoll zu betrachten. Passend zum Geschmack des Publikums, was auch in seinem enormen Erfolg widerspiegelte. In einigen Städten wie z.B. Wien und Paris war er angesehener als Liszt, was sich auch an seinen Einnahmen wiederfand. Als Besonderheit seiner Konzerttätigkeit galt, dass er zumeist seine, gegen Ende seiner Karriere fast ausschließlich, Eigenkompositionen vortrug. Annette Essipoff verfügte über ein sehr breites und abwechslungsreiches Repertoire von frühen Barockwerken über die sogenannten großen Meister bis hin zu ihren Zeitgenossen, welche sie stark propagierte.

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4.3 Fanny Davies und Annette Essipoff im Spiegel zeitgenössischer Rezensionen Im folgenden Kapitel wird die öffentliche Reaktion in Europa auf Auftritte der beiden Künstlerinnen anhand von Konzertkritiken dargestellt. Um eine Vergleichbarkeit erreichen zu können, müssen gemeinsame Kriterien die Rahmenbedingungen der betrachteten Rezensionen bilden. Wie in den Kapiteln 4.1.2 und 4.2.2 dargestellt, begann Fanny Davies ihre intensive Konzerttätigkeit nach Ende ihres Studiums ebenso wie Annette Essipoff. Ab 1887 war Fanny Davies auch am europäischen Festland regelmäßig auf Tournee und Annette Essipoff ab 1870. In Tabelle 9 sind die Eckdaten der musikalischen Tätigkeiten der beiden Künstlerinnen dargestellt. Tabelle 9: Fanny Davies' und Annette Essipoffs musikalisches Wirken in Europa196

Fanny Davies Annette Essipoff Beginn der intensiven Nach Studium Nach Studium Konzertphase (1886) (1870) Konzerttätigkeit in 1887 Europatournee; Ab 1870 in ganz Europa Europa danach regelmäßig intensiv, kleinere Konzertreisen 1872 Tournee in Österreich Lebensmittelpunkte ab 1886 London 1878-1893 Wien, nach Studium 1893-1914 St. Petersburg Es ist zweckmäßig den Zeitraum ab Absolvierung des Studiums zu betrachten. Wie aus der Gegenüberstellung hervorgeht, liegt dieser Zeitraum nur 16 Jahre auseinander, weswegen der Zeitraum ab 1886 bei Fanny Davies und ab 1870 bei Annette Essipoff betrachtet wird. Da der Wirkradius von Clara Schumann und Theodor Leschetizky großteils der deutschsprachige Raum war, werden nur auf Deutsch verfasste Artikel in die Betrachtung eingeschlossen. Ein weiterer Umstand für dieses Kriterium ist, dass die Konzerttätigkeit von Fanny Davies und Annette Essipoff nur im deutschsprachigen Raum nennenswerte

196 Wurde in den Kapiteln 4.1.2 und 4.2.2 dargestellt und hier konzentriert zusammengefasst.

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Überschneidungen aufweist. Ein weiteres Kriterium ist auch, dass die Rezension anlassbezogen zu einem konkreten Konzert Stellung nehmen muss und nicht in allgemeiner Form über die Künstlerin berichtet. Tabelle 10 zeigt die gemeinsamen Rahmenbedingungen. Tabelle 10: Gemeinsame Rahmenbedingungen zur Identifizierung relevanter Rezensionen Fanny Davies Annette Essipoff Zeitraum Nach Studium bis ein Nach Studium bis ein Jahr vor Tod; Jahr vor Tod; 1.1.1886 bis 1.1.1933 1.1.1870 bis 1.1. 1913 Gestaltung der Nur Rezensionen zu konkreten Konzerten Rezension Sprache Deutsch Ort Europa (Kontinent) Eine Recherche in der Datenbank der Österreichischen Nationalbibliothek ergab, dass die meisten gemeinsamen Nennungen in den Journalen „Musikalisches Wochenblatt“ sowie „Neue Freie Presse“ zu finden sind, wie in Tabelle 11 dargestellt. Tabelle 11: Anzahl der Nennungen von Fanny Davies und Annette Essipoff in Medien innerhalb der getroffenen Rahmenbedingungen

Zeitschrift Nennungen Nennungen Fanny Davies197 Annette Essipoff198 Musikalisches Wochenblatt 21 196 Neue Freie Presse 38 65 Neues Wiener Journal 21 - Neue Zeitschrift für Musik - 113 Die Presse - 60

197 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/anno- suche/#searchMode=complex&text=Fanny%2BDavies&dateFrom=01.01.1886&dateTo=01.01.1 933&resultMode=list&from=1, Suchbegriff „Fanny+Davies“, Zugriff am 10.12.2016. 198 Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/anno- suche/#searchMode=complex&text=Essipoff&dateFrom=01.01.1870&dateTo=01.01.1913&resul tMode=list&from=1, Suchbegriff „Essipoff“, Zugriff am 10.12.2016.

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Das Musikalische Wochenblatt war ein musikalisches Fachmagazin zur Zeit des deutschen Kaiserreichs mit Korrespondenten in Berlin, Leipzig, München, Wien, Bonn, Baden-Baden, Bremen, Breslau, Dessau, Fünfkirchen und Poessnack.199 In die weitere Betrachtung werden ausschließlich Artikel, welche den in Tabelle 10 dargestellten Rahmenbedingungen genügen und im Musikalischen Wochenblatt veröffentlicht wurden, eingeschlossen. Gründe für die Auswahl des Musikalischen Wochenblattes sind folgende:  Höchste Anzahl an gemeinsamen Nennungen  Korrespondenten im gesamten deutschsprachigen Raum, in dem beide Künstlerinnen häufig und regelmäßig konzertierten, vor allem aber in den wichtigen Städten Leipzig, Berlin und Wien.  Fachmagazin mit Schwerpunkt auf Musik Die Rezensionen sind in den Kapiteln 6.1 und 6.2 als Volltext dargestellt. Da diese den Lesefluss stören, werden in den folgenden zwei Kapiteln nur relevante Passagen zitiert.

4.3.1 Rezensionen über Fanny Davies Der Analyse liegen zwölf Rezensionen zugrunde, welche den Kriterien aus Tabelle 10 genügen. Sämtliche Rezensionen haben gemeinsam, dass sie relativ kurz sind und manche sogar beiläufig wirken. „Erwähnen wir also noch, dass die Pianistin Frl. Fanny Davies […]“200 lautet beispielsweise die Einleitung einer Kritik vom 12. Jänner 1888. An anderer Stelle wird einfach in einem Beisatz angeführt: „Eine sehr gediegene, technische Grundlage besitzt auch Frl. Fanny Davies, der nur etwas eingehendere musikalische Vertiefung zu wünschen wäre.“201 Ein weiteres Indiz für diesen Hang zur Beiläufigkeit ist die Tatsache, dass in vier der zwölf Rezensionen auch andere beteiligte Künstlerinnen und Künstler genannt werden.

199 Vgl. Wikipedia. Freie Enzyklopädie, https://de.wikipedia.org/wiki/Musikalisches_Wochenblatt, Zugriff am 10.12.2016. 200 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 12. Jänner 1888, S. 33. 201 Dr. Hugo Daffner, Musikalisches Wochenblatt, 15. August 1907, S. 684-685.

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Eine weitere Gemeinsamkeit ist auch, dass Fanny Davies als „recht vorgeschrittenes Claviertalent“202 , Pianistin, „jugendliche hochbegabte Pianistin“203 oder einfach als „Fräulein“ oder „Dame“ 204 bezeichnet, aber kein einziges Mal „Musikerin“ oder „Virtuosin“ genannt wird. In den Rezensionen bestätigt sich aber die Affinität Fanny Davies‘ zu den Werken von Robert Schumann, wie aus folgender beispielsweise hervorgeht: „Frl. Fanny Davies hat sich bei dem Musikfest durch correcte und höchst intelligente Vorführung des Schumann’schen A moll-Clavierconcertes hervorgethan.“205 An anderer Stelle findet sich auch die Bestätigung, dass Fanny Davies eine hervorragende Musikerin im Zusammenspiel mit Orchester oder Kammermusik war, wie in der Analyse aus Kapitel 4.1.3 festgestellt wurde, mit den Worten: „[…] Die Dame spielte mit einwandfreier musikalischer Sicherheit und Schmiegsamkeit gegen ihre Partner […].“206 Eine weitere offensichtliche Gemeinsamkeit in der Beschreibung ihres Spieles ist die brillante und feine Technik sowie der schöne Ton. Beinahe alle aufgezeigten Rezensionen merken das als positives Charakteristikum ihres Spieles an. Paul Schulze hält zusammenfassend Folgendes fest um ihr Spiel zu beschreiben: „Ein schöner, weicher Ton, eine behende Technik, ein dezenter, geschmackvoller Vortrag sind die Vorzüge, die der Künstlerin nachzurühmen sind.“207 So formulierte auch Hugo Daffner 1907 ähnlich: „Eine sehr gediegene, technische Grundlage besitzt auch Frl. Fanny Davies, der nur etwas eingehendere musikalische Vertiefung zu wünschen wäre.“208 Diese letzte beispielhafte Kritik leitet gleichzeitig über zum häufigsten genannten negativen Charakteristikum Fanny Davies´ Darbietung, der Musikalität. Wie auch in der Analyse aus Kapitel 4.1.3 hervorgeht, wirken ihre Interpretationen der

202 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13. Jänner 1887, S. 28. 203 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 19. November 1891, S. 609. 204 Felix Willferodt., Musikalisches Wochenblatt, 07. Februar 1907, S. 143. 205 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13.September 1888, S. 446 206 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 10. Jänner 1907, S. 38. 207 Paul Schulze, Musikalisches Wochenblatt, 17. Januar 1907, S. 57. 208 Dr. Hugo Daffner, Musikalisches Wochenblatt, 15. August 1907, S.684-685.

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Soloklavierwerke „Kinderszenen“ und „Davidsbündlertänze“ oberflächlich und beiläufig. „[…] wirkliche Verinnerlichung aber, die unser Empfinden an der Geistesflamme grosser Tonsetzer zu entzünden vermag, sprach aus dem Spiele nicht […]“ 209 hält Paul Hiller über ihre Darbietung verallgemeinernd fest. Auch über ihr Konzert im Leipziger Gewandhaus 1887 wird, mit einem spürbaren Hauch Chauvinismus des männlichen Kritikers, festgehalten, dass ihr Kompositionen von „[…] von tieferem geistigem und poetischem Gehalte […]“210 nicht so bequem und gut liegen wie eher oberflächliche und virtuos klingende. Ein weiteres häufig erwähntes Faktum ist, dass die Konzerte von Fanny Davies sehr beliebt waren und vom Publikum mit viel Beifall honoriert wurden.211

4.3.2 Rezensionen über Annette Essipoff Bei Durchsicht der Rezensionen über Annette Essipoff fällt zuerst die quantitative Länge der Rezensionen auf, was auf eine intensive Beschäftigung mit ihrer künstlerischen Tätigkeit, aber auch auf ihren hohen Stellenwert hinweist. Schon bei ihrer ersten Tournee durch Österreich 1872 wird über sie geschrieben: „Als Virtuosin, rein technisch betrachtet, darf sie dreist mit den besten und berühmtesten ihrer Colleginnen und auch Collegen in die Schranken treten […].“212 Dabei nennt der Autor213 sie nicht nur gleich „Virtuosin“, sondern stellt sie in eine Reihe mit den Berühmtheiten ihrer Zeit. Gleichzeitig offenbart er auch einen chauvinistischen Beigeschmack, indem auch die männlichen Kollegen in diesen Reihen zu finden sein sollen. Die hohe Wertschätzung, die Annette Essipoff entgegengebracht wird, spiegelt sich auch in der Wortwahl der Rezensionen wider. „Reichbegabte Clavierspielerin“,214 „Heldin“,215 „aristokratische

209 Paul Hiller, Musikalisches Wochenblatt, 28. März 1907, S. 322 210 k.A. Musikalisches Wochenblatt, 13. Jänner 1887, S. 28. 211 Vgl. k.A. Musikalisches Wochenblatt, 20. November 1890, S. 603. - k.A. Musikalisches Wochenblatt, 19. November 1891, S. 609. 212 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 2. Februar 1872, S. 88. 213 Wie bereits in der Einleitung des Kapitels ausgeführt, ist der Artikel zwar namenlos veröffentlicht jedoch die Annahme, dass der Verfasser männlich ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffend. 214 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 2. Februar 1872, S. 88. 215 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34.

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Spielerin“216 und „gottbegnadete Künstlerin ersten Ranges“217 sind nur einige der Formulierungen, welche die Künstlerin beschreiben. Ein Aspekt, der durch Analyse der Rezensionen Bestätigung gefunden hat, ist der, dass Annette Essipoffs enormes Gedächtnis von der Öffentlichkeit wahrgenommen und geschätzt wurde. Nach der Darbietung von drei Konzerten wird ihr enormes Gedächtnis in der Darstellung hervorgekehrt.218 Ein weiterer Aspekt, der sich wiederfindet, ist jener, dass sie für die Darbietung und Interpretationen der Werke von Chopin äußerst gelobt wurde. In beinahe allen Berichten, in denen auch zum Programm Stellung bezogen wird, wird erwähnt, dass erstens auch mindestens ein Stück von Chopin aufgeführt wurde und zweitens die Darbietung exzellent war. Dabei eilt ihr Ruf so weit voraus, dass es 1881 nicht mehr als notwendig befunden wird, das Spiel genauer zu beschreiben: „Es wäre überflüssig, ihr grandioses Spiel an dieser Stelle genauer charakterisieren zu wollen; als Interpretin Chopin’s zumal steht sie unseres Bedünkens unbedingt in erster Linie der Claviervirtuosen unserer Zeit.“219 Namentlich wird sie nicht nur mehrfach mit Sophie Menter,220 sondern auch mit „[…] Clavierheroen wie Liszt, Bülow, Rubinstein […]“221 verglichen. Als Kehrseite wird aber auch wiederholt darauf hingewiesen, dass ihre Interpretationen von Beethoven dem Geschmack der Zeit nicht entsprachen: „Das wunderbare Andante, ein Drama im kleinsten Rahmen, die wohl ergreifendste Gegenüberstellung von Solo und Orchester in der ganzen Concertliteratur, suchte Frau Essipoff all zu sehr aus der Tiefe zu holen, sie nahm es im unerhört langsamen Tempo, sich rubatos erlaubend, sodass das Orchester beinahe ausser Takt gerieth. Im Grunde ist solch freie Auffassung noch immer besser, als die oberflächliche Hast, mit der

216 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34. 217 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. August 1883, S. 451. 218 Vgl. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 34. 219 K.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Juni 1881, S. 299.Siehe auch Seite 72 der vorliegenden Arbeit 220 Vgl. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34, - k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13. März 1882, S. 51. 221 Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 21. Jänner 1876, S. 46.

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gar viele Spieler dieses Andante als reines Präludium nehmen, über welches sie möglichst rasch hinweg zum Finale zu kommen trachten, in welchem sie erst ihre „Technik“ zeigen können; aber die Essipoff nahm trotz alledem dem Stücke die Beethoven’sche Erhabenheit, verwandelte es gewissermasssen in ein Chopin’sches Nocturno allersentimentalster Art.“ 222 Ihrer Popularität und ihrem Ansehen schadeten solche Kritiken aber nicht.223 Ihr Ansehen und ihr Stellenwert wurden aber wohl auch durch die Heirat mit Theodor Leschetizky befördert, was unweigerlich durch Nebenbemerkungen wie folgende hervorgeht: „Annette Essipoff (seit einem Jahre als Frau Leschetizky stabil zur Wiener Künstlerschaft gehörig) […]“.224 Der Status ihres prominenten Lehrers und späteren Gatten spielt dabei immer wieder eine Rolle in den Rezensionen.225 Das wird wohl auch mit ein Grund dafür sein, dass Annette Essipoff und ihr Spiel mit Attributen wie „aristokratisch“,226 „elegant“227 und „Noblesse“228 charakterisiert wird. Ein weiterer Aspekt, der in vielen Kritiken hervorgekehrt wird, ist, dass Annette Essipoff es verstand das Publikum zu begeistern. „Frau Essipoff hat sich die Herzen des Cölner Publicums im Sturme erobert […]“229 wird von ihrem Konzert in Deutschland beispielsweise berichtet und nur ein Jahr später wurde festgehalten:

222 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 14. Juli 1876, S. 385. 223 Vgl. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34, vgl. Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 28. Jänner 1876, S. 59., vgl. Musikalisches Wochenblatt, 14. Juli 1876, S. 385, 224 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 19. März 1880, S. 160. 225 Vgl. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 23.März 1882, S.50.- vgl .k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34 226 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34.; k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Februar 1882, S. 86. 227 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 14. Juli 1876, S. 385. 228 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. März 1882, S. 138. 229 Dr. A. G, Musikalisches Wochenblatt, 12. März 1875, S. 134.

Fanny Davies und Annette Essipoff 93

„Bereits bei ihrem Erscheinen mit lebhaftestem Applaus und einem Orchestertusch begrüsst, brach nach jedem ihrer Vorträge ein wahrer Beifallssturm los.“230 Die vielen ausführlichen Rezensionen zeigen auch unterschiedliche Nuancen der musikalischen Darbietungen. Die in diesem Kapitel genannten Erwähnungen skizzieren jedenfalls deutlich den Stellenwert der Künstlerin und ihr Wirken in der öffentlichen Wahrnehmung.

230 Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 28. Januar 1876, S. 59.

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4.4 Gegenüberstellung Im folgenden Kapitel werden zusammengefasst Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der beiden Künstlerinnen Fanny Davies und Annette Essipoff dargestellt.

4.4.1 Konzerttätigkeit und Vita Repertoire Beide Künstlerinnen verfügten über ein sehr breites Repertoire, das sie zur Aufführung brachten. Dennoch setzten beide spezifische Schwerpunkte, für die sie berühmt und geschätzt wurden. Diese waren Chopin bei Annette Essipoff sowie Brahms und Schumann bei Fanny Davies. Zudem spielten beide Kammermusik sowie Solorecitals. Programmgestaltung Sowohl Annette Essipoff als auch Fanny Davies verstanden es für das Publikum ansprechende und abwechslungsreiche Programme zu gestalten. Die sogenannten „alten Meister“ wurden gerne mit Zeitgenossen und Zeitgenossinnen (!) kombiniert und auch virtuose Stücke vorgeführt, um neben dem musikalischen Vermögen auch die technische Raffinesse zum Ausdruck zu bringen. Beide haben auch gemeinsam, dass die Programmgestaltung zu Beginn ihrer Karrieren von den Lehrenden beeinflusst war. Lebensstil Ihre intensive Konzertpräsenz und Reisetätigkeit standen ständig im Vordergrund der Lebensgestaltung. Weder Fanny Davies noch Annette Essipoff gründeten eine Familie und beide blieben kinderlos. Förderung der Begabung Eine sehr früh beginnende und ständig andauernde Förderung der musikalischen Hochbegabung wurde beiden Pianistinnen zuteil. Tätigkeit als Lehrende Beide Künstlerinnen waren neben ihrer Tätigkeit als Konzertpianistin auch als Lehrende tätig. Während Annette Essipoff 1893 ans St. Petersburger Konservatorium berufen wurde, gab Fanny Davies ausschließlich Privatunterricht.

Fanny Davies und Annette Essipoff 95

4.4.2 Analyse der Aufnahmen Die Analysen der Aufnahmen bringen zutage, dass beide Künstlerinnen über eine brillante, hoch entwickelte Technik verfügten und ein sehr energie- und kraftvolles Spiel darboten. Der augenscheinlichste Unterschied liegt aber in der Musikalität der beiden Künstlerinnen. Während Fanny Davies den Eindruck von Beiläufigkeit und Leichtigkeit in ihrem Spiel erweckt, zeigen die Aufnahmen von Annette Essipoff durchwegs ein hohes Maß an Musikalität und vor allem eine dem jeweiligen Werk entsprechende Wandlungsfähigkeit. Zum Beispiel klingt zwar die Interpretation von Liszts Paraphrasen so „leicht“ und gleichzeitig virtuos wie sein Werk komponiert ist. Ein viel stärkeres Bemühen, musikalische Tiefe hervorzubringen, hört man hingegen bei der Interpretation der Variationen von Clara Schumann.

4.4.3 Zeitgenössische Rezensionen Aus der Gegenüberstellung der zeitgenössischen Rezensionen geht vor allem hervor, dass Annette Essipoff im deutschsprachigen Raum einen höheren Stellenwert und höheres Ansehen genoss als Fanny Davies. Das zeigt sich nicht nur durch Bezeichnungen wie „aristokratisch“, „gottbegnadete Virtuosin“, sondern auch durch Qualität und Quantität der Rezensionen, bei denen mit Superlativen nicht gespart wurde. Fanny Davies hingegen wird eher beiläufig erwähnt.231 Ein Grund für die Betonung des Ansehens in der Tagespresse Annette Essipoffs dürfte auch, wie in Kapitel 3.2.2 dargestellt, der gesellschaftliche Status des Lehrers und Gatten Leschetizky sein. In der Beschreibung des Spiels finden sich dieselben Aspekte wieder, welche auch aus der vorangegangenen Analyse herausgearbeitet wurden. So werden bei beiden Künstlerinnen die brillante Technik gelobt, aber die Interpretationen von Fanny Davies als (wenngleich repertoirebedingt) zu oberflächlich erachtet, wohingegen Annette Essipoff auch als ernstzunehmende Musikerin mehr geschätzt wird und sich den Vorwurf der Oberflächlichkeit nicht gefallen lassen muss. Das effektvolle und präzise Spiel von Annette Essipoff ist auch im

231 Wie sehr diese Beiläufigkeit der Kritiker von Rahmenbedingungen wie Nationalität bzw. Patriotismus oder rivalisierender Tendenzen der Monarchien beeinflusst wurden, konnte im Rahmen der Arbeit nicht erhoben werden

Fanny Davies und Annette Essipoff 96

Zusammenhang mit der Analyse der musikalischen Aufnahmen deutlich hervorgetreten. Auch dass Fanny Davies eine ausgezeichnete Kammermusikerin war, geht aus den Analysen hervor. Über die Kritiken generell ist zu sagen, dass mit keinem Wort Äußerlichkeiten wie Haltung, Kleidung, Schmuck usw. erwähnt wurden, wohl aber gelegentlicher Chauvinismus der männlichen Kritiker zwischen den Zeilen zu finden ist. Gerade, wenn Spitzenleistungen von Pianistinnen beschrieben werden, was bei beiden gewählten Persönlichkeiten der Fall ist, bleiben auch Vergleiche mit männlichen Merkmalen des Klavierspiels, wie z.B. der Aspekt der Kraft, nicht aus.

4.4.4 Anmerkungen zur Gegenüberstellung Die pädagogischen Wurzeln von Fanny Davies und Annette Essipoff bzw. das Wirken der Methoden von Clara Schumann und Theodor Leschetizky haben selbstverständlich zur Entwicklung der Künstlerinnen beigetragen. Vor allem bei Programmgestaltung und Repertoire sind die Einflüsse der Lehrenden, zumindest am Beginn der intensiven Konzerttätigkeit, offensichtlich. Ob diese Entwicklungen auch in den Tonaufnahmen oder im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionen identifiziert werden können, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht beurteilt werden. Gründe dafür sind zum einen, dass nur wenige Aufnahmen zur Verfügung stehen, andererseits mangelt es an Literatur. Ob eine Clara Schumann-Tradition in den Aufnahmen gefunden werden kann, wird in der Forschung sehr widersprüchlich diskutiert. Während Samuel Lipman in einem Vergleich von Tonaufnahmen von Fanny Davies, Ilona Eibenschütz, Adelina de Lara und Nathalie Janotha nur essentielle Unterschiede, aber keine signifikanten Gemeinsamkeiten feststellte, halten Claudia de Vries und Will Crutchfield nachdrücklich fest, dass Clara Schumanns Tradition durch Gemeinsamkeiten hervortrete.232 Wie aus Berkman hervorgeht, fußte Annette Essipoffs Pädagogik auf der Methode von Leschetizky, welche sie mit technischen Übungen erweiterte und

232 Babbe: Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a.M., S.66-125, S. 87.

Fanny Davies und Annette Essipoff 97 verfeinerte.233 Fanny Davies war auch als Pädagogin tätig, jedoch sind keine Quellen gefunden worden, welche ihre Methoden belegen.

233 Vgl. Berkman: A. N. Esipova, S. 65-142.

5 Pianistinnen und Künstlerinnen heute

Ein Blick auf die großen Pianistinnen und Pianisten der Gegenwart offenbart eine quantitative Übermacht der Pianisten. Jürgen Otten zählt zum Beispiel 62 Männer zu den „großen Pianisten der Gegenwart“ und nur neun Pianistinnen.234 Eine statistische Schieflage, die sich nicht in den Studienzahlen widerspiegelt. Beispielsweise studieren an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz im Wintersemester 2016/17 im Studiengang Klavier235 43 Frauen und 23 Männer.236 Im Wintersemester 2004/05 waren im selben Studiengang 24 Frauen und zehn Männer inskribiert. 237 Im folgenden Kapitel werden Rahmenbedingungen von konzertierenden Künstlerinnen der letzten 50 Jahre dargestellt und Faktoren identifiziert, welche die Spitzenkarrieren einiger Pianistinnen positiv beeinflusst haben. Am Ende des Kapitels werden die Unterschiede zur Situation der Pianistinnen im 19. Jahrhundert vergleichend gegenübergestellt.

Jeder Betrachtung voranzustellen ist der enorme Druck, dem konzertierende Künstlerinnen und Künstler heute ausgesetzt sind. Kritiker verfolgen jedes Konzert und publizieren schonungslos, das künstlerische Angebot ist für eine im Vergleich zur Popkultur kleine Zielgruppe sehr groß und die öffentliche Aufmerksamkeit sprunghaft und kurzlebig. Die berühmte Opernsängerin Edita Gruberova fasst die Belastung und die dadurch resultierende Erschöpfung mit den Worten zusammen:

234 Jürgen Otten: Die großen Pianisten der Gegenwart, Berlin, 2009, S. 236-285. 235 Summe aus Bachelor- und Masterstudiengang. 236 Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Studierendenstatistik Wintersemester 2016/17, Stand 27.11.2016, https://online.kug.ac.at/KUGonline/Studierendenstatistik.html?pAuswertung=8&pSJ=1037&pSe mester=W&pGruppierung=2 ; Zugriff am 03.12.2016. 237 Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Studierendenstatistik Wintersemester 2004/5, Stand 15.12.2004, https://online.kug.ac.at/KUGonline/Studierendenstatistik.html?pAuswertung=8&pSJ=1025&pSe mester=W&pGruppierung=2; Zugriff am 03.12.2016.

98 Pianistinnen und Künstlerinnen heute 99

„Ich glaube, die meisten Menschen können sich überhaupt nicht vorstellen, was es heißt, sieben, acht Monate im Jahr aus dem Koffer zu leben, keine eigenen vier Wände zu haben, nicht von der Familie und den persönlichen Dingen des täglichen Lebens umgeben zu sein. Unser Beruf sieht so sehr nach Glimmer aus, aber den Tag nach einer Vorstellung todmüde alleine im Hotelzimmer zu fristen und auf den nächsten Auftritt zu warten, das ist manchmal etwas wirklich Furchtbares.”238 Sie erwähnt nicht nur den Kontrast zwischen Öffentlichkeit und Einsamkeit, sondern auch die körperliche Erschöpfung sowie den Aufenthalt in der Fremde, fern von der Familie, als Belastung. Der hohen körperlichen Belastung ist es geschuldet, dass in die Betrachtung der Rahmenbedingungen von Pianistinnen auch die weibliche Physiologie miteinbezogen werden muss. Dazu gehören in erster Linie die tendenziell kleineren Hände im Vergleich zu jenen der Männer. Diese bedingen eine größere physische Belastung beim Spielen. Um diesen physischen Belastungen nachhaltig entgegenzuwirken, ist eine „gesunde“ Klavierschule bereits in den frühen Jahren der Ausbildung eine wichtigere Bedeutung beizumessen. Der Spielapparat muss frei sein sowie die Muskeln gut trainiert, bei gleichzeitiger Leichtigkeit und Mühelosigkeit beim Spiel. Chronische Krankheiten und Schmerzen durch falsche Haltung und falsch eingelernte Bewegungsabläufe bedeuten oftmals das Pausieren oder Beenden von Konzerttätigkeiten oder aktiven Karrieren. Das Unterbrechen von Konzerttätigkeiten ist ob der bereits angesprochenen unbeständigen öffentlichen Aufmerksamkeit und des großen künstlerischen Angebotes nachteilig für die Entwicklung von Karrieren. Ein Umstand, der vor allem bei Schwangerschaften der Künstlerinnen zum Tragen kommt. Je nach Status und Position auf der Weltbühne ist es schwieriger oder leichter wieder zurückzukehren. Viele Frauen belasten ihre Gesundheit im hohen Maße aus Angst die Bühne zu verlieren, was sich an erster Stelle als psychische Belastung niederschlägt, um so schnell wie möglich wieder konzertieren zu können. Mit der Schwangerschaft und der Rückkehr auf die Bühne geht ein weiterer Aspekt

238 Niel Rishoi: Edita Gruberova- Ein Porträt, Zürich / Mainz, 1996, S. 8, zitiert nach: Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, S. 154.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 100 einher: der des äußerlichen Erscheinungsbildes. Ein Aspekt, der bei Künstlerinnen im besonderen Fokus der Aufmerksamkeit steht. Um in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt eine Chance zur Honorierung der künstlerischen Leistungen zu haben, sind Frauen dazu verpflichtet eine tadellose äußere Erscheinung zu haben. Dazu gehören neben der Physiologie noch Kleid, Schmuck und Schuhe sowie Körperhaltung und Ausstrahlung. Sehr oft fließen diese Aspekte mit in die öffentlichen Konzertkritiken, wie folgender Beitrag über die Dirigentin Sarah Caldwell zeigt: „Sie ist eine rundliche Frau von mittelgroßer Statur mit einer sanften, aber durchaus gebieterischen Altstimme, die sich in lange, weite, wallend bequeme, schlecht sitzende und meist ungebügelte Gewänder hüllt, alle vom selben Schnitt und in konservativen Farben. Sie dirigiert in Pantoffeln und zieht sich erst zu den (meist zahlreichen) Verbeugungen vor dem Vorhang Straßenschuhe an. Sie trägt ihr Haar glatt nach hinten gekämmt, meist mit einem schlichten Band gehalten, und geht nur vor großen Premieren und auch dann nicht immer, zum Friseur, und wenn es dann, offensichtlich künstlich gewellt, über den kurzen Nacken fällt, paßt solche kurzlebige Eleganz ganz und gar nicht zu ihrer die Außenwelt völlig mißachtenden Persönlichkeit.”239 Abgesehen davon, dass in der Beschreibung von Sarah Caldwell, einer erfolgreichen Dirigentin, sofort auf die Figur eingegangen wird, wird zudem noch ihr Erscheinungsbild charakterisiert und darüber gemutmaßt, wie oft sie zum Frisör geht. Ein Umstand, mit dem männliche Künstler eher nicht oder nur bei bewusster Provokation durch Extravaganz konfrontiert werden. Die Beschreibung der optischen Erscheinung geht in manchen Veröffentlichungen noch weiter, wie folgendes Beispiel anhand eines Artikels über die Geigerin Anna-Sophie Mutter zeigt: “[...] Ausstrahlungsstark, attraktiv im

239 Journal Musik und Medizin, N.5, 1977 zitiert nach: Ute Schalz-Laurenze: Attraktiv, stürmisch und blond - Beobachtungen und Überlegungen zum Sexismus in der Musikkritik, in: Hoffmann / Rieger (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin, S.183-199, S. 192.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 101 schulterfreien, eng auf die Figur geschnittenen, leuchtend-roten Abendkleid […].”240 An folgender Konzertkritik lässt sich ableiten, wie dominant der Faktor der optischen Ausstrahlung ist. Der Autor verlässt die Beschreibung des Spiels vollständig und beginnt über die Natur der Frauen, konkret des Pianoduos Katia und Marielle Labeque, zu phantasieren: „Sie spielen zusammen Klavier und sie sehen sehr gut aus. Sie haben dunkelbraune Lockenmähnen und ebenholzfarbene Augen. Und sie sind obendrein Französinnen. Keine Frage: die beiden Schwestern Katia und Marielle Labeque haben einen Sympathiebonus, um den männliche Kollegen meist vergeblich ringen. Beneidenswert? Nicht unbedingt. Denn diese Medienwirksamkeit birgt auch Gefahren. Umso erstaunlicher, wie die beiden Französinnen diesen Risiken entgehen und trotzköpfig nur das machen, was sie wollen.”241 Der Autor beginnt sofort mit der Beschreibung des Aussehens und verknüpft dies nach seiner Vorstellung mit Klischees von deren Nationalität. Dieser fährt weiter fort: “Während die eine, Marielle, regungslos versunken über den Tasten kauert, rutscht die andere, Katia, nervös auf ihrem Hocker, ächzt, stöhnt und schleudert mit paganinesker Grandezza die krampfig gespreizten Hände nach oben. Der Eindruck bestätigt sich auch klanglich: expressiv- theatralisch gibt die eine Impulse, die die andere introvertiert-gelassen verarbeitet. Katia, die Gebende, und Marielle, die Nehmende. Die Wilde, Ungestüme und die Sanfte, Beschwichtigende.”242 Spätestens an dieser Stelle ist der Boden der Realität verlassen und der Autor stellt nur noch Eigenschaften übertreibend und interpretierend dar. Was sich

240 Simon Neubauer: Makellose Schönheit - Sonderkonzert Anne Sophie Mutter, in: Weser- Kurier, 13.3.1989, zitiert nach: Schalz-Laurenze: Attraktiv, stürmisch und blond S.183-199, S. 193. 241 Moc., Das Duo der Gegensätze, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.9.1985, zitiert nach Schalz-Laurenze, S.183-199, S.191. 242 Moc., Das Duo der Gegensätze, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.9.1985, zitiert nach Schalz-Laurenze, S.183-199, S.192.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 102 auch durch den Umstand äußerst, dass keine Klavierliteratur für Pianoduo spieltechnisch so gegensätzlich ist, wie der Autor vermutet. Dabei können andererseits solche detaillierten Beschreibungen des Aussehens sogar als Vermarktung und Werbung verwendet werden. Das Publikum, das beim Konzert nicht anwesend war, könnte damit angelockt werden, um zum nächsten Konzert zu kommen und so eine “Schönheit” zusammen mit einer guten Musik live erleben zu können. Einerseits wirkt solche Werbung vermutlich positiv auf das zahlreiche Erscheinen des Publikums und unterstützt generell Interpretinnen in der klassischen Musik auf den Konzertbühnen. Dieser Kniff in der Bewerbung von künstlerischen Veranstaltungen und Persönlichkeiten wurde bereits im 19. Jahrhundert verwendet und funktionierte auch damals, wie aus einer Rezension von Hanslick über die Schwestern Ferni hervorgeht: „Man weiß aus den Zeitungen, wie halb Italien für Virginia und Carolina Ferni schwärmte; zu dem Ruhme ihrer Kunst gesellte sich der ihrer Schönheit und erhielt durch hochromantische Abenteuer in jüngster Zeit ein rotes Siegel der Beglaubigung. Durch musikalischen und anekdotischen Zeitungslärm angelockt, hatte sich ein großes Publikum im Theater an der Wien eingefunden, wo die Schwestern Ferni ihr erstes Konzert gaben.“243 Andererseits könnte so eine Vermarktung ganz anders interpretiert werden. Die Gesetze des Showbusiness machen auch vor der klassischen Musikszene nicht Halt und aufgrund der hohen Konkurrenz ist jedes Unterscheidungskriterium und jedes persönliche Charakteristikum bedeutend. Wie bedeutend dabei die äußerliche Schönheit ist oder das, was im jeweiligen Kulturkreis als „schön“ und „attraktiv“ gilt, zeigen auch aktuelle Plakate, Tonträgercover, Bilder von Künstlerinnen in den Printmedien und im Internet. Gemeinsam mit der hohen Kunst und dem „schönen“ und perfektionierten Äußeren sollen diese das Bild des „idealen“ Menschen verkörpern. Ein Umstand, welcher den bereits angesprochenen öffentlichen Druck zu einem Teufelskreis macht. Monika Steegmann formuliert die Situation mit den Worten:

243 Hanslick: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 2, S.160.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 103

„Musik ist zu einem lukrativen Wirtschaftszweig geworden und wo Konkurrenzdruck und Karriereeifer dominieren, ist der Weg über Effekte und Technik als nachvollziehbare Leistung der aussichtsreichste, der einträglichste.“244 Dennoch ist diese Suche nach Aufmerksamkeit mittels Effekten und Technik nur nachhaltig, wenn gleichzeitig musikalische Spitzenleistungen geboten werden und das Publikum von der Kunst berührt wird.245 Auch die Kammersängerin und Intendantin Brigitte Fassbaender sieht in den Eigenschaften Begabung und Fleiß die wesentlichsten Grundbausteine für eine nachhaltige und erfolgreiche Karriere. Ihr zufolge gibt es kein Generalrezept für den Weg, der an die Spitze führt. Dennoch stellt sie eine robuste Gesundheit, eine charismatische Persönlichkeit sowie eine solide Ausbildung und beständiges Wachsen und Reifen in der Kunst vor gestylte Hochglanzfotos.246 Die Cellistin Sol Gabetta sieht ebenso die Faktoren Leistung und Übung als Weg zum Erfolg kombiniert mit Selbstständigkeit und Willensstärke. Dabei muss das angestrebte Ziel sein, das Publikum und die Menschen durch die Musik zu berühren, damit diese Glück empfinden können. Diese Fähigkeit zur Kommunikation und zum Berühren des Publikums ist das Erfolgsrezept, das auch nachhaltigen Erfolg verspricht. Das ist aber harte Arbeit, die mit ständigem Wachsen und Reifen in der Kunst verbunden ist. Management und Marketing können in Wahrheit auch nur dann erfolgreich arbeiten, wenn diese Faktoren erfüllt sind.247 Die Pianistin Elisabeth Leonskaja beantwortet die Frage nach ihrem Erfolgsrezept mit: „Ehrlichkeit - die Musik verträgt nicht die Lüge.“248 Die Ehrlichkeit der Kunst wird ihr zufolge vom Publikum honoriert und ist der langfristig angelegte und nachhaltigere Weg zum Erfolg, wobei sie aber hinzufügt, dass eine Interpretation niemals darauf ausgelegt werden kann, um zu gefallen. Sondern diese müsse ehrlich sein und den Willen der Komponisten

244 Steegmann / Rieger (Hrsg.): Frauen mit Flügel, 1996, S. 19. 245 Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, S. 185 ff. 246 Vgl. Büchter- Römer, S. 65. 247 Vgl. Büchter- Römer, S. 143. 248 Büchter- Römer, S. 74.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 104 sowie die eigene Gestaltungskraft beinhalten. Dabei hatte sie nie den Wunsch berühmt, sondern für ihre Kunst anerkannt zu werden. Welche Strapazen das mit sich bringt, habe sie zu Beginn ihres Lernens nicht ahnen können.249 Ute Büchter-Römer resümiert nach Interviews mit namhaften Künstlerinnen, dass deren Erfolg in der früh erkannten Begabung sowie der intensiven Förderung und harten Arbeit begründet liegt sowie in hoher Willensstärke und Frustrationstoleranz, um Misserfolge und Rückschläge verkraften zu können. Besonders bedeutend ist dabei, dass die Entwicklung der künstlerischen Persönlichkeit durch geeignete Lehrende und Bezugspersonen richtig gefördert werde. Das musikalische Eins-Sein mit sich selbst ist der tiefste Willensgrund für einen ehrlichen und berührenden musikalischen Ausdruck. Umso wichtiger ist dabei die Person des Lehrenden. Dabei müssen Hör-und Tongedächtnisvermögen genauso gefördert werden wie Willensstärke und die Möglichkeit zur musikalischen Entfaltung. Diese wird überwiegend vom Elternhaus geprägt und in späterer Folge vom Lehrenden ausgebaut. Ohne diese Förderung und Unterstützung kann das größte Talent nicht zur Entfaltung kommen.250 Das Talent würde brachliegen oder sich eventuell die Bezugsperson zur Förderung selbst suchen. Nach dem künstlerischen Willen, die Technik zur Beherrschung des Instruments zu erlangen, folgt die musikalische Auseinandersetzung mit dem Stoff. Nur wenn diese Faktoren erfüllt sind, kann die Künstlerin oder der Künstler auf der Bühne das Publikum berühren und die Auftritte werden zum Erfolg. Managementarbeit und das richtige Marketing sind dabei sehr wichtig, um in die öffentliche Aufmerksamkeit zu kommen und darin verankert zu bleiben. Wie oben bereits ausgeführt, ist dabei die äußere „Schönheit“ sicherlich ein Wettbewerbsvorteil und wird mitunter aktiv als solcher propagiert. Der nachhaltige Erfolg stellt sich aber nur mit einer tiefgründigen musikalischen Persönlichkeit ein.251 Im Vergleich zu den Karrieren von Fanny Davies und Annette Essipoff fallen einige Gemeinsamkeiten zur heutigen Situation auf. Das ist zum einen die hohe

249 Vgl. Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, S. 74 ff. 250 Wie die Vita von Clara Schumann und vielen anderen zeigt. 251 Vgl. Büchter- Römer, S. 180ff.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 105

Bedeutung der frühen und richtigen Förderung der Begabung. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass der Konkurrenzdruck nach wie vor sehr hoch ist und der Aufbau einer Karriere als Konzertpianistin einen hohen persönlichen Einsatz und eine große Reisebereitschaft fordert. Fanny Davies, Annette Essipoff und auch die oben zitierten Künstlerinnen sind bzw. waren einige Monate im Jahr unterwegs und „leben aus dem Koffer“, wie es Edita Gruberova formulierte. Dieser Einsatz erfordert auch, dass sämtliche Lebensinhalte und -ziele der Karriere untergeordnet werden müssen. Eine Tatsache, die sich auch darin widerspiegelt, dass sowohl Fanny Davies als auch Annette Essipoff kinderlos blieben. Eine weitere Gemeinsamkeit ist jene, dass konzertierende Künstlerinnen über ein sehr breites Repertoire verfügen, aber spezifische Schwerpunkte haben, für die sie berühmt und geschätzt werden. Wie Fanny Davies für Brahms und Schumann, Annette Essipoff für Chopin oder auch Martha Argerich252 für Schumann und Mitsuko Uchida für Mozart.253 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Vergangenheit und Gegenwart zeigt sich in der Struktur der Kritiken und Kritiker. Obwohl die Namen der Autoren der in Kapitel 4.3 dargestellten Kritiken nicht vollzählig bekannt sind, sind die namentlich genannten Rezensenten allesamt männlich. Auch heute ist die Mehrheit bedeutender Musikkritiker männlich.254 Es gilt aber auch Unterschiede aufzuzeigen. So zum Beispiel ist die Professionalität der Vermarktung nicht nur zeitbedingt deutlich gestiegen, sie hat auch einen unverzichtbaren Stellenwert erreicht. Auch wenn, wie bereits dargestellt wurde, sowohl Fanny Davies als auch Annette Essipoff versuchten mit anregender, abwechslungsreicher und interessanter Programmgestaltung das Publikum zu begeistern, stand doch die Musikalität im Vordergrund, d.h. das eigene Spiel war ihre beste Werbung. Andere repräsentative, plakative und

252 Vgl. Otten: Die großen Pianisten der Gegenwart, S. 28 ff. 253 Vgl. Otten, S.104 ff. 254 Vgl. Wikipedia. Freie Enzyklopädie, https://de.wikipedia.org/wiki/Musikkritiker#Bekannte_Musikkritiker_des_20._Jahrhunderts, Zugriff am 11.12.2016.

Pianistinnen und Künstlerinnen heute 106 meinungsbildende (Massen-)Medien wie Hochglanzmagazine und Werbefotografien standen klarerweise nicht zur Verfügung.

Fazit Es zeigt sich, dass es erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen den Karriereverläufen von Pianistinnen der Vergangenheit und Gegenwart gibt. Dabei ist zu nennen die hohe Begabung, welche als Grundvoraussetzung für alles künstlerische Schaffen unerlässlich ist und welche sehr früh erkannt und durch geeignete Lehrende richtig gefördert werden muss. Weitere Gemeinsamkeit sind die hohe Ausdauer und robuste Gesundheit um Tourneeplan, Aufnahmetermine und gesellschaftliche Verpflichtungen wahrnehmen und um eine konstant hohe Leistung erbringen zu können. Eine weitere Parallele ist, dass (nach wie vor beinahe ausschließlich männliche) Kritiker sämtliches Schaffen bewerten und Meinungsbildung betreiben. In puncto Öffentlichkeitswirksamkeit sind jedoch die Mittel professionalisierter und vielseitiger geworden, bedingt durch die Möglichkeiten der modernen Medien und Faktoren wie Konkurrenzdruck und Schnelllebigkeit. Es ist jedoch wichtig die jeweilige Zeitströmung im Auge zu behalten und möglicherweise dieser auch kritisch zu begegnen. Um als Künstlerin nachhaltig erfolgreich zu sein, ist aber die wichtigste Eigenschaft, in der Kunst ständig zu reifen und sich weiterzuentwickeln, denn nur mit echter und wahrhaftiger Kunst kann man das Publikum berühren und der Zuhörerschaft langfristig in Erinnerung bleiben. Um hier nochmals Elisabeth Leonskaja zu zitieren: „Ehrlichkeit - die Musik verträgt nicht die Lüge.“255

255 Vgl. Büchter- Römer: Spitzenkarrieren von Frauen in der Musik, S. 74.

6 Anhang

In den Kapiteln 6.1 und 6.2 sind die Rezensionen als Volltext dargestellt, welche die Grundlage der Gegenüberstellung in Kapitel 4.3 bilden.

6.1 Rezensionen über Fanny Davies

„Im Alten Gewandhaus producirte sich am 5. Januar die Pianistin Miss Fanny Davies. Früher Schülerin des hiesigen Conservatoriums, speciell der HH. Prof. Dr. Reinecke und Prof. Dr. Paul, hat sie später den Unterricht der Frau Clara Schumann genossen, dessen Resultate die fragl. Soiree erkennbar werden lassen sollte. In den Vorträgen der jungen Engländerin bekundete sich zweifelsohne ein frisches, in der künstlerischen Entwickelung bereits recht vorgeschrittenes Claviertalent, dem vorläufig Stücke wie Scarlatti’s Harpsichord, Graun’s B moll-Fuge, Presto scherzando und Scherzo von Mendelssohn, „Gnomenreigen“ von Liszt, Gavotte von Reinecke und Valse allemande von Rubinstein, zu deren Wiedergabe vor Allem klare und sichere Technik und temperamentvolles Spiel unerlässlich sind, allerdings noch bequemer liegen als S. Bach’s Fantasia cromatica, Beethoven’s Sonate Op. 101 und Schumann’s „Carnaval“, wie überhaupt Compositionen von tieferem geistigen und poetischen Gehalte.“ Musikalisches Wochenblatt, 13. Jänner 1887, S. 28.

Erwähnen wir also noch, dass die Pianistin Frl. Fanny Davies aus London in dem Vortrag des Beethoven’schen Gdur-Concertes und kürzeren Stücken von Reinecke, Mendelssohn und Raff den günstigen Eindruck, den ihr Spiel vor Jahresfrist in einem eigenen Concert machte, noch mehr, und zwar namentlich nach Seite der musikalischen Ausgestaltung, dass an Stelle des durch plötzliche Unpässlichkeit an der zugesagten Mitwirkung verhinderten Hrn. Reichmann aus Wien unser Hr. Perron mit gewohnter Noblesse, aber auch mit gewohnter Neigung zum Tremoliren und Tempoverlangsamen eine Spohr’sche Arie und Lieder von Schubert

107 Anhang 108

und Franz sang, und dass das Concert mit der vorzüglich gespielten „Genovefa“-Ouverture von Schumann schloss. Musikalisches Wochenblatt, 12. Jänner 1888, S. 33.

„Frl. Fanny Davies hat sich bei dem Musikfest durch correcte und höchst intelligente Vorführung des Schumann’schen A moll-Clavierconcertes hervorgethan.“ Musikalisches Wochenblatt, 13.September 1888, S. 446.

Glasgow. Der Pianist Hr. Paderewski wurde am 6. Nov. in einem Recital von einem zahlreichen und enthusiasmirten Publicum begrüsst. Frl. Fanny Davies gab vor schwach besetztem Hause ein Recital, hatte aber bedeutenden Erfolg mit ihren Spenden, sodass sie zu einer Zugabe sich verstehen musste. Musikalisches Wochenblatt, 20. November 1890, S. 603.

Zuerst kam Lady Hallö aus London und geigte ganz wunderschön und zur allgemeinen Erbauung die „Gesangsscene“ von Spohr, die Edur- Romanze von Beethoven und Saint-Saëns’ Rondo capriccioso, dann liess sich die vortreffliche Leipziger Clavierspielerin Frl. Meta Walther mit Chopin’s Fmoll-Concert und kleinen Stücken von Schumann und Liszt hören, und als letzte Gäste stellten sich die jugendliche hochbegabte Pianistin Miss Fanny Davies aus London, die Kompositionen von Beethoven, Schumann, Chopin und Rubinstein ausgezeichnet hübsch, sehr zum Gefallen der Hörer, vortrug, und der Tenorist Hr. Robert Kaufmann aus Basel ein, der aber mit seiner uninteressanten und tonlosen Art des Singens der Arie aus Brahms’ „Rinaldo“ und verschiedener Lieder von Schubert ebensowenig dem Publicum, als sich selbst Nutzen brachte. Musikalisches Wochenblatt, 19. November 1891, S. 609.

In dem zwischen die Quartette geschalteten B dur-Klaviertrio op. 97 von Beethoven vertrat Frl. Fanny Davies aus London den Klavierpart. Die Dame spielte mit einwandfreier musikalischer Sicherheit und

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Schmiegsamkeit gegen ihre Partner, phrasierte sorgfältig und verständig und brachte nach der technischen Seite alles ungemein sauber, klar und durchsichtig heraus; nur die Auffassungsweise war zu sehr auf das Niedliche, Feine, Zierliche gerichtet, als dass sie z. B. im ersten und mehr noch im zweiten Satze des Trio der Empfindungstiefe Beethoven’s voll zu ihrem Rechte verhelfen hätte. Musikalisches Wochenblatt, 10. Jänner 1907, S. 38.

Ein gemeinsames Konzert im Bechsteinsaal veranstalteten an demselben Abend die Pianistin Fanny Davies und der Tenorist Gervase Elwes. Von Ersterer hörte ich Brahms’ D dur-Variationen über ein eigenes Thema, op. 21 und mehrere ältere Werke von Jos. H. Fiocco d’Anners (1690—1781) und Mathias van den Gheyn (1721—1785) vortragen. Ein schöner, weicher Ton, eine behende Technik, ein dezenter, geschmackvoller Vortrag sind die Vorzüge, die der Künstlerin nachzurühmen sind. Paul Schulze, Musikalisches Wochenblatt, 17. Januar 1907, S. 57.

Einen Brahmsabend gab am 18. Januar unter Assistenz des vortrefflichen Klarinettisten und […] Kammervirtuosen Richard Mühlfeld die Pianistin Fanny Davies. Sie ist auf dem Podium des Kaufhauses kein Fremdling mehr. Die Aussenteile ihres Programms wurden durch die beiden Brahms'schen Klarinettensonaten in F moll und Es dur (op. 120) gebildet, […]wobei Herrn Mühlfeld’s meisterliche Behandlung seines Instrumentes, sein blühender Ton, die von allen Unebenheiten befreite Technik, seine Kunst der Phrasierung wie überhaupt die durchaus musikalische Art des Vortrags wieder aufs angenehmste auffielen. Auch Fräulein Davies erschien in günstiger Disposition. Ihr Spiel hatte Glätte und Geschmack, war von geistiger Regsamkeit diktiert, ohne indessen durch persönlichen Zug oder durch Zutagefördern verborgener Schönheiten zu überraschen. An einigen Stellen hätte sie den Klavierpart dem der Klarinette dynamisch noch besser anpassen und unterordnen sollen. Von den zwischen beiden Sonaten dargebotenen Brahms’schen Klavierstücken gelangen Fräulein Davies am glücklichsten die Intermezzi

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in A dur (op. 118 No. 2) und C dur (op. 119 No. 3), sowie das H moll- Capriccio (op. 76 No. 2), wogegen das G moll-Capriccio (op. 116 No. 3) nicht plastisch genug herauskam, auch einen leidenschaftlicheren Ton vertragen haben würde. Im Pedalgebrauch tat die Spielerin des Guten mitunter zu viel. Felix Wilfferodt, Musikalisches Wochenblatt, 24. Januar 1907, S. 88.

Was von Fräulein Davies erst kürzlich hier gesagt wurde, fand wiederum Bestätigung: ihr Spiel ist flüssig und nicht unbelebt. So kommt es zu erfreulichen Momenten, zu geschmackvoller Ausgestaltung von Einzelzügen. Aber man fühlt sich nie eigentlich gepackt, muss im Gegenteil öfters Widerspruch erheben gegen der Spielerin Art, das Pedal zu verwenden und zu verschwenden. Neben einer Komposition ihres Lehrers Carl Reinecke (Variationen über ein Thema von Bach) hatte Fräulein Davies Werke von Schumann, Liszt, Sgambati u. a. aufs Programm gesetzt. Felix Wilfferodt, Musikalisches Wochenblatt, 07. Februar 1907, S.143.

Eine gute Aufnahme fand an gleicher Stelle die inzwischen auch in Leipzig erschienene englische Pianistin Frl. Fanny Davies, zumal durch ihre schöne Technik. Wirkliche Verinnerlichung aber, die unser Empfinden an der Geistesflamme grosser Tonsetzer zu entzünden vermag, sprach aus dem Spiele nicht. Paul Hiller, Musikalisches Wochenblatt, 28. März 1907, S. 322

Eine sehr gediegene, technische Grundlage besitzt auch Frl. Fanny Davies, der nur etwas eingehendere musikalische Vertiefung zu wünschen wäre. Dr. Hugo Daffner, Musikalisches Wochenblatt, 15. August 1907, S.684- 685.

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6.2 Rezensionen über Annette Essipoff

Die oben als reichbegabte Clavierspielerin bezeichnete Solistin nennt sich Annette Essipoff und ist dem Alter nach eine noch ganz jugendliche Erscheinung. Als Virtuosin, rein technisch betrachtet, darf sie dreist mit den besten und berühmtesten ihrer Colleginnen und auch Collegen in die Schranken treten, die Bravour ihres Spieles in dieser Hinsicht ist sie ausserordentlich und liess sich in den zum Vortrag gewählten Stücken, dem E moll-Concert von Chopin (mit den willkürlichen Octavengängen am Schluss), dem Andante und Scherzo in E moll von Mendelssohn, einem Walzer von Baff und einer zugegebenen Fantasie, hinlänglich werthschätzen. Weiter ist ihr ein aller Nuancen fähiger Ton ohne Rückhalt nachzurühmen. Eine gleiche Reife fehlt bislang hingegen noch der ideellen Darlegung, doch lassen glücklicherweise die da und dort aus dem Spiel der jungen Dame herausspringenden echten Geniefunken eine erhöhte geistige Vertiefung nur noch als eine Frage der Zeit erscheinen. Das hoffnungsvolle Mädchen wurde von den Beifallssalven bald erdrückt. Musikalisches Wochenblatt, 2. Februar 1872, S. 88.

Die eigentliche Heldin der Philharmonischen Concerte, ja, wenn man die Stimmung des Publikums ins Auge fasst, unseres gesammten bisherigen Musiklebens, war die zweite Gattin des berühmten Virtuosen Leschetitzki, die sich aber nach ihrem Familiennamen Annette Essipoff nennt. In Annette Essipoff ist uns unstreitig eine der Pianistinnen unserer Zeit begegnet, welche der mit Recht gefeierten, liebenswürdigen Sophie Menter nicht im Mindesten nachsteht. Und doch können nicht leicht zwei Individualitäten verschiedener sein, als die der zwei reizenden Künstlerinnen aus München und St. Petersburg! Hier, bei Sophie Menter, Alles kerngesunde Natur, jugendliches Ungestüm und mitunter wohl auch jugendliche Unüberlegtheit; dort bei Annette Essipoff lauterer Esprit, edles Maaß und verständigste Reflexion, die feinste Blüthe der Kunst. Frau Menter ist eine im besten Sinne demokratische, oder, wenn man will, demagogische, Frau Essipoff eine durch und durch

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aristokratische Spielerin; der Ersteren donnernde Bravour elektrisiert die Massen, der Letzteren bis ins minutiöse Detail durch durchgebildete Technik entzückt die Musiker. Wenn die treuherzige Sophie Menter sich zur entschiedenen Lieblingspianistin des grossen Meisters Franz Liszt aufgeschwungen hat, so hätte für Annette Essipoff Sigismund Thalberg schwärmen müssen, wenn er die Vorträge der graziösen Russin erlebt hätte. Bezüglich der Auffassung der Tonwerke wird man wohl Frau Essipoff die Palme reichen müssen, sie ist neben den Damen Clara Schumann und Auguste Auspitz-Kolar die geistreichste Pianistin, welche wir kennen. Frau Essipoffs zartsingender Anschlag, ihre unvergleichlichen Arpeggien, Terzen- und Sextengänge, ihre vornehmlich zum Weichen, Sentimentalen neigende Empfindung prädestiniren sie zur Interpretation Chopins; ihre vollkommenste, künstlerisch befriedigendste Leistung bleibt daher für uns noch immer ihr erstes Debüt: Chopin’s E moll-Concert in der zweiten Matinee der Philharmoniker. Die wundersam gekräuselten Melismen und Fiorituren, welche aus der Chopin’schen Cantilene wie die äußersten luftigen Zweige und Wipfel eines schönen Baumes emporwachsen, gab Annette Essipoff durchaus beseelt, als organische Theile eines grossen Ganzen, während manche unserer modernen Tastenstümer in der Regel daraus das unleidlichste, ausserlichste Flitterwerk machen, welches die lieblichen Melodien buchstäblich erstickt. In ihren drei selbständig gegebenen, bis auf das letzte Plätzchen gefüllten Concerten offenbarte uns Frau Essipoff andere Seiten ihres Talentes, so ein enormes Gedächtnis und das ausgeprägteste rhythmische Gefühl, welches, bei Frauen sonst so selten, direct an ihren Meister und jetzigen Ehemann Leschetitzki. Das überaus häkelige und spiessige Finale des Rubinstein’schen D-moll-Concertes verstand sie in einer Weise scharf herauszuarbeiten, dass der Componist selbst gestaunt hätte. Charakterbild vervollständigte sich übrigens auch in negativer Weise: wir wissen nun seit der russischen Virtuosin zweitem Concerte, dass Frau Essipoff keine gottbegnadete Beethoven-Interpretin ist. Die Spielerin hatte sich in der grossen Waldstein- Sonate (C dur, Op. 53), eines der klarsten und glanzvollsten Beethoven'schen Werke erwählt, das

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überdies für ihre Technik wie geschaffen ist: dennoch vermochte sie dem Stücke nicht völlig gerecht zu werden. Die Ausführung war technisch meisterlich, aber zu sprunghaft, zu wenig aus dem Vollen. Der erste Satz entbehrte der Grösse und Plastik, im letzten trat zwar die bezaubernde Anmuth der Hauptmelodie, nicht aber der grossartige Heroismus der Zwischensätze, sowie der bacchantische Jubel des Schlusses hervor. Im Allgemeinen klang die Waldstein-Sonate, wie sie uns Frau Essipoff bot, anmuthig, wechselvoll und echt musikalisch, nur aber nicht recht Beethovenisch. Es ist sehr bemerkenswerth, dass der Altmeister für die Mehrzahl auch der gefeiertesten Virtuosinnen (Sophie Menter, Mary Krebs, Pauline Fichtner u. s. w.) ein „mit sieben Siegeln verschlossenes Buch“ bildet. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34.

Den Glanzpunct bildeten übrigens die Claviersolovorträge von Frau Annette Essipoff aus St. Petersburg (Concert von Chopin in E moll und kleinere Sachen). Sauberer und schöner kann man unmöglich spielen. Was die Pianistin ganz besonders auszeichnet, ist ein förmlicher „Gesang“ auf dem Tasteninstrumente. Frau Essipoff hat sich die Herzen des Cölner Publicums im Sturme erobert. Das Concert begann mit der Jupitersymphonie von Mozart, die von unserem grossen Orchesterkörper mit bewundernswerther Feinheit ausgeführt wurde. Dr. A. G, Musikalisches Wochenblatt, 12. März 1875, S. 134.

Ausser den vorstehnden in Betracht gezogenen beiden grösseren Musikaufführungen fanden in der vergangengenen Woche noch einige kleinere Concerte statt, von denen ich indess nur die am 16. d. Mts. Im Salon Blüthner von Frau Annette Essipoff veranstaltete Matinee besuchte. Die genannte Pianistin, welche von ihren früheren Auftritten hierorts noch in guter Erinnerung stand, hatte die Erledigung des 11 Nummern umfassenden Programms ganz allein übernommen und auf jede anderweitige Unterstützung verzichtet. Die Befürchtungen, welche ob dieses gewagten, seither wohl nur den grösste Clavierheroen wie Liszt, Bülow, Rubinstein zugestandenen Verfahrens anfänglich in

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manchen Zuhörer auftauchen mochten, fanden durch den Verlauf der Matinee selbst ihre wirksamste Widerlegung: bis zum Verklingen des letzten Tones lauschte das Auditorium den Vorträgen der Concertgeberin mit gespanntester Aufmerksamkeit. Frau Essipoff ist unzweifelhaft eine der ersten und bedeutensten Vertreterinnen des modernen Claviervirtuosenthums; eine ganz eminente Technik (vollkommene Unabhängigkeit der einzelnen Finger, erstaunliche Leichtigkeit und Beweglichkeit des Handgelenks seien beispielsweise als ein paar besonders hervorragende Seiten derselben angeführt) gestattet ihr, selbst die widerhaarigsten Schwierigkeiten mit infallibler Sicherheit und spielender Leichtigkeit zu bewältigen, sich in den heterogensten Spielmanieren sattelfest zu fühlen und die ‘verschiedensten Anschlagsnuancen vollkommen zu beherrschen. Frau Essipoff ist nicht „Musikerin“ in dem Sinne, in dem wir dies z. B. von Clara Schumann sagen, das virtuose Element (im edleren Sinne des Wortes) tritt bei ihr weit mehr' in den Vordergrund; gleichwohl besitzt sie eine hinreichend reich entwickelte Individualität, um wie diesmal anderthalb Stunden lang ein sehr gewähltes Publicum mit ihren ausgezeichneten Vorträgen derart fesseln zu können, dass in Letzterem das Gefühl der Abspannung und Ermüdung durch den ausschliesslichen Clavierklang nicht im Entferntesten Platz zu greifen vermag. Ein weiteres Eingehen auf die einzelnen Leistungen muss ich mir aus zeitlichen und räumlichen Aussichten versagen; ich constatire deshalb nur noch, dass die nachstehend in programmgemässer Folge genauer angeführten Piecen sich sämmtlich des lebhaftesten Beifalls der zahlreichen Zuhörerschaft zu erfreuen hatten. Die von Frau Essipoff vorgeführten Compositionen waren: G moll-Sonate von Schumann, Toccata von Bach-Tausig, Variationen, Op. 142, No. 2, von Schubert, Gavotte von Barcarole (Op. 60), Etüde (Op. 25, No. 3) und Walzer (Op.64, Ao. 3) von Chopin, Andante und Scherzo (Op 7 No. 6 und 7) von Mendelssohn, Ständchen („Horch, horch, die Lerch“) von Schubert-Liszt, Walzer von Rubinstein und Ungarische Rhapsodie (No. 8) von Fr. Liszt. Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 21. Januar 1876, S. 46.

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Als Solistin fungirte in diesem Concert Frau Essipoff. Ich habe mich bereits in meinem vorwöchentlichen Referat über die ausgezeichnete Pianistin geäussert und kann mein dort gefälltes Urtheil über dieselbe heute nur bestätigen. Frau Essipoff ist und bleibt in erster Linie Virtuosin und als solche bewundernswerth; die Musikerin kommt bei ihr erst in zweiter Reihe. Ob sie einem vorurtheilslosen und verständigen Hörer „Beethoven“ oder „Brahms“ zu Dank zu spielen vermöchte? Ich weiss es nicht, möchte es aber fast bezweifeln; für die diesmal zu Gehör gebrachten Compositionen (es waren; Mendelssohn’s langweiliges G moll-Concert und Weber-Liszt’s Concertpolonaise) erwies sich die musikalische Individualität der Künstlerin wiederum als vollkommen ausreichend, ihre Wiedergabe der beiden Werke hätte selbst der mäkelsüchtigsten Kritik keine Angriftspuncte geboten. Bereits bei ihrem Erscheinen mit lebhaftestem Applaus und einem Orchestertusch begrüsst, brach nach jedem ihrer Vorträge ein wahrer Beifallssturm los, der die Künstlerin auch schliesslich noch zur Zugabe zweier berückend schön gespielter Chopin’scher, Solostücke, der Des dur-Berceuse und der bereits am 16.d. Mts. gespielten F dur-Etude Op. 25, No. 3, veranlasste. Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 28. Januar 1876, S. 59.

Frau Essipoffs Beethoven-Vortrag hat uns nur halb befriedigt, und uns überhaupt die gesammte Concertcampagne dieser Virtuosin heuer bei Weitem nicht den Eindruck gemacht, wie ihre Leistungen in der Saison 1873-74. Ihre Auffassung des G dur-Concertes war mehr elegant, als tief, mehr geistreich, als herzlich, dabei unvermittelt, sprunghaft, und zwar dies selbst im rein Technischen. Manche Passage gab Frau Essipoff überaus glänzend, in nicht wenigen anderen (zumeist in den — Leschetizki'schen höchst äusserlichen Cadenzen) setzte es unreine Stellen, die an einer so gefeierten Pianistin Einen geradezu Wunder nahmen. Das wunderbare Andante, ein Drama im kleinsten Rahmen, die wohl ergreifendste Gegenüberstellung von Solo und Orchester in der ganzen Concertliteratur, suchte Frau Essipoff all zu sehr aus der Tiefe zu holen, sie nahm es im unerhört langsamen Tempo, sich rubatos

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erlaubend, sodass das Orchester beinahe ausser Takt gerieth. Im Grunde ist solch freie Auffassung noch immer besser, als die oberflächliche Hast, mit der gar viele Spieler dieses Andante als reines Präludium nehmen, über welches sie möglichst rasch hinweg zum Finale zu kommen trachten, in welchem sie erst ihre „Technik“ zeigen können; aber die Essipoff nahm trotz alledem dem Stücke die Beethoven’sche Erhabenheit, verwandelte es gewissermasssen in ein Chopin’sches Nocturno allersentimentalster Art. Nach diesem Debüt bei den Philharmonikern veranstaltete Frau Essipoff dann noch zwei selbständige Concerte , in denen sie immer mit einer Sonate (Schumann G moll, Beethoven Op. 110 in As) beginnend, sodann vorzüglich Scarlatti, Bach, Chopin und den modernen Salon cultivirte. Immer stand die elegante Virtuosin vor der im Geiste der Meister denkenden und fühlenden, wahrhaft reproductiven Künstlerin stark im Vordergrunde; Frau Essipoff gab sich diesmal beinahe nur als vollkommene Salon- Spielerin, und selbst nach dieser Richtung vermissten wir an manchen ihrer Leistungen den letzten Schliff und Schmelz, den wahren Zauber der Virtuosität: sollte der mit der russischen Gastin rivalisierende junge Tastenheld Joseffy resp. dessen unvergleichlicher Sammet-Anschlag daran Schuld getragen haben? Die vorzüglichsten Leistungen der Essipoff blieben wie immer gewisse Etüden von Chopin (in F, Ges), Saloncompositionen ihres „Mannes“ Leschetizki u. dergl., ihr Schwächstes dagegen die Wiedergabe der Beethoven’schen As dur- Sonate, für die sie weder überhaupt kein Verständnis hat, oder mindestens am Abende ihres Concertes absolut keine Spiellust besass, so glatt und gleichgültig behandelte sie dieses Tongedicht von der ersten bis zur letzten Note. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 14. Juli 1876, S. 385.

Darauf fand am 28. Oct. das erste Abonnementsconcert unter Mitwirkung von Frau Annette Essipoff statt, deren meisterhaftes Spiel von früher her noch im besten Andenken bei uns geblieben war. Diesmal brachte die gefeierte Künstlerin das Es dur-Concert von Beethoven zu Gehör, zwar mit gewohnter blendender Technik, aber nach unserer Meinung nicht

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ganz mit jener Objectivität in der Auffassung, wie sie für die Reproduction classischer Tonstücke durchaus nothwendig ist, abgesehen davon, dass wir zur Durchführung gewisser Stellen einen grösseren Aufwand von Energie und Kraft gewünscht hätten welcher durch Forciren des Anschlags keineswegs ersetzt wurde. Frau Essipoff excelliert besonders im Vortrag kleinerer Stücke, wo die liebliche, oft geistreiche Spielweise perlender Geläufigkeit oder reizvoller Cantilene ungehindert walten kann. Vollendet war die Wiedergabe des Nocturne in Fis-dur von Chopin und eines Walzers von Tausig. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13. Februar 1880, S. 92.

So spielte u. A. die auch im Auslande allgemein geschätzte Pianistin Annette Essipoff (seit einem Jahre als Frau Leschetizky stabil zur Wiener Künstlerschaft gehörig) in der letzten der Grün’schen Quartettsoireen so feurig und glänzend die Clavierstimme des Brahms’schen G moll- Quartettes, dass der Beifall nicht enden wollte und man bedauerte, die geistreiche und temperamentvolle, durch ihr Talent an die ersten Aufgaben der Kunst gewiesene Virtuosin nicht öfter in den Wiener Concertsälen erscheinen zu sehen. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 19. März 1880, S. 160.

Hochbedeutend erschien dagegen das am 3. Oct. folgende Concert der Frau Annette Essipoff, deren Leistungen ihrem Rufe durchaus entsprachen und nach jeder Nummer des langen Programms intensiven und langandauernden Applaus hervorriefen. Es wäre überflüssig, ihr grandioses Spiel an dieser Stelle genauer charakterisieren zu wollen; als Interpretin Chopin’s zumal steht sie unseres Bedünkens unbedingt in erster Linie der Claviervirtuosen unserer Zeit. Musikalisches Wochenblatt, 16. Juni 1881, S. 299.

Der König von Dänemark hat die Pianistin Frau Essipoff mit der goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft decorirt. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 5. Januar 1882, S. 25

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Am Flügel sass diesmal Frau Essipoff, und wir können nicht anders als ihre Leistung im höchsten Grade vollendet nennen: das spielte sich in den allerschwierigsten Lagen und Passagen gleichsam von selbst und war dabei von einem eigenthümlichen, wir möchten sagen: aristokratischen Dufte feinster Empfindung durchdrungen; wir haben Sigismund Thalberg nie gehört, aber nach den Berichten der Zeitgenossen über jenen berühmten Rivalen Liszt’s könnte derselbe das Chopin’sche Fmoll-Concert kaum anders gespielt haben, als jüngst Frau Essipoff. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Februar 1882, S. 86.

Das 2. Concert brachte uns einen leuchtenden Stern am Kunsthimmel: Frau Annette Essipoff. Die 'berühmte Pianistin elektrisirte wieder durch die Verve und Noblesse ihres allen Schwierigkeiten spottenden Spiels: Sie hatte diesmal das F moll- Concert von Chopin zum Vortrag gewählt, an kleineren Sachen spielte sie u. A. die Saint-Saëns’sche Caprice über ein Thema aus Gluck’s „Alceste“, Toccata und Gigue von Lachner etc. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. März 1882, S. 138.

Einen Tag nach dem Bülow’schen Abschiedsconcerte, Frau Annette Essipoff, unser Liebling unter den modernen Pianistinnen, eine glänzend besuchte Source, und wir hatten nun Gelegenheit, zwei anerkannt ausserordentliche Virtuositäten mit einander zu vergleichen. Wenn wir aufrichtig sein sollen, so sank die Waagschale kaum zu Gunsten der liebenswürdigen Russin. Bei den prachtvollen Leistungen der Essipoff fehlt doch zuletzt das Spontane, individuell-bedeutende, das Bülow so sehr fesselt, es macht das Meiste mehr den Eindruck, dass es minutiös fein und sorgsam einstudirt sei, während Bülow die fremden Tondichtungen so in sich aufgenommen, dass er sie gleichsam vor unseren Augen und Ohren zu componiren oder besser noch: zu improvisiren scheint. Bei Bülow interessirt — wie wir schon wiederholt bemerkt — in erster Linie die jeweilige Composition selbst, bezüglich die Weise des Vortrages, bei der Essipoff die Virtuosität an sich, gleichviel, welcher classischen oder modernen Composition sie gelte. Allerdings ist

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diese Virtuosität die bestechendste, nobelste, distinguirteste, die sich nur denken lässt: wir haben das schon nach der Künstlerin ausgezeichneter Chopin-Interpretation im 3. Gesellschaftsconcerte hervorgehoben. Wenn uns Frau Essipoff damals mit der silberhell vollendeten Wiedergabe des Chopin’schen F moll-Concertes —unstreitig noch mehr entzückt, als mit den verschiedenen Solovorträgen ihres eigenen Concertes, so liegt der Grund wahrscheinlich darin, dass die Künstlerin durch ihre vielen Concertreisen ihr Spiel wesentlich auf grosse Räume und durchdringende Schallwirkung eingerichtet hat, daher denn dasselbe bei Fortissimo-Passagen, die in kleineren Cirkeln auszuführen, nicht selten ein wenig hart oder stechend wird. Andererseits sind gerade die entschieden männliche Kraft dieses Spieles, dessen mustergiltige Klarheit und Plastik zu bewundern. Das Schneidige, Energische des Rhythmus eine Meisterschaft, durch welche Frau Essipoff gegenwärtig neben Sophie Menter wohl unter allen lebenden Pianistinnen obenan steht dankt die Künstlerin speciell ihrem berühmten Lehrer und jetzigen Gatten: Theodor Leschetizky, welcher der in Rede stehenden Soirre durch seine vom Wiener Publicum längst ersehnte Mitwirkung noch eine besondere Anziehungskraft verlieh. Man war überrascht, in den von Frau Essipoff und ihrem Manne auf zwei Clavieren vorgetragenen neuen Variationen von Ed. Schütt von beiden Instrumenten genau denselben glockenreinen, aber etwas kühlen Anschlag wiederklingen zu hören; es war, als ob nur ein grosser Virtuose spiele, aber durch ein Wunder mit der doppelten Anzahl Finger begabt. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 23.März 1882, S.

Einige Tage darauf concertierte Frau Essipoff. Ihr Programm bestand aus Schumann’s Concert, der Liszt’schen Phantasie über „Die Ruinen von Athen“ und kleineren Stücken von Bach-Tausig, Schubert, Mendelssohn, Liszt, Rubinstein, Saint-Saëns (Caprice sur Air de hallet) und Chopin. Die Künstlerin, welche ich in den letzten Jahren nicht gehört hatte, hat in dieser Zeit ihre technische Fertigkeit womöglich noch vervollkommnet; dagegen vermochte ich mich an ihrem Spiel auch

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diesmal nicht zu erwärmen, und liess in dieser Hinsicht besonders die Wiedergabe des Concertes von Schumann zu wünschen übrig. Frau Essipoff hatte einen grossen Erfolg und spielte noch Manches ausser dem Programm, darunter eine sehr brillant gemachte Paraphrase des Strauss'schen „Fledermaus‘‘-Walzer von Schütt, […] k.A., Musikalisches Wochenblatt, 22. Juni 1882, S. 305

Aber wie ganz anders zündeten doch die Claviervorträge der Frau Annette Essipoff, die wenige Tage später ein Concert im Wriedt’schen Etablissement gab! Da hatten wir einmal wieder eine gottbegnadete Künstlerin ersten Ranges vor uns, die durch ihr wunderbares Spiel jeden nicht ganz in Vorurtheil oder Philistrosität verknöcherten Menschen zum Enthusiasmus fortreissen musste. Sie bot uns Alles in gleich vollender Ausführung. Praeludium und Fuge von S. Bach (arrangiert von Liszt), Beethoven’s Es dur- Sonate (Op. 31), Reinecke’s Variationen über ein Thema von Händel, dann in einem zweiten Theil, dessen Programm etlichen conservativen Akademikern unserer Stadt ein missbilligendes Schütteln des Kopfes abnöthigte, die „Mélancolie“ von Rubinstein, eine Etüde, das Spinnerlied aus dem „Fliegenden Holländer“ und die „Rhapsodie espagnole“ von Liszt, in einem dritten Theil eine Romanze (in F dur) des geistreichen Russen Tschaikowski, eine Mazurka ihres Gatten Leschetizki, ein Nocturne, eine Etüde und Valse von Chopin und als Schlussnummer Liszt’s weniger ansprechende, als enorm schwierige Tarantelle. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. August 1883, S. 415

Dann spielte Annette Essipoff denselben Flügel Bechstein’s und diese erzielte durch den tiefen und ernstgeschmeidigen Anschlag, trotzdem sie Vieles (sie trug nur Chopin vor) willkürlich rubatisirte, Klangwirkungen besonders in der Sonate in H von Chopin die einen entzückenden Eindruck machten und die alte Lehre lehrten, dass es nicht gleich ist, wer einen und denselben Flügel spielt. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 26. November 1888, S. 580.

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Im zweiten Philharmonischen Concert des verflossenen Monats war die Claviervirtuosin Frau Essipoff zu Gaste geladen. Die wärmste Zustimmung und die weitaus grösste Theilnahme erspielte sich die Künstlerin mit den kleinen, kurzgeformten Solostücken, einer reizenden Air von Gluck-Sgambati, einem sehr hübschen Scherzoso von Eduard Schütt und einer allerliebsten Caprice vom alten Scarlatti. Mit diesen Kleinigkeiten hatte Frau Essipoff einen solchen Erfolg, dass sie zwei Mal da capo spielen musste, den As dur-Walzer von Chopin und ein Menuett von Paderewski. Von dem letztgenannten russischen Componisten hatte Frau Essipoff auch ein noch ungedrucktes Concert in A moll zum Vortrag gewählt, das aber nur wenig Freude bereitete. In dem Stück sind pikante Sachen, die Effect machen, es sind aber doch nur Äusserlichkeiten, die weiter keinen Werth besitzen und die für den mangelnden Gedankeninhalt nicht entschädigen können. Verhältnissmässig am belangreichsten ist noch das erste Allegro, entsetzlich öde und triste aber der langsame Satz und von einer unglaublichen, förmlich asiatischen Ungeschlachtheit das Finale. Dass die Künstlerin Musik dieser Beschaffenheit einzuspielen und ihrem Gedächtniss einzuprägen vermochte, hat uns in Erstaunen versetzt. Ausser den genannten Clavierwerken hörte man in gelungener Ausführung an diesem selben Abend die A moll-Symphonie von Mendelssohn, ein nettes, namentlich mit bedeutendem Geschick instrumentirtes Capriccio von Hermann Grädener und in sehr mässiger Wiedergabe, in der eigentlich alles Feine und Nobele abwesend war, Brahms’ Tragische Ouvertüre. Dieses Werk erschliesst sich den allgemeinen Eingang ohnehin schon schwer genug, durch eine solche lieblose Behandlung wird ihm der Weg zum Verständniss des Publicums aber geradezu verlegt. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 4. April 1889, S.34.

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6.3 Zeitgenössische Rezensionen anderer Musikjournale Im folgenden Kapitel werden interessante Konzertkritiken dargestellt, welche nicht in die Bewertung in Kapitel 4.3 eingeflossen sind, da sie nicht den vereinbarten Rahmenbedingungen aus Kapitel Tabelle 10 entsprachen.

„Frau Annette Essipoff, die allerwärts gefeierte russische Pianistin, gab es. Die Concertgeberin selbst hat nichts Fastenmäßiges: jung, anmuthig und elegant von der Coiffüre bis zu den Fußspitzen, begrüßt sie heiter lächelnd das Publicum. Aber ach, auf dem Concertabend selbst scheint ein Stäubchen Asche zu haften und will keinen rechten Frohsinn • aufkommen lassen. Gleich der Anfang ist eine Enttäuschung. Dem Anschlagzettel zufolge sollte Frau Essipoff mit Orchester-Begleitung spielen, und zwar zuerst das G-moll- Concert von Saint-Säens. Wir freuten uns, das geistreiche französische Stück von einer Dame zu hören, die uns jederzeit als eine nur durch Mißverständniß in Rußland geborene geistreiche Französin erschienen war. Die Kompositionen von Saint- Säens, welche Bravour und feinen Esprit verlangen, ohne sonderlich tiefe Empfindung, scheinen wie gemacht für sie[…].“ k.A., Neue Freie Presse 12. März 1878, S. 1.

„Miss Davies insbesondere hat außerordentlich interessiert, noch mehr in ihrem wenige Tage später gegebenen Concerte, das manchen Zweifel beseitigte, der nach dem etwas befremdlichen Vortrage der „Kreisleriana" in der Trio-Soire nicht unbegründet erschien. Fanny Davies vereint männlichen Ernst mit weiblicher Zartheit; ihr Spiel, dessen technische Vollendung keiner Erörterung bedarf, ist die Offenbarung einer idealen Frauenseele, die sich, fremd aller Weltschmerzlichkeit, mit voller Gemüthsreinheit in die Kunst vertieft, ohne auch nur einen Augenblick zu vergesen, daß in Kunstsachen Herz und Verstand eine gewisse Gleichberechtigung behaupten müssen. Mit großer Vorliebe verklärt sie Werke polyphonen Charakters, wie Schumann's Studien für den Pedalflügel, Mendelssohn's b-moll Fuge, op. 85, durch den Sonnenschein weiblicher Anmuth. Möchten doch all die tastenstürmenden Clavier-Amazonen, welche gegenwärtig die

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Concertsäle unsicher machen, an der englischen Künstlerin lernen, wo das Geheimniß des Erfolges steckt.“ k.A., Neue Freie Presse, 13. Dezember 1894, S. 8.

7 Literaturverzeichnis

7.1 Primärliteratur

Bree Malwine: Die Grundlage der Methode Leschetizky, Mainz, 1914.

Dörffel Alfred: Geschichte der Gewandhausconcerte zu Leipzig – Vom 25. November 1781 bis 25. November 1881, Wiesbaden, 1972.

Hanslick Eduard: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 1, Wien,1869.

Hanslick Eduard: Geschichte des Concertwesens in Wien, Band 2, Wien,1870.

Hanslick Eduard: Vom Musikalisch Schönen – Aufsätze, Musikkritiken, hrsg. von Klaus Mehner, Leipzig, 1982.

Hanslick Eduard: Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre 1870-1885, 2. Auflage, Berlin, 1886.

Hoffmann Freia /Timmermann Volker (Hrsg.): Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, Hildesheim, 2013.

Hullah Annette: Theodor Leschetizky [1906], Studien, Beiträge und Materialien zur Leschetizky- Forschung, Band 1, Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen, Fernwald, 2011.

Litzmann Berthold: Clara Schumann -Ein Künstlerleben nach Tagebüchern und Briefen, Mädchenjahre 1819-1840, Band 1, Leipzig, 1906.

Litzmann Berthold: Clara Schumann- Ein Künstlerleben nach Tagebüchern und Briefen, Clara Schumann und ihre Freunde 1856-1896, Band 3, Leipzig, 1908.

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Niemann Walter: Meister des Klavieres – Die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, erste bis achte Auflage, Berlin, 1919.

Potocka Angèle: Theodor Leschetizky – Eine Studie des Menschen und Musikers aus persönlicher Bekanntschaft [1903], Studien, Beiträge und Materialien zur Leschetizky-Forschung,

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Prentner Marie: Leschetizky’s Fundamental Principles of Piano Technique; New York, 2005.

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Wieck Friedrich: Clavier und Gesang – Didaktisches und Polemisches [1853], Regensburg, 1996.

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Muth Burkhard: Theodor Leschetizky – der bedeutendste Klavierlehrer, den die Welt je gesehen hat?, in: Ludwig Striegel (Hrsg.): PianoPädagogik, Band 3, Fernwald, 2003, S. 8-115.

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Schalz-Laurenze Ute: Attraktiv, stürmisch und blond - Beobachtungen und Überlegungen zum Sexismus in der Musikkritik, in: Hoffmann Freia / Rieger Eva (Hrsg.): Von der Spielfrau zur Performance-Künstlerin - Auf der Suche nach einer Musikgeschichte der Frauen, Kassel, 1992, S.183-199.

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Wenzel Silke: Artikel „Fanny Davies“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 26.6.2007. URL: http://mugi.hfmt- hamburg.de/Artikel/Fanny_Davies, Zugriff am 08.12.2016.

7.3 Russischsprachige Literatur

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7.4 Zeitungen und Journale k.A., Musikalisches Wochenblatt, 2. Februar 1872, S. 88. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Jänner 1874, S. 33-34. Dr. A. G, Musikalisches Wochenblatt, 12. März 1875, S. 134. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 14. Juli 1876, S. 385. Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 21. Januar 1876, S. 46. Carl Kipke, Musikalisches Wochenblatt, 28. Januar 1876, S. 59. k.A., Neue Freie Presse 12. März 1878, S. 1. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13. Februar 1880, S. 92. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 19. März 1880, S. 160. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Juni 1881, S. 299. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 5. Januar 1882, S. 25 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. Februar 1882, S. 86. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. März 1882, S. 138. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 23.März 1882. S. 296 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 11. Mai 1882, S. 238. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 22. Juni 1882, S. 305. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 16. August 1883, S. 415 k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13. Jänner 1887, S. 28. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 26. November 1888, S. 580. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 13.09.1888, S. 446. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 12. Jänner 1888, S. 33. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 4. April 1889, S.34. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 20. November 1890, S. 603. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 19. November 1891, S. 609. k.A., Neue Freie Presse, 13. Dezember 1894, S. 8. k.A., Musikalisches Wochenblatt, 10. Januar 1907, S. 38.

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7.5 Aufnahmenverzeichnis

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Davies Fanny: Robert Schumann Klavierkonzert in a-moll (Op.54.), 1928, https://www.youtube.com/watch?v=CB9zQVjh8CQ; Zugriff am 13.12.2016.

Essipoff Annette: Clara Schumann Variationen, 1906/07, https://www.youtube.com/watch?v=83OfgCtg6TQ, Zugriff am 13.12.2016.

Essipoff Annette: Eugen d’Albert Scherzo in f-moll (Op. 16/2), Jahr unbekannt, https://www.youtube.com/watch?v=LwcL_N7Yxjg, Zugriff am 13.12.2016.

Essipoff Annette: Franz Liszt Fantasie Paraphrase über Verdis Rigoletto (Searle 434), 1906, https://www.youtube.com/watch?v=tQBlkmFfyJk, Zugriff am 13.12.2016.

Essipoff Annette: Sigismund Thalberg Fantasie über Bellini's "La Sonnambul“ (Op. 46), Jahr unbekannt, https://www.youtube.com/watch?v=tQBlkmFfyJk, Zugriff am 13.12.2016.

7.6 Internetquellen

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Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/anno- suche/#searchMode=complex&text=Fanny%2BDavies&dateFrom=01.01.1886&dateTo=01.01.1 933&resultMode=list&from=1, Suchbegriff „Fanny+Davies“, Zugriff am 10.12.2016.

Anno. Österreichische Nationalbibliothek, http://anno.onb.ac.at/anno- suche/#searchMode=complex&text=Essipoff&dateFrom=01.01.1870&dateTo=01.01.1913&resul tMode=list&from=1, Suchbegriff „Essipoff“, Zugriff am 10.12.2016.

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7.7 Bildquellen

Abbildung 1: Zeitgenössische Karikatur auf die klavierklimpernden Töchter, "Stolz" eines jeden bürgerlichen Salons (19. Jahrhundert) Rieger Eva: Frau, Musik und Männerherrschaft – Zum Ausschluß der Frau aus der deutschen Musikpädagogik, Kassel, 1988, S.49.

Abbildung 2: Gemälde von Gerhard Terborch aus dem 17. Jahrhundert namens „Konzert“ Rieger Eva: Frau, Musik und Männerherrschaft – Zum Ausschluß der Frau aus der deutschen Musikpädagogik, Kassel, 1988, S.34.

Abbildung 3: Chiropraktische Geräte zur Korrektur von Haltungsschäden bei Frauen Hoffmann Freia: Instrument und Körper - Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt am Main, 1991, S.44.

Abbildung 4: Zeitgenössische Literatur zur Darstellung der Doppelbelastung Karikatur aus der satirischen Zeitschrift »Le Charivari« (1890) zitiert nach: Trever Lloyd: Sufragetten. Die Emanzipation der Frau in der westlichen Welt, Lausanne 1970, S. 16.

Abbildung 5: Clara Wieck im Alter von 15 Jahren Giere Julius: Lithograpfie von Clara Schumann im Alter von 15 Jahren, Robert Schumann Portal, http://www.schumann- portal.de/tl_files/img/RobertSchumann_Familie/ClaraWieck_15Jahre.jpg, Zugriff am 22.11.2016

Literaturverzeichnis 132

Abbildung 6: Aushang zur Bewerbung eines Konzertes mit Clara Schumann Plattform über Kapellmeister Johann Kreisler, https://kreisleriana.files.wordpress.com/2010/03/konzertzettel.jpg, Zugriff am 13.12.2016

Abbildung 7: Clara Schumann im Jahr 1878/1879 Von Lenbach Franz: Pastell mit Abbild von Clara Schumann 1878/1879, Biographiedatenbank, http://www.xs4all.nl/~androom/biography/a002056.htm, Zugriff am 22.1.2016

Abbildung 8: Theodor Leschetizky Allgemeine Musikzeitung: Theodor Leschetizky – Zum achtzigsten Geburtstage, Nr. 25, 17. Juni 1910, S.600-603, S. 603.

Abbildung 9: Falsche Handhaltung durch zu steile und starre Finger Unschuld von Melasfeld Marie: Die Hand des Pianisten, Leipzig, 1903, S. 3.

Abbildung 10: Haltung der linken und rechten Hand beim Spiel Bree Malwine: Die Grundlage der Methode Leschetizky, Mainz, 1914, S. 5.

Abbildung 11: Fanny Davies http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Fanny_Davies, Zugriff am 08.12.2016

Abbildung 12: Annette Essipoff MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt- hamburg.de/Artikel/Annette_(von)_Essipoff, Zugriff am 08.12.2016

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